Otto Julius Bierbaum
Der Mesner-Michel
Otto Julius Bierbaum

Otto Julius Bierbaum

Der Mesner-Michel

Die Geschichte vom Mesner-Michel ist nicht von mir, sondern vom alten Torggler auf Moos im Eppan, und der alte Torggler hat sie auch nicht aus seinem eigenen grauen Schädel, obwohl er ein paar recht spitzbübische Fabulistenaugen hat, sondern er wird sie wieder von einem andern alten Burschen haben, der wie er gern an der Mendel herumkraxelt, bis ins Welsche hinein, und sich um den Wald kümmert und um das, was die Füchse erzählen und die alten Weiber sagen. Solche Geschichten wachsen wild irgendwo auf, vielleicht von Samen, der weit hergetrieben wurde und von exotischen Pflanzen kommt, die in königlichen Gärten unter heiterer Sonne standen, und sie verändern sich je nach dem Boden, der sie nährt.

Kundige werden bald erkennen, wer der norddeutsche Bruder des Mesner-Michels ist. Der alte Torggler weiß das nicht. Für ihn ist der Mesner-Michel kein Hergelaufener, sondern ein geborener Tiroler. Und in seinem Munde sieht er auch ganz so aus.

Ein Heimatskünstler, der alte Torggler! Schade, daß ihm das Schreiben so schwer fällt. Er würde es besser gemacht haben, als ich, »g'schmalzener«. Aber am Ende hätte es die Polizei nicht erlaubt, die für die Reize des Volkstons mitunter kein Verständnis zeigt. An meinem Ton wird sie kaum etwas auszusetzen haben. Und in meinem Ton geht die Geschichte so:

Es lebten einmal im Tirolischen (da, wo Welsche und Deutsche so eng beieinander wohnen, daß sie ihre Buben und Mädel zur Erlernung der benachbarten Sprache auf die Zeit der Lehrjahre austauschen) friedlich nebeneinander ein Pfarrer und ein Mesner. Der Mesner verheiratet, der Pfarrer mit einer Häuserin, aber einer recht alten. Den Pfarrer wollen wir bloß Hochwürden nennen, wie sich's gehört; der Mesner aber hieß Michel. Hieß Michel und war eine faule Haut. Daß er vom Mesnergelde nicht leben konnte, versteht sich. So war er denn Bauer zugleich und schlug auch Holz im Walde. Aber, eben, er tat's nicht gerne. Er fand, daß er was Kirchliches wäre eigentlich und daß ihm deshalb ein Bauch gut stehen müßte, so ein richtiger Pfarrbauch. Aber wie soll man bei Holzhacken und dem mühsamen Weinbau zu einem Bauche kommen? Arbeit frißt Speck. Also tat er lieber nichts. Aber als der Bauch schon auf dem besten Wege war, sich zu runden, just da ergab es sich, daß die Geldlade leer war, ein Umstand, der viel zu aufregend ist, als daß man, ihn im Rücken, rein geistlich weiterleben könnte.

Deshalb – machte sich Michel auf, ging in den Wald und hackte Holz? Nein, das tat der Michel nicht. Aber er klopfte drüben im Pfarrwittum an, machte ein Gesicht wie ein Wüstenheiliger, der täglich außer Heuschrecken nichts zu sich nimmt als immer neue Sehnsucht zum Himmel, flüsterte lang und viel von der Not des Lebens und pumpte schließlich Hochwürden um dreihundert Gulden an. Hochwürden, der schon damals wußte, daß Zinsnehmen kanonisch erlaubt ist, ging zu seinem schwarzen Geheimstrumpf und nahm die Zettel heraus, hielt eine kleine Predigt, bestimmte Prozente und Termine und gab sie hin.

Niemand war vergnügter als Michel. Kaum, daß er aus dem Schatten des Wittums war, gingen die Vertikalfalten seiner Heiligkeit ins Horizontale eines durchaus weltlichen Grinsens über, und er führte mit seiner Frau Aloisia einen kleinen Rundtanz ehelicher und anderer Zufriedenheit auf.

