Marie von Ebner-Eschenbach
Oversberg
Marie von Ebner-Eschenbach

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Marie von Ebner-Eschenbach

Oversberg

Aus dem Tagebuch des Volontärs Ferdinand Binder

Einundsiebzig Jahre alt ist unser Herr Generalinspektor, aber wetterfest und unermüdlich, hart wie Stahl und scharf wie der Nordwind im Dezember – und gescheit – und einen Blick!... »Wissen Sie, wie Sie sind, Herr Verwalter, oder Herr Förster, oder Herr Kontrollor?« oder was der ist, mit dem er eben spricht. »So sind Sie!« und dann sagt er's einem aufs Haar.

Bei mir, als ich ihm vorgestellt wurde, bald nach meinem Eintritt in die Ökonomieverwaltung, hieß es: »Herr Binder, Kaufmannssohn aus Wien. Der Jüngste der Familie, Nesthäkchen, wohlhabend und wohl verhätschelt – wie?«

Das war am Abend des ersten Tages, den er damals in Neuhaus zubrachte auf seiner Inspektionsreise. Eine Woche später, beim Abschied, fragte er nicht mehr: »Wie?« Da tranchierte er schon meinen inneren Menschen mit wahrem Hochgenuß und legte mich gleichsam mir selber vor. Ich wurde sehr rot und sprach: »Ich habe nicht gewußt, Herr Generalinspektor, daß ich von Glas bin.« Er schmunzelte, klopfte mir mit seinen langen knochigen Fingern auf die Schulter, daß ich's bis in den Ellbogen spürte, und nannte mich »Finaud«, eine Auszeichnung, zu der mir sämtliche Herren gratulierten.

Seit meiner ersten Begegnung mit ihm haben wir noch zweimal die Ehre gehabt, ihn bei uns zu sehen. Im Herbste trifft er immer aus Böhmen ein, um die fürstlich Dehsdorfischen Domänen an der mährisch-schlesischen Grenze zu besichtigen, und uns allen scheint, daß er mit den Leistungen der Forst- und Ökonomieverwaltung noch nie so einverstanden war wie dieses Mal. Beim Abschiedsdiner im großen Saale des Amtshauses kamen nur feine Sorten aus dem fürstlichen Schloßkeller auf den Tisch, und der Förster sagte mir: »Nach der Qualität des Weines, den er uns vorsetzen läßt, ist die seiner Zufriedenheit mit den Erfolgen seiner Inspektion zu bemessen. Danken Sie Gott, daß Sie nicht Anno 89 hiergewesen sind, als die Borkenkäfer in unseren schönsten Nadelholzbeständen gehaust. In jenem unvergeßlichen Jahre brachte der Inspektor den Toast auf den Fürsten nach dem Rindfleisch statt nach dem Braten aus, und zwar mit Eigenbau – Sie können sich denken! Jetzt noch, meiner Treu, jetzt noch, wenn mir etwas Unangenehmes passiert, kommt mir der Geschmack in den Mund.«

Nun, heute konnte der Förster sich gütlich tun, schon vor dem großen Augenblick, in dem der Herr Generalinspektor aufstand, in seiner großen, ungewöhnlichen Höhe und Schmalheit, und seinen halb gefüllten Champagnerkelch auf das Wohl des Fürsten leerte, ungern genug, denn er ist seinem Geschmack und seiner Überzeugung nach Wassertrinker.

Wir stimmten in sein Hoch ein, und nun erhob sich der Herr Dechant, der zu Häupten der Tafel saß, schneeweiß und stattlich.

Ein Pfeiler der Kirche wird er oft genannt, doch scheint mir diese Bezeichnung unrichtig, denn er hat nichts Steinernes und nichts Ausschließendes wie der Pfeiler, dem es nur um das eine zu tun ist, dem er seine Stütze verleiht. Viel eher kommt der Herr Dechant mir vor wie ein Baum, der seinen Schatten und seine guten Früchte allen reichlich spendet, die nach Labung begehren; ja seine Zweige sogar über die Ausgestoßenen und Verfemten breitet, deren es auch gibt in unserer Gemeinde.

Der Dechant, wie gesagt, erhob sich und brachte einen Toast auf die Anwesenden aus, die dabei Abwesende wurden (im Geiste), weil's gar so lange dauerte. Wenn der Dechant spricht, seh ich immer einen schwer beladenen Wagen vor mir, der den Berg hinaufrumpelt. Der Fuhrmann schläft, die Pferde duseln, das Holzwerk knarrt und stöhnt – man gäb was drum, wenn man rufen dürfte: Hüh! – Er aber hört sich natürlich gern und schaut nach jedem Satz im Kreise herum mit sehr naiver und sehr harmloser Selbstzufriedenheit.

