Jakob Julius David
Das königliche Spiel
Jakob Julius David

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Jakob Julius David

Das königliche Spiel

»Also. Belieben Sie. Nämlich.« Er hob das Haupt und wies mit einer herrischen Gebärde nach dem Brett, wo sich eben eine klare Mattstellung ergeben hatte. Dabei richtete er sich auf der bis dahin lässig und vorgeneigt gesessen, und glättete mit der Linken sein Haar, das in widerspenstiger und weißer Fülle um das eckige Gesicht hing. Bart und Augen waren noch schwarz und jung. In den Blicken lag eben eine solche Überlegenheit, ein so heftiges Siegergefühl, daß es merkwürdig war. Denn er hatte just keinen Meister des königlichen Spieles vor sich gehabt. Ich zahlte. Er strich ohne Wort den gewonnenen Betrag ein, reichte dem Kellner ein ansehnliches Trinkgeld, kleidete sich sehr sorgfältig vor dem Spiegel an, und wir gingen. Es war gerade die Stunde, in der die Kaffeehäuser zu veröden beginnen. Die Soliden sind schon heim, und die Nachtschwärmer rücken erst später ein. Nur noch eine Schachpartie war im Gange. Um den runden Tisch im Säulensaal, der sich so schön in spitzen Bögen emporhebt, saßen noch Zeitungsleser. Er griff nach einem illustrierten Blatt und überflog kopfschüttelnd die Schachspalte. Ich wartete. Es war sehr still. Nur ein unbewachter Kellner versuchte allerhand Kunststöße auf dem Billard, und die Bälle klappten hart und bestimmt aneinander. Sonst war's müde, graue und schläfrige Zeit.

Wir schritten gemeinsam durch stille und winkelige Gassen der inneren Stadt einem kleinen Wirtshause zu. Das war so eingeführt zwischen uns, seitdem wir zu spielen begonnen, wozu mich nach jahrelanger Unterbrechung mehr der Anteil an ihm als am Spiele selbst bewogen hatte. Denn er war mir aufgefallen durch sein Bestreben, auch als Berufsspieler die Eigenschaften eines Gentleman sich zu bewahren. Er ging nicht lediglich auf den sicheren Gewinst los; er spielte schön, mit überraschenden Wendungen, und bemühte sich also, dem anderen jene Anregung und das Vergnügen zu gewähren, das sich der von ihm erwartete. Hatte er für diesen Tag genug gewonnen, so führte er den Besiegten gerne eine schöne Partie vor und erläuterte sie.

Er war ein sehr armer Teufel, aber er vergab sich nichts; war weit herumgekommen und drückte sich gewählt aus. Aber gesehen hatte er eigentlich nichts von der Welt, die er bereist. Denn ob er von der sonnigen Havanna sprach, ob von Hastings oder Nürnberg, er wußte nur von den Kämpfen, die dort auf dem Brette geschlagen worden waren. Sonne und Menschen waren ihm gleichgültig und ganz aus dem Gedächtnis geschwunden, das sonst jeden einzelnen Zug, den ganzen Gang einer Partie mit untrüglicher Treue aufnahm und für immer verwahrte.

Als er im Gasthause ablegte, fuhr er nach seiner ängstlich reinlichen Gewohnheit unmerklich mit dem Rockärmel über seinen Hut. Mir fiel dabei erst auf daß darum ein Trauerflor geschlungen war. Wir saßen einander gegenüber. Ich liebt' es nämlich, diesen Kopf voll vor mir zu sehen. Er war wie gehämmert von gewaltiger Gedankenarbeit: die Sorge aber hatte tiefe Runen in diese mächtige Stirn mit den starken und trotzigen Jochbögen eingegraben. Bei aller Sicherheit des Auftretens und Benehmens lag eine gewisse Willensschwäche um den Mund und das sehr kurze Kinn. Nach dem Essen demonstrierte er gern. Er hatte zu diesem Zweck ein handliches Ledertäschchen mit kleinen und zierlichen Elfenbeinplättchen als Schachfiguren, das man ihm in Newyork geschenkt. Oder er holte aus einer sehr umfänglichen und dickleibigen Brieftasche, die nur bei Fleischhauern und Selchern einen Rückschluß auf die Vermögensverhältnisse gestattet, Zeitungsausschnitte mit seinem Bild oder mit Besprechungen seiner Leistungen oder mit Zuschriften berühmter Meister an ihn. Er fühlte sich durchaus als Künstler. Oder er erzählte klar, logisch, lebendig, nur ohne jede Spur von Anschauung. Zornig wurde er nur, wenn er auf den geringen Sinn für seine Kunst in unserer Stadt zu sprechen kam oder auf das Verhalten jenes Erzmillionärs, der sich als den Schirmherrn des Schachspieles preisen läßt, gerade ihm gegenüber. Es sei so schwer, damit sein Brot zu verdienen. Einmal hatte er sich mit jenem Reichen gemessen. »Ich verlang' mir's nicht mehr.« Das währte bis tief in die Nacht, ehe er ihm den einen Gulden abgewann; denn es war ein furchtbar starker und rücksichtsloser Gegner. Es goß und stürmte. Und er wohnte damals weit draußen in Währing. »Unten ist natürlich sein Wagen gestanden. Meinen Sie, er hat mich gefragt: Wie wollen Sie bei dem Wetter nach Hause kommen, Adolfi, wo nicht einmal eine Pferdebahn mehr geht? Oder: Adolfi, haben Sie schon was zu Nacht gegessen? In den Jockeyklub ist er gefahren und soll dort in der Nacht ein Vermögen verloren haben an einen Fürsten. Da hat er nichts geredet. Aber mein Gulden hätt' ihm weh getan, dem Mäcen.«

Alsdann, nach kurzem Zusammensein, pflegten wir uns zu trennen. Er ging seinem Berufe nach und ich meiner einsamen Wege.

Diesen Abend blieben wir aber vereint sitzen. Wie einer, der heftige Schmerzen darin empfindet, so hielt er den Kopf zwischen die Schultern gezogen. Die Mundwinkel waren verzerrt, und um die Brauen gewitterte ein häufiges Zucken. Er sprach sehr viel, aber aus einer schlimmen Mißstimmung heraus, den Satz nicht beendend und in krausen und weiten Sprüngen der Gedanken. Er kramte viel in seinen Papieren, zeigte mir nun dieses, nun ein anderes jener Zettelchen, die er kostbaren Schätzen gleich verwahrte. Etwas mußte ihm geschehen sein, oder in seiner Seele hob sich etwas und brachte sie in unruhige Wallung, wie der Riesenfisch der Sage das Meer sich heben läßt, wenn er aus dem Grundlosen der Sonne entgegenstrebt. Und in diese zweck- und ziellose Gesprächigkeit fielen bange und peinliche Pausen des Schweigens, in denen er sonderbare Figürchen aus Brot formte, sie vor sich hinstellte, um sie verloren zu betrachten.

»Für wie alt halten Sie mich?« begann er nach einer solchen Viertelstunde des Verstummens und Versinkens.

Ich besann mich: »Ich denke, so Ende der Fünfzig.«

Er lachte bitter: »Um zehn Jahre weniger! Um zehn Jahre weniger«, wiederholte er. »Und dann spricht man von unserem mühelosen Erwerb!«

»Ja, wie kamen Sie eigentlich zu dem Geschäft?« Es war klar, daß er eine Aussprache wünschte, und ich entzog mich ihm nicht.

»Wie kommt man überhaupt zu so etwas als Geschäft? Aus Neigung, und weil einem auf der Gotteswelt nichts übrig bleibt.« Er trank aus, drehte sich mit seinen sehr schlanken und zuckenden Fingern eine Zigarette und rauchte gedankenlos. Dann, nach wenigen Zügen, warf er sie hastig fort, bestellte ein neues Glas und begann:

»Ich bin kein Wiener. Ich bin ein Rumäne. Aus Jassy.

Aber ich lebe schon sehr lange nicht mehr dort. Fünfzehn Jahre oder schon mehr bin ich in Wien. Natürlich mit Unterbrechungen, Sie wissen ja, wo und wie lang ich schon alles fort war.

Meine Eltern waren sehr wohlhabend. Freilich, wie immer da unten, mit vielen Kindern, weil man gern hat, soviel man nur ernähren kann, so daß auf eines nicht viel gekommen ist. Ich hätte am liebsten studiert. Ich habe einen sehr guten Kopf gehabt und besonders für Sprachen, die ich für mich gelernt hab'. Sehr gerne gelesen hab' ich. Aber es ist mit dem Studieren nicht gegangen. Ich war nämlich sehr viel krank und überhaupt schwach und habe sehr viel müssen im Bett sein. Dann hab' ich bei mir gehabt, was mich gefreut hat, nämlich meine Grammatiken und meine Bücher.

Mein Vater hat mich sehr lieb gehabt, und lieber als meine übrigen Geschwister, und hat mich sehr bewundert. Er hat nämlich gern Schach gespielt, und in Jassy hat's keiner besser gekonnt. Und mich hat er das Spiel auch gelehrt, und ich hab's bald so ergriffen, daß er mir keine Partie abnehmen konnte. Darüber, und bei einem Kind, hat er dann sehr gestaunt, und hat meinen Ruhm und meine Kunst herumgetragen in der ganzen Stadt. So sind auch andere zu mir gekommen und haben's probiert. Aber es war mir keiner gewachsen, dem Jungen. Denn, wenn ich allein war und nicht gelesen hab', so hab' ich für mich gespielt oder ich habe mir Stellungen ausgedacht oder schöne Partien studiert. Herr – es gibt nichts Schöneres auf der Welt zu seinem Vergnügen! Und der Vater hat immer nur geseufzt, was für ein Talent fürs Geschäft ich haben müßte. Wenn ich nur gesund wäre. Und was für ein Elend das sei mit meiner Krankheit. Und wenn er mich um etwas gefragt hat, und ich hab's für mich ausdenken, so gewissermaßen durchrechnen können, so war es gewiß gut und der Rat sein Geld wert. So bin ich sehr eitel geworden. Und darum, weil in meiner Familie viel Reichtum war, so hab' ich mich niemals so können unterducken und betteln wie andere, und wie man's von uns begehrt. Denn nur vor dem Brett sind wir gleich mit jedem – nachher sind wir Bettler und haben uns danach zu benehmen.

Auch gut. Aber – es begreift sich nicht leicht.

Damals hab' ich freilich noch nichts von solchen schönen Sachen gewußt. Ich hab' das schönste Leben gehabt. Und meine Pflege, wie sie kein Prinz besser hat, daß ich ganz gesund geworden bin. Nur freilich immer: gib acht auf dich, Adolf Und: das darfst du nicht tun, mein Kind, es könnte dir schaden, bis man glaubt, es gibt nichts Wichtigeres auf der Welt, als daß man lebt. Dann hat mich mein Vater ins Geschäft genommen, und ich hab' unter ihm gearbeitet, und es ist ganz gut gegangen. Nur das Gefühl hab' ich immer gehabt und nicht mehr können los werden: ich vertrage keinen Lärm und kein Gedränge, weil ich durch so vieljahre die Stille gewöhnt gewesen bin. Ich hab' da leicht die Besinnung verloren, und weil ich wie vor meinen Figuren hab' alle Möglichkeiten durchdenken wollen, so war ich langsam, und ich bin auf Gefahren und auf Einfälle gekommen, wohin sonst kein Mensch geraten wäre. Das war sehr nützlich, solang ich nur gewarnt und sonst getan habe, was der Vater gewollt hat. Dann, noch sehr jung, habe ich mein Geschwisterkind geheiratet, ein schönes Mädchen, das ein ganz gutes Vermögen gehabt hat, und wir haben sehr friedlich und sehr glücklich gelebt. Denn ich war ein ruhiger Mensch und ganz ohne Passion. Nicht einmal Schach hab' ich mehr gespielt. Mir war's zu anstrengend, wenn ich mich den ganzen Tag geplagt hatte: im Kopf das Geschäft, im Herzen das Weib und die Kinder. Vier Kinder hat uns Gott geschenkt. Erst drei Buben, dann ein Mädchen, und ich war sehr froh und dankbar damit.

Mein Vater ist gestorben. Jetzt hab' ich erst einen Überblick gewonnen über das ganze Geschäft und bin erschrocken davor. Da steckt Geld und dort steckt Geld, und man weiß nicht, wie man wieder dazu kommen will. Ich will durchaus liquidieren. Wir hätten von unseren Zinsen ganz anständig leben und sogar etwas für die Kinder erübrigen können, weil da unten alles wohlfeil ist und nur Geld teuer. Dagegen hat sich meine arme Frau mit aller Gewalt gewehrt; das sei ohne Beispiel und schreie zum Himmel, daß sich ein Mann mit dreißig Jahren hinter den Ofen setzt und Gott lobt. Ich hab' leider nachgegeben, wie immer, und wenn ich noch so gut gewußt hab': du hast recht, und die anderen reiten dich in dein Unglück. Aber das Herz hat mir weh getan, wenn ich heut' ein Tausendfranksbillet hab' hernehmen müssen und über die Woche wieder eins, und die sind fortgegangen, eins immer ums andere. Und es ist mir immer schwerer geworden, einen Entschluß zu fassen. Ich hab' wohl gewußt: es ist jetzt die Zeit zu verdienen; aber ich hab' mich vor jedem Risiko gefürchtet, weil schon so viel verloren war, und ich hab' zu sicher gehen wollen und bin immer gekommen, wenn es schon zu spät gewesen ist. Und das haben die Leute gemerkt, und sie haben hinter mir her geflüstert: Adolfi hat eine schwere Hand. Davon bekommt man kein Zutrauen zu sich, wenn man ohnedies schon zweifelt.

Und wie das immer so ist – nicht aus Bosheit, nur weil sie geriebener waren als ich, und weil es ihnen Spaß gemacht hat, sich dafür zu rächen, daß sie mich einmal bewundert haben, so hat man mich hineingelegt. Man hat mir Rat gegeben, der ganz gut war, nur weil man gewußt hat, ich werd' mir's so lang überdenken, bis ich hereinfalle mit der besten Idee, oder ich werd's aus lauter Angst übereilen, eh' es noch reif geworden ist. Immer hab' ich verloren: bei Borgen und Verleihen war ich's immer, der hat die Zeche bezahlen müssen. Was wollen Sie da machen? Wir sind zugrunde gegangen, so schnell, wie man nur eine Hand umdrehen tut. Und jetzt war ich auf einmal der Dummkop£ Denn woher sollen die Leute unterscheiden können, was Unglück und was wirklich Ungeschick und was Dummheit ist? In der Wirkung ist's doch eins und die allein entscheidet.

Ich hab' nicht mehr in Jassy bleiben wollen. Das verträgt man nicht, wenn man einen Charakter hat. Zwar hat mir mein größter Konkurrent in seinem Geschäft eine ganz gute Stellung geboten, daß man hätt' leben können davon. Ich hab's nicht annehmen wollen. Denn man hat viel Unrecht an mir getan, und mir wär' das eine ewige Demütigung gewesen. Und meine Frau war ganz verzagt, wie sie gesehen hat, wie schlecht das mit ihrem Willen und nach ihrem Kopf ausgegangen ist, und hat mir recht in jedem gegeben. So haben wir alles verkauft und sind nach Wien. Denn wohin hätten wir sollen? Das war eine große Stadt, und vielleicht auch ein kleines Fortkommen zu finden in ihr. Aber die Fahrt, Herr! Mit vier kleinen Kindern; und die Frau ohne Hilfe und so lang fahren und so, daß man sich's aufs billigste einrichten muß!

Wir haben uns in der Leopoldstadt eingemietet und ein kleines Geschäft aufgemacht. Es ist elend genug gegangen. Nämlich gerad so, wie's am schlimmsten ist – nicht so schlecht, daß man es fortschmeißen dürfte, und nicht so gut, daß man existieren kann. Es fehlt, und wenn man sich noch so einschränkt, immer etwas, nur etwas, aber das etwas ist niemals einzuholen. Und wir waren zu zweit zuviel für das Geschäft. Die Kunden hat meine Frau bedient, und es hat mich in dem Gewölb' nicht gefreut, wo man sich nicht einmal hat rühren können. Und ich hab' früher doch mein Kontor gehabt und meine Kommis, und wenn ich durchs Zimmer gegangen bin, so sind sie aufgestanden, und keiner hat sich ein Wort getraut, eh' ich nicht gesprochen hatte. Und meine schöne Wohnung! Hier aber hab' ich mich gekränkt und gegraust, wie man sich hat behelfen müssen, und wie sich meine Frau, die doch aus gutem Haus war und nicht an so etwas gewöhnt, hat schinden müssen um jeden blutigen Kreuzer. Und so war ich gar nicht gern zu Haus und bin lieber viel herumgelaufen. Einmal hat man mir Kommissionen gegeben, und wieder einmal nicht. Hab' ich also nichts verdient, so hab' ich nichts gegessen, nur meinen Kaffee getrunken im Kaffeehaus und herumgehört, ob da nicht Rumänen sind oder Franzosen oder Engländer, die man herumführen kann oder die sonst was gebrauchen.«

»Und um eine Stellung haben Sie sich nicht umgesehen, Herr Adolfi?« fragte ich.

»Das hat meine Frau auch immer wollen. Aber etwas Passendes hat sich nicht gleich gefunden. Sie hat gemeint, ich könnt als Reisender gehn mit meinen Sprachkenntnissen. Das hat mir nicht gepaßt, Monate fort von Weib und Kindern. Und wohin hätt' man mich geschickt? Doch nur nach Rumänien. Soll ich dort um einen Auftrag betteln, wo man früher froh war, wenn Adolf Adolfi von Adolfi & Co. überhaupt mit den Leuten ein Geschäft gemacht hat? Oder, hat sie gesagt, als Korrespondent. Was sich mir aber geboten hat, das war nicht einmal für einen Anfang, für weiter schon gar nicht.

So komm' ich wieder einmal in ein Kaffeehaus. Ich war sehr schlecht aufgelegt. Und ich setze mich ganz zufällig an einen Schachtisch und schau' zu, wie zwei spielen. Der eine gewinnt immer. Sein Partner geht fort, er bleibt sitzen und fragt mich, ob ich nicht eine Partie machen möcht'.

›Meinetwegen‹, sag' ich und bin selber neugierig, ob ich noch was kann oder ob ich vielleicht meine Sorgen dabei vergesse. ›Wie hoch ich also spielen will?‹ Ich schau' ihn an und versteh' ihn nicht. Denn ich hatte noch nie um Geld Schach gespielt und nicht einmal gewußt, daß man das tut außer in Turnieren. ›Ja‹, sagt er, ›umsonst spiel' ich nicht. Fünfzig Kreuzer die Partie?‹ ›Meinetwegen‹, geb' ich ihm zur Antwort in meiner Verlegenheit.

Wir fangen an. Es war noch heller Tag. Er spielt nicht schlecht. Aber nach den ersten Zügen schon spür' ich's: Ich kann's noch immer und zwar gründlicher, besser als der. Ich muß nur noch aufpassen und mich anstrengen, weil ich ganz außer Übung bin. Aber ich zwing' ihn. Eine zweite Partie. Ich zwing' ihn wieder und sicherer. Er steht auf. Ein neues Gesicht sitzt da vor mir. Mit dem geht's noch schneller. Schon stehen Zuschauer um uns und murmeln, und ich merk's – da bin ich wieder wer, und wenn ich sonst in der Welt nichts bin. Und es kommt wie Mut und Selbstvertrauen über mich, und ich ersinne Kniffe und Hinterhalt und Angriff immer schlauer und kecker, und ich vergesse alles und sehe nur meinen Vater vor mir, wie der gestrahlt hat vor Stolz und vor Freude, wenn Hieb auf Hieb gekommen ist, immer schneller und stärker und keiner zu parieren. Man zündet die Gasflammen an. Der Kopf wird mir schwer vor Rauch und Anstrengung, wie ich mich erhebe, so taumel' ich wie ein Betrunkener. Sieben Stunden bin ich so gesessen ohne Pause und ohne Rast, und fünf Gulden hab' ich meinem Weib nach Haus gebracht. Wir konnten's brauchen.

Sie hat sich aber so gar nicht damit gefreut, wie ich ihr erst sage, woher ich's habe. Mein Nachtmahl hat sie mir hergestellt und hat mir zugesehen, wie ich recht ausgehungert und gedankenlos esse. Abgeräumt hat sie und ist schlafen gegangen. Mitten in der Nacht aber fährt mir ihre Hand übers Gesicht. Ich wach' auf und greife darnach.

›Freust du dich?‹ sag' ich. Da fängt sie zu weinen an, daß ich erschrecke. Denn ich hab' gewußt, sie schläft, müd' wie sie ist, sonst die ganze Nacht durch in einem Strich, und sie muß also sehr aufgeregt sein, und sie weint sehr schwer, und ihr tut's in der Brust weh. ›Adolf, versprich mir eins‹, und sie hat's so gehaucht, damit von den Kindern keins wach wird. ›Was denn?‹ ›Du wirst nicht mehr anders spielen, als nur zu deinem Vergnügen, und nicht ums Geld.‹ ›Ja, warum denn?‹ ›Ich will's nicht. Ich will nicht, daß mein Mann ein Spieler ist von Profession. Sei, was du willst, klopf Steine meinetwegen – nur das nicht.‹ ›Ach was!‹ antwort' ich ärgerlich, weil sie mir so meine Freude verdirbt, dreh' mich um und tu', wie wenn ich schlafen möcht'. Noch einmal ist die weiche Hand herübergekommen. Ich hab' mich aber nicht mehr gerührt oder gemeldet.

Trotzdem bin ich volle acht Tage nicht mehr ins Kaffeehaus – so lieb hab' ich sie gehabt. Grad' die Woche ist es schlecht gegangen; aber wenn ich auch nicht einen löcherigen Kreuzer für sie im Sack gehabt hab', so hat sie dennoch niemals ein Wort gegen mich gesprochen. Endlich hab' ich's nicht mehr ausgehalten. Auf die Straße wollt' ich nicht, wo ich nicht verdient hab', was ich mir an den Schuhsohlen abgerissen habe. Und im Gewölb' sitzen und das traurige Gesicht von meinem Weib vor mir haben, erst recht nicht. Ich bin also nur zuschauen gegangen – und wieder hab' ich's gesehen, sowie ich nur hereintrete: Hier gelte ich was. Der Wirt war höflich, der Kellner eifrig. Man fordert mich auf, und ich spiele und gewinne noch mehr wie das erstemal. Wenn dein Weib undankbar ist gegen Gott und nicht froh mit dem guten Verdienst, den er dir gegönnt hat – warum sollst du nicht klüger sein? denke ich mir. So bin ich denn jeden Tag hinüber, und mit gutem Glück. Einmal war's mehr, einmal weniger. Man hat schon von mir gesprochen. Aus der inneren Stadt sind sie gekommen, nur um mich zu sehen. Ich war berühmt. Im Schachklub hat man mich eingeführt, und ich hab' mich gegen die besten Meister behauptet. Der war vielleicht sicherer und hat das Büchel, das heißt alle Regeln besser können, wie ich. Aber stärker war keiner und kühner auch nicht. Ich hab' durchaus keine unentschiedenen Partien mögen. Gewinst oder Verlust! Und wenn meine Frau geweint hat, daß ich mich so um keine Stellung mehr umtu'; so hab' ich bei mir gedacht: Du verstehst es nun eben nicht besser. Denn ich hab' mir reiche Freunde gewonnen und Verbindungen, die einem immer nützen können, und ihr hab' ich nur gesagt: Du hast doch immer wollen, ich soll verdienen. Jetzt verdien' ich und dir ist's wieder nicht recht?

Oftmals hab' ich ihr auch erklärt: Das ist kein Spiel wie ein anderes. Das ist eine Kunst und eine Wissenschaft. Da kämpfen nicht die dummen Karten und wie sie fallen, sondern der Verstand mit dem Verstand und die Persönlichkeit mit der Persönlichkeit. Wer klüger, wer besonnener ist, wer immer und in jeder Lage schärfer sieht, der gewinnt. Und es ist eine mächtige Erziehung dabei. Denn ich muß meine Aufregung unterdrücken, daß sie mir nicht bis zum Kopf steigt. Und gerade wenn's von allen Seiten eindringt auf mich, so muß ich erst kaltes Blut bewahren und aufpassen: wo ist das eine Mausloch, durch das ich schlüpfen kann, um über eine Weile wieder zur Vergeltung ihm die Zähne zu zeigen? Wir sind Künstler, Herr! und man soll uns als Künstler achten! Da hab' ich in Hastings eine Partie gegen den Meister der Welt gespielt – wir sind fertig, und er reicht mir die Hand: ›Es hat mich in meinem Leben mancher besiegt, Adolfi, aber so elegant und so überlegen wie Sie noch keiner.‹ Ist das nichts? Und warum heißt man uns allgemein Meister? Und von so einer Kunst, die so viel Studium kostet und ein solches Vergnügen bereitet, soll man nicht leben können, und nicht einmal leben dürfen! Und was wir schaffen, das hat doch sogar seine Dauer. Die Hastingser Partie – ich muß sie Ihnen einmal vorspielen, es ist auf beiden Seiten nicht der kleinste Fehler darin, und sie ist zu schön! – kommt gewiß in alle Lehrbücher, und jeder kann sie sich nachziehen, kann sich damit freuen und aus ihr lernen, und der Adolfi ist unsterblich.«

Er hielt inne. Ich sah seine Aufregung und wie oft und tief er über dieses Thema nachgedacht, wie der Mensch nur seine eigenste Rechtfertigung übersinnt. »Es ist doch nur ein Spiel«, meinte ich über ein Weilchen. »Und es ist eine sehr bedingte und begrenzte Unsterblichkeit.«

Ein böser Blick. Dann: »Und was ist denn eigentlich unbedingte und unbeschränkte Unsterblichkeit? Von den Büchern, die ich als Kind gelesen habe und bewundern mußte – was gilt denn noch heute von ihnen? Sie reden beinahe, wie meine Frau mit ihrem Weiberverstand gesprochen hat. Die hat's auch niemals begreifen wollen. Sie ist gestorben.«

Ich wies nach dem Hut an der Wand. »Deshalb wohl der Trauerflor?«

Er zuckte heftig mit den Achseln. »Ich kann nicht so lang trauern um jemanden, und nicht einmal, wenn ich mir oft wünsche, ich dürfte wieder liegen neben ihm. Das sind viele Jahre. Das kommt später.«

Es war sehr schwül geworden um uns und ein starker Tumult von Kommenden und Gehenden, ein Geschwirr von Stimmen, ein Läuten an Gläser. Die Gasflammen sangen. Der Rauch der Zigarren und der Qualm der Speisen quollen zäh und stickig durch den Raum. Heisere Rufe nach den Kellnern, denen das eintönig rhythmische »Bitte sehr«, »Bitte, gleich« wie eine schläfernde Singweise folgte. Dazu das schrille Geklapper der Teller. Der ganze Lärm eines vielbesuchten Wirtshauses. Zwischendurch sprach er; leise, mit einer schrecklichen Eindringlichkeit. Anscheinend gelassen und dennoch fortgerissen vom Strome seiner Erinnerungen, darin er wehrlos trieb. Eine Erregung war in ihm, und sie durchglomm sein ganzes Gesicht, schwellte die Nüstern, ließ die Finger in rastloser Bewegung nun mit einer Zigarette spielen, nun sie zerpflücken. Wie er einen Augenblick im Reden inne hielt, trank, sich ruhte, so sah man, wie ihn die Lebendigkeit, ja die Leidenschaft seines Wesens erschöpfte in innerlichen und nicht zu bemeisternden Wallungen; wie tausend Fragen, keine abzuweisen, durch sein Gehirn irrlichterten, seine Brust schwellten, daß sein Atmen wie ein Stoßseufzer klang. Er war eben ein Südländer. Ich ließ eine Flasche Rotwein kommen. Wir klangen an und tranken. Dann, mit wiedergewonnener Gelassenheit, die ihm, ich erkannt' es schon an dem rumänischen Akzent, der immer stärker in seiner Rede durchschlug, ganz zu schwinden begonnen hatte, hob er wieder an:

»Gerade damals, wie sich schon meine Frau niedergelegt gehabt hat, um nicht mehr aufzustehen, habe ich meine erste interne Meisterschaft gewonnen. Ich war vierzig Jahre vorüber. Die Buben, es hat keiner den Kopf zu was besserem gehabt, waren in der Lehre. Das Mädchen nahm ein sehr wohlhabender Freund, der überhaupt der einzige bis heute ein Herz für mich gehabt hat, zu sich in sein Haus. Ich habe das Geschäft verkauft, das mir ganz fremd war. Etwas von dem Geld habe ich mir für den ersten Anfang genommen; den Rest, es war wenig genug, dem Freunde für das Kind gegeben, damit es etwas lernen kann. Ich hab' gemeint, sie soll Lehrerin werden, weil das eine schöne Stellung ist und ein sicheres Brot. Sie war klug und sehr still und überlegt, und er hat sie ganz gern zu sich genommen, halb zu seinen eigenen jüngeren Kindern, damit die eine Gespielin haben, die doch schon aufpassen kann auf sie, und halb aus alter Freundschaft zu mir. Er hat mir's in die Hand versprochen, daß er sie wie sein eigen halten will, und er hat mir das durch die Jahre gehalten wie der seltene Ehrenmann, der er überhaupt ist. Hernach, als ein freier Mensch, bin ich fort in die weite Welt. Zuerst gleich übers große Wasser, nach Newyork zu meinem ersten Match. Ich hab's spielend gewonnen, und was mir vom Preis übrig geblieben ist, das habe ich gleich nach Wien geschickt für mein Mädel. Überhaupt – in Amerika ist es mir eigentlich noch am besten gegangen. Dort schätzt man uns. Tagesblätter haben mein Bild gebracht und ganze Spalten über mich geschrieben. Dort weiß man, wir sind Künstler in der schwersten Kunst; also verkehrt man gern mit uns, ist gastfrei und verlangt nicht, daß wir dafür uns bedanken oder die Hand küssen und dabei leben wie arme Handlanger. Ich wollte, ich wäre drüben geblieben oder ich könnte so bald wieder zurück. Mein Glück hätte ich vielleicht machen können, nicht mit dem Schach, aber durchs Schach. Wenn ich nur länger ausgehalten hätt' drüben! Nun, es war eben nicht. Also, nach dem Match, welches ein großes Aufsehen erregt und worüber man mehr depeschiert hat, als hier über einen Mord, hab' ich mein erstes Turnier mitgemacht. Auch das mit Glück. Ich habe trotz sehr starker Teilnahme den zweiten Preis und überdies den Preis für die schönste Partie während des ganzen Turniers bekommen.

Das ist so fortgegangen. Von einer Stadt zur anderen, von Match zu Match. Nur ist das mein bester Rekord geblieben. Immer hab' ich später gerade nur so viel verdient, daß man leben kann. Immer so viel Erfolg gehabt, daß man nicht verzweifelt und sich denkt: Du bist jetzt nicht in deiner Stärke, aber nächstens kommt das ganze Glück und ganz zu dir. Denn das ist einmal so bei dem Geschäft – es bleibt immer eine Hoffnung und eine Aussicht, daß man wenigstens nicht ganz leer ausgeht. Dabei habe ich nichts gedacht, nur Schach. Nichts geträumt, nur Schach. Wenn ich einen großen Platz mit einem Turm in der Mitte vor mir gesehen hab', so hab' ich mir ihn in Gedanken in die vierundsechzig Felder geteilt, und der Kirchenturm war der König, und die Häuser waren Steine, und sie sind marschiert, und ich hab' angegriffen und verteidigt. Aber das Glück hat ewig nicht kommen wollen. Darüber habe ich wieder an meiner alten Furchtsamkeit zu leiden begonnen. Wenn sich bei einem Turnier die Zuschauer um meinen und meines Gegners Tisch gedrängt haben und aufpaßten mit der gewissen gespannten Erwartung, besonders wenn's zu Ende geht und jede Kleinigkeit die Entscheidung bringt, so hat mich das verwirrt, und wenn einer seinen Blick über das Brett hat gehen lassen, so habe ich mir geschworen, er hat was herausgefunden, und hab' das herausbekommen wollen, und meine Zeit und meine ganze Ruhe verloren dabei. Es war wieder wie die Verantwortung, vor der ich mich immer gefürchtet habe.

Auch hat man seine ganze Besonnenheit nötig bei einem Turnier. Man sollte den ganzen Tag sich sammeln für seine Partie und, wenn es geht, den studieren, mit dem man's nächstens zu tun haben wird. Sammlung, Herr! Wie aber hätt' ich das mir leisten können? Denn ein Preis ist unsicher, und man will unter allen Umständen leben. Da hat der eine sein eigenes Vermögen; und den anderen schicken Freunde; und wieder einen sendet ein Klub, damit er seine Farben trägt und vertritt in diesem Turnier. Ich bin auf eigene Faust gekommen, freilich aufgefordert, denn der erste beste wird da nicht zugelassen, aber auf mich allein gestützt und ohne Beistand. Und da hab' ich die Nächte durchgespielt, nur um zu essen zu haben. Und wenn ein freier Tag war, und es hat sich machen lassen, so hab' ich eine Vorstellung gegeben, nämlich ich habe mich gleichzeitig mit so vielen gemessen, wie eben Lust dazu hatten. Dann, wo ich mein Bestes hätte zeigen müssen, so war ich müd', und die Nerven haben mir nicht gehorcht. Und mitten im Kampf ist mir was eingefallen. Zum Beispiel – meine Tochter. Denn die hab' ich immer am liebsten gehabt. Buben sind Buben, die sollen sich immer nur durchbeißen durch die Welt, und die meinen tun's ganz redlich. Aber ein Mädel – das sollte nicht unter fremden Leuten sein müssen, und wenn's tausendmal beim besten Freund ist, den man auf dieser ganzen großen und verlassenen Welt hat.

