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Max Dreyer

Hunger

Skizze

Fünfzig Mark! Fünfzig Mark auf einem Brett! Und das für Kleinigkeiten – für eine kurze Skizze und ein paar Gedichte! Wie lange hatte er groß daran gearbeitet? Wenige Stunden nur. Er hatte es so aus dem Ärmel geschüttelt.

Fünfzig Mark! Und von dem litterarisch bedeutendsten Blatt der Reichshauptstadt waren die Sachen angenommen!

Es waren beileibe nicht seine besten. Er hatte schon viel Tieferes und Machtvolleres geschrieben. Und unvergleichlich viel Größeres würde er noch leisten! Er fühlte, wie es in ihm gährte und wogte und glühte!

Jetzt konnte es ihm nicht fehlen! Wie war es nur möglich, daß die Bedenken ihn nicht losgelassen, daß er so klein, so schwächlich und mutlos gewesen! Wie war es denkbar, daß er nicht längst den Staub der Hörsäle von seinen Füßen geschüttelt hatte!

War das Philosophie, was die Kathederdrücker da dozierten? Diese Schlafmützen, die nicht ahnten, daß der Inbegriff aller Philosophie die Freiheit ist! Diese Perrückenköpfe, deren Gedanken sich begnügten und behagten, in dunkeln, dumpfen und verschnörkelten Windungen herumzukriechen?

Und was sollte aus ihm werden? Ein Schulmeister. So hatte es der Herr Vormund angeordnet. Aber jetzt war er mündig!

Unter das Joch des Beamtentums sollte er sich ducken! Nimmermehr! Ein Bauernsohn beugt den Nacken nicht! Und ein Dichter erst recht nicht! Nein!

Er gehörte dem Leben, dem Kampfe.

Und dahin mußte er, wo das Leben am machtvollsten brandet, wo der Kampf am wildesten tobt – nach Berlin!

Daß er nicht längst da war, wo er hingehörte! Daß er nicht längst in der ersten Schlachtreihe stand, die, Mitleid und Mannesstolz im Panier, gegen die übermächtige Brutalität des Geldes, des Strebertums und des Byzantinismus mit Todesverachtung ankämpft! Er kam sich deshalb wie ein Drückeberger, wie ein Feigling vor.

Jetzt gab es kein Säumen mehr. Morgen noch wollte er fahren. Nach Berlin – nach Berlin!

Was er zu ordnen hatte, war bald gethan. Nichts Teures ließ er zurück. Keinen Freund – er hatte überall nur losen Anschluß gefunden; den einen war er zu stolz gewesen, den andern nicht vornehm genug. Und auch kein liebes Mädchen. Sein Herz hatte sich keiner zugewandt, und zum Liebeln war er zu unbeholfen und zu ehrlich. Keine Thräne würde um ihn fließen – um so besser.

Aber lustig stimmte es ihn, da er daran dachte, wie wohl die Herren Professoren die Augen aufreißen würden, wenn sie erführen, daß er so plötzlich, mitten im Semester abgedampft sei. Und sein gewesener Vormund, der alte Kaffer, was der dann wohl schnaubte! Bei dieser Vorstellung mußte er laut auflachen. Und die ganze Gesellschaft in der Musenstadt, dem Klatschnest, wo alles gleich herum war – wie würden sie die Köpfe schütteln, wie würden dabei die vertrockneten Gehirnrudimente in den hohlen Schädeln rasseln!

Jahre hatte er vertrauert und verloren. Jammerschade war das. Aber jetzt wollte er es wieder einholen. Er wollte wieder gut machen, was er gefehlt. –

Berlin war ihm unbekannt. Staunend thaten seine hellen Augen sich auf, als ihn die Wogen so gewaltigen Lebens umbrausten. Und dann stellte er sich auf der Straße beiseite, trotzig in seiner Einsamkeit, sich auflehnend in seinem gesteigerten Ichgefühl gegen das Massenhafte, Mächtige, Ungeheure, das sich ihm wie etwas Geschlossenes, ihm Entgegengesetztes, ihm bewußt Feindseliges bot. Hier – das bin ich – und das Andere, all das Andere ist mir entgegen, ist mir feind! Es hat sich vereinigt, sich zusammengethan zu unermeßlicher drohender Wucht und Größe! Aber es schreckt mich nicht – ich fürchte die Masse nicht – ich bin mehr als die Masse. Ich bin Ich!

Er freute sich sogar, daß es so viel gab außer ihm. Um so mehr wurde er selbst, um so größer, um so reicher und stärker. Eine Unzahl neuer Eindrücke, die seine Phantasie befruchten, seinen Geist nähren, seine Empfindung vertiefen mußten!

Hier war sein Platz. Hier mußte er sich auswachsen zu ganzer stolzragender Höhe. –

Er hatte ein kleines nach dem Hof gelegenes Zimmer im fünften Stock gemietet. Und doch hatte er noch nie so teuer gewohnt. Schmählich hohe Preise! Aber was lag daran? Er hatte ja Geld genug. Wenn er all die gestundeten Kollegiengelder bezahlt hatte – und das wollte er sofort! Daß er sich überhaupt auf diese erbärmliche Pumperei eingelassen! Aber der Vormund, der Banause, hatte es ja so haben wollen! – wenn das abgemacht war, dann blieben ihm immer noch drei- bis vierhundert Mark im Vermögen.

Und welch einen unversiegbaren Born dichterischer Schaffenskraft trug er in sich! Was würde er jetzt leisten können! Was könnte ihm wohl geschehen! Er fühlte sich so sicher in dieser neuen Welt.

Über ein Meer von Dächern blickte er aus seinem Fenster. Aus den Schornsteinen stieg dunstiger Qualm zitternd auf in die trübe kalte Januarluft. Es war überall nur ein dünnes, blasses Geflacker. Nirgends gewahrte er wirklichen gemütlich dicken, behaglich schwelenden Rauch.

Nervös wie die Großstadt, sagte er sich. Aber das störte ihn nicht. Er hatte keine Sehnsucht nach langsamrobuster Hausbackenheit. Er hatte lange genug hinter dem Ofen gesessen, lange genug in enger, stiller Gemächlichkeit und Beschaulichkeit gelebt. Jetzt war es anders. Im Laufschritt ging es vorwärts. Die Bahn war jetzt frei. Die Schranken seines bisherigen Daseins waren durchbrochen. Vor ihm lag die große freie Welt.