Als er endlich geschlossen hatte und wir in Jubel darüber ausbrachen, nahm er wieder Platz und fragte den Herrn Inspektor: »Haben Sie meinen lieben Fürsten kürzlich gesehen, ist er recht wohl? – Und die liebe Fürstin, und die lieben, lieben Kindlein auch? Kommt er bald, wie er mir mittels lieber Korrespondenzkarte vom 3. April versprochen hat?«

Der Inspektor beantwortete alles mit ja, bestellte die schönsten Grüße und setzte hinzu: »Er läßt Ihnen auch sagen, daß er einen alten Freund betrauert, den Herrn Oversberg.«

»Oversberg?«

»Erinnern Sie sich seiner nicht mehr? Vor zehn Jahren war er hier mit dem Fürsten. Die Freundlichkeit selbst; sich immer bedankt für jeden Gruß und für jeden guten Morgen und guten Abend, den man ihm gewünscht hat: Danke schön, danke verbindlichst, und den Hut gezogen vor jedem Tagelöhner.«

»Ich weiß schon, ich weiß schon, ich hab ihn schon!« rief der Oberförster plötzlich, und sein Gelächter durchschmetterte den Saal wie Zimbelschlag und Paukenschall: »Er war da mehrmals mit auf der Jagd. Sein Gewehr, das hat er getragen wie eine Gitarre. Ich habe Ihnen noch gesagt, Herr Verwalter: Ich bin neugierig, was er uns da aufspielen wird, und Sie haben noch gesagt: Ich auch.«

»Schau, schau«, versetzte der Verwalter, ein guter, alter Herr, der seine Reden immer mit »und« beschließt. »Ja, man sagt so manches – und, und.« Wir warteten ein Weilchen, es war aber schon aus. Ohne das geringste Bedürfnis, noch etwas hinzuzusetzen, wies er schweigend den Kragen seiner lichtgelben Galaweste, der mit tückischer Hartnäckigkeit zu den Ohren seines Eigentümers emporstrebte, an den einem Westenkragen gebührenden Platz zurück.

»Ein Jäger war er nicht, nein, aber ein Schütz«, begann mein Nachbar, der kleine, lebhafte Förster, der einen semmelfarbigen, so üppigen Haar- und Bartwuchs hat, daß sich jeder Pinscher vor ihm verstecken kann. – »Dreimal hab ich ihn anlegen gesehen, zweimal auf Marder, einmal auf ein Wiesel, und mir gedacht: Sapperment, was aufsteht, liegt.«

»Auf das Schädliche mag er geschossen haben«, sagte der Inspektor, »mit Hasenblut hat er seine Hände nie befleckt, und zwar – aus Nächstenliebe.«

Wieder ließ der Oberförster sein Gelächter ertönen, der Dechant aber schüttelte bedächtig den Kopf: »Ich muß um Entschuldigung bitten, meine Herren; Herr Albrecht Oversberg war durchaus kein Hase. Ich entsinne mich seiner jetzt deutlich und deutlicher. Die Umgebung, in welcher er vor mein inneres Auge tritt, bilden Rauch und Flammen. Aber nicht als der Höllenfürst erscheint er mir, sondern als ein guter, stiller Engel. Und stehen sehe ich ihn auf der Feuerspritze neben dem Kommandanten der Feuerwehr, unserem zur Zeit in Gott ruhenden Herr Bäckermeister Lepitcek. – An jenem Tage schrie dieser Gute wohl aus Leibeskräften, hatte aber seine Geistesgegenwart durchaus eingebüßt. Ihm wurde später die Rettung des halben Dorfes bei dem furchtbaren Brande als sein Verdienst zugeschrieben. Indessen war es einzig und allein dasjenige des Herrn Oversberg.«

»Herr Dechant«, fiel der Inspektor ihm ins Wort, »weil ich Ihnen erzähle, daß der Fürst an dem Oversberg einen Narren gefressen hat, avanciert der bei Ihnen gleich zu etwas Rechtem.«

Der Greis sah ihn vorwurfsvoll an und sagte, halb im Ernst und halb im Scherze: »Was hat er Ihnen getan? Gestehen Sie's.«

»Mir nichts und niemandem. Unterhalten höchstens hat er mich, war für mich ein Rätsel, das lösen zu wollen mir nie eingefallen ist.«

»Ein Rätsel Ihnen, einem solchen Menschenkenner? – Das machen Sie uns nicht weis.«

