Otto Julius Bierbaum
Die Haare der heiligen Fringilla
Otto Julius Bierbaum

Otto Julius Bierbaum

Die Haare der heiligen Fringilla

Es lebten einmal (wer weiß, wie lange es her ist), durch das Band des heiligen Sakramentes der Ehe rechtmäßig und katholisch miteinander verbunden, in einem schönen Schlosse ein Prinz und eine Prinzessin. Den Prinzen wollen wir Flodoard, die Prinzessin aber Eulalia nennen, – denn wir haben uns in dem Taschenbuch der fürstlichen Häuser davon überzeugt, daß es keinen Prinzen Flodoard gibt, der mit einer Prinzessin Eulalia ehelich und katholisch verbunden wäre.

Der Prinz, – nun, das war ein ganz annehmbarer Herr. Hübsch wohl eigentlich nicht, auch nicht gerade aufdringlich intelligent, aber er konnte so mit hingehen und machte mit den anderen Prinzen seines Hauses eine ganz harmonische Gruppe. Eine rosige Hautfarbe, gehoben durch einen kohlpechrabenschwarzen Spitzbart und muntere, ganz hellblaue Augen, alerte Bewegungen, die Kleider direkt aus London, – wer mehr verlangt, ist unverschämt. Zudem strich er die Kniegeige und war ein Gönner der mimischen Künste.

Prinzessin Eulalia ermangelte der Reize, die in Märchenbüchern und Zeitungsberichten den Prinzessinnen anzuhaften pflegten. Dafür entstammte sie aber auch einem grausam alten Fürstenhause, das infolge seiner unerhörten Vornehmheit eigentlich auf fortwährende Inzucht angewiesen und daher auch noch durch allerhand kleine geistige Schönheitsfehler ausgezeichnet war. Wir müssen es uns versagen, darauf näher einzugehen, weil wir weder die Absicht noch den Beruf haben, ein Lehrbuch der Psychopathologie mit besonderer Berücksichtigung der ältesten Dynastengeschlechter zu schreiben, und es muß uns genügen, auf die spezielle Form hinzudeuten, in der die psychischen Leberflecke bei Prinzess Eulalia auftraten. Die hohe Dame war, um es mit der gebührenden Delikatesse auszusprechen, religiös etwas stark empfindlich. So bekam sie z. B. Zustände epileptoider Natur, wenn sie genötigt gewesen war, einem Ketzer die Hand zu reichen; erst eine dreistundenlange Waschung in reichlich mit Weihwasser versetzter Eau de Cologne war, wie sie behauptete, imstande, die also besudelte Hand wieder in den früheren Zustand rechtgläubiger Immakulanz zu versetzen. Dies nur ein Beispiel, dem wir noch eine ganze Reihe ähnlicher anzufügen vermöchten, wenn wir nicht vorzögen, zu unserer eigentlichen Geschichte zu kommen.

Prinz Flodoard wußte die Ehre wohl zu schätzen, die darin lag, daß er mit einem, wenn auch etwas welken Sproß jenes grausam alten Fürstenhauses durch die Ehe verbunden war, aber er huldigte der vielleicht frivolen, aber begreiflichen Anschauung, daß diese Ehre ihn nicht an dem Genusse derjenigen Vergnügungen hindern zu müssen brauchte, die ihm jene Ehe nur in unvollkommenem Maße gewährte. – Wie wir schon erwähnten, schenkte er den mimischen Künsten den Vorzug seiner Gunst. Wäre sein Interesse nur von der oberflächlichen Art gewesen, wie sie auch in den bürgerlichen Schichten des Volkes auftritt, so würde er sich darauf beschränkt haben, es von seiner Loge aus zu betätigen: da er aber ein Mann von Gründlichkeit und überdies einer jener vorurteilsfreien Prinzen war, die auch die direktere Berührung mit den Untertanen nicht scheuen, so überschritt er die Schranke, die ihn von den darstellenden Künstlern trennte, und begab sich so oft als es nur ging, d. h. stets dann, wenn er ohne seine hohe Gemahlin das Theater besuchte, hinter die Kulissen. Nur so, sagte er sich, kann ich mit dieser wunderlichen Welt in innigeren Kontakt kommen. Und so war es.

Das Fräulein hieß Fanny und verkörperte die heroischen Weiblichkeiten jüngeren Alters. Denn sie besaß eine starktönende Stimme, lange Beine, volle Arme, glutvolle Augen und einen Busen, der jeder vorgeschrieben Wallung gewachsen war.

