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Vorwort

Das Lob der Torheit hat sich Erasmus zurechtgelegt, als er sich im Sommer 1509 von Italien wieder nordwärts wandte. Während ihn sein Pferd langsam über den Splügen und das Rheintal hinunter trug, fand sein unermüdlicher Geist in der Stille des Gebirges Muße und Sammlung, wie sie ihm in Italien nie beschieden gewesen war, und gern denkt man sich aus, daß auch die herrliche Kühle und Reinheit der Alpenwelt, wenn auch dem Reisenden unbewußt, das ihrige mag dazu beigetragen haben, dieses kleine Werk mit ganz besonderer Klarheit, Frische und plastischer Anschaulichkeit zu erfüllen. Welchen Reichtum allerdings an Wissen, Erfahrung und Menschenkenntnis trug dieser Reiter in sich! In den gut vierzig Jahren seines bisherigen Lebens hatte er in seiner niederländischen Heimat, in Frankreich, in England, in Venedig, Bologna und Rom wie Odysseus vieler Menschen Städte gesehen und vieler Menschen Art und Gedanken kennengelernt.

Mochte nun, wie Erasmus zwei Jahre später versichert, wir aber nicht glauben müssen, einfach der Gedanke an das Wiedersehen mit seinem Freund Morus in England ihm auf dem Wege einer äußerlichen Assoziation blitzartig den Einfall beschert haben, auf die Moria, wie die Torheit griechisch heißt, während der erzwungenen Muße ein Loblied zu dichten, mochte die Erinnerung an vertraute ähnliche Produkte antiker Schriftsteller schon längst zu wetteifernder Nachahmung reizen, oder mochte einerseits die Fülle der Eindrücke nach einer Sichtung und Wertung verlangen, anderseits die eigene Einstellung zur Welt und die eigene Tätigkeit in ihr sich einmal einer läuternden Kritik unterziehen wollen – wir stehen vor der Tatsache, daß der kultivierteste Nordländer seiner Zeit, ein Gelehrter von ungewöhnlichem Ausmaß, ein Verstandesmensch par excellence, auf diejenige Macht im Leben, gegen deren wechselnde Gestalten sein eigenes Wesen in dauerndem Kampfe gestanden hat, auf das Irrationale, in den hellsten Tönen und mit andauernder Kraft einen Hymnus erschallen läßt. Denn eine gütige Fügung hat dafür gesorgt, daß diese Auseinandersetzung nicht zur bitteren Invektive wurde, sondern in der glücklichsten Laune geschehen konnte. Die Erfolge in Italien, die Aussicht auf ein erfreuliches Arbeiten und köstliches Zusammenleben mit den Freunden und Gönnern in England und warum nicht auch eine Art Feriengefühl in unsern Bergen mochten die Stimmung hochhalten, und die Ausführung des damals Konzipierten, ging nachher im gastlichen Hause des Morus so rasch vonstatten, daß auch eine Nierenaffektion keine Trübung mehr zu bewirken imstande war.

Ist nun aber das Lob der Torheit denn nicht eine Satire? Ist es dem Verfasser, dem der Spott allezeit leicht über die Lippen kam, denn wirklich ernst mit seinem Hymnus? Für viele Partien seines Werkes muß das in der Tat angenommen werden: man glaubt nicht selten einen Ton des Bedauerns darüber mitklingen zu hören, daß die eigene Natur so ganz anders ist, und unverkennbar bedeutet da und dort der Tor in seiner Art ein Ideal. Aber freilich, wo der Ernst anfängt und wo er aufhört, wer möchte das jeweilen entscheiden? Denn ebenso gewiß ist, daß auf weite Strecken hin das Lob der Torheit nur ironisch gemeintes Lob spendet. Was seinem Schöpfer dieses reizvolle neckische Spiel mit dem geneigten Leser ermöglicht, ist das Geschick, mit dem er sich die Dehnbarkeit des Begriffes Torheit zunutze macht. Sie ist für ihn einerseits Leichtsinn, Liederlichkeit, Dreistigkeit, Einbildung, Leidenschaft, Beschränktheit, Dummheit, Schwachsinn, Irresein, anderseits aber auch natürliche, ungebrochene Lebensfreude, ungebremste Tatkraft, kindliche Harmlosigkeit, schrankenloses Vertrauen, Güte, Gutmütigkeit, Freisein von Klügelei und Doktrinarismus. Läßt sich schon mit einem Wesen von solcher Vielseitigkeit mancherlei anstellen, so kommt noch dazu, daß Erasmus den äußerst praktischen Einfall hatte, seine Lobrede der Torheit selbst in den Mund zu legen: wer will da den Desiderius Erasmus bei dem behaften, was einer solchen unzurechnungsfähigen Person entfährt?

So tritt denn die Torheit frisch und munter vor die große Narrengemeinde zu ihren Füßen, die Menschheit, und stellt die These auf, daß sie, unterstützt durch ihre dienstbaren Geister, das Universum beherrsche und im Gang halte; sie beweist das mit einer überraschenden Fülle von Beispielen aus dem Leben der Einzelnen, der verschiedenen Nationen, Stände und Berufe und belegt es aus den Schriften der Philosophen und der Bibel, bis sie das Kunststück fertiggebracht hat, selbst in dem mystischen Erlebnis des verzückten Christen ihr eigenes Werk nachzuweisen, um nach dieser unüberbietbaren Leistung jäh abbrechend ihre Toren wieder in ihr schönes Leben hinaus zu entlassen.

Wir wissen, daß Erasmus mit seinem Büchlein, mehr noch zur Freude der Verleger als zu seiner eigenen, einen glänzenden Erfolg erzielt hat. Er verdankte ihn ohne Zweifel vornehmlich der Polemik gegen die damaligen Zustände im Mönchtum, an den theologischen Fakultäten und im hierarchischen System. Auch wir werden diese Stellen noch immer mit Vergnügen lesen; aber neben der zeitlich bedingten Satire enthält das Werk genug Partien von allgemeingültigem Wert und einen solchen Reichtum an Beziehungen, daß es ganz verschieden gearteten Lesern irgendwie Genuß und Freude zu bieten vermag. Der eine freut sich an den kraftvollen, bei größter Knappheit anschaulichen Schilderungen, der andere an den gescheiten Seitenbemerkungen und Sentenzen, der dritte an den witzigen Einfällen und der kaum versiegenden Munterkeit, der vierte hört mit Befriedigung das Motiv von der befreienden Kraft der Vernunft aus der Umkehrung heraus, der fünfte lauscht lieber der Botschaft vom Glück des natürlichen, frohen, vertrauenden Menschenkindes, das in seiner Einfalt ahnen darf was kein Verstand der Verständigen sieht.

Der Übersetzer aber gesteht, daß neben diesen inhaltlichen Werten auch die sprachliche Form ihm die Mühe zur Freude gemacht hat, wiewohl gerade sie ihn oft genug seine eigenen Mängel peinlich empfinden ließ, dieser Reichtum des Wortschatzes, die Eleganz und Treffsicherheit der Formulierung, der vollendete Rhythmus des Satzbaus und bei aller Kunst die Selbstverständlichkeit und Lebendigkeit dieses Lateins, das der Fülle übernommenen Sprachgutes eine durchaus einheitliche und originelle Gestaltung zu geben weiß und dieses typische Erzeugnis des Humanismus großen Leistungen der Antike auch im Formalen als ebenbürtigen Spätling zur Seite stellt.

Dr. Alfred Hartmann


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