»Bei dem Oversberg, Hochwürden, hat meine Menschenkenntnis mich sitzen lassen. In den konnte ich mich nicht hineindenken. – Und Sie, meine Herren, könnten Sie's? Können Sie sich vorstellen, daß ein Mann das Faktotum abgibt auf einem Gute, das früher (freilich nicht lange) sein war, und die rechte Hand des neuen Herrn wird? Und wer ist Ihnen der? Der angetraute Gatte der ehemaligen Braut desselben ›Mannes‹ – einer vielgeliebten Braut, notabene.«

Nein, wahrlich, keiner von uns konnte sich da hineindenken. Es hätte sich sogar jeder verachtet, der imstande gewesen wäre, seine werte Persönlichkeit in eine solche Lage zu versetzen. Darauf schworen wir.

Der Dechant jedoch wollte erst hören, wie das Verhältnis, von dem die Rede war, sich gebildet hatte, bevor er sein Urteil darüber aussprach.

»Wie sich's gebildet hat? – Wenn ich auf den Uranfang zurück muß, komme ich auf den Onkel, von dem Oversberg das Gut Siebenschloß geerbt hat. Das ist nicht wenig langweilig, melde ich Ihnen im voraus.«

Er musterte uns durch die Bank einen nach dem andern und erquickte sich ein Weilchen an dem niederschlagenden Eindruck, den seine Verheißung gemacht, dann fuhr er fort: »Ich habe ihn gut gekannt. Siebenschloß grenzt an die fürstlichen Güter in Böhmen, die ich damals schon unter der Leitung meines Vaters verwaltete. Er war – der Onkel Oversberg nämlich – ein einsamer, alter Junggeselle, ein Gelehrter. In welchem Fach glauben Sie? – Im Käferfach. Sammlungen einen ganzen Saal voll hat er gehabt. Dazu die Kataloge verfaßt und weitläufige Korrespondenz geführt mit in- und ausländischen Berufsgenossen und wissenschaftlichen Vereinen. Viele Jahre allein, bis er brieflich auf einen längst vergessenen Jugendfreund stieß, einen pensionierten Oberstleutnant. Der bewegte sich in den Schmetterlingen. Seliges Wiederfinden! Der Gedanke, einander neuerlich zu verlieren, ausgeschlossen. – Eine Viertelstunde weit vom Herrenhaus steht eine verlassene Mühle, an einem einst wasserreichen, jetzt nur noch schwach rieselnden Bach. Blumige Wiesen, Erlen und Weiden, hinter dem Hause ein Wäldchen, an dessen Saum eine Eiche. Sehen muß sie der Deutsche, um zuzugeben, daß sowas vorkommen kann in mährischen Landen. Die Mühle wird adaptiert, restauriert, kriegt ein Türmchen aufgesetzt, dürfte sich für ein Schlößchen ausgeben, wenn sie wollte, und wird auch so getauft.«

»Genannt«, warf der Dechant dazwischen.

»- Der Oberstleutnant zieht ein mit seinen toten Schmetterlingen, mit einem großen Porträt seiner seligen Frau Gemahlin und mit seiner lebensprühenden Tochter Lene. Ein Bild von einem Fräulein, und elegant, sage ich Ihnen – immer in Spitzen; verdreht Männlein und Weiblein die Köpfe, den ersten durch ihre Schönheit, den zweiten durch ihre Toiletten. Reger Verkehr entspannt sich zwischen dem Käferonkel und dem Schmetterlings-Oberstleutnant. In Bälde wird Albrecht Oversberg nach Siebenschloß zitiert. Eine Ehre, die ihm selten widerfährt. Könige und alte Junggesellen mögen ihre Erben nicht. Aber die Freunde haben ihren Plan. Albrecht soll sich in Lene verlieben und vice verso

» Versa«, berichtigte der Dechant, worauf der Inspektor sein spöttisches Räuspern vernehmen ließ, das nichts anderes heißt als: – Wenn Sie glauben, daß ich Sie um Ihre Kenntnisse beneide -, und weitererzählte: »Das war in den Osterferien. Onkel Oversberg, müssen Sie wissen, hatte den Neffen in Anwartschaft auf das berühmte Erbe Ökonomie studieren lassen, ihm aber keine Gelegenheit gegeben, die erworbene Weisheit praktisch anzuwenden. So war Albrecht mit unzureichenden Mitteln einen Pacht eingegangen, bei dem er sein bißchen Eigenes einbüßte. Später wurde er Professor an einer Ökonomieschule.«


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