Marie von Ebner-Eschenbach
Die Resel
Marie von Ebner-Eschenbach

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Marie von Ebner-Eschenbach

Die Resel

Es war im März zwischen Okuli und Lätare. Der Graf und die Gräfin hatten sich in ihrer neueingerichteten Wohnung im Forsthause des Reviers Fichtenberg einquartiert, um die Zeit des Schnepfeneinfalls gehörig auszunutzen. Da erlagen viele der geflügelten Reisenden, die eine Zuflucht in den feuchten Niederungen der Nadelwälder gesucht hatten. Je blutiger der Tag gewesen, je vergnügter kehrten die Jäger heim, je liebenswürdiger wurde der Herr Oberförster zum Abendessen geladen. Die kleine Gesellschaft nahm das Mahl in einem traulichen holzgetäfelten Zimmer ein, das von einem stark geheizten Kachelofen fast übermäßig erwärmt und von den vier Kerzen eines Hirschweibchenlüsters ziemlich spärlich erhellt wurde.

Die Ereignisse des Tages hatten den Stoff zum Tischgespräche geliefert. Beim schwarzen Kaffee begann der Graf in seiner breiten und äußerst gutmütigen Art den Stand der Waldungen zu loben. »Das ist ein Unterschied«, sagte er, »zwischen den meinigen und den fürstlichen, wo wir im Herbst gejagt haben.«

Man rauchte; die Gräfin, die sich die größte Zigarre angebrannt hatte, sprang plötzlich auf, lief zum Fenster öffnete es weit und sprach, dampfend wie ein Schlötchen: »Alles gut bei Ihnen, mein lieber Herr Ruppert, nur Ihre Leute nicht. Die Hausdiener feuern einen aus dem Zimmer und Ihre Jäger – eine Sippschaft... mein Großvater würde sagen: ›Wie wenn's die Tauben zusammengetragen hätten.‹«

»Ja, ja, sie hat recht«, sagte der Graf, »ich hab mir heut das Jagdpersonal betrachtet. Diese Menschen schauen aus wie die Räuber.«

Das Gesicht des Oberförsters zog sich in die Länge. »Das können Hochgräfliche Gnaden gleich anders haben, brauchen nur zu befehlen, nämlich. Wir nehmen uns halt ein Muster an den fürstlichen Jägern drüben: die tragen Uniform mit silberne Knöpf und Borten und waschen sich alle Tag zweimal die Händ.«

»Zu was alterieren Sie sich gleich, Ruppert – ich hab nur so gemeint«, beschwichtigte der Graf, und seine Frau fiel ein: »Es handelte sich auch nicht ums Händewaschen, aber daß die Leute gar so merkwürdig sind. Da ist einer den ganzen Tag hinter mir hergegangen, so ein Magerer, Brauner, ein recht Unheimlicher mit trotzigen Augen.«

»Der Gruber, Hochgräfliche Gnaden.«

»Der kann nicht einmal reden.«

»Mit dem Maul, nein, aber ich bitt untertänigst, nur einen Blick auf seine Kulturen am Reiterberg zu werfen, die sprechen nämlich statt seiner.«

»Sie haben mir aber keine Antwort gegeben, wie ich gefragt habe«, sprach die Gräfin und schlug ihre wundervollen, schwarzbraunen Augen schalkhaft zu dem Alten auf.

Er verstand sie nicht: »Was belieben zu meinen?«

»Hören Sie zu. Ich war an einer Stelle im Wald, die ich noch nicht gekannt hab. Es sind dort gar große Fichten, und ein schmaler Wiesengrund – kleine Quellen durchrieseln ihn – zieht sich hinunter bis zum Taldorf. Man kann den Kirchturm sehen und das Kreuz darauf. Dort am Waldesrand bemerke ich einen grünen Hügel, lang und schmal, ganz eingefaßt mit Schneeblumen. ›Sie‹, sag ich, ›Sie, Jäger, was ist denn das?‹ – ›Was?‹ sagt er und knotet eine von den Schnepfen fester, die er sich an die Waldtasche angebunden hat. ›Ist das nicht ein Grab, ein armes, einsames Grab?‹ – ›Kann sein‹, brummt er, so still, daß ich's kaum verstanden habe. Dabei reißt er an seinem dicken Schnurrbart... grad, wie Sie jetzt tun, lieber Ruppert, Herr Oberförster«, brach sie lachend aus.