Wieder schweiften seine Blicke über das unabsehbare Häusermeer. Er fühlte sich nicht mehr im Gegensatz zu der Masse – ihm war es jetzt, als trüge sie ihn empor.

Es zog ihn zur Arbeit. Das dumpfe Brausen, die Atemzüge des Riesenleibes, die zu ihm ins Zimmer drangen, störten ihn zuerst. Dann aber tönten sie ihm berauschend wie Schlachtmusik ins Ohr, und in machtvoll stürmenden Strophen sang er seinen Gruß an seine neue Welt. –

Um mit den litterarischen Kreisen Fühlung zu bekommen, suchte er am andern Tage den Chef-Redakteur des Blattes auf, das seine Erstlinge veröffentlicht hatte. Er fand einen hagern reservierten ältlichen Herrn, dessen Gesicht sich bei der Begrüßung in bureaukratische Falten legte. Dann zeigte der Gestrenge viel gönnerhaftes Wohlwollen, offenbarte auch Verständnis für das Talent des jungen Dichters, und zuweilen flog sogar aus seinen Augen ein Strahl halb inbrünstig halb neidisch dessen ungestümer, stolzer Jugend entgegen.

»Sagen Sie 'mal, Herr Burkardt – Sie müssen mir schon erlauben, daß ich mich für Sie interessiere – Sie wollen sich also hier in Berlin niederlassen?«

»Ich wohne bereits hier.«

»So, so. Schon lange?«

»Seit ein paar Tagen. Ich habe eben mein Studium an den Nagel gehängt!«

»Hm – wirklich? Und nun wollen Sie hier in Berlin als Schriftsteller leben?«

»Ja.«

»Ohne irgend einen Nebenberuf?«

»Ja. Zu einem Nebenberuf tauge ich nicht.«

»Das ist ja – ein sehr nobler Standpunkt – aber wenn Sie kein großes Vermögen haben, werden Sie nicht weit damit kommen. Sie haben ja ein hervorragendes Talent, und wenn es sich erst geklärt hat, werden Sie sicherlich auch den Weg ins Publikum finden. Indessen, um vom Dichten, vom Schriftstellern allein leben zu können, dazu braucht man erst einen großen Namen. Haben Sie nicht Luft, Redakteur zu werden?«

»Nein.«

»Nun dann brauchen wir ja darüber keine weiteren Erörterungen zu pflegen. Im Übrigen wäre es mir auch sehr zweifelhaft, ob Sie in absehbarer Zeit einen Posten finden würden. Der Andrang ist enorm. Jedenfalls freut es mich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.«

Hans Burkardt trug ein neues Manuskript in der Tasche. Er hatte es dem Herrn Chef-Redakteur einhändigen wollen. Aber der Eindruck, den dieser auf ihn machte, wirkte so enttäuschend, daß er seine Dichtung ruhig stecken ließ.

Das war nun Einer, der Verständnis für ihn hatte! So ein kaltherziger, matter, abgestandener Geist!

Wie hatte er sich ihn ausgemalt: so groß und feurig und hochstrebend! Ein Kampfgenosse, ein Gesinnungsbruder, der ihn an sein Herz ziehen würde! Und was hatte er gefunden? Einen Kerl, der auch nicht anders war wie seine verflossenen Professoren. Und das war Einer, der ihm Verständnis entgegenbrachte! Wie mochten da erst die andern aussehen!

Vielleicht, daß er ihm Unrecht that. Sicherlich hat er doch viel zu thun – viele Erscheinungen treten ihm entgegen – so manches dringt auf ihn ein. Das bringt sein Posten auf der Warte der Zeit so mit sich. Da stumpft die Empfänglichkeit sich ab. Und wohlwollend war er doch immerhin gewesen – und anerkennend –

Er beschloß, ihm das Manuskript durch die Post zu schicken.

Nach vier Tagen kam es zurück mit dem Bescheid, daß der Inhalt zu überschwänglich und zu weitstürmend sei.

Wirklich!

Er hätte bei dem doch eigentlich diese Entscheidung voraussehen müssen! –

Ganz andere Leute lernte Hans Burkardt demnächst kennen. Das waren Kerle! Die hatten den Teufel im Leibe. Da war Trotz und Kraft und Freiheitsgefühl. Da war revolutionäres Empfinden, das keine Menschenfurcht kannte. Und da war Talent – welterlösende künstlerische Kraft!

Es lebe die Souveränität des Talents!

Anders sind die Künstler als die andern Menschen. Narren, die sie mit der Elle der Philistermoral messen wollen. Narren, die den so Gemessenen selber ein unerschöpflicher Quell der Heiterkeit sind. Für den Künstler giebt es nur eine Moral – die Freiheit.

Voll Begeisterung rüstete sich Hans, in dieser Reihe den Kampf gegen die Gesellschaft fortzusetzen. Und mit naiver Freude sah er zuerst manchen kleinen Plänkeleien zu, die dieser oder jener seiner neuen Freunde mit dem Hauptpionier aller gesellschaftlichen Ordnung, dem Gerichtsvollzieher, auszufechten hatte.

Heute war er bei Ernst, dem Epiker. Sie schwelgten in großen Ideen. Dazu tranken sie dänischen Korn. Ein Dichter braucht das, meinte Ernst.

Schrill wurde die Glocke gezogen. Die Wirtin huschte an der Thür vorüber nach dem Lugaus. Dann kam sie zurück, schlug zweimal mit dem Hacken gegen die Thür, und dann erst ging sie langsam öffnen.

In Ernst, der lauschend dagestanden hatte, war nach jenen Klopftönen behendes Leben gekommen. Blitzschnell holte er sein Portemonnaie heraus und steckte es Hans in die Tasche. Dann eilte er an den Schreibtisch, nahm das Falzbein, eine feine künstlerische Arbeit, und ließ es gleichfalls bei Hans verschwinden.

»So! Jetzt kann er kommen,« sagte er zappelig-vergnügt.

Gleich darauf that die Thür sich auf, und stelzenden Schrittes trat der Gerichtsvollzieher ein.

»Tag, Herr Gerichtsvollzieher! Na, wie geht's? Hab' Sie recht lange nicht gesehen!«

»Herr Schuhmachermeister Beermann!« sagte der Beamte schlechthin.

