Otto Julius Bierbaum
Das Madei
Otto Julius Bierbaum

Otto Julius Bierbaum

Das Madei

Eine Grabrede

Nun sind sie fort, die paar Traurigen, die dich gekannt haben, Madei, und die dich hier heraus gebracht haben, wirklich in Trauer, wenn sie auch nicht alle schwarze Röcke anhatten. Du weißt ja, Madei:

Bratenrock, o wehe,
Ein Wort, das ich nicht verstehe,
Ein Wort, erhaben, feierlich
Und furchtbar pfandverleiherlich.

Nein, du kennst die braven Jungen in den abgeschabten Jacketts und den breiten, ein bißchen glänzigen Hüten, und du bist ihnen nicht böse, daß ihre pompes funèbres nicht erster Klasse waren. Ihre Herzen sind erster Klasse.

Warum bin ich doch bei dir geblieben hier draußen? Du, Madei, ich glaube, weil ich mich freue, daß du sogar im Tode noch von Frühlings Gnaden bist. Du fühlst ihn doch, den wunderbaren, frischen, fröhlichen Frühlingstag, der über dem Friedhof liegt? Ach, ob du ihn fühlst! Wer so wie du im Leben begabt war, frühlingsglücklich zu sein, der muß auch im Tode seine Lust am Lenze haben.

Im Tode?

Weißt du Madei, mir ist gar nicht, als ob du tot wärst. Nein, du bist mir vielmehr so nahe, so lebendig nahe, wie nie vordem. Ich sehe dich nicht, aber ich fühle dich so eigen deutlich, wie wenn ich ganz von dir umschlossen wäre, wie wenn dein Wesen hier in jedem Lufthauch bebte, in jedem Blatte auf- und niederschaukelte, schwebte in jeder Fliederblütentraube und in allen den Vogelkehlen sänge, die rundherum hier fröhlich sind.

Nicht tot, Madei, nein: nicht tot! O du herzherzlieber Geselle von einem Mädel, du wunderguter, lieber Kerl!

Jetzt kann ich dir ja sagen, wie köstlich du bist, was für ein selten Ding auf dieser Simili-Welt, du in deiner klaren Echtheit, mit deinem schnellen, lichten Herzen, das heller und heißer fühlte, als es die Art der verdumpften Menschen heute ist.

Wie hast du alles glücklich gemacht, was in deine Nähe kam, übersonnt alles, alles in Duft und Frische gethan!

Vor allem ihn . . .

O, er hat es mir oft erzählt, und seine blauen Augen wurden tief vor Glück dabei; du weißt ja Madei, wie schön sie dann waren; man sah hinein durch sie in seine Seele und sah eine weite schöne Welt, darin die Sonne das braune Madei war.

Er hat mir sein Glück in dir so oft erzählt, daß ich mir einbilde, es miterlebt zu haben, daß ich es wirklich in mir trage, wie ein großes Froh- und Freigefühl. Dir hat er es nicht so oft gesagt, ich weiß es, denn es schien ihm unmöglich, gerade dir zu sagen, wie sonnig er dich fühlte. Und es war wohl auch nicht nötig, daß er dir's sagte, – gelt Madei? Aber heute, da du zum Frühlingsweben geworden bist, da dein Wesen nun durch alles Leben strömt, und du mir so nahe bist innerlich und äußerlich, heute will ich dir wiedererzählen, was er zu mir gesprochen hat in vertrauten Stunden, und du sollst wiederum vernehmen, daß du ihm das Glück gewesen bist. Ich habe noch seinen ersten Brief, den er mir über dich schrieb, den ersten Madeibrief. Wie wundernärrisch glücklich der zu lesen war. »Cito, cito, cito, schnell: ich habe das Madei gefunden, mein Madei. Bums! fuhr aus blauem Himmel ein goldener Meteor in mein Herz, zischte mit seiner Glühe alles weg, was welk und krank darin, und ich war verliebt.

Rot der Rock und das Mieder blau,
Madei, du bist meine liebe Frau,
Schau doch in Runde und Weite:
Grün ist der Haber, das Korn wie Gold,
Hurrah, uns Zwei'n ist die Liebe hold!
Madei, ich komme zur Freite! . . .«

Klug bin ich aus dem Briefe nicht geworden und auch aus den nächsten zehn anderen nicht. Er schrieb ja schließlich bloß noch in Ausrufezeichen. Nur eins merkte ich, das Madei hatte ihn fest und hold in allerliebsten Banden. Das »Madei«. »Man kann auch Mädi sagen,« schrieb er, »aber mein Herz sagt Madei. Was doch die Bauern hierzulande für eine wunderbare Sprache haben. Kommt dir nicht auch »Mädel« dagegen ganz infam vor? Aber freilich, du mußt das Madei erst sehen, um in dieser linguistischen Frage mitreden zu können, Mensch in der steinernen Stadt.«

Ach, Madei, seine Briefe aus jener Zeit sind mir so lieb; denn nicht bloß er steckt darin, sondern auch du, und mit euch beiden das lachende Glück. Ich kann sie allesamt auswendig.

