Otto Julius Bierbaum
Samalio Pardulus
Otto Julius Bierbaum

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Otto Julius Bierbaum

Samalio Pardulus

Johannes Pauli, der ein Jude war, ehe er ein Barfüßermönch wurde, erzählt in seinem Buche ›Schimpf und Ernst‹ die sonderbar düstre Geschichte eines Malers, der ein Monstrum war: halb Mensch, halb Roß, hausend im wilden Walde, aber mit hoher Kunst gar wunderbar begabt. Doch wie seine Farben auch leuchteten und wie meisterlich immer seine Zeichnung ging: was er gestaltete, hatte die scheusälige Grimasse seines Urhebers. Nicht einmal den Heiland vermochte er anders als mißgestalt zu schaffen, dermaßen, daß man ihn eher für einen Teufel als den Sohn Gottes habe ansehen müssen. Daher denn Christus selber ergrimmte und dem malenden Ungetüm erschien, ihm seine Schönheit zu zeigen und ihm ins Gemüt zu reden.

Daß er dabei gesprochen hat, wie es der Barfüßer berichtet: nämlich nicht anders, als wie ein junger Herr, der, von seiner Schönheit eingenommen, die Leistungen seines Photographen nicht vorteilhaft genug findet, ist schwer zu glauben. Eher hat noch die Antwort des schlimmen Malers glaubliche Haltung: Daß er nichts als Vergeltung übe an dem, der zuerst ihn als Scheusal geschaffen habe. »Wahrlich, wär ich es mächtig, dir Härteres anzutun, als böse Bilder – ich tät's mit Lust.«

Da ergrimmte der Herr, nach des Mönchs Bericht, in großem Zorne und stieß mit seinen Händen das Malgerüst um, auf dem Samalio Pardulus stand, daß es ihn unter sich erschlug, und sprach: Talem perpetrat verdictam, qui per ipsam perdit vitam.

Hat dieser Johannes seinen Jesus recht gekannt? Hat er um den Maler Bescheid gewußt? Nein, er wußte weder von Gott noch von der Kunst.

Die Geschichte von Samalio Pardulus nach den Quellen und nach dem Geiste ist so:

Ja, er war ein wildhäßlicher Mensch: über die Maßen lang und dürr, dazu schiefschulterig und lahm; und hatte einen lächerlich spitzen Kopf voll kraußborstiger schwarzer Haare, die bis tief in die faltige Stirn hineingewachsen waren; aber keinen Bart um die schmalen, gleichsam verwelkten Lippen, und auch die gelben, schlotterigen Wangen waren ganz bloß wie bei einem Kinde. Dafür lagen wie zwei dicke Raupen, die sich ineinander verbissen haben, dichte, stachelige Brauen über den kugelig hervorstehenden, braungrünen Augen, und seine knochigen, langen Hände waren dicht behaart. Auch aus den viel zu großen und abstehenden, dabei pergamentfarbenen Ohren wuchsen Haarbüschel heraus, und nicht minder aus den abscheulich weiten Öffnungen der Nase, die im übrigen übermäßig lang und an der Spitze schnabelartig überhängend war. Ein Roßmensch war er aber nun doch nicht und lebte auch nicht eigentlich im Walde, sondern in einer der Burg an Burg, Turm an Turm, wie aus Zyklopenquadern zusammengehäuften Städte des Albanergebirgs: zu jener Zeit, da es niemals Frieden gab, sondern immer der Krieg den Rachen offen hatte, sei es, daß unter den Geschlechtern Streit war oder zwischen diesen und den Bürgerlichen.

Indessen lebte man darum keineswegs traurig, sondern, ob auch in steter Unsicherheit, mutig, ja lustig dahin, immer darauf gefaßt, dem Leben schnell Lebewohl sagen zu müssen, aber entschlossen, bis zum Ende des großen Abenteuers frisch und derb zuzulangen nach allem, was Gott oder Teufel auftafelte. Zwischen Laster und Tugend, Tod und Wollust, Kampf und Schmaus aber gingen in Kapuzen und Sutanen Mönche und Priester dunkel umher und hatten für alles ihre lauten oder leisen Worte, und in den Kirchen knieten Freund und Feind nebeneinander, mit den Nüstern schwülen süßen Weihrauch atmend, mit den Ohren Geheimnisse vernehmend aus herrischen, aber wie auf Wolken göttlicher Verheißung schwebenden Tönen und mit den Augen umfangend die königlich strenge, jedoch auch mütterliche, jedoch auch bräutliche Schönheit der goldumloderten Madonna.

Samalio Pardulus, seinem eigentlichen Namen nach der Sproß des ältesten und mächtigsten Geschlechtes der Stadt, das sich auf altrömischen Ursprung zurückführte, war weder bei den Rittern noch bei den Geistlichen, weder bei den Kämpfen noch bei den Schmäusen: war auch in der Kirche nicht zu sehen. Er nahm nicht teil am Leben seiner Tage, war im Gefühle tot für alles, was jenen Menschen Glück oder Unglück hieß. Und hatte auch nicht Freude an sich selbst.

Kannte nur eine Lust: allein zu sein und um sich herum eine neue Welt zu bilden aus Gestalten seiner Einbildung, der eine starke Kraft zu Gebote stand, sich in Bildern darzustellen.

Das Handwerk hatte er von einem Manne aus Florenz gelernt, der, aus der Heimat um Parteifeindschaft willen vertrieben, der Geheimschreiber seines Vaters geworden war: ein schweigsamer Mensch, dessen Augen voller Klage und Heimsucht waren. Was dieser mit Pinsel und Farbe vermochte, hatte er auch bald vermocht. Aber er wollte mehr. Denn jener, der das Malen nur erlernt hatte, um sich, da er noch reich und ein großer Herr gewesen war, müßige Stunden zu vertreiben, malte nur, was die Meister seiner Vaterstadt schon einmal gemalt hatten, und er gedachte gar nicht, es ihnen gleich zu tun oder gar mehr als sie. Indem er malte, dachte er an Florenz und schuf sich ein blasses Abbild des Schönen, daraus er vertrieben worden war. Samalio Pardulus aber (wir wissen nicht, welche Bewandtnis es mit diesem Namen hat) hatte keine Kunst fremder Meister gesehen (denn die schlechten Bilder in den Kirchen und Häusern seiner Stadt waren nicht meisterlich), und so gedachte er an nichts Fremdes: nur an das, was in ihm selber war und das er innerlich sah als etwas ganz ihm Eigenes, nicht zugespiegelt aus fremder Kunst, am wenigsten der seines Lehrers. Seine innerlichen Gesichte aus sich herauszustellen, die schwankenden fest, die verwehenden dauerhaft zu machen, war sein Begehren.

»Daß ich Genossen hätte, male ich«, sagte er einmal zu seinem Lehrer, »ich male, daß ich nicht ganz allein sei. Könnte ich nicht malen, so würde ich mit Huren Kinder machen: aber mit den schamlosesten und wüstesten. Ja, mit Tieren, wenn es die Natur zuließe. Nur, daß ein anderes Volk um mich herum wäre, als dieses, das mir greulich fremd ist.«

Messer Giacomo, der weder solche Worte vernommen, noch Bilder gesehen hatte, wie die seines wüsten Schülers, und dem es eine Art schreckhaften Ergötzens war, in der Langeweile seiner Verbannung sich mit dem »mostro« zu beschäftigen, schrieb in seinem (übrigens langweiligen, weil gar zu eintönigen) Diario, das man später im Archive des Schlosses Certaldo alto aufgefunden hat, als das alte Gemäuer in den Besitz des Staates überging, getreulich alles auf, was er »nella selva«, im Walde draußen beim »centauro«, wie er seinen Schüler nannte, sah und hörte. Es scheint, daß er später in seine Heimat zurückgekehrt ist und in jenem Schlosse zwischen Florenz und Siena seine Tage beschlossen hat. Unter den über dem Schloßportale heute noch sichtbaren Wappen der verschiedenen Geschlechter, die einander im Besitze von Certaldo alto folgten, befindet sich auch das seine. Weiter wissen wir nichts von ihm. Wenn aus dem übrigen seines Tagebuches nicht hervorginge, daß er ein grundnüchterner Mann gewesen ist, der sich nicht mit Phantasiebeschäftigungen abgab, sondern, seine kleine Pinselliebhaberei abgerechnet, ganz in den realen Interessen aufging, die ihn zum tätigen Parteimann machten, so könnte man glauben, er habe sich diesen Samalio Pardulus erfunden, gewissermaßen, um sich auch als Poeten zu versuchen. Aber die Art, wie er den Äußerungen des seltsamen Menschen (gemalten wie gesprochenen) immer den Kommentar eines unerschütterlich mittelmäßigen Besserwissertums und biederer Philistrosität anhängt, läßt diesen Verdacht nicht aufkommen. Wir dürfen, wie wunderlich auch das meiste erscheinen mag, was er berichtet, mit Sicherheit annehmen, daß der Herr von Certaldo alto den »Zentauren« wirklich und leibhaftig gekannt, jene wilden Bilder gesehen und alle die Worte vernommen hat, die er, stets mit Äußerungen des Entsetzens, mitteilt.

Wir folgen seinen Aufzeichnungen in allem wesentlich getreu und nehmen nur da das Recht in Anspruch, aus seinen tadelnden Kommentaren das Bild des »Scheusals« in einem Sinne zu ergänzen, der mit Messer Giacomos Meinungen nichts gemein hat.