Er ließ schnell die Hand sinken, und die Gräfin fuhr fort: »Neben dem Grab – als ob sich's nicht näher getraute, ist ein Kreuzerl aus zwei dünnen Latten aufgepflanzt, die ein gebogener Nagel in der Mitte zusammenhält, und es steht ein Name drauf: Resel. Man kann's noch ausnehmen, trotzdem die Buchstaben vom Regen halb verwischt und so krumm sind, wie wenn ein Kind sie geschrieben hätte.«

»Kein Kind«, versetzte der Förster, »aber einer, der geworden ist wie ein Kind... Hochgräfliche Gnaden haben ihn noch gekannt«, wandte er sich an den Grafen, »den alten Vitalis, den Großen, Dicken, mit dem rosenfarbigen Gesicht.«

»Ja – ja – und ich hab immer ministrieren wollen, wenn er ins Schloß gefahren gekommen ist, die Mess' lesen. Was für eine Geduld hat er mit mir gehabt!«

»Aber die Resel, warum ist sie nicht auf dem Friedhof begraben?« fragte die Gräfin, und der Förster erwiderte zögern: »Ja, leider, weil sie leider Hand an sich gelegt hat, sich nämlich umgebracht hat.«

»Umgebracht!« rief die junge Frau erregt – »gewiß aus unglücklicher Liebe, sie hat ihren Geliebten nicht heiraten dürfen, oder er hat sie sitzenlassen, der Lump... Ist's so? Sagen Sie's, wenn Sie's wissen.«

»Wie sollt ich nicht? Die Resel ist ja die Tochter von meinem Bruder gewesen.«

»So – und was war der?«

»Müller im Taldorf.«

»Hat er viele Kinder gehabt?«

»Die längste Zeit gar keins, dann ist die Resel gekommen. Der liebe Gott hat sich besonnen. Aber weil sie keine Ruh gegeben haben mit Bitten und Betteln auf alle Wallfahrtsorte herumgezogen sind, gibt er endlich nach und schickt ihnen die zitternde Freud.«

»Das Kind wird wohl kränklich gewesen sein?«

»Gesund wie ein Fischerl von ihrer Geburt an. – ›Wenn die zwei Alten ein Kind kriegen, kommt's mit graue Haar auf die Welt‹, hat es immer geheißen. Indessen bringt das Mädel einen Kopf voll dunkle Locken mit, und wie ihr die ausgegangen sind, wachsen noch dunklere nach. Die Augen waren schwarzbraun, ich hab mein Lebtag keine so schönen mehr gesehen.«

Die Gräfin zuckte die Achseln, erhob sich und sagte mit komisch-naiver Entrüstung zu ihrem Gatten: » Comme il est bête!«

Der Angesprochene erwiderte nur mit einem zustimmenden Laut, denn er befand sich bereits im Halbschlafe. Ein wenig verdrossen nahm die junge Dame Platz auf der Ottomane am Fensterpfeiler, stützte den Nacken auf die Polster und fragte: »War die Resel groß, klein, wie hat sie ausgesehen?«

»Sie wird beiläufig eine Person gehabt haben wie die Hochgräfliche Gnaden, nur nicht so mager da herum.« – Der Förster legte die Zigarre weg und griff mit beiden Händen an seine breite Taille. »Aber ein Feuerteufel. Man hat nämlich nie gewußt, wenn sie weg war, ob sie ihre geraden Glieder heimbringt.«

Die Gräfin lächelte: »Ja, ja, so wilde Hummeln gibt's, ich habe auch eine gekannt.«