Ob Fanny den Ruhm einer großen Künstlerin verdiente, das mögen auf Ehre und Gewissen jene Herrschaften entscheiden, die in der Stadt ihrer Tätigkeit über diese Dinge gegen das übliche Zeilenhonorar zu Gerichte sitzen; an uns ist es lediglich, zu konstatieren, daß Prinz Flodoard in jeden gewünschten Kontakt mit ihr kam und keine Ursache hatte, daran zu zweifeln, daß sie Temperament besaß und heroischer Anstrengungen fähig war.

Somit wäre alles gut gewesen, und wir brauchten diese Geschichte nicht zu schreiben, wenn nicht Prinzessin Eulalia durch eine boshafte Manicure (mit der Fanny einen kleinen Raufhandel gehabt hatte) von der Sache Wind bekommen hätte.

– O! sagte sie, o! und ließ ihren Beichtvater kommen.

Pater Ivo war ein Kapuziner von der verehrungswürdigen Einfalt eines frommen Greises und dem treuherzigen Glauben eines unverdorbenen Kindes. Seit mehr denn fünfzig Jahren trug er seine Kutte und wußte nichts mehr von der Welt und ihrer Arglist, denn was er davon gewußt hatte, hatte er vergessen. – Diesem wackeren Mönche also erzählte Prinzessin Eulalia mit sanft umschreibenden Worten das Greuliche und fragte zum Schluß: Was ist zu tun? Was kann hier helfen?

– Nichts, als die Haare der heiligen Fringilla! antwortete Pater Ivo.

– Ah! sagte die Prinzessin.

– Ja! sagte der Pater.

– Nämlich, fuhr er fort, die Haare der heiligen Fringilla, auf der bloßen Brust in einer geweihten Kapsel aus dem Holze des Judasbaumes getragen, haben die Kraft, die bösen Lüste zu vertreiben, indem sie sie im eigentlichen Sinne hinfällig machen, so zwar, daß...

– Ich verstehe, sprach die Prinzessin, indem sie zu den übrigen Falten ihrer Stirn noch eine bekam; das wird das Richtige sein. Wie aber und woher bekommen wir so schnell Haare von der heiligen Fringilla und Holz vom Judasbaume?

– Hier, antwortete Pater Ivo prompt, griff in seine Kutte und brachte eine Kapsel zum Vorschein, hier sind Haare und Kapsel. Ich bedarf ihrer ohnehin längst nicht mehr, fügte er mit einem milden Lächeln hinzu.

Die Prinzessin nahm die Kapsel mit Dank und Andacht entgegen und hätte sie gerne geküßt, wenn sie nur etwas gelüftet gewesen wäre. So mußte sie sich begnügen, sie mit Devotion zu betrachten. Das Ding sah eigentlich wie eine der alten Taschenuhren mit hohem, rundem Glasdeckel aus, nur daß unter dem Glas kein Ziffernblatt, sondern, auf einem Pölsterchen von weißem Samt, eine Anzahl brauner, ganz, ganz feiner schlichter Haare zu sehen war, die sich fast wie Seidenfäden ausnahmen, so fein waren sie.

Mit dieser Kapsel in den überaus weißen und natürlich hellblau geäderten Händen begab sich die Hoheit Eulalias in die Gemächer ihres Gatten, der eben die Kniegeige traktierte, indem er den ganzen Schmelz seiner Empfindungen für Fanny auf ihre vibrierenden Saiten strich. Als er seine hohe Gemahlin bemerkte, beendigte er die empfindungsreiche Pieße mit einer mehr ausdrucksvollen als harmonischen Figur und sah den Spross des grausam alten Fürstenhauses fragend an.

Der Spross aber sprach: Nimm, mein Geliebter, hier in dieser Kapsel aus dem Holze des Judasbaumes einige Haare vom Scheitel der heiligen Fringilla, hänge die Kapsel um Deinen Hals und trage sie fürderhin auf Deiner bloßen Brust.

Was hat sie denn? dachte sich Prinz Flodoard; es herrschen doch nicht die Pocken oder der Typhus in unserer Stadt, und ich bin überdies in der Unfallversicherung! Sprechen aber tat er so: Aus welchem Grunde wünschest Du dieses?

– Es ist gut gegen allerlei Anfechtungen, erwiderte mit Betonung und einem eigentümlich bohrenden Blicke die Prinzessin.

Der Prinz hatte eine bange Empfindung, nicht unähnlich der, die auch Prinzen haben, wenn sie beim Zahnarzt sind und dieser die elektrische Bohrmaschine herbeizieht. Daher sprach er schnell: Ich danke Dir sehr für diese Aufmerksamkeit. Wie Du weißt, habe ich stets zu den besonderen Verehrern der heiligen Fringilla gehört.