Einiges sei in wörtlicher Übertragung hergestellt. So, was der Toskaner über Samalios Kunst und Wesen im allgemeinen sagt:

»Es ist ein sonderbares Ding um die Kunst dieses ungebärdigen Menschen. Sie ist voller Lästerung des Lebens, das in ihr nicht von Gott zu sein scheint, sondern vom Teufel. Malt er den Wald (wie er insonders gerne und nicht ohne Geschick tut), so ist es, als ob der Bäume ein jeder dämonisch besessen wäre; kein Pflanzenwesen, sondern ein Tier, und alle zusammen sind wie eine Versammlung von Gespenstern, daß man sich fürchtet, in das Dunkel hineinzusehen, das wie aus ihnen innerst herauskommt: aber nicht schwarz, sondern bräunlich. Er hat, genau wie sie um sein Kastell im Felsgebirg stehen, Pinien gemalt, welche doch freundliche Bäume sind, von edler Liniatur und eigentlich wohltätig, da sie von oben Schatten geben, aber, des fehlenden Unterästichts halber, der Luft den Weg nicht sperren. Bei ihm aber sind sie Ungetüme, die mit borstigen Schädeln wider einander rennen. Nicht so, als ob er ihnen Gesichter malte. Das wäre am Ende lustig. Sondern es sind Schädel von Riesen, die noch niemand sah, von Riesenwesen aus Baumart und doch tierisch. Sie sind bös und alle untereinander feind. Es ist, als ob sie sich gegeneinander stemmten mit diesen wilden Köpfen, daß sie so, ihre Kräfte vereinigend, mächtig würden, ihre Stämme aus dem Erdreich zu reißen. – Nicht anders macht er es mit Tieren und Menschen. Gott schuf sie, wie wir alle sie sehen. Dieser Ungestalte bildet sie ungestalt. Seine Pferde sind langhaarig wie Ziegen, und man möchte zugleich glauben, daß sie auch von Ebern stammten. Nie malt er sie anders als rot und schwarz gefleckt. Doch eine Schimmelstute hat er gemalt, das Schamloseste, das je erdacht worden ist: ein Pferd mit Menschenhaut, ganz ohne Haar, bis auf eine Stelle, die er zum Mittelpunkte des Bildes gemacht hat. Das Tier, das Menschentier, biegt den Hals in einer schmerzhaft-unmöglichen Linie um und wendet so dem erschreckten Betrachter seinen Kopf zu, der zwar der Kopf eines Pferdes ist, aber so mit den Zügen eines Weibes vergattet, daß man die Augen niederschlagen muß. Denn es lacht auf eine schändliche, buhlerische und doch höchst klägliche Art. Es hat entzündete blaue Augen. Dafür hat er ein Weib gemalt mit dem Fell einer blau und schwarz gestreiften Katze. Dieses Weib reitet auf einem Manne, der das Zottelhaar eines weißen Schäferhundes hat und vorstehende Raffzähne gleich dieser Hundeart. Es reitet verkehrt auf ihm, sich mit beiden Händen an die buschige Rute ankrallend. Und der Hund-Mann hebt den Kopf nach Art eines heulenden Rüden, der die Matz wittert.

Fragte ich ihn, was alles dies bedeute.

Antwortete er: ›Nicht weniger und nicht mehr als das, was Eure Welt ist: meine.‹

Sagte ich ihm: ›Das heißt Gott höhnen.‹

Antwortete er: ›Niemand höhnt Gott mehr, als Gott sich selber verhöhnte, wie er den Menschen nach seinem Ebenbilde erschuf. Schaut mich an und sprecht: Sieht Gott so aus?‹

Schwieg ich aus höflicher Rücksicht.

Lachte er (was nun bei ihm Lachen heißt: ein Zucken um die Mundwinkel) und sprach: ›Oder, wenn Ihr ins Glas seht: Seht Ihr Gott gespiegelt?‹

Entgegnete ich (mit gerechtem Fuge streng): ›Nicht also ist jenes Wort der Schrift gemeint. Gott ist das vollkommen Schöne, wir nur unvollkommene Abbilder, verzerrt obendrein durch die Erbsünde und den Fluch darauf.‹

Lachte er nochmals (und ganz abscheulich), also sprechend: ›So wäre Gott ein Stümper oder hätte getan, was ich tue.‹

Ging im Gemach herum und rieb sich die Hände, daß es knackte, wie Holzscheite. Blieb plötzlich stehen und sah mich mit verkniffenen Augen an. Und schrie: ›Der Fluch! Die Sünde! Was heißen diese Worte? Daß er Fratzen braucht, sich zu vergnügen: Euer schöner Gott! Denn (und das sprach er leise, gar ernsthaft) als Stümper ist er nicht zu denken.‹

Warf sich ins Gestühl und starrte ins Deckengebälk, dorthin, wo der greuliche Leuchter hängt, den er in der Grabhöhle der Heiden gefunden hat: Ist als eine große Sonnenblume gebildet, aber jedes Blatt hat die Form der weiblichen Scham, daß jede Kerze, darein gesteckt, zum Phallus wird.

Saß lange schweigend, bis er sprach: ›Nein, kein Stümper. Sondern wahrlich Gott: wahrlich Künstler. Und wir bloß Affen seiner Kunst. Aber (und dies rief er wieder laut, hell, wütig, indem er aufsprang): Alles dürfen wir, was er darf: alles. Und sind ihm um so ähnlicher, je mehr wir die göttliche Freude an der Fratze haben: diese Freude des großen Zorns, aus dem allein die Lust des Schaffens kommt. Denn die Liebe ist das Ekelhafte, ist das Sichbegnügen mit dem, was da: was langweilig, immer das Gleiche, verflucht und noch einmal und in alle Ewigkeit verflucht das Gleiche ist. Vulva und Phallus. Das ist für die Herde; im Schweinekoben und im Fürstenbette dasselbe. Aber einigen ist es gegeben, sich wie Gott selber zu vergnügen, weil sich Gott in ihnen am meisten vergnügt, da sie die vollkommensten Fratzen seiner selbst sind. Das sind die Künstler. Sie wissen, daß Gott die Welt nicht aus Liebe erschaffen hat, sondern aus Not... Gott! Was ist Gott? Was... wäre Gott? Gott wäre die Einsamkeit.‹

Trat ganz nahe an mich heran, und seine Augen waren fürchterlich, als er sprach: ›Vernehmet, Mann aus Toskana, und bewahrt es wohl, denn es ist die Wahrheit: Gott war tot, als er die Welt schuf. Als er lebte, war nichts um ihn: Er war das All, die unbewegte Leere, das vollkommene Nichts, das ist: das einzig mögliche Vollkommene. Doch wäre er nicht Gott, nicht Geist gewesen, wenn ihm diese Ewigkeit, diese scheußlich vollkommene Ewigkeit genügt hätte. Es kam die Not des Wollens über ihn, und er beschloß zu sterben, daß aus seinem Tode die Welt, aus seiner Einsamkeit die Vielheit des Lebens würde: Nicht anders, als wie aus einem Leichnam Würmer werden.‹

Ich entsetzte mich über diesen Unflat schändlicher Einbildung, schlug dreimal das Kreuz und erhob mich, zu gehen. Er aber legte seine beiden harten Hände auf meine Schultern, daß mir nicht anders war, als wenn Satanas mich verderben wollte, und drückte mich ins Gestühl.

Und sprach: ›Höret nur weiter! Es ist nicht gut, die Wahrheit halbet zu vernehmen. Auch ist nicht gottlos, was ich Euch sage. Denn seht: Ob Gott auch tot ist: die Welt ist dennoch göttlich, da sie von ihm ist. Zwar sind die Kreaturen nur Würmer, die von seinem Tode leben, aber es ist doch göttliche Nahrung, die sie erhält.‹

Ich raffte mich auf und verwies ihm sein Gerede, indem ich ihn einen heidnischen Sophisten hieß.

Er schüttelte den Kopf: ›Was mich von eurer Art Christen unterscheidet ist nur, daß ich von Gott einen zu göttlichen Begriff habe, um vermeinen zu können, daß diese langweilige Welt des ewig Gleichen sein Leben umfassen oder ausdrücken könnte. Ich denke von Gott so hoch, daß mir sein Totes noch göttlich genug deucht für unsereins, ja als das einzig Göttliche, das wir vertragen können. Gott und Welt: Einsamkeit und Leben verträgt sich unmöglich. Und seht doch: Ist das nicht christlich gedacht, daß er für uns starb? Und was sage ich mit den Würmern anders als dies: daß er uns die Erbsünde vermacht hat?‹

›Ihr spottet‹, rief ich laut, ›und spottet Euch um die ewige Seligkeit! ‹

›Damit ist es freilich nichts‹, sagte er ernsthaft, ›denn Gott hat sie selber aufgegeben: Auch er vermochte es nicht, sie zu ertragen. Das war ja seine Not, die ihn zu sterben, als Gott zu sterben und im Gewürme weiter zu leben zwang. Die große Not der Langeweile war es. Jetzt ist er ihrer ledig. Der tote Gott vergnügt sich in der Vielheit von Fratzen, in denen er lebt; und wenn es auch gewiß ein zorniges Vergnügen ist, so ist es eben darum göttlich. – Hier, bei mir (er wies um sich), hier, in mir (er schlug sich auf die Brust) ist ihm am wohlsten. Denn meine Welt ist nach seinem Rezept gemacht, und ich sterbe gleich ihm einen Tod der zornigsten Not.‹

Indem er dieses sagte, war mir, als ob in seinen Augen etwas glömme: Ich weiß nicht, war es Wahnsinn oder Begeisterung.

