Anton Bettelheim

Beaumarchais

Eine Biographie

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C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung
Oskar Beck
München

1911

 

Zweite, neubearbeitete Auflage

Mit einem Bildnis des Dichters

C. H. Beck'sche Buchdruckerei in Nördlingen

 

 

Julius und Caroline von Gomperz
in Dankbarkeit und Liebe
zugeeignet

 

 

Beaumarchais

Beaumarchais
Jean-Marc Nattier: Pierre-Augustin Caron als Musiker (1755)
Bildquelle: de.wikipedia.org

Vorwort zur zweiten Auflage

Ein Vierteljahrhundert liegt zwischen der Urausgabe und dieser neuen Bearbeitung meines Erstlingswerkes. Ganze Geschlechter von Lesern und Theatergängern sind mittlerweile nachgewachsen; in allem Wandel der Zeiten, Schulen und Moden haben sich indessen die Phantasiekinder Beaumarchais' mit ihrer angeborenen Naturkraft behauptet. Figaro und Almaviva, Rosine und Cherubin, Susanne, Bartolo und Basilio sind heute so lebensfrisch, wie an ihrem Geburtstage, klassische Zeugen für das Wahrwort, das von Hamlet gesagt wurde: freigeschaffene Gestalten genialer Geister prägen sich dem Gedächtnis der Mit- und Nachwelt wesenhafter ein, als ungezählte leibhaftige Menschen, die spurlos über die Erde gegangen sind. Die schelmische Scherzfrage des bei der Uraufführung seines »Barbier von Sevilla« durchgefallenen Beaumarchais – »wer weiß bei der Leichtfertigkeit unseres Volkes, ob mein Stück auch nur fünf, sechs Jahrhunderte überdauern wird?« – dürfte somit vom zwanzigsten Jahrhundert nicht anders entschieden werden als vom achtzehnten und neunzehnten. Seit Molière hat kein anderer Lustspieldichter der Franzosen in Heimat und Fremde tiefer gewirkt, sieghafter sich bewährt, als Beaumarchais; die Aufgaben, die der geborene Dramatiker mit sicherstem Theatersinn den Schauspielern gestellt, lockten auch in Deutschland bis auf Mitterwurzer und Kainz immer wieder die beweglichsten, geschmeidigsten Naturen; die reichen Anregungen, die seine unter einem singenden, tanzenden Stern aufgeschossenen Komödien der Schwesterkunst der Musik geschenkt, haben Mozart und Rossini tausendfach auf allen Opernbühnen der Welt ihrem Bundesgenossen heimgezahlt.

Und unverwelklich, wie der Ruhm des Komödiendichters, grünt auch der Kranz des Kämpfers; seine Streitschriften im Prozeß Goezmann, im achtzehnten Jahrhundert das Entzücken Voltaires, Rousseaus, Diderots, Goethes, hat im neunzehnten Macaulay in seiner Geschichte eines anderen welthistorischen Bestechungsprozesses – im Essay »Lord Bacon« – als denkwürdige Proben seltener, satirischer Talente herangezogen und Theodor Mommsen in seiner Römischen Geschichte »mit ihrer freien Anmut und dem sicheren Treff den vorzüglichsten Kompositionen dieser Art« gleich- und hoch über alle Gerichtsreden Ciceros gestellt. Stegreifleistungen, die ihresgleichen so wenig haben, wie die Persönlichkeit ihres Urhebers, der mit vollem Recht von seinem ersten Drama »Eugénie« bis zu seinem letzten Operntext »Tarare« stets wiederholte, er sei gar kein Schriftsteller von Beruf, die Literatur sei für ihn nur eine Erholung, ein Zeitvertreib nach ungeheuren, weit über Europa hinausgreifenden Millionengeschäften.

Ein skrupelloser Spekulant größten Stiles gemahnt er als geheimer Agent Frankreichs im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg an urmoderne Leute dies- und jenseits des Ärmelkanals, die vor allem dem eigenen Nutzen, nebenher allerdings auch dem engeren Vaterlande zuliebe Kolonialkriege entzünden. Als kühner Unternehmer der ersten Gesamtausgabe Voltaires, für die er eine eigene Papierfabrik in den Vogesen, eine besondere Druckerei unter außerordentlichen Hemmungen in Kehl ins Leben rief, hat er ebenfalls mit dem eigenen Vorteil zugleich dem allgemeinen Besten zu dienen gewähnt. Den Verlust von Hunderttausenden, mit dem das Riesengeschäft für ihn abschloß, hat er so leichtblütig verschmerzt, wie die gehässigsten Nachreden seiner Neider und nur allzu begründete Zensuren redlicher Sittenrichter. Moralische Bedenken fochten den verwegen vorwärtsstürmenden Glücksritter wenig an, dem einer der größten Parteigänger seines Talentes, Sainte-Beuve, in seinen schmerzerfüllten Klagen über die Littérature industrielle gerechterweise nachsagen mußte: Beaumarchais le grand corrupteur commença à spéculer avec génie sur les éditions et à combiner du Law dans l'écrivain. Dieses strenge Wort bleibt der Wahrheit letzter Schluß über den von Maria Theresia und Kaunitz auf höchst bedenklichen Streichen ertappten, von Goethe so genannten Aventurier français. Sainte-Beuve's – lang vor Arneths unwiderleglichem Archivfunde – mit seiner gewohnten Menschenkenntnis 1839 gefälltes Urteil darf und wird gewissenhafte Forscher nicht hindern, alles, was zugunsten dieses »tollen Christen« an neuen Beweismitteln vorgebracht werden könnte, unbefangen zu prüfen. Kindliche, kritiklose Versuche einer vorbehaltlosen »Rettung« Beaumarchais' stimmen zu dem Mann und seiner Art so wenig, wie ein Heiligenschein zu Reineke Fuchs, wie fromm verklärende Legenden zum Lebenslauf Figaros. Soviel Beaumarchais' persönlicher Ruf durch Erforschung der vollen Wahrheit zu verlieren hat – der Reiz seiner problematischen Natur, die Erkenntnis seiner Verdienste, sein Wagemut, sein prophetisches Erfassen der amerikanischen Weltmacht, sein tapferes, tatenfrohes Sicheinsetzen für die bescheidenen Anfänge seither zu ungeahnter Entfaltung gediehener Erfindungen, der Dampfpumpen und Luftschiffe, kommt dabei nicht zu kurz.

In solchem Geist ehrlicher Forschung und Gewissenserforschung wurde diese erste deutsche Beaumarchais-Biographie geschrieben, die Victor Cherbuliez 1886 in der Revue des deux mondes mit den Worten willkommen hieß: Une biographie de Beaumarchais qu'on pourrait traiter de définitive, s'il y avait rien de définitif dans ce monde. Mit gleichem Wohlwollen urteilten deutsche Kenner, Michael Bernays, A. Brandl, Karl Frenzel, Lotheißen, Wilhelm Scherer, Erich Schmidt, I. V. Widmann, so daß ich die Arbeit, die ich nur nach langem Zaudern und Zweifeln aus der Hand gab und damals so wenig wie heute als endgiltige anzusehen mich anmaßte, nicht als verlorene ansehen darf. Gleichwohl hätte ich mich zu dieser Neubearbeitung nicht entschlossen, wenn in der Zwischenzeit ein anderer deutscher Beaumarchais-Biograph die Ergebnisse meiner Forschungen selbständig überprüft, ergänzt und an belangreichen, vorangehenden und folgenden Studien gemessen hätte. Zu meiner Überraschung setzte die Beaumarchais-Forschung in Deutschland inzwischen fast gar keine neuen Triebe an, während unser Theater, unsere Übersetzungskunst und unsere Essayisten es nicht an Aufmerksamkeit für den Dichter der Figaro-Trilogie fehlen ließen. Ich hielt es deshalb für meine Pflicht, selbst ans Werk zu gehen. Im einzelnen war ich bemüht, nochmals Umschau zu halten in Wiener, Karlsruher, Pariser und spanischen Archiven, überdies alle wichtigeren, mir bekannt gewordenen, seither veröffentlichten französischen, deutschen und russischen Untersuchungen auszuschöpfen. Dessenungeachtet ist meine Beaumarchais-Biographie schlanker und darum hoffentlich nicht schlechter geraten, als in der früheren Ausgabe, da ausgiebigere Kürzungen des Textes durch Verminderung der Proben und Quellenbelege möglich waren. Im ganzen hatte ich zu meiner Genugtuung nichts zu ändern. Mein Leitstern war das erste- und blieb das zweitemal Wahrhaftigkeit und damit wohl verträgliche Billigkeit. Das hat zu meiner Freude Wilhelm Scherer richtig erkannt und, nachsichtig gegen den Anfänger, gewürdigt, als ihm die Urausgabe meiner Beaumarchais-Biographie zuging:

»Ich wüßte nicht, was Sie in einem Seminar hätten lernen können und nicht ohnedies sich angeeignet hätten. In der Behandlung vermisse ich noch allgemeinere Maßstäbe, wenn ich solche anlegen darf, eine eingehendere technische Analyse von Beaumarchais' Schriftstellerei. Im Grunde aber kann ich nur über das Buch als schriftstellerische Leistung urteilen und da muß ich sagen, daß ich kaum etwas zu tadeln wüßte und daß ich jedem Schriftsteller eine Wirkung wünsche, wie ich sie als Leser von Ihnen empfangen. Man verfolgt das Lebensbild, das Sie entrollen, mit einem ähnlichen Interesse, wie die Entwicklung des Reineke Fuchs. Und der Anteil des Lesers setzt sich aus eben den Elementen zusammen wie beim Reineke. Keinen Augenblick gerät man in Gefahr, den Helden moralisch zu überschätzen und dennoch wünscht man ihm alles Gute, freut sich über seine Erfolge, betrübt sich über seine Mißerfolge. Es ist diese Art von Anteil ein, wie mir scheint, noch keineswegs erschöpftes Phänomen der psychologischen Ästhetik und Sie verstehen jedenfalls das Geheimnis, es hervorzurufen.«

Scherers Urteil nahm, wie meine Selbstkritik mir sofort sagte, bei meiner Lösung der eigentlichen, von ihm so überlegen umschriebenen Aufgabe jeder Beaumarchais-Biographie vielfach die Absicht für die Tat. Sein Brief war die Antwort auf meine Begleitzeilen, die mit der Hoffnung schloffen: »Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.« Mit demselben Fürspruch mag mein Erstlingswerk zum zweitenmal den Gang in die Welt wagen.

Wien, 1. Juni 1910.

Anton Bettelheim.

 

Aus dem Vorwort zur ersten Auflage

Goethe und Mozart haben Beaumarchais schon bei dessen Lebzeiten in Deutschland zu hohen Ehren gebracht. Der Tondichter hat »Figaros Hochzeit« zum Ideal des musikalischen Lustspiels, der Autor des »Clavigo« den Rächer von Marie Beaumarchais zum Ideal eines Mannes verklärt. Und nicht bloß dem Bühnenhelden hat Goethe dauernden Anteil bezeugt: in »Dichtung und Wahrheit«, wie in den Gesprächen mit Eckermann rühmt er Beaumarchais wiederholt als alten Liebling und diese beiläufigen Bemerkungen sind mit seinen Äußerungen über den Aventurier français in den Frankfurter Jugendbriefen mit das Beste, was jemals über den Autor des »Barbier von Sevilla« gesagt wurde. Obgleich also in diesen Kernsätzen der unverrückbare Grundtext für die Würdigung von Beaumarchais' Leben und Schaffen gegeben war, hat die deutsche Forschung diesen dankbaren Vorwurf nicht weiter beachtet. Desto lebhafter beschäftigten sich die engeren Landsleute unseres Poeten mit seinen Taten und Werken.

Gleich nach dem Tode Beaumarchais' widmete ihm La Harpe im Cours de littérature eine vortreffliche biographische und kritische Studie; bald darauf veröffentlichte der getreueste Freund des Dichters, Gudin, in den Einleitungen, Erläuterungen und Nachworten der ersten Gesamtausgabe ( Oeuvres complètes de Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, Paris 1809) zuverlässige Angaben über Einzelheiten dieses, abenteuerlich wie ein Schelmenroman, bewegten Lebens. Die Mitteilungen dieses Gewährsmannes waren großenteils seiner umfassenderen (erst 1888 gedruckten) Histoire de Beaumarchais entnommen, die den bezeichnenden Zusatz trägt: pour servir à l'histoire littéraire, commerciale et politique de son temps.

Auf den Schultern Gudins steht durchwegs der beste Biograph Beaumarchais', Louis de Loménie. Dieser namhafte Forscher erhielt von der Familie des Dichters um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts außer der damals nur handschriftlich vorliegenden Histoire de Beaumarchais auch dessen sämtliche Nachlaßpapiere, die reichen Materialien, welche Beaumarchais leider nicht mehr selbst zu einer Autobiographie verarbeiten sollte. Loménies auf so festen Fundamenten ruhendes Buch: Beaumarchais et son temps gilt mit Recht als Zierde der neueren französischen Gelehrtenliteratur, das seinem Verfasser (als Nachfolger Prosper Mérimées) die Ehren der Académie Française einbrachte, welche dem Helden seiner Biographie niemals zuteil geworden. Nur kurze Zeit sollte sich Loménie dieser Auszeichnung erfreuen: noch bevor er seine grundlegenden, gleichfalls aus Privatarchiven geschöpften Studien über die Mirabeau abschließen und dem Publikum vorlegen durfte, hat ihn der Tod aus der Reihe der rastlos Strebenden gerissen. Sein Platz unter den vierzig Unsterblichen fiel Taine zu, der seine Gedächtnisrede nach einer meisterhaften Vergegenwärtigung des Wesens und Waltens seines Vorläufers mit dem »scheinbar schwachen, in Wahrheit aber starken Lobspruch« schloß: »Loménie war ein rechtschaffener Mann und ein guter Geschichtsschreiber«; wir möchten hinzufügen, auch ein Moralist, nach dem Gebot des Evangeliums: »Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet«. Denn von den ersten Versuchen Loménies, der »Gallerie berühmter Zeitgenossen, gezeichnet von einem Niemand«, von den Bildern und Büsten Goethes, Hugos, Rossinis, Guizots, Cobdens, Lacordaires, Ab-del-Kaders, Fouriers etc. etc. bis auf seine späteren und spätesten Arbeiten, die Porträts seiner Freunde Chateaubriand und Alexis von Tocqueville, der Gräfin von Rochefort und ihres Kreises, durchwaltet derselbe milde und beschauliche Geist seine Art und Kunst. Er sucht mit Montaigne nicht bloß l'homme tout entier, er dringt auch wägend und prüfend in die gesellschaftlichen und sittlichen Zustände seiner Zeit und Umgebung ein. Und er schöpft aus so tiefgründender Erkenntnis der Vergangenheit Warnungen und Heilslehren für Gegenwart und Zukunft. Nicht als polternder Bußprediger, als echter Humanist will er die Menschen bessern und bekehren. Seiner nachsichtigen, gütigen Natur entspricht es darum auch, den Verhältnissen schärfer zu Leibe zu gehen, als den Charakteren: seiner Gesinnung als Edelmann, ritterlich große und kleine Sünden seiner Schützlinge – nicht zu beschönigen, dazu ist er zu wahr und ehrenhaft – wohl aber schonungsvoll zu verschweigen. An diese Eigenschaft Loménies hat Taine gerührt, als er meinte, sein Werk über Beaumarchais würde schlechterdings als abschließende Leistung gelten, wenn er nicht den einen und den anderen Zug dieser einzigen Persönlichkeit im Dunkel gelassen hätte: il a laissé un peu dans l'ombre le faiseur et le charlatan, le gamin et le polisson. Und an dieser leicht idealisierten Auffassung seines (anfangs der fünfziger Jahre vollendeten) Meisterbildnisses von Beaumarchais hielt Loménie zeitlebens fest, unbekümmert um die neuen Enthüllungen Arneths über die Wiener Abenteuer von Monsieur de Ronac, unbeirrt auch durch die in den sechziger Jahren von Eduard Fournier entdeckten und für die Comédie Française angekauften Beaumarchais-Papiere, nicht achtend endlich der neuen Forschungen zur Geschichte der französischen Literatur und Gesellschaft im XVIII. Jahrhundert, die während des letzten Menschenalters keinen Augenblick gefeiert und in den Schriften der Gebrüder Goncourt, vor allem aber in Taines Ancien Régime ihre künstlerische und wissenschaftliche Bewältigung gefunden haben. Loménie wollte offenbar nichts an dem Porträt ändern, das er mit so viel Geschmack als Fleiß ausgeführt. Wir begreifen und achten seine Beweggründe (u. a. die Rücksichten gegen die Angehörigen Beaumarchais', die ihm, nur im Vertrauen auf sein Zartgefühl, völlig freie Hand in der Benützung ihres Familienarchivs gelassen). Wir wünschen keinen Strich an seinem Beaumarchais geändert, wäre es auch nur aus der Besorgnis, ein rundes Kunstwerk durch noch so wohlgemeinte Restaurationen möglicherweise zu gefährden. Loménies Beaumarchais-Biographie ist und bleibt durch keine folgende zu ersetzen.

Gleichwohl bedarf nach dem Gesagten das Erscheinen einer neuen Monographie über den Dichter des »Barbier von Sevilla« keiner weiteren Rechtfertigung, zum mindesten nicht in Deutschland; denn unsere Mozartbiographen und Clavigoforscher, Literarhistoriker und Kritiker, selbst die wenigen, die sich einläßlicher über Beaumarchais ausgesprochen haben, wie Hettner, Scherr (in der »Menschlichen Tragikomödie«, II. 1879), Kreyßig (in dem nachgelassenen Werk: Literarische Studien und Charakteristiken, Berlin, 1882) u. a. m. schöpfen mit vollen Händen, nur leider nicht immer mit voller Sorgfalt Loménies Quellen aus.

Der vorliegende biographische Versuch beruht, außer auf dem bisher bekannten Material, auf ungedruckten Papieren Beaumarchais', soweit mir dieselben im Archiv des Auswärtigen Amtes und der Comédie Française zu Paris, im British Museum, dem Archiv von Alcala de Henares und dem Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv zugänglich waren; für den Prozeß Goezmann werden hier zum ersten Male die einschlägigen Akten des Parlement de Paris (Archives nationales), zur Geschichte der Kehler Voltaireausgabe die gehaltreichen Korrespondenzen zwischen dem Markgrafen Karl Friedrich von Baden und dessen Regierung einer- und Beaumarchais andererseits herangezogen. Auch sonst spürte ich in Privat- und öffentlichen Sammlungen, der Straßburger Stadt- und Wiener Hofbibliothek die eine und die andere wertvolle Briefschaft auf, so daß ich vielleicht selbst den französischen Freunden Beaumarchais' manche neue Beiträge zur Kenntnis seines Lebens zu bieten vermag.

Nicht alle, die mich bei meinen Nachforschungen gefördert haben, vermag ich an dieser Stelle zu nennen. Mit zu den reichen Freuden, welche diese Arbeit mir beschieden, gehört es aber, den Vorständen der Pariser Nationalbibliothek und des British Museum, des Pariser National- und des Großherzoglich badischen Landesarchivs, Geheimrat von Arneth in Wien, Landesarchivar Brandl in Brünn, Etienne Charavay in Paris, dem Scriptor der Wiener Hofbibliothek, Dr. Kaltenleitner, der Familie Loménie, dem Archivar der Comédie Française, Georges Monval, Professor Dr. Friedrich Müller in Wien, dem Direktor des Archivs des Auswärtigen Amtes in Paris, Girard de Rialle, dem Kustos des Brünner Franzensmuseums, Moriz Trapp, und dem Karlsruher Archivrat F. von Weech besonderen Dank für ihr wohlwollendes Entgegenkommen zu sagen, nicht zum wenigsten aber meinem alten Schulkameraden Dr. Alfred Landau in Wien, der mir bei dieser Studie, fast von ihren Anfängen bis zum letzten Korrekturbogen, mit treuem Freundessinn als Ratgeber und Helfer unermüdlich zur Seite gestanden.

Ein Herzensbedürfnis ist es mir endlich, den verewigten Meistern schöpferischer Kritik, die, mich anregend und entmutigend zugleich, die Sache Beaumarchais' geführt haben, ein Totenopfer zu weihen: in erster Reihe Sainte-Beuve, dann aber Carlyle, Collé, Theophil Gautier, Saint-Marc Girardin, Lacretelle, Victor Hugo und Paul de Saint-Victor. Ihnen allen ist in der Anerkennung Beaumarchais' Voltaire vorangegangen; denn, wie Goethe in Deutschland, ist der Alte von Ferney in Frankreich der in jedem Betracht erste Fürsprecher von Beaumarchais' Talent gewesen und geblieben.

Habrovan in Mähren,
11. September 1885.

1. Familie und Kindheit

Le gamin de Paris, c'est Rabelais petit …
Il y avait de cet enfant-là dans Poquelin fils
des Halles, il y en avait dans Beaumarchais.
La gaminerie est une nuance de l'esprit gaulois.

Victor Hugo: Les Misérables

Beaumarchais ist ein Pariser Kind, der engere Landsmann von Molière, Regnard, Voltaire; der letztere stand im neununddreißigsten, Rousseau im einundzwanzigsten, Diderot im zwanzigsten Jahre seines Lebens, Ludwig XV. im achtzehnten seiner Regierung, als Pierre Augustin Caron – siebzehn Jahre vor Goethe und Mirabeau, siebenunddreißig vor Napoleon – in einer kleinbürgerlichen Behausung der Rue St. Denis am 24. Januar 1732 zur Welt kam.

Sein Vater, André Charles Caron, stammte, gleich dem Rousseaus, aus einer protestantischen Uhrmacherfamilie; er war am 26. April 1698, dreizehn Jahre nach dem Widerruf des Edikts von Nantes, in dem kleinen Flecken Lizy-sur-Ourcq bei Meaux, woselbst damals noch Bossuet als Bischof waltete, geboren worden. Im Alter von zehn Jahren – 1708 – verlor er seinen Vater, einen starren Calviner; im Totenschein Daniel Carons, des Großvaters unseres Autors, liest man wenigstens, er sei trotz früherer Abschwörung seiner Ketzerei gestorben, ohne die römische Kirche anerkannt zu haben; aus diesem triftigen Grunde sei ihm auch ein ehrliches Begräbnis verweigert worden. Jal, Dictionnaire critique s. v. Beaumarchais. Sainte Beuve, C. L. VI. 202 gedenkt einer Überlieferung, der zufolge die Carons ursprünglich in der Normandie seßhaft gewesen seien. Zu der (von Goethe viel bewunderten) »großen advokatischen« Gewandtheit unseres Autors würde diese Abstammung nicht schlecht stimmen. Racine hat den Schauplatz seiner »Plaideurs« mit gutem Grund in die Basse-Normandie verlegt; die Spitzfindigkeit normannischer Sachwalter, die Prozeßsucht der Bauern und Bürger jener Provinz ist sprichwörtlich bis auf den heutigen Tag.

Bald nachher begibt sich die Großmutter Beaumarchais' nach Paris, während sein Vater als blutjunger Bursche bei den Quälgeistern seiner Glaubensbrüder, den Dragonern, sich unter dem Namen Caron d'Ailly anwerben läßt. Er scheint des bunten Rockes bald überdrüssig geworden zu sein, denn er erhält schon 1721 seinen Abschied und geht nach der Hauptstadt, in der Absicht, sich als Handwerker fortzubringen und mit der Zeit einen eigenen Hausstand zu gründen. Allerlei technische Fertigkeiten mochte er vielleicht noch seinem Vater abgeguckt haben (Beaumarchais gibt sich 1762 in einem Majestätsgesuch bei Ludwig XV. sogar für den Enkel eines Ingenieurs aus). Wollte André Charles Caron jedoch die Nachsicht der erforderlichen Lehrzeit und das Meisterrecht erlangen, so mußte er vor allem im Leben einen Glauben ablegen, den sein Vater noch im Tode bekannt und demzuliebe ein Vorfahr Rousseaus seine französische Heimat verlassen hatte. Wenige Wochen nach seiner Ankunft in Paris, am 7. März 1721, trat der eben verabschiedete, dreiundzwanzigjährige Dragoner zum Katholizismus über, dessen Gebräuche er später in seiner Familie streng und genau einhalten ließ. Wir wissen nicht, ob diese peinliche Beobachtung der religiösen Zeremonien in der persönlichen Überzeugung des Neubekehrten gründete oder nur Gebot der Vorsicht war: fest steht, daß der Glaubenswechsel dem Vater Beaumarchais' die Gewährung aller Vergünstigungen einbrachte, die er beim königlichen Staatsrat nachgesucht hatte. Schon im Februar des folgenden Jahres – 1722 – wird er in die Uhrmacherzunft aufgenommen; Mitte Juli desselben Jahres führt der junge Meister die minderjährige Bürgerstochter Marie Louise Pichon, gleichfalls im damaligen Pfarrbezirk ihres Bräutigams Saint-André des Arts wohnhaft, als Frau heim. Nach diesem schlüssigen Zeugnis des Kirchenbuches müssen die bösen Zungen verstummen, welche den Stammbaum Beaumarchais' mütterlicherseits von dem einer Ballettänzerin aus Bordeaux abzweigen wollen. Vergleiche über die Protestantenverfolgungen Jobez, La France sous Louis XV. Bd. I, S. 84 ff., II, S. 163 ff.

Rascher und reicher Kindersegen stellte sich alsbald ein; noch ehe das junge Paar in die Rue St. Denis übersiedelt, kommt am 26. April 1723 die erste Tochter, Vincente Marie, zur Welt. Die zweite, Marie Josèphe Caron, geboren 13. Februar 1725, bleibt bis zu ihrer im November 1748 erfolgten Verheiratung mit dem Maurermeister Guilbert im elterlichen Hause, um sich dann in Begleitung ihres Mannes und ihrer jüngeren Schwester Lisette, der späteren Verlobten Clavijos, nach Spanien aufzumachen. Drei (1726, 1728 und 1730 geborene) Söhne scheinen bald gestorben zu sein; 1731 wird in dem Taufbuch die Geburt der bereits erwähnten, nachmaligen Heldin des Madrider Romans, Marie Louise, in der Familie kurzweg Lisette genannt, verzeichnet; im folgenden Jahre Pierre Augustin Caron, der künftige Autor der Figaro-Trilogie. Sein Taufpate war der Lichtzieher Picard, die Patin eine Base, die minderjährige Tochter des Lichtziehers Gary, Françoise.

Zwei Jahre nachher, am 30. März 1734, wird die vierte Tochter Madeleine Françoise geboren, mit ihrem Kosenamen Fanchon, vielleicht gar Fanchette, wie Cherubins jüngstes Schätzchen gerufen; im Mai 1756, ein halbes Jahr vor der ersten Vermählung Beaumarchais', heiratet sie den Schweizer Uhrmacher Lépine, nicht ohne Hindernisse: denn ein großjähriges, lediges Frauenzimmer erhebt anfangs wider diese Verbindung – wie Marcelline gegen Figaros Hochzeit – Einspruch, von dem sie jedoch in letzter Stunde absteht.

Die nächste Tochter Marie Julie, geboren am 24. Dezember 1735, die den Spitznamen Bécasse trägt, zeichnet sich gleich der früher genannten durch anmutige gesellige Talente, gleich ihrer jüngsten Schwester Jeanne Marie (»Tonton«) durch nicht gewöhnliche, musikalische Anlagen aus, eine durchaus sympathische, gemütvolle, geistig hervorragende Natur, die ihrem berühmten Bruder in guten und schlimmen Tagen mit unwandelbarer Treue und unversieglicher Laune zur Seite steht. Der Biograph gedenkt dieser Lieblingsschwester Beaumarchais' mit besonderer Dankbarkeit, denn er schuldet ihren munteren Knittelversen manch lustigen Aufschluß über die Jugendstreiche Carons, ihrer Pietät die Abschrift der ersten Epistel, in der er sich und seine Umgebung in naiven Selbstbekenntnissen malt. Worte und Weisen zu fröhlichen, freierfundenen Chansons gingen ihr leicht von der Hand; für die Gelegenheitsschwänke ihres Bruders setzte sie in Gemeinschaft mit Tonton als beliebte und gesuchte Darstellerin ihre Kraft auf verschiedenen Liebhabertheatern ein. Bei der Abfassung seines Meisterwerkes, der Streitschriften im Prozeß Goezmann, ist sie unermüdlich ratend, richtend und helfend zur Stelle. Pascal und Lamartine, Balzac und Renan haben an ihren vielgepriesenen Schwestern keine besseren Lebenskameraden gehabt, als Beaumarchais an seiner Julie, dem Urbild der Susanne in Figaros Hochzeit. Sie sonnt sich in seinem Ruhm, sie teilt seinen Überfluß, seine Liebhabereien; sie trägt den von ihm erst in seinen Zwanzigerjahren angenommenen Namen Beaumarchais: ebenso freudig aber auch sein Unglück und seine Gefahren. Als Beaumarchais unter dem ärgsten Schreckensregiment sein mühsam gerettetes Leben kümmerlich in einer Hamburger Dachkammer fortfristet, als seine Frau, bei sonstiger Todesstrafe, von dem auf der Emigrantenliste stehenden Gemahl sich lossagen muß, als seine junge Tochter Eugenie den allzu prächtigen Palast ihrer Eltern voll Entsetzen über die Zügellosigkeit des Pöbels verläßt, da bezieht Julie Beaumarchais mutterseelenallein die bedrohten Räume. Sie will den Wunderbau vor der Zerstörung und ihren Bruder, dessen Verwandtschaft sie gerade zuvor mit dem Verlust ihrer Freiheit bezahlen mußte, vor dem gänzlichen Verlust seines Vermögens bewahren. In den letzten Jahrzehnten ihres Lebens fand sie, die ein starkes, religiöses Bedürfnis vielleicht von ihren calvinistischen Vorfahren überkommen, Trost und Zuflucht in frommen Betrachtungen. Man hat das seltsame Zusammentreffen angemerkt, daß sie in dem Jahre des lärmendsten Theatererfolges ihres Bruders eine Erbauungsschrift herausgab, die noch ein halbes Jahrhundert später gleichgestimmte Seelen anregen sollte. 1791 bestimmt sie ihren in religiösen Fragen ebenso skeptischen als duldsamen Bruder, in einer Eingabe an die Gemeindebehörden für die Gläubigen wider die Bilderstürmer um eine größere Anzahl von Messen einzuschreiten. Wer aber Julie deshalb für eine weltmüde Betschwester halten würde, möchte weit fehlgehen, denn sie stirbt, ein selbstgedichtetes Liedchen auf den Lippen, in dem sie wie ein wehmütiger shakespearescher Narr ihren welken siechen Leib für zwei Sous ausbietet. Alle um ihr Lager Versammelten, Beaumarchais an der Spitze, finden diesen Preis unzulänglich und überbieten ihn in Stegreifversen, die für die allgemeine Beliebtheit Julies, zugleich aber auch für den freien Ton zeugen, den man sich vor einer Frau erlauben durfte, die schon in ihrer Kinderstube einen Hauch vom Geiste der Hallen verspürt haben mochte.

Die väterliche Wohnung und Werkstatt befand sich nämlich gegenüber der Rue de la Ferronerie, nicht weit vom Standquartier der Fisch- und Marktweiber, deren kraftvolle Schimpfreden der Dichter des »Barbier von Sevilla« in seinen Knabentagen mehr als einmal behorcht und in einer seiner saftigen parodistischen »Paraden« » Les députés de la Halle et du gros Caillou« in urwüchsiger Treue wiedergegeben hat. Nur ein schmaler Seinearm trennt ihn von der Stätte seiner höchsten Triumphe und tiefsten Erniedrigung, vom Justizpalast, in dem nicht bloß der Schatten des heiligen Ludwig, sondern auch die Ahnen der französischen Komödie, die Kobolde der Bazoche umgehen. Endlich weist schon Gudin darauf hin, wie nah an sein väterliches Haus das Dach grenzte, unter welchem nach alter, vielbestrittener Tradition Molière das Licht der Welt erblickt haben soll: eine Tatsache, zu der andere Topographen mit Kopfschütteln hinzufügen, daß vor und nach ihm erstaunlich viel helle Köpfe (Regnard, Béranger etc.) ihre Jugend inmitten desselben, ob seiner Beschränktheit verrufenen Spießbürgerviertels vertollt haben. Aber »Geist geistet, wo er will« und gesunder Mutterwitz offenbart sich seit jeher am liebsten beim »gemeinen Volk«.

Der junge Caron fragte indessen dazumal nach solchen Betrachtungen nicht viel mehr, als nach seiner erlauchten Nachbarschaft, denn weder er, noch seine Lehrer mutmaßten, nach Gudins Zeugnis, daß irgendwelche bedeutendere Fähigkeiten in ihm steckten. Allerdings wurde seine Schulbildung nicht genügend überwacht; dem Vater war es vor allem darum zu tun, den gesunden Esser sobald als möglich in einen Verdiener umzuwandeln und als Gehilfen zu seinem Gewerbe heranzuziehen. Auch fehlte es ihm nicht bloß an Lust, sondern mehr noch an den Mitteln, gleich Vater Poquelin und Arouet, den Knaben in die Kollegien der Jesuiten zu schicken. Gudin beklagt trotz seiner voltaireanischen Gesinnungen lebhaft, daß der Autor des »Tollen Tages« in seiner Entwicklung nicht von diesen »Halbmönchen« beobachtet und gefördert wurde: sie hätten seines Erachtens Beaumarchais von Kindesbeinen an auf Plautus, Terenz, Aristophanes und damit auf seine eigentlichen Muster und Lebensaufgaben hingewiesen. Man darf bedauern, daß Beaumarchais' Schulsack so leicht wog, und gleichwohl anderer Ansicht sein. Nicht Mangel an geläutertem Geschmack, sondern seine ganze Naturanlage hat es zu erklären, weshalb seine ersten theatralischen Versuche (»Eugenie«, »Die beiden Freunde«) nicht an klassische Vorbilder, sondern an die allerneuesten, dramaturgischen Lehren Diderots sich anlehnen; weshalb seine Meisterstücke, der »Barbier von Sevilla« und die »Hochzeit des Figaro«, als die feinste Blüte des Théâtre de la foire sich darstellen; weshalb seine letzten Schöpfungen (»Tarare«, »Die schuldige Mutter«) unsicher tastend für Oper und Familienstück neue Bahnen suchen, die erst in unseren Tagen allgemein betretene Heerstraße wurden. Und tiefere Betrachtung wird als seine Eigentümlichkeit in Vorzügen und Fehlern den scharf und überscharf entwickelten Sinn für die augenblicklichen Bedürfnisse und Stimmungen seiner Zeit erweisen. Er empfängt seine Impulse weit weniger aus Büchern, als von den Verhältnissen, Menschen und Strömungen, die er mit seinen wachen fünf Sinnen um sich sieht, hört, fühlt, errät, erahnt: kein rückwärts gekehrter oder in weite Fernen vorschauender Prophet, sondern ein Sprecher der Massen, der dem unmittelbaren Effekt und Erfolg alles andere nachsetzt. Studium, sinnend vertiefende Betrachtung der Vergangenheit liegt ihm allzeit ferne. Seine Individualität, der übrigens eine lediglich literarische Laufbahn niemals gefallen oder genügt hätte, umklammert genuß- und tatenlustig vor allem die lebendige, Zukunft zeugende Gegenwart. Und weiter: Beaumarchais ist, schon durch den Zufall der Geburt, Großstädter. Während der Bretone Lesage, der Südfranzose Montesquieu, der Burgunder Piron, der Genfer Rousseau, der Sohn des Messerschmiedes von Langres, Diderot, und viele kleinere Leute, wie Grimm, Marmontel etc. erst in reiferen Jahren diese hohe Schule der Welt beziehen, wächst der Held unserer Lebensbeschreibung in der Capitale auf, deren nationale Bedeutung für den einzelnen, wie für die Gesamtheit niemand beredter und gerechter gewürdigt hat, als Goethe. »Denken Sie sich Béranger, anstatt in Paris geboren und in dieser Weltstadt herangekommen, als den Sohn eines armen Schneiders zu Jena oder Weimar und fragen Sie sich, welche Früchte dieser selbe Baum in einem solchen Boden und in einer solchen Atmosphäre wohl würde getragen haben … Wir«, so klagte er Eckermann fünf Jahre vor seinem Tode, »führen doch im Grunde alle ein isoliertes armseliges Leben. Unsere sämtlichen Talente und guten Köpfe sind über ganz Deutschland ausgesäet. Da sitzt einer in Wien, ein anderer in Berlin, ein anderer in Königsberg, ein anderer in Bonn oder Düsseldorf, so daß persönliche Berührungen und ein persönlicher Austausch von Gedanken zu den Seltenheiten gehört. Was dies aber wäre, empfinde ich, wenn Männer wie Alexander von Humboldt hier durchkommen und mich in dem, was ich suche und mir zu wissen nötig, in einem einzigen Tage weiter bringen, als ich sonst auf meinem einsamen Wege in Jahren nicht erreicht hätte. Nun aber denken Sie sich eine Stadt wie Paris, wo die vorzüglichsten Köpfe eines großen Reiches auf einem einzigen Fleck beisammen sind und in täglichem Verkehr, Kampf und Wetteifer sich gegenseitig belehren und steigern; wo das Beste aus allen Reichen der Natur und Kunst des ganzen Erdbodens der täglichen Anschauung offensteht; diese Weltstadt denken Sie sich, wo jeder Gang über eine Brücke oder einen Platz an eine große Vergangenheit erinnert und wo an jeder Straßenecke ein Stück Geschichte sich entwickelt hat. Und zu diesem allen denken Sie sich das Paris nicht einer dumpfen, geistlosen Zeit, sondern das Paris, in welchem seit drei Menschenaltern durch Männer wie Molière, Voltaire und ihresgleichen eine solche Fülle von Geist in Kurs gesetzt ist, wie sie sich auf der ganzen Erde auf einem einzigen Fleck nicht zum zweitenmal findet …«

Goethes Lobspruch gilt zunächst dem Paris des neunzehnten Jahrhunderts: er kommt jedoch mindestens mit demselben Recht der Vaterstadt und der Knabenzeit Beaumarchais' zugute. Rührt doch von einem Moralisten jener Tage der Ausspruch her: Duclos, Considérations sur les moeurs de ce siècle. Chap. I. Die Sätze verdienen doppelte Beachtung, wenn man erwägt, daß ein Bretone sich zu ihnen bekennt, ein Mann, der nicht gar wenig auf seine keltische Heimat und Landsmannschaft hielt. Samte Beuve, C. L. IX. 220–21. »In Paris muß man den Franzosen ausstudieren, weil er da mehr Franzose ist als überall anderwärts.« Und wagt doch derselbe scharfsinnige, landeskundige Beobachter die These: »Wer hundert Meilen von der Hauptstadt entfernt lebt, ist durch ein Jahrhundert von ihrer Denk- und Handlungsweise geschieden.« Eine kühne Redefigur, ganz im Sinn und Stil eines Geschlechtes von »Vordenkern«, die in den Jahren von 1715–1789 Staat und Kirche, das geistige und das Gemütsleben ihrer Nation revolutionierten.