»Muß warten, der gute Schuhmachermeister Beermann. Hab' auch auf seine Stiefel warten müssen. Und Stiefel bezahlen ist viel schwerer als Stiefel machen.«

»Wollen Sie mir gefälligst einmal Ihr Portemonnaie zeigen?«

»Hätt' ich auch eins? Ich hätte man keins!« Er zog seine Taschen heraus – ein altes Messer fiel auf die Erde, ein Paar Schlüssel und eine Rolle Kautabak, die aus der abgegriffenen Papierhülle hervorlugte.

»Danke,« Ohne Vertrauen sah sich der Mann der Ordnung im Zimmer um.

»Aber darum keine Feindschaft nicht!« begann Ernst von neuem. »Es thut mir so leid, daß Sie immer vergeblich kommen. Darf ich Ihnen 'n Schnaps einschenken? Nee? Aber 'ne Cigarre nehmen Sie doch? Darf ich Ihnen 'ne Cigarre von meinem Freund Hans anbieten? Ich rauch auch eine mit! Na Hans! Heraus mit den Würmern! Das ist nämlich 'n Kapitaliste! Raucht 'ne feine Nummer!«

Hans war still geworden. Ein nachdenklicher Zug trat in sein Gesicht, und offener Unmut sprach aus seinen Zügen, als der Beamte gegangen war.

»Du siehst ja so bös aus?« fragte Ernst. »Die Existenz hat wohl deinen Zorn erregt?«

»Das nicht – aber – ich geb mich zu solcher Hehlerei nicht wieder her!«

»Paragraph – dreihundert – und vierundzwanzig, Positio sieben. Gefängnis nicht unter zehn Monaten.«

»Dummes Zeug! Davon ist nicht die Rede! Aber die Feigheit bei diesem verlogenen Versteckspiel – damit will ich jedenfalls nichts wieder zu thun haben!«

»Ja – das ist ja alles recht schön – aber 'n Gerichtsvollzieher! Bedenke doch: 'n Gerichtsvollzieher! Und der Schuster Beermann – das ist 'n reicher Kerl! Arme Handwerker würd' ich natürlich niemals 'reinlegen! Aber der Beermann hat 'n Haus in der Weinmeisterstraße. Na, prost! Woll'n uns wieder vertragen!« –

Hans behielt seine eigene Anschauung für diese Verhältnisse. Diese Freiheit der Verlogenheit, wie er es nannte, konnte ihm denn doch nicht imponieren. Und seine Begeisterung für diese Feinde der Gesellschaft kühlte sich merklich ab. Umsomehr, als sie ihn selbst, den »Kapitalisten«, in die Reihe ihrer »Ehrengläubiger« einstellten. Von Wiedergeben war nicht die Rede.

Er zog sich wieder mehr in sich selbst zurück.

Arbeiten! Arbeiten! Er brauchte es für sich, für sein Inneres, und auch für seine äußere Lebensführung. Sein Vermögen ging auf die Neige.

Ein Drama beschäftigte ihn – ein großer Entwurf. »Mut und Mitleid« sollte der Titel sein. Keine Allegorie schlechthin – frisches, strotzendes Leben, wie es zur Allegorie sich verklärt. Keine ausgetretenen Bahnen. Und ein Todesurteil für die »Furcht«, an deren Stelle der Mut treten muß, Mut und Mitleid! Eine neue Lebens- und Kunstanschauung! Mit der alten »Katharsis« wollte er aufräumen! Seinen ästhetischen Reflektionen entsprangen ein paar Abhandlungen, die er zu verwerten suchte. Zuerst dachte er an den ihm bekannten Chef-Redakteur. Wenn der auch damals seine Arbeit abgelehnt hatte! Daß er aus rein sachlichem Grunde so verfahren war, das zu bezweifeln hatte er kein Recht.

Aber es widerstrebte ihm doch, sich wieder an ihn zu wenden. Die Enttäuschung, die dessen Persönlichkeit in ihm wachgerufen hatte, wirkte zu sehr in ihm nach. Und so sandte er die Aufsätze an ein anderes Blatt, dessen Sonntagsbeilage von einem modernen Geist redigiert wurde.

Die Arbeiten wurden angenommen.

Nach einigen Tagen bat ihn der Redakteur jener Sonntagsbeilage brieflich, er möchte sich zu einer Besprechung freundlichst auf dem Redaktionsbureau einfinden.

Er ging hin. In dem, der an ihn geschrieben hatte, lernte er einen Mann von kräftig-massiver Art kennen, die ihm zusagte.

»Wir brauchen einen zweiten Theaterkritiker« – erklärte der ihm – »der andere bin ich – in Ihren Aufsätzen hab' ich viel Eigenes gefunden – der Chefredakteur hat mich gebeten, ihm eine Kraft vorzuschlagen – ich möchte Sie empfehlen, wenn ich Ihnen damit einen Dienst erweisen kann.«

»Sehr freundlich – aber ich weiß doch nicht, ob meine Unabhängigkeit nicht dabei leiden würde –«

»Das denk ich nicht. Sie können bei uns ganz offen ihre Meinung sagen. Und dem eigentlichen redaktionellen Dienstzwang bleiben Sie ja fern.«

»Ich möcht es mir doch überlegen. Bis morgen. Dann will ich Ihnen Bescheid bringen.«

Er ging mit sich zu Rate. Der Mann gefiel ihm; er hatte etwas Festes, Klares, Bestimmtes. Davon, daß er einem Chef-Redakteur unterthan war, konnte man bei ihm nichts merken. Ob er nicht unabhängiger war, als jene genialen »Freiheitslumpen«, wie der schöne Willi sich und seine »Brüder« mit Stolz nannte?

Bei Hans regte sich der Ordnungssinn, die ihm anerzogene ökonomische Sorgsamkeit. Er hatte nur noch etwas über fünfundsiebzig Mark. Dazu würde freilich noch das Honorar für die angenommenen Artikel kommen. Aber wie lange sollte das reichen? Daß man vom Dichten allein nicht leben könne, das dämmerte jetzt auch in ihm auf. Und Artikel schreiben – vielleicht in Hinsicht und Rücksicht auf ihre Brauchbarkeit – dann eben so gut Theaterkritiken – oder noch lieber. Ja, noch eher!

Am andern Tage erklärte er, daß er die Stelle annehmen wollte. Er wurde sogleich dem Chef-Redakteur vorgestellt. Das war ein grobknochiger, langweiliger Geselle, der ihm höchst überflüssig erschien, bis er das Geschäftliche festsetzte. Die Bedingungen waren sehr günstig, das ließ sich nicht leugnen.