Die Madonna sei ihm gnädig! Er spricht nie von ihr, und, ob er sich mit seinem Malgeräte auch an allem vergreift, was uns heilig, ihm aber nur ein Anlaß zu schändlicher Fratzerei ist: sie malt er nie.«

*

Das Kastell, in dem Samalio die meisten seiner Tage und Nächte verbrachte, lag abseits der Stadt auf gewachsenem Fels, in den Terrassen eingehauen waren. Aber bis nahe dorthin, wo der Stein sich nackt emporhob aus dem Erdreich, stand starker Wald: Steineichen, Pinien; auch Zypressen und Kastanien. Es waren mächtige, herrische Bäume, die es nicht duldeten, daß Kleines neben ihnen aufkam. Nur der Blitz durfte die Riesen fällen oder das Alter. Dann wuchs aus ihrer Fäulnis das Neue. Es gab allerlei wildes Getier dort: vornehmlich Wildkatzen und Luchse, am allermeisten aber Geier und Eulen. Nachts, so berichtet der Toskaner, war es lauter um das Schloß als bei Tage. Denn, so sagt er: »Da es dunkelte, wachten die Räuber auf, denen tagsüber selbst der finstere Wald zu helle war, und riefen einander oder kreischten auf beim Mord: der Luchs, heulend wie ein Wolf, der rote Wildkilling, tückisch jaulend; aber am fürchterlichsten die große Ohreule mit ihrem tiefen U–hu, das wie Klage tut, aber Blutgier ist.«

Doch behagte gerade dieses Nachtkonzert der Unholde dem Mißgestalten, der von sich behauptete, gleich Luchsen, Katzen, Eulen nachts besser zu sehen als bei Tage, weshalb er sich erst bei Tagesgrauen zur Ruhe begab und bis zum hohen Mittag schlief.

»Die braune Nacht«, so sagte er, »hat tiefere Farben als der milchige Tag. Sie schillert nicht, sie glüht. Ihr Braun ist eigentlich altes Gold, gemischt mit dem Rot geronnenen Blutes. Auch ist ein tiefes Veilchenblau dabei. Zuweilen haben alle Konturen tief purpurne, zuweilen tief orangefarbene Lichtabgrenzungen. Auch Schatten gibt es noch in der dunkelsten Nacht: Sie sind das Wunderbarste an Farbe; aber auf der Palette gibt es dieses Braun der tiefsten, ganz schon geistigen Tiefe nicht. Es ist, als ob die Nacht dieses Braun träumte.«

Er malte nur in diesen, nur von ihm gesehenen Nachtfarben, und so darf man es dem Toskaner glauben, daß Samalios Bilder waren »wie aus einer anderen Welt, die das Licht nicht von unserer Sonne hat: Man mußte glauben, sie hatten es aus den Augen dieses Nachtmenschen, der, obzwar bei Tage (doch nur in der Dämmerung) malend, immer nur nächtige Bilder schuf, als ob es keinen Tag gäbe. Indessen waren unter seinen Tafeln solche, in denen eine unbeschreibliche dunkle Glut bebte, vergleichbar dem Lichte, das in manche Edelsteine eingeschlossen zu sein scheint, die noch im Finstern leuchten.«

Danach könnte man meinen, daß Messer Giacomo die Bilder Samalios in den Farben schön gefunden habe. Doch weit gefehlt. Er nennt ihre Farben bald »höllisch«, bald »grausam«, dann einmal »blutrünstig«, wieder einmal »schändlich geil«, einmal sogar »himmelschreiend bäuerisch und barbarisch, ohne jedes Gefühl für Feinheit und Würde«. Sie »tun dem gebildeten Auge weh und rufen Angst und Schrecken hervor, anstatt daß sie erheitern«.

Der Toskaner hatte von sich aus zweifellos recht, aber ebenso zweifellos ist, daß Samalio nicht gemalt hat, um Messer Giacomo zu erheitern. Es lag ihm nicht einmal daran, daß der Herr von Certaldo alto sie ansah. Wir wissen es von diesem selbst, daß er stets ungeladen das Kastell besuchte. »Ritt wieder einmal zur Zentaurenburg, um mir die Grillen zu vertreiben. Wurde übel empfangen, sah aber doch Neues. Wie immer: Greuel über Greuel. Die große Tafel aber will er noch immer nicht zeigen.«

Von dieser wird noch zu handeln sein.

Vorerst möge aus des Toskaners Aufzeichnungen zusammengestellt werden, was etwa weiter dazu dienen kann, uns einen Begriff vom Wesen und Leben dieses wunderbaren Menschen zu vermitteln.

Aus diesen Notizen fügt sich das Bild eines Précurseurs des Rinascimento, jedoch ohne die bewußte Tendenz zur Antike.

Alle geistigen Strömungen bereiten sich vor, versuchen sich gewissermaßen in unzeitgemäßen einzelnen. Ehe sie zum Schicksale einer Zeit, ehe sie Epoche werden, treten sie gewissermaßen als Ferment in den Schicksalen einzelner auf, die damit zur Einsamkeit verurteilt sind und, meist ohne jede sichtliche positive Wirkung, eine Bestimmung erfüllen, deren Sinn wir nicht begreifen.

Er hat dies selbst gefühlt. Eines Abends sagte er zu seinem Lehrer, der ihm berichtet hatte, daß das Volk ihn für einen Zauberer hielte: »Bin ich etwa keiner? Lebe ich nicht das Kommende voraus? Ist es nicht Zauberei, daß ich bin, als wäre ich mein Urenkel?«

»Wie das?« fragte der Toskaner.

Und Samalio antwortet: »Jeder von euch hat den Glauben des anderen; jeder von euch ist Nachbar: Stütze und gestützt; keiner von euch ist frei: eine Kraft für sich. Ihr seid alle durch einander bestimmt und findet das füglich. Selbst die Gewalttätigen, die sich Herren heißen, handeln mit Rücksicht auf andere, sei es auch nur, daß sie über andere herrschen wollen. Für mich gibt es keine anderen. Ich kenne euch nicht. Ich kenne nur mich. Ich bin so weit von euch entfernt, wie von den Menschen, die den Turm von Babel bauten. Ich habe einmal davon gehört (als ich ein Kind war), daß es Menschen gibt außer mir, aber ich habe einsehen gelernt, daß das ein Irrtum ist. Dieses Märchen ist nur wahr für die, die keine Wirklichkeit in sich haben. Wer sich begriffen hat, weiß, daß er allein ist.«

»Als ich dies hörte«, fügt hier der Toskaner bei, »war mir einen Augenblick wahrlich zumute, als sei dieser Wahnsinn Wahrheit. Daran waren die (Gott verzeih mir die Sünde) verfluchten Augen des Scheusals schuld, deren Blicke mich wie glitzernde Fäden umspannten. Ganz sicherlich: Er ist mit dem Bösen im Bunde. – Aber ich machte mich frei und rief: ›Wie? Denkt doch an Euren Vater, an Eure Mutter!‹«

Darauf hat Samalio erwidert: »Vater und Mutter sind nicht außer mir, sondern in mir; und nicht nur sie, sondern alle, von denen sie gekommen sind. Und nicht nur die, sondern alle Menschen, die je waren. Dies eben ist es, Mann: Wer wirklich einer ist, ist alle – und braucht darum keinen.«

Trotzdem berichtet Messer Giacomo, daß Samalio »von einer entsetzlichen Liebe« geplagt worden sei.

»Alle wissen es«, schreibt er, »und alle verabscheuen ihn darum noch mehr als um seiner Scheußlichkeit willen: daß er in unziemlicher Liebe entbrannt ist gegen seine leibliche Schwester Bianca Maria, die so schön wie er häßlich ist. Sie wäre wert, daß man nach ihrem Antlitz die Madonna malte, denn auf ihm ist alle Holdseligkeit und Schöne vereinigt. Zweierlei nimmt mich wunder: daß diese beiden Geschwister sind und daß er, das Ungetüm, es wagt, seine Blicke zu ihr zu erheben, deren Schönheit ihn, meine ich, doch eher mit Haß und Neid erfüllen müßte. Gepriesen sei Gott, daß das engelhafte Mädchen ihn verabscheut. Man sagt (und ich erachte es nicht für unmöglich, obwohl es nur ein Gerede ohne sichern Anhalt ist), daß er sie nachts in ihrer Kammer überfallen habe: doch ohne seinen nichtswürdigen Zweck zu erreichen, denn sie habe ihm mit dem großen Kruzifix, das über ihrem Bette hängt, einen Streich quer über die Stirne versetzt, wovon er (was ich selber wohl gesehen habe) eine tiefe Wunde davontrug. Und folgenden Tages (was wiederum zutrifft) sei er aus der Stadt gewichen, und seither rührt sein dauernder Aufenthalt draußen im Walde. Sie aber ist seitdem verzagt und seltsam schüchtern, derart, daß sie aller Männer Antlitz flieht; und hat sich ohne Widerrede auf Geheiß ihres Vaters einem Edelherrn aus der Nachbarschaft verlobt, dessen Antrag sie vorher zurückgewiesen.«

Es findet sich (begreiflicherweise, denn darüber hat Samalio sicherlich nie gesprochen) in dem Tagebuche des Toskaners keine Äußerung des Malers über seine Schwester. Doch ergeben sich bei genauerem Zusehen Zusammenhänge, die dem Berichterstatter offenbar nicht zum Bewußtsein gekommen sind.

Wir finden folgendes: »Fragte ich den Zentauren, warum er nicht die Madonna malte.