»Die Eltern sind aus der Todesangst um sie nicht herausgekommen, wollten es ihr aber nicht zeigen, daß ihr nicht weh geschieht. Manchmal hat sie's von selbst bemerkt und gesagt: ›Mutterl, acht Tag geh ich dir nicht von der Seiten‹, hat sich mit ihrer Arbeit hingesetzt und gekniffelt, gekniffelt! An gutem Willen hat's ihr nicht gefehlt, nur war's ganz gegen ihre Natur, und wenn man sie so gesehen hat, ist sie einem vorgekommen wie ein Fink oder ein Kanari, den's eingespannt haben und der ein Wagerl hinter sich herziehen muß. Ihr Vater hat den traurigen Anblick nicht vertragen, hat sie immer bald weggeschickt, sich austanzen auf der Wiesen. Da ist sie geflogen!... Hat übrigens nicht nur getanzt, auch den Leuten geholfen beim Mähen und Heumachen und im Winter beim Holzklauben – wenn sie nur draußen im Freien sein konnte. Und – kurioses Mädel! eine Passion, ihr Leben zu riskieren, als ob sie's nicht früh genug loswerden könnt.«

Seine Zuhörerin unterbrach ihn eifrig: »Nein, nein, daran hat sie nicht gedacht, sie hat die Gefahr geliebt, das kommt vor, auch Mädchen haben Heldenblut in den Adern... Vielleicht war ihr Großvater Soldat wie der meine.«

Der Förster nickte zustimmend: »Kann wohl sein... Die Resel – wenn ich denk, daß sie als ein zwölfjähriges Ding ein Wickelkind aus dem lichterloh brennenden Haus gerettet hat und ein paar Wochen drauf bald ersoffen wär. Ist nämlich ins Wasser gesprungen einem jungen Hund nach, der hätt ertränkt werden sollen.«

»Einem Hund? – Förster, das hätt ich auch einmal getan, bei einem Haar! Aber die Gouvernante, die dumme Gans, hat mich am Kleid erwischt und festgehalten... Erzählen Sie weiter, ich hab sie schon lieb, die Resel.«

»Schauen, so ist es jedem Menschen gegangen, nämlich, und nicht anders dem lieben Vieh. Wenn sie zu uns gekommen ist, glauben, daß mein Hund mir zugegangen wär? Keine Idee. Wie verhext um sie herumgesprungen und ihr nicht von den Fersen gewichen. Und mein ältester Bub, der Robert, macht ihm's nach. Oder will wenigstens... Sie war damaln sechzehn, er achtzehn. Ich hab ihn g'haut – es hat nichts genutzt. Fortschicken mußt ich ihn zu einem Bekannten in Sachsen, wo er mehr zu tun und weniger zu essen bekommen hat als zu Haus. Plag und Hunger, Hochgräfliche Gnaden, sind die besten Mittel gegen die Lieb nämlich.«

»War der Resel nicht leid um ihn?«

»Nein. Sie ist mit ihrem Toni gegangen und hat sich sonst um niemanden geschert. Das heißt, das will ich nicht gesagt haben; an ihre Eltern nämlich ist sie gehängt, denen sie ja das Allerhöchste war, und auch an dem alten geistlichen Herrn, dem Vitalis. – Schauen, an dem konnt man's erleben, wie das ist, wenn ein einschichtiger Mensch sein Herz an ein fremdes Kind hängt. Der treibt's mit ihm mehr als die eigenen Eltern, glauben mir sicher. – ›Mein Taufkind, mein Beichtkind‹, ich hör noch den Ausdruck und: ›Die hat ein Köpferl, die fragt gscheiter, als ich antworten kann. Ja, und was für ein Herz! Nur daß sie's nicht immer zeigen mag. Wie oft kommt es aber von selbst zum Vorschein, zum Beispiel – wißt Ihr noch, Förster? – bei dem großen Feuer.‹ – Jehses, Jehses! wenn allemal ein halbes Dorf abbrennen müßt, damit eins sein gutes Herz zeigen kann, hab ich gedacht – gesagt, nein. Den guten, guten Herrn zu kränken, hätt ich mir zur Sünd angerechnet. Die Resel war weniger heiklig in dem Punkt, und der Herr Pater nämlich auch schwer dahin zu bringen, daß er ihr eine Ermahnung erteilt. Ihm hat ihre Reu Angst gemacht, die gleich da war, aber nicht viel anders ausgeschaut hat wie die pure Verzweiflung. Da ist sie auf die Knie gefallen vor denen Eltern und hat ihnen Händ und Füß geküßt und mit Jammern und Weinen um Verzeihung gebeten.«


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