Von den anderen Redakteuren der Zeitung lernte er am selben Tage noch einen kennen – ein fettes, rosiges, fröhliches Kerlchen, an dessen unbekümmerter Lebenslust er sich freute und mit dem er sich gern unterhielt, so oft er ihn traf.

Fünf Kritiken etwa hatte er geschrieben, da wurde im Deutschen Theater ein Schauspiel aufgeführt, das lebhafte Meinungskämpfe entfesselte. Ihn hatte, trotz vielfacher Mängel in der Komposition und der ungleichmäßigen Charakteristik, der dichterische Geist, der das Ganze durchbrauste, und die Kühnheit des Problems fortgerissen, und noch an demselben Abend schrieb er nicht bloß eine Vornotiz, wie es sonst der Brauch, sondern mit fliegender Feder eine ausführliche eingehende Würdigung des Stückes. Er wußte, daß es gut war. Und andere bestätigten es ihm.

Zwei Tage später fand er in dem Blatt eine Anmerkung, die sich auf eine Mitteilung aus dem Direktionsbureau des Deutschen Theaters bezog, und in dieser Anmerkung wurde sein Urteil über das Stück in Erwägung gezogen – einer Kritik unterworfen – und abgeschwächt – also umgestoßen –! – –

Er traute seinen Augen nicht – er las es zum zweiten Mal– allerdings! – Abgeschwächt und damit umgestoßen! – Und dazu noch die plumpe Vorsicht, mit der das gemacht war –!– –

Sofort eilte er zum Chef-Redakteur.

»Darf ich Sie bitten, mir Aufschluß zu geben, wie diese Anmerkung in die Zeitung gelangt ist?«

»Ganz einfach – die hab ich geschrieben und in Satz gegeben!«

»So – Sie selbst also –! –«

»Ja – und dieses Recht werde ich mir doch wohl vorbehalten müssen. Wenn ich es für nötig halte, meiner eigenen Überzeugung Ausdruck zu geben –«

»So? Nun, dann sind wir fertig miteinander! Glauben Sie, ich gestehe Ihnen das Recht zu, meine Meinung einfach niederzutreten? Bloß, weil Sie die größten Stiefel anhaben? Ich denk ja gar nicht d'ran!«

Damit warf er ihm den Kram vor die Füße.

Als er dann mit dem ersten Theaterkritiker zusammentraf, erklärte der ihm, daß der Herr Chef im Interesse seines Machtbewußtseins bei Neulingen gerne solche Handstreiche ausübte, man könnte ihm das aber durch ruhige Entschiedenheit gleich das erste Mal für immer abgewöhnen. Er, Hans Burkardt, sei wohl sofort zu heftig ins Zeug gegangen.

»Ist mir ganz egal,« entgegnete der. »Darin versteh ich keinen Spaß!«

Der andere ihm näher bekannte Redakteur, der rosig Vergnügte, hielt ihm eine Vorlesung. So käme man nicht durch die Welt. Zugeständnisse müsse man doch nun einmal machen, absolute Freiheit gäbe es doch nicht, und da das einmal so wäre, käme es doch weiß Gott auf ein bischen Mehr oder Weniger nicht an. Damit hatte er sich bei Hans an den Rechten gewandt. »Ich will Ihnen was sagen: Wer in begrifflichen Dingen verallgemeinert, ist ein Rindvieh – und wer das im Ethischen thut, der ist ein Lump. So wenigstens denke ich.«

»Danke!«

»Bitte!«

Damit war Hans Burkardt hier fertig. Er atmete tief auf. Dann doch lieber zu den Zigeunern, zu den Ausgestoßenen! Die ducken sich wenigstens nicht unter die Knute einer brutalen materiellen Macht.

Aber er brauchte keinen Anhang. Er fühlte sich stark durch sich selbst. Und in der Einsamkeit gedieh seine Kunst am besten.

Mit erneuter Kraft schuf er jetzt, wo er die Fesseln abgeworfen hatte, an seinen Dichtungen. Sie nahmen ihn so gefangen, daß sich ökonomische Sorgen erst dann bei ihm einstellten, als er seine Mittel erschöpft sah.

Er mußte sich einschränken! Anspruchslos wie er war, konnte ihm das nicht schwer fallen. Inzwischen würde er ja auch wieder verdienen. Er hatte mehrere Gedichte, ein Paar Skizzen und auch einen Aufsatz versandt. Abwarten!

Seine Wohnung wollte er aufgeben. Im Vorort oder doch weiter aus der Stadt hinaus konnte er viel billigeres Unterkommen finden. Und wenn er dann in der Volksküche aß – so viel mußte das Dichten doch einbringen!

Trefflich gelang ihm alles, was er anfaßte. Nie war seine Seele so voll Stimmung gewesen. Alles, was er aufnahm und in ihren Schein tauchte, wurde zum Gedicht. Die trübe Kneipenlaterne, die sich in den Regenlachen der Straßen spiegelte, sie leuchtete so gut seiner Empfindung wie die ewigen Sterne. Er verachtete das Kleinste nicht – es wurde ihm groß durch die Verinnerlichung seiner Kunst. Und erst wenn er das Niedrigste, das Gemeinste angeschaut hatte mit warmem, innigem, mitleidsvollem Auge fühlte er sich stark, in trotzig-kühnem Fluge zum Höchsten aufzusteigen. Und das konnte er, weil sein Geist frei war, weil nichts auf seiner stolzen Seele lastete.

Sein Stolz! Den mußte er sich bewahren, das war der Inbegriff seines Lebens, seiner Kunst.

Das bischen Darben – was lag daran! Er war jung und kräftig und gesund. Wenn er erst bekannt war und berühmt, dann brauchte er sich ja nicht mehr einzuschränken. Bis dahin wollte er kämpfen! Er freute sich sogar dieses Kampfes!

Seine Wohnung gab er also auf. Im äußersten Norden, an der Tegeler Chaussee mietete er sich ein kleines notdürftig eingerichtetes Zimmer für neun Mark monatlich. Seine Wirtsleute waren ein kinderloses Ehepaar. Er war Fabrikarbeiter, sie wusch außer dem Hause, So blieb er den ganzen Tag ungestört.

Sein Gegenüber waren die Rehberge, traurige Sandhügel, über die verkrüppelte Fichten matt, wie ersterbend hinkrochen.

Es war inzwischen Sommer geworden. Wenn die Sonne brannte, zitterte dort die heiße Luft bang und wie klagend über der dürren verschmachtenden Erde.