Geraume Zeit vor Ludwig XIV. war der Ruhm seines Regimentes zu Grabe gegangen; noch immer aber nahm das Frankreich seiner Thronfolger den Vorrang unter den europäischen Mächten in Anspruch; noch immer beriefen sich patriotische Schönredner auf die Errungenschaften des »großen« Jahrhunderts, unbeirrt durch die Vorboten einer neuen Weltordnung, die sich in der Freigeisterei der Regentschaft zuerst ankündigen und in der Erklärung der Menschenrechte gipfeln sollte. Eine Epoche der Gärung und Klärung setzt mit dem Tode Ludwigs XIV. ein. Der Aufhebung seines Testamentes durch das überlang niedergehaltene Parlament von Paris folgen alsbald erbitterte Kämpfe zwischen Königtum und Magistratur; Montesquieu, Oeuvres complètes, Ed. Hachette, III, 163. Law »kehrt das ganze Staatswesen um, wie ein Trödler einen Rock wendet« und sein genialer Finanzschwindel führt im Ansehen mehr noch, als im Besitzstand von Adeligen und Plebejern einen folgenschweren Umschwung herbei; schöpferische Kritik aller öffentlichen und gesellschaftlichen Zustände zeitigt eine der ersten und meisterhaftesten Satiren des Jahrhunderts, die Lettres persanes, und bald nachher verpflanzt Voltaire bis dahin wenig verbreitete Ideen über bürgerliche und religiöse Freiheit aus England in die Heimat. Schon zur Zeit der Unmündigkeit Ludwigs XV. kommen unter den führenden Geistern Heilslehren auf, welche die Grundlagen des Reiches auf ihren echten Wert prüfen. Mehr als ein Menschenalter mußte vergehen, bevor ihnen die Massen in der Provinz Glauben schenkten, desto rascher fanden sie sympathische Aufnahme bei der Pariser Bevölkerung. Die neue Bücherweisheit bekräftigte nur den alten Anschauungsunterricht der leibhaftigen Zustände; das Wort Villons: » il n'est bon bec que de Paris« kommt wiederum zu Ehren; die Spottlieder namenloser Volksdichter verkünden mit tausend Zungen den Übermut und die Unfähigkeit der Machthaber; der Mutterwitz der Pariser schont Minister und Höflinge, Prälaten und galante Damen so wenig wie des Königs Majestät und die Heiligkeit des Papstes. Im Jahrmarktstheater und auf Opernbällen, in den Lustgärten der Großen und bei den Festen des Volkes hört man dreiste Straßenlieder, die Menschen und Dinge ohne Scheu vor dem derbsten, oft zynischen Wort beim rechten Namen nennen. Diese Weisheit auf den Gassen hat den Geist des jungen Caron genährt, wie das märchenhaft reiche, von Mercier und allen Genremalern nur unvollständig überlieferte Bilderbuch von Paris seine Phantasie unablässig anregen mußte.

So hat es auch seiner Entwicklung schwerlich geschadet, daß er den ersten Unterricht von einem unbedeutenden Landschulmeister der Pariser Bannmeile erhielt. Der Knabe kam (allem Anschein nach nicht bloß in die Zucht, sondern auch) in das Dorf des Magisters von Alfort, der ihm nicht viel mehr als die Elemente des Lesens, Schreibens und Rechnens beibrachte, allerdings Künste, die er nie ausgelernt hat: denn mit Verständnis lesen, mit Geschmack schreiben und sich in keiner Lage verrechnen blieb Beaumarchais' mit Glück und Geist begonnene und doch nicht immer gelöste Lebensaufgabe. Griechisch hat er nie getrieben, Lateinisch nur sehr oberflächlich; die Schlagsätze römischer Autoren in seinen Schriften sind nicht viel mehr, als herkömmlicher Zierat im Zeitgeschmack. In den Beaumarchais-Papieren der Comédie Française findet man wohl eine Reihe lateinischer Dichterworte, Sinnsprüche und dergleichen von seiner Hand geschrieben, zugleich aber mit einer fürsorglichen französischen Übersetzung versehen. Horaz, Virgil, Ovid sind in dieser Anthologie vertreten. Interessanter als diese Auswahl von Denkversen scheint uns eine lateinisch anklingende Jugenderinnerung Beaumarchais'. »In meinen Knabentagen wurde das erste Kind des Dauphin geboren; als ich mich abends an der prächtigen Beleuchtung ergötzte und die Feuerzeilen straßenauf, straßenab wanderte, fiel mir eine Inschrift auf dem Stirngiebel eines Gefängnisses mit folgenden, höchst ausdrucksvollen Worten in die Augen: Usque in tenebris. Sie ergriff mich so lebhaft, daß ich sie noch heute zu lesen glaube. Die allgemeine Freude war bis in den Jammer der Kerker hinab gestiegen.« Hat der Kleine die Devise wirklich selbst enträtselt? Man darf es bei seinen geringen Sprachkenntnissen immerhin bezweifeln; (hat doch der sonst so gelehrige Beaumarchais in reifen Jahren trotz mehrfacher Reisen nach Spanien, England, Holland, Deutschland und Österreich als echter Franzose seiner Zeit niemals eine andere Zunge als die seiner Heimat verstanden!): vielleicht verdolmetschte ihm das Usque in tenebris ein ihm freundlich gesinnter Pater im Kloster der Barfüßer von Vincennes, zu welchen er als zwölfjähriger Knabe bei Gelegenheit seiner ersten Kommunion geführt wurde. Ein großes Gemälde in der Sakristei, »Das jüngste Gericht«, gefiel ihm so wohl, daß er oft und gern zu dem herrlichen Kunstwerk hinauspilgerte. Ein alter, gescheidter Mönch unternahm es nun, ihn der Welt abwendig zu machen; er predigte ihm allemal über den Vorwurf des Bildes und würzte seine erbaulichen Reden mit Bibeltexten und einem Vesperbrot. Der junge Caron fand an dem Zufluchtsort, an der Moral und nicht zuletzt an den leckeren Bissen der Klosterküche Geschmack und lief eine Weile lang an jedem Ferialtag zu dem gutmütigen Bruder hinaus. Besondere Pietät hat Beaumarchais gleichwohl nicht für seine freundlichen Wirte gehegt; als im Jahre 1790 mit anderen Kirchengütern auch diese Stätte seiner Jugenderinnerungen unter den Hammer kommt, geht der erfahrene Finanzmann, unbeirrt durch den Fluch des Kirchenraubes, mit dem Plane um, die herrliche Besitzung mit Wäldern und Gründen an sich zu bringen. Die gleiche Absicht hegt aber auch Mirabeau, der unter der Hand von seinem ehemaligen Gegner Beaumarchais zu erfahren wünscht, ob er wirklich an die Erwerbung der hübschen Klause denkt, da er ihm sonst den Preis nicht verderben will (und kann). Beaumarchais, der alle Ursache hat, alte, für ihn sehr verdrießliche Händel mit dem »König der Revolution« zu schlichten, steht Mirabeau zuliebe von seinem Vorhaben ab, bittet sich jedoch ausdrücklich das Meisterwerk (von Jean Cousin, heute im Louvre) für seine Hauskapelle aus. Eine Bedingung, welche der versöhnte Mirabeau mit der boshaften Wendung zugesteht: »das Bild, welches Ihrem Gedächtnis im Verlauf eines Lebens, das Sie notwendigerweise vom jüngsten Gerichte ein wenig abgezogen hat, so tief eingeprägt blieb, soll Ihnen gehören, wenn ich Eigentümer der Klause werde«.

Mittlerweile ließ sich jedoch der Knabe von seinen künftigen Glücksgütern und der Umwälzung, welche diese Klosterzellen in Sommerfrischen umwandeln sollte, nicht mehr träumen, als von seinem späteren Weltruf. Der Vater hatte ihn im Alter von dreizehn Jahren aus der Schule heimgenommen, um ihn zu einem tüchtigen Uhrmacher heranzubilden; ehrgeizig und erfinderisch strebte Charles Caron gelegentlich auch über sein Fach hinaus; Zeuge dessen sein vor die Pariser Akademie gebrachter Prioritätsstreit Der Prioritätstreit von Vater Caron wurde vor der Pariser Academie des Sciences ausgetragen. Ich besitze Lettre du S. Caron pour servir de réponse au Mémoire historique du S. Boulogne imprimé le 5 juillet 1729 (Druck). Einen Blick in die Sitzungsberichte der Akademie vergönnte mir Joseph Bertrand, selbst Mitglied der Académie française, auf freundliche Empfehlung Victor Cherbuliez' im Mai 1886. Der Vater Beaumarchais' erscheint in seinen gedruckten und protokollierten Äußerungen als heller Kopf und streitbarer Kämpfer, dessen polemische Begabung offenbar auf seinen Sohn übergegangen ist. über eine von ihm ersonnene Neuerung beim Schiffziehen. Der junge Lehrling scheint sich jedoch trotz dieser Regsamkeit anfangs hinter dem »Glasverschlag der Werkstatt« nicht so wohl gefühlt zu haben wie im Kreise seiner Schwestern und einer wilden Rotte lärmender Kameraden. Schwester Julie schwingt sich in herzlich schlechten Knittelversen zur Reimchronistin dieser Tage auf:

Ich besing' die Unschuldszeiten,
Unsrer Kindheit Lustbarkeiten,
Wie wir tollten unverdrossen
Mit Blangé unsren Spielgenossen.

Und nun folgt eine Schilderung der mutwilligen Streiche ihres Bruders, den sie uns als eingeteufelten Hauptmann einer Horde von Taugenichtsen beiderlei Geschlechtes abkonterfeit, allzeit bereit, die Speisekammer trotz des Widerstandes der Köchin Margot zu plündern oder abends bei der Heimkehr vom Spaziergang die Nachtruhe der friedlichen Pfahlbürger im gewerbereichen Viertel von St. Denis durch wüstes Schreien und Singen zu stören. Das ausgesprochene Lieblingsspiel des jungen Caron war aber – bezeichnend genug – in richterlicher Amtstracht Händel unter seinen Gefährten anzustiften, die unter der Leitung des verschmitzten Burschen alsbald in Schlägereien ausarteten. Julie hat auch dieses Genrebild festgehalten:

Auf dem Sitz dem unkommoden
Thront Caron gleich 'ner Pagoden
Und trotz Bäffchen und Perücke
Reizt mit ausgesuchter Tücke
Dann der schadenfrohe Richter
Der Klienten arm Gelichter
– Nur um herzhaft sich zu laben –
Ihre Händel zu begraben
Unter wilden Prügeleien
Püffehagel, wildem Schreien,
Bis der ganze hohe Amtstag
Unter Mützen und Perücken
Bäuchlings platt am Boden lag.

Bald aber sollte für den Rädelsführer dieser bande joyeuse ein minder spaßhafter Gerichtstag kommen, bei welchem ihm nicht die Rolle eines aus sicherer Höhe hinabblickenden Zuschauers, sondern die weniger beneidenswerte des armen Sünders zufiel. Die Schalen des väterlichen Zornes scheinen sich langsam über Pierre Augustin gesammelt, dann aber mit einer jähen Entladung auf sein Haupt ergossen zu haben. Der Knabe hatte sich eine Reihe kleinerer und größerer Vergehen zuschulden kommen lassen: er hatte seine Mutter unziemlich behandelt und Geschäftsgelder unbefugt für seine Unterhaltungen verwendet; auch scheint er sich lieber mit den Harfen, Geigen und Spinetten seiner Schwester, als mit der Anfertigung von Schneck' und Unruh befaßt zu haben. Das wurde der väterlichen Langmut zu viel und Caron fils eines schönen Tages aus dem elterlichen Hause davongejagt. In Beaumarchais' Mannesjahren sagten ihm Neider und Verleumder nach, er habe sich anfangs aus dieser Verbannung nicht viel gemacht und, auf seine Körperkraft und gymnastische Gewandtheit bauend, sich als Gaukler und Akrobat umhergetrieben. Wir wissen nichts näheres darüber; mag sein, daß der junge Eulenspiegel eine Zeitlang in Jahrmarktsbuden seinen musikalischen und theatralischen Liebhabereien nachging: sicher ist, daß er auf die berechtigte Züchtigung der väterlichen Gewalt klein beigab. Er beugte sich der Autorität des Hausregimentes; durch Briefe, Verwandte und befreundete Fürsprecher bestürmte Pierre Augustin den starren Sinn des Vaters. Der Alte läßt sich erst nach einer Weile erbitten und antwortet endlich mit einem sehr gesalzenen Ablaßbrief, in dem er mit seinem Sohne wie Macht zu Macht verhandelt oder vielmehr wie ein Sieger, der dem ganz zu Boden geschmetterten Gegner ein Sündenregister vorhält, um ihm endlich die vorbehaltlose Annahme seiner Friedensbedingungen vorzuschreiben; der ehrenfeste Hausvater verzieh nur auf Widerruf; in einer bogenlangen Punktation setzt er ein halbes Dutzend Gebote und Verbote fest, zu deren strenger Einhaltung sich der Sünder schriftlich verpflichten muß:

»Hochgeehrter Herr Vater! Ich unterfertige alle Ihre Bedingungen in dem festen Willen, sie mit Gottes Beistand zu erfüllen; doch wie schmerzlich rufen sie mir die Zeit ins Gedächtnis, wo all diese Förmlichkeiten nicht nötig waren, um mich zur Pflichterfüllung zu bestimmen. Es ist gerecht, daß ich eine Demütigung erdulde, die ich in Wahrheit verdient habe, und ich wäre überglücklich, wenn sie mir im Verein mit meiner sonstigen guten Aufführung die Wiederkehr Ihrer Freundschaft verschaffen könnte. Zur Bekräftigung unterschreibe ich Ihren Brief seinem vollen Wortlaute nach

A. Caron fils.«

Es scheint nicht die einzige Gemüts- und Charakterkrise gewesen zu sein, die mit dieser völligen Unterwerfung unter den väterlichen Willen ihre Lösung fand. Pierre Augustin war sechzehn Jahre alt, als zwei seiner älteren Schwestern, wie schon früher bemerkt wurde, nach Madrid reisten, die eine als Gattin des »Architekten« Guilbert, die jüngere, Lisette, als ihre Begleiterin, beide mit dem Vorhaben, in der spanischen Hauptstadt ein Putzmachergeschäft zu betreiben. Der erste nach Madrid gerichtete Brief Pierre Augustins hat sich, dank Julie, in den Familienpapieren erhalten; ein Jahr vor seinem Tode fand Beaumarchais im Nachlaß der Trefflichen die Epistel, die er mit der folgenden Randnote versah: Loménie druckt das Schriftstück I, 70–71 mit der Bemerkung ab, es sei von Beaumarchais im Alter von dreizehn Jahren verfaßt worden. Das ist unrichtig. Der Brief kann unmöglich vor 1748, dem Jahr, in welchem sich Marie Josèphe Caron verheiratete, geschrieben worden sein; eher nach 1748. Jedenfalls war Beaumarchais dazumal mindestens 16 Jahre alt. »Erster, schlechter literarischer Versuch eines Schlingels, der mit dreizehn Jahren die Schule verließ, an zwei Schwestern, die gerade nach Spanien gegangen waren; wie es in Kollegien gebräuchlich, hatte man mich mehr zu lateinischen, als französischen Versen herangezogen.« Der jugendliche Briefsteller setzt mit recht ungelenken Strophen ein und fährt dann – ohne deshalb mehr oder minder poetisch zu werden – in Prosa fort: »Euer Schreiben hat mir unendliches Vergnügen bereitet und mich aus einer tiefen Schwermut gezogen, die mich seit einiger Zeit gefangen hält, mir das Leben zur Last macht. Doch die Nachrichten, die ich von Euch erhielt, erhellen meine misanthropische Stimmung mit einem schwachen Lichtschimmer.« Bei diesem Gedanken fühlt sich das zärtliche Herz des Jungen neuerdings zu Versen angeregt. Er wünscht für seine Luftschlösser eine Genossin, deren Idealbild er mit sichtlichem Behagen entwirft. Tausend Reizen des Geistes soll sie liebliche Züge, eine Büste, weiß wie Elfenbein, Augen siegessicher, wie die seiner neuvermählten Schwester Guilbert, den feinen, wohlgeformten Wuchs Lisettens, die frische Gesichtsfarbe seiner jüngeren Schwester Fanchon, den Witz von Bécasse (Julie) und die Tonton unablässig vorgeworfene Lässigkeit zugesellen. Mit seiner also ausgerüsteten Iris würde er dann in stiller Abgeschiedenheit den Tag mit Nichtstun, die Nacht mit ihrer Lust verbringen wollen. »Doch welche Torheit, Euch mit meinen Träumereien zu unterhalten? Und nun gar Träumereien über das schwache Geschlecht bei mir, der alles, was Röckchen und Häubchen trägt, um all der Übel willen, die mir das arge Volk angetan, verabscheuen sollte … Doch Geduld, nun bin ich Weiberpfötchen entwischt, das beste bleibt, nie dahin zurückzukehren …«

Ein Erguß der Flegeljahre, den der gealterte, grundverschiedenen Ansichten huldigende Beaumarchais mit den Worten erläutert: »Ich hatte eine tolle Freundin gehabt, die sich über meine heißblütige Jugend lustig gemacht und just verheiratet hatte. Ich wollte deshalb Hand an mich legen …« Die Selbstmordgedanken werden in dem jungen Caron kaum tiefer Wurzel geschlagen haben, als seinerzeit in dem neunzehnjährigen Pagen Arouet-Voltaire in seinem Liebeshandel mit Olympia; auch wird ihm bei seinem zeitlebens recht redseligen Blute um ein neues Liebchen nicht lange gebangt haben. Vor allem aber blieb er der väterlichen Vorschrift, in seinem Handwerk berühmt zu werden, eingedenk. In einem Alter, in welchem, nach Gudins sachkundigem Zeugnis, andere noch lernen und ihre Meister nachahmen, war es dem einundzwanzigjährigen Caron vorbehalten, eine merkwürdige Verbesserung im Mechanismus des Uhrwerks zustande zu bringen und sein Erfinderrecht gegen einen unehrlichen Zunftgenossen vor der selbstgewählten Gerichtsbarkeit der Académie des Sciences zu behaupten. Da er aber niemals gewohnt war, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, führte er sich mit seinem ersten Erfolg geräuschvoll beim Pariser Publikum, geschmeidig beim Hofe von Versailles ein. In Beaumarchais' Galerie des femmes du siècle passé heißt es:
» Vous jeunes gens que je conseille,
Retenez ce bon mot d'un sage
(Des moeurs c'est là le grand secret)
Toute femme vaut un hommage,
Bien peu sont dignes d'un regret«.
Correspondance secrète, XIII. Londres 1788. Vgl. Goncourt, Beaumarchais ( Portraits intimes 279–86). 1878. Die Verse lauten etwas anders bei Fournier 699.

2. Erster Prozeß

C'est cette chaleur de sang dont je crains
bien que l'age ne me corrige pas
qui
m'a fait défendre avec tant d'ardeur les justes
prétentions que j'avais sur l'invention de mon
échappement.

Caron fils (Brief an den Mercure de France, 6. Juni 1755).

Es war damals kein Kleines, sich in der edlen Kunst der Uhrmacherei hervorzutun; seit den Tagen, in welchen sie die letzte Lust und Last eines der Weltherrschaft überdrüssigen Kaisers gewesen, hatte sie ausgiebige Förderung von den exakten Wissenschaften erfahren, Galilei und Huyghens unter ihre Schutzpatrone aufgenommen und ihr kostbares Vermächtnis insbesondere auf englischem Boden reich gemehrt. Ihre ersten Meister erhalten Sitz und Stimme in den Akademien von London und Paris; ernste Forscher unternehmen das Werk der Gradmessung nur mit einem Gildegenossen Carons als Reisebegleiter. Männer von europäischem Ruf, die Leroy und Romilly, erfüllen die hochgesteigerten Forderungen von Astronomen und Seefahrern ebenso bereitwillig, wie die abenteuerlichen Launen des Modegeschmackes, denn die Pariser Salonheldinnen, im Bunde mit den Kleinkünstlern, Goldschmieden, Emailarbeitern etc., immer darauf aus, neue Verschönerungen ihrer Toiletten und Wohnräume zu ersinnen, verlangen mit besonderer Vorliebe Uhren aller Formen und Größen. Und eine Modephilosophie, welche die Metaphysik als Roman der Seele auffaßt, sucht ihrer Weisheit letzten Schluß in der Gleichnisrede: Encyclopédie, 3. Ausgabe, 1772. Art. Horlogerie (»une science où la main-d'oeuvre n'est qu'un accessoire«). Im Siècle de Louis XIV nennt Voltaire die Uhrmacher physiciens de pratique.

Le monde m'importune et je ne puis songer
Que cette horloge existe et n'ait point d'horloger.

Nichts natürlicher, als daß jedes, wenn auch noch so unscheinbare, neue Pfropfreis auf diesem Zweige des Gewerbefleißes weit über den Kreis der Fachmänner hinaus Aufmerksamkeit und Anteil erregt. Gespräche über alle möglichen Fragen der Industrie und Technologie gehören anfangs der Fünfzigerjahre förmlich zum guten Ton. Die ersten Bände der Enzyklopädie sind eben erschienen und das ungetüme Zeughaus, das alle aufstrebenden Köpfe mit Waffen im Freischärlerkrieg gegen ungezählte Mißbräuche und Vorurteile versieht, versorgt auch oberflächliche Halbbildung mit glänzendem Kleinkram. Selbst in der nächsten Umgebung des Königs kommen diese Liebhabereien gelegentlich zum Vorschein. Der Herzog von La Vallière und der Duc de Nivernois sind bei einem Souper Ludwigs XV. verschiedener Ansicht über die Bereitung des Schießpulvers; der Oberstjägermeister bedauert, daß ihr erlauchter Wirt die Enzyklopädie in seinem Reich verbieten ließ, da man dort Aufschluß über diese Frage finden könnte. Der Monarch läßt das Werk sogleich aus seiner Bibliothek holen, drei Kammerdiener schleppen mühsam je sieben Folianten herbei, der Herzog von La Vallière behält recht: die Marquise von Pompadour blättert weiter und erfährt unversehens, aus welchen Stoffen das Reispulver und die rote Schminke bereitet werden, die sie täglich auflegt; sie erhält ungeahnte Ausschlüsse über den Unterschied zwischen spanischem und Pariser Rouge, zwischen ihrer Schminke und den Scharlachfarben der Töchter Hellas'. Ihre Neugier geht weiter, sie will die Lebensgeschichte ihrer Seidenstrümpfe kennen lernen, das Riesenwerk bleibt auch hier die Antwort nicht schuldig. »Welch schönes Buch!« ruft sie mit kindischer Freude. »Sie haben dies Magazin aller nützlichen Dinge wohl nur deshalb mit Beschlag legen lassen, Sire, um der einzige Wissende in Ihrem Königreiche zu sein?« Und um dieser Stichproben willen schmeichelt man dem königlichen Gleichmut den Freibrief für die gefährlichsten Gegner von Fanatismus und Tyrannei ab. Die seichte Schöngeisterei der Pompadour macht Schule, alle Frauen scheinen entzückt von denselben Büchern, die den jungen Goethe kalt lassen. »Wenn wir von den Enzyklopädisten reden hörten oder einen Band ihres ungeheueren Werkes aufschlugen, so war es uns zumute, als wenn einer zwischen den unzähligen Spulen und Weberstühlen einer großen Fabrik hingeht und vor lauter Schnurren und Rasseln, in Betrachtung dessen, was alles dazu gehört, um ein Stück Tuch zu fertigen, sich den eigenen Rock selbst verleidet fühlt, den man auf dem Leibe trägt.« Der Gegensatz dieser Geschmacksurteile ist leicht zu begreifen, in Straßburg suchte man nahrhafte Kost, wo man in Pariser Salons nur naschte oder zu naschen vorgab. Die lächerlichen Marquis und Zierpuppen Molières werden im Zeitalter Voltaires von Sonntagsphilosophen abgelöst, die überall dabei sein müssen, wo es Ungewöhnliches zu sehen, zu hören, zu erklären gibt; sie eilen von der Putzmacherin in das anatomische Theater; sie werden Messen für den glücklichen Ausgang einer Luftschiffahrt lesen lassen und sie strömen scharenweise in einen Uhrmacherladen, bloß um eine vielberedete Negerfigur zu bewundern, die das Zifferblatt des Stundenzeigers im rechten, das des Sekundenzeigers im linken Auge trägt. Kritiklos und vergnügungssüchtig, geben sich diese großen Kinder dem Erstbesten gefangen, der ihrer Neugier und Eigenliebe zu schmeicheln versteht; wer ihre Autorität anerkennt, ihre Gönnerschaft anruft, hat sie im voraus halb gewonnen.

Das wissen auch alle, die ihr Handwerk verstehen, und der Uhrmacher Lepaute säumt darum nicht, eine angeblich von ihm ersonnene Hemmung Das Räderwerk einer Uhr wird bekanntlich durch Gewichte oder Federn in Bewegung gesetzt, die wiederum durch Pendel oder Schwungräder reguliert werden. Um den Regulator in constantem Antrieb zu erhalten, wird die sog. Hemmung angebracht, deren Vereinfachung noch heute ein Lieblingsproblem geschickter Mechaniker. Siehe auch Encyclopédie Art. Echappement. nicht bloß der Akademie vorzulegen, sondern auch den Leserkreis des Mercure de France von seiner Neuerung zu unterhalten (September 1753). Aber kaum ist die Anzeige erschienen, als auch schon Caron fils bei Herrn Fouchy, dem Sekretär der Pariser Académie royale des sciences, sich einstellt und Klage gegen Lepaute führt, der sich unehrlicherweise seine – Pierre Augustins – eigenste Erfindung zunutze machen wolle. Der Eilbote seiner Hiobsposten weist zugleich eine Schachtel mit zahlreichen Versuchsmodellen vor, Leidensstationen auf dem bezielten Weg zur Vervollkommnung der Hemmungen. In der ersten Erfinderfreude war er so unvorsichtig, Lepaute sein Echappement zu zeigen, als guter Kollege so freundlich, ihm die Anwendung seines neuen Systems für ein Kabinettstück zu gestatten, gegen das ausdrückliche Versprechen, daß niemand außer Lepaute die Uhr aufziehen oder ihren geheimen Mechanismus zu Gesicht bekommen dürfe. Wer konnte sich eines so groben Vertrauensbruches bei einem allgemein angesehenen Fachmann wie Lepaute versehen, der als Schützling des Ministers Grafen St. Florentin (des nachmaligen Herzogs de la Vrillière) gilt. Allein seine Schliche sollen ihm so wenig helfen, wie seine Gönner. Unerschrocken tritt der junge Caron mit derselben Beschwerde vor den Minister, der die Sache gütlich schlichten will und die Streitteile zu sich bescheidet, um ihre Ansprüche zu erörtern. Lepaute stellt sich eine Stunde vor der festgesetzten Zeit ein und erklärt, die Herren Caron, Vater und Sohn, hätten ihn abends zuvor aufgesucht, als Urheber des neuen Systems anerkannt und alle weiteren Ansprüche aufgegeben. Die Lüge verfängt nicht besser, als Einschüchterungen, die Lepaute versucht. Die beiden Carons kommen rechtzeitig und versichern das gerade Gegenteil: ein ungeschickter Vermittler habe den Zwischenfall verschuldet; hartnäckiger denn je besteht Caron fils auf seinem Erfindervorrecht. So bleibt dem Grafen St. Florentin nur übrig, den Schiedsspruch der Akademie einzuholen. Die im Text gegebene Darstellung beruht auf einem offenbar von Caron fils herausgegebenen Abdruck des: » Jugement de l'académie royale des Sciences et rapport de Mrs. les commissaires qui approuve le nouvel échappement de montres du Sieur Caron fils, horloger à Paris (40 pp.).« Das Heft kam mir im British Museum in einem Sammelband »Generalmethoden zur Zeichnung unterschiedlicher Zifferblätter etc.« zu Gesicht. (Cordier, No. 308.) St. Beuve trifft ins Schwarze, wenn er Beaumarchais gelegentlich nachsagt, er habe die Technik der Reklame gemeistert und bereichert. C. L. VI. 226. – Die Briefe des jungen Caron abgedruckt bei Fournier S. 754.

Caron fils, › horloger rue St. Denis près Sainte Catherine‹ läßt es bei diesem ersten Erfolg nicht bewenden; er will seinen Gegner auch in der öffentlichen Meinung keinen Vorsprung gewinnen lassen; in einem offenen Brief an den Mercure de France bittet er das Publikum, nicht vorschnell zu urteilen, und vermerkt in einem scharf und tapfer weiter geführten Zeitungskrieg noch andere Widersprüche, die »allesamt beweisen, daß Gedächtnislücken – höchst unbedenklich, wenn man nur die Wahrheit sagen will – sehr gefährlich werden, wenn man die Wahrheit verschleiern möchte.« In der Akademie selbst führt Caron fils zermalmende Zeugenbeweise gegen seinen Widerpart. Er bringt Gewährsmänner zur Stelle, die anwesend waren, als seine neue Hemmung Lepaute zuerst gezeigt und erklärt, von ihm aber nicht sogleich begriffen wurde, und auch die Gegenzeugen, der Graf St. Florentin und der Duc de Chaulnes, wissen kein Sterbenswörtchen davon, daß Lepaute der persönlichen Aufmerksamkeit des Königs das strittige Echappement empfohlen hat. Nach den Ergebnissen dieser Voruntersuchung kann der junge Caron die Entscheidung seiner Sache getrost der Akademie anheimstellen. In der » Encyclopédie« (Art. Echappement) wird Caron fils nicht bloß seiner Erfindung halber herzhaft gelobt: man rühmt ihn auch wegen seiner Anrufung der akademischen Gerichtsbarkeit. Mehr als ein Menschenalter später wurde Beaumarchais grundlos von einem erbitterten Gegner, Kornmann (Kap. 17), bezichtigt, die Erfindung dieser Hemmung dem Uhrmacher Biesta entlehnt zu haben. Beaumarchais selbst legte immer hohen Wert auf seine Erfindung. In seiner Familie wurde das Diplom der Akademie sorgfältig aufbewahrt und La Harpe nach Beaumarchais' Tode wie eine Trophäe vorgewiesen. Als der Schwiegersohn unseres Autors Herrn v. Loménie den Zutritt in das so anschaulich geschilderte Beaumarchais-Archiv in einer staubigen Pariser Dachkammer eröffnete, fanden die beiden in einem Koffer, dessen Schlüssel verloren gegangen war und zu dessen Aufsprengung ein Schlosser herbeigeholt werden mußte, dicht neben den Manuskripten des »Barbiers« und der »Hochzeit des Figaro« ein Modell der von demselben Schöpfer herrührenden Hemmung mit der Inschrift: Caron filius ætatis 21 annorum regulatorem invenit et fecit 1753.

»Seit meinem dreizehnten Jahre« – so heißt es in seinem Gesuche – »wurde ich von meinem Vater in der Kunst der Uhrmacherei unterrichtet, durch seinen Rat und durch sein Vorbild ermuntert, mich ernstlich mit ihrer Vervollkommnung zu beschäftigen; dies vorausgeschickt, wird niemanden mein angelegentliches Bemühen überraschen, mich schon im Alter von neunzehn Jahren in derselben auszuzeichnen und die Achtung des Publikums zu gewinnen. Die Hemmungen waren der erste Gegenstand meines Nachdenkens. So viele große Männer, welchen ich trotz der Bemühungen eines ganzen Lebens vielleicht niemals werde gleichen können, haben sich daran versucht, ohne zu dem lebhaft ersehnten Grade der Vollendung zu gelangen. Wie durfte ich mir schmeicheln ans Ziel zu kommen? Doch Jugend ist tollkühn und – würde ich nicht entschuldbar sein, wenn Ihr Urteil mein Werk krönen wollte? Aber welcher Schmerz, wenn es Herrn Lepaute gelänge, mir die Ehre einer Erfindung zu entreißen, die Sie preiswürdig befinden? Ich spreche nicht von den Beleidigungen, die Herr Lepaute gegen mich und meinen Vater schreibt und verbreitet; sie sind gewöhnlich das Anzeichen einer verlorenen Sache. Mir wird es vorderhand genügen, daß Ihr Urteil mir den Ruhm sichert, den mein Gegner mir entreißen will und den ich von Ihrer Billigkeit und Einsicht erhoffe.«

Die königliche Akademie der Wissenschaften verschließt sich den beweglichen Worten des Bittstellers so wenig wie seinen Beweisen. Am 16. Februar 1754 entscheidet sie, daß Herr Caron als wirklicher Urheber der neuen Uhrenhemmungen, Herr Lepaute nur als Nachahmer dieser Erfindung anzusehen sei.

Caron fils war siegreich aus seinem ersten Rechtshandel hervorgegangen und nützte seinen Triumph unermüdlich aus. Fünf Monate nach dem Spruch der Pariser Akademie ist er schon von der königlichen Familie gekannt. Vor allem hat er sich um eine Audienz beim König beworben, der den jungen Handwerker – Caron fils nennt sich freilich nie anders als »Künstler« – mit ungewöhnlicher Güte aufnimmt und auffordert, eine für ihn gearbeitete Uhr vor dem ganzen beim Lever versammelten Hofstaat bis in die kleinsten Einzelheiten zu erklären. Pierre Augustin erfüllt diesen ersten Auftrag Ludwigs XV. mit derselben Zuversicht, wie späterhin manchen heikleren; er hat eine niedliche Lupe bei der Hand, die ihm ein (in London wohnhafter) Verwandter geschenkt und deren sich der König mit sichtlichem Behagen bedient: insbesondere zum Studium einer zierlichen, in einen Fingerreif gefaßten Uhr, die nur 4''' im Durchmesser hat und die Hand der Marquise von Pompadour schmücken soll. Die winzige Uhr, die kleinste, die je gemacht wurde, ist eine niedliche Spielerei: Räderwerk, Gehäuse, Goldreif, Zifferblatt, ein Häkchen, das den Schlüssel erspart, – all das umfängt der eine, kleine Ring. Ein leichter Druck genügt, sie dreißig Stunden im Gang zu erhalten. Ludwig XV. bestellt ein Kunstwerk im gleichen Geschmack für sich selbst nach, alle Herren vom Hof befolgen das Beispiel des Herrschers, jeder möchte zuerst bedient sein. Neben der Maitresse des Königs gedenkt Pierre Augustin auch der Prinzessinnen von Geblüt, er hat für die Töchter Ludwigs XV. eine eigenartige, kunstreiche Pendule mit zwei Zifferblättern angefertigt, die der König Madame Victoire zum Geschenk macht. Wie immer die Damen, die in ihren ungezählten Mußestunden übrigens selbst in der Uhrmacherei dilettierten, das Kunstwerk drehen und wenden mögen, es zeigt ihnen bequem, wie weit es an der Zeit ist. Sie werden sich in der Langeweile ihres höfischen Formenzwanges, der nach Madame Maintenon ärger ist, als die strengste klösterliche Kasteiung, oft damit unterhalten. Vielleicht auch von dem jungen »Künstler«, dessen galantem Einfall sie die väterliche Liebesgabe danken und der späterhin um ganz anderer Talente willen ihr besonderer Schützling werden soll.