Antwort: ›Weil es unmöglich ist.‹

Wiederfrage: ›Haben es doch schon Tausende getan?‹

Antwort: ›Weil sie sie nie gesehen haben.‹

Ich: ›So hättet am Ende Ihr sie gesehen?‹

Er: ›Wohl.‹

Tat ich erstaunt und frug: ›Ei: im Traume?‹

Antwortete er: ›Es ist kein Unterschied zwischen dem, was Ihr in Traum und Wirklichkeit spaltet.‹

Sagte ich: ›Nun: man träumt im Schlafe und sieht wach.‹

Betrachtete er mich erstaunt: ›Und der Unterschied?‹

Ich konnte es ihm nicht erklären, oder, wie ich besser sage: er stellte sich an, als begriffe er nicht, was doch auf der Hand liegt (wie es denn immer seine Art ist, Selbstverständliches unverständlich zu nennen). Also blieb mir verhohlen, wie das mit der Madonna gemeint.«

Ein andermal: »Fand ihn vor einem gar schändlichen Bilde. War der Christ am Kreuze zwischen den beiden Schächern. Es graute mir, als ich sah, daß er sich selbst als den Gekreuzigten gemalt hat, aber, so dies möglich, noch scheusäliger, als er wahrlich ist. Und war über und über voll Blutrunst. Hing ihm aus der Wunde vom Spieße des Lanzknechts geronnenes Blut traubendick und von der Schulterwunde wie rote Maiskolben. Saß im Brusthaar wie Grind. Hatte sich im Schamtuch ekel gesackt. War wie der geschundene Marsyas.

›Dies ist nicht Jesus‹, schrie ich auf, ›dies ist der Teufel Oberster, den Ihr vor dem Spiegel gemalt!‹

Denn ich war sehr zornig. Er aber schien keineswegs beleidigt, sondern lächelte und sprach: ›Wisset Ihr nicht, da Ihr ja doch auch mit Farb und Pinsel hantiert: daß jeglicher nichts malen kann, als sich selbst? Wenn ich spreche, so bin ich der Ton; wenn ich sehe, ist's mein Gesicht; mal ich, so kommt nichts auf die Tafel als immer ich. Da ich nur ich sein kann, was könnte anderes von mir kommen als ich? – Christus! Wer ist das? Immer der, der ihn fühlt, von ihm redet, ihn malt. Was schüttelt Ihr Euch und tut entsetzt? Kennt Ihr die Schrift nicht? Wisset Ihr nicht, daß er sich allen gegeben hat? Nun: so auch mir. Und dieser da (er wies zur Tafel) ist wahrlich der meine, so ganz und gar, daß wir beide ein und derselbe sind.‹

Daß ich es gestehe: ich bebte vor großem Zorn und rief: ›Von Sinnen seid Ihr, und ich müßte Euch vors geistliche Gericht bringen, wüßte ich nicht, daß Wahnsinn aus Euch phantasiert.‹ Er fuhr sich durch sein stachelig Haar und murmelte etwas, wovon ich nichts verstand als: Noch nicht, noch nicht!

Dann sagte er, ganz ruhig: ›Mensch! Mensch! Weißt du nicht, daß alles Große Wahnsinn ist? Als die Liebe Wahnsinn wurde, schlug man sie ans Kreuz. Holla! Seitdem ist sie tot. Nun ist Raum für den Zorn... Doch das versteht Ihr nicht. Sonst würdet Ihr's aus meinem Bilde lesen, darauf es deutlicher steht als auf allen andern Tafeln des Crucifixus. Doch steht es auf allen, selbst den ganz lästerlichen: die da lächeln.‹

Mit einem Male schien es, als wollte er mir zu Leibe. Er schritt auf mich zu, die kleinen Augen so verkniffen, daß die Blicke aus einem Schlitze schossen, stieß mir die Faust auf die Brust und schrie: ›Tolle Hunde haben mehr Gefühl für das Opfer auf Golgatha als Ihr, die Ihr aus einem Löwen ein Lamm gemacht habt. Es tut Euch wohl, sein blutiges Vließ zu krauen. Es tut Euch wohl, Wasser aus den Augen zu lassen über den, der Blut aus seinem Leibe ließ für Euch. Es tut Euch wohl, aus dem Größten eine Puppe gemacht zu haben, damit Ihr spielen könnt!‹

Ich wollte gehen. Aber er hielt mich fest. Und schleppte mich zu dem großen verhangenen Bilde. Dort ließ er mich los und stieß mich in einen Stuhl.

Und sprach: ›Hast Du vernommen, daß nachts Geister kommen, mich zu besuchen?‹

Ich hatte es vernommen und antwortete so, fügte aber hinzu, daß ich es nicht glaube.

›Es ist!‹ rief er.

Ich schlug das Kreuz.

›Laßt den Gestus!‹ sagte er ruhig. ›Der Geist, der zu mir kommt, ist nicht höllisch. Christus selber ist hier jede Nacht und mit ihm die Madonna.‹

Gott verzeihe es mir und alle seine Heiligen, daß ich dem Scheusal nicht in seine Lästerfratze spie, sondern bloß, aber unerschrocken, sagte: ›Das lügt Ihr!‹

Da sah er mich groß an und ergriff den Zipfel des Vorhanges und sprach: ›Knie nieder!‹

Ich glaubte nicht anders, als er wollte mich heißen, den Teufel anbeten, und weigerte mich des.

›Knie!‹ knurrte er und griff nach dem Dolche.

›Die Sünde kommt auf Euch‹, stöhnte ich und ließ mich auf die Knie nieder, Gottes Hilfe herbeirufend durch fleißiges Kreuzschlagen.

Als ich die Ringe des Vorhanges kreischen hörte, senkte ich den Kopf und schloß die Augen feste, ja nichts zu sehen. Und war des Bestimmtesten entschlossen, nicht freiwillig Kopf und Blick zu erheben.

Mir ist, als hätte ich lange so auf den Knien gelegen, die Augen also feste zugedrückt, daß vor den geschlossenen goldene Sterne und Scheiben tanzten. Auch rann mir Schweiß von der Stirne über die Lider, und es war, als wollte er mir die aufbeizen, da er in die Augen drang mit seiner Schärfe.

Dies weiß ich jetzt. Da ich aber voller Ängste lag, glaubte ich, es fräße höllisches Feuer an ihnen. Und ich wimmerte sehr.

Erst als ich seine Schritte von mir gehen hörte, wurde mir etwas mutiger. Ich hob den Kopf, jedoch nach rückwärts gewandt, dorthin, wo der Schreckliche nun in einem Stuhle saß und über mich weg zu dem Bilde blickte, die rechte Hand über die Augen schirmend, wie Maler ihre Tafeln aus der Ferne anzusehen pflegen.

Und er murmelte, als sei ich gar nicht da: ›Es will nicht glühen wie in der Nacht. Die Purpurspitzen ihrer Brüste sind noch tot. Das Fleisch ist viel zu hell. Im Haar zu wenig Brand noch. Als meine Hand darüber fuhr, hat es geknistert. Das dort ist Werg, nicht Leben. Sonst... ist... sie... schön.‹

Er atmete schwer und laut und ließ die Hand sinken. Und merkte nun mich. Stand auf und schritt schnell her, griff über mich weg und riß den Vorhang wieder vor das Bild.

›Steh auf!‹ herrschte er mich an. ›Danke deinem Gotte, daß er dich davor bewahrt hat, das zu sehen, was meine schamlose Raserei dir enthüllt hat. Denn wisse: Auf dieser Tafel ist die Madonna in Wahrheit, vom nackten Leben leibhaft, geisthaft hergerissen mit der Brunst meines Auges. Würdest du sie gesehen haben, hätten dich diese meine Hände erwürgt. Und nun geh und schrei es auf den Gassen aus, daß Samalio Pardulus die Madonna nackt gemalt hat, reitend auf einem Zentauren mit den Zügen ihres Sohnes, der ihr Bruder ist. Und daß er mit ihr wegsetzt vom steinigen Felsen Golgatha über einen Abgrund voller Blut, aus dem die Spitzen von Domen ragen zu einem Schlosse von veilchenfarbenem Amethystquarz, bewacht von den Tieren der Apokalypse, und daß dieses Schloß der Sarg Gottes ist, in dem Samalio wohnt und wacht, daß keine Würmer zu ihm kommen.‹«

Man darf es dem Florentiner glauben, daß er nach diesen Worten »das Weite gesucht hat, wie einer, dem der Böse auf den Fersen ist.« Trotzdem hat er nicht den Angeber gespielt und seine Erlebnisse niemandem vertraut als den Blättern seines Buches.

Aber auch ohne seine Mithilfe wurde es ruchbar, daß nächtlicherweile Unheimliches sich begab auf dem Schlosse im Walde.

Da Samalio nachts niemand bei sich hatte als einen alten halbblinden und ganz stummen Diener, so konnten die Gerüchte nicht aus dem Schlosse kommen. Sie entstanden in der Stadt selbst, im Hause der Eltern des Malers.