Kein freudiger Ausblick war das für ihn. Und zeitweilig wehte es wie Gluthauch der Vernichtung seine Schaffenskraft an. Aber sein stolzes Bewußtsein trug immer wieder seine Seele empor in freiere, frischere Höhen.

Sonntag war es. Die hochbepackten Pferdebahnwagen schleppten die Menschen ins Freie, nach Tegel. Unwiderstehlich zog es auch ihn hinaus. Er sehnte sich nach Waldluft und nach frohen Gesichtern.

Sorgfältig bürstete er seinen guten Rock. Der wollte schon etwas fadenscheinig werden, konnte sich aber immer noch sehen lassen. Und dann auf den Weg!

Als er sich in Tegel am Waldesrauschen gütlich gethan hatte, setzte er sich im Garten des Restaurants hin und bestellte sich ein Glas Bier. Das konnte er sich heute am Sonntag erlauben. Frohe Menschen rings um ihn herum. Aus dem Saal klingen die Töne eines zärtlichen Walzers. Er schlägt mit der Fußspitze den Takt. Und dann überkommt ihn die Jugendlust.

Er geht in den Saal hinein. Nicht weit von der Thür steht ein munteres, blutjunges Ding mit großen, wie erwachenden Augen. Er fordert sie auf und tanzt mit ihr herum, bis die Musik schweigt. Munter plaudert er mit der Kleinen. Da kommt der Tanzmeister und fordert einen Groschen von ihm. Darauf setzt die Musik wieder ein, und er kreist noch einmal mit seiner Tänzerin durch den Saal. Dann giebt's eine Polka.

Er verabschiedet sich von der Kleinen und setzt sich draußen wieder an seinen Tisch zu der Neige Bier. Wie gern hätte er weiter getanzt mit dem reizenden, frischen, jungfrohen Geschöpf! Und wie gern hätte er sie eingeladen, sich an seinen Tisch zu setzen! Aber er hat ja kein Geld – vierzig Pfennig besitzt er noch alles in Allem. Und davon gehen fünfzehn für das Bier ab.

Er bezahlt und tritt niedergeschlagenen Sinnes den Heimweg an.

Lustige, lachende Paare begegnen ihm. Jeder Bursche hat sein Mädchen. Für ihn giebt es so etwas nicht.

Ein trauriger Sonntag. Er fühlt sich so verlassen. Aber er überwindet's. Wenn nur erst sein Drama fertig ist! Dann ist mit einem Schlage alles gut! Solange aber heißt es ausharren! Nur nicht der Knechtschaft verfallen! Dann ist es ja vorbei mit seinem Können!

Am andern Tage hatte er noch so viel, daß er sich in der Volksküche satt essen konnte. Danach besaß er keinen roten Pfennig mehr.

Er hatte sich diese Lage doch leichter gedacht. Er hatte sich diesem Nichts gegenüber schwindelfrei vorgestellt. Jetzt sah er, daß er es nicht war. Jetzt fühlte er, daß die Sorge sich in seinem Hirn einnisten wollte. Das darf nicht sein! Er wehrt sich dagegen mit ganzer Kraft. Ein Dichter darf nicht sorgen um den kommenden Tag. Wer weiß, was morgen geschieht! Es sind ja noch verschiedene Arbeiten von ihm unterwegs. Vielleicht erhält er morgen den Bescheid, daß das Eine oder Andere angenommen ist. Dann kann er ja gleich das Geld erheben. Und für den äußersten Fall hat er ja noch die Bücher. Er hängt sehr an ihnen. Schwer wird es ihm, sich von ihnen zu trennen. Aber wenn es sein muß – –

Am andern Morgen ist er ohne Nachricht über seine Arbeiten. Er nimmt drei Bücher unter den Arm und geht in die Stadt hinein, zum Antiquar. Erbärmlich klein ist der Erlös. Das ärgert und jammert ihn. Aber was hilft's?

Immer mehr von seiner geringen Habe muß er veräußern. Über die Kümmernis aber kommt er allmählich leichter hinweg.

Ha! Je leichter das Gepäck ist, um so schneller geht es vorwärts! Nur sich selbst treu bleiben, nur nicht seinen Weg verlieren! Nur seine Gesinnung nicht im Stich lassen!

Sein Drama nähert sich seinem Ende. Das ist eine That! Er hätte sie nicht vollbringen können, wäre er in Abhängigkeit geraten, hätte er sich verkauft. Ein reines, freies Gewissen! Ohne das keine reine Kunst.

Wenn er mit dem Werk an die Öffentlichkeit tritt, ist es vorbei mit aller seiner Not. Nur ausharren! Nur den Mut nicht verlieren!

Heute fühlt er zum erstenmal wirklichen, zehrenden Hunger. Sein Geld hat gerade noch zu ein paar trockenen Schrippen und einem Schnaps gereicht. Aber die Gedanken strömen ihm nur so zu, und in seiner Phantasie leuchten die frischesten, farbenglühendsten Bilder auf. Das dankt er seiner stolzen Kraft.

Am nächsten Tage hat er nichts zu essen. Verkauft ist alles bis auf das Notdürftigste. Seine Hoffnung, mit den kleineren Arbeiten Geld zu verdienen, ist erschüttert: sie sind ihm als unverwendbar zurückgesandt. Sie an andere Redaktionen schicken? Ja, wenn das Porto nicht wäre! Sollte er damit hausieren gehen?

Es wühlt und brennt ihm in den Eingeweiden. Vor seinen Augen flimmert es. Seine Gedanken taumeln durcheinander. Er kann nicht arbeiten – Brot! Brot! – –

*

Er macht sich auf den Weg nach der Stadt, die Manuskripte in der Tasche. Kalt wie Todeshauch weht ihn die Herbstluft an. Langsam geht sein mattes, fröstelndes Blut ihm durch die Adern.

Alles, was ihm begegnet, ist in frischer, lebendiger Bewegung. Sie alle dienen ums tägliche Brot. Dem Dienst der Verdienst. Warum dient er nicht auch? Ist er besser als all' die andern? Ist sein Stolz nicht frevelhafte Überhebung – nicht Wahnsinn?

Nein – nein – nein! Sein Stolz ist seine Kunst – er darf nicht – er kann nicht seine Gesinnung verleugnen – und er ist nun mal feinfühliger als die andern Menschen – und darum auch besser – ja!

Wenn er nur seine kleinen Dichtungen unterbrächte! Wohin damit?