Die Dinge lassen sich so günstig an, daß Caron fils noch im Juni 1755 öffentlich im Mercure erklärt, er kenne keinen höheren Ehrgeiz, als sich ausschließlich der Vervollkommnung seiner Kunst ( science de son art) zu widmen und die Arbeit seines Lebens an die Technik der Uhrmacherei zu setzen. Er erhält den Ehrentitel eines königlichen Uhrmachers, das nächste Ziel seines Strebens ist, mit Hilfe guter Freunde jenseits des Kanals in die Londoner, wenn's hoch kommt, auf diesem Umweg auch in die Pariser Akademie der Wissenschaften aufgenommen zu werden. Bis zu seinem 24. Jahre bleibt er auch wirklich als Uhrmacher in seinem »Glasverschlag«. Mit einem Male scheint er von seiner »Kunst« weniger enthusiastisch zu denken. Dem schwungkräftigen Vogel wird sein Bauer zu enge und fröhlich flattert er über die Schultern der milden Fortuna, die seinen Käfig aufriegelt, in die unbegrenzten Horizonte hinweg, die sich vor seinen weitsichtigen Augen auftun.

3. Erste Ehe

Besonders lernt die Weiber führen.

Mephistopheles

Das nicht ganz reinliche Liebesabenteuer, das mit einem Schlage Stand, Rang, Namen, Vermögen, Gegenwart und Zukunft des Hofuhrmachers Caron fils ändern sollte, ist von befreundeten und feindlichen Biographen, bei Lebzeiten und nach dem Tode Beaumarchais' in sehr abweichender Weise erzählt worden.

Gudin (hier wie so oft der Gewährsmann Loménies) berichtet, daß eine Dame dem Vater Caron eine Uhr zur Reparatur überbrachte, sei es, um sie wirklich ausbessern zu lassen, sei es, von dem Wunsche geleitet, den durch seinen akademischen Erfolg zu einer gewissen Lokalberühmtheit gelangten jungen Künstler persönlich kennen zu lernen. Vielleicht hatte Madame Franquet – so hieß die Schöne, die Gemahlin eines kleinen Hofbeamten – den auffallend hübschen, hochgewachsenen Caron fils in Versailles gesehen und lieb gewonnen. Pierre Augustin läßt es sich nicht nehmen, Madame Franquet die Uhr selbst zurückzubringen. Wenige Monate nachher verkauft ihm der doppelt so alte, kränkelnde Franquet die geringere seiner beiden Stellen, die eines controleur clerc d'office (etwa Oberaufseher der Hofküchenschreiber, was den Titel, eine gewöhnliche Spielart von königlichem Truchseß, was die Funktionen angeht). Caron fils verläßt nun sein Handwerk und wird durch ein Dekret Ludwigs XV. am 9. November 1755 auf den von Franquet freiwillig aufgegebenen Posten berufen. Kaum zwei Monate nachher stirbt Franquet. Noch ehe das Trauerjahr um ist, führt Caron fils die Witwe Marie Madeleine Franquet, geborene Aubertin, zum Altar. Diese erste Ehe dauerte wenig über zehn Monate. Am 29. September 1757 wird der jüngste Tafeldecker des Königs verwitwet und mit den Verwandten seiner Frau in einen mehr als dreißigjährigen Erbschaftskrieg verwickelt. Lettres des sieurs de Beaumarchais et Daudet citées à l'audience du 14 mars 1789 dans la cause du sieur Kornmann präcädäes de quelques reflexions et d'un récit rélatif à ces lettres. Paris 1789, 83 pp. (bei Cordier, Nr. 423). Vergleiche dazu Déclaration du sieur Corsas au sujet des lettres citées dans la cause de M. Kornmann 1 avril 1789. Diese merkwürdigen Dokumente sind von den Biographen Beaumarchais' lange mit ungebührlichem Schweigen übergangen worden: ihre Echtheit wird von Beaumarchais selbst unbedingt zugestanden. Troisième Mémoire ou dernier exposé etc. dans le procès du sieur Kornmann 67, 68.

Wesentlich gehässiger lautet eine aus feindlichem Lager stammende Erzählung. »Immer offenbart sich, daß die vornehmsten Ereignisse aus den kleinsten Ursachen herstammen. Herr Caron (Vater) hatte einem Herrn Aubertin eine goldene Repetieruhr verkauft, die nach des letzteren Tode in den Besitz seiner im Jahre 1738 (?) mit Herrn Franquet verheirateten Tochter überging. Die Uhr war sehr schlecht und benötigte fast allwöchentlich Reparaturen. Herr Beaumarchais, dessen Namensrätsel uns sofort enthüllt werden wird, arbeitete damals in der Werkstatt seines Vaters. Er wurde damit beauftragt, die Uhr zurückzubringen und wußte sich bei dieser Gelegenheit Zutritt bei Herrn und Frau Franquet zu verschaffen. Die Beziehung spann sich um 1755 an; Beaumarchais war damals 28–30 Jahre alt. Seine Erziehung war, nach seinen Briefen zu schließen, sehr vernachlässigt; allein er besaß den Geist der Intrigue, den man zur Verführung braucht, und die Windbeutelei, die jedes Wagnis versucht. Von Kind auf hatte er Proben davon gegeben, wie denn all seine Erfolge durch die Worte La Bruyères sich erklären lassen: ›Ein schamloser Tropf kommt nie in Verwirrung; erhobenen Hauptes geht er mit allzeit freier, zuversichtlicher Miene einher, man sieht ihn alsbald von der Torheit zur Einbildung, von der Tollkühnheit zum Verbrechen weiter schreiten, während man Schamhaftigkeit nur mit Verdienst und Tugend gepaart findet.‹ Herr Franquet war reich, seine Gattin schön und sittsam. Jenen gewinnen, diese verführen, war der Endzweck seiner zahlreichen Besuche. Er erreichte sein Ziel. Eine Stelle, die Herr Franquet besaß, war ganz nach Beaumarchais' Geschmack; das hieß zwar seine Ansprüche ziemlich hoch erheben, aber der Verführer der Frau, der Spaßmacher des Gatten konnte alles verlangen. Nur so ist es erklärlich, wie Beaumarchais ohne Zahlungsmittel, ja ohne irgendwelche Kaution diese Stelle gegen eine Leibrente von 5500 Livres erwerben konnte. Wenn Beaumarchais seine Verschlagenheit oft genützt hat, so muß man bekennen, daß auch der Zufall zu seinem Glück beigetragen; Herr Franquet hatte einige Jahre nach seiner Vermählung ein Lehen namens Beaumarchais Die Provenienz des Namens Beaumarchais ist bisher nicht aufgeklärt. Es gibt ein Städtchen dieses Namens im Departement Gers. Vielleicht stammt der Name von Beaumarish (Bellomariscus). Moréri, Dict hist., nach welchem Herr Caron sich seither nannte, und überdies einen Landsitz namens Verlegrand d'Arpajon in der Umgebung von Paris gekauft, wohin er sich häufig begab. Am 30. Dezember 1755 geht er nach Verlegrand. Sobald Beaumarchais, der damals offenbar vom Stellenteufel geplagt war, von der Abreise des Herrn Franquet gehört, entschließt er sich, ihm zu folgen und zum hundertsten Male die Überlassung der zweiten Stelle des Herrn Franquet als Controlor der General-Kriegskasse gleichfalls gegen einen Leibrentenvertrag ins Werk zu setzen. Die Reise des Herrn von Beaumarchais konnte jedoch noch einen anderen Zweck haben: die erste Rate für das früher gekaufte Amt war verfallen und es galt, sich bei Bezahlung der ersten Stelle pünktlich beweisen, wenn man eine neue erwerben wollte. So reist Beaumarchais am 2. Januar gegen zehn Uhr abends nach Verlegrand; das war etwas spät, allein er kannte Weg und Steg und alle Zugänge des Hauses, so daß das gleichgültig war. Ich weiß nicht, durch welchen Zufall er fiel oder gezwungen wurde, in einem an den Hausgarten anstoßenden Obstgarten vom Pferde zu steigen. Gewiß ist, daß er dabei einen seiner Stiefel verlor, der später von den Dienern des Herrn Franquet und dem Sohn des Ortschirurgen gefunden wurde. Gegen zwei Uhr morgens klopft er an das Schloßtor, das ihm erst nach längerem Pochen geöffnet wird. Da er Herrn Franquet, der sehr fest zu schlafen pflegte, nicht wecken wollte, übernachtete er in dem sogenannten ›Waschhaus‹. Am nächsten Morgen, da Herr Franquet lange nicht erwacht, geht man in sein Zimmer, das halb offen steht. Welches Schauspiel erblickt da Beaumarchais, gleich den Hausbedienten! Herr Franquet liegt mit zu Boden gekehrtem Gesicht auf dem Estrich, Mund und Nase voll Blut, jählings von einer so heftigen Hämorrhagie heimgesucht, daß er offenbar nicht mehr die Kraft besaß, um Hilfe zu rufen. Ich werde nicht von dem (ohne Zweifel sehr lebhaften) Schmerz des Herrn Beaumarchais sprechen. In einem Hause ankommen und Zeuge eines solchen Schauspiels werden – ein Abenteuer der Art war wohl geeignet, das fühlloseste Herz zu bewegen. Endlich erwählte Beaumarchais das weiseste Teil, Fassung. Übrigens wurde er durch den Tod des Herrn Franquet Eigentümer einer Stelle, ohne auch nur in die Tasche zu greifen. Er hätte allerdings auch hoffen dürfen, die andere zu erhalten, allein die beharrlichen Weigerungen des Herrn Franquet, der Einspruch der Angehörigen seiner Frau, die Beaumarchais nur mit Verdruß im Besitz der ersten sahen, machte den Ausgang der Verhandlungen höchst zweifelhaft. Unter allen Umständen gab dieser Todesfall Frau Franquet die Freiheit und Beaumarchais die Hoffnung, sie heimzuführen.«

Vorläufig nimmt er nach seiner Rückkehr in die Hauptstadt die Leitung aller Geschäfte von Frau Franquet in die Hand; die von seinen Gegnern gerichtlich erlegten Briefe sind zwei, drei Monate nachher geschrieben – sie klären uns über die bedenklichen Moralbegriffe des jungen Caron und über eine von oben bis unten kernfaule, am Tage von Roßbach gerichtete Heeresverwaltung gleicherweise auf. Unser Held hat wohl gewußt, aus welch gewichtigen Gründen er die Stelle eines Kriegskassen-Controlors anstrebte. Neben dem Gehalt fallen dabei hübsche Nebeneinkünfte und Sporteln ab; man rechnet dem Staat Auslagen für Reisen, die nie gemacht wurden, und dergleichen mehr auf und teilt solche Profitchen brüderlich miteinander. Nach Franquets Tod fiel dieser einträgliche Posten seinen Erben zu; er war für Beaumarchais unwiederbringlich verloren. Aber er wollte wenigstens für sich und seine Liebste retten, was zu retten war: ein Stück Geld der geheimen Einkünfte, von denen die Erben nichts wußten und die früheren Kollegen Franquets, zum wenigsten der profanen Außenwelt gegenüber, nichts wissen wollten. Armselige Schelme, betrogene Betrüger, die der anstellige Autor des »Barbier von Sevilla« aus ihren geheimsten Verstecken hervor und zu Paaren treibt. Nicht umsonst hat er seinen Gil-Blas gelesen, in dem mehr als einmal arge Spitzbuben, Courtisanen und Wucherer von noch geriebeneren Hallunken durch schlau ersonnene Intriguenkomödien um ihr unehrliches Gut geprellt werden. So vermummte sich auch Beaumarchais – zwar nicht als Häscher oder Inquisitor, wie die Gaunergenies im Mikrokosmos des Lesageschen Romans – wohl aber als Beichtvater. Unter dem drolligen Pseudonym eines Abbé Arpajon de Sainte-Foix schreibt er wohlberechnete Drohbriefe, die »sein teurer Schatz« den sauberen Herren als Ratschläge ihres Beichtigers zum besten geben soll. Erst als sich dieses Sprachrohr nicht bewährt, greift Caron fils, übermütig und durch keinerlei Vorurteil beschwert, in die schmutzigen Händel persönlich ein. Es ist keine beneidenswerte Rolle, die der allzu gelehrige Schüler Scapins Madame Franquet zuteilt, die bei Lebzeiten ihres ersten Gemahls mitunter noch von Gewissensbissen heimgesucht, nun aber vollständig von ihrem Galan beherrscht erscheint. Sie soll nach dem Wunsche Carons den widerspenstigsten Controlor, einen Herrn Joly, aufsuchen und durch die Vorlesung einer Epistel des Abbé Arpajon de Sainte-Foix umstimmen, wohlverstanden, ohne das Schreiben aus der Hand zu geben oder ihren Briefsteller zu verraten. Sollte Joly intriguiert scheinen oder wissen wollen, wer der wohlunterrichtete Fremdling sei? so mag sie erwidern, sie habe ihren geistlichen Berater, einen Mann von Geist, unter dem Siegel der Beichte ins Geheimnis gezogen. Stellt sich seine teure Geliebte bei ihrer heiklen Sendung geschickt an – ein leichtes bei den ihr vom Himmel verliehenen Gaben – dann muß sie zum Ziele kommen: äußerstenfalls soll sie drohen, den legitimen Erben Franquets das Geheimnis preiszugeben, wodurch all die Herren samt ihren Posten am meisten gefährdet würden. »Leb' wohl, Geliebte« – so schließt der heillose Moralist – »liebe mich von ganzem Herzen, ich werde dann nicht hinter Dir zurückbleiben. Vor dem Schlafengehen will ich dem Brief, welchen Du Joly zeigen sollst, noch ein Wort beifügen und mit dem Namen eines Priesters unterfertigen, damit das natürlicher aussieht.« Angefaltet findet man als minder harmlosen, später nach Fug und Recht gebüßten Aprilscherz den »Butterbrief« des Abbé d'Arpajon de Sainte-Foix, dessen weltlicher Inhalt seltsam mit dem geistlichen Eingang kontrastiert. Dieser setzt salbungsvoll mit einem »Der Name des HERRN sei gelobt« ein: Jener zeigt eine selbst bei einem Musterabbé jener Tage erschreckende Erfahrenheit in der Goldmacherkunst der Herren Controlore; am überraschendsten aus dem Munde eines (wenn auch nur dilettierenden) Priesters berührt die Warnung, sein Beichtkind möchte sich nur ja nicht von »Gewissensbissen, dieser Frauen- und Kinderkrankheit« beirren lassen.

Aber Herr Joly läßt sich fürs erste die Ergüsse des geistlichen Mittelsmannes gar nicht vorlesen, und nun schreibt ihm der gereizte Beaumarchais abermals unter dem Pseudonym des Abbé d'Arpajon direkt. Wenn Joly keine Barmherzigkeit einer Frau gegenüber kennt, die ihr Mann im Unglück zurückgelassen, so werde er, der Abbé, ihn mit dem Aufgebot seines vollen Ansehens zwingen, ihr Recht (!) widerfahren zu lassen. Er kenne Herrn von Argenson (den damaligen Kriegsminister) genugsam, um ihn zu bestimmen, seine Bitte zu berücksichtigen; wenn aber der Minister selbst die Abstellung solcher Mißbräuche im Drang seiner sonstigen Geschäfte nicht veranlassen könnte, so dürfte der Marschall von Noailles, ein Verwandter des Briefstellers, mit Freuden diese Gelegenheit zur Demütigung der Armeeverwaltung wahrnehmen. Da wird's was Schönes absetzen. Herr Joly möge wohl beherzigen, daß die Finanzpächter von Poissy ein sicheres Mittelchen zur Verdoppelung ihrer Einnahmen besaßen. Als sie aber einem Unterbeamten, der ihnen hilfreiche Hand leistete, weder einen kleinen Anteil noch eine einmalige Abfertigung von 1400 Livres zugestehen wollten, unterrichtete er den Minister in einer eigenen Denkschrift von all ihren Kniffen. Die Folge war nicht bloß eine Erhöhung des Pachtzinses, sondern die Entfernung dieser Steuerpächter, die alles verloren, weil sie nicht verstanden hatten, einen gefährlichen Menschen mit geringen Kosten auf ihre Seite zu ziehen.

Der Streich gelingt. Triumphierend verkündet Caron fils seiner Schönen, daß seine Reise nach Versailles von vollem Erfolg gekrönt worden sei. Er wäre trefflich beraten gewesen, als er ohne ihr Vorwissen Paris verlassen habe; die Liebste hätte ihn gewiß mit ihrer allzeit besorgten, verbindlichen Freundschaft des schlechten Wetters wegen von der Fahrt abgehalten, während er nun durch sein persönliches Erscheinen den Erben und Controloren 900 Livres abgejagt hat. Er selbst muß über den Schreck lachen, den er dem falschen Biedermann Joly durch seine Mystifikation bereitet hat. Da dieser ihn tags zuvor nicht zu Gesicht bekommen, ist er ihm mit dem Frühesten nach Versailles nachgereist, um sich bei ihm – (Caron!) – in dieser heiklen Angelegenheit Rat zu erholen. Daran ließ er es nicht fehlen; er setzte ihn in ein Cabriolet, macht ihm unterwegs die Hölle mit dem Komödien-Abbé heiß und fährt mit seinem leichtgläubigen Opfer zu dem andern, nicht minder geängstigten Controlor, Simon, der (wie späterhin Clavijo, Ludwig XVI., Maria Theresia und – der Chevalier d'Eon) Wort für Wort nachschreibt, was ihm Caron in die Feder diktiert.

Der Erfolg dieses Handstreiches hat seinen Einfluß bei der verliebten Witwe gewiß nicht verringert. Noch während des Trauerjahres rücken die beiden ihre Wohnungen nah aneinander, so nahe, daß die Eltern Carons Anstoß an dem öffentlichen Ärgernis nehmen und ihre Zustimmung zur Verheiratung ihres (wie schon erwähnt, damals noch minderjährigen) Sohnes anfangs verweigern und die später beim Notar widerstrebend erteilte Einwilligung nur mit dem Bemerken abgeben, daß sie der Hochzeit eines Toren mit einer leichtfertigen, mindestens um ein Jahrzehnt älteren Frau sowohl bei der Unterfertigung der Ehepakten als bei der kirchlichen Einsegnung fern bleiben werden; von allen Mitgliedern des Hauses Caron ist denn auch nicht eines zur Stelle, als am 22. November 1756 der Heiratskontrakt zustande kommt, in dem volle Gütergemeinschaft zwischen den beiden bedungen ist; seine Eltern und Schwestern erscheinen auch nicht unter den Gästen der fünf Tage nachher, am 27. November 1756, in der Kirche Saint Nicolas des Champs vollzogenen Trauung. Ausgiebigen Trost für diese so schroff geäußerte Mißbilligung seiner Ehe fand Beaumarchais in der Zuversicht, durch diese Verbindung in geordnete, wohlhäbige Verhältnisse zu kommen. Das war nicht wenig für einen Habenichts, der die Uhrmacherei rasch entschlossen aufgegeben und noch im Winter 1755 geklagt hat: er habe nur ein unscheinbares, grausammetnes Röcklein als Feiertagsanzug, » vrai habit de vinaigre pour la saison«. Ja, noch als Bräutigam muß er eine Fahrt von Versailles nach Paris (22. April 1756) bis zu dem Augenblick aufschieben, in dem ihm seit geraumer Zeit ausständige fünfzehn Louisdor ausbezahlt werden. Aber Madame Franquet hat auch als Frau Beaumarchais eine schwere Hand, und so scheint die Harmonie während der kurzen Dauer dieser Ehe nicht lange vorgehalten zu haben. Die Gegner Beaumarchais' behaupten, seine Gemahlin habe bald gemerkt, daß Caron fils mit ihr nur eine Geldheirat eingegangen sei. »Undankbarer, Du wirst die Ursache meines Todes werden«, heißt es in einem ihrer Briefe. »Ohne Dich hätte ich niemals dies unglückselige Ja! gesprochen, das mein Herz durchbohrt.« Die arme Frau überlebt ihre Enttäuschung nicht: zehn Monate nach der Hochzeit (am 30. September 1757) stirbt Frau Madeleine Catharine Caron, geborene Aubertin, verwitwete Franquet, plötzlich an einem typhösen Fieber; mit der Katastrophe versiegen gleichzeitig die Einnahmequellen Carons jählings. Ein Formgebrechen bringt ihn um alle Erbansprüche: er hat es versäumt, die Ehepakten bei Lebzeiten seiner Frau gerichtlich protokollieren zu lassen, und ein Versuch, seiner Schwiegermutter in der ersten Betäubung einen Erbverzicht abzulisten, gelingt nicht entfernt so gut, wie sein Anschlag gegen die zu Paaren getriebenen Kriegskassen-Controlore. Drei Tage, nachdem er die Mutter Aubertin überrumpelt, schreit sie nach Polizei; ein Hornissenschwarm beutegieriger Verwandter stürzt sich auf die fahrende und liegende Habe der seligen Frau Caron, und Beaumarchais hat als weinender Erbe die ersten Geplänkel eines Rechtsstreites zu bestehen, der in den kritischesten Augenblicken seiner Existenz immer neu auflebt und außer den herkömmlichen Ärgernissen jedes langwierigen Prozesses ihm den sogar öffentlich wiederholten Vorwurf nicht erspart, seine Frau und ihren ersten Mann absichtlich ermordet zu haben. Voltaire fertigte diese abscheulichen Gerüchte mit dem Schlagwort ab: »Ich glaube nun einmal nicht, daß Beaumarchais jemals irgendwen vergiftet hat; ein so lustiger Geselle kann schlechterdings nicht zur Sippschaft Locustas gehören.« Und auch Beaumarchais selbst nahm solche Nachreden häufiger humoristisch als ernsthaft auf. Weniger scherzhaft war es für ihn, daß er nach dem Tode seiner Gattin bettelarm und, schlimmer als das, schwer verschuldet zurückblieb. Nicht mit Unrecht vergleicht er sich in einem Scherzgedicht dem Hiob: von den Gütern, die er besaß, ist ihm kein Heller geblieben; der Satan der Schikane hat ihm Sachwalter über den Hals geschickt, die ihn gründlich ausplünderten. Sein Selbstvertrauen übertrifft aber die Gottergebenheit des biblischen Dulders. Er baut auf seine Kraft, seinen Geist, seinen Mut. Er, der gerade zuvor den Fuß auf die erste Staffel der Glücksleiter gesetzt hat, mag unter keinen Umständen mehr in den unbekannten Haufen, vom Blendboden der Versailler Schloßsäle zu dem Handwerk zurückkehren, das goldenen Boden hat. Kleine Talente öffnen ihm große Häuser: als Spielmann und lustige Person weiß er sich in Kreisen einzunisten, die den erlauchtesten Namen und verdientesten Männern des damaligen Frankreich oft zeitlebens verschlossen blieben. In einer seiner allzu spärlichen Noten der von ihm ins Werk gesetzten Kehler Ausgabe Voltaires bemerkt Beaumarchais (Bd. 67 S. 304): Die Briefstelle Voltaires gab ihrerzeit Anlaß zu einem sehr heiteren Vorfall. Im Théâtre français wurde (in den Tagen des Prozesses Goezmann) »Eugénie« aufgeführt; ein Stutzer fand das Stück unter aller Kritik. Nachdem er seinem Sitznachbar sein scharfes Urteil über das Drama bekannt gegeben, äußerte er sich noch schärfer über den Autor desselben, Beaumarchais. Er erzählte, daß er eben von Herrn d'Argental komme, bei dem er einen Brief Voltaires vorlesen hörte, in welchem der Alte von Ferney unbegreiflicherweise bezweifelt, daß Beaumarchais seine drei Frauen umgebracht habe. »Aber,« fuhr der redselige Herr fort, »die Tatsache gilt allen Parlamentsräten trotzdem so gut wie erwiesen.« Der Angesprochene gab seinen Nachbarn lächelnd ein Zeichen, das Gespräch nicht zu unterbrechen; alles erhebt sich, dann erwidert er kalt: »Die Tatsache, daß dieser Mensch seine drei Frauen vergiftet hat, ist, obwohl er nur zweimal verheiratet war, so gewiß, wie es dem hohen Parlament bekannt ist, daß er seinen braven Vater als Ragout verzehrt, nachdem er seine Mutter zwischen zwei dick aufgestrichenen Butterbroten erstickt hat. Und ich bin dessen um so gewisser, als ich selbst dieser Beaumarchais bin, der Sie sofort auf die Zeugenschaft aller Anwesenden hin festnehmen lassen würde, wenn ich an Ihrer verstörten Miene nicht sehen würde, daß Sie kein abgefeimter Schurke, sondern nur einer der Schwätzer sind, die man zur Verbreitung von Ehrabschneidereien zu ihrem eigenen großen Schaden als Botenläufer verwendet.« Die vernichtende Abfertigung fand allgemeinen Beifall. Und der bös abgeführte Klatscher macht sich eilfertig aus dem Staube, ohne jedes weitere Gelüsten nach theatralischen Genüssen.

4. Beaumarchais und Paris Duverney

Anges du ciel, ce sont beiles princesses
Dont le coeur est l'appui des malheureux:
Leur seul regard a calmé mes détresses
II m'a prédit un avenir heureux.

Beaumarchais: Placet à Mesdames de France

Ohne Mittel, ohne Stellung, von den Höflingen mißachtet, von seinen Berufsgenossen durch freie unwiderrufliche Wahl geschieden: also erscheint Beaumarchais' Lage um das Jahr 1757. Im Jahre 1764 geht er nach Madrid: aus dem erborgten Namen ist ein vollgültiges Adelsprädikat, aus dem unscheinbaren Aufseher der Hofküchenschreiber der Generalleutnant der königlichen Jagden, aus dem Habenichts, der von der Hand in den Mund lebt, der Liebling und Vertrauensmann des ersten Finanzgenies jener Zeit, Paris Duverney, geworden. Keinen Augenblick hat er gefeiert während des siebenjährigen Krieges, den er vom Tod seiner ersten Frau bis zur spanischen Reise gegen das störrische Schicksal bestand. Aber er selbst mußte lächeln, wenn er »in stiller Nachtstunde dachte, wie die Dinge dieser Welt ineinander greifen, wie abenteuerlich die reichverschlungenen Wege zum Glück, und wie nur ›eine den Ereignissen überlegene Seele‹ immer selbstsicher und fröhlich bleiben kann im wilden Ansturm von Geschäften, Lustbarkeiten, Hoffnungen, Sorgen und Schmerzen, die alle dawider anschlagen, aufschäumen und wie an einem Wogenbrecher zerstieben«. Brief aus Madrid; abgedruckt bei Loménie I, 142. » L'âme supérieure aux événements« – diese häufig wiederkehrende Selbstcharakteristik Figaros und seines Schöpfers – stammt gradewegs aus dem Gil-Blas; dort ist die Redewendung ein beliebtes Losungswort geistreicher Schelme. (Ed. Garnier p. 63, 135.) Die Not des Augenblicks ficht ihn wenig an. Jung, frisch, frei, schön, heiter und lebenslustig sucht er vor allem Boden in Regionen zu gewinnen, in welchen Gnaden und Glücksgüter gedeihen. Ihm, der alle Trachten zu tragen, alle Charaktere und Instrumente zu behandeln wußte, gelang das endlich; aber nicht mit einem Schlage: erst anfangs der sechziger Jahre gewährt ihm ein freundliches Geschick freien Zutritt bei den Töchtern Ludwigs XV. Bis dahin war ihm die vornehme Welt so gut wie verschlossen geblieben. Intimer Verkehr mit den Stimmführern der Literatur war ihm gleichfalls nicht beschieden. So muß er fürs erste den Namen eines begabten Gelegenheitsdichters und Musikliebhabers bei Leuten minderen oder zweifelhaften Schlages verdienen. Als schlagfertiger Improvisator, der immer und überall mit neuen Versen, Schwänken und Melodien zur Stelle war, erschien er in dem einen und dem anderen Salon; Witwen, die nie einen Trauschein besessen, geschiedene Frauen verschollener Gatten, Lebemänner, die sich über die Treulosigkeit ihrer Gemahlinnen so ausgiebig trösteten wie der Mann der Pompadour, Lenormand d'Etioles, sehen ihn gern und oft bei sich. Auch bei den Gelagen galanter Opernsängerinnen, im Haus der Demoiselles Lacroix Journal des inspecteurs de Mr. de Sartines. Bruxelles, Parent; Paris, Dentu, 1863, p. 78, 108. Die Polizeiberichte erzählen u. a., daß Mr. Beaumarchais, jeune homme fort aimable, bei der Dem. Lacroix einen Fürsten Belosinski ausgestochen hat. und Lacour, ist er ein willkommener Gast; an ihrem Tisch macht er mehr als eine interessante Bekanntschaft, die für sein ganzes Leben von Bedeutung wird; in ihrem Kreise bezaubert sein Plaudergenie zum ersten Male den königlichen Oberstjägermeister, Duc de La Vallière und den Cavalier von Marie Leszczinska, Herrn von Chataigneraye. Doch nicht bloß als Erzähler und im Gespräch stellt er seinen Mann, er weiß nette Gesellschaftskomödien zustande zu bringen – kein kleines Verdienst in diesen Jahren der »Mimomanie«, die zuerst bei den Löwinnen der Finanzwelt in Schwung gekommen und von der Pompadour an den Hof verpflanzt worden war. Und zu allem Überfluß meistert er das jüngste Modeinstrument, die Harfe, nicht nur mit künstlerischer Vollkommenheit, wie Madame de Genlis, die ihre ersten Pariser Erfolge dieser Virtuosität dankt, er verbessert den Mechanismus der Pedalharfe Vgl. den Art.: » Harpe« in der Enzyklopädie; Sainte Beuve, Causeries, III, Madame de Genlis: »La harpe était de préférence son instrument. La méthode d'en jouer était encore (1758) dans l'enfance: Mme. de Genlis, avec sa facilité et son adresse naturelle, en réforma et en perfectionna le doigté.« S. 23. und erfreut mit dieser neuen Erfindung alle Musikfreunde. Auch Mesdames de France, zu welchen er jedoch keineswegs (wie Brachvogel in dem in historischer und poetischer Beziehung gleicherweise verlogenen Roman »Beaumarchais« erzählt) als Verfasser einer »Harfenschule« befohlen wurde: vielmehr hat er selbst beflissen den Anlaß gesucht, wieder in ihre Nähe zu kommen. Die Pedalharfe empfiehlt ihn wirksamer, als wenige Jahre zuvor das neue Echappement; zudem ist Beaumarchais selbst im Laufe der Zeit weltläufiger, kühner in seinem Auftreten, stattlicher in seiner äußeren Erscheinung geworden. Er gewinnt die Töchter Ludwigs XV. Über die Töchter Ludwigs XV. s. Mém. du Duc de Luynes. Mém. de Mme. Campan. Chap. I. Barthélemy, Mesdames de France (Paris, Didier, 1870) p. 9. 14. 28. 56. Carlyle, Französische Revolution, deutsch von Feddersen, Leipzig 1844, I. 24. Comtesse de Boigne. Mémoires. Paris 1907 I 51 ff. Im Anhang Briefe der Prinzessinnen aus dem Exil zur Zeit der Revolution. bei der erneuten Begegnung rasch und ganz; daß aber die unvermählten, alternden Prinzessinnen ihre Hand nicht mehr von Beaumarchais abzogen, nachdem sie einmal von seiner Unterhaltung gekostet, wird jeder begreifen, der in ihr verlorenes Leben geblickt hat.

Nur zwei kurze, aufgeregte Augenblicke unterbrechen die Einförmigkeit ihres Tagewerkes: ein Morgenbesuch des Königs, den sie abends, von ihrem Hofstaat, ihren Kavalieren und Fackelträgern geleitet, bei seiner Heimkehr von der Jagd erwidern. In den ersten Frühstunden steigt Ludwig XV. zu Madame Adelaide hinab, die ihre Schwester Victoire herbeiläutet, die ihrerseits wieder Madame Sophie ein Glockenzeichen gibt, welch letztere die vierte Prinzessin eilfertig in gleicher Weise von der Ankunft des Königs benachrichtigt. Mühsam schleppt sich die verkrüppelte, zwerghafte Madame Louise aus ihrer am äußersten Ende der Zimmerflucht gelegenen Klause in die Gemächer von Madame Adelaide; trotz aller Hast widerfährt es ihr nicht selten, von ihrem Vater nicht einmal mehr ein flüchtiges Abschiedswort zu erhaschen. Denn die tugendhaften Damen, welche nachmals ihre Kindespflicht an seinem verpesteten Sterbebette mit der Selbstlosigkeit barmherziger Schwestern erfüllten, vermögen ihn nicht lange zu fesseln; er findet sie weder schön, noch gescheit; Coche, Loque, Graille und Chiffe, (Schmutzkäthe, Wisch, Sau und Schlampe, wie ein derber Übersetzer verdeutscht hat) sind die Spitznamen, bei denen er sie ruft. Milder im Ausdruck, noch schärfer in der Sache urteilt man unter den Getreuen der Prinzessinnen. Madame Adelaide, so berichtet Frau von Campan, war einen Augenblick hübsch, aber nie schwand Frauenschönheit rascher. Madame Victoire ist gutmütig, aber träge und nur für Tafelfreuden geschaffen; ihre schwerste Lebenssorge ist, sich leidlich mit den Fastengeboten abzufinden, ihre Köche bringen denn auch wirklich an den Tagen der Kasteiung Mahlzeiten fertig, deren Abhub alle Schmarotzer bei ihrem Haushofmeister gierig aufsuchen. Die dritte Schwester ist fast immer stumm; unsinnige Bußübungen in ihrem Kloster haben sie verschüchtert; sie wagt niemandem in die Augen zu schauen; muß sie die Reihen der Hofleute durchschreiten, so schielt sie, wie ein Hase; nur Ungewitter entsiegeln ihre Lippen, da drängt sie sich an den Nächstbesten, schwatzt unaufhörlich, so lange es stürmt und donnert, und zieht sich dann sogleich in ihre Gemächer zurück, um ganz allein ungestört lesen zu können. Selbst diese Fertigkeit hat sie erst spät gelernt; der Kardinal Fleury hat den Töchtern seines königlichen Herrn die Erziehungskosten abgekargt. Dieselben Mädchen, die im Alter von 5–6 Jahren Bälle geben und in ihrer Kinderstube die Aufwartung aller Botschafter, wie der Großen des Reiches als selbstverständliche, königliche Ehren entgegennehmen, werden späterhin nicht einmal nach Saint Cyr, sondern in ein abgeschiedenes Kloster geschickt, wo sie zu nichts anderem als zu Gebeten, oft in den unterirdischen Grabgewölben der Nonnen, angehalten werden. Als sie wieder an den Hof zurückkehren, versucht der Dauphin, ihrer groben Unwissenheit durch seinen Unterricht ein wenig nachzuhelfen; es gelingt ihnen auch allmählich, erträglich zu lesen und unorthographisch zu schreiben. Die einzige Madame Adelaide wird von jäher Wißbegier ergriffen; überall nascht sie herum, sie dilettiert in der höheren Mathematik, Astronomie und Uhrmacherei; sie spielt alle erdenklichen Instrumente, am liebsten die absonderlichsten, Maultrommel, Waldhorn, Harfe. Heftig, herrisch und phantastisch will sie einmal in Männerkleidern entfliehen, gegen die Engländer zu Felde ziehen oder verhaßte Feinde wie Judith im Schlafe töten. Aber so romantische Anwandlungen werden nirgends gründlicher geheilt, als in der feierlichen, schweren Langeweile des Versailler Hoflebens. Eine der Schwestern, Madame Louise, wird sich aus ihren Prunksälen in eine Karmeliterzelle von St. Denis retten; die andern Prinzessinnen hängen zu sehr an ihrer Bequemlichkeit, um mit so verzweifeltem Entschluß in das offene Grab des Klosters zu flüchten; sie alle aber leiden unter einer erbarmungslosen Etikette, die ihnen die bescheidensten Freuden entzieht. Die Königstöchter lieben den Spaziergang, aber sie dürfen nur in ganz bestimmten Baumgängen zu festbestimmten Stunden lustwandeln; sie möchten sich mit Gärtnerei abgeben, und doch vergönnt man ihnen keine anderen Blumen, als die sie vor ihrem Fenster ziehen. Wie ein Sonnenstrahl, der alten Stubendust auftanzen läßt, dringt Beaumarchais in ihren Hofstaat ein. Die Prinzessinnen möchten gar zu gerne Harfenstunden nehmen, aber sie wissen keinen guten Lehrer zu erfragen. Nichts natürlicher, als daß Beaumarchais sich erbietet, die Damen selbst zu unterweisen; selbstverständlich nur um der Ehre willen; mit Monatsgehalten von 100, mit Jahresgehalten von 1000 Talern mag man Musikmeister von Beruf abfertigen: Beaumarchais will nur das Wohlwollen, den Dank seiner hohen Gönnerinnen gewinnen und »volle vier Jahre setzt er daran, sie durch die eifrigsten und uneigennützigsten Bemühungen zufriedenzustellen«. Im ersten Anlauf erreicht er sein Ziel; er wird der Liebling und Schützling von Mesdames; die Stunden, die angeblich dem Unterricht gewidmet werden sollen, scherzt man mit Gesprächen und Unterhaltungen hinweg. Musik mag Beaumarchais bei den Kammerkonzerten machen, welche die Prinzessinnen allwöchentlich im engsten Familienkreis, in Gegenwart des Königs und des Dauphins, abhalten. Nur wenige Auserwählte werden zu diesen intimen Festen zugezogen, bei welchen Beaumarchais zum unauslöschlichen Neide der Höflinge als Flöten- und Harfenspieler mitwirkt. Mit welchem Recht – so fragten sie – wird ein Mann, der weder Musiklehrer noch Berufskünstler ist, durch solche Vertraulichkeit ausgezeichnet? Wußte man nicht, daß der König selbst einmal den plebejischen Streber zum Harfenspiel aufgefordert, auf seinen eigenen Stuhl gedrängt und trotz allem Sträuben aufrecht stehend angehört hatte? Und sah man nicht voll Verdruß, mit welcher Geistesgegenwart der Emporkömmling offene und versteckte Angriffe zuschanden machte? Einmal hat man ihn ausgiebig und erfolgreich bei den Prinzessinnen verleumdet; sie empfangen ihn frostig; beim Weggehen nimmt er eine Kammerfrau ins Gebet; die meint, er sei verloren, man habe ihn als schlechten Sohn angeschwärzt und unmöglich gemacht. »Ist's nur das?« antwortet er lachend, fährt schnurstracks nach Paris und fordert den alten Caron auf, einmal mit ihm nach Versailles zu kommen. Dort angelangt, führt er ihn in die Messe, dicht an den Fenstern der Prinzessinnen vorüber, zuletzt in ihr Vorzimmer. Als er wieder bei Mesdames vorspricht, begegnen sie ihm ungnädig; endlich regt sich die weibliche Neugier, man fragt, wer tagsüber sein Begleiter gewesen? »Mein Vater«, lautet die überraschende Antwort, und er vollendet den Theaterstreich, indem er dem kleinbürgerlichen Uhrmacher im Nu die Ehre einer Vorstellung bei Hofe verschafft. – Ein andermal will ihn ein unverschämter Höfling in beleidigender Weise an seinen Beruf erinnern; die Uhr in der Hand tritt er ihn mit der Aufforderung an, sie auszubessern: »Sie verstehen sich ja auf dies Handwerk.« – »Ich bin herzlich ungeschickt geworden, seit ich diese Kunst aufgegeben habe.« Der Höfling gibt nicht nach, er wiederholt sein Anliegen nur noch eindringlicher und impertinenter als das erstemal. »Gut denn – aber ich habe Ihnen im Vorhinein gesagt, daß ich sehr ungeschickt bin«; mit diesen Worten nimmt Beaumarchais die Uhr und läßt sie auf den Boden fallen, wo sie in tausend Scherben zerbricht: »Sie sehen, wie recht ich hatte, Sie vor meiner Ungeschicklichkeit zu warnen«. Er hatte die Lacher auf seiner Seite, nicht bloß in Versailles, sondern wo immer hin die Kunde seiner Schlagfertigkeit gelangte. Goethe gedachte solcher Stücklein, wenn er Beaumarchais und seinem Figaro nachrühmte, ihre Stärke bestände in studentischem »Suitenreißen«. Die Höflinge kommen mit den Waffen des Witzes gegen ihn nicht auf; sie versuchen es nun mit gefährlicheren Waffen. Raufbolde von Profession, säumige Schuldner und betrogene Liebhaber fordern ihn zum Zweikampf heraus. Allerdings zeugen die meisten mir bekannten Duellgeschichten Beaumarchais' weniger für seinen persönlichen Mut, als für seine Gewandtheit, tapfere Gegner hinzuhalten und feige zu hänseln; Gudin berichtet übrigens auch von einem ernsthaften Zweikampf zwischen Beaumarchais und einem Chevalier de C., der ohne Sekundanten im Wald von Meudon ausgetragen wurde. Durch die Großmut seines tödlich getroffenen Gegners, insbesondere aber durch die persönliche Fürbitte der Töchter Ludwigs XV. will Beaumarchais vor ernster Verfolgung und strenger Strafe bewahrt worden sein.