Seit diese wegen der bevorstehenden Hochzeit der Tochter zu mächtigen Verwandten des Bräutigams nach Rom gereist waren, ging es im Palazzo Nacht für Nacht um. Unnötig, all das zu erzählen, was die erschrockene Dienerschaft allnächtlich gesehen und gehört haben wollte. Übereinstimmend wurde dies berichtet:

Allabendlich, sobald es ganz finster geworden war (man befand sich im Dezember, und es war ein nebliges Wetter ohne Mondschein), kam den steilsten Steg zur Stadt heran, den sonst nur die Ziegenhirten nahmen, ein riesiges schwarzes Pferd, auf dem ein hagerer Mann saß, gehüllt in einen schwarzen Mantel, auf dem schwarzbärtigen Kopfe einen breitkrempigen Kegelhut. Man hätte, wäre nicht der Bart gewesen (und das andere, das nur Gespenstern eigen ist), meinen können, es sei Samalio. Doch war es sicherlich ein Gespenst, denn aus dem Mantel, daher, dorther, und von seinen Schultern leuchteten gelbe Lichter, und grüne Lichter liefen neben dem Pferde. Der Wachtturm des Hauses, das wie alle Häuser der adeligen Geschlechter mehr eine Burg als ein Palast war, stand auf der Stadtmauer, und auf seinem Umgang befand sich, wie auf den eigentlichen Mauertürmen, die ganze Nacht hindurch ein Wächter. Nur er konnte die Erscheinung verfolgen, sobald sie der Mauer nahe gekommen war. Denn die übrigen Fenster des Palastes, der von der Mauer etwas abstand, gewährten keinen Blick dorthin. Auch hätten wohl weder Männer noch Frauen den Fürwitz gewagt, das Gespenst nahe zu betrachten, da es schon entsetzlich genug anzusehen war, wie sich, sobald Pferd und Mann in den Schattenbereich der Mauer gekommen waren, die gelben Lichter aus dem Mantel und von den Schultern des Mannes in die Lüfte erhoben und das Haus zu umschwirren begannen, während die grünen Lichter in weiten Bogen den Raum vor dem Turm umkreisten. Aus dem Wächter war nichts herauszubringen als das eine: Der Mann im schwarzen Mantel schritte durch das geschlossene Turmtor, ohne daß sich dessen Angeln drehten. Als er aber das erste Mal gekommen sei, habe er ihm folgendes gesagt: »Mein Anblick tötet dich. Ich schone dich, solange du allein wachst. Erblicke ich dich mit Kameraden, so bist du wie sie des Todes.« Daher sich niemand herbeidrängte, dem Wächter Gesellschaft zu leisten. Auch hütete sich im Hause ein jeder wohl, die Augen aufzutun, solange »der Schwarze« darin war. Der Wachhund, ein riesiges Tier, war am Morgen nach dem ersten Erscheinen mit durchbissener Kehle aufgefunden worden. Das Gespenst blieb stets nur ganz kurze Zeit im Palast. Seine Anwesenheit machte sich lediglich durch ein sonderbar tappendes Geräusch von vielen Schritten, wie von Kindern, die ein Mann begleitet, merkbar. Kaum, daß dieses Geräusch vorüber war, konnten die Mutigeren von ihren Fenstern aus Pferd, Reiter und Lichter im Walde verschwinden sehen: in der Richtung zum Waldschlosse Samalios.

Messer Giacomo, der nicht im Palast wohnte, sondern ein kleineres Haus in der Mitte der Stadt angewiesen erhalten hatte, berichtet alles dies vom Hörensagen, nach Erzählungen der Dienerschaft. Da er es für angebracht hielt, einen reitenden Boten nach Rom zu senden, um die Herrschaft von dem unheimlichen Wesen zu unterrichten, aber nicht ohne die Meinung der Tochter des Hauses handeln wollte, der er überdies Schutz und Beistand bei so schreckhaften Umständen anzutragen sich verpflichtet glaubte (denn alle oberen Hausbediensteten waren mit auf der Reise), so begab er sich zu Maria Bianca:

»Ich fand das edle Fräulein«, so schreibt er, »gegen alle Erwartung heitern Sinnes, obgleich sehr blaß und trotz des Lächelns in den schönen Augen, gleichsam wie eine Kranke, die die Tröster trösten will. Sie scherzte über das Gerede des Gesindes und sprach: ›Ich habe wahrlich keine Furcht vor dem Gespenste: so wenig, daß ich meine Kammerfrau, die früher bei mir schlief, aus meinem Schlafzimmer getan habe. Das alles sind nur Torheiten, und es ist nicht wert, darüber zu sprechen, geschweige denn einen Boten aufs Pferd zu setzen.‹ – Auf so bestimmte Meinung des gnädigen Fräuleins hin unterließ ich die Botschaft.«

Nach seinem letzten, schreckhaften Besuche bei Samalio indessen überkam ihn doch aufs neue Angst, zumal von Bauern aus der Umgebung des Waldschlosses schon früher aufgetauchte Gerüchte bestätigt worden waren, es ginge auch dort Absonderliches vor: mit seltsam singenden Stimmen und einer sonst nie wahrgenommenen bunten Helligkeit hinter den Fenstern. Und er ging nochmals zu Maria Bianca. Er schreibt (mit zitternden Händen, wie er vorausschickt): »Was habe ich sehen müssen! Schlimmeres als eine Kranke. Ihre Augen leuchteten wie im Fieber, und sie entsetzten mich, da ich sah, daß sie jetzt denen des Ungeheuers glichen. Sie ist ganz verändert und dennoch so schön wie je. Aber anders. Gott verzeihe mir den Frevel, daß ich so denke und es hinschreibe: Ihre Schönheit ist schamlos geworden. Wie das? Wie darf ich so Unmögliches denken? Jedoch: ich sah es. Mit diesen Augen sah ich den gleißenden Wurm in ihren Augen. Und wenn alle Heiligen um mich her stünden und alle ihre Martern mich bedrohten und alle ihre Seligkeiten mich zurückschreckten vor jedem unbedachten Wort, – ich muß es sagen (und schrecke doch zusammen, wie ich es nun schreibe), sie hat den verruchten Stolz der großen Huren im Blick. So brennen die Lippen keiner Keuschen. Keine reine Jungfrau liegt so im Gestühl. Selbst in ihrer Stimme ist nicht Unschuld mehr. Es ist eine bebende, wollustnachzitternde Reife in ihr, die wie eine schamlose Offenbarung des Geheimsten ist. Da ist Sättigung und Begierde, aber etwas Drohendes und doch Verzweifeltes ist dabei. Ich suche vergeblich, es in Worte zu fassen. Die toskanische Sprache, reich genug wie wir wissen, Himmel und Hölle zu malen, scheint unvermögend, diesen Triumph voller Qual, dieses Beben aus erfülltem Stolz auszunennen. – Oh, ich konnte wohl alle meine Fragen und Berichte, derentwegen ich gekommen war, für mich behalten, denn ich wußte auf einmal alles: Nicht törichtes Geschwätz der Gesindestuben ist dieser Spuk, der sich hier begibt und dort erzeugt wird: ist Wahrheit, furchtbare, schändliche, höllische Wahrheit. Das Ungeheuer drüben, unvermögend, diesen Engel blutschänderisch selbst zu gewinnen, hat sich mit der Hölle verbündet, ihr den Inkubus zu senden, und dem ganzen Teufel gelang, was dem halben mißlingen mußte. Der Engel ist gefallen: eine Teufelshure richtet sich auf im verfluchten Stolze der Wollust. In diesem Hause wohnt die geile Pest der Hölle, gesandt von jenem Scheusal, das durch den Anblick einer reinen Schönheit zum Wahnsinn und vom Wahnsinn zum Frevel aller Frevel getrieben wurde: zur Zauberei. – Wie groß ist doch die Macht des Bösen! Als sie mich anlächelte und mit einem seltsam vollen Tone von scheinbarer Sorglosigkeit sagte: ›Nicht doch, Messer Giacomo, bei meinem Bruder sind so wenig höllische Geister wie hier, und es tut wahrlich nicht not, die Eltern zu erschrecken‹, da war ich einen Augenblick selber im Netze des Teufels und gedachte wiederum, die Botschaft sein zu lassen. Aber siehe, der Böse verrät sich schließlich doch: Denn es kamen noch die Worte (gewiß aus widerwilligem Mund, denn ich sah, daß er bebte): ›Das Schicksal ist weder aufzuhalten noch zu beschleunigen. Es erfüllt sich, wenn es zeitig ist.‹ – Ich verbeugte mich, nahm Urlaub und ging. – Der Bote ist auf dem Wege. Wär ich bei besseren Kräften, ritte ich selbst. Denn es ist wahrlich besser, im Sattel zu sitzen und auf unsicheren Straßen Tag und Nacht zu reiten, als hier zu sein, wo sich so Schreckliches begibt und noch Entsetzlicheres vorbereitet.«

Folgt ein Gebet zu allen Heiligen und ein Spruch zur Abwehr der Dämonen.

Aus den weiteren Aufzeichnungen des Florentiners ergibt sich dies:

Die Eltern schickten den reitenden Boten sofort mit der Anzeige zurück, daß sie sich unverweilt auf die Rückreise begeben würden. Diese Botschaft, mündlich gefaßt, erging an die Tochter und kam zu später Abendstunde an. Das Gesinde, sehr erfreut darüber, benachrichtigte sogleich Messer Giacomo, der sich auf der Stelle in den Palast begab, am Morgen des folgenden Tages gleich zur Stelle zu sein. Maria Bianca, statt ihn vorzulassen, ließ ihm sagen, er habe sich übel um ihre Eltern verdient gemacht. Wenn ihm sein Leben lieb sei, möge er sich stille halten und seinen Fürwitz nicht weiter treiben. Er schloß sich erschreckt in sein Zimmer ein. Kaum eine Stunde später begab sich das Übliche. Nur, wie die Dienerschaft erklärte, heftiger, lauter als sonst. Man hörte das Fräulein stöhnen und eine heisere Mannesstimme. Türen fielen ins Schloß, ein gräßlicher tierischer Laut fauchte heulend auf und ging in ein wütendes Wimmern über, das lange anhielt. Es schien aus dem Schlafzimmer des Fräuleins zu kommen.

– ›Der Inkubus!‹ dachte sich Giacomo und schlug, so lange es erklang, das Kreuz. Endlich ward es still, aber niemand wagte sich aus seinem Zimmer.