Er denkt an den Redakteur, der ihn gewissermaßen entdeckt hat. Wenn der sich ihm dann auch später verschlossen – Entwürdigendes hat doch in seiner Ablehnung nicht gelegen.

Und auf dem Wege dahin kommen ihm die Gedanken: müssen denn die »Bureauinsassen« gesinnungslose Sklaven sein? Ist denn die Redaktion ein Bagno? Wenn er selbst auch als Theaterkritiker damals in dem einen Fall schlimme Erfahrungen gemacht hat – –

Er weiß ja eigentlich gar nicht, wie es in einer Redaktion hergeht. Versuchen kann man's doch. Es war nicht recht von ihm, daß er sich damals, als er gefragt wurde, ob er nicht Redakteur werden wollte, so schroff dagegen auflehnte.

Bei dem Glück, das ihm bisher die Zeitungen zugelächelt haben, will er doch jetzt eine Frage thun.

Er steht im Vorzimmer der Redaktion und läßt sich dem Chef-Redakteur melden. Gleich wird er empfangen. Er findet heute nichts Bureaukratisches in dem Gesicht. Und nach den einleitenden Begrüßungen fragt er mit Stocken, ob nicht an dem Blatte eine Stelle für ihn frei wäre.

»Ja, Herr Burkardt, ein Hilfsredakteur für den lokalen Teil wird bei uns gebraucht, aber ich glaube, der Posten ist nichts für Ihren Unabhängigkeitssinn. Sie würden da sich doch in den Dienst des Annoncenteils begeben müssen, und es ist dafür viel diplomatische Nachgiebigkeit erforderlich« –

»Dann um keinen Preis!« – Die Scham steigt in ihm auf.

»Aber in absehbarer Zeit werden wir einen dritten politischen Redakteur brauchen. Wenn Sie –«

»Herr Doktor – Ihre Politik ist konservativ-reaktionär, und ich bin Republikaner vom Scheitel bis zur Sohle!«

Seine Stimme klingt rauh und trotzig.

Der Doktor sieht ihn an: der forschende Ernst wandelt sich bald in Mitleid. Die blassen abgemagerten Züge seines jungen Gegenübers geben ihm wohl Anlaß dazu.

»Kann ich Ihnen vielleicht persönlich« – fragt er leise.

Hans unterbricht ihn jäh, indem er die Manuskripte hervorreißt. »Wollen Sie die Güte haben, das zu prüfen?« Und dann empfiehlt er sich schnell.

Sein Stolz lebt noch. Er will kein Mitleid – das peinigt ihn – das erniedrigt ihn. Er hätte nicht fragen sollen!

Seine Nerven zucken. In der Erregung merkt er kaum noch etwas von seinem Hunger. In fliegender Hast legt er den Weg nach Hause zurück.

An seinem Selbstgefühl haben sich seine Ideen aufgerichtet. Neues Leben durchwogt und durchbraust seine Empfindungswelt. Hoch und frei erhebt seine Kunst das Haupt. – –

*

Nach tiefem, bleischwerem Schlaf wacht er am nächsten Morgen auf. Trotz der langen Ruhe ist er wie zerschlagen an allen Gliedern, Aber er rafft sich empor und nimmt sich zusammen.

Hunger! Unsinn! Wochenlang kann der Mensch die Nahrung entbehren! Wenn er nur Wasser zu trinken hat! Tanner hat vierzig Tage lang gefastet! Nur Willenskraft! Nur Mut und Stärke! Sein Drama muß fertig werden!

Ein paar lyrische Stimmungsbilder leuchten inzwischen in seiner Seele auf. Er bringt sie zu Papier. Auf den ersten Wurf ist es herrlich gelungen. Hei! Was schert den Dichter die leibliche Not! Er verlacht sie! Er ist nicht wie die andern! Ein Übermensch ist er! Die Qual ist seine Nahrung – aus dem Schmerz saugt er seine Kraft!

Als aber die Schatten der Dämmerung hereinbrechen, umschleicht ihn das Grauen. Und dann legt es sich ihm aufs Herz, so schwer und würgend, daß ihm der Atem vergeht. Und in seinem Leib brennt es wie Höllenfeuer.

Und durch sein Hirn wirbelt es von Vorwürfen und Rechtfertigungen – was er hätte thun sollen – und was er doch nicht hätte thun dürfen – nein und ja – und ja und nein –

Und dann zieht es ihn empor. Hinaus – Arbeit suchen – die erste beste ehrliche Arbeit, daß er wieder einmal essen kann. Sich satt essen – satt sein – ohne Hunger sein – –

Und da klopft es an die Thür, und der Geldbriefträger tritt ein und bringt ihm zwanzig Mark. Sein Gönner hat von seinen Manuskripten eine Skizze angenommen und ihm gleich das Geld geschickt.

Sein Glück! Hurra! Sein Glück! Daß er nicht an sein Glück gedacht und geglaubt hat!

Und dann lähmt ihn eine Betäubung – und er starrt auf das Metall, wie es im Lampenlicht ihm entgegenblinkt: das roh-gleißende Gold, das brutal-gleichgiltige Silber! Wie er es verachtet!

Unwürdig die Sorgen, die man mit diesem erbärmlichen Geld aus der Welt schaffen kann. Unwürdig und lächerlich!

Er kommt sich dem Menschengetriebe, das ihn umgiebt, als er sich auf den Weg nach Berlin gemacht hat, so überlegen vor wie nie.

In der ersten größeren Wirtschaft thut er sich gütlich an Speise und Trank.

Er hat zu schnell gegessen und das Bier zu rasch hinuntergeschüttet. Es steht ihm bis obenhin. Aber er ist lustig geworden. Unbändig lustig. Er muß immer lachen und mit der Faust auf den Tisch schlagen. Sich mit Grillen und Sorgen quälen – Unsinn! Blödsinn sondergleichen! Noch dazu, wenn man so ist, wie er! Wenn man so viel Glück hat, und wenn man soviel in sich trägt!

Und es steigert sich sein Durst nach ausgelassenster Lebensfreude. Wein trinken – Sekt! Er ist mehr als die andern – warum soll er schlechter leben als sie! Das erbärmliche Geld! Lustig sein – genießen – morgen ist das Glück auch noch da – was liegt an den jämmerlichen Kröten! – –

*

Spät in der Nacht taumelt er nach Hause.

Hundeelend ist ihm am andern Morgen. Sein geschwächter Körper kann solche Extravaganzen nicht vertragen. Er bleibt fast den ganzen Tag im Bett.