Doch nicht bloß bei so ritterlichen Anlässen nahm er die Huld von Mesdames in Anspruch, er brauchte ihren Einfluß für höchst prosaische Zwecke. Geld besaßen die Prinzessinnen trotz ihrer Millionen-Apanagen fast niemals; sie waren sogar sehr lässige Zahlerinnen; Beaumarchais hatte oft seine liebe Not, ein paar hundert Livres, die er für Instrumente, Musikalien und dergleichen vorstreckte, zurückzubekommen. Ihr Fürwort beim König aber war von höchster Bedeutung; fast niemals schlug er ihnen eine Bitte ab. Und es fand sich, daß ein Mann, der den gewaltigsten Einfluß in den Boudoirs der königlichen Maitressen gewonnen und verspielt hatte, nun, eines nichtigen Gnadenbeweises wegen, an die Türen der Prinzessinnen klopfte oder vielmehr an seiner Statt Beaumarchais als Bittsteller vorschob. Dieser Mann war Paris Duverney, der »Mehlgeneral«, wie ihn hoffärtige Marschälle ab und zu nannten, ein Kerl im Staat, wie Moritz von Sachsen meinte, der gleich seinem Bruder Paris Über die Brüder Paris vgl. Saint Simon, Mém. XI, 258; Sainte-Beuve N. L. XI, 67. 72. Moriz von Sachsen stand allzeit gut mit diesen » gros bonnets financiers de l'époque et d'une intelligence qui allait au génie«. Vgl. auch den Aufsatz über den Duc de Noailles, N. L. X, 228. – La Harpe ( Corr. litt. I, 61) erzählt, daß Voltaire, dank einem Anteil, den er an den Armeelieferungen für das Jahr 1741 erhielt, 800 000 Franken einnahm. Montmartel »den Hof, Paris, das ganze Reich zu seinen Füßen gesehen hatte«.

Dieser außerordentliche Mann hat im Leben wie durch sein Testament auf die Schicksale unseres Helden so nachhaltig eingewirkt wie kein zweiter. In gebundener und ungebundener Rede, in Denkschriften an spanische Minister und im engsten Freundeskreise, vor Rechtsgelehrten und vor Volksrichtern preist ihn Beaumarchais als Führer und Meister, dem er dankt, was er ist und kann. Auf der Höhe seines Glückes weiht er ihm eine Büste in seinem Garten mit der Inschrift:

Il m'instruisit par ses travaux
Je lui dois le peu que je vaux.

Mehr noch aber als seine Taten, dürfte Duverneys erstaunliche Laufbahn mustergebend für Beaumarchais gewesen sein. Vom Sohn eines Landwirtes, der im väterlichen Gasthaus Aufwärterdienste leistete und die Pferde fütterte, hatte er sich zum Gipfel der Macht emporgearbeitet; Kriegs- und Finanzminister gehorchten seinen Winken; der König selbst hörte bis zum Tage von Roßbach auf seinen Rat. Während der letzten Feldzüge Ludwigs XIV. war es ihm und seinem älteren Bruder einmal beschieden gewesen, durch Tatkraft und Organisationstalent der Armee aus gefährlichen Verlegenheiten zu helfen. Ihr Verdienst blieb weder unbemerkt, noch unbelohnt. Der Finanzkönig Samuel Bernard förderte sie, als sie nach Paris kamen. Bald nach ihrer Ankunft widersetzten sie sich dem Law'schen Finanzschwindel, eine Tat, die ihr zeitweilig getrübtes Ansehen nach dem Bankbruch des Schotten doppelt zur Geltung brachte. Die Schlußabrechnung dieses Hexensabbats hatte Paris Duverney zu besorgen, der tatsächlich eine Weile lang alle Vermögen Frankreichs und die Rechtsbeständigkeit von Forderungen im Betrage von anderthalb Milliarden zu prüfen hatte. Einem Mann von so gebietender Stellung konnte es nie an Neidern und Feinden fehlen, so hatte er denn auch einmal einen der gehässigsten und gewalttätigsten Finanzprozesse zu bestehen. Auf die Dauer aber war das Vermögen seiner Brüder in den Geldnöten Frankreichs so wenig zu entbehren, wie sein fachmännischer Rat in allen Fragen des militärischen Verpflegswesens. Dabei begehrte er für sich weder Titel noch Würden, dem Wesen nach strebte er jedoch die Stellung eines vertrauten, über den Ministern stehenden Kronrates an. Sein Bruder Montmartel beherrschte als Hofbankier das Geldwesen so unumschränkt, daß nicht bloß die Feststellung des Zinsfußes in seinen Händen lag, sondern seine Wohlmeinung regelmäßig bei Ein- und Absetzung der Generalkontroleure eingeholt wurde. Zu Beginn des siebenjährigen Krieges baut man auf Paris Duverney, wie auf ein Orakel; er entwirft Kriegspläne, setzt Feldherrn ein und ab – kein Wunder, daß alle Minister und die hochadeligen Marschälle, Richelieu, Soubise, Bernis etc. ihn um die Wette als den stärksten Denker Europas, als homme supérieur et unique, als citoyen précieux feiern. Er selbst ist dran und drauf, Friedrich dem Großen als Taktiker gegenüberzutreten. Der Finanzmann und Sonntags-Stratege ist zugleich Weltmann; er versöhnt sich die Geistesmacht eines Voltaire durch freigebige Beteiligung bei seinen Armeelieferungen, und er nimmt die Schmeicheleien des Dichters so gelassen hin, wie seine Hohnreden: Et Paris, et fratres et qui rapuere sub illis. Er hat seine Hand bei manchen Liebeshändeln des Königs so sehr im Spiele, daß ihm wiederholt sogar der Vorwurf der Gelegenheitsmacherei nicht erspart bleiben darf. Er ist der vertraute Ratgeber der Pompadour, von patriotischen, ja geradezu moralistischen Gesinnungen erfüllt, wenn es die militärische Wiedergeburt Frankreichs gilt. Mit tiefem Schmerz sieht er, daß das Ehrgefühl in der Armee abnimmt, und nur in der Pflege von Zucht und Sitte erblickt er die Rettung der Nation. Vgl. den Art. Ecole militaire von Duverneys Neffen Paris de Mézieu in der Enzyklopädie (Ausgabe von 1755), worin das Hauptverdienst für den » Plan du plus bei établissement du monde« der Pompadour zugeschrieben wird. – Goncourt, Madame de Pompadour, Charpentier, 1878, 181–85. – Über die Beziehungen der Ecole militaire zur Karlsschule vgl. Weltrich: Friedrich Schiller (Cotta, 1885, p. 98 ff.).

Ludwig XIV. hat ausgedienten Kriegern eine Zufluchtsstätte geschaffen; mit Hilfe der Pompadour will er der Stiftung des großen Königs eine nicht minder segensreiche Schöpfung zur Seite setzen: eine Kriegsschule, in der 500 Söhne herabgekommener braver (aber wohlverstanden adeliger) Soldaten auf Staatskosten erzogen werden sollen. Die Ecole militaire soll für junge Edelleute werden, was Saint-Cyr für adelige Fräulein werden sollte, eine Pflanzschule der Tugend und Bildung; der bedenklichen Gärung der Geister zum Trotze will er das Reich durch die Neugestaltung des Heerwesens verjüngen. Im Auftrag der Pompadour entwirft er die Satzungen der neuen Kriegsschule, deren Einrichtung alsbald in Wien und auf der Solitude erfolgreich nachgeahmt wurde. Die Marquise weiß den Baugrund für die neue Anstalt und den Anteil des Königs für das Gleichenfest zu gewinnen. Mit Paris Duverney verfällt sie auf den Gedanken einer Kartensteuer, um solcherart die Baukosten aufzubringen, doch schon 1755 stockt der Fortgang des Werkes aus Geldmangel. Die Pompadour setzt sich für die Vollendung ihrer Lieblingsschöpfung mit allen Kräften ein; sie verzichtet auf einen Teil ihrer Einkünfte und wendet der Ecole militaire 100 000 Franken zu, die ihr freilich durch einen Federzug Ludwigs XV. doppelt und dreifach ersetzt werden. So gelingt es im Juli 1756, die Militärschule zu eröffnen; trotzdem aber blieb das Institut gefährdet, die Kartensteuer deckte die Ausgaben nicht; ebensowenig half eine 1758 bewilligte Lotterie. Durch die Finanznot des siebenjährigen Krieges gestaltete sich die Zukunft der Anstalt immer verzweifelter; Duverney, der als Hausgeist der Pompadour allzu herrisch und störrisch im Kriegsrat gewaltet, verlor mit Bernis immer mehr Boden. Und er, der früher Allmächtige, vermochte als Intendant der Militärschule nicht einmal mehr durchzusetzen, daß Ludwig XV. das neue Institut durch einen persönlichen Besuch auszeichnete. Duverney nahm sich diese Kränkung kaum weniger zu Herzen, als Racine die Ungnade Ludwigs XIV.; zu seiner sprichwörtlichen Reizbarkeit und Empfindlichkeit gesellten sich diesmal noch ernsthafte, praktische Erwägungen, welche das Erscheinen des Königs in der Ecole militaire gebieterisch heischten. Solange Ludwig XV. die Militärschule nicht betrat, war er den jungen Soldaten und der Öffentlichkeit gegenüber für den Fortbestand der Anstalt nicht haftbar. Volle neun Jahre versuchte Duverney alles vergebens, um seinen Herzenswunsch erfüllt zu sehen. So erzählt Beaumarchais selbst in einem Briefe, abgedr. bei Lom. I. 115, 1. Ohne weitere Beweise berichtet Fournier, Introd. XII, daß Beaumarchais Duverney bei dem Mann der Pompadour, Lenormand d'Etioles, kennen gelernt habe. In seiner Verzweiflung, daß kein Weg, die geraden so wenig wie die krummen zum Ziele führten, wendete er sich endlich an Beaumarchais mit seinem Anliegen; er verhieß ihm seine Liebe und seine werktätige Hilfe für alle Zukunft, wenn er zustande brächte, woran alle anderen bisher zuschanden geworden.

Was der in allen Ränken des Hofes erfahrene Duverney durch Bitten und Bestechungen nicht zu erreichen vermocht hatte, das gelang im Nu einer Kriegslist Beaumarchais'. Er erzählte Mesdames so viel und so gut von allen Herrlichkeiten der Ecole militaire, daß die gelangweilten Prinzessinnen sich zu einem Besuch der Anstalt bereit finden ließen. Der Dauphin mit seiner Gemahlin schloß sich seinen Schwestern an. Duverney empfing die hohen Gäste mit überschwänglichen Huldigungen; er ließ die adeligen Kadetten in Paradetracht aufmarschieren; er bewirtete die Kinder Frankreichs mit fürstlichen Gelagen. Und er verhieß Madame Victoire, die sich beim Fortgehen auf den Arm ihres Ritters Beaumarchais gestützt haben soll, ihren Schützling unter seine besondere Obhut zu nehmen. Und neue Freudentränen vergoß Duverney an dem Tage, an welchem endlich auch sein königlicher Herr selbst in der Ecole militaire vorsprach. Die Töchter Ludwigs XV. hatten ihrem Vater von ihrem Ausflug so lange und so lebhaft vorgeschwärmt, bis er ihrem Beispiele gefolgt war. Am 11. April 1760 fand er sich in der Anstalt ein, die bereits eines europäischen Rufes genoß und in der Folge Napoleon I. zu ihren Zöglingen zählen sollte. Fortan erfreut sich Beaumarchais der dauernden, freigebigsten Förderung des greisen Finanzmannes, der ihn, allerdings in seinem wohlverstandenen Interesse, mit Geld und Gaben überschüttet. Beaumarchais ist der Bote, der aus den Treibhäusern Duverneys die prächtigsten Erstlinge, Ananas und dergleichen, an den Dauphin und Mesdames zu überbringen hat. Und Beaumarchais unternimmt diese Fahrten mit den Leibpferden seines Gönners. Unermüdlich sendet er ihm immer neue Berichte und Vorschläge, an 600 Briefe will er in kaum einem Jahrzehnt mit seinem Gönner gewechselt haben. Es muß eine ziemlich lichtscheue Korrespondenz gewesen sein, welche die beiden führten; die paar Bruchstücke, die uns Beaumarchais davon mitteilt, sind wenigstens in einem von ihm selbst als style oriental Chez Beaumarchais il y aura toujours un cabinet secret où le public n'entrera pas. Au fond il a pour dieux Plutus et le Dien des Jardins, ce dernier tenant une très grande place jusqu'au dernier jour. Sainte-Beuve, C. L. VI. 260, Note 2. Siehe Réponse ingénue, Oeuvres IV, 180–205 ff. bezeichneten Selams-Rotwälsch gehalten: »schöne gelbe Blumen« bilden einen Hauptgegenstand der Unterhaltung, und der habsüchtige Adept spricht den Spender dieser goldenen Schätze nie anders an, als » ma chère petite« oder » ma belle«. Es fällt einem schwer, die lästerlichen Verdächtigungen nachzusprechen, daß Beaumarchais wiederholt der Merkur Duverneys wie noch manch anderer Bekannten von Einfluß gewesen sein soll, – einen widerlichen Eindruck wird man bei all diesen Geheimkorrespondenzen nicht los.

Duverney vergilt seinem jungen Freunde jede seiner Schmeicheleien in barer Münze. Da er ihm nicht sofort eine einträgliche Stellung verschaffen kann, wendet er ihm eine Leibrente von 6000 Franken zu; mit Duverneys Unterstützung kauft er am 9. Dezember 1761 die Stelle eines königlichen Sekretärs für 70 000 Franken, einen der viertausend völlig überflüssigen Posten, mit welchen ipso facto der Adel verbunden ist. Vorher muß er aber seinen Vater bestimmen, sein Handwerk aufzugeben: »nach der törichten Art, wie man bei uns zu Lande die Dinge ansieht«, muß er sich dem Vorurteil beugen, wenn er die Bahnen Duverneys nicht verlassen will; André Caron willfahrt diesem Wunsche, und fortan hat Beaumarchais die Sorge für die Erhaltung seiner ganzen Familie allein zu tragen. Mesdames danken Duverney für diese ersten, ihrem Liebling erwiesenen Dienste und der geschmeichelte Millionär streckt ihm neuerdings Zehntausende vor, damit er sich ein eigenes Haus, Rue de Condé, kaufen kann, in dem er mit den Seinigen fröhlich dahinlebt. In Übereinstimmung mit den Polizeiberichten erzählt Gudin von seinem Freunde, er habe während dieser Zeit die abenteuerlichsten Liebeshändel gehabt; »er gewinnt alle Frauen durch seine Talente, seinen Geschmack, seine reiche Kleidung, seine Witzworte, seine schöne Erscheinung und erlebt in Wirklichkeit die unglaublichsten Romane mit großen und mit Theaterdamen«. Er selbst behauptet dreist genug, er sei Madame Adelaide nicht ganz gleichgültig geblieben.

In diesem Freudenleben verfolgt er aber zäh und rastlos seinen Vorteil. Er will Duverneys Eifer nicht erkalten lasten. Mit Hilfe der Prinzessinnen weiß er ihn zu einem Vorschuß von einer halben Million zu bewegen: soviel kostet nämlich eine eben frei gewordene, ungemein einträgliche und ehrenvolle Stelle im königlichen Oberst-Jäger- und Teichmeister-Amt (dereinst schon Regnards Sorgenfrei). Er will das Glück wie auf einer Hetzjagd ereilen und er scheint auf dem besten Wege dazu; die Sympathien von Mesdames scheinen ihm unwandelbar gesichert; der Dauphin rühmt ihn als den einzigen Mann, der freimütig die Wahrheit sagt; der König erteilt ihm auf den Fürspruch der Prinzessinnen die Erlaubnis, sich um die hohe Würde zu bewerben, da erklärt ihm der Minister St. Florentin unversehens barsch und kurzweg: »Mesdames und der Dauphin haben sich dieser Charge wegen für Sie verwendet; der König hat keinen Einspruch erhoben; Sie haben die Stelle schon bezahlt: nun denn, Sie werden sie nicht haben.« Beaumarchais sei zu impertinent, meinte später einmal dieser erbärmlichste aller Machthaber, dessen Maitresse offenen Schacher mit Haftbriefen trieb. Und St. Florentin behielt recht; sämtliche Oberstforstmeister erklärten einmütig, sie würden einen Plebejer, wie Beaumarchais, niemals in ihrer Mitte dulden, sondern eher Mann für Mann ihre Entlassung nehmen. Der Hieb saß; der Handel, der so gut wie abgeschlossen war, mußte rückgängig gemacht werden, der Uhrmacher aus der Rue St. Denis erlebte eine der größten, im Geld- wie im Ehrenpunkt empfindlichsten Demütigungen seines Lebens.

Es war aber nicht seine Art, Beleidigungen schweigend hinzunehmen. Frühzeitig schon hatte er die Nichtigkeit des erlauchtesten Hofadels durchschaut und die Schranzen von Versailles in einem Brief an seine erste Frau eine Horde von Spitzbuben ( un tas de coquins) gescholten. Die Leute, die aber diesmal so trotzig auf ihre Adelsprobe pochten, waren selbst von nicht gerade untadeliger aristokratischer Herkunft. Diese Doppelgänger von Molières geadeltem Kaufmann und Lesages Turcaret kommen mit ihrer Anmaßung nicht gegen ihn auf; er kennt ihre Stammbäume so gut wie einer. Und in einer Denkschrift » ab irato« offenbart er zum erstenmal seine satirische Begabung, indem er die adelsstolzen Teich- und Forstmeister Mann für Mann vornimmt. Er hechelt den Oberst-Teichmeister von Orleans Mr. d'Arbonnes, den Sohn eines bürgerlichen Perrückenmachers, so tapfer, wie Mr. de Marizy, den Oberst-Forstmeister von Burgund, dessen nächster Vorfahr ein ehrsamer Wollkämmer in einer Pariser Vorstadt gewesen; Mr. Tellès, grandmaître de Chalons, kann seinen Stammbaum Blatt für Blatt bis auf Abraham belegen, denn er ist der leibliche Sohn des jüdischen Trödlers Tellès Da Costa; der Großmeister von Paris, Mr. Duvancel, war einmal Knopfmacherlehrling. Und all diese Herren, die in ihrer Jugend die plebejischen Irrungen ihrer Väter geteilt und ihr Hab und Gut entweder von diesen ererbt oder durch gute Heiraten mit Töchtern von Sattlermeistern etc. als Mitgift erhalten haben, sind anstandslos in die aristokratische Gilde dieser Hofstelle aufgenommen worden. Nur bei ihm hat man an dem Stand seines Vaters Anstoß genommen und gesagt: »daß männiglich, so berühmt er auch in seiner Kunst sein mag, schon durch den Beruf eines Künstlers von allen Ehren der Großmeisterei ausgeschlossen bleiben müsse.«

Ganz verwunden hat Beaumarchais dieses unverhoffte Erlebnis niemals; noch ein Dutzend Jahre hernach bemerkt er selbst, dies Ereignis sei für den » Roman philosophique de sa vie« von einschneidender Bedeutung gewesen. Übrigens verdoppelte er nach dieser schweren Enttäuschung seine Bemühungen, ein Hofamt zu erlangen. Alte und neue Verbindungen kamen ihm dabei wirksam zustatten. Er wurde der unmittelbare Untergebene des Herzogs von La Vallière, viel berufen als Stammgast der Pompadour und Freund Voltaires, ein Freund und Sammler bibliographischer Seltenheiten; unter diesem ebenso artigen als unbedeutenden Generalkapitän des Jagdgerichtes versah Beaumarchais durch mehr denn zwei Jahrzehnte das Amt eines Generalleutnants im Bezirke der Louvreheide. In diesem ausgedehnten Sprengel hatte Beaumarchais über kleine Wilddiebe, Holzfrevler, Wildschäden und dergleichen Form Rechtens zu entscheiden; seine Erkenntnisse wurden allwöchentlich gefällt und durch Maueranschläge bekannt gemacht. Die Stelle, war mit allerlei Gerechtsamen, u. a. der Befugnis eines besonderen Gerichtsstandes verknüpft; außerdem verschaffte sie ihrem Inhaber einen gewissen Rang in der Gesellschaft; mehr als einmal bot sie ihm auch Gelegenheit, von Amts wegen mit großen Herren in Beziehung zu treten. So hatte er eine der folgenreichsten Bekanntschaften seines Lebens seiner Tätigkeit beim Jagdgericht zu danken.

Im Auftrag des Prinzen von Conti war eigenmächtig eine Mauer niedergerissen worden, die Beaumarchais auf die Fürbitte des Beschädigten ohne weiteres wieder aufführen ließ. Diese Entscheidung verdroß den Prinzen, einen gescheiten, energischen, nur ziemlich rechthaberischen Mann, nicht wenig; es hieß auch vielfach, er wolle Genugtuung für diesen Akt rascher Justiz fordern. Beaumarchais hat kaum von dieser Absicht des Prinzen gehört, als er sich zu Pferd setzt und kurzweg den hochgeborenen Friedensbrecher heimsucht; da er ihn nicht zu Hause antrifft, reitet er ihm auf die Jagd nach und tritt ihm endlich Aug in Aug gegenüber. »Eure Hoheit« – so meint er nach den einleitenden Bemerkungen, – »werden gewiß alle Ihre Wünsche durchsetzen. Ihr Name, Ihr Rang …« Der Prinz, dem Ludwig XV. nicht umsonst den Beinamen » mon cousin l'avocat« gegeben, unterbricht ihn mit den Worten: »Nichts von alledem! Ich will nur mein gutes Recht.« »Dann muß ich Eure Hoheit bitten, selbst das Urteil zu fällen.« Und damit setzt er dem Prinzen den ganzen Sachverhalt so lichtvoll und wahr auseinander, daß Conti nicht bloß sein Unrecht einsieht, sondern von Stund an den unerschrockenen Mann in seinen Kreis aufnimmt. Beaumarchais hatte seinen Kriegsplan schlau ersonnen; der Führer der Parlamentspartei war an keiner Stelle leichter zu fassen, als bei seiner Liebhaberei für juristische Spitzfindigkeiten, bei seiner oft und laut geäußerten Ansicht, daß Recht vor Macht gehe.

Ebenso sicher traf er die Schwächen von Mesdames. Als den Prinzessinnen auf einer Badereise nach Plombières eines der allzu seltenen frohen Zwischenspiele ihres öden Daseins beschieden ist, überrascht sie Beaumarchais mit einem nach seinen Plänen über Nacht unter den Linden der öffentlichen Promenade erbauten Liebhabertheater. Und während er vormittags über den Ankauf einer großen Papierfabrik unterhandelt, improvisiert er abends zu ihren Ehren Bälle, Konzerte, ländliche Feste, Schäferspiele und Ausflüge. Noch lebhafter rührt er die Prinzessinnen, als er eines Tages verstört in Versailles eintrifft und eine Abschiedsaudienz nimmt; dringende Angelegenheiten – so erklärt er – machen seine jähe Abreise nach Madrid erforderlich. Die unerwartete Botschaft genügt Mesdames nicht, sie wollen die näheren Anlässe und Ursachen dieses plötzlichen Entschlusses kennen. Und nun zeigt er ihnen einen Brief seiner älteren Schwester Guilbert an seinen Vater, folgenden Inhalts: »Meine Schwester wurde gerade zum zweiten Male von einem ebenso gefährlichen, als einflußreichen Manne schwer beleidigt. Zweimal hat er kurz vor dem festgesetzten Hochzeitstage sein Wort nicht eingehalten und ohne jede Entschuldigung jeden Verkehr abgebrochen; die Empfindsamkeit unserer tiefgekränkten Lisette hat sie dem Tode nahe gebracht. In ganz Madrid ist allbekannt, daß auf meiner Schwester nicht der leiseste Makel ruht. Wenn mein Bruder soviel Einfluß hat, um uns Empfehlungen bei dem französischen Botschafter zu verschaffen, so vermag uns diese Fürsorge vielleicht vor manchem Übel zu bewahren, das uns der Treulose durch seine Drohungen und Taten zugefügt hat und noch zufügt …« Die Prinzessinnen billigen bewegt den Entschluß des edlen Bruders: »Reisen Sie und seien Sie vorsichtig. Ihr Vorhaben ist gut und es soll Ihnen nicht an Unterstützung in Spanien fehlen, wenn Sie sich redlich und vernünftig benehmen.« Und es bleibt nicht bei so teilnahmsvollen Worten; Mesdames erwirken ihm eigenhändige Empfehlungsschreiben Choiseuls an den französischen Gesandten und an den spanischen Minister Grimaldi in Madrid. Vgl. zur Charakteristik Duverneys: Histoire de Mrs. Paris (ouvrage dans lequel on montre comment un royaume peut passer dans l'espace de cinq années de l'état le plus déplorable à l'état le plus florissant). Par Mr. de L*** 1776. Casanova. Mémoires. Clément, Portraits historiques. Paris, Didier, 1855 (326–69). Masson, Mém. de Bernis, Paris, Plon, 1881.

Mit dem Glorienschein eines Romanhelden im Zeitgeschmack Richardsons und Rousseaus scheidet er von ihnen; in dem Glorienschein des heldenmütigen Beaumarchais in Goethes »Clavigo« steigt sein Andenken auch in dem deutschen Volke auf, so oft sein Name genannt, sein spanisches Abenteuer erwähnt wird. Er selbst aber beeilt sich, uns mitzuteilen, daß im Augenblick seiner Abreise der Auftrag an ihn erging, in Spanien eine für den französischen Handel höchst wichtige Angelegenheit wahrzunehmen; Duverney habe beide Pläne gebilligt, bei der zärtlichen Abschiedsumarmung ebenso herzliche Wünsche für die Sache seiner Schwester, wie für das Gelingen seiner kaufmännischen Unternehmungen geäußert und ihm zugleich auch 200 000 Franken in Wechselbriefen mit auf den Weg gegeben. Von wem die Anregung zu seinen spanischen Geschäften ausging, sagt Beaumarchais nicht. Als Glücksritter zieht er aus, von dem Wunsche getrieben, in der Fremde im Nu der Millionen habhaft zu werden, die Paris Duverney in der Heimat als Preis jahrelanger, harter Arbeitsmühen zugefallen waren. Denn unablässig steht ihm das Vorbild dieses Mannes vor Augen, der gleich ihm aus dunkeln Anfängen emporgestiegen und zu Beginn seiner Tätigkeit dem größten Finanzmann seiner Zeit, Samuel Bernard, – wie er Duverney – als Helfer und Ratgeber zu Dank verpflichtet war. An Geist und Fleiß steht Beaumarchais seinem Gönner nicht nach, nur erweist er sich bei seinen ersten Versuchen noch zu phantastisch, übereifrig und unvorsichtig; schon jetzt aber fordern viele übereinstimmende Züge im Wesen der beiden zu einer Parallele – wenn auch gerade zu keiner plutarchischen – heraus. Beide erscheinen einander ebenbürtig in allen Kniffen höfischen Ränkespiels; beide nicht ohne rühmliche, patriotische Anwandlungen; leider aber auch beide nur allzu erfahren in der Technik des Gründer- und Strebertums; glänzende Talente und fragwürdige Charaktere; zwei Größen ihrer Zeit und Vorläufer ganz moderner Typen; beide überlegene Schüler von Lesages Turcaret und unübertroffene Meister von Balzacs Mercadet.

5. Beaumarchais in Spanien

Der junge Goethe. III, 32. Brief an Jacobi vom 21. Aug. 1774. – Sainte-Beuve, Causeries, VI, 208. – Voltaire, Oeuvres complètes. Kehler Ausgabe, LXVII. S. 293, N. Brief an Florian. – Collé, Correspondance inédite. Ed. Bonhomme. – Sainte-Beuve, Nouveaux lundis, VII. 376.

Pourquoi faut-il qu'il y ait toujours du louche
en ce que tu fáis?

Le Comte: Le mariage de Figaro III. 5.

Beaumarchais selbst hat uns sein Abenteuer mit Clavijo erzählt; das erstemal in so vollendeter »theatralischer Darstellung«, daß Goethe, »berechtigt durch Altvater Shakespeare, nicht einen Augenblick Anstand nahm, die Hauptszene wörtlich übersetzt« auf die Bühne zu bringen. Allein obgleich der junge Frankfurter Advokat das » Fragment de mon voyage d'Espagne. Année 1764« fast in demselben Augenblick zur Hand hatte, in dem zur Karnevalszeit des Jahres 1774 das Flugblatt, noch feucht vom Drucke, in das Maskengewühl des Opernballes geschleudert wurde und obgleich er sein Trauerspiel, einer galanten Anwandlung zulieb, binnen acht Tagen vollendete, war er nicht der erste, der unser Motiv dramatisch gestaltete. Marsollier de Vivetières war ihm mit der Comédie: » Beaumarchais à Madrid« zuvorgekommen, die auf dem Liebhabertheater des Prinzen von Conti, in Gegenwart des Titelhelden, aufgeführt wurde. Dieser längst verschollene Versuch eines liebenswürdigen Dilettanten hat den Reiz der ursprünglichen Fabel für nachgeborene Poeten natürlich noch weniger abzustumpfen vermocht, als Goethes unvergleichliche Improvisation: der Clavigostoff, wie er in Beaumarchais' Denkschrift uns entgegentritt, ist auch in späteren Tagen wiederholt von französischen und italienischen Dramatikern behandelt worden. Überall bildet der erste Zusammenstoß des treulosen Bräutigams mit dem edelmütigen Bruder einen Höhepunkt des Interesses und der Handlung; die Mittelmäßigen fühlen so sicher, wie einst der Größte, daß an diesen Auftritt nicht gerührt werden darf: denn unwiderstehlich fliegen alle Herzen Beaumarchais-Grandison zu, der, aufs äußerste gebracht durch den wiederholten Treubruch eines gewissenlosen Verlobten, als Schutz- und Racheengel der Seinigen »im Flug von Paris zu Madrid ist«, sich dort unter einem klug gewählten Vorwand bei dem eiteln Literaten einführt und mit überlegener Kunst das Gespräch von leeren Höflichkeiten auf den eigentlichen Zweck seines Aufenthaltes im fremden Lande hinüberspielt. Wie Beaumarchais seinem anfangs völlig arglosen Wirt die Blicke recht ins Innere kehrt, wie er immer leidenschaftlicher aufwallend dem Fassungslosen Hieb um Hieb versetzt und endlich das »Ungeheuer« mit wuchtigem Keulenschlag vollends zu Boden schmettert, bleibt ein unübertreffliches Musterstück dramatischer Steigerung. Gleich einer fleischgewordenen Antithese der Selbstsucht und des Opfermutes stehen sie einander gegenüber: der Galan, der Liebe und Pflicht seiner Ehr- und Genußsucht opferte, dem Bruder, der alles verlassen hat, Vaterland, Familie, Stand, Vergnügen, um in Spanien eine unschuldige, unglückliche Schwester zu rächen. »Ich komme, bewaffnet mit der besten Sache und aller Entschlossenheit, einen Verräter zu entlarven, mit blutigen Zügen seine Seele auf sein Gesicht zu zeichnen, und dieser Bruder,« ruft Beaumarchais aus, »bin ich und der Verräter – bist Du!« Die poetische Gerechtigkeit verlangt als Kontrastfigur zu dem haltlosen Clavigo einen ritterlichen, idealen Beaumarchais, der freilich mit dem leibhaftigen Autor des »Barbier von Sevilla« wenig mehr als den Namen gemein hat. Schon Goethe nennt ihn fast in denselben Tagen, in welchen er ihn als Theaterhelden verherrlicht, in der Vertraulichkeit brieflicher Bekenntnisse abschätzig genug einen » aventurier français«: milder in der Form, nicht minder herb in der Sache äußert Sainte-Beuve seine Zweifel an der unbedingten Glaubwürdigkeit des Dichters der Figaro-Trilogie. »Hat Beaumarchais diese (1774 zuerst veröffentlichten) Blätter wirklich schon zehn Jahre zuvor (für den König von Spanien und seine Leute) niedergeschrieben, so war er schon zu jener Zeit ein vollendeter Schriftsteller und – metteur en scène.«

Nichts erklärlicher, als diese Bedenken, wenn man auf die Vorgeschichte der Mémoires näher eingeht. Beaumarchais schrieb seine in der Weltliteratur fortlebende Selbstverteidigung als Angeklagter in einem Skandalprozeß, während dessen eine Meute von Neidern und Widersachern ihn der abscheulichsten Freveltaten beschuldigte. Die Kriminalklage lautete zunächst nur auf Bestechung eines Richters; schwer gereizte Feinde aber sagen ihm ganz andere Dinge nach; er soll Urkunden gefälscht, beim Kartenspiel die Volte geschlagen, den ersten Mann seiner ersten Frau durch Gift und als neuer Blaubart rasch nacheinander auch zwei Gattinnen aus dem Wege geräumt haben. Die Verleumder trieben ihr Handwerk mit solcher Meisterschaft, daß Beaumarchais zu Beginn des Prozesses Goezmann, nach Grimms Zeugnis, » l'horreur de tout Paris« war, den jeder auf das Wort des Nächstbesten der unerhörtesten Verbrechen für schuldig hielt. Wollte der mit entehrenden Strafen Bedrohte die öffentliche Meinung für sich gewinnen, so galt es, nach seinem eigenen Bekenntnis, alle Töne, tragische und humoristische, satirische und empfindsame anzuschlagen. »Ich wußte wohl« (so bemerkt er in einer gelegentlichen Anmerkung seiner Ausgabe der Briefe Voltaires), »daß es in Paris kein anderes Mittel dafür gab, gelesen zu werden, als auf jeder Seite einen anderen Stil anzunehmen, die Gleichgültigen zu belustigen, die Gefühlvollen bei ihrem Herzen zu packen, die Gescheiten durch dialektische Tüchtigkeit zu gewinnen, kurz, dermaßen durch Abwechselung zu wirken, daß allmählich die Vermutung aufstieg, verschiedene Federn müßten an demselben Werke teilhaben.« Die Genialität, mit welcher Beaumarchais diesen Vorsatz erfüllte, hat den Enthusiasmus nicht bloß seiner Landsleute erregt; Voltaires ungemessenes Lob dieser Streitschriften wird jedem ihrer Neudrucke als Geleitsbrief mit auf den Weg gegeben. Weniger bekannt, aber kaum minder bezeichnend ist ein briefliches Urteil des Vaudevillisten Collé, des »letzten Galliers«, wie ihn Sainte-Beuve allen Ernstes genannt hat.