Freilich, als ich dich selber sah, da wußte ich erst recht, was Madei heißt.

So bald wurde uns das Glück nicht. Lange, lange wollte er dich ganz alleine haben, da droben im Gebirg, wo ihr den wunderbaren Lenz eurer Liebe durch Frühling, Sommer, Herbst und Winter lebtet, in Fährlichkeiten und Hindernissen, beneidet, belauert, hintangehalten, getrennt, – bis er dich endlich uns brachte und einziehen ließ seine Königin in die gute Stadt München.

Madei, du kleines tapferes Madei, was hast du da durchgemacht, als du in schneestiebendem Wintermorgen durch Dunkel und Sturm davongegangen bist, hinter dir lassend alles, was dein Herz hindern wollte, dorthin zu schlagen, wo sein Glück war, alles das Dumme, Verhockte, Vernistete, Kleinliche, Häßliche, Böse, das sich dir in dem bieder dummen Vormund verkörperte, der wirklich nicht wußte, was seine Pflicht war. So hast du ihn denn belehrt, und siehe, er sah schließlich ein, was für ein herzgescheites Madei du warst.

Aber damals, weißt du noch, die Angst und große Not in München, und wie du dich bei unserer guten Frau Anna verdingen mußtest, um der Reputation willen, du respektierliches Madei, – ja, und dann das Warten, das Warten, bis es endlich so weit wäre, daß ihr euch ganz haben könntet, ganz und vor aller Welt . . . eine böse Zeit! Aber die Sonne deiner Zuversicht ging nicht unter, und nicht unter ging euer Glück, denn eure Liebe stand ja am Himmel eurer Herzen.

Siehst du, Madei, in der Zeit hab' ich dich so ganz liebgewonnen, weil in dir das Seltene sich zeigte: Das feste, stolze, große Ganzsein, das unbeirrliche Glaubensgefühl an einen großen Lebensinhalt, außer dem dir alles andere gleichgiltig erschien. Du kleines Madei warst wirklich groß. Und das Wunderschöne daran war, daß du alles als Glück empfandest. Alles Widernis, alles, was sich euch querweg legte, alle die dummen Zufälle, alle die Nöte, die Sorgen alle, die immer größer und größer wurden, – nichts, nichts erschütterte dich: »Das Herz muß uns doch bleiben!«

Und siehe: Das Herz, dein großes Liebeherz, das lustig und tief war zugleich, – es blieb stark und eine strömende Gütequelle der Kraft bis zum Letzten, Schwersten.

Wie er krank wurde und in Fiebern lag, in irrestöhnenden Fiebern, und alles, alles gedrückt war um ihn herum, – da war in dir allein noch stetiger Glaube, und aus dir fiel auf ihn noch ein mildes verklärendes Scheinen davon. So lange du seinen Atem noch fühltest, so lange du sein Leben noch hattest, hattest du auch in ganzer Fülle dein wunderbares Leben. Als er aber starb, da warst du auch tot.

Ach, Madei, ich wußte es, ich wußt' es gleich, wie ich dich an seinem Totenbette stehen sah, und wie du nur immer nach seinen Augen suchtest und seine Hände in deinen hieltest, ob nicht doch noch einmal Wärme von dir ihm Leben geben könnte, – ich wußte es, daß du nicht bei uns bleiben würdest.

Und es ist gut so gewesen, nicht wahr, Madei? Was hättest du hier gesollt, hier, wo dir nun alles leer und ein ewiger Winter gewesen wäre, du volles, fröhliches Frühlingsherz!

Nein, es ist besser so, daß du in den ewigen Frühling eingegangen bist, du kleine, braune, lustige Fee du, die du hier um mich bist, daß ich dich beglückt zu spüren vermeine in all' diesem herrlichen strömenden Leben, in dem es keimt und sprießt und blüht.

Sonne allüberall und überall Farben, die das Auge küssen mit dem langen, linden Kusse der Braut. Und drüben, im Flieder, schlägt die Nachtigall. Ich sehe sie nicht, aber ich höre sie, und ich fühle, du bist es, die aus ihr singt. Wie könnte sie sonst so klagejubelnd singen, so aus allem Reichtum eines tiefen, köstlichen Herzens herauf, und so frühlingszuversichtlich voll Glück und Liebe . . .

Madei! Madei! Lachst du mich aus, daß ich nun doch weine? . . .