Am frühen Morgen schon kam die Herrschaft an. Die Nebel hatten sich noch nicht gehoben. In den Korridoren des Palastes lag dämmeriger Halbschein. Der Vater befahl eine Laterne und begab sich, wie er ging und stand, im Reisepelze zum Zimmer Maria Biancas, denn er hatte der ungewiß enthaltenen Botschaft entnommen, daß sie krank sei von dem Spuke. Messer Giacomo, in dessen Ohren noch immer das gräßliche Wimmern klang, führte die ganz erschöpfte und geängstigte alte Dame. Die Dienerschaft drängte hinterdrein.

Ein paar Schritte vor der Tür machte der Graf halt und wandte sich an Giacomo: »Ihr habt mir nicht alles gemeldet. Es steht schlimmer. Warum kommt sie uns nicht entgegen?«

»O mein Gott«, seufzte die Gräfin und schritt am Grafen vorbei zur Tür.

»Nicht doch, nicht doch!« bat Messer Giacomo. »Nicht hinein!«

»Sagt alles«, befahl der Graf.

Der Florentiner trat nahe an ihn heran und flüsterte: »Es ist unmöglich zu sagen. Ich kann nur bitten, schlagt das Kreuz und laßt mich vorangehen.«

Der Graf sah ihn groß an. »Ins Schlafzimmer meiner Tochter? Seid Ihr von Sinnen?«

Messer Giacomo rang die Hände und flüsterte noch leiser: »Sie... schämt sich nicht mehr.«

Der Graf hob die rechte Faust – und ließ sie schlaff sinken. Dann winkte er der Dienerschaft zurückzubleiben und stöhnte: »Wenn Ihr die Wahrheit gesagt habt, töte ich sie, habt Ihr gelogen, töte ich Euch.«

Er griff nach seinem Dolche und tat einen Schritt voran.

Die Gräfin hatte indessen ihr Ohr an die Türe gelegt und gebot mit der Hand Schweigen. »Mir ist, ich höre sie röcheln.«

Sie klopfte leise an die Türe.

Ein sonderbares Knurren wurde vernehmbar.

»Der Inkubus«, schrie Messer Giacomo auf und wandte sich wie zur Flucht um. Der Graf packte ihn beim Handgelenk und zwang ihn zur Tür. »Öffnet! Und sei's mit Gewalt!« Giacomo drückte auf die Klinke. Die Türe tat sich auf.

Das Zimmer war ganz dunkel. Nur am Fenster glomm etwas Leuchtendes, wie wenn das Licht des Morgens aus zwei Löchern durch die vorgezogene schwere Samtgardine bräche.

»Da... da... dort sitzt er!« stöhnte Giacomo und bekreuzte sich.

In diesem Augenblicke flogen die zwei hellen Punkte in einem großen Bogen durch das Zimmer über die Köpfe der Eingetretenen hinweg – hinaus. Gleich darauf erhob sich, während die drei, von Entsetzen gepackt, am Türpfosten Halt suchten, im Korridor Geschrei und Gekreisch der Dienerschaft, überschrillt von einem langgezogenen wütenden Geheul, das dann in Fauchen überging und schließlich knurrend zu verröcheln schien. Dann hörte man das Gesinde die Treppe hinabpoltern und die Treppentüre zuschlagen.

Der Graf kam zuerst zu sich. Er ging zum Fenster und riß die Gardinen auseinander. Das Zimmer war leer. Das Bett hinter den geschlossenen Vorhängen unberührt.

»Wo ist sie?« stöhnte die Gräfin auf und sank vor dem Bett zusammen.

Der Graf sah Messer Giacomo fragend an.

Der flüsterte mit dem Kopf zur Türe: »Das war sie... die Hexe.«

»Licht!« schrie der Graf den Korridor hinaus.

Niemand kam.

»Sie fürchten sich. Wer fürchtete sich hier nicht?« murmelte der Florentiner.

»Was könnte ich noch zu fürchten haben«, murmelte tonlos der Graf und schritt zur Türe.

Links neben der Türe stand am Boden die Laterne. Er hob sie hoch. Ihre Verrahmung und die ausgeschnittene Ornamentierung der Haube warfen ein Rankennetz von Schatten an Decke und Wand. Da die Hand des Grafen zitterte und die Laterne sich in der Handhabe drehte, war es ein huschender Tanz von Schatten und Licht. Da fiel aus der größten Scheibe ein gelber Schein auf etwas Geducktes, Schwarzes in einer Ecke.

Der Graf ging unsicheren Schrittes darauf los, machte das Zeichen des Kreuzes und murmelte: »Bist Du es?«

Das Wesen, nun wieder verschattet, duckte sich noch mehr zusammen und knurrte tückisch.

Da ergriff den Greis eine wahnsinnige Wut. Er riß den Dolch aus der Scheide und warf sich mit dem ganzen Gewichte seines Körpers vornüber auf das Dunkle, den Dolch voran. Er fühlte einen heißen Hauch in seinem Gesicht und heißes Blut über der Faust. Wild packte er mit beiden Händen zu, und zwischen seinen eingekrallten Fingern verreckte eine riesige Wildkatze. Er trug sie, die Hände weit vor sich gestreckt, keuchend zum Zimmer und warf den noch zuckenden Leib auf das Bett Maria Biancas. Dann kniete er nieder, schlug die blutigen Hände vors Gesicht und betete – für die Seele seiner Tochter.

Die Gräfin lag ohnmächtig vor dem Bett. Auf ihre Stirn tropfte das Blut des Tieres.

Messer Giacomo schreibt: »Auch ich hatte schier die Besinnung verloren. Das Herz saß mir im Halse. Ich fühlte sein Pulsen im Hirn. Vor meinen Augen war ein roter Dampf. Ich weiß nicht: War das das Blut, das mir so heftig zusetzte, oder höllische Vortäuschung? Durch das rote Dunkel hindurch sah ich die Augen des Teufel-Tieres verlöschen: Und es waren genau die Augen Maria Biancas. Ihr letzter Blick, voller Wut, galt mir. Ich wehrte dem Bösen mit dem Kreuze und kniete gleichfalls nieder, für die arme Seele zu beten. Dann trugen wir, der Graf und ich, die edle Dame in ihr Gemach, beide im Herzen dankbar, daß sie nicht zu sich kam. Darauf erzählte ich dem unglücklichen Vater alles, was ich wußte. Wer etwa Zweifel daran gehegt hätte, daß der aus altrömischem Heldenblute stammte, der würde sich jeglichen Zweifels daran wohl begeben haben angesichts der Größe und Festigkeit, mit der der Graf nach Anhörung meines Berichtes nichts weiter sagte als: ›So bleibt mir nur noch übrig, auch ihn auszutilgen.‹«

Er ließ für sich, Giacomo und zehn Knechte satteln, setzte, für den Fall, daß er im Kampfe mit dem Zauberer zu Tode kommen sollte, sein Testament auf, sein ganzes Vermögen der Kirche vermachend, tauchte Schwert und Dolch in geweihtes Wasser und ritt langsam mit seinen Begleitern zum Walde. Rechts von ihm ritt Messer Giacomo, links der Turmwächter. Dieser, sonst der Mutigste unter allen Dienern des Grafen, wankte schier im Sattel und war entstellt von Angst und Grauen. Sein Gebieter sprach ihm Mut zu, aber je näher sie dem Schlosse kamen, um so unsteter wurde sein Blick, um so blasser sein Gesicht.

Wie sie des Schlosses ansichtig wurden, das im fahlen Lichte eines sonnenlosen Tages dastand, wie aus glanzlosem Blei, graubläulich, gleichsam tückisch, hieß der Graf alle von den Pferden steigen und niederknien zu beten. Dann, als sie wieder im Sattel saßen, mußten sie die Schwerter ziehen, sie steil gerade vor sich halten als Kreuzeszeichen und die Hymne singen:

Wir ziehen aus, zu streiten
Für Jesu Christ,
Der unserm tapfern Reiten
Unsichtbar Führer ist,
Seine Fahne, schneeweiß,
Kyrieeleis,
Wird uns zum Sieg geleiten.

»Es war uns allen«, schreibt der Toskaner, »ausgenommen dem alten Herrn, wie ich anbetrachtlich des Funkelns in seinem Aug glaube, nicht gar mutig zu Sinne. Aber das Lied, wie es aus uns drang, umgab uns gleichsam mit dem Atem tapferer Erzengel. Als wir vor dem Tore hielten, sah ich, daß alle Knechte wacker rote Wangen hatten, bis auf den Wächter.«

Da das Tor verschlossen war (wie auch alle Fenster, die Läden vorhatten), schlug der Graf mit dem Knaufe seines Schwertes daran und rief: »Im Namen des Dreieinigen, öffne!«

Statt der Antwort erfolgte ein harsches, gaumiges Röcheln. Dann klirrten Schlüssel, die Türflügel kreischten in den Angeln, und aus der Öffnung trat der alte Diener, sogleich in die Knie sinkend und beide Arme ausbreitend. In seinem qualvoll aufgerissenen Munde sah man die schwere Zunge wie im Krampfe zucken, während im Gaumen wieder die entsetzlichen nach Ausdruck ringenden Laute röchelten. In den blinden Augen lag leer, grau der Widerschein des dunstigen Himmels.

Der Florentiner berichtet:

»Obgleich der Erbarmungswürdige weder mit dem Munde noch mit den Augen zu sprechen vermochte, verstanden wir ihn doch alle gleich und wußten, daß das Scheusal tot war.«

Der Graf winkte den Knechten zurückzubleiben und gebot dem Stummen, ihn und Giacomo zur Leiche zu führen. Der aber warf sich lang auf die Erde hin, als ob er sich mit den Händen in sie einkrallen wollte.

»Da wußten wir«, schreibt Giacomo, »daß uns noch Schlimmeres bevorstand, etwas, das selbst den entsetzte, den Blindheit davor bewahrt hatte, es sehen zu müssen.«

»Ich möchte es Euch, Messer Giacomo«, sagte der Graf, »gerne ersparen, mich zu begleiten. Aber seht, mich wandelt jetzt Furcht an, da ich mich doch nicht davor gefürchtet habe, den zu töten, der das Leben von mir hatte. O mein Gott, warum begnadest du mich nicht mit Blindheit! Furchtbares zu tun hat für den Edlen keinen Schrecken, wenn Not und Pflicht gebietet. Aber es gibt Dinge von einem Antlitz, dessen Ahnung schon auch den Tapfersten zur Flucht scheucht. Doch es muß geschehen. Ich muß mit diesen Augen sehen, was mein Herz schon weiß. Messer Giacomo, die Sünde braucht den Teufel nicht. Wenn Ihr Euch jetzt noch vor höllischen Geistern fürchtet, so sage ich Euch: Ihr könnt ruhig mit mir gehen. Wenn Ihr aber dem Grauen nicht gewachsen seid, das von der verfluchten Natur ausgeht, aus der wir alle sind, so sage ich Euch: Laßt es mich allein ertragen, der ich es muß, weil ich mit meinem Blute daran schuldig bin.«

Der Florentiner, der diese Worte so berichtet, fügt hinzu: »Auch jetzt, da ich dies mit Besonnenheit aufzeichne, verstehe ich es nicht, geschweige denn, daß ich es verstand, als ich es vernahm. Der Böse, dessen augenscheinliches Werk mein armer edler Herr von jenem Augenblick an leugnete, hat ihn verwirrt. Gelobt sei Gott dafür, daß er wenigstens meinen Geist vor Verdunklung schützte.«

Die beiden gingen durch dunkle Korridore, dunkle Treppen hinauf zu dem großen Turmgemache, das Giacomo als Werkstatt des Malers kannte, und wo er mit Recht vermutete, daß sie seine Leiche finden würden.

Lassen wir ihn berichten: »Ich schritt voraus und hob den ledernen Vorhang auseinander, daß der Graf eintreten konnte. Er ging aber nicht mit mir ins Zimmer, sondern hielt sich rechts und links mit der Hand am Türvorhang fest. Ich hörte, wie sein Atem ging, und war froh, dies Leben zu hören, denn es kam nun das schwerste Grauen von allem über mich, so, daß ich nicht mit Schritten zu gehen wagte, sondern, keinen Fuß hebend, mich gleichsam füßlings über den Teppich vorwärts tastete. Da stieß ich mit den Knien gegen etwas Weiches an und bog mich behutsam darüber, die suchenden Hände vorstreckend. Nie vordem habe ich gewußt, daß das furchtbarste Grauen, das der Mensch empfinden kann, in den Fingerspitzen wohnt. Alle Qual der Furcht, des Entsetzens, das sich gleichsam zurücksträubt und doch wie eine willenlose Last langsam, fürchterlich langsam und dennoch unabwendbar vorwärts wuchtet, saß knäuelhaft, wie geduckt zusammengerollt, unter meinen Fingernägeln, die mir (doch war das sicherlich Blendwerk) zu leuchten schienen. Dies alles währte kaum die Dauer eines Atemzuges und war dem Gefühle nach eine Ewigkeit – bis der Augenblick kam, da die Qual gleichsam in die Wut umschlug, sich selber ein Ende machen zu wollen, und sei es durch noch Schlimmeres. Ich warf mich vornüber und flog mit einem grauenhaften Schrei zurück. Meine Hände hatten zwei nackte, schauerlich kalte Frauenbrüste gefühlt, mein warmer Mund einen kalten berührt.

Ich taumelte bis zum Vorhang zurück und keuchte: ›Die Hexe! Dort!‹

Der Graf drängte mich beiseite und murmelte: ›Ich wußte es.‹ Dann, ein paar Schritte vorwärts tuend, lauter: ›Ich bitte Euch, laßt Licht herein. Ich fühle die beiden, und es verlangt mich nun, sie zu sehen.‹ Er schien ganz ruhig. Ich hörte seinen Atem nicht mehr. Ein Knarren verriet mir, daß er auf einen Stuhl getroffen war, in den er sich niedergelassen hatte.

Ich tastete mich die Wand entlang zum Fenster, um ja nicht beim Durchschreiten des Zimmers nochmals in Berührung mit einem der beiden verfluchten Leiber zu kommen. Denn noch immer rann ein schaudervolles, eisiges Entsetzen durch meine Adern. So voller Grausen war ich und gleichsam angstbeflissen, daß, als des Grafen Hand an der Seite der Stuhlwange herabglitt, ich beim Hören des leisen, schürfenden Tones zusammenknickte, für einen Augenblick nicht anders vermeinend, als es sei ein Seufzer aus toten Lippen.

Endlich war ich beim Fenster angelangt und fühlte die Quaste der Vorhangsschnur in meiner Hand. Ich brauchte meine ganze Kraft zu der geringen Arbeit, die Gardine sich teilen zu lassen: so völlig erschöpft war ich. Um aber das Fenster und den einen Laden zu öffnen, bedurfte ich der Hilfe des Gebets. Ich rief laut die Madonna an, mir beizustehen.

Da hörte ich einen greulichen Fluch. War das mein alter, edler, frommer Herr, der über die Reinste der Reinen das schmutzigste Wort spie?

Wollte Gott, ich dürfte noch glauben, daß es der Satan selber war, wie ich es damals glaubte. –

Ich riß Fenster und Läden auf, indem ich, ohne mich umzuwenden, schrie: ›Fleuch hinaus, Geist der Finsternis! Weiche, weiche, weiche von uns, Fürst der Hölle!‹ Und legte meine Stirn aufs Fensterbrett, nochmals zu beten. Der feuchte, kalte Wind aus dem Walde strich mir übers Haar und weckte mich gleichsam aus dem wohltätigen Schlummer der Andacht, die mich aber doch so weit gestärkt hatte, daß ich spürte, es sei geraten, mich diesem Luftstrome nicht länger auszusetzen. Ich wandte mich um, vermied es aber wohl, dorthin zu blicken, wo ich die beiden Leichen vermutete. Doch sah ich den Grafen. Er saß in dem flammrot seidenen, hochlehnigen Stuhle des Malers, den ich wohl kannte mit seinen goldeingewirkten Zeichen einer fremden, heidnischen Schrift. Steif angelehnt saß er, ganz regungslos; auch die Arme und Hände, gerade hingelegt auf die Armlehnen, rührten sich nicht im mindesten. Man hätte meinen können, er sei tot.

Nur die Augen lebten. Lebten gierig.

Und es waren die Augen des Scheusals.

Mir war, als starrten diese selben Augen überall her: kalt glühend durch das kaltgraue Morgenlicht. Sie glotzten kugelig von den Buckeln der kupfernen Wandleuchter, blinzelten verkniffen aus allen Facetten der Gläser und Flaschen auf dem Kredenzbord, schossen blitzende Blicke von den Spitzen der Degen, Dolche, Hellebarden an der Wand, lauerten tückisch in allen Falten der Vorhänge.

Ich sah wohl, daß der Böse sich nicht hatte bannen lassen durch meine Gebete, und bald mußte ich es auch hören.

Denn er sprach aus dem Grafen wie folgt: ›Ihr mußtet sterben, um mich fühlen zu lassen, wie verwandt ich euch bin. Mit meinem Blute habt ihr, mein Blut hat in euch gesündigt. Wie dürfte ich verdammen, da ich, ob auch mit Grauen, verstehe? Der Tod ist ein mächtiger Lehrer. Ich habe die Hölle verlernt vor seinem Grauen. Sie ist nicht hinter dem Tode, ist vor ihm: in diesem Leben, das kraft heiliger Gesetze verbietet, wozu der unheilige Geist treibt, der in unseren Adern glüht. Ich habe ihn stets gebändigt. Und durfte wohl stolz darauf sein; denn mein ganzes Leben hat sich dem Gesetze geopfert. Aber siehe, mein Blut hat sich gerächt: mein Opfer war unnütz und ein frommer Frevel. Ich durfte rein bleiben, weil diese da all mein Unreines in sich nahmen. Wo ist da Gott? Wo ist da Teufel? Ich sehe, daß ihr sehr elend und von aller Heiligkeit ausgeschlossen wart: Verworfene vor allen Menschen; und doch überkommt mich der Glaube, daß euer Leben völliger war als das meine, und euer Tod freier und stolzer als der der Frommen, die noch im letzten Augenblicke um Vorteil handeln. Ihr seit in einer großen Gewißheit dahingegangen nach großen Sünden; ich aber, der Fromme, bleibe voller Zweifel hier und fürchte, daß ich weder selig noch unselig sterben kann.‹

Selbst die Stimme, in der dies sprach, war nicht des Grafen Stimme. Sie hatte einen vollen, zuversichtlichen, tapferen Ton gehabt. Was hier klang, war wie der Ton einer gesprungenen Glocke. Es war, als schwebte er nicht durch die Luft, sondern er glitte von den Lippen, rönne über Kinn und Brust, tropfte den Stuhl hinab zum Teppich, kröche über diesen weg zu den beiden.

Mir aber gruben sich die Worte, wie matt sie auch klangen, mit einer magischen Gewalt ein, so daß ich sie zu jeder Stunde wiederholen könnte, wie ich sie jetzt gleichsam unter dem Diktate des Satans niedergeschrieben habe. (Ich wage es, die Wahrheit zu sagen, in diesem Augenblick nicht, hinter mich zu blicken, denn ich weiß: in dem Bilde des heidnischen Ahnherrn dieser nun erloschenen Familie, das ich selber nach einer alten Tafel im Palaste hier auf die Wand übertragen habe, stehen jene beiden Augen. Ich weiß es, denn ich fühle ihren Blick als einen dumpfen Druck am Nacken.)

Immer noch starr geradeaus schauend, wandte sich der Graf nun in seinem alten, nur etwas müderen Tone mit diesen Worten an mich: ›Seht Ihr, wie schön sie ist, Messer Giacomo?‹

Antwortete ich: ›Nein, Herr. Gott verhüte, daß ich meine Blicke zu diesem Greuel wende. Die Hexe ist nackt.‹

Sprach er, nicht zornig, aber gestrenge: ›Laßt dieses Torenwort und sprecht mit Achtung von meiner Tochter. Nackt ist sie, aber so schön, daß nichts Schamloses an ihrer Nacktheit ist. Auch ist sie tot, und nur im Lebendigen ist Sünde und der Schatten der Sünde: Scham oder Unscham. Ich sehe sie an wie ein Werk des Meißels, den der Tod geführt hat, und ich denke zurück an meine jungen Tage, da ich mich nächtens mit einer Fackel in den Keller schlich, wo in einer Ecke die Madonna der Heiden stand, zu der meine Ahnen einst gebetet haben: Frau Venus. Doch diese hier ist schöner. Ich denke mir: Sie wurde so schön, weil meine Jugend unter jenem Venusstern stand. Die Göttin, deren Bild ich mit eigener Hand zerschlug, als der Geist des Gesetzes von mir Besitz ergriffen hatte, hat sich gerächt, indem sie aus meinem Blute ihr schöneres Bild gestaltete. Glaubt nur, Messer Giacomo, die Götter der Heiden sind nicht tot. Sie leben in unserem Blute, und aus unserem Blute leben sie immer aufs neue auf in sichtbarlicher Nachgestalt. Der Schatten des Kreuzes ist doch nur ein Schatten, der sich nach der alten Sonne drehen muß. Ihr blickt noch immer nicht hin?‹

›Da sei Gott vor!‹ antwortete ich bestimmt.

Er aber sprach: ›Ihr tut mir leid. Dieser Anblick, vor dem auch ich mich gefürchtet habe vor wenigen Minuten noch, und es ist seitdem doch eine Fülle von Zeit verstrichen, reicher als mein ganzes armes Leben in heiliger Finsternis, – dieser Anblick ist kein Schrecken: ist klare, ruhige, wohl feierliche, aber nicht gestrenge Offenbarung. Mein schönes Kind liegt auf dem Ruhebette, wie es von Venus erschaffen ward. Der rechte Arm ruht unter dem Haupte, die linke Hand im Haar des Bruders, meines häßlichen Kindes, das, vor dem schönen niederkniend, den selbstgerufenen Tod erwartet hat. Er trägt einen Mantel aus dunkel veilchenblauem Sammet und auf dem Haupte einen Dornenkranz. Ihr wendet Euch ab und seid empört. Mir selber tat der Anblick weh, denn es dünkte mich unwürdig, gleich einem Schauspieler in den Tod zu gehen, Großes nachäffend. Doch weiß ich es besser, seitdem mich das Bild, vor dem sie gestorben sind, belehrt hat, daß er nicht als Mime starb, sondern als Maler. Auf diesem Bilde sind die Farben noch feucht an dem Kopfe mit der Dornenkrone, und es ist, als ob die Blutstropfen lebendig herunterrönnen aus dem krausen Haar über die gelben Wangen. Er hat sich die Dornen ins Haupt gestoßen, dieses Blut fließen zu sehen, aber mehr noch zur Aufgeißelung der Kraft, die auch äußerlich fühlen wollte, was sie innerlich ergriffen hatte. – Ihr wißt, daß es mir immer zuwider war, ihn die Kunst des Malens wie etwas treiben zu sehen, das mehr ist als vornehmer Zeitvertreib. Daß ich es Euch gestehe: Ich verachtete ihn darum, und er war mir seiner Kunst wegen noch abscheulicher, als wegen seiner Häßlichkeit und düsteren Art. Nun lehrt mich dieser Morgen, mit dem eine helle Nacht für mich anbricht, auch dies: daß Kunst, mit diesem Stolze heroischer Hingabe ausgeübt, zu den größten Menschendingen gehört, zu denen, die über alle Tiefen und Nebel hinwegtragen, wie dieser zentaurische Christus die nackte Madonna hinwegträgt vom Felsen des Todes über qualmige Städte zur Festung Einsamkeit. – Ich will, hört mich wohl: ich will in diesem Hause meine Tage beschließen und auf diesem Lager sterben vor diesem Bild, das dann wie alles andere von der Hand meines Sohnes mit meinem Leichnam zu den Leibern meiner Kinder eingegraben werden soll in den Fels dieses Berges. Immer und immer will ich es sehen, wie ihre linke Hand in das blutige Haar des Christus-Zentauren greift, dessen blutrünstiges Antlitz sich ihr in schmerzlichster, seligster Liebe zuwendet. Ihre holden, gütigen, mutigen, aller Liebe vollen Augen sollen auch mir hinüberleuchten zu jener Ruhe, die Gott selber bewacht.‹

Kaum daß der Graf geendet hatte, drang Gemurmel und Schrittgestampf vom Gange her in den Saal, und die Stimme eines Knechtes bat um Einlaß.

Der alte Herr erhob sich ruhig, löste seinen Pelzmantel von den Schultern und legte ihn über die Toten. Dann zog er den Vorhang vor das Bild und rief mit seiner alten Stimme des Befehlensgewohnten gebietend: ›Tretet still herein!‹

Sogleich verstummte Gemurmel und Gestampf. Die Knechte traten gebückt ins Gemach, vor sich her den Wächter schiebend, der gefesselt war und vor dem Grafen in die Knie sank.

›Geht‹, befahl der Herr den übrigen, und dem Knienden: ›steh auf und sprich!‹

Der erhob sich und murmelte: ›Ich wollte fliehen, Herr, weil ich mitschuldig war an dem Schrecklichen, und will nun alles eingestehen.‹

Der Graf legte ihm eine Hand auf die Schulter und ergriff mit der anderen die gefesselten Hände des Wächters. Und sprach: ›Ich weiß. Doch niemand außer dir und mir soll wissen, denn dieser (und er wies auf mich) sieht nicht mit sehenden Augen und wird auch die andern heilsam blind machen. Du aber sollst zu keinem Menschen mehr reden, sondern mit mir eingeschlossen bleiben in diesem Hause. Die Leichen meiner Kinder im Felsen zu begraben soll deine erste Arbeit sein; deine letzte: mit meinem Leichnam dasselbe zu tun. Dann sollst du dieses Schloß besitzen mit allem, was darin ist.‹

Der Wächter, diesen Spruch so wenig begreifend wie ich, der ich aber längst die Besessenheit des Grafen erkannt hatte, beugte sich stumm über die Hand seines Gebieters und küßte sie.

Mir blieb nichts mehr zu tun übrig, als um Urlaub zu bitten für immer und zu fragen, welche Botschaft ich der Gräfin bringen solle.

Die Antwort war: ›Sagt meiner Gattin, daß sie mir willkommen ist, wenn sie sich stark genug fühlt, mit mir bei den Dämonen zu hausen. Niemand weiß ja über diese so gut Bescheid wie Ihr. Wie ich sie kenne, wird sie es vorziehen, sich in den Schutz der anderen Madonna zu begeben. Und sagt ihr, wenn sie Euch dies kund gibt, von mir, daß sie recht daran tut und daß es mich beruhigen wird, sie in dem besten Schutze zu wissen, darin sich ein Mutterherz ausruhen kann. Ich weiß, sie wird für mich beten. Sagt ihr auch das. Und fügt von mir noch dies hinzu: daß ich ihr ehrerbietig und mit dem ganzen Reste von Liebe dafür danke, den ich für Lebendiges noch fühlen kann.‹

Obwohl ich dank der Klarheit, die sich immer mehr in mir ausbreitete, sehr wohl begriff, daß das Gütige und Wahre in diesen Worten keineswegs ein Zeichen etwa aufdämmernder Vernunft, sondern nichts als spöttische Verstellung des Teufels war, der diesen Geist völlig verwirrt hatte, mußte ich mich doch, mehr unbewußt als mit Fleiße, gleichfalls auf die Hand des Unglückseligen beugen. Meine Lippen fühlten, daß sie ganz kalt war.

Ich ritt mit den Knechten im schnellsten Galopp zur Stadt. Der Nebel hatte sich gehoben. Als ich mich, wir mochten etwa zwei Bogenschüsse weit geritten sein, umwandte, sah ich das Schloß im hellsten Sonnenlichte über dem schwarzen Walde gleichsam höhnisch leuchten.

Morgen geleite ich die Gräfin nach Rom ins Kloster. Dort will ich auf bessere Zeiten warten, daß ich nach Toskana zurückkehren kann.

Zum Danke für meine Rettung aus der grausamen Gefahr, gleich meinem edlen alten Herrn in die Verstrickung des Teufels zu fallen, habe ich heute gelobt, nie wieder einen Pinsel zur Hand zu nehmen. Die Kunst ist die schlimmste Schlinge des Bösen.«