»Dieser Mensch (Beaumarchais)«, so schreibt dieser Meister Bérangers, »gebietet über alle Stilgattungen. Er ist heftig und pathetisch, zärtlich und geistreich. Niemand hat mit mehr Anmut und Leichtigkeit geplaudert; man meint den vornehmsten Hofmann zu hören; seine Scherzreden sind durchweg vom besten Ton. Er ist ein Demosthenes, wenn er zum Publikum und zu seinen Richtern spricht, ein Juvenal und Horaz, wenn er seine gleißnerischen, kleinen Gegner, die falschen Zeugen etc. zurichtet, wie sichs gebührt …«

Nur ein Motiv fehlte noch in dieser Symphonie, ein Hauptmotiv allerdings für das rührselige Publikum des XVIII. Jahrhunderts – das sentimentale. Spott, Witz, alle Spielarten der Rhetorik schienen erschöpft in den ersten drei Denkschriften Beaumarchais', da läuft mit einemmal ein Madrider Brief in Paris um, in dem man ihm nachsagt, daß er, ein Auswurf der Menschheit, vor gerade zehn Jahren, eines schönen Maimorgens um sechs Uhr früh sich bei Clavijo eingeschlichen, die Tür abgesperrt und dem wehrlosen Mann mit vorgehaltener Pistole im Bett ein Heiratsversprechen abgenötigt haben soll. Beaumarchais druckt das ganze Pasquill in seinem letzten Memoire wortwörtlich ab und gibt statt jeder besonderen Widerlegung den wirklichen Sachverhalt, wie er ihn damals in seinem Reisetagebuch aufgezeichnet und in der Stunde der höchsten Gefahr dem König von Spanien, Karl III., mit der » éloquence du moment«, der richtigen Theaterberedsamkeit, vorgetragen haben will. Die Pariser Leser stellen den Erzähler dieses ergreifenden Familienromans unter dem Eindruck der ersten Lektüre in eine Reihe mit Fénélon, Richardson und Rousseau; schärfer blickende, Beaumarchais übrigens durchaus wohlgesinnte Kritiker wie La Harpe, schrieben jedoch gleich dazumal, die ganze Geschichte zeige den heldenmütigen Ritter seiner Schwester in so schönem Lichte, daß man fast glauben möchte, er selbst habe den Schmähbrief in Umlauf gesetzt, auf den er so bequem und effektvoll antworten konnte. Wie dem auch sei, Clavijo und seine Geliebte glichen in Wirklichkeit den Porträts der Memoires nicht viel mehr, als ihren Namensvettern in dem Goetheschen Drama. Beaumarchais selbst aber verwandelt sich bei tiefergehendem Studium der Quellen in einen Halbbruder des Alcide in Molières Schwank Le mariage forcé; sein sonstiges Tun und Treiben während seines einjährigen Aufenthaltes in Madrid verbündet ihn nun gar den Schelmen des Gil Blas näher, als dem Valentin im Faust. So steigt unsere Bewunderung für die Phantasie und Kunst des Autors in demselben Maße, in welchem unsere Teilnahme für den Menschen, die Achtung vor seinem Charakter sinken muß. – Noticias de la Historia general de las islas de Canaria. Por Don Joseph de Viera y Clavijo. Madrid, 1772–1783. Im IV. Band: Biblioteca de los autores canarios. S. 542–46. Guarinos: Ensayo de una biblioteca española de los mejores escritores del reynada de Carlos III. Madrid 1785. Bd. II, 187. Townsend, Reise durch Spanien. Leipzig, Weidmann, 1792. I, 235, 535. El Pensador, 1762, 3 Bde. – Johann Georg Rist's Lebenserinnerungen. Gotha 1880. Bd. I, S. 332.

Von der ewigen Braut Clavijos wissen wir nicht besonders viel: das Taufbuch verrät uns nur ungalant genug ihr Geburtsjahr, sie zählte 27 Lenze, als sie den nahezu gleichalterigen Clavijo (1730–1806) kennen lernte, und über 33, als ihr Bruder das wiederholt aus den Fugen gegangene Verhältnis mit dem ehescheuen Literaten auf seine Art einzurenken versuchte. Bis zu ihrem 17. Jahre war Marie Louise im elterlichen Hause geblieben: um die Zeit war ihrem Vater der Kindersegen zuviel und sein Verdienst zu wenig geworden; so begleitete sie denn ihre Schwester Josèphe nach Madrid, woselbst Vater Caron schon seit langem Geschäftsverbindungen unterhielt. Louise oder vielmehr Lisette, wie sie daheim gerufen wurde, soll damals hübsch und schlank gewesen sein, in einem Jugendbrief rühmt Beaumarchais auch ihren style aisé et amusant. Ihre Stellung in der französischen Kolonie schildert er in einer Madrider Epistel an seinen Vater bezeichnend mit der Bemerkung: »Hier gibts Klein- und Groß-Frankreich. Meine Schwestern sind zu fein erzogen, um zu Klein-Frankreich, nicht reich genug, um zu Groß-Frankreich gezählt zu werden.« Etwa ein Jahrzehnt mochte die Heldin unseres Romans in der spanischen Hauptstadt verlebt haben, als sie die Bekanntschaft eines jungen Autors, »bürtig von den kanarischen Inseln«, machte, über dessen Leben, Wesen und Charakter unsere Nachrichten minder wortkarg sind.

Don Joseph Clavijo y Faxardo war in Lanzarote zur Welt gekommen: sein Oheim, ein Dominikaner, ließ den Knaben in einem Kloster der Heimat erziehen; der künftige »Pensador« trieb da Philosophie, Theologie und Juristerei; seine glücklichen Fortschritte in den humanidades konnten dem Vaterland schon zu jener Zeit die Beweglichkeit seines Geistes vorherverkünden. Nach unterschiedlichen Kreuz- und Querzügen diente der junge Mann bei dem Kriegszahlamt von Ceuta und dem Platzkommando von S. Royen, bis er Ende der vierziger Jahre nach Madrid kam; hier gelang es ihm, im Kriegsministerium ein Plätzchen und in dem Amtsvorstand Don Antonio Portugues, dem Vormann des Goetheschen Carlos in den Mémoires, einen Gönner zu finden. Der aufstrebende Clavijo trat zunächst mit einem Werk über das spanische Heerwesen hervor, dem Ergebnis zehnjähriger Studien. Weit größeren Erfolg brachten ihm jedoch seine publizistischen Leistungen ein: Feuilletons eines zahmen Moralisten, die mit freier Benutzung Addisonscher Muster, vom Jahre 1762 an, unter dem Titel El Pensador erschienen. Gewandte, europäisch gebildete Männer waren in dem Spanien Karls III. so selten, daß die Berufung Clavijos auf den Posten eines Staats-Archivarius offenbar nur den Anfang einer glänzenden Laufbahn bezeichnen sollte. Da kam jählings »ein Ungeheuer aus Frankreich, um das Geschick Clavijos in Verwirrung und seine nützlichen Arbeiten zum Stillstand zu bringen«. Denn ein Ungeheuer sei wohl (so meint Anno 1783 der spanische Biograph des Pensador) mit gutem Recht Pedro Caron de Beaumarchais zu nennen, der so allbekannt sei in Europa durch seine Ränke, seine Prozesse, seine Abenteuer, seine Schriften, seine Komödien und seine Talente: dieser selbe Beaumarchais habe in einem von Lügen und Prahlereien strotzenden, für seine Richter bestimmten Mémoire keinen Anstand genommen, zur allgemeinen Kenntnis zu bringen, wieviel Schaden er unserem Don Joseph Clavijo dadurch zufügte, daß er sich in Madrid als Don Quijote seiner Schwester aufspielte, die auf die Hand des Denkers Ansprüche erhob. Leicht wäre es Clavijo gefallen, eine so lügenhaft ausgeschmückte Geschichte zu widerlegen ( que Wolfgang Goethe Poeta Aleman creyó haber hallado en ellas argumento bastante para su Tragedia Alemana que intituló el Clavijo). Er habe es jedoch vorgezogen, ein ungewöhnliches Beispiel christlicher Liebe und Großmut zu geben. Er habe nämlich, wie man nach dieser pomphaften Verheißung fast vermuten sollte, wohl nicht das Fragment de mon voyage en Espagne für seine Landsleute übersetzt, dagegen aber im Königlichen Theater, zu dessen Leitung er in den siebziger Jahren berufen wurde, außer seinen Bearbeitungen Racinescher Tragödien und Regnardscher Komödien auch – una comedia del mismo Beaumarchais, intitulada el Barbero de Sevilla zur Aufführung gebracht! Zur Zeit, in der die »Hochzeit des Figaro« die Pariser in Aufruhr brachte, war Clavijo nicht mehr Theaterdirektor, sonst hätte der emsige Dramaturg am Ende auch noch den »tollen Tag« seines Erzfeindes aus christlicher Barmherzigkeit übersetzt und szeniert! Er war in der Zwischenzeit mit der Chefredaktion des Mercurio historico e politico de Madrid betraut worden; in seinen freien Stunden schrieb er im Auftrag des Reformministers Campomanes bändereiche Werke als Verteidiger der Regierung gegen die Jesuiten; endlich fand er einen Ruheposten als Direktor des Königlichen Naturalienkabinetts, eine Stellung, deren Verleihung er durch die Übersetzung Buffons zu rechtfertigen suchte. Alle Fremden, Engländer und Deutsche, die (wie u. a. Rist) mit Clavijo in persönliche Berührung traten, rühmen ihn als liebenswürdigen, wohlunterrichteten Mann, der gern und oft nach seinem Doppelgänger auf der deutschen Bühne sich erkundigte. Heutzutage ist er gründlich vergessen von seinen Landsleuten; 1880 fragte ich in Madrid bei Schriftstellern von Beruf so vergeblich nach ihm, wie bei den Beamten des Naturalienkabinetts. Sein leidliches Selbstporträt finden wir im »Pensador«: in mannigfaltigen, selbstgefälligen Skizzen dieser Zeitschrift hat Clavijo eine erschöpfende Charakteristik seiner Persönlichkeit gegeben. Er nennt sich selbst klein, stark beleibt, mehr rot als blaß von Gesichtsfarbe, so daß er aussehe, wie ein Sancho Pansa. Auch sei ihm der Denker nicht eben an die Stirn geschrieben, seine Mienen trügen weit mehr das Gepräge der Munterkeit, als des Ernstes. Gleichwohl sei er so eitel auf seine Weltweisheit, wie es nur ein Prinz vom Berg Libanon auf seine Titel und Staaten sein könne. Drum setzt er sich vor, die Menschen zu bessern und zu bekehren: freilich nicht durch Satire, für die er wenig Neigung verspürt, vielmehr als gemütlicher Moralist, der sich gern und oft unter die Leute mischt. Er findet sich mit derselben Leichtigkeit in politischen und Damenzirkeln zurecht; überall ist er hochwillkommen, denn nirgends gibt er sein geliebtes Stillschweigen auf: so glauben die Leute, er sei bezaubert durch ihren Geist, indessen er sie mit Ruhe und Behagen studiert. Theater, öffentliche Gärten und Schenken besucht er mit gleicher Vorliebe. Seine Mahlzeiten verplaudert er am liebsten mit Gevatter Schneider und Handschuhmacher. So schlägt er die Zeit mit geschäftigem Müßiggang tot und trägt durch die Eindrücke und Beobachtungen seiner peripatetischen Lebensweise an einem einzigen Tage mehr Gewinn davon, als durch zehnjährige Universitätsstudien. Der Ehrgeiz plagt ihn nicht. De genio delicado, taciturno y pensador, mag er lieber zu dem großen Haufen gezählt werden und ein unbekannter Denker sein, als all den Weihrauch einatmen, um den die Toren, denen es nach Ketten und Kerkern gelüstet, ihre Ruhe dahingeben. Inmitten so überlegener, gleichmütiger Betrachtungen überschleichen leise Anwandlungen von Pessimismus sein kraftvolles Mannesalter. Ist es wirklich nur unbestimmte »Melancholie über das Unglück der Welt« oder, wie so oft, der höchstpersönliche Zwiespalt zwischen Geist und Temperament, zwischen dem Hirn- und Blutmenschen in ihm? Läßt er Louise Caron zweimal nacheinander und regelmäßig kurz vor der Trauung bloß aus verwerflichem Eigennutz im Stich oder wird ihm das lang umworbene alternde Mädchen allmählich unsympathisch? Denn mochte Lisette Caron die vom Pensador außer der Schönheit geforderte Brautsteuer von Tugend und Verstand immerhin ihr eigen nennen: an Jugendfrische nahm sie es dazumal kaum mehr mit der Duenna von Don Antonio Portugues auf, die, wie Marcelline gegen Figaros Hochzeit, Einspruch erhebt gegen die Verbindung Clavijos mit Fräulein Marie Louise Caron. War Clavijo der ehrvergessene Streber, als welchen Beaumarchais ihn hinstellt, oder in Wahrheit nur, wie er selbst sagt, ein Opfer der Launen des Schicksals? ein schwacher, aber kein böser Mensch? ein halber Mann oder ein ganzes Weib? Ein gewinnendes Naturell war er jedenfalls. Nach dem ersten, heftigen Zusammenstoß entzückt er den rasch versöhnten Beaumarchais durch seinen Geist, seine Kenntnisse, vor allem durch das edle Vertrauen, das er in seine brüderliche Gesinnung setzt. Von Anfang an entschuldigt er sein früheres Zaudern und Schwanken mit fremden Ratschlägen und Einflüssen, und noch in seinem Abschiedsbrief an Beaumarchais behauptet er, blindlings all seinen Wünschen gefolgt und trotz aller Feindseligkeit ihm ein liebevolles Gedenken bewahrt zu haben. Er besteht, wie auf einem wohlerworbenen Recht, auf dem Anspruch, Lisette Caron als Gattin heimzuführen, und als er hört, daß sie einen anderen heiraten soll, erklärt er Form Rechtens dagegen zu protestieren. Mit diesem Einspruch durfte er freilich zum wenigsten kommen: denn er hatte die Trauung mit Beaumarchais' Schwester zum dritten und vierten Male mit abenteuerlichen, possenhaften Ausflüchten vereitelt. Einmal hat er zum Purgieren eingenommen und dadurch die vom spanischen Gesetz für den Bräutigam geforderte Voraussetzung voller Gesundheit verscherzt; das nächstemal meldet sich eine Duenna mit einem alten, eigenhändigen Eheversprechen Clavijos, endlich gar die Hermandad, die vom Pensador selbst oder von seinen Freunden und Freundinnen gegen den Franzosen mit der Denunziation aufgehetzt wird, Beaumarchais habe dem königlichen Archivar die schriftliche Erklärung seines Treubruches durch gewalttätige Überraschung abgedrungen. Beaumarchais' Freiheit ist bedroht. Er soll gefangen gesetzt, vielleicht gar nach Afrika deportiert werden; der Botschafter d'Ossun, all die Seinigen beschwören ihn, zu fliehen. Er aber fährt stracks nach Aranjuez, verschafft sich Eingang und Gehör bei dem Gönner Clavijos, Whall, und offenbart diesem edelsinnigen Mann die nichtswürdigen Anschläge seiner Gegner. Whall wird von der Gerechtigkeit seiner Sache dergestalt ergriffen, daß er sie wie seine eigene ansieht. Er erwirkt Beaumarchais auf der Stelle eine Audienz beim König: auf Whalls Geheiß liest der schwer Gekränkte Karl III. dieselbe Denkschrift vor, mit der er das Herz des Ministers gewann Es ist mir bisher nicht gelungen, diesen Urbericht Beaumarchais' aufzuspüren. Weder 1880 in Alcalá, noch 1910 in Simancas. Herr Archivdirektor Julian Paz ließ im Juni 1910 auf meine Bitte Nachforschungen pflegen en la correspondencia autógrafa de Carlos III durante el año 1764, sin encontrar ninguna mención de Beaumarchais. Ebensowenig Ergebnis hatte die Durchsicht der Ministerialakten von Simancas.. Seine feurige Beredsamkeit wirkt Wunder bei dem Monarchen. Clavijo verliert seine Ämter und Würden, und auch im Hause Caron will man diesmal endgültig nichts mehr von ihm wissen und Mademoiselle Lisette mit einem Würdigeren vermählen. Ein Freier ist längst zur Stelle: »bei Mädchen, die durch Liebesunglück gebeizt sind, wird ein Heiratsvorschlag bald gar«, meint Sickingen im »Götz« – das trifft auch auf die Leidensgefährtin der Braut Weislingens zu. Schon bei seiner Ankunft in Madrid fand Beaumarchais seine Schwester so gut wie versprochen mit einem ältlichen, nach jedem Bruch mit Clavijo als Nothelfer einspringenden Kaufmann namens Durand, und der Bruder, der angeblich nur gekommen, um sie an einem treulosen Verlobten zu rächen, muß vor allem das neu angesponnene Verhältnis lösen, denn – der französische Botschafter findet die Verbindung mit Clavijo angemessener für den Augenblick, verheißungsvoller für die Zukunft. Es stand jedoch geschrieben, daß Marie Louise Caron weder den einen, noch den anderen heirate. Sie soll acht Jahre nach dem Besuch ihres Bruders (1772) mit ihrer älteren Schwester Guilbert, deren Mann irrsinnig wurde, in die Heimat zurückgekehrt sein, sich in das Kloster der Dames de la Croix in die Picardie zurückgezogen und hernach ihre Tage in Amerika beschlossen haben. Im Jahr 1775 erscheint ihr Name nicht mehr in den Akten der Verlassenschaftsabhandlung nach ihrem Vater und auch sonst wird ihrer in der Familienkorrespondenz nicht weiter gedacht. Sie bleibt, vielleicht nicht ohne Absicht, auch für die Ihrigen verschollen und vergessen. Dem edelmütigen Rächer seiner Schwester wird späterhin sogar vorgeworfen, daß er die Heldin des Fragment de mon voyage d'Espagne in Sens fast verhungern ließ. Dumouriez soll sich der Unglücklichen angenommen, nachher aber von Beaumarchais den Ersatz für sein Darlehen verlangt haben. Und als der Millionär sich dessen geweigert, habe Dumouriez gedroht, ihn niederzuschießen, wenn er seine Schuld nicht sogleich bezahle. Die Entschiedenheit Dumouriez' soll ihres Eindrucks nicht verfehlt haben. Die Glaubwürdigkeit dieser Erzählungen muß dahingestellt bleiben: sicher ist, daß Beaumarchais lange Zeit mit Dumouriez verfeindet und erst in den Wirren der Revolution versöhnt war. Beaumarchais hat in Madrid sowenig vermocht, das Lebensglück seiner Schwester zu sichern, wie den vom König alsbald wieder in Gnaden aufgenommenen Clavijo bei der Mit- und Nachwelt dauernd zu schädigen.


»Dieser Brief« – so schreibt Choiseul unter dem 9. April 1764 an den französischen Gesandten in Madrid – »wird Ihnen von Herrn von Beaumarchais, Generalleutnant der königlichen Jagden und Truchseß Sr. Majestät überbracht werden. Er begibt sich in Familienangelegenheiten nach Spanien, wo Sie ihn gewiß mit ganz besonderem Wohlwollen aufnehmen werden, wie ihn auch der König mit ganz besonderer Gnade auszeichnet. Übrigens verdient er auch um seiner selbst willen alle Förderung, die Sie ihm auf meine Bitte angedeihen lassen wollen.« So schmeichelhaft diese Empfehlung für einen Plebejer klingt, der noch wenige Jahre zuvor in einem Glasverschlag der Rue St. Denis Uhren feilhielt, Beaumarchais' Herzenswünschen genügte sie nicht. Vor und nach der spanischen Reise sucht er sich in Choiseuls Vertrauen zu drängen, mit Enthüllungen und Ratschlägen freilich, deren naive Schamlosigkeit selbst im Zeitalter der Pompadour überraschen muß. Man höre den Gedankengang einer geheimen an den französischen Staatsminister gerichteten Denkschrift Beaumarchais' über spanische Zustände. – Archives des affaires étrangères, Paris. Espagne, 507 (Choiseul an d'Ossun, 9. IV. 1764). –

Trotz des Familienpaktes, der die Höfe von Paris und Madrid seit kurzem eng verbündet, besteht nach wie vor glühender Haß zwischen Franzosen und Spaniern. Vom Thronfolger weiß man, daß er die Antipathien des Volkes teilt. Will man daher im königlichen Rat Parteiungen und Gesinnungswechsel ein für allemal unmöglich machen, so gilt es vor allem, Geist und Herz des Königs dauernd zu beherrschen, und dazu sei niemand berufener, als eine französische, ihrem Vaterland treu ergebene – Favorite. Der Vorschlag zeichnet sich auf den ersten Blick nicht gerade durch Originalität aus: Beaumarchais will scheinbar nur die Tage der Princesse des Ursins erneuern, die Zustände von Versailles nach Aranjuez verpflanzen. Wenn die Gattin eines Pariser Finanzpächters Krieg und Frieden machen, Feldherrn und Minister ein- und absetzen kann, lohnt es gewiß der Mühe, den Thronfolger Karls V. und Philipps II. gleicherweise unter das sanfte Joch einer Mitregentin zu beugen. Beaumarchais hat auch schon seine Wahl getroffen. Die Marquise de la Croix Denkwürdigkeiten des Barons Carl Heinrich von Gleichen. Leipzig, Hirschfeld, 1847. ( Souvenirs de Charles Henri Baron de Gleichen, précédés d'une notice par M. Paul Grimblot, S. 149–158. Paris, Techener, 1868.) Über die Marquise de La Croix s. a. Lintilhac 13., eine Nichte des Bischofs von Orleans und die Gemahlin des Artilleriekommandanten von Madrid, eignet sich, seiner Meinung nach, zu dem Amt einer Palastdame Karls III. vortrefflich. Sie besitzt nicht bloß die Eigenschaften, den spanischen Monarchen zu bezaubern: Beaumarchais' intimer Freund, der erste Günstling des Königs, dessen Leibkammerdiener Piny, hat ihm schon vertraulich mitgeteilt, daß die Marquise dem verwitweten Karl III. wohl gefalle. Die patriotische Willfährigkeit, ihre ganze Politik von dem französischen Kabinett angeben und lenken zu lassen, sinnt Beaumarchais der Marquise mit voller Zuversicht an. Ist er doch – was er Choiseul gegenüber weislich verschweigt – selbst ihr erklärter Galan. Man muß gestehen, der Plan überbietet Figaros keckste Anschläge: Spanien unter Karl III., Karl III. unter seinem Leibkammerdiener Piny, beide unter der Marquise de la Croix, und die Marquise in der Gewalt Beaumarchais' – – man sieht, er hat seinen Gil Blas gut gelesen, dieser saubere Bursche will ja bekanntlich auch ohne weiteres der Merkur des Thronfolgers werden. Mit diesem Lakaientrost mag sich immerhin der Spitzbube von Santillana zufrieden geben: gilt diese nichtswürdige Weltklugheit aber auch für Beaumarchais, den Beaumarchais der Mémoires wohlverstanden, der sich just zuvor Clavijo gegenüber als Anwalt und Rächer der beleidigten Moral aufgespielt hat? Der Widerspruch zwischen den Reden und Taten unseres Helden ist so grotesk, daß er die Verehrer seines Talentes kaum weniger überraschen kann, als die bedenklichsten Zwischenfälle seines Wiener Aufenthaltes, den uns Arneth nach den Akten des Hof- und Staatsarchives geschildert hat. Und doch beruhen auch unsere Mitteilungen durchwegs auf unanfechtbaren, zum Teil bisher ungedruckten Zeugnissen: auf Beaumarchais' eigenhändigen, geheimen Denkschriften für den Herzog von Choiseul, auf seinen Nachlaßpapieren, soweit sie mir im Archiv der Comédie Française zugänglich waren. Beaumarchais-Papiere der Comédie Française.

Beaumarchais trat die Reise nach Spanien als Gründer großen Stiles an; wie er selbst in den Mémoires erzählt, galt es, de négocier en Espagne une affaire très-intéressante au commerce de France. Diese »wichtige Angelegenheit« nun betrifft kurz gesagt zunächst den Neger- und Schleichhandel in den spanischen Kolonien; aber nicht umsonst berühmt sich Beaumarchais in einem Brief an seinen Vater (Madrid, 28. Januar 1765), daß ihm die umfassendsten und kühnsten Entwürfe die liebsten seien. Rastlos sucht er neue Gelegenheiten, die Machthaber in Madrid und Paris sowie seine französischen Geschäftsfreunde bald zu den vernünftigsten, bald zu den gewagtesten Unternehmungen zu bestimmen. Für die Kolonisation der Sierra Morena ist er ebenso rasch mit Vorschlägen bei der Hand, wie für die Hebung des Gewerbefleißes, für die Errichtung spanischer Fabriken, für die Förderung des Ackerbaues und für die Verpflegung des Heeres. Und das nicht etwa in gelegentlichen Bemerkungen, rasch aufleuchtenden Geistesblitzen etc.: er überreicht den Ministern und dem König in jeder dieser Fragen umfangreiche Mémoires; er studiert die Menschen, Einrichtungen und Hilfsquellen des Landes, dessen größte Städte er besucht; seine Freistunden benützt er dazu, als Virtuose aller geselligen Künste die Salons aller Botschafter durch seine Gesangsvorträge, als Gelegenheitsdichter und auf dem Liebhabertheater, als Plaudergenie und Spaßmacher mit ungeahnter Lust und Laune zu erfüllen. Er ist das Schoßkind von Lord Rochford, Graf Buturlin; beim Grafen von Creutz, wie beim Herzog von Crillon, überhaupt »in der ganzen vornehmen Gesellschaft, für die er sich (nach seinen eigenen Worten) geboren fühlt und in der er seine Zwecke am besten verfolgen kann, gehätschelt«. Dabei findet er Zeit, mit der literarischen Großmacht Voltaires einen Briefwechsel im Sinn und Geist dieses Meisters der Epistolographie anzuknüpfen und die großen Herren unter seinen Pariser Bekannten, wie den Herzog von La Vallière, mit bogenlangen Reiseberichten über spanische Volkssitten und Theaterzustände zu unterhalten. Darüber vergißt er keinen Augenblick die Lieben in Madrid und in der Heimat; dem Schwager Guilbert hilft er in den Steigbügel, indem er ihn »zum königlichen Ingenieur ernennen läßt«, und für seinen Vater, seine Schwestern und seine schöne aus San Domingo stammende Verlobte Pauline, eine begüterte Creolin, entwirft er gefällige Augenblicksbilder von dem Tun und Treiben der Madrider Gesellschaft jener Tage. Endlich oder vielmehr erstlich kommt auch die Galanterie nicht zu kurz. Er ist – unbekümmert um seine in Paris zurückgebliebene Braut – eines Herzens und eines Sinnes mit der Marquise de la Croix, die von unserem Landsmann, Baron von Gleichen, als der Inbegriff majestätischer Schönheit, als das Ideal einer römischen Kaiserin geschildert wird. Wäre unser Held nur ein genialer Genußmensch, einer jener epikuräischen, überlegenen Salonlöwen gewesen, die Talleyrand zu dem tiefempfundenen Bekenntnis bestimmten, »wer nicht vor 89 gelebt hat, kennt nicht die volle Wonne des Daseins«, Beaumarchais hätte mit seinen Madrider Triumphen zufrieden sein dürfen. Gesellschaftliche Erfolge waren seinem praktischen Sinn jedoch nur Mittel zum Zweck, sein Ehrgeiz, sein Tatendrang, der heilige Hunger nach Gold und Macht verlassen ihn nun und nimmer. Da all seine Mühen und Arbeiten in Spanien zu guter Letzt kein Ergebnis aufzuweisen haben, verliert er keinen Augenblick seinen Mut, seinen Humor, seine Zähigkeit. »Die Heiterkeit meines Naturells (so schreibt er seinem Vater) und ich wage es zu sagen, die Seelenstärke, welche mir die Vorsehung verliehen hat, all das im Verein mit der oft erprobten Gewohnheit, Widerwärtigkeiten zu ertragen, gibt mir die Gewähr dafür, daß ich dem Mißgeschick nicht unterliege. Wenn ich mir erst aus Verdruß über die Vergangenheit eine Unze Fleisch aus den Lippen gebissen, dann arbeite ich ernsthaft für die Gegenwart und kann mich nicht enthalten, über die Zukunft zu lächeln. Ich habe das Drei- und Vierfache meines heutigen Vermögens verloren; nichtsdestoweniger schüttle ich trotzig meinen harten Kopf und hebe die Arbeit der Danaiden frohen Sinnes wieder von vorne an …« Und mit der Beharrlichkeit, die ihn zeitlebens, in jeder kritischen Lage, seine Tätigkeit genau auf dem Punkte wieder aufnehmen läßt, auf dem er sich und seine Sache am meisten gefährdet sah, will er das spanische Ministerium dazu vermögen, ihn mit dem (bis dahin noch gar nicht existierenden) Amte eines Konsuls Karls III. in Paris zu betrauen. Von Choiseul hofft er die wirksamste Unterstützung seines Anliegens zu erlangen und um dem französischen Minister seine Befähigung für diplomatische Aufgaben, wie seine unbedingte Ergebenheit zu bezeugen, teilt er ihm übereifrig alle Eindrücke und Erfahrungen mit, die er auf seinem spanischen Ausflug gesammelt. Er beruft sich in seinem Mémoire und anderwärts auf einen ausdrücklichen Auftrag des Ministers, der ihm durch den Onkel der Marquise de la Croix, den Bischof von Orleans, Jarente, die Denkschrift abfordern ließ, die uns nun näher beschäftigen soll.

In den Gesprächen mit Eckermann weist Goethe wiederholt auf die advokatische Gewandtheit als auf einen Grundzug im Wesen Beaumarchais' hin. Diese meisterhaft geübte Technik des geborenen, oft sophistischen Sachwalters nimmt die Leser seiner Prozeßschriften, die Zuhörer in seinen Figaro-Komödien immer wieder gefangen. Bei allen stilistischen Unbeholfenheiten und unbeschadet der plumpen Schmeicheleien für Choiseul glauben wir, wenn auch nur im ersten Keim die gleiche Manier in dem (1764 zu Papier gebrachten) Mémoire sur l'Espagne wiederzuerkennen. Beaumarchais schreibt hier noch schülerhaft, ohne genaue Kenntnis seiner eigentümlichen Begabung, unablässig und einzig und allein darauf bedacht, das Wohlwollen Choiseuls zu gewinnen, dessen Abneigung gegen seine Person ihm nicht unbekannt geblieben. Aber auch an selbstbewußten Wendungen fehlt es nicht, ja, dann und wann klingt in dem Schriftstück ein Ton an, welchen das Faktotum des Grafen Almaviva, Figaro, le plus fier insolent, nicht verleugnen würde.

Der König – wohlverstanden: derselbe Karl III., der suffisamment instruit, ordonna que Clavico perdit son emploi et fût a jamais chassé de ses bureaux – sei ziemlich beschränkt und mißtrauisch. Selbst seine Minister, trotz ihres anscheinenden, übrigens nur Dummköpfen imponierenden Despotismus, gleichen ihm gegenüber durchaus nur furchtsamen Bedienten vor einem ebenso mißtrauischen als allgewaltigen Herrn. Seine Günstlinge behaupten ihren vermeintlichen Einfluß nur dadurch, daß sie keinen Gebrauch von demselben machen. Ein einziger Mensch hält alle Welt in Spanien im Schach: das ist Piny, der geliebte Kammerdiener, der einzige, dem der König gern sein Herz aufschließt, der einzige, mit dem er täglich zehn Stunden von vierundzwanzig in vollkommener Abschließung verbringt. Von diesem ebenso einflußreichen als unbekannten Menschen habe ich die zuverlässigsten Nachrichten über den Charakter des Fürsten erhalten. Außer den Ministern, Piny und bisweilen auch dem Beichtvater, soweit geistliche Fragen ins Spiel kommen, wagt es niemand, mit dem König von Staatsgeschäften zu sprechen oder auf wichtige Entscheidungen Einfluß zu nehmen. Außer der Abneigung der Nation gegen uns, und abgesehen von unserem geringen Einfluß auf den König, ist zu erwägen, daß dieser Fürst seinen ältesten Sohn als grimmigen Franzosenhasser heranwachsen läßt. Allein der Prinz von Asturien ist jung. Im Augenblick seiner Verehelichung wird er empfänglich für neue Gesinnungen sein, und diese Zeit der ersten glühenden Leidenschaft müßte man wahrnehmen, um die ungerechten Vorurteile seiner Kindheit durch eine franzosenfreundliche Gemahlin zu zerstören. Vielleicht vermögen die Ansichten, die ich nun entwickeln will, gleichzeitig die gute Wirkung zu üben, den Vater an uns zu fesseln und den Sohn auf den rechten Weg zu führen.

Der König von Spanien, schwach, halsstarrig, mißtrauisch und bigott, führt das Leben eines Wilddiebes; nichtsdestoweniger empfindet er jedoch sehr oft das Bedürfnis, unterhalten zu werden. Die Langeweile, diese Krankheit aller Könige, macht sich bei ihm weit empfindlicher fühlbar als bei jedem anderen. Zwanzigmal haben seine Blicke unter den Personen seiner Umgebung nach einem Wesen gesucht, dessen Reize, dessen Geist und Anhänglichkeit ihn aus der traurigen Einförmigkeit seiner Lebensführung herauszureißen vermöchte. Eine andere Krankheit, welche mit einer gewissen Regelmäßigkeit kräftige Pietisten quält, würde ihn wohl bestimmen, sich einer Frau zuzuwenden. Aber die Erinnerung an die Herrschaft, die sich die Königin Amalia über ihn anmaßte, und die Furcht, von einem Wesen vom Schlage seiner Frau unterjocht zu werden, haben ihn immer zurückgehalten. Diese von keinem andern bemerkte Unruhe des Königs konnte nicht lange seinem Lieblingskammerdiener verborgen bleiben. Dieser, ein verschlagener Italiener, hat nun sehr richtig herausgefunden, daß er, sofern er die Aufmerksamkeit des Königs auf eine Frau von Geist lenken könnte, durch sie im Herzen seines Herrn verstärkten Rückhalt gewinnen würde. Die nahen Beziehungen, in welche mich meine Geschäfte zu ihm gebracht halten und sein Zutrauen zu mir bewogen ihn, sich mir gegenüber ungescheut über diese wichtige Angelegenheit zu äußern. Ich begriff sofort, von welcher Bedeutung für mein Land die Wahl einer gewandten Frau wäre, die man gewinnen und dazu bestimmen könnte, ihre Sache heimlich mit der des französischen Ministers zu verknüpfen. Ich begriff zugleich auch, welche Vorteile derjenige, für den ich alle Ergebnisse meiner Beobachtungen bestimmt habe, für die Aufrechterhaltung des Familienpaktes und den Glanz seines Ministeriums aus einer Verbindung der Art ziehen könnte. Demgemäß ließ ich die Blicke meines Mannes geschickt auf eine Frau sich wenden, die ich besonders bezeichnete. Nachdem das zwischen Piny und mir abgemacht war und er beim König dieselbe Geschmacksprobe versucht, die ich bei ihm selbst ins Werk gesetzt hatte, arbeitete ich ernstlich daran, im Herzen einer geistvollen, ehrgeizigen Frau, die man, kurz gesagt, unmöglich besser hätte wählen können, das Verlangen zu steigern, la fortune ihres Mannes zu erhöhen und sich zugleich einem Königreich nützlich zu erweisen, das der Ausbeutung preisgegeben und in Unwissenheit versunken erschien. Ich schmeichelte ihrer Eigenliebe und dem Roman ihres Kopfes, indem ich ihr zeigte, welch ruhmvolle Folgen eine kluge Verbindung mit dem König haben könnte. Da aber diese Dame sich der Aufgabe nicht gewachsen fühlte, ganz allein einen so umfassenden Plan durchzuführen, und zugleich in der Umgebung des Fürsten nur Widersacher aller Reformbestrebungen erblickte, habe ich sie dadurch beruhigt, daß ich ihr eine Geheimkorrespondenz in Aussicht stellte, die sie mit Ihnen, Monseigneur, in der Art unterhalten könnte, daß Sie, durch irgendeinen agent secret, aus der Ferne alle Maßnahmen zum Wohle beider Völker, insbesondere zur Aufrechterhaltung der Liga wider die Engländer, die sie aus vollem Herzen haßt, vorzeichnen würden.