Tiefer drückt er sich in die Kissen, wenn die Reue auf ihn einstürmt.

Nur ein Paar Pfennige hat er mit nach Hause gebracht. Und in vier Tagen ist der Erste. Da muß die Miete bezahlt werden – –

Nicht daran denken!

Am folgenden Tag verschickt er die Gedichte, die er zuletzt gemacht hat, an die Zeitung, welche ihm dafür geeignet erscheint. Und für das Geld, das ihm übrig bleibt, kauft er sich Brot und Schnaps.

Er schlägt sich vor den Kopf und ins Gesicht, wenn die Reue ihn wieder packen will. Über so etwas sollte er doch erhaben sein!

Frei! Frei ist er! Er hat sich nicht unterworfen! Und er unterwirft sich nicht! Und sein Drama ist in ein paar Tagen fertig! Und dann! – –

Mit aller Kraft kämpft er gegen die körperliche Schwäche an, die ihn beschleicht, gegen die Fieberschauer, die ihn durchschütteln. Er muß ja stark sein. Wenn er seine Freiheit verliert, wenn er gegen seinen Stolz sich versündigt, kann er ja nichts schaffen!

Und er fühlt seine Flugkraft wachsen. Immer höher vermögen seine Gedanken aufzusteigen. Ihn schwindelt dann oft vor sich selbst. So, daß Ohnmacht seine Sinne hinunterzieht in dämmernde Tiefen – –

Wenn sein großes Werk fertig ist, dann ist er erlöst von dem Elend der Alltäglichkeit! Das muß, wie die Menschen so sagen, sein Glück machen! Hinter diesem Vollbringen steht für ihn, von keinem Zweifel umhüllt, der leuchtende Erfolg, der auf seinem Lebensweg keine Schatten mehr duldet –

Und er arbeitet – und seine Arbeit trägt ihn weiter – –

*

Sein Kopf glüht, während seine Hand erstarrt. In zuckenden Wellen flutet das Blut durch seine Adern. Vor seinen Augen tanzt alles. Seine Wimpern beben, seine Lider zittern.

Aber immer wieder reißen ihn seine Gedanken aus sich selbst heraus –

Ort und Stunde vergißt er – – –

*

Und jetzt umschlingt ihn zum Ersticken ein schwerer, langer Schlaf – – –

*

Würgende Angst und brennender Schmerz scheuchen ihn aus der Ruhe auf –

Und wieder sinkt er zurück in Lähmung und Starrheit – – und wieder weckt ihn die Angst –

Das Kissen ist ein Berg, der ihn erdrücken will – – er springt auf und schlüpft, zitternd von Frost, in seine Kleider.

Ist es Morgen-, ist es Abenddämmerung? Er weiß nichts von der Welt. Er will auch nichts von ihr wissen. Wenn sie so dem Mannesstolz lohnt – – Heraus aus der Welt – fort – fort – ins ewige Nichts – –

*

Ein Nebel umbrodelt all sein Fühlen und Denken – bald sengend heiß wie Wasserdampf, bald eisig wie Winterhauch. Und im schnellen Wechsel dann heiß, dann kalt.

Und wieder die Angst – er muß sterben und verderben – Hungers sterben – elendiglich umkommen wie ein Hund – –

Leben! Leben! Seine Sehnsucht will nur das Eine – nur leben – –

Nein! Leben allein ist nichts! Frei sein und groß sein! Das ist es! Und wer das nicht kann – besser ihm, wenn er stirbt! –

Nur erst ein Stück Brot, – nur noch einmal einen Bissen, noch einmal etwas zu kauen haben – dann mag kommen was will – –

*

Arbeit suchen! Irgend was! – –

Dienen!

Dienen – und ich kann doch nicht dienen – »Ich dien'« – Prinz von Wales – meinetwegen – dien' du! – Falstaff – der hat nie gehungert – Kapaun – – Dorchen Lakenreißer –

Schwer fällt sein fiebernder Kopf auf seinen Arm.

*

So liegt er eine ganze Weile. Dann fliegt er empor – und taumelt wieder auf seinen Stuhl.

So kraftlos verderben!

Sein Geist lehnt sich dagegen auf. Und vor sein zuckendes Auge strömt jetzt ein unabsehbares Heer zusammen – eine unendliche Schar von Elenden und Hungernden – und sie heben die ausgedörrten Arme – und ihre hohlen Augen glühen auf ihn – und die blassen Lippen thun sich auf – und sie rufen ihm zu: »Sei unser Führer! Warum uns – uns allen diese Not! Führ' uns zum Kampf gegen die Satten! Führ' uns zum Sieg!«

In seinen Ohren braust das heisere Stimmengewirr – der Schlachtruf der Verzweifelung – seine Seele bäumt sich empor – seine Hände krampfen sich zusammen – und er stürzt aus der Thür – –

In der Küche ist es hell. Sein Fuß stockt. Dort sitzt seine Wirtin am Tisch, die roten, fetten Arme aufgestreift – sie schmatzt und stochert sich die Zähne – und vor ihr steht Brot und Butter und Fleisch –

Fleisch!

Er stürmt hinein und greift nach dem Fleisch – und da sie ihn aufschreiend zurückstößt, springt er ihr zähneknirschend an die Kehle und würgt sie und würgt sie – –

Und da fühlt er auf seinem Schädel ein paar wuchtig-dumpfe Schläge und er taumelt zurück – und es begräbt ihn die Nacht – – –

*

Hans Burkardt ist ein interessanter Fall. Ein gebildeter, junger Mann verhungert – das ist immerhin eine Seltenheit. Aber noch fesselnder als die soziale Seite ist die pathologische: Typhus und Gehirnerschütterung zugleich – das ist den Ärzten noch nicht vorgekommen.

Und der zwiefachen Bedeutung dieses Falles ist es zu danken, daß der Kranke in der Privatklinik des Geheimrats Aufnahme gefunden hat. Der alte Herr bringt dem Unglücklichen besondere Teilnahme entgegen.

Nach wochenlangem Todeskampf dämmert allmählich die Besinnung in ihm auf. Er sieht, wo er sich befindet. Und nach und nach erzählt ihm die Erinnerung, was ihn hierher gebracht hat. Nur das Letzte, was unmittelbar vorausgegangen, das ist für ihn ein dunkler Fleck.

Dieser dunkle Fleck quält ihn. Der junge Assistenzarzt trägt kein Bedenken, ihn aufzuklären. Und so erhellt sich denn sein Gedächtnis.

Jetzt weiß er alles, was geschehen ist.

Zum Tier, zur Bestie hatte ihn der Hunger gemacht. Eine wehrlose Frau überfallen – gewürgt – ja gemordet, wenn der Mann nicht darüber zugekommen wäre.

»Wie geht es der Frau?«

»Sie hat an Nervenzufällen gelitten. Jetzt soll es aber besser mit ihr sein.«

Der Gedanke an die Frau läßt ihn nicht los.

Langsam schreitet seine eigene Besserung fort.

»Mein junger Freund,« sagt eines Tages der Geheimrat zu ihm, »ich hab' heute mit meinem Bruder über ihre Zukunft gesprochen. Der ist vortragender Rat im Ministerium des Innern und hat mit den Preßangelegenheiten zu thun. Er will Sie als Redakteur an einem Regierungsorgan unterbringen.«

Ein Gurgeln brodelt auf aus Hans Burkhardts matter Brust. Und dann sagt er heiser: »Sie sind – sehr freundlich, Herr Geheimrat« –

»Lassen Sie's nur gut sein! Was ich für Sie thun kann, thu' ich mit besonderer Freude.« –

Als er einigermaßen wieder hergestellt ist, führt ihn sein erster Gang zu seiner früheren Wirtin.

Er findet die Frau sehr verändert und ist erschreckt darüber. Sie ist blaß geworden, ihr Haar ist an den Schläfen ergraut, ihre Bewegungen haben etwas langsames, und müde klingt ihre Sprache.

»'T war ja nich scheen von Ihnen, Herr Burchard, – aber Sie haben ja ooch nischt vorjekonnt. Wat der Mensch in 't Fieber dhut, davor is er nich verantwortlich. Wie jeht 't Sie denn nu wieder?«

»Ich bin wieder so ziemlich wohl. Aber sagen Sie mal, beste Frau Hintze, wie ist es denn mit Ihnen?«

»Na – jut ja nich – aber 't jeht doch! Ick hab' doch 'n düchtigen Knacks abjekriegt. Ick konnt ja sonst 'n Puff verdragen – aber det war doch 'n bisken zu knuffig, det is mir doch hellisch in de Knochen jefahren.«

»Können Sie denn Ihre Arbeit wieder thun?«

»Arbeeten kann ick ja wieder – aber 't is ja man halber Kram. Wenn ick mir 'n bisken anstrenge, denn woll'n die Glieder nich mehr. Dann krieg' ick wieder det Zittern in de Hände un Fieße.«

Er faßt die beiden Hände der Frau, bittet sie, sie möchte ihm doch verzeihen, was er ihr angethan, und sichert ihr eine Unterstützung zu, die er ihr regelmäßig allmonatlich schicken werde.

Sie sieht ihn ruhig an. Und er erzählt ihr, daß er eine gute, sichere Stelle in Aussicht habe.

Ja ja – er muß die Stelle nehmen! Und am selben Tage noch macht er dem Bruder des Geheimrats seinen Besuch. Eine kurze, ziemlich förmliche Unterredung – und er ist Redakteur an einer neugegründeten Korrespondenz, die vor allem das monarchische Bewußtsein in der Volksseele kräftigen soll.

Er, der Republikaner.

Vielleicht würde er einen anderen Posten finden, der nicht so viel Lüge von ihm verlangte! Wenn er sich an seinen alten Gönner, den Chef-Redakteur, wendete –!

Damals hatte er eine Stelle für ihn gehabt – zwei sogar – aber die eine hatte er seinem Unabhängigkeitsgefühl nicht zumuten wollen und gegen die andere hatte er sich selbst aufgelehnt – in seinem republikanischen Stolz – – und jetzt sollte er vor ihm –

Nein, nein! Die Scham würde ihn ersticken!

Schließlich – na ja! – Eins ist so schlimm wie's andere – absolute Freiheit giebt es nicht – er war überspannt, daß er danach verlangte – eine Verrücktheit, dieses Übermenschentum – er ist nicht besser als die andern – und wenn man schon Zugeständnisse machen muß, wo ist die Grenze?

Blitzartig durchzuckt es ihn – hat das nicht damals der rosig Vergnügte als Lebensanschauung bekannt? Und er selbst hat ihn darauf als Lumpen hingestellt!

Und jetzt!

Aber da er sich gegen seine Zukunft empört, richtet sich seine Vergangenheit gegen ihn auf wie ein Gespenst.

Du kannst ja der Lüge jederzeit durch einen Fingerdruck ein Ende machen! ruft sein altes erwachendes Ungestüm ihm zu.

Und dann quillt aus dem Innersten seiner Seele die Sehnsucht nach seiner Kunst – – sein Drama –

Und dann hungern müssen – und dann – –

Doch die Kugel bleibt ihm ja für alle Fälle. Wenn er nur für die Frau nicht zu sorgen hätte –!

Er arbeitet als Redakteur an der Korrespondenz. Ein stiller Mann ist er geworden. Viel älter als seine Jahre. Zuverlässig thut er seinen Dienst. Seine Vorgesetzten fördern ihn. Nach ein paar Jahren ist er der wohlbestallte an Lohn und Titeln reiche Leiter der Korrespondenz. Die leitenden Gedanken holt er sich aus dem Ministerium des Innern.

Was in seinem Innern vorgeht, weiß kein Mensch. Er hat Furcht vor seiner Sehnsucht und ist vor ihr auf der Hut, so viel er vermag. Seine Sehnsucht ist seine Kunst – und seine Kunst ist sein Stolz, seine Freiheit – – und was ist aus ihm geworden!

Nicht daran denken! Nicht daran denken!

Jetzt ist es zu spät! Eine Umkehr ist nicht mehr möglich! Wie früher kann es doch nicht mehr werden!

Wer einmal lügt – –

Aber die Kugel bleibt ihm ja noch! Und die Selbstzerstörung kann zur Pflicht werden, vor der alle andern zu schweigen haben.

In diesem Gedanken findet er sich ab mit dem Leben.

Doch wenn ihm etwas ans Herz greift, wenn Flammen in seinem Geiste aufleuchten, wenn ein Brausen durch seine Seele geht, dann wird seine Sehnsucht in ihm mächtig. Seine Empfindung will ihn heben und forttragen – und er muß sie niederwürgen. Sein innerstes heiliges Leben muß er zertreten, daß er vor Qual sich windet.

Denn seine Kunst ist sein Gewissen –