Dazu das ewige Wandern! Denn Sie dürfen nicht lang in einer Stadt sein, wenn man nicht seine Stellung oder seinen Beruf in ihr hat. Sonst nutzt man sich ab, und die Leute finden auf einmal, sie hätten schon genug an einen verloren. Das bringt einen um, und man begreift's an sich selbst, warum die besten unter uns früh mit Elend zugrunde gehen. Im Wahnsinn; am Rückenmark; im Selbstmord. Und die Furcht: wie wird's morgen, und wie wirst du bestehen? Und sagt man nicht schon von dir: Adolfi geht zurück? Kein Geiger oder Schauspieler hat's so schlimm. Keine Kunst meint's so bös. Froh war ich nur, wenn ich einen Brief von meinem Freund bekommen hab'.

Da war ich stolz und hab' geatmet. Denn meine Tochter ist so geworden, wie man sich's wünscht und wie sie sollte, und sie war sehr stolz auf mich und meinen Ruhm. Drei Jahre hatt' ich sie nicht mehr vor Augen gehabt. Nun war sie geprüft, und, wie mir mein Freund geschrieben hat, hätte sie schon in Stellung sein können.

So tüchtig und in solchem Ruf war sie! Aber er lasse sie noch nicht fort: denn sie hätt' ihm die Jahre so viel geleistet, und sie sei ihm lieb wie sein eigen Kind, und er wollte sich denken, Gott hätt' ihm ein Mädchen mehr geschenkt, und es versorgen. So brav ist der Mann! Und ich hab' mein Elend versteckt vor ihr und ihr nichts geschrieben, nur Glück, zum Beispiel, wenn man mir ein Fest gegeben hat und hab' mir gedacht: Wenn du einmal nach Hause kommst, so zieht ihr zusammen. Du wirst immer etwas verdienen, wie es sich gerad' findet, und sie wird unterrichten. Und wir werden einander lieb haben, und macht sie ihr Glück, so wirst du bei ihr unterkriechen. Man wird dich dulden, und du wirst deine Heimat haben und deine Pflege, denn man wird alt, und wirst dich ausruhen. Das hatt' ich mir ausgemalt durch die vielen und langen und die traurigen Jahre. Es ist nichts damit! ...«

»Ja, warum denn nicht?« fragte ich in erregter Teilnahme. Er wies nur stumm nach dem Hut mit dem Trauerflor. Dann stöhnte er gewaltig auf und hub, alles vergessend, beide Arme zur Höhe. Sich besinnend, zwang er sich wieder und saß mit steinernem Gesichte da.

»Gehen wir.« In seiner Stimme war ein blecherner und rasselnder Ton, wie ich ihn kaum je zuvor vernommen. Wir verließen gemeinsam das Gasthaus. Auf der Straße blieb er eine Weile zögernd stehen. Dann schloß er sich mir an. Wir wohnten in benachbarten Häusern und hatten nicht weit bis dahin. Es ging eine abschüssige Straße hinunter. Zu unserer Linken, auf einer ansteigenden Mauer, standen alte Häuser, eines darunter, blutrot gestrichen, schien grell durch die Nacht. Ein winterlicher Brodem quoll um uns. Vor uns, in schön geschwungener Linie, zogen sich die Gasflammen dahin. Auf dem Boden standen eiserne Roste; durch ihre Stäbe glommen glühende Kohlen, und es war ein leiser, grauer Rauch darüber. Man besserte am Kanal. Die rötliche Glut brach, scharf umgrenzt und glosend, durch die Winternacht. Er bückte sich und zündete an den Kohlen eine Zigarre an, und sein Gesicht war im grellen Widerschein sehr verzerrt und unheimlich anzusehen. Dann sah er sich wild und scheu um. Er röchelte. Er griff nach meinem Arm, daß es weh tat. Er krallte sich förmlich ein. Und plötzlich lag sein Mund an meinem Ohr. »Herr! schweigen! Um Gotteswillen, schweigen!«

War das ein Anfall? Es kam doch wie ein Schrecken über mich.

»Herr, schweigen! Vor acht Tagen haben wir sie begraben. Umgebracht hat sie sich!«

»Umgebracht!« Ich sah ihn ganz verstört an. Es war ein Schauer, der mich ankroch in trägen Schlangenringen bei diesen schmerzlichen Flüsterlauten.