Aber die Tage gingen und die Gulden mit. Und wie die halbe Zeit bis zum Termine verstrichen war, kam Tag für Tag Hochwürden ins Mesnerhaus und erkundigte sich mit Würde und Nachdruck nach den ökonomischen Fortschritten seines werten Gehilfen beim Dienste des Herrn. Michel merkte: Hochwürden leiht zwar, aber er tut das nicht als fromme Übung, sondern er will wieder im Strumpfe haben, was aus dem Strumpfe kam, und ein paar Gulden extra dazu. Es blieb nichts übrig: die Kuh muß aus dem Haus. Sieht Hochwürden, daß Michel wiedergibt, wird er auch wieder leihen, und Michel kann ja das nächste Mal fünfhundert Gulden nehmen. Die halten länger an. Trieb also, wie im nächsten Orte Viehmarkt war, die Kuh aus dem Stall und machte sich auf. Hochwürden ließ es sich nicht nehmen, ihm gute Lehren auf den Weg zu geben. Und eines vor allem schärfte er ihm ein: »Gib die Kuh keinem Ploderer.«

»Ploderer?«

»Na, wer so viel daher redt!«

»Ah so!«

Michel kommt auf den Markt, pflockt die Kuh an, stellt sich daneben. Kommt einer und fragt nach dem Preis, sieht sich die Kuh vorne an, hinten an und an den Seiten an und redet allerlei, fragt und forscht, was ihr fehlte und was sie gäbe und was sie wert wäre und so fort. Michel denkt sich: Ploderer! und sagt bloß: »Mach di furt, Ploderer!«

Kommt ein anderer und tut ebenso. Michel sagt bloß: »Mach di furt, Ploderer!«

Kommt ein Dritter, Vierter, Fünfter: »Mach di furt, Ploderer!«

Schließlich sahen ihn die Bauern schief an, griffen sich an den Kopf und überlegten sich, ob sie ihn nicht gemeinsam durchprügeln sollten. Aber fragen tat keiner mehr, denn keiner trat mehr an ihn heran.

Lauter Ploderer! dachte Michel. Also gean ma!

Da kam er auf dem Wege vor dem Orte an einem Bildstöckl vorbei. Auf dem stand der heilige Hans und winkte ganz offenbar mit den Armen.

Ah, dachte Michel, willscht eppet du, Hannes?

Führte also seine Kuh vor das Bildstöckl.

Na? Der heilige Hannes winkte stumm und sagte nichts, sah aber mit deutlichem Begehren die Kuh an.

Das ist kein Ploderer! dachte sich Michel. Der kriegt die Kuh. Band sie ans Bildstöckl und ging.

Zu Hause erzählte er dem Pfarrer, wie es ihm auf dem Markte ergangen.

»Recht so!« meinte Hochwürden. »Recht hast 'tan. Aber wer hat die Kuh?«

»Oh, sell ischt koa Ploderer! Und er zahlt mi g'wieß. Morgen hol i's Geld.«

»Geht schon gut«, meinte der Pfarrer.

Am nächsten Tag geht Michel zum Bildstöckl. Das stand schon da, aber die Kuh war weg.

Hot er eppet die Lies schon g'fress'n? dachte sich Michel und stellte sich vor den heiligen Hans und rief: »Also, was is mit'm Geld!«

Der Heilige winkte bloß freundlich weiter.

»Krieg i's Geld oder krieg i's net?!«

Hannes winkte.

»I, du...« schrie Michel. »Deesch war mir a Geschäft, jiatz soll di doch glei der Deixel!« holte aus und gab dem Winkenden eine Watsch'n, daß er rechts über den Straßengraben fiel.

Und schau: Unter seinem Fußgestell lag ein großer Beutel voll lauter geprägtem Silber und Gold. Hatten's wohl Diebe dort versteckt.

»Bal' deesch g'sagt hätscht, hätscht koa Watschen net braucht«, meinte Michel, nahm das Geld, stellte den Winkenden wieder auf seinen Stein und ging heim.

Hochwürden war innig erfreut, Geld und Zinsen zu erhalten, Michel aber war nicht weniger froh, als er beim Auszählen fand, daß für ihn noch einmal dreihundert Gulden übrigblieben. Damit gab er sich wieder eine Weile der Vervollkommnung seines geistlichen Äußeren hin.

Als aber das Geld zum zweitenmal aus der Lade war, ging er wieder zu Hochwürden, flüsterte noch gedämpfter, entwickelte noch vertikalere Falten und borgte sich fünfhundert Gulden. Hochwürden ging wieder zum Strumpf des Hauses, nahm wieder das Geld heraus, hielt eine längere Rede, stipulierte größere Prozente und dachte sich: Gewissenhaftigkeit mit Nutzen fördern, ist kanonisch erlaubt.

Michel war mit den fünfhundert Gulden diesmal schneller fertig als mit den dreihundert. Er hatte sich's eigentlich so gedacht, daß sie bis zu dem Termin der Rückzahlung reichen sollten, aber die Lade war schon leer, als Hochwürden es eben erst an der Zeit hielt, mit Mahnen zu beginnen.

Jesses, der Pfaff fangt scho an! dachte sich Michel und überlegte, wie diesen lästigen Besuchen der Geistlichkeit am besten zu begegnen sei. Er sann nicht lange, da hatte er's auch schon. Und er enthüllte seinen Plan seiner Frau Aloisia.

Der aber war so: Er, Michel, lege sich jetzt ins Bett und sei tot (Aloisia erschrak, Michel lächelte). Nit recht tot. Bloß für Hochwürden. Also: Er, Michel, sei von einem Baum erschlagen und tot. Sie, Aloisia, solle schleunigst Weihwasserbecken und Kerzen richten und Hochwürden rufen. Versteht sich: mit Geplärr! Dann aber, wenn Hochwürden gekommen sei, soll sie ihm bloß immer sagen: »Wenn i lei' das Pfeiferl fänd, das Pfeiferl fänd!« – »Was für ein Pfeiferl?« werde Hochwürden f ragen. Und nun solle sie ihm erzählen, daß das eine Pfeife sei, die Michel von einer alten weisen Frau bekommen hätte und mit der man Tote ins Leben zurückrufen könnte. Diese Pfeife nun, ein ganz gewöhnliches Ding, wie man sie beim Kramer für einen Kreuzer kriegt, steckte er sich ins Bett, daß es recht aussähe, als wäre sie ihm kostbar. Dort solle sie Aloisia schließlich finden, und was dann geschehe, das werde sie schon sehen.

Aloisia tat, wie ihr gesagt, denn sie war eine christliche Hausfrau, die wohl wußte, was Hochwürden den Weibern predigte: Er soll euer Herr sein, euer Mann! Und sie plärrte den Pfarrer so schrecklich an, daß er in seinen Lehnstuhl zurückfiel. Als er aber zu sich kam, rief er bloß. »jetzt isch mei Geld aa hin! Hin isch! Hin isch!« Und ging zur Leiche. »So a Unglück! Hin isch! Hin isch!«

Nun fing aber Aloisia vom Pfeiferl an. Und suchte und suchte und erzählte dabei, was nötig war. Hochwürden fand die Sache zwar bedenklich, ja unchristlich gar – aber, wenn das Pfeiferl wirklich ... ? Die fünfhundert Gulden bloß so mit einem Pfiff wieder lebendig machen?

»Such's Pfeiferl! Such's Pfeiferl!«

Endlich fand's Aloisia im Bett.

»Gib her, 's Pfeiferl!«

Und Hochwürden pfiff.

Jesus, Maria und Josef! Der Michel reißt die Augen auf!!

»Michel, wie schaut's im Jenseits aus?!«

»Schreckli, Hochwürden, schreckli!«

»Was siehgst denn?«

»Schreckli, Hochwürden: die geischtling'n Herr'n brot'n allsamt in an Schmalztiegel.«

»Warum broten's denn?«

»Weil's Zinsen g'nomma ha'm und alles glei einfordern tean. Hui, sie brüll'n wie Ochsen.«

»Ich d'rlaß dir die Zins'n. Brauchscht lei' das Kapital z'gebn und erst im Spätjahr!«

»Jo, jo! Weckt mir nor völli auf!«

Und Hochwürden pfiff, wie die Weinwächter nachts in den Weingütern.

Da sprang auch Michel wirklich gesund aus dem Bett, und alle waren recht froh.

Hochwürden aber mußte recht oft an die Pfeife denken. Seine alte Häuserin behandelte ihn gerade um diese Zeit gar ungattig.

Was sie ihm mittags vorsetzte, war schon gekochte Kasteiung. Und dazu ein ewiges Gekeif, gerade, als wenn sie verheiratet wären.

Und Hochwürden litt so sehr, daß er auf einen recht bösen Gedanken kam. Er dachte sich: Fortschicken kann ich die Alte aus allerlei Gründen nicht, aber los sein möchte ich sie schon. Wie wär's, wenn ich sie beiseite brächte? Versuchsweise, versteht sich. Vielleicht schmeckt mir's besser, wenn ich mir selber koche. Stellt sich's dann heraus, daß ich noch schlechter koche, pfeife ich sie wieder lebendig.

Und so tief hatte sich diese unchristliche Idee bei ihm eingefressen, daß er Michel die Pfeife für tausend Gulden abkaufte.

Der böse Anlaß fand sich bald. Die alte Pfarr-Thres servierte eine allzu massive Polenta. Hochwürden warf sie ihr an den Kopf, und sie war tot.

Nun konnte Hochwürden selber kochen. Er nahm dreimal soviel Butter und sparte nicht im Hühnerhof, aber er mußte sich sagen, daß vergleichsweise die Alte eine Künstlerin am Herde gewesen war. So zog er sie aus der Waschküche heraus, in die er sie gesteckt hatte, und gedachte mit einem Gefühl von Wehmut, sie wieder lebendig zu pfeifen. Aber die alte Thres blieb, so schluchzend Hochwürden auch trillerte, so tot wie ein Glockenschwengel.

Da erfaßte Zorn und Entsetzen den Pfarrer. Er rannte ins Mesnerhaus und schrie: »Erst hast du mich zum Mörder gemacht, sakrischer Tuifel, nun sollst du wenigstens vor mir in die Hölle fahren!« Sprach's, nahm einen Sack, steckte Micheln hinein und ging, den Sack auf dem Buckel, hinaus, dem Flusse zu.

Aber, wie er mitten auf dem Wege war, spürte er, wohl durch die Anstrengung des Tragens, das Bedürfnis, sich einer drückenden Last zu entledigen, aber nicht der auf dem Rücken. Wäre er ein grober Bauer gewesen, so hätte er nicht viel Umstände gemacht und was zu tun war, gleich am Wege getan. So, als ein Hochwürden, begab er sich zu diesem Zwecke abseits, tief ins Gestäude, legte aber den Sack auf dem Wege nieder.

Nun kam aber, während Hochwürden ferne im Gestäude saß, ein welscher Schweinetreiber des Weges. Der sah, wie dort im Sack sich was hin und her wand.

»Isch war in Sack?« fragte er.

»Jo, i bin's, der Mesner-Michel!«

»Wos tuscht do sell?«

»I laß mich in' Himmel 'neintragen vom Pfarrer.«

»In Himmel 'nein?«

»Ja, in Himmel 'nein. Aber i mag net.«

»Warum denn net?«

»Weil i noch jung bin und a Erbschaft gemacht hab'. Sonst mecht' i schon, denn im Himmel isch's herrli scheen!«

Nun war aber der welsche Schweinetreiber ein armer, alter Mann, der keine Erbschaft gemacht und auch keine in Aussicht hatte. So sagte er: »Per dio! Geh, laß mi' statt deiner in den Sack einischließen. I lasset mi' recht gern in' Himmel 'neintragen.«

»Geht schon gut! Mach! Eil di! Knipfel den Strick auf! Schlief eini!«

Der welsche Schweinetreiber tat's. Michel sprang heraus, lachte ins Gestäude und trieb die Schweine, drei große und sieben Ferkel nach Hause zu.

Der Pfarrer aber, leicht und froh, kam aus dem grünen Verstecke, nahm den Sack, trug ihn zum Flusse, warf ihn hinein und rief: »So, rinn in d' Hell'n, du sakrischer Tuifl!«

Dann ging er, ein Maul voll Wein im Rößl nehmen, und davon heim.

Da saß Michel zwischen seinen Schweinen im Hof und sang sich ein lustiges Lied.

»Herrgott, Michel, bischt net d'rsoffn!?«

»Na, Hochwürden, deesch grad net, aber zehn Schweine hab i, drei alte und sieben Ferkel. Hättscht mi tiefer einig'schmiss'n, hätt' i lauter alte, fette.«

»Wos isch – tiefer?«

»Jo, woascht, Hochwürden, die fetten san halt alli unten in der Tieften!«

Sakra, dachte sich der Pfarrer, der bei den Schweinen seine alte Häuserin ganz vergessen hatte: So a zehn, zwölf fette Schweine brauchet i auch! Und da er so deutlich Micheln, den er ins Wasser geworfen hatte, mitten unter leibhaftigen Schweinen sah, fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf – Was ich Micheln getan habe, mag mir nun Michel tun. Bat den also, wegen seines üblen Vorhabens um christliche Verzeihung und schlug ihm vor, was er sich gedacht.

Michel kratzte sich hinterm Ohr: »Ja, Hochwürden, wann i an Sack hätt' für Eure Dickt'n.«

»Nähscht halt mei' Bettuch z'sam, Michel!«

Und sie gingen miteinander ins Wittum, und Michel nähte den Pfarrer ins Bettuch. Dann nahm er ihn auf den Rücken.

»Sakra, Hochwürden, du bischt fei schwaar! Da muß i an Tragerlohn ha'm!«

»Nimm dir an Guld'nzettel aus'm Strumpf. Aber nit mehra! Ischt alles nachgezählt!«

Du wirscht mi nimmer kantrallieren, dachte sich Michel, nahm den ganzen Strumpf, huckte den Pfarrer auf, trug ihn an den Fluß, warf ihn hinein und 'rief ..Nehmt fei bloß dIettescht', Hochwürden!»

Dann ging er heim und zählte den Strumpf aus. Es waren achttausenddreihundertundneunundsiebzig Gulden und dreizehn Kreuzer.