Die Prinzessin neigte hoheitsvoll, aber nur ein bißchen, das Haupt und sprach: So wirst Du, hoff' ich, immer und überall, stets und wo Du auch bist, jederzeit und bei allen Gelegenheiten eingedenk sein, wessen Haare Du auf Deiner Brust trägst, so daß schon der Gedanke allein Deinen Fuß vor jedem Straucheln behüten wird, abgesehen von der magischen Kraft der heiligen Haare selber.

Daß sie etwas weiß, ist sicher, dachte sich der Prinz. Es ist doch scheußlich, daß in diesem Neste alles auskommt. Sprechen aber tat er so: Du kannst Dich in jeder Hinsicht vollkommen beruhigen, meine Teure. Ich werde die Kapsel sofort umhängen und gewiß immer an sie denken. Überdies ist sie, wie ich sehe, so voluminös, daß ich sie unausgesetzt fühlen; werde.

Prinzess Eulalia tat, was sie nur selten zu tun pflegte: sie lächelte. Und, indem sie lächelte, sprach sie: daran erkenn' ich meinen Pater Ivo; er denkt an alles. Prinz Flodoard aber dachte sich: Es wird höchst unschick aussehen, wenn dieser Knollen die Hemdbrust aufbeult. Man wird denken, daß ich eine Hühnerbrust habe.

Indessen, umhängen mußte er sich die Kapsel doch.

Am Abende desselbigen Tages, da sich dieses begeben hatte, befand sich Flodoard (denn in solcher Gesellschaft wollen wir ihn bloß Flodoard schlechthin nennen) bei Fanny. Es war ein schwüler Sommerabend, von der Art, wie die Dichter sie bevorzugen, wenn sie auf hitzige Ereignisse kommen wollen. (Doch wünschen wir mit solchen Dichtern nicht verwechselt zu werden, denn wir haben keinerlei hitzige Absichten, – vielmehr wird diese Geschichte gleich aus sein.)

Flodoard sowohl wie Fanny befanden sich in jenem leichten Kostüme, in dem man sich nur dann am offenen Fenster zeigt, wenn man kein vis-à-vis hat. Das Fannys war aus Seide und rosarot, das Flodoards dagegen, bis auf die große rote Krone unter der Brustkrause, durchaus weiß und aus Batist. Der Schwüle wegen hatte Flodoard es unterlassen, den weißen Kragen seines Gewandes zu schließen, so daß der Hals sowohl wie ein Teil der Brust sichtbar ward, und so kam es, daß Fannys Blick unter anderem auch auf die uns hinlänglich bekannte Kapsel fiel.

Es war vielleicht indiskret, daß sie es tat, aber Fanny fragte, indem die rosarote Seide sich dem durchaus weißen Batiste näherte: Schau, was hast Du denn da hängen?

Es war vielleicht frivol, daß er es tat, aber Flodoard antwortete, indem der durchaus weiße Batist die Berührung der rosaroten Seide sanft erwiderte: Das sind Haare vom Scheitel der heiligen Fringilla.

– Die helfen gewiß gegen Erkältung, meinte Fanny.

– Nein, sie sollen vielmehr gegen Erwärmung helfen, witzelte Flodoard.

– Haare von einer Heiligen hab' ich mein Lebtag nicht gesehn; die muß ich mir näher anschau'n, entschied Fanny, hing dem witzigen Herrn die Kapsel ab und ging damit zum offenen Fenster.

Obwohl wir vorhin bemerkt haben, daß es ein schwüler Sommerabend war, als sich alles dieses begab, erhob sich doch plötzlich in den hohen Bäumen des Parkes, nach dem hinaus die Fenster der neugierigen Heroine gingen, ein Wind und entführte (»auf seinen Fittichen« wollen wir sagen, weil es sich um verehrungswürdige Gegenstände handelt) die Haare der heiligen Fringilla in das grünschwarze Dämmericht. Allwissend, wie wir es dank unserer Eigenschaft als epischer Dichter sind, können wir hinzufügen, daß ein junger Spatz, der eben sein erstes Verhältnis mit einer fast noch weichschnäbeligen Spätzin hatte und sich in einem verlassenen Staarkasten der ausgelassensten Flitterwochen erfreute, unverschämt genug war, die zarten Reliquien mit seinem frechen Schnabel in freier Luft aufzufangen und sie mit den Worten: »Gute Polsterung ist das sicherste Fundament eines liebevollen Lebens« seiner Geliebten unter die warme Basis zu schieben. Habent sua fata capilli.

Fanny, die offenbar nicht mehr Gewissen als eine Spätzin hatte, geriet über die Entführung der Haare nicht etwa in Verzweiflung, sondern sagte bloß kurzhin: Weg sind sie!

Aber Flodoard, der an die Dame aus dem grausam alten Herrscherhause dachte, rief erschrocken aus: Kruzi Türken, das ist aber 'mal unangenehm!

Worauf die Heroine eine spöttische Nase machte, indem sie sich einer bei Menschen sonst seltenen Fähigkeit bediente, die darin bestand, daß sie auf dem Nasenrücken ein paar Längsfalten erzeugte. Dazu sprach sie: Du hast aber auch immerzu Angst vor Deiner grauslichen Hoheit. Übrigens macht das gar nix. Ich leg' einfach ein paar Haare von mir in die alte Tombackuhr.

Flodoard fand das im ersten Augenblick ingeniös, aber dann wurde er verzagt: das geht ja nicht: Du hast ja blonde Haare!

Dies ist die Peripetie der Geschichte. Hier setzt das Wunderbare ein. Die sonst nie versagende Füllfeder des Dichters erlahmt in diesem Augenblicke und vermag nur das Äußerliche der mirakulosen Begebenheit zu registrieren: Fanny kicherte und ging ins Nebenzimmer, von woher man das Schnippsen einer Schere und ein nochmaliges Kichern vernahm.

Am nächsten Morgen, als Prinz Flodoard an der Seite seiner hohen Gemahlin erwachte, sah er, daß diese im Bette aufgerichtet saß und mit starren Augen in die Kapsel sah, die sie ihm im Schlafe abgenommen hatte.

Der Prinz erschrak heftig und fragte: Wa... Was tust Du denn da?

Prinzess Eulalia starrte weiter und flüsterte fast ekstatisch: Flodoard, sage mir, hast Du die Kapsel geöffnet?

Der Prinz antwortete hurtig, aber sanft: Nein, meine Teure, das tat ich nicht.

Prinzess Eulalia sandte die Widerhaken zweier Inquisitorenblicke in seine Seele und flüsterte noch ekstatischer; Schwöre, daß Du die Kapsel nicht geöffnet hast!

Der Prinz überlegte sich den Sachverhalt und sprach dann mit Festigkeit: Ich schwöre!

Die Prinzess erhob ihre Augen zum Betthimmel, als ob dort, wo sich die Falten des Mulls in einem gekrönten Bausch trafen, etwas Unerhörtes zu sehen sei.

Auch Prinz Flodoard wandte seine Blicke dorthin, doch war es ihm nicht gegeben, irgend etwas Besonderes zu bemerken.

 

An diesem Tage wurde Pater Ivo zu früherer Stunde als je ins Schloß gerufen. Prinzessin Eulalia empfing ihn mit allen Anzeichen feierlicher Gehobenheit. Und sie sprach: Mein teurer Pater, ich glaube, daß die Gnade bei uns eingekehrt ist.

– Sie kehrt bei allen ein, die rechten Sinnes sind, antwortete der fromme Greis. Aber: wieso?

– Seht her, antwortete die Prinzessin, – die Haare der heiligen Fringilla haben Locken bekommen!

– O! rief der Pater aus, o! o! o! wie heiß muß die Brust des Prinzen sein!

Die Prinzessin nahm einen strengen Ausdruck an: Wie? So weltlich erklärt ihr dies? Und selbst wenn es die Brust meines Gatten gewesen wäre, die dies vermocht hat, – wäre es nicht ein Wunder? Schlichte Haare, die zu Locken werden, ohne daß man sie wickelt oder brennt?!

– Ja, es ist ein Wunder! entschied der Mönch, der sich seiner nationalistischen Anwandlung schämte.

– Aber was mag es bedeuten? fragte die Prinzess.

Pater Ivo überlegte eine Weile, durchdachte alle Wunder ähnlicher Art, erwog, verwarf, verglich, schied aus und sagte schließlich was folgt: So ist es, meine erhabene Tochter; merket wohl auf! So und nicht anders: Gleich einem göttlichen Zugpflaster haben die Haare der heiligen Fringilla alle böse Brunst aus dem Herzen Eures hohen Gatten gezogen und sind so im Feuer verbotener Lüste zu Locken geworden! Nicht zufrieden damit, ein Abwehrmittel zu sein, sind sie ein Heilmittel geworden. Preisen wir die Macht der Gnade! Der Prinz ist für alle Zeiten gerettet! Meine erhabene Tochter darf fürderhin ruhig schlafen!

 

Von diesem Tage an erhielt Prinz Flodoard sogar den Hausschlüssel.

Daß die Kapsel aber wirklich eine wunderbare Kraft in sich schloß, bewährte sich, so oft er sie nur ansah, denn regelmäßig folgte diesem Blicke der Befehl an seinen Kutscher, ihn nach dem Hause zu fahren, dessen Fenster nach dem Parke gingen, in dem die echten Haare der heiligen Fringilla jenem Spatzenpaare zum Polster dienten.