»Umgebracht! Zum Fenster ist sie hinausgesprungen!«

»Und warum?«

»Ich weiß nicht. Ich hab' sie so lang nicht mehr gesehen, und sie war fremd zu mir, und sie hat mir nichts gesagt, und nicht einmal eine Zeile hat sie mir geschrieben, vor ihrem Ende.«

Wir blieben in gleicher Beklommenheit stehen. Vor uns war ein freier Platz. Ein sehr hohes Haus ragte; der Strom lag schwarz vor uns, und in schönen und lichterhellen Bogen spannte sich eine Brücke darüber. Er begann aber wieder:

»Ja. Vor drei Jahren war ich dagewesen. Zuletzt nämlich, und ich habe bei meinem Freunde gewohnt. Sie war damals siebzehn Jahr und sehr, sehr hübsch. Es war ein Vergnügen, wie sie gewirtschaftet hat im Hause, und wie die Kinder an ihr gehangen und ihr gefolgt haben, mehr wie der eigenen Mutter. Alles hat Schick gehabt, was sie angreift. Wenn sie nur das Brett angreift oder die Steine aufstellt mit den schönen, schlanken Fingern, und mein Freund hat ihr jeden einzelnen daraus nehmen müssen, so dienstwillig war sie und so eifrig. Und er sagt noch: ›Was Adolfi? Ein Prachtmädel!‹ und seine Augen leuchteten dabei ganz stolz, weil er sie doch erzogen hat, und sie wird über und über rot dabei und blickt zu Boden. Denn sie war leicht verlegen zu machen und schüchtern, und wenn er sie angesprochen hat, wo sie sich's nicht erwartet, so hat sie sich verfärbt und keinen Atem bekommen. Freilich nur vor ihm war sie so, weil er ein sehr ernster Mann war, und ich ihr immer sagte, wie viel Dank sie ihm schuldet. Und so was Schmeichlerisches hat sie an sich gehabt. Denn einmal, wie wir zwei spielen, so steht sie hinter mir und neigt sich über meine Schulter. Immer tiefer; und ich seh' endlich, wie ihr schwarzes Haar, unter dem die weiße Stirn so sehr blank hervorgeleuchtet hat, an den Kopf von meinem Freund rührt. Und warum nicht, Herr? Wie sein liebes und leibliches Kind – so war sie doch!

Und geschrieben hat sie mir im letzten Jahr sehr selten. Und wenn schon, so war so was drin, ich weiß kein rechtes Wort dafür. So wild und wieder ängstlich. Ich hab' jetzt ihre Briefe wieder gelesen – da hab' ich's gesehen, und damals nicht, und damals hätte ich zurück müssen nach Wien. Und jetzt – sie war noch hübscher, nur schmäler und wie abgehärmt. Aber das kommt gerade in dem Alter oft. Und mein Freund war gegen sie wie immer; aber sie war abwehrend zu ihm, und er hat sich gekränkt darüber; und zu mir war sie frostig. Und die Kinder haben was Freches an sich, und die Frau hat so was Spitzes an sich gegen sie gehabt, so etwas Lauerndes. Und sie hat sie behandelt jetzt mit übertriebener Höflichkeit und jetzt wie eine Magd. Aber so war sie immer gewesen; denn sie ist neidisch und geizig, gar nicht hübsch, und nur viel Geld hat sie. Ich denke mir also mein Teil und rede nicht erst ein Wort, sondern such' mir eine Wohnung und freu' mich insgeheim, wie ich mich in meinem Leben mit nichts mehr gefreut hab', komm' mit der fertigen Sache zu ihr und sag' ihr alles, wie ich's mir ausgedacht hab'. Und sie wird mir ganz blaß dabei und entgegnet mit keinem Laut. Am andern Morgen haben sie sie im Hof gefunden. Sie war schon tot. Das Begräbnis hat mein Freund bestritten.

Nicht einmal ein Bild hab' ich von ihr, Herr! Und ich weiß nicht, warum sie's getan hat. Von einer Liebschaft hätte man doch in dem Hause etwas wissen müssen, wo man sie den ganzen Tag unter Augen hatte. Wenn schon warum soll ein junges und hübsches Mädchen nicht wen lieb haben dürfen? Oder, weil mir mein Freund öfter ausgeholfen hat, hat man ihr vielleicht etwas gegen mich gesagt, daß sie die Achtung vor mir verloren hat und den Glauben an mich? Und verzweifelt ist an ihrem Vater? Herr! Und mit dem Kopf soll ich spielen!«

»Sie sollten sich ausruhen, Adolfi«, sagte ich erschüttert. »Ihre Freunde müssen Rat dazu schaffen. Sie gehen ja zugrunde.«

Er zuckte mit einer unsäglichen Gelassenheit die Achseln.

»Meine Freunde! Und ich will noch leben. Aber wovon sonst?«

Ein hartes Wort schwebte auf meinen Lippen. Ich zwang's nieder. Er aber hatte es schon begriffen und erfaßt. Und wiederum sehr leise: »Wozu lebst du? denken Sie sich. Aber ich lebe zu gern. Und ich kann nicht sterben. Noch nicht. Erst muß ich wissen: warum hat sie das getan und hat mich allein in der Welt gelassen mit einem verwüsteten Kopf und mit einem verwüsteten Herzen!«

Wir waren am Ende des Platzes, am Stromufer. Vor einem Kaffeehause flammte das nun bläuliche Licht der elektrischen Lampen, um über ein Weilchen sehr weiß aufzuzucken und durch die Nacht zu geistern. Er beruhigte sich mühsam, wendete sich von mir ab und schluckte heftig. Und dann: »Ich bin zu aufgeregt. Ich weiß, ich kann noch nicht schlafen. Wollen wir nicht einen schwarzen Kaffee trinken? Und« – seine Stimme sank bis zum Unvernehmlichen – »wollen wir nicht zur Beruhigung ein paar Partien Schach spielen?«

Wir zogen die Steine. Ich schlechter denn je. Denn ich hatte für nichts Sinn und Auge, nur für meinen Partner. Der spielte mit trommelnden Fingern, schnippend damit, an seinem Barte zerrend, die Zigarettenbüchse, aus der er sich im entscheidenden Augenblick eine drehte, neben sich, und überlegen wie immer. Nur seine Mundwinkel hoben und senkten sich häufig. Ich aber wußte nicht, ob in einem Nachklang der Bewegung von vorhin, oder sinnlose Worte murmelnd, wie das seine Gewohnheit im Spiele war.