Auch die Besorgnis einer anstößigen Beziehung zu dem König, die ihren Grundsätzen ebenso widerstrebt wie ihrem Geschmack, wußte ich vollständig durch die Einwendung zu bannen, daß ich, weit entfernt, der Pflichtvergessenheit in meinem Plan eine Rolle zuzuteilen, meine Blicke nur in der Überzeugung auf sie gelenkt hätte, que cela n'arriverait jamais. Ich bewies ihr, daß der schwache, frömmelnde König dem Genuß jeden Augenblick durch Gewissensbisse entfremdet werden könnte, so daß ein auf eine liaison vicieuse gegründetes Gebäude beim ersten Sturmlauf des Beichtvaters zusammenbrechen müßte, während eine durch den Zauber einer angenehmen Geselligkeit gemilderte Strenge ein weit zuverlässigeres Mittel zu seiner Beherrschung abgäbe, als eine Schwäche, die ihn immer in Zwiespalt mit seinem Gewissen brächte.

Auch der Günstling des Königs war ebenso glücklich als ich; er bemerkte mit Freude, daß dem Fürsten unsere Heldin mehr als einmal in der Menge aufgefallen war. Sobald der König sich durch dieses Bekenntnis erleichtert hatte, verbrachte er die Nächte damit, von ihr zu sprechen oder zu träumen. Endlich, da er, von seiner Neigung überwältigt, zu wünschen schien, daß Piny die Verhandlungen einleite, befahl er ihm, der Dame zu schreiben und sie aufzufordern, sich nach Ildefonso zu begeben, um in eigener Person wegen einer Schuldforderung ihres Gemahls Gerechtigkeit vom König zu verlangen. Ich bestimmte sie dazu, sofort abzureisen, aber sowie der Fürst sie in seiner Nähe wußte, begann ihn neuerdings Unruhe zu quälen. Zehnmal gab und widerrief er den Befehl, ihr von ihm zu sprechen und sie einzuladen, ihn insgeheim zu sehen. War die Gefahr vorbei, so atmete er wie nach einem Erstickungsanfall auf, um gleich nachher in tiefe Schwermut zu versinken. All diese Symptome einer Leidenschaft, die von seinem Liebling ebenso richtig beurteilt wurden, wie von mir, bestimmten uns, den ersten Befehl, welchen er erteilen würde, ihm von ihr zu sprechen, sofort, ohne ihm Zeit zum Widerruf zu gönnen, zur Ausführung zu bringen. Das geschah alsbald. Nun aber ließ ich von der Dame sein Verlangen rundweg abweisen, damit der König mehr von unserer (!) Ablehnung, als von seiner Unschlüssigkeit in Anspruch genommen werde und damit seine Leidenschaft in dem Maße wachse, als ihre Befriedigung schwieriger würde. Das geschah denn auch. Hier ist der Grund zu suchen, warum er seiner Schönen den Rat erteilen ließ, sich vom König von Frankreich an ihn empfehlen zu lassen – denn diese Dame ist keine andere, als die Frau Marquise de la Croix. Dann hat der Fürst aus freien Stücken zur großen Verwunderung seiner Minister ihrem Gemahl eine Komthurei von St. Jakob und eine Pension, ferner ein prachtvolles Diamantkreuz verliehen, das er ihm von seinem Bruder, dem Infanten Don Louis, als dem von ihm selbst bestimmten Ordenspaten, geben ließ. Endlich ließ der Fürst, um die Marquise in den Palast zu ziehen und häufiger Gelegenheit zu haben, sie zu sehen, ihr, da er keine neuen Ehrendamen für seine Schwiegertochter ernennen kann, durch Piny vorschlagen, sie möge den Rang einer Palastdame und eine Pension verlangen, ohne dadurch zum Hofdienst verpflichtet zu werden. Soweit waren die Dinge gediehen, als ich nach Frankreich abreiste. Als ich die Marquise verließ, wollte sie sich die Entschließung über meine Ansichten bis zu dem Augenblick vorbehalten, in dem ich ihr von Paris aus die Versicherung geben könnte, daß es in ihrer Macht stünde, gemeinsame Sache mit dem Herzog von Choiseul zu machen …

Sie allein, Monseigneur, haben also heute zu entscheiden, ob dieser Weg, der insgeheim mit so viel Geschicklichkeit als Mühe gebahnt wurde, Sie dahin führen kann, den spanischen Ministerrat souverän zu regieren. Ich aber, dessen Aufgabe es gewesen, auch die anderen Schwierigkeiten wohl im Auge zu behalten, wüßte Mittel und Wege anzugeben, um das Herz des Thronfolgers in demselben Augenblick zu gewinnen, in dem man über den Geist des Königs gebieten würde. Ich habe mir ausgedacht, daß es dem französischen Premier ein Leichtes sein müßte, dem allerchristlichsten König (Ludwig XV.) den Wunsch einzuflößen, seine Enkelkinder auf der Durchreise nach Spanien zu sehen und von seinem Vetter Karl III. diese Gunst zu erbitten. Die Infantin von Parma, schon jetzt französisch gesinnt, könnte dann längere Zeit mit glänzenden Festen an einem Hof festgehalten werden, dessen Lust und Pracht noch in der Erinnerung die künftige Königin von Spanien dauernd zu der unsrigen machen müßte. Ich habe mir weiter gedacht, daß zu gleicher Zeit die neue, zu den Ehren des Palastes berufene Favorite unter dem Vorwand von Familiengeschäften nach Frankreich gehen und auf die erste Nachricht vom Besuch der künftigen Prinzessin von Asturien in Paris die Gelegenheit wahrnehmen könnte, der Infantin le premier Hommage espagnol darzubringen. Bei demselben Anlaß könnte sich die Marquise mit Ihnen benehmen und ihre Vorkehrungen für die Zukunft treffen. Die Favorite könnte dann die Prinzessin von Paris nach Madrid begleiten und unterwegs die Gelegenheit wahrnehmen, ihr Vertrauen zu gewinnen, noch ehe die ungeheuerliche Sippschaft, die künftig ihren spanischen Hofstaat ausmachen soll, die Oberhand erlangt hätte. Die Marquise wird also in der Lage sein, jedem andern Einfluß zu begegnen und Piny wird nicht ermangeln, ihr beständig die Gedanken des Königs über alle Staatsangelegenheiten mitzuteilen. So werden Sie sich alsbald als der Minister beider Königreiche betrachten und als solcher dem Ausland gegenüber auftreten dürfen: eine Kraftprobe, welche Sie zugleich Ihrem Herrn noch werter machen wird, einem Herrn, dessen Vertrauen Ihnen ohne Zweifel eine Menge geschworener Feinde streitig machen will …«

So schlau angezettelt diese Intrigenkomödie nach der Meinung ihres Urhebers auch sein mochte und so wenig wählerisch die offizielle und die Geheim-Diplomatie jener Zeit in ihren Grundsätzen und Hausmittelchen war – die wohlverdiente Antwort, die Beaumarchais (auf seine Bitte um die Bestallung zum Konsul) im Namen des Herzogs von Choiseul durch den Bischof von Orleans aus Fontainebleau erhielt, lautete: »Unbedingte Ausschließung dieses Individuums von jeder, Spanien betreffenden Sendung«.


Die Madrider Gründerphantasien Beaumarchais' sind seinen politischen ebenbürtig. Auf geradem Wege war das Monopol für den ungemein einträglichen Negerhandel nach den spanischen Kolonien nicht zu erlangen. Da verfiel sein génie supérieur aux évènements auf die Idee, der spanischen Regierung, die seit Jahresfrist ratlos ihrer neuen, unwillkommenen Erwerbung eines Teiles von Louisiana gegenüberstand, die Sorge für diese überseeische Provinz abzunehmen. Er erbot sich, nach dem Muster der ostindischen Gesellschaft, eine Compagnie de la Louisiane ins Leben zu rufen, und er verhieß, auf diesem, seinerzeit schon durch Laws Gründerkünste geweihten Boden Festungen und Städte erstehen zu lassen. Die Endabsichten, die ihn bei diesen Anträgen leiteten, finden wir mit voller Offenheit ausgesprochen in den (bisher ungedruckten) Instructions secrètes sur le ministère d'Espagne relativement à l'affaire de la concession de la Louisiane, die er seinen Kommittenten in der Heimat durch einen Privatkurier zugehen ließ. (Archiv der Comédie Française.)

Die Verwaltung der Louisiana ist drei Ministern anvertraut, vornehmlich aber Herrn Grimaldi, weil er die Abtretung Floridas zum Eintausch gegen diese Kolonie veranlaßt hat. Alle, so viel ihrer auch sind, wissen nicht, was sie damit anfangen, noch wie sie sich anstellen sollen, Louisiana auszubeuten oder auch nur gegen englische Übergriffe sicher zu stellen. Der zweite ist der Marineminister Herr Ariega; in seinem Amt wird mein Vorschlag geprüft und von dort aus geht das Gutachten geradeswegs an den König, da es hierzulande keinen Ministerrat wie in Frankreich gibt. Als Dritter kommt der Finanzminister Esquilace in Betracht, der den größten Einfluß auf den Monarchen hat; von ihm hängt es ab, ob die Abgabe (für je einen Neger) mit 10, 20 oder 30 Piastern festgestellt wird; in seiner Hand liegt auch die Macht, uns die Erlaubnis zu Rückfrachten nach Frankreich etc. zu gewähren. So ist es unerläßlich, mindestens mit zwei von den Dreien über die verschiedenen Interessen ihrer Departements zu verhandeln. Ihr geringer Verkehr untereinander und die landesübliche Trägheit sind die Gründe, welche die Geschäfte in Spanien endlos verzögern. Dank meinem Studium der verschiedenen Charaktere sah ich bald, daß der Marineminister ein ebenso schlichter und rechtlicher, als wenig unterrichteter Mann ist, der unsere Sache seinen Unterbeamten anheimstellen wird; deren Vorteil ist aber so fest mit demjenigen einiger Spanier verknüpft, die bisher mit einem Teil dieser Lieferungen betraut waren, daß man uns fortwährend mit Verschleppungen und immer neu auftauchenden Schwierigkeiten hinhalten wird, ohne es jemals zu einem endgültigen Bescheid kommen zu lassen. Der Finanzminister Esquilace ist nur von dem einen Bestreben geleitet, dem König und sich selbst Geld zu verschaffen. Seine Maxime lautet: kein Heil außerhalb der Douane! Ihm kommt wenig darauf an, ob die Kolonie in gutem oder in schlechtem Zustand sich befindet, wenn nur Steuern und Taxen pünktlich bezahlt werden.

Der dritte Minister, von dem mehr zu holen sein dürfte, ist Herr Grimaldi, weil er die Franzosen und das Gemeinwohl liebt und sehr zugänglich ist. Aber es gibt nur ein Mittel, ihn dem Gelingen meiner Unternehmung geneigt zu machen – das besteht darin, Louisiana irgendwie eine Rolle darin zuzuteilen. Wir sind Kaufleute und keine Minister: nichts anderes als das Gedeihen unserer Gesellschaft hat uns zu beschäftigen. Eine Gesellschaft, die sich mit allen Lieferungen für die Kolonie befassen wird, selbst mit der Versorgung der Truppen, wird nicht allein alle wünschenswerten Bedingungen in dieser Richtung, sondern auch eine Reihe von anderen Zugeständnissen als Entschädigung für den ihr vermeintlich erwachsenen Aufwand erhalten. In Wahrheit erfordert unser Vorhaben nichts anderes für die Gesellschaft, als daß wir über Neu-Orleans oder vielmehr über eine kleine Insel an der Flußmündung für Permissionsschiffe verfügen dürfen, von welch letzteren man sich wohl hüten muß, zu reden, weil uns das verdächtig und all unsere Aussichten zunichte machen würde. Meine Absicht geht weiter dahin, zu beweisen, daß es nur ein Mittel gibt, den Engländern entgegenzutreten und den Schmuggel hintanzuhalten: ein Vorwand, unter dem wir das Monopol für den Negerhandel in dem ganzen Golf und weiter für alle spanischen Besitzungen verlangen. Die übrigen Reformvorschläge über Befestigungen, über die Ansiedlung, Berufung und Vermehrung von Kolonisten haben noch gute Weile, es genügt, wenn wir so tun, als ob diese Fragen von der größten Bedeutung für die Gesellschaft wären. Bei dem Schlendrian, mit dem man hier alles betreibt, wird unser Privilegium längst erloschen sein, bevor die Kompagnie Zeit und Anlaß gefunden haben wird, Vorkehrungen derart zu treffen oder ehe man hier Verdacht schöpft.

Was dagegen sehr rasch ins Werk gesetzt werden muß, ist, daß der französische Gouverneur sich schlechterdings um nichts anderes bekümmert, als um den Schleichhandel. Unter dem Vorwand, Louisiana mit Lebensmitteln zu versorgen, werden unsere mit geschmuggelten Waren geladenen Schiffe einlaufen und aus dem schwunghaften, allzeit nur gegen Barzahlung betriebenen Schleichhandel werden wir ohne Frage den Hauptvorteil unseres Unternehmens ziehen.

Nachdem ich Ihnen aber die Wichtigkeit Louisianas klar gemacht, muß ich Ihnen noch ein paar Worte über die von mir bereits getroffenen Vorkehrungen und von meinem Feldzugsplan sagen. Herr Daubarrade, ein ebenso kluger, als unterrichteter Mann arbeitet mit mir. Aus sicherster Quelle wissen wir, daß die Neger, (sofern wir keine Schwierigkeiten machen wegen der 33 Piaster in klingender Münze, die der König von jedem Stück erhebt) hernach bis zu 300 Piaster weiter verkauft werden können. Sie begreifen selbstverständlich, daß mein Geschäft geheimer mächtiger Freunde bedarf. Wir haben sie. Ihre Entlohnung ( leur salaire, so lautet im Originaltext die höfliche Umschreibung für Bestechungsgelder) ist noch nicht bestimmt und wird nie anders bestimmt werden, als im Verhältnis zu der Nützlichkeit ihrer Leistungen. Allein ich habe das sichere Mittel, den König (wohl durch den Freund Piny!) im tiefsten Geheimnis alles Wichtige wissen zu lassen, damit auch unsere offenkundigen Pläne von keinem anderen Interesse durchkreuzt werden. Leute, die in Frankreich leben, werden niemals glauben können, daß die schwersten Fehler, die häßlichsten Brandschatzungen ihre Wurzel in der Trägheit, der Unwissenheit und Habsucht der mit dem Richteramt betrauten Persönlichkeiten haben. Immer gibt es sichere Wege, straflos auszugehen. Wer möchte glauben, daß der König von Spanien, anscheinend der reichste aller Fürsten, jährlich kaum fünf Millionen aus Westindien bezieht? Diejenigen aber, die man hinschickt, bringen in kurzer Zeit Millionen heim – nur der König allein vermag von dorther keine feste Rente beziehen. Die Schuldigen werden abberufen und durch Leute ersetzt, die dahin reisen, um sich Rechnung legen zu lassen, an Ort und Stelle aber Mitschuldige werden, indem sie die Sünden ihrer Vorgänger durch Nachsicht gegen Vergehen verdecken, die sie selbst alsbald sich zuschulden kommen lassen. Dieser Ablaß wird immer durch den Piaster auf Reisen ( somme circulaire) erreicht. All diese Gründe bestärken das schon früher über Louisiana Gesagte, daß man alles versprechen und nichts halten muß. Während man sich drüben bereichert, kann man vollkommen beruhigt bleiben über den Eindruck, den das Benehmen der Kompagnie hier machen kann. Als die Compagnie de Crozat zu Beginn dieses Jahrhunderts eine aufgeklärte Regierung köderte und ohne Vorwand Millionen aus Louisiana zog, hatte sie nicht halb so schönes Spiel wie wir.

Mein Mémoire läßt sich übrigens in allen Hauptpunkten bestechend an. Einer der vornehmsten Einwohner der Kolonie (augenblicklich in Madrid und eindringlich zu Rat gezogen am Hofe, wo man ihm die Stelle eines Oberstleutnants verlieh) will für 4000 Neger, das Stück zu 1500 Francs französischen Geldes in barem, abschließen und sich dem König auf Gnade und Ungnade unbedingt ausliefern, wenn die 4000 Neger im Lauf des ersten Jahres nicht zu diesem Preis verkauft werden sollten.

Die Vorurteilslosigkeit, die dieses Schriftstück durchwaltet, ermöglichte es dem Verfasser, gleichzeitig »Patriotische Betrachtungen über die Louisiana von einem spanischen Bürger« zu veröffentlichen, deren Vorgeschichte er uns selbst erzählen mag: »Den Anlaß zu dieser Schrift gab die Prüfung, welcher der indische Rat, auf Befehl des Königs Karl III. von Spanien, einen glänzenden Vorschlag einer Gesellschaft von französischen Kaufleuten unterzog. Herr von Grimaldi, ein recht begabter, aber wenig einflußreicher Minister bedauerte es mir gegenüber gesprächsweise, daß nicht ein einziger Spanier imstande wäre, diese Frage im großen Stil zu behandeln und den unwissenden indischen Rat über die wahrhaften Vorteile zu belehren, welche der Nation aus der Annahme des französischen Anerbietens erwachsen würden. Ich erbot mich, dieser Spanier zu sein. Ich schrieb das vorliegende Mémoire, das er insgeheim dem König zeigte. Der König ließ es – wiederum insgeheim – ins Spanische übersetzen und mir verbieten, mich als dessen Verfasser auszugeben, damit meine Eigenschaft als Franzose, voreingenommenen Leuten gegenüber, nicht die Kraft meiner Gründe abschwäche. Seine Majestät, welche mir in einer Sache, in der meine Ehre und mein Gefühl gleicherweise beteiligt waren, glänzende Gerechtigkeit hatte widerfahren lassen, hielt es nicht unter seiner Würde, zu bezeugen, wie überaus angenehm ihm dieser Beweis meiner Dankbarkeit war.«

Die erschreckende Vielgeschäftigkeit und (in diesem Falle nichts weniger als beneidenswerte) Biegsamkeit seines Geistes kommt in dieser Flugschrift zum vollen Ausdruck. Der indische Rat ließ sich gleichwohl durch keine dieser Prunkreden beirren; er lehnte die Anerbietungen der Compagnie de la Louisiane rundweg ab. Vielleicht in der richtigen Vorahnung des Raubbaues, den der »patriotische Bürger« mit seinen Leuten ins Werk setzen wollte; vielleicht auch nur durch die alte Erfahrung gewarnt, daß die Glücksritter stets mit mehr Vorliebe, als Gewissenhaftigkeit der Kolonialwirtschaft sich annehmen; wie dagegen Beaumarchais selbst uns versichert, bloß aus blindem Franzosenhaß. Eine Gesellschaft englischer Kapitalisten, die nur den Namen einiger Kaufleute von Cadiz als Aushängeschild benützte, jagte ihm diese so sicher verhoffte Beute ab. Grimaldi selbst erklärte ihm vertraulich, er vermöge nichts für ihn zu tun. Zu allgemein, selbst im Privatverkehr, verabscheut sei der Name »Franzose«; der alte Nationalhaß, so klagt Beaumarchais in Briefen an seinen Vater und an Choiseul, sei so tief gewurzelt, daß die wenigen in Madrid ansässigen Franzosen ärger behandelt würden, als in Lacedämon die Heloten. Und dieselbe wilde Feindschaft habe sich (wie Beaumarchais geraume Zeit hernach in seinen Papieren voll Erbitterung vermerkte) bei der erst vier Jahre später erfolgten, tatsächlichen Besitzergreifung von Louisiana durch die Spanier Luft gemacht; die Grausamkeit, mit welcher nach der Ankunft des Generalleutnants O'Reilly – eines Irländers, der Lally an Gewalttätigkeit nichts nachgegeben – die hervorragendsten Mitglieder der Kolonie hingerichtet und viele Franzosen geächtet wurden, wäre gegen alles Völkerrecht gewesen, denn die Bewohner Louisianas hatten sich einem neuen Regenten gegenüber nichts vorzuwerfen gehabt, der es so lange Zeit verschmäht, die Herrschaft über sein neues Gebiet anzutreten. Spricht aus diesen Worten auch ein Rest von Unmut über persönliche Kränkungen mit, in der Sache sagte Beaumarchais die Wahrheit. Die Geschichte der spanischen Besitzergreifung von Louisiana ist mit Blut und Tränen geschrieben: die Kolonisten wurden nach kurzem Widerstand mit erbarmungsloser Härte behandelt, sechs wurden enthauptet, viele andere in die Kerker der Havannah gebracht. Bei den kleinen Leuten zog Gehorsam ein; die reichen Eigentümer von Pflanzungen aber wanderten aus; die Nachbarstaaten wendeten sich von einem so zweifelhaften Markte ab, und mit Recht wurde bemerkt, daß Spanien durch diesen Gebietszuwachs seinem Reiche nur eine neue Wüste hinzugefügt habe.


Wenn Figaro Politik und Intrige als Geschwisterkinder ansieht und das Gold als den Nerv der Intrige, dann wissen wir jetzt, woher er seine Weisheit geschöpft hat: aus der Theorie und Praxis Beaumarchais'. »Die großen Worte von Ehre und Selbstverleugnung«, mit welchen man im Zeitalter der Empfindsamkeit so freigebig ist, fochten ihn und Figaro nicht weiter an. Beide kennen nur ein Losungswort: mon intérêt vous répond de moi. Auch die Fähigkeit, nicht nur eine Intrige geschickt anzuspinnen, sondern ihrer gleich zwei, drei, vier auf einmal sich kreuzen zu lassen, das überlegene Behagen, im verwickeltsten Ränkespiel die Fäden bald unlösbar zu verknoten, bald mit Grazie zu entwirren, hat der Meister-Schelm, der Barbier von Sevilla, geradeswegs von seinem geistigen Nährvater überkommen. Rastlos hinterher auf der Hetzjagd nach Geld und Macht, bringt ihm fast jeder neue Tag neue Anschläge und Finanzpläne, die er mit keckem Griff, wie den Stoff zu einer Intrigenkomödie, anpackt und mit der Verwegenheit des Dilettanten im Nu zu Ende führen will. Die Lust, die Leute durcheinanderzuhetzen, vor allem die Großen dieser Welt ohne ihr Vorwissen zu lenken und zu beherrschen, ist bei Beaumarchais-Figaro mehr als das Bedürfnis, die andern für sich auszunutzen, auch mehr, als ein lustiger Zeitvertreib – sie ist ein unwiderstehlicher Naturtrieb. Nicht anders ist es zu erklären, daß er, der in einem fremden Lande sein Heil als Gründer versuchen soll, über Nacht sich in den Kopf setzt, beiher den König von Spanien, den Thronfolger von Spanien, alle Minister von Spanien zu regieren und zum besten zu haben. Karl III. soll ein willenloser Vasall des französischen Kabinetts werden: so haben es in der drolligsten aller Verschwörungen der Leibkammerdiener des spanischen Königs, Piny, und Mr. Pierre Augustin Caron de Beaumarchais beschlossen. Und die Hauptrolle bei ihrer Palastrevolution teilen die beiden der galanten Freundin des Franzosen zu, der Marquise de la Croix, keiner der wenigstberufenen unter den meistberufenen Frauen des XVIII. Jahrhunderts. Madame de Jarente-La Croix, Tochter des Marquis von Sénas, war in jener Zeit ihrer Jugendblüte l'idéal d'une belle impératrice, 20 Jahre später die vertraute Freundin mystischer Philosophen, zuletzt die verehrte Gebieterin des Visionärs Cazotte, mit welchem sie vermutlich auch zugleich während der Septembermorde ein tragisches Ende fand. In jungen Jahren hatte sie der Marquis de la Croix, General in spanischen Diensten, geheiratet, doch – niemand wußte recht warum – gleich nach der Vermählung in Avignon zurückgelassen, wo sie die unumschränkte Herrschaft in der dazumal noch päpstlichen Grafschaft führte, solange Monsignore Acquaviva als Vizelegat zur Stelle war. Der genannte Prälat war nämlich ebenso träge, wie verliebt in die herrische, üppige Frau. Da ihr diese ersten Tage der Regentschaft besonders Wohlgefallen hatten, suchte sie ihren Gemahl sogleich wieder auf, als derselbe zum Vizekönig von Galicien ernannt wurde. Auf der Reise nach Spanien, die sie fast gleichzeitig mit Beaumarchais antrat, oder unmittelbar nach ihrer Ankunft in Madrid, machte sie die Bekanntschaft des Rächers seiner Schwester. Die beiden scheinen rasch Gefallen aneinander gefunden zu haben, denn schon am 12. August 1764 finden wir in einem Brief Beaumarchais' an seinen Vater die folgende, unvergleichliche Bemerkung: »In dem Zimmer, in dem ich an Sie schreibe, befindet sich zugleich auch eine hochgewachsene, bildschöne Dame, die sich den lieben langen Tag über mich und Sie lustig macht. So sagt sie mir beispielsweise gerade jetzt, sie wisse Ihnen Dank für die Mühe, die Sie sich vor 33 Jahren in ihrem Interesse genommen haben, die Grundlagen der liebenswürdigen Beziehung zu schaffen, welche ich vor zwei Monaten mit ihr anknüpfte. Ich versichere ihr, daß ich nicht ermangeln werde, Ihnen das zu schreiben, und tue das auf der Stelle, denn was bei einer so großen Dame nur ein Scherz ist, darf mir genau so viel Freude bereiten, als ob er ernsthaft vermeint wäre.« In diesem Augenblick nimmt die Dame, die dem Briefsteller über die Schulter geguckt, ihm die Feder aus der Hand und fährt in dem Schreiben an den alten Uhrmacher wörtlich fort: »Ich denke, ich fühle und beschwöre es«. Nach diesem Zwischenspiel setzt Beaumarchais wieder ein: »Versäumen Sie also nicht, Ihrer Exzellenz, wie es sich geziemt, in Ihrem nächsten Brief für diesen ihren ›Dank zu danken‹ und mehr noch für die Freundlichkeiten, mit welchen sie mich überhäuft. Ich bekenne Ihnen, daß meine spanischen Geschäfte ohne den Reiz einer so anziehenden Gesellschaft voll Bitterkeit für mich wären …« Und nicht etwa bloß im heimlichen Tête-à-Tête betätigt die Marquise ihre mehr als freundschaftlichen Gesinnungen für Beaumarchais, sie erscheint in allen Salons als seine erklärte Parteigängerin. Bekommt er am Spieltisch Händel mit seinem hochgeborenen Bekannten, dem russischen Botschafter Buturlin, der als Zahler so säumig, wie gewalttätig als Bankhalter ist, dann nimmt es die Marquise auf sich, die Ehrenschulden für Beaumarchais einzutreiben und nebenher ihre gräfliche Gnaden wegen einiger Taktfehler gegen ihren Freund so tapfer zurechtzuweisen, daß die moskovitischen Herrschaften ihm demütige, öffentliche Abbitte leisten angesichts des bei ihren Konzerten versammelten diplomatischen Korps. Auch Beaumarchais scheint, bei aller sonstigen Unbeständigkeit in seinen ungezählten galanten Abenteuern, der Marquise ein besonders herzliches Andenken bewahrt zu haben: unter seinen hochgehaltenen Reliquien bewahrte er in einer und derselben Truhe neben dem Modell der von ihm erfundenen Hemmung und neben den Urmanuskripten des »Barbier von Sevilla« und der »Hochzeit des Figaro« eine reizende kleine Miniatur der Marquise auf, ein Bildchen, auf dessen Umschlag Madame de la Croix, offenbar nach einem Liebeszwist, die Worte geschrieben hatte: Je vous rends mon portrait. Der Bund der beiden war also für niemanden in der vornehmen Fremdenkolonie und ebensowenig für irgendwen in der ganzen Madrider Gesellschaft ein Geheimnis: es gehörte denn auch die volle Vermessenheit Beaumarchais' dazu, just diese Frau Karl III. zuführen zu wollen. Wir wissen nicht, wieviel Dichtung und wieviel Wahrheit an der Geschichte ist, welche unser Held in der Denkschrift an Choiseul verbucht hat: sicher ist, daß seine Charakteristik dieses trefflichen Reformkönigs, vielleicht des besten, den Spanien seit Jahrhunderten besessen, gründlich verfehlt erscheint. Karl III., der bald darauf mit erstaunlicher Energie die Jesuiten aus ihrem Stammland vertreiben sollte, machte schon dazumal auf unbefangene Beobachter den Eindruck eines Mannes, der Spanien und Europa kenne. Mit seltener Übereinstimmung heben alle Geschichts- und Memoirenschreiber nachdrücklich die Tadellosigkeit seiner Lebensführung hervor. Niemals gab er im Verlaufe einer langen Witwerschaft Anstoß durch schlechtes Beispiel. Und ebenso streng, wenn auch nicht mit demselben Erfolg, heischte er von seinen Kindern dieselbe Enthaltsamkeit. Seinen Überschuß an Lebenskraft vertobte er (nach dem guten, von allen Bourbons befolgten Rat Ludwigs XIV., der seinen Nachkommen die Jagd als bestes Heilmittel gegen hypochondrische Anwandlungen empfahl) als leidenschaftlicher Weidmann: 539 Wölfe und 5223 Füchse, so berühmte sich Karl III. gelegentlich, will er selbst geschossen haben. In Tracht und Behaben glich der mittelgroße, zwar engschultrige, aber athletisch gebaute König allerdings, wie Beaumarchais meint, einem Wildschützen; er trug sich halb bäuerisch, sein breiter Hut stimmte zu dem grauen Segovia-Frack, den schwarzen Kniehosen und den groben Wollstrümpfen; die vorspringende Nase und die grimmigen Augenbrauen mochten bei einer ersten Begegnung so abschreckend gemuten, wie der ungewohnte Anblick seiner, Hafersäcken vergleichbaren, stets mit Messern und Schießzeug vollgepfropften Taschen. Im Gespräch gab er sich niemals geistvoll und witzig: an gesundem Menschenverstand aber nahm es der von Beaumarchais als beschränkter Kopf verschrieene Regent vielleicht mit den meist gepriesenen Pariser Schöngeistern auf. Wer ihm nur immer näher kam, fühlte sich angeheimelt durch sein gewinnendes Benehmen: ein Ausdruck besonderen Wohlwollens leuchtete aus seinen Augen. Und deutsche wie englische Staatsmänner preisen ihn als vollendeten Ehrenmann und treuen Freund, während ihn das Volk, unbekümmert um seine Häßlichkeit, wegen seiner Gemütlichkeit und Leutseligkeit nur den »guten, alten König« nannte. In seinem Testament hat er nun allerdings reichlicher als seine sämtlichen anderen Diener seinen Leibkammerdiener Piny bedacht: auf seine politischen Entschließungen haben aber ohne Zweifel die Lehren seiner Meister, Feyóos, des spanischen Lessing, und Macanaz', des großen Juristen und Nationalökonomen, die Ratschläge seiner Minister Aranda und Florida Blanca ganz anderen Einfluß ausgeübt, als die Einflüsterungen seines Leiblakaien. Richtiger als den Regenten hat Beaumarchais seine Umgebung durchschaut; aber so treffend seine Urteile über den genuesischen Abbate Grimaldi, den habsüchtigen Esquilace auch sein mögen, verhängnisvoll ist ihm, wie so oft nachher, schon diesmal die Neigung geworden, nur mit den niedrigen Instinkten der Menschen zu rechnen und im Vertrauen darauf sich selbst als verschmitzten, den andern vermeintlich stets überlegenen Allerweltshelfer einzudrängen. Man kann keine seiner Denkschriften aus jener, wie aus späterer Zeit aufschlagen, in der er nicht auf sich selbst als den Retter in allen finanziellen und diplomatischen Problemen hinweisen würde.

Grimaldi verlangt von ihm ein Gutachten über die Urbarmachung, Bebauung und Kolonisation der Sierra Morena: flugs ist er mit einem Mémoire bei der Hand, worin er im Modegeschmack der Zeit mit dem Lob der endlich vom Schulstaub befreiten und nur der Aufklärung Europas dienenden Philosophie beginnt, um mit dem Antrag auf die Besteuerung der geistlichen Güter, die Begründung einer caisse d'agriculture und die Bestallung eines Residenten in Paris zu schließen, in dessen Händen alle Fäden zusammenlaufen sollen.

Schreibt er auf die Einladung der Madame de la Croix ein andermal einen Essai über die spanischen Fabriken nieder, so gipfeln seine Reformvorschläge über diese »Bindeglieder zwischen dem Ackerbau, dessen Töchter und dem Handel, dessen Mutter sie sind«, in dem Beweise, daß zur Hebung des nationalen Wohlstandes vor allem die Ernennung eines spanischen Konsuls in Paris nötig sei.

Überreicht er ein Gesuch um die Erteilung sämtlicher Lieferungen für die Truppen, so verherrlicht er Paris Duverney als das Ideal eines obersten Proviantmeisters, der an Beaumarchais einen würdigen Jünger und Nachfolger finden würde.

Sollte Choiseul für seine Geheimkorrespondenz nach Spanien eines verläßlichen Mittelsmannes bedürfen, in der Rue Condé ist er zu erfragen; sollte der Premier einen genauen Kenner der spanischen Granden zu Rate ziehen wollen, wenn es die Wahl der passendsten Persönlichkeit für den Botschafterposten in Paris gilt: Beaumarchais wird ihm kund und zu wissen tun, daß der Herzog von Medina-Sidonia, der Schwiegersohn des Herzogs von Alba, nicht bloß der einzige seines Standes sei, der Sympathien für Frankreich hege, sondern daß derselbe auch schon in der Stille durch Madame de la Croix angefragt habe, ob Beaumarchais nicht soviel Einfluß beim französischen Hofe besitze, um seine Kandidatur zu unterstützen …

Vergebens! Noch ist die Zeit nicht gekommen, in der Beaumarchais am Ziel seiner Wünsche steht und als geheimer Agent Ludwigs XV., als vertrauter Korrespondent der Minister Maurepas und Sartines überall Gehör, Zutritt und Millionen finden wird; noch will man von ihm als »Beobachter des Volkes« sowenig denn als »Beobachter des Kabinetts« etwas wissen; noch sieht er sich in seiner gereizten Erwiderung auf die schroffe Abweisung Choiseuls zu der ohnmächtigen Malice gedrungen: »Obgleich die Minister alles wissen, habe ich doch Gelegenheit gehabt zu merken, daß man auf alles hören muß, was man ihnen sagt. Meiner Meinung nach ist es nicht nötig, eine ministerielle Sendung zu haben, um sie zu vollenden. Ja zugunsten des Mannes ohne Mission spricht sogar der Umstand, daß er sich selbst an den Platz gestellt hat, für den er sich geeignet glaubt, während die Missionäre der Minister häufig nur um ihres Ranges willen mit ihrem Amt betraut werden …« Die bitteren Ausfälle des namenlosen Emporkömmlings erregen nicht einmal die Aufmerksamkeit, geschweige den Zorn Choiseuls; seine Hohnreden werden ebenso verächtlich ignoriert, wie seine früheren zudringlichen Bewerbungen. In Frankreich ergeht es ihm nicht besser als in Spanien: sein Übereifer, sein anmaßendes, selbstsicheres Auftreten wird noch nicht durch den Ruhm seiner publizistischen Leistungen, durch die unbestrittene Anerkennung seines Geistes und Witzes getragen und entschuldigt. Noch ahnt Beaumarchais selbst nicht, welche Waffe er in seiner Feder besitzt, noch liegt ihm der Gedanke fern, daß er unter den Schriftstellern seines Vaterlandes Geltung und Stellung erobern werde, noch gibt er sein dramatisches Talent in anspruchslosen Gesellschaftskomödien aus, noch befriedigt er den unbewußt in ihm sich regenden literarischen Schaffensdrang durch eine unerschöpfliche Korrespondenz. Die mächtigen Eindrücke des fremden Landes schildert er seinem Gönner, dem Duc de la Vallière, in einer Epistel, die, in der Sache lehrreich, in der Form weit entfernt ist von der überlegenen Kunst Voltaires, von der Beredsamkeit Rousseaus, von der angeborenen Grazie Diderots als Briefsteller, trotzdem aber mit ihrem kecken Naturalismus den Leser noch heute lebhaft anspricht. Munter plaudert er von Volk und Adel, sowie von der für den hochgeborenen Empfänger seiner Epistel als berühmtem Bibliophilen besonders interessanten Bibliothek des Escorial:

»Ich glaube, Herr Herzog, von Herrn Grimaldi gehört zu haben, daß er Ihnen den Katalog der Bücher und Handschriften dieser Sammlung gesendet hat; all die reichen, für unsere Gelehrten so kostbaren Schätze sind hierzulande nur Gegenstand einer unfruchtbaren Neugier. Mir schien die Kellerei der Mönche, welche diese Bücher aufbewahren, in besserem Zustand und fleißiger besucht, als ihre Bibliothek. Ein braver Klosterbruder schenkte mir eine uralte dickleibige Petrarca-Ausgabe, die übrigens schwerlich ein Plätzchen in Ihrem Schlosse Montrouge verdient. Mit am auffälligsten in diesem ungemein prächtigen Kloster war mir die öffentlich beim Chor der Mönche angeschlagene Bannbulle gegen die Schriften fast unserer sämtlichen modernen Philosophen. Die verdammten Werke sind namentlich aufgeführt, ebenso wie ihre Verfasser: mit besonderer Vorliebe Ihr Freund Voltaire, von dem nicht bloß alles, was er bisher geschrieben, sondern auch alles, was er noch in Zukunft schreiben sollte, mit dem Kirchenfluch belegt wird, da aus einer so verabscheuungswerten Feder nur Böses hervorgehen kann. Ich hatte ihm von Bayonne aus geschrieben, um mich des Auftrags des Herzogs von Laval und des Ihrigen, Herr Herzog, zu entledigen; er ließ mich drei Monate ohne Antwort und schrieb endlich an meine Versailler Adresse, da er mich schon lange heimgekehrt wähnte und mich durch einen hieher gerichteten Brief nicht mit dem Santo Uffizio verfeinden wollte; sein Schreiben ist mir jedoch ohne jeden Zwischenfall zugekommen.«

»In der kommenden (Christ-) Nacht bietet Madrid das getreue Abbild der römischen Saturnalien dar; was bei diesem Anlaß an Lebensmitteln vertilgt wird, ist ebenso unglaublich, wie die zügellose Frechheit, die in den Kirchen unter dem Namen der Freude zum Vorschein kommt. Es gibt Kirchen, in welchen die Mönche im Chor zum Klang der Castagnetten tanzen; das Volk gibt, ausgerüstet mit Kesseln, Pfeifen, Schweinsblasen, Klappern, Trommeln etc., den Lärm doppelt zurück. Geschrei, Schimpfreden, Gassenhauer, halsbrecherische Luftsprünge: all das gehört zum Fest. Das Bacchanal drängt sich von Straße zu Straße; nachts geht es aus einer Kirche in die andere, und zuguterletzt gibt sich die Menge allen Ausschreitungen hin, die man von einer solchen Orgie gewärtigen kann. Seit acht Tagen werden in einer nahe bei meiner Wohnung gelegenen Kirche Messen gelesen und von entsetzlichem Höllenlärm begleitet: all das zu Ehren der Geburt unseres Heilandes, des weisesten und ruhigsten der Menschen. Im allgemeinen haben alle Volkssitten, die in gerader Linie von heidnischen Gebräuchen herstammen, einen Stich ins Unvernünftige und Zynische, den man anderwärts nicht antrifft. Nicht selten begegnet man, auf Kirchen- und Haustreppen, Männern und Frauen, die den Gymnosophisten nichts nachgeben – –

Die Voreingenommenheit wider die Sitten der Ausländer ist vom Pöbel bis zum Übermaß gesteigert, und da viele vornehme Leute in dem Punkt noch arger Pöbel sind, werden wir am wenigsten geschont; aber ich kann nicht bestreiten, daß der spöttische, absprechende Ton der meisten Franzosen, die hieher kommen, viel dazu beiträgt, diesen Haß zu nähren, man zahlt unsern Spott mit Erbitterung heim.

Die spanischen Schauspiele sind mindestens um zwei Jahrhunderte hinter den unsrigen zurückgeblieben; sie können ohneweiters in eine Reihe mit den Stücken Hardys und seiner Zeitgenossen gestellt werden. Dagegen darf sich die Musik unmittelbar nach der schönen italienischen und vor der unsrigen hören lassen. Feurige, fröhliche, musikalische Zwischenspiele entschädigen sehr häufig für die Langeweile, die man beim Anhören ihrer geschmacklosen Dramen über sich ergehen lassen muß. Sie nennen sie Tonadillas oder Sainetes. Der Tanz ist hier vollkommen unbekannt: ich spreche von dem figurierten, denn ich vermag mit diesem Namen nicht die grotesken, oft unzüchtigen Bewegungen der granadinischen und maurischen Tänze zu ehren, welche das Entzücken des Volkes ausmachen. Am meisten verehrt ist der Fandango genannte, dessen Musik von höchster Lebhaftigkeit ist; sein ganzer Reiz besteht in einigen lasziven Pas oder Gruppen, die …, so daß ich, der nicht zu den schamhaftesten gehört, als Zuschauer bis zur Stirne errötete. Eine junge Spanierin erhebt sich mit gesenkten Augen und der bescheidensten Miene, um einem verwegenen Tänzer gegenüberzutreten; sie breitet anfangs die Arme aus; dann schnalzt sie mit den Fingern, was sie während des ganzen Fandangos fortsetzt, um den Takt zu geben. Der Mann dreht sie herum, entfernt sich und kehrt gleich wieder mit den heftigsten Gebärden und Sprüngen zurück, auf die sie durch ähnliche, nur etwas sanftere Bewegungen und dies unaufhörliche Fingerschnalzen antwortet, das zu sagen scheint: ›Ich mache mich über all deine Mühe nur lustig; treibs fort, so lang du das kannst, ich werde nicht zuerst müde werden‹. Ist der Mann erschöpft von der Stelle gewichen, so tritt ein anderer der Frau gegenüber, die, wenn sie eine geschmeidige Tänzerin ist, in dieser Manier sieben, acht Bursche in den Sand streckt. Es gibt Herzoginnen und andere hochgeborne Damen, die als Fandango-Tänzerinnen unbegrenzte Berühmtheit genießen.

Der Geschmack für diesen ausgelassenen Tanz, den man dem Calenda unserer Neger in Amerika vergleichen kann, ist so tief bei diesem Volk eingewurzelt, daß jemand zu seiner Verherrlichung ein recht komisches Theaterstück geschrieben hat, in dem sich fremde Mönche der allgemeinen Liebhaberei widersetzten und sie zum Verbrechen stempeln wollen. Nach vielem Hin- und Herstreiten wird die Sache vor den Papst verwiesen, dem die Abgesandten der Nation die Wünsche der Spanier bekannt geben sollen. Der Papst versammelt das Konklave; dann liest er die Beschwerdeschrift der Mönche vor und, völlig entschlossen, den altüberkommenen Fandango zu verdammen, fragt er die Spanier nur noch, was sie denn eigentlich auf die Anklagen der Mönche zu erwidern haben? Die Gesandten bitten hierauf den heiligen Vater um die Gnade, ihn von der Tücke ihrer Widersacher in der Weise zu überzeugen, daß sie vor der erlauchten Versammlung einen Fandango zum besten geben. Der Papst hat diese Erlaubnis kaum erteilt, als auch die Musikanten schon den Fandango anstimmen. Die Abgesandten treten zum Tanz an, der alsbald die Gravität des Papstes und der Kardinäle über den Haufen wirft; im nächsten Augenblick halten sie es auf ihren Sitzen nicht mehr aus, ihr Fuß schlägt immer aufgeregter den Takt; endlich erfaßt auch sie die Raserei des Fandango; sie tanzen unter den abenteuerlichsten Gliederverrenkungen, bis sie alle außer Atem sind; der Papst in eigener Person fällt zuguterletzt zu Boden; man hebt ihn auf und Se. Heiligkeit muß selbst zugeben, daß dieser Tanz mit zu den besten Gütern dieser Erde gehört. Die Landesboten kehren unter dem Jauchzen des Volkes heim, das sie mit Freudenrufen und -pfiffen empfängt, die hierzulande nicht dieselbe Bedeutung haben, wie bei uns, und ein entsetzlicher Lärm beschließt das Spektakel.«

Als Beaumarchais diese Zeilen zu Papier brachte, harrte er noch des endgültigen Bescheides des spanischen Ministers; »seit drei Monaten bin ich schon mit einem Fuß im Steigbügel«, heißt es in der Nachschrift seines Briefes. Noch ein Vierteljahr mußte jedoch verstreichen, bevor ihm Grimaldi (am 14. März 1765) unter der schmeichelhaftesten Anerkennung seiner außerordentlichen Talente eröffnete: unüberwindliche Hindernisse, insbesondere aber die Grundsätze der spanischen Kolonialverwaltung, ließen die Verwirklichung seiner Vorschläge nicht zu. Alle schönen Redensarten konnten Beaumarchais keinen Augenblick darüber täuschen, daß seine Pläne durchwegs fehlgeschlagen waren. Er verließ Madrid ärmer, als er es bei seiner Ankunft vor Jahresfrist betreten hatte. Und keine andere Ausbeute brachte er von seinem abenteuerlichen spanischen Ausflug heim als romantische Erinnerungen an seltsame Liebes- und Ehrenhändel, an Tonadillas und Seguedillas. Jahre und Jahre aber müssen noch hingehen, bis er den Nachklang dieser volkstümlichen Tanzweisen im »Barbier von Sevilla«, die Begegnung mit Clavijo im » Fragment de mon voyage d'Espagne« mit voller künstlerischer Freiheit zu einem neuen, besseren Leben auferweckt.

6. Die ersten Dramen

Rosine: Vous injuriez toujours notre pauvre
siècle.

Bartholo: Pardon de la liberté: qu'a-t-il
produit qu'on le loue? Sottises de toute
espèce: la liberté de penser, l'attraction,
l'électricité, le tolérantisme, l'inoculation,
le quinquina, l'encyclopédie et les drames.

Le Barbier de Séville. I. 3.

Mit schlimmen Enttäuschungen hatte das spanische Abenteuer Beaumarchais' geschlossen; noch schlimmere sollten ihm nach der Rückkehr in die Heimat widerfahren. Eine junge, liebenswürdige, reiche Braut wurde ihm von dem erklärten Verlobten seiner Schwester Julie abwendig gemacht, und zu diesem doppelten häuslichen Mißgeschick kamen alsbald noch weitere Widerwärtigkeiten. Choiseul war es nicht allein, den seine Zudringlichkeit verdroß; auch seine früheren Gönnerinnen, die Töchter Ludwigs XV. wollten fortan nichts mehr von ihm wissen. Die Empfehlung der Prinzessinnen hatte ihm als Freibrief Zutritt in die beste Gesellschaft in Madrid verschafft; nichts natürlicher, als daß er gleich nach seiner Ankunft für so viel Huld und Förderung auch seinen Dank sagen wollte. Allein der Liebling von ehedem wurde kaum willkommen geheißen; die alte Gunst war gründlich verscherzt. Der getreue Gudin gibt ganz harmlose Erklärungen für das Erkalten dieser Beziehungen: in den Tagen, in welchen Beaumarchais seine Reise nach Spanien angetreten, wäre die Pompadour, bald nach seiner Heimkehr der Dauphin gestorben; nur diese Ereignisse hätten es verursacht, daß die Prinzessinnen keine musikalischen Abende mehr gaben und infolgedessen des früheren Konzertmeisters nicht weiter bedurften. Die Gründe der Ungnade Beaumarchais' dürften jedoch andere und tiefere gewesen sein. Collé weiß zu berichten, daß Mr. de Saint-Florentin dem früheren Schützling von Mesdames kurzweg den Befehl zukommen ließ, Versailles auf Nimmerwiederkehr zu meiden, ein Auftrag, den Beaumarchais seinen Pariser Bekannten gegenüber mit der Erläuterung beschönigte: »es sei nicht zum Verwundern gewesen, daß man bei seiner Jugend, bei seiner hübschen Erscheinung und angesichts seiner kleinen geselligen Talente, welche das Entzücken der Frauenwelt ausmachen, wohl besorgte, all das möchte am Ende wohl gar Madame Adelaide zu Kopfe steigen ( remontât au bonnet de Madame Adelaide).« Das Wort ist nicht voll verbürgt; glaubhaft erscheint es immerhin. Beaumarchais stand in jenen Jahren, wie er später selbst zugibt, nicht mit Unrecht allerwärts im Verruf unerträglicher Einbildung und Geckerei. Vom Hofe verwiesen wurde er übrigens schwerlich, weil er im Verdacht erlauchter Liebeshändel stand; vielleicht war den Prinzessinnen nur der eine und der andere seiner spanischen Anschläge zu Ohren gekommen, vielleicht auch war inzwischen nur die Liebhaberei für das Harfenspiel einer neuen Laune gewichen. Sicher ist, daß Beaumarchais niemals des alten Wohlwollens wieder teilhaftig werden sollte.

Er widmete seine Zeit und Kraft zunächst bedeutenden Geschäftsunternehmungen. So beutete er gemeinschaftlich mit Paris Duverney den Heimatforst Rabelais', den Wald von Chinon, aus. Im übrigen lebte er in ziemlich lockerer Gesellschaft frisch und lustig darauf los, getreu seinem Wahlspruch Oft und oft kehrt dieses Lieblingswort in seinen Schriften wieder und noch in seinem letzten Brief an Collin d'Harleville (Ed. Gudin VII, 144) vergleicht er sich der Urheberin dieses Ausspruches: j'avoue, que je suis un peu comme la Claire de Jean Jacques ä qui même au travers les larmes le rire échappait quelquefois., lieber eilfertig über die Dinge zu lachen, aus Furcht, sonst darüber weinen zu müssen. Im Kreise gleichgesinnter Lebemänner und ihrer Freundinnen verbrachte er nach angestrengten Tagewerken die Abende mit modischen Unterhaltungen; Chansons, Stegreifspiele, Paraden derbsten, unflätigsten Schlages brachte sein beweglicher Geist leicht und rasch zustande. Sein ganzes Wesen schien auf Genuß und Frohsinn gestellt. Niemand von seinen näheren Bekannten hätte ihm irgendwelche tiefergehende, literarische Leistung zugemutet. Da reicht der Unermüdliche unversehens bei der Comédie Française ein Schauspiel ein, das sogleich zur Aufführung angenommen wird. Beaumarchais bezeichnet sein Werk mit dem (angeblich von ihm zuerst gebrauchten) Namen » drame« und gibt sich, dem Stoff, der Technik und seinen ästhetischen Grundsätzen nach, durchweg als begeisterter Schüler und überzeugter Parteigänger der neuen Lehre Diderots.

»Ich habe« – so schreibt er in der Vorrede zur Eugénie – »nicht das Verdienst, Autor zu sein; Zeit und Talent haben mir gleicherweise gefehlt, es zu werden; aber vor ungefähr acht Jahren unterhielt ich mich damit, einige Ideen über das ernsthafte, mitten inne zwischen der heroischen Tragödie und der ausgelassenen Komödie stehende Drama zu Papier zu bringen. Von mehreren literarischen Versuchen, unter welchen mir die Wahl offen stand, war dieser vielleicht der belangloseste; eben darum entschied ich mich für ihn. Denn ich war immer viel zu ernsthaft in Anspruch genommen, als daß ich in der Literatur etwas anderes als eine anspruchslose Erholung gesucht hätte. Neque semper arcum tendit Apollo. Mein Vorwurf gefiel mir; er riß mich fort. Aber ich merkte bald, wie töricht es wäre, durch Theorien in einer Frage überzeugen zu wollen, in der man nur durch schöpferische Leistungen Eindruck machen kann. Die kleine spanische Novelle vom Grafen von Belflor im Diable boiteux war die Quelle, aus der ich mein Motiv holte. Der Entwurf des Planes, diese erste Arbeit, bei der man nur in großen Zügen die Situationen und Charaktere skizziert, ging mir geschwind von der Hand, ohne daß mein Mut erlahmt wäre. Als es aber galt, den Stoff zu gliedern und zu meistern, gab ich, erschreckt durch die Schwierigkeiten der mühsamen Kleinarbeit, Drama und Abhandlung preis. Bald nachher beschied uns Herr Diderot seinen ›Hausvater‹. Der Genius dieses Dichters, seine starke Technik, der männliche, kräftige Ton seines Werkes hätten mir die Feder aus den Händen winden müssen; aber die Bahn, die er gebrochen, hatte so viel Reiz für mich, daß ich mich weniger um meine Schwächen, als um meine Neigungen bekümmerte. Ich nahm mein Drama mit erneutem Feuereifer wieder vor; ich legte die letzte Hand ans Werk und gab das Stück den Schauspielern …« U. E. nimmt Gudin die Ehre der Erfindung dieser Terminologie mit Unrecht für Beaumarchais in Anspruch. In der Abhandlung » de la poésie dramatique« spricht Diderot von drame moral, von drame philosophique etc. Vgl. Littré, Dictionnaire s. v. drame, Rem.

So war Diderot der Lehrmeister Beaumarchais' geworden, wie er schon zuvor, er wußte selbst nicht wie, der Aristarch der meisten aufstrebenden Dramatiker geworden war. Die Sympathien der Jungen mußten ihn für die abwehrende Haltung der älteren Theaterdichter schadlos halten. Denn während in Deutschland Gellert mit edler Wärme pro comoedia commovente eintrat und Lessing nicht müde wurde, die Werke und die Abhandlungen Diderots zu übersetzen und zu preisen, lag die Sache ganz anders in Frankreich. Nicht bloß die akademischen Pedanten, auch die berufenen Wortführer der alten gallischen Komödie, die überlustigen Gesellen Piron und Collé, übten ihren Witz an der neuen Zwittergattung. La Chaussées weinerliche Komödien dienten ihren meisterlichen Epigrammen und Parodien zum Stichblatt, und Diderots reformatorische oder vielmehr revolutionäre Versuche erschienen ihnen, bei der unleugbar schwächeren theatralischen Begabung des von ihnen sonst hochgehaltenen Mannes, nur als eine Verschlechterung der La Chausséeschen Versuche. Ja selbst die Freunde Diderots im philosophischen Lager, Voltaire an der Spitze, waren nicht gewillt, seinen geistvollen, nur allzu sprunghaften Bemerkungen über die dramatische Kunst und noch weniger seinen eigenen Schöpfungen besondere Bedeutung oder gar die Macht beizumessen, neben der klassischen Tragödie und der Molièreschen Komödie eine neue, selbständige Kunstform für die Bühne zu schaffen. Diderot selbst machte sich nicht viel aus diesem Widerstand. Siehe Diderots bewegliche Klage Oeuvres, Ed. Tourneux-Assézat, VIII, 516.

»Ist eine Gattung vorhanden« – meint er – »so ist es schwer, eine neue einzuführen; ist diese eingeführt, so hat man ein ander Vorurteil zu bestreiten. Man bildet sich ein, daß die zwei angenommenen Gattungen miteinander grenzen. Zeno leugnete die Richtigkeit der Bewegung. Statt aller Antwort ging sein Gegner auf und nieder, und wenn er auch gehinkt hätte, er würde doch geantwortet haben …«

Glücklicherweise blieb die künstlerische Verwirklichung der Diderotschen Theorieen nicht bloß auf seine eigenen hinkenden Versuche beschränkt: ein schlichter Mann aus dem Volke, der dem Denker an Wissen und Bildung soweit nachstand, wie er ihm an dramatischer Gestaltungsgabe und Bühnenkenntnis voraus war, Sedaine, brachte mit dem » Philosophe sans le savoir« ein Musterstück der neuen Mischgattung zustande, das im 18. Jahrhundert nicht übertroffen werden sollte. Die akademischen Erörterungen über die Berechtigung der weinerlichen Komödie und des bürgerlichen Trauerspiels waren damit freilich noch lange nicht abgetan; jahrzehntelang schleppte sich der müßige Schulstreit hin, den wir heute, nach den Erfahrungen von mehr als einem Säkulum, nicht anders entscheiden können, als dies Anno 1754 der fünfundzwanzigjährige Berliner Journalist, G. E. Lessing, getan hat. »Ich getraue mir zu behaupten« – meint er – »daß nur dieses allein wahre Komödien sind, welche soviel Tugenden als Laster, soviel Anständigkeiten als Ungereimtheiten schildern, weil sie eben durch diese Vermischung ihrem Originale, dem menschlichen Leben, am nächsten stehen. Dieses nun, sollte ich meinen, bestimme den Nutzen der weinerlichen Komödie genau genug. Es ist nämlich nur die Hälfte von dem Nutzen, den sich die wahre Komödie vorstellet, und auch von dieser Hälfte geht nur allzuoft nicht wenig ab.« Nur eine Untergattung und gewiß nicht die vornehmste der echten Komödie ist ihm und uns die Form des Rührstückes: gleichwohl erscheint uns ihr rasches Aufkommen in der Mitte des vorigen Jahrhunderts gesellschaftlich und künstlerisch gleicherweise begreiflich. Lessing, »Abhandlungen von dem weinerlichen oder rührenden Lustspiel«; »das Theater des Hrn. Diderot«. (Hempelsche Ausgabe XI. I und II.) Danzel, Lessing S. 289, 295, 296. Erich Schmidt, Lessing (Weidmann 1884) 277, 284–89. Collé, Journal intime I, 54, 55. II, 74 ff., 84. III, 325 a. a. O. Die witzigen Spottverse Pirons gegen La Chaussée haben Uthoff in seiner übrigens ganz verdienstlichen Abhandlung Nivelle de la Chaussées Leben und Werke (Sep.-Abdruck aus den Franz. Studien von Körting und Koschwitz, Altenburg, Pierer) zu dem drolligen Mißverständnis verleitet: »La Chaussées äußere Erscheinung muß etwas Gemessenes, Würdevolles gehabt haben, weil Piron ihn als den » père révérend de La Chaussée« verspottet«. – G. Lanson, Nivelle de la Chaussée et la comédie larmoyante. Paris 1887. – Arthur Eloesser. Das bürgerliche Drama. Berlin 1898. – F. Gaisse. Le drame en France au XVIIIe siècle. Paris 1910. – Gegen den Père de famille Diderots Voltaire, Kehler Ausgabe, LX. 413.

Ästhetisch war Diderots Lehre oder genauer die von Diderot nur theoretisch schärfer begründete und erweiterte Lehre der berechtigte Rückschlag gegen die Verknöcherung der vollkommen überlebten, klassizistischen Tragödie. Gesellschaftlich eroberte sie dem Bürgertum ein Menschenalter vor Neunundachtzig, freilich nur auf der Bühne, die Rechte voller Gleichstellung mit den anderen Ständen. Moralistisch wollte sie in dem Grade, als der Einfluß der Kirche auf die Massen abnahm, auf dem Theater eine Kanzel der Humanität für die immer stärker anwachsende Gemeinde der Frei- und Ungläubigen aufrichten, die Beichtspiegel und Bußpredigten durch dramatische Zorn- und Gleichnisreden ersetzen. Rein künstlerisch war Diderot bemüht, die Poesie des Alltags- und Kleinlebens auf der Bühne zu verfestigen, wie dies auf dem Gebiet der bildenden Künste seinen Lieblingen Greuze und Fragonard, den Meistern des Genres, gelungen war. Historisch leitet er den Stammbaum des Schauspiels von Terenz her. (Goethe rückt ihn noch höher hinauf: mit Wilhelm von Humboldt kommt er dahin überein, daß sich schon zur Zeit des Euripides der Geschmack offenbar nach dem, was wir heute Dramen nennen, hinneigte.)

Erst in unseren Tagen sind die Verheißungen dieses mehr ahnungsvoll angedeuteten, als klar umschriebenen Künstlermanifestes, zumeist durch die klassischen Sittenstücke Emile Augiers, in Erfüllung gegangen. Dem Zeitgeschmack des 18. Jahrhunderts galten jedoch schon die ersten, technisch unbeholfenen Rührstücke als Triumph der Empfindsamkeit. Die geistigen Führer Deutschlands und Frankreichs, Lessing, Rousseau, Diderot, berauschten sich an Richardson, aber auch die blasierten Höflinge in Versailles und die frivole Pariser Frauenwelt fanden, überrascht und begeistert von Rousseaus »Neuer Heloise«, ein neues Reizmittel im Trost der Tränen. Und typisch bemerkenswert bleibt es, daß einer der härtesten Egoisten jener Tage, Ludwig XV., bei der ersten Aufführung des Père de famille heiße Zähren vergoß.

Ein richtiger Spürsinn für das theatralisch unmittelbar Wirksame und Zeitgemäße hat Beaumarchais also in seinem ersten und letzten Werk zum Drama geführt; seine echte Anlage verkannte er dabei freilich, wie ja auch Corneille anfangs in der Komödie, Molière in der comédie héroique die Wurzeln ihrer Kraft gesucht hatten. Als Erstlingswerk eines Naturalisten verdient die Eugénie Der Name kann sowohl von der Schwester Belflors, als von einem frühverstorbenen Neffen Beaumarchais' Eugen hergenommen sein. (Siehe über diesen Loménie I, 151,152.) Der Name war ihm allzeit besonders wert, er gab ihn späterhin auch seiner Tochter., das vielgeschmähte enfant terrible des Père de famille, übrigens eine mildere Beurteilung, als ihr von der französischen Kritik jener und unserer Tage zuteil geworden. Die Fabel des Stückes hält sich im wesentlichen an die Novelle des Lesage, nur hat Beaumarchais alle feineren Züge und Übergänge des » Comte de Belflor« vergröbert, den Ort der Handlung schlankweg nach Frankreich verlegt und aus dem spanischen Kavalier einen jener verruchten Alcibiades der Regentschaft, einen Doppelgänger des Herzogs von Richelieu gemacht, der inzwischen auch bei Lovelace in die Schule gegangen. Der hochgeborene Wüstling hat die Tochter eines kleinen Landedelmannes, Eugenie, dank dem Zureden ihrer adelsstolzen Tante Murer dazu vermocht, sich ohne Vorwissen ihres Vaters, eines gutmütigen Polterers, mit ihm trauen zu lassen. Da sich Eugenie Mutter fühlt, reist sie ihrem vermeintlichen Gatten in die Hauptstadt nach. Dort aber stellt sich heraus, daß die ganze Trauung Komödie und der Priester nur der Haushofmeister des gewissenlosen Galans gewesen, der eben im Begriff steht, eine der reichsten und vornehmsten Erbinnen des Landes zu heiraten. Madame Murer, ebenso unbedacht in ihrem Zorn, wie vordem in ihrem Vertrauen, will den Treulosen nun in einen Hinterhalt locken: sie gebietet Eugenie, den Verräter nochmals zu sich zu bescheiden. Als sich dieser nächtens einstellt, bringt er als Geleitsmann einen jungen Mann mit, dem er eben bei einem meuchlerischen Überfall das Leben gerettet hat, – Eugeniens Bruder. Der letztere beschämt, genau so wie Pedro den Grafen Belflor, den Verführer seiner Schwester durch edelmütige Selbstverleugnung, indem er ihn selbst gegen seinen und Eugeniens Vater beschützt. Die Ritterlichkeit des (von Beaumarchais grundverschiedenen) Bruders rüttelt den verhärteten Frevler (der ebensowenig mit Clavijo gemein hat) auf; schon zuvor hatte ihn die Verzweiflung Eugeniens zu nicht eben tiefgehender Selbsteinkehr gemahnt. Nach einem Zweikampf, in welchem er Eugeniens Bruder entwaffnet, erfleht und erlangt der Sünder zu den Füßen Eugeniens volle Vergebung; ihr Sträuben weicht seiner Berufung auf die Stimme der Natur: sie verzeiht ihm, dem Kinde zuliebe, das sie unter dem Herzen trägt. –

Das Drama brachte es bei seiner ersten Aufführung (am 29. Januar 1767) zu keinem rechten Erfolge; die ersten drei Akte gefielen, die letzten zwei mit ihrem verzwickten Intrigenspiel gefährdeten die Zukunft des Stückes. Beaumarchais schob ein gut Teil des Mißerfolges auf die Zensur, die ihn genötigt hatte, den Schauplatz seines Stückes nach England zu verlegen. Der Held des dramatisierten Familienromans mußte aus einem Marquis de Rosempré in einen Lord Clarendon, Eugeniens Vater aus einem biederen bretonischen Baron de Kerbalec in einen Mr. Hartley umgetauft werden usw. Mit so wohlfeilem Trost gab sich jedoch der weltläufige Autor nicht zufrieden; in zwei Tagen arbeitete er das ganze Stück um – eine Kraftprobe, die er nach dem Fiasko der Erstlingsvorstellung des »Barbier von Sevilla« bekanntlich wiederholte –, kürzte und besserte, so gut das anging, und sicherte der »Eugenie« also zum mindesten einen halben Erfolg. Von Ende Januar bis Anfang Mai wurde Eugenie zehnmal gegeben: die geringste Einnahme belief sich auf 1423, die größte auf 2616 Livres, und vollständig vom Repertoire verschwunden ist das Werk sogar erst Anno 1863; das Drama wurde auch sofort in die meisten Kultursprachen übersetzt, und es fand in England, dank Garrick, in Wien, dank Sonnenfels, die Zustimmung der Hörer.

Ganz anders stellte sich die Pariser Kritik zu dem Werk Kritiken und Übersetzungen der Eugénie s. Théâtre complet I, 14, 15. Cordier, Nr. 14–27. – Vgl. weiter Private Correspondence of David Garrick, London 1831. S. 559. Sonnenfels: Briefe über die Wienerische Schaubühne, 1768, Zwey und dreißigstes Schreiben. (Wiener Neudrucke, 7, Karl Konegen 1884, 184–93.). Die Schriftsteller von Beruf wollten von dem dramatischen Freischärler nichts wissen; seine Persönlichkeit war vielfach verdächtig, wo nicht gar verächtlich und wenn er gehofft hatte, als Autor, gleich so vielen anderen Literatoren zweiten und dritten Ranges, in der Gesellschaft besondere Auszeichnung zu finden, wurde er durch die ablehnende Haltung der »Philosophen« alsbald eines anderen belehrt. Wohl galten literarische Ehrentitel dazumal in Pariser Salons mehr als Adelsbriefe kleiner Landjunker; vollgültige Anerkennung poetischer Leistungen ging jedoch nicht von den Nächstbesten aus; die einflußreiche Gruppe Diderots aber nahm den ungebetenen Bundesgenossen sehr ungnädig auf. Als Beaumarchais dem Dichter des » Fils naturel« ein Exemplar seines Stückes überreichte, empfing ihn dieser mit dem ironischen Ausruf: »In welchen Wespenschwarm haben Sie da gestochen!« Der vertrauteste Freund des genialen Mannes, Grimm, behandelte den unberufenen Jünger der neuen Heilslehre nun gar mit erbarmungslosem Hohne: »Eugenie«, so schreibt er, »ist der erste theatralische und literarische Versuch eines Herrn von Beaumarchais; dieser Herr ist, wie man sagt, ein Mann von etwa 40 Jahren, reich, Inhaber einer kleinen Hofstelle, der bisher den Stutzer gespielt und den sehr zur Unzeit die Laune angewandelt hat, auch den Autor zu spielen. Ich habe nicht die Ehre, ihn zu kennen, aber man hat mir versichert, daß er von einer auserlesenen Einbildung und Geckerei sein soll. Der Vorwurf seines Dramas ist der Liebeshandel des Grafen von Belflor mit Leonore von Cespedes. Obgleich dieser Stoff meines Erachtens sehr schön und sehr theatralisch ist, fehlt es ihm doch nicht an Mißständen. Sein größter und unverbesserlichster Fehler bleibt aber, daß er von Herrn von Beaumarchais behandelt wurde. Im vierten Aufzug ist ein Auftritt, der mir als schlüssiger Beweis dafür gilt, daß dieser Mensch niemals etwas Gutes, ja selbst nur etwas Mittelmäßiges zustande bringen wird.« Und ebenso gehässig, wie der beste Pariser Theaterkritiker jener Zeit, äußerte sich ein erfahrener Fachmann, der gescheite, alte Bühnenkenner Collé: Der Autor der Eugenie habe unzweifelhaft nachgewiesen, daß er weder Genie, noch Talent, noch Geist besitze. Die wenigen, halbwegs gefälligen und wahr empfundenen Einzelzüge dieses Dramas seien nicht Beaumarchais zu eigen, er habe sie durchweg aus Romanen à la Riccoboni und Richardson geschöpft. Aus diesem Resümee ergebe sich, worauf sich das Verdienst dieses unverschämten, vordringlichen Gesellen beschränke; es würde sich nicht einmal der Mühe lohnen, sich mit seiner Kritik zu unterhalten, wenn er sich nicht an einem Stoff vergriffen hätte, aus dem sogar ein mittelmäßiger, nur leidlich vernünftiger Autor großen Vorteil hätte ziehen können. Collé hat hier seinem Haß gegen das genre sérieux so unverhohlen Luft gemacht, wie seiner Abneigung gegen die Persönlichkeit Beaumarchais'. Als geborener Dramatiker (der übrigens späterhin dem Dichter des »Barbier von Sevilla« und dem Verfasser der Mémoires seine voreilige Kritik Form Rechtens abbitten wird) hat er doch heraus gefühlt, was trotz aller technischen und künstlerischen Gebrechen die Bühnenwirksamkeit der Eugénie begründete: die glückliche Wahl eines theatralischen, starken Grundmotivs.

Noch heute, trotz ihres ehrwürdigen Alters von fast hundertfünfzig Jahren, ist die Eugénie für den anspruchslosen Leser nicht aller Reize bar; die Charaktere des Dramas sind wohl die herkömmlichen Romanfiguren, vom Autor handfest gepackt und derb hin und hergeschoben; zartere Empfindungen kommen fast nie zu Wort; der Dialog ist vielfach schwülstig und von Gemeinplätzen durchsetzt, aber die Fabel wird spannend und energisch vorgetragen und Beaumarchais' Geist der Antithese, das frondierende Wesen Figaros kommt schon da und dort zum Vorschein. Noch in seiner letzten Lebenszeit berühmte er sich nicht mit Unrecht, den petits grands seigneurs gleich in seinem Erstlingswerk die Wahrheit gesagt zu haben. Graf Clarendon, »ein Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle den Männern, ein Schurke den Weibern gegenüber«, wird streng vorgenommen, nur wird leider zum Schaden des Autors wie des Publikums sein Sündenregister nicht witzig, wie im »tollen Tag«, sondern pathetisch vorgebracht: in der Sache selbst geht Beaumarchais allerdings Almaviva kaum schärfer zu Leibe, als den nichtswürdigen, bezaubernden Wüstlingen vom Schlage Clarendons, deren Privatleben so hart verurteilt wird, wie ihre unverdienten Gnaden bei Hofe. Nicht minder vorbedeutungsvoll, als diese moralistischen Anwandlungen erscheint uns der Leibkammerdiener Clarendons Drink, der »eigenwilligste aller Lakaien«, ein seriöser Vorläufer Figaros. Er ist der Helfershelfer seines Herrn bei allen schlechten Streichen, aber er hält (A. I, Sz. 7) seinen Gebieter für tausendmal verworfener, als sich selbst; trotzdem duckt er noch, wenn Clarendon ihn als valet raisonneur und gewissenhaften Spitzbuben zur Ruhe weist; er tröstet sich damit, daß der Graf im Prügeln wie im Zahlen seinesgleichen nicht hat. Mit besserem Erfolg, als dieser Hallunke, sind die Angehörigen Eugeniens in die Tugendschule ihres Jahrhunderts gegangen; gegen das Duell wird mit den Redensarten der Nouvelle Héloise und des Philosophe sans le savoir geeifert (A. V, Sz. 2). Und der Vater der Heldin schlägt nun gar Töne an, die ebensowohl für Beaumarchais' persönliche Beziehungen zu Karl III. und Ludwig XV. wie für seine Lektüre der Philosophen zeugen. Als er zuerst von dem Verrat Clarendons erfährt, will er stehenden Fußes zum König eilen: »er wird mich nicht zurückweisen; auch er ist Vater; ich habe es mit eigenen Augen gesehen, wie er seine Kinder umarmte.« Und auf den Einwurf, daß er gegen den Verführer nicht aufkommen werde, der ein Mann von Rang und Einfluß sei, lautet die stolze Erwiderung: »Ist er ein Würdenträger, so bin ich ein Edelmann und vor allem – ich bin ein Mensch.« ( Je suis gentilhomme, enfin, je suis un homme.) Worte der Art schlugen damals ein und Beaumarchais verstand es vortrefflich, als »Eseltreiber« (wie Collé schmähte) die Menge nach seinem Sinne zu leiten. Mit allen Mitteln will er der Eugénie zu einem Kassenerfolg verhelfen; er verzichtet zugunsten der Schauspieler auf jede Bezahlung für sein Stück und zieht solcherart die Mitglieder der Comédie Française auf seine Seite, wie er lange vor der ersten Aufführung den Anteil hochadeliger Theaterfreunde, der Herzoge von Noailles und Nivernais, durch Privatvorlesungen etc. seines Dramas zu gewinnen suchte. Voltaires kritischem Gegner Fréron hoffte er durch Artigkeiten und Anerbietungen aller Art ein journalistisches Fürwort abzuschmeicheln; bezahlte Klatscher sind bei der zweiten Aufführung zur Stelle; späterhin, da die Einnahmen nachlassen und das Stück abgesetzt werden soll, läßt Beaumarchais sogar Geld in das Parterre werfen. Und als endlich keiner dieser Kniffe mehr verfängt, vermeint er die Literaturfreunde durch einen der Buchausgabe der Eugénie vorgedruckten Essai sur le genre dramatique sérieux günstiger für seine Sache zu stimmen, eine Vorrede, der Collé – im Laufe der Jahre geradezu ein Beaumarchais-Enthusiast geworden – die Nachrede widmete: »Eugénie ist ein schlechtes Drama; aber meine Abneigung, ja meine Wut gegen diese Bastardform haben mich zu weit fortgerissen; die Eugénie ermangelt stellenweise nicht der Empfindung; das Vorwort aber ist der Gipfel der Lächerlichkeit.« Die Zensur klingt hart, durchaus ernsthaft nehmen wird aber kein Freund des »Barbier von Sevilla« diese Vorrede.

Beaumarchais tritt zunächst als begeisterter Verehrer Diderots für die Berechtigung der Dramenform ein: gegen sein Beweisthema wäre an sich nicht viel einzuwenden. Nur schade, daß er zuviel beweisen will, daß seine lebhafte Art der Mitteilung nirgends über seine arge Unwissenheit hinwegtäuscht. Die hohe Tragödie, meint er, könne ihn, den friedlichen Untertan einer Monarchie des 18. Jahrhunderts, nicht im Innersten packen, weil so furchtbare Ereignisse, wie die Hinrichtung von Prinzessinnen und Herrschern, die Revolutionen in den Freistaaten des Altertums, zum mindesten im königstreuen Frankreich, sich schlechterdings nicht mehr abspielen; die Komödie wiederum vermöge nun und nimmer Laster und gesellschaftliche Schäden zu heilen. Es berührt mehr als seltsam, gerade bei dem nachmaligen Autor des »tollen Tages« Behauptungen zu begegnen, die er durch seine späteren Werke selbst am siegreichsten widerlegt hat: »Leichter, spielender Sarkasmus hat niemals entschieden in die Welthändel eingegriffen; die Waffen des Spottes dienen höchstens dazu, sie in Fluß zu bringen; so ist diese Kampfesart nur gestattet gegen feige Widersacher, die sich hinter ungezählte Machthaber verschanzen und es ablehnen, sich den Raisonneurs auf offenem Felde zu stellen. Vielleicht geziemt sie auch nur unseren Schöngeistern, die, in der Gesellschaft mit oberflächlichen Urteilen schnell bei der Hand, den leichten Truppen, wo nicht gar den verlorenen Kindern der Literatur gleichen …« Mit ähnlichen Scheingründen wird die ausschließliche Berechtigung der Prosa für die neue Kunstform verfochten; auch in dieser Frage hat die Erfahrung entschieden; geraume Zeit vor Diderot schrieb La Chaussée seine nicht verächtlichen Rührstücke in Versen und Emile Augier meistert in »Gabrielle« den Alexandriner so sicher, wie den festgeprägten Schlagsatz in den »Effrontés.« Die ungebundene Rede der »Emilia Galotti«, des »Clavigo«, von »Kabale und Liebe« legt Zeugnis für den Fleiß vielleicht mehr noch, als die Genialität, mit der unsere Klassiker die Prosa technisch zu bewältigen, künstlerisch zu stilisieren verstanden Victor Hugo bemerkt in der Vorrede zum Cromwell, sehr schön in der Form, nicht durchwegs zutreffend in der Sache: » le vers est la forme optique de la pensée. Voilà pourquoi il convient surtout à la perspective scénique. Fait d'une certaine façon il communique son relief à des choses qui sans lui passeraient insignifiantes et vulgaires. Il rend plus solide et plus fin le tissu du style. C'est le nœud qui arrête le fil. C'est la ceinture qui soutient le vêtement et lui donne tous ses plis. Que pourraient donc perdre à entrer dans le vers la nature et le vrai? Nous le demandons à nos prosaïstes eux-memes, que perdent-ils à la poésie de Molière? Le vin, qu'on nous permette une trivialité de plus, cesse-t-il être du vin pour être en bouteille?«. Diese unübertroffenen Vorbilder stehen dem streng und redlich schaffenden Dramatiker in Deutschland, anfeuernd und entmutigend zugleich, vor Augen, wenn er nach dem höchsten Kranze strebt: in einer gebildeten und überbildeten Sprache Kunst und Natur zu verschmelzen, den Ton seiner Charaktere zu treffen und dabei zugleich »er selbst allein« zu sein – eine Aufgabe, um deren Lösung Otto Ludwig im »Erbförster«, Hebbel in »Maria Magdalena« sich ernstlich bemüht haben. Viel Nachfolge hat das Beispiel dieser Autoren freilich nicht gefunden: künstlerische Prosa wird bei den modernen französischen Bühnendichtern so selten zu erfragen sein, wie bei unsern deutschen Theaterindustriellen. »Der Kompaß der Zäsur«, den Beaumarchais so mutwillig preisgibt, hat wenigstens das Gute gehabt, Stümpern und Handwerkern die Arbeit zu erschweren und zu verleiden; die gleiche Berechtigung der gebundenen und ungebundenen Rede für die lebendige Bühne war im übrigen längst vor Diderot und Beaumarchais durch den größten Dramatiker der Nation, Molière, tatsächlich entschieden worden. Er hat in seinen Charakterkomödien den Alexandriner so frei und vollendet gebraucht, wie die Prosa in seinen Schwänken, und mit vollem Recht durfte ihm Victor Hugo nachrühmen: » Palmas vere habet iste duas«. Zu der wunderlichen Neuerung pantomimischer Zwischenspiele hat ihn vermutlich Diderot ( De la poésie dramatique, XV des entr'actes, XXI de la pantomime) verleitet, den er auch diesmal mißverstand (Diderot, Oeuvres, VII, 356, 377). Ganz aufgegeben hat Beaumarchais diese Lieblingsidee niemals. Vgl. Jeu d'entr'acte im »tollen Tag« zwischen dem 2. und 3. Aufzug.

Alle Begeisterung, die Beaumarchais für Diderot zur Schau trug, den Feuergeist, den philosophe poète, dem die Natur verschwenderisch Empfindsamkeit, Einsicht und Genie zuteil werden ließ, alle Überschwenglichkeit, mit der er sein »Büchlein in Duodez preist, in dem er alles erschöpft hat, was man nur Wahres, Philosophisches und Treffendes über die dramatische Kunst denken kann«, ward für den Vergötterten also geradezu verdrießlich und lästig. Beaumarchais' Übertreibungen verzerrten die Diderotschen Einfälle bisweilen zu Grotesken: so insbesondere mit dem närrischen Vorschlag ernsthafter, stummer Zwischenspiele, dem tragikomischen Gegenstück der unversieglichen Heiterkeit der Intermèdes in Molières Farcen. Da nach Beaumarchais' Ansicht der theatralische Vorgang keinen Augenblick stillstehen darf, so empfiehlt er, die einzelnen Akte in der Art miteinander zu verknüpfen, daß der Fortgang der Handlung pantomimisch angedeutet werde: zwischen dem dritten und vierten Akt z. B. eilen wortlos und geschäftig die Diener, welche den Verräter dingfest machen sollen, bewehrt mit Hirschfängern, Degen und Fackeln über die Bretter. Kein Wunder, daß Fréron meinte, es bleibe nur noch übrig, daß im letzten Zwischenakt ein »Zimmerputzer« zum Bohnen des Fußbodens erscheine. Nach der drolligen, ernsthaft vermeinten Bühnenanweisung: »Eugéniens Vater tritt auf, mit ängstlicher Miene überall nach Riechsalz forschend« möchte man bei der Aufregung der Heldin noch eher die Ankunft der Wehmutter erwarten. Die einfachste Lösung dieses Problems – wenn hier überhaupt von einem Problem die Rede sein kann – war gleichfalls bei Molière zu erfragen: seine eigenen Komödien und die Tragödien seiner Zeitgenossen werden bis auf den heutigen Tag im Théâtre français in einem Zuge, ohne Zwischenvorhang, abgespielt.

Mit sachlichen Einwendungen der Art kam man dem unvorsichtigen Wortführer dieser Neuerungen übrigens gar nicht; man sah in seinen Torheiten nur willkommenen Anlaß zu wohlfeilen Späßen. Auf dem Opernball des Jahres 1767 setzte ihm eine Maske durch heuchlerische Lobsprüche so lange zu, bis der geschmeichelte Autor in die Falle ging. Er strich sein Werk nach Kräften heraus: gleichwohl, meinte er, habe ihn das Urteil des Publikums zu vielfachen Änderungen bewogen; an einer Stelle sei er von der Kritik dermaßen eines besseren belehrt worden, daß er selbst an den Rand seines Manuskripts geschrieben habe: »Ich bin ein Tropf!« »Um des Himmels willen« – lautete die Antwort der Maske, die wohl niemand anders war, als die witzige Sängerin Sophie Arnould – »vergessen Sie diese Anmerkung gewiß nicht, wenn Sie Ihr Stück drucken lassen. Sie ist vortrefflich!«

Unbeirrt von all diesen Bosheiten machte sich Beaumarchais sofort an den Entwurf eines neuen Dramas: Les deux amis, in dem sich Spuren seines Romans mit Pauline finden. Sechs Jahre lang war der Plan einer Vermählung mit der anmutigen, anfangs leidenschaftlich in Beaumarchais verliebten Kreolin erwogen worden. Er hatte eine Weile sogar daran gedacht, Frankreich zu verlassen und sich dauernd in San Domingo anzusiedeln, um die auf zwei Millionen geschätzten, nur arg verschuldeten Besitzungen Paulinens selbst zu bewirtschaften. Zur Entlastung dieser Güter hatte Beaumarchais auch schon ansehnliche, niemals zurückgezahlte Vorschüsse, mehr als 20 000 Franken, nach der Zuckerinsel geschickt. Allmählich hatte sich aber Paulinens Gesinnung geändert. Die in den Deux amis naturtreu geschilderten, allerliebsten Musikabende waren während Beaumarchais' allzulanger Abwesenheit in Spanien im Gedächtnis Paulinens verdunkelt worden; vorher und nachher hatte sie sich über galante Anwandlungen ihres Bräutigams gegen andere, einmal sogar gegen eine Hausgenossin zu beklagen, so daß endlich ein gleichfalls aus San Domingo gebürtiger Kavalier, der ursprünglich Julie, die Schwester Beaumarchais', heimführen sollte, leichtes Spiel hatte, die Gekränkte zu gewinnen. Es kam zum Bruch zwischen Pauline und Beaumarchais, der seinen Verdruß bald über anderen Abenteuern, Spekulationen und nicht zum wenigsten über seinem eifrig begonnenen zweiten Drama vergaß. Da er gerade im besten Zuge ist, kommt eines Tages eine durch Schönheit berühmte, geistvolle, ehrenwerte Dame zur Schwester Beaumarchais' und fragt, was ihr Bruder mache, den sie seit einiger Zeit nicht gesehen. »Ich glaube, er arbeitet auf seinem Zimmer; er hat sich von der Welt zurückgezogen, um ein neues Drama zu vollenden.« Die Besucherin bittet, ihn zu rufen; er erscheint im Hauskleid, mit zerzaustem Haar und langem Bart. »Ei, lieber Freund, was für Unsinn treiben Sie denn jetzt? Just in dem Augenblick, in dem eine sehr liebenswürdige, vor kurzem verwitwete, viel umworbene Frau Ihnen den Vorzug geben könnte? ihr Vermögen ist beträchtlich; es würde das Ihrige prächtig abrunden; meine Freundin würde zugleich aber in Ihnen finden, was mehr wert ist, als aller Reichtum, einen ausgezeichneten Gatten. Ich werde morgen mit ihr in einem abgelegenen Baumgang der Champs Elysées, die wir die Witwenallee nennen, zu treffen sein. Reiten Sie, wie durch Zufall, vorüber, halten Sie mich an, und Sie werden dann sehen, ob Sie beide einander zusagen?« Am nächsten Tag zeigt sich Beaumarchais, hoch zu Roß, von einem Reitknecht gefolgt, in der langen, einsamen Allée des veuves; schon die stattliche Erscheinung des Kavaliers nimmt zu seinen Gunsten ein; da er näher kommt, entdeckt die Begleiterin der Witwe unversehens, daß sie den hübschen Mann kenne. Die ungeahnte, plötzliche Begegnung ( comme celle d'Emile et de Sophie, fügt Gudin in unbewußter Ironie hinzu) ruft lebhaften Eindruck hervor. Die Witwe sieht in ihren Trauerkleidern besonders vorteilhaft aus. Beaumarchais sitzt ab und bittet, zu den Damen in die Kalesche steigen zu dürfen. Als Meister des Dialogs führt er die Unterhaltung; das oberflächliche jeu d'esprit macht allmählich tiefergehenden Gesprächen Platz; man will sich gar nicht mehr trennen; Beaumarchais bittet die Witwe zu Tisch; nach einigem Sträuben nimmt die Dame die Einladung an. Der galante Mann schickt nun den Reitknecht heim; damit war seiner Schwester das verabredete Zeichen gegeben, sich zum Empfang der ihr unbekannten Witwe vorzubereiten. Als nun Geneviève Watebled in dem Haus Rue Condé einspricht, gefällt ihr alles vortrefflich: die alten Bedienten kaum minder gut, als die Zärtlichkeit der Familienangehörigen. Fast unmittelbar nach Tisch folgen zärtliche Erklärungen, und am 11. April 1768 führt Beaumarchais seine zweite Gattin heim; nach dem Pariser Kirchenbuch zählte Madame Geneviève an ihrem Hochzeitstage 38 Jahre, mithin um zwei Jahre mehr als ihr Bräutigam. An Glücksgütern fehlte es ihr nicht: von ihrem ersten Manne, der ein skrupellos auf seinen Vorteil bedachter Oberverwalter der königlichen Garderobe gewesen, hatte sie ein ansehnliches, hinterdrein vom Hofamt allerdings zum Teil zurückgefordertes Vermögen ererbt, das Beaumarchais gerade in diesen Tagen besonders gelegen kam. Denn bald nach seiner Heirat, am Charfreitag des Jahres 1768, verlor Beaumarchais, wie er unserm Gewährsmann Gudin anvertraute, den letzten Rest von Sympathien beim König. Der Herzog von La Vallière hatte sich von ihm allerhand Schnurren erzählen lassen, um sie Ludwig XV. und der Du Barry beim Souper auftischen zu können. »Ist der König besonders aufgeräumt, dann dämpfen Sie seine Ausgelassenheit ein bißchen durch irgendeine moralistische Betrachtung wie das zu Potsdam in den ›Orgien des Königs von Preußen‹ gebräuchlich ist, erwiderte der Unerschöpfliche. Etwa durch die folgende: »Haben Sie inmitten unseres Gelächters nicht bedacht, Sire, daß Sie mehr Livres zu 20 Sols schuldig sind, als seit dem Sterbetag unseres Herrn Jesu Christi, dessen Gedächtnistag wir heute feiern, Minuten verstrichen sind?« »Eine so sonderbare Behauptung wird gewiß bestritten werden; jeder muß seinen Bleistift zur Hand nehmen, um Sie des Irrtums zu überführen. Seit Jesu Tod (ich unterdrücke an dieser Stelle einige blasphemische, geschmacklose Späße Beaumarchais') sind gerade 1768 Jahre verflossen: nun besteht das Jahr aus 365 Tagen zu 24 Stunden von je 60 Minuten; das macht bei einer genauen Berechnung mit Einzählung der Schalttage 929,948,048 Minuten, dem König aber kann nicht unbekannt sein, daß er mehr als eine Milliarde Livres Schulden hat.« – Der Herzog, der sich beliebt machen, vielleicht sogar in das Ministerium eintreten wollte, hatte nichts Eiligeres zu tun, als diese am Sterbetag des Erlösers ohne Zweifel etwas zu heitere Rechenaufgabe dem König und seinen Leuten zum besten zu geben. Die Höflinge aber nahmen den Spaß schief und setzten dem Erzähler tüchtig zu. Der König selbst verglich die Historie (immer nach dem unablässig in historischen Anspielungen kramenden Gudin) mit dem Skelett, das man unter Blumen und Früchten bei den ägyptischen Festmahlzeiten auftischte, um die Lärmenden zu beruhigen. »Ist diese Idee Ihnen gekommen, Herzog von La Vallière?« »Nein, Sire, Beaumarchais hat sie mir in den Kopf gesetzt.« Der König erhebt sich vom Sessel, ohne zu sprechen. Ein Höfling meint sehr spitzig: »Ein höchst gefährlicher Mensch, dieser Beaumarchais mit seinen romanhaften Ansichten über Finanzen und Freiheit; ist er kein Ökonomist?« »Nein, er ist der Sohn eines Uhrmachers.« »Dacht' ich's doch« – meinte ein anderer – »er versteht sich nicht umsonst so gut auf das Minutenzählen.« Man fand das Witzwort vortrefflich. Ein jeder stellte sich mit einem anderen Epigramm ein; alle hielten es für geraten, meine Feinde zu werden. Von daher stammen alle Greuel, die man mich im Parlament Maupeou erdulden ließ, Greuel, aus welchen mich nur mein Mut gerettet hat. Das war die Frucht, die ich für das Bemühen erntete, den König durch eine Gleichnisrede, die einigen Erfolg in Paris gehabt hatte, nachdenklich zu stimmen.«

Offenbar hatte, selbst nach der Ansicht des milden Gudin, Beaumarchais in der taktlosen Wahl von Zeit und Form Unrecht gehabt, mochte er auch in der Sache selbst recht haben; noch sträflicher erscheint ihm jedoch der Herzog, der zwar geistvoll, gebildet und bei Ludwig XV. beliebt, darum aber noch lange nicht berechtigt war, eine so unangenehme Wahrheit vor einem König vorzubringen, der nicht einmal als geduldiger Zuhörer mit Friedrich dem Großen verglichen werden darf. Schmählicher als dieser Verstoß gegen das Herkommen dünkt unsereinem der Verrat La Vallières; hätte der Einfall Anklang gefunden, so hätte er die Erfinderehren voll und ungeteilt für sich in Anspruch genommen: beim ersten Stirnrunzeln des Herrschers gab dieses Urbild eines Höflings seinen Gewährsmann mit vollem Namen der allgemeinen Gehässigkeit preis. Das beste an der Sache aber war, daß auch Beaumarchais nur für die Aneignung fremden geistigen Eigentums bestraft wurde, denn der Scherz rührt von Voltaire her.

Einigen Trost für diese fürstliche Ungnade mag Beaumarchais dazumal sein Familienleben gewährt haben. Nach der mehr als naiven Erzählung Gudins hatte Madame Geneviève Watebled ihren Bräutigam mit der Bitte überrascht: » ne me laissez point pleurer dans un lit solitaire, allen Sorgen der Eifersucht zur Beute«. Beaumarchais gab und hielt das gewünschte Versprechen. Am 14. Dezember 1769 beschenkte ihn seine Frau mit einem Knäblein Beaumarchais' Söhnchen starb schon 1772. Georges d'Heylli. Notice généalogique sur Beaumarchais et sa famille. Théâtre complet. II. 242–249., Pierre Augustin. Fast zu derselben Zeit, am 13. Januar 1770, beschied er den Pariser Theatergängern sein neuestes Drama: Les deux amis, ein Titel, dem ein Spaßvogel auf dem Maueranschlag den Zusatz beifügte: »Die beiden Freunde – von einem Mann, der keinen einzigen hat.« Das Stück erfuhr einen ausgiebigen Mißerfolg. Die beiden Freunde, so schreibt Beaumarchais in einem ungedruckten Briefe, Pantin, 17. Okt. 1770 ( British Museum, Egerton Manuscripts) sei den »Negozianten« zu Gefallen geschrieben worden et en général pour honorer les gens du tiers-état.

Beaumarchais wollte in diesem »zu Ehren der Leute des dritten Standes geschriebenen« Drama den Sieg der Empfindsamkeit und tugendhaften Selbstverleugnung im Kreise der Geschäftsleute verkünden; in dieser poetischen Verherrlichung des Kaufmannsstandes war ihm übrigens Sedaine mit glänzendem Beispiel vorangegangen. Die Hauptfigur des Philosophe sans le savoir ist die Prachtgestalt des Vater Vanderk: ein Edelmann, der eines unglücklichen Zweikampfes halber Frankreich verlassen und nach seiner Heimkehr den unadeligen Beruf des Handelsherrn unter falschem Namen treiben muß; dieser kernige Alte beschämt durch Gradsinn und Großherzigkeit die Ritterlichkeit aller Grandseigneurs, wie die Phantasterei aller jugendlichen Idealisten. Da er seinem unmittelbar vor einem Duell stehenden Sohne das Geheimnis seiner eigenen Vergangenheit zugleich mit dem seiner Abstammung enthüllen muß, antwortet er auf dessen erstaunte Frage, wie er als Adeliger das Gewerbe eines Plebejers betreiben könne, mit der nach Lillos Merchant of London nicht überraschenden Lobrede auf seinen Stand:

»Welcher Beruf, mein Sohn, kann mit demjenigen eines Mannes verglichen werden, der sich mit einem Federzuge von einem Ende der Welt bis zum andern Gehorsam verschaffen kann? Er ist der richtige Weltbürger. Und alles, was bei einem Edelmann die Vorrechte der Geburt legitimiert, das begründet auch das Ansehen des Kaufmanns: Rechtschaffenheit und Ehre. Verwegene Hitzköpfe stiften die Könige an, die Kriegsfackel zu entzünden, die Staaten Europas liegen im Zwiespalt miteinander, allein der englische, holländische, russische und chinesische Kaufmann bleibt deshalb nicht weniger der Freund meines Herzens. Ich kenne nur zwei Stände, welche dem des Kaufmanns überlegen sind: den Richter, der das Gesetz zu Ehren bringt, und den Krieger, der sein Vaterland verteidigt.«

Ganz ähnlich meint der große Lyoner Kaufherr Aurelly in Beaumarchais' Stück: »Ich gebe täglich zweihundert Handwerkern Arbeit; dreimal soviel Leute sind zur Anfertigung meiner Seidenstoffe notwendig; meine Maulbeerpflanzungen und meine Seidenzucht erfordern eben so viele Arme; all das lebt, all das verdient, und da die Industrie den Preis der Waren verhundertfacht, gibt es, bei mir angefangen, nicht ein Geschöpf, das dem Staat nicht reichlich einen Zoll von dem Gewinn heimgibt, den unser Wettbewerb ihm verschafft. Und all das Geld, welches der Krieg vergeudet, wer bringt es in Friedenszeiten wieder ein? Alle Bürger empfinden die Wichtigkeit dieser Aufgabe: der Kaufmann allein erfüllt sie. Wenn der Krieger verruht, winkt dem Kaufmann das Glück, als Patriot zu wirken.«

Höchst bezeichnend für die Gesinnung der beiden Männer legt Sedaine den Nachdruck auf die Rechtlichkeit des Kaufmanns, Beaumarchais auf dessen Nützlichkeit, jener auf den Adel der Seele, dieser auf den Adel des Erwerbes. Noch in anderer Beziehung gedachte der jüngere Dramatiker den erfolgreichen Meister zu überbieten: das war in dem Kapitel der Empfindsamkeit. Der Held seines Stückes, der General-Steuereinnehmer von Lyon, Mélac, wird uns schon im Personenverzeichnis als philosophe sensible vorgestellt. Empfindsam mag seine Handlungsweise nun immerhin sein, verbrecherisch bleibt sie nichtsdestoweniger. Man höre.

Mélacs Busenfreund, der Kaufherr Aurelly, steht, ohne das zu wissen, vor dem Bankbruch; der Inhaber einer Pariser Firma, die ihm gerade 5–600 000 Franken schuldet, ist gestorben; dessen Nachlaß ist in Unordnung und damit fehlen alle Mittel zur Begleichung dringender Zahlungen. Aurellys Kassier befürchtet infolge dieser Stockung den Ruin des alten Geschäftshauses, aber er findet nicht den Mut, dem Prinzipal seine verzweifelte Lage bekannt zu geben. Mélac aber errät die drohende Gefahr, und nach kurzem Besinnen überantwortet er dem Prokuristen Aurellys sämtliche gerade in seiner Kasse verwahrte Steuergelder. Er wird aus philosophischem Edelsinn, aus übertriebener Freundespflicht zum Defraudanten. Auf dieser unhaltbaren Voraussetzung baut sich ein widersinniges Stück auf. Der Generalpächter St. Alban stellt sich im kritischesten Augenblick zur Prüfung der Kassenbestände in Lyon ein. Mélacs Unterschleif kommt an den Tag; der philosophe sensible will schlechterdings nicht sagen, aus welchem Grund er über Nacht 600 000 Franken veruntreut hat. Der Freund, dem zuliebe er das ungeheuerliche Opfer seines Rufes gebracht hat, überhäuft ihn mit Vorwürfen und Beleidigungen. Eine weitere Verschärfung tritt noch hinzu: Mélacs Sohn liebt Aurellys Pflegetochter, und es währt nicht lange, so bekommt der jugendliche Heißsporn Händel mit dem für dasselbe Mädchen schwärmenden Generalpächter. Der gereizte Pariser ist drauf und dran, Mélac wegen seiner Veruntreuung dem Gericht auszuliefern, sofern man ihn zum Dank für sein Schweigen nicht mit Paulinens Hand beglücken will. Alles scheint verloren: da gelingt es dem holden Kind, durch weise und empfindsame Standreden den vorher so grimmigen Generalpächter nicht bloß zu edelmütigem Entsagen zu bestimmen; Paulinen zu Ehren wird der Verschmähte der würdige Jünger Grandisons; er ersetzt die 600 000 Franken aus seinem Privatvermögen. Zu guter Letzt wird das Motiv von Mélacs Verbrechen offenkundig: Pauline entdeckt in ihrem vermeintlichen Pflegevater den Urheber ihrer Tage und, der anderen Aufzüge würdig, schließt der letzte Akt des Rührstückes, wenn der triviale Ausdruck erlaubt ist, mit einem Ausverkauf von Edelmut.

Hageldicht fielen in Paris feine Epigramme und grobe Hohnreden auf die unglücklichen »beiden Freunde« nieder, und nicht immer nahm sich Beaumarchais ihrer so glücklich an, wie gegen einen wichtigtuenden Logennachbar, der zu seiner Damengesellschaft meinte: »der Autor ist ohne Zweifel ein Trödlergehilfe, der nichts Höheres kennt, als Steuerbeamte und Tuchhändler; deshalb bezieht er auch seine edelmütigen Freunde für die französische Bühne aus einem Geschäftsmagazin«. »Ach, mein Herr« – gab Beaumarchais dem hoffärtigen Kritiker zur Antwort – »ich habe meine Mustermenschen in einem Kreise suchen müssen, wo es nicht ganz unmöglich ist, an ihr Dasein zu glauben; Sie hätten den törichten Autor noch ganz anders verspottet, wenn er zwei wahre Freunde aus dem Oeil-de-Boeuf oder den Galakutschen von Versailles hergeholt hätte, denn ein bißchen Wahrscheinlichkeit fordert man selbst in dem tugendhaftesten Schauspiel.« So gelungene Suiten brachte er weder gegen die Witze des »weiblichen Piron«, Sophie Arnould, noch gegen die launigen Spottverse auf, in denen es hieß: »In dem ganzen Handel dreht sich alles um Geld, das aber nicht die geringsten Interessen hervorbringt.« Es half dem so grausam verlästerten Dichter wenig, daß einer der hellsten Köpfe jener Zeit das Stück als reizende, einzige Schöpfung pries, d. h. für diejenigen, »welche den französischen Handel, dessen Sprache und Geschäftsgebräuche verstehen«. Es war Galiani, dessen eigensinniger Geschmack allerdings »Diderots Hausvater« als das Meisterstück der französischen Theaterliteratur und »folglich« für das beste dramatische Werk erklärte, das der Menschengeist bisher überhaupt hervorgebracht habe. Für den Scharfblick des neapolitanischen Abbate zeugt es aber, daß er in dem unscheinbaren Röllchen des Bedienten André die Genialität des nachmaligen Dichters des »Figaro« erkannte: er bezeichnet diesen servo sciocco als den einzig guten, den er bisher auf der Bühne oder als Leser kennen gelernt. L'Abbé Galiani, Correspondance, Edition Perey-Maugras, Paris, Calmann Lévy, 1881. II, 158, 179, 180. Vgl. auch sein Urteil über die »Eugenie« l. c. 161. – Vgl. Beaumarchais' Brief an die Comédie Française aus dem Jahre 1779; Revue rétrospective, VII, 441; wieder abgedruckt Théâtre complet I, 208. »Si l'état affreux des finances du royaume sous feu l'abbé Terray, d'écrasante mémoire, et surtout si l'époque de la banqueroute frauduleuse du Janséniste Billard empêchèrent alors les Jansénistes du parterre, les mécontents de la Bourse et les perdants de la banqueroute de goûter autant qu'on le devait un intérêt dramatique fondé sur la faillite inopinée d'un honnête homme, c'est qu'on s'imagine que je traduisais le malheur public au théâtre et que j'y jouais l'honnête pénitent de M. Grizel.« Théâtre complet I, 202, Note I. – La part que nous avons à cet enfant commun a cela de différent que je l'ai conçu avec plaisir dans le silence et qu'il y a tout à craindre que vous ne l'enfantiés avec douleur parmy les cris et le tapage. Beaumarchais an die Com. Franç. 20. Nov. 1769.

In späteren Jahren berühmte sich Beaumarchais wohl selbst, daß die » Deux amis« sein am trefflichsten durchkomponiertes Drama und ein Repertoirestück aller französischen Bühnen geworden seien, dessen Durchfall nur die Ungunst der Zeiten, die schlechte Finanzwirtschaft Terrays und der unvorhergesehene Bankerott des Jansenisten Billard verschuldet habe. Unter dem unmittelbaren Eindruck des Mißerfolges dachte er anders; er nahm sich nicht einmal die Mühe, die Buchausgabe des Unglückswerkes, dem er schon vor der Aufführung nicht die beste Aufnahme voraussagte, mit einer Schutzrede in die Welt zu schicken. Nur auf das Titelblatt der Deux amis setzte er zur Abwehr einen Schlagsatz aus dem Dialog seines Dramas: »Was werden Sie den falschen Urteilen, den Beleidigungen, den Lügenreden zur Antwort geben?« – »Nichts!«

Die Gelassenheit dieser stoischen, dem philosophe sensible entlehnten Lebensregel stimmte zu den Anschauungen Beaumarchais' so wenig, wie die Form der Rührstücke seiner Begabung entsprach. Es sollte bald die Zeit kommen, in der er, in den gefährlichsten Augenblicken seines Daseins, diese Erkenntnis mit dem Einsatz seines Genies erobern sollte. Nicht wohlüberdachte, künstlerische Ausgestaltung langgehegter Pläne, nicht die sorgsame Erforschung und Entwicklung seiner Naturgaben hat Beaumarchais auf die volle Höhe seines Könnens emporgehoben. Als Stammgast des Théâtre des chansons, als unbewußter Schüler der Kleinmeister der Opéra comique improvisierte er das unvergängliche Singspiel, das die Krone seiner dramatischen Arbeiten bleibt: den Barbier von Sevilla. Und im Drang der Not, im Kampf um Ehre und Freiheit, schrieb er als sein eigener Anwalt das Beste, was er als Autor überhaupt geleistet hat, die Mémoires im Prozeß Goezmann, die seinen Namen mit denen der ruhmvollsten Wortführer französischen Geistes und Witzes in der Weltliteratur fortleben lassen. In diesen Streitschriften wetteifert er in der Kunst der Polemik mit Rabelais, Pascal und Voltaire, deren Jünger, mit Paul Louis Courier, dessen Meister er war.

7. Die Händel mit La Blache und Chaulnes. Der Barbier von Sevilla

So bezeugt ein unparteiischer Gewährsmann: Maupeous begabtester Nothelfer Le Brun, nachmals Duc de Plaisance: Les mémoires que Beaumarchais publia frappèrent de ridicule le parlement Maupeou; il fut perdu etc. Mémoires sur le prince Le Brun, Duc de Plaisance par M. Marie du Mesnil. Paris, 1828, p. 74.

Le Comte: Qui t'a donné une philosophie
aussi gaie?

Figaro: L'habitude du malheur. Je me presse
de rire de tout. de peur d'être obligé d'en
pleurer.

Le Barbier de Séville I. 3.

Zwei grundverschiedene Prozesse hatte Beaumarchais anfangs der siebziger Jahre auszufechten: den einen vor dem Parlament Maupeou, den andern vor dem Gerichtshof der Pariser Theatergänger. »Wir hatten zuversichtlich gehofft«, so erzählt der getreue Gudin, »daß er beide gewinnen würde; wir hatten geirrt; er verlor diesen und jenen« – allerdings nicht unwiederbringlich. Der erste Mißerfolg des »Barbier von Sevilla« wurde durch die triumphalen Ehren wettgemacht, die dem anmutigsten Werk des Dichters späterhin bei Mit- und Nachwelt zuteil wurden. Und die Schmach, die feile Richter, wie Goezmann, gewalttätige Parlamentsräte, wie Nikolai und ihre Leute, auf seinen Namen häufen wollten, schlug nicht bloß ihnen zum Verderben aus: Beaumarchais' Streitschriften machten die verhaßte, wider Recht und Gesetz bestallte Magistratur Maupeous lächerlich und damit unmöglich; sie begründeten zugleich seinen Weltruf als Autor. Sein Musaget war der Mut der Verzweiflung mehr noch, als der Zug der schöpferischen Phantasie. In der schwersten Bedrängnis offenbarte sich sein Humor in voller Herrlichkeit; in harter Notwehr reiften seine großen Entschlüsse; je mehr Widerwärtigkeiten auf ihn einstürmten, desto rascher und gelassener, schneidiger und überlegener zugleich betätigte er consilio manuque seine Figaro-Natur. Seine Kraft wuchs mit der Gefahr; seine Schlagfertigkeit bedurfte keiner Sammlung, keiner Bedenkzeit. So ahnungslos er gewesen, als das Schicksal ihn ereilte, so feurig überströmte er von der éloquence du moment, die bei den Massen in Frankreich, bei den Besten in Europa zündete. Und unsere Bewunderung für den siegreichen Gelegenheitsredner wird desto größer, je lebhafter wir uns vergegenwärtigen, wie jählings Beaumarchais auch diesmal wiederum aus den behaglichsten Verhältnissen durch das Ableben von Paris Duverney und den unerwartet frühen und schnellen Tod seiner zweiten Frau in Verlegenheiten aller Art, insbesondere in heillose Geldklemme, geriet.

Zu Beginn des Jahres 1770 verfügte Beaumarchais über eine Rente von 15–20 000 Livres; diese ansehnliche Einnahme hatte er vornehmlich der Mitgift seiner Frau, zum Teil wohl auch seinem Gönner Paris Duverney zu verdanken: berechnete doch ein habgieriger Erbschleicher hinterher, daß der Schützling von Mesdames dem Intendanten der Ecole militaire im Laufe einer siebenjährigen Bekanntschaft runde 400 000 Franken gekostet habe. Die Summe ist offenbar übertrieben; teuer bezahlt hat Duverney die Gefälligkeiten Beaumarchais' jedenfalls: vor und während der spanischen Reise stellte er ihm sein Vermögen und seinen Kredit ausgiebig zu Diensten. Und auch nach seiner Heimkehr zog Duverney seine Hand nicht ganz von ihm ab. Als Beaumarchais die Gunst des Hofes verscherzt hatte, stand ihm der greise Kapitalist bei seinen industriellen Unternehmungen hilfreich zur Seite: so insbesondere im Jahre 1766, bei der Begründung einer Handelsgesellschaft, die mit einem Aufwand von 5–600 000 Franken 2000 Joch Wald für eine Reihe von Jahren pachten und ausbeuten sollte. Die Forstwirtschaft in der Touraine erwies sich aber als verfehlte und kostspielige Spekulation; Beaumarchais wurde von seinem Vertrauensmann, dem Verwalter Grou, zum besten gehalten und betrogen, Duverney selbst aber immer sparsamer in seinen Zuschüssen. Nichts begreiflicher, als der beiderseitige Wunsch, dieses und manches andere verwickelte Geschäft bei der ersten Gelegenheit zum Abschluß zu bringen. Das war nun freilich leichter begehrt als erreicht. Duverney wurde von seinem mutmaßlichen Universalerben, dem General Grafen Falcoz de La Blache, eifersüchtig bewacht und tyrannisiert; der 87 jährige Hagestolz hatte diesem hochadeligen Neffen sein ganzes Herz geschenkt; er hatte ihm zu seiner Stellung und zu einem bedeutenden Vermögen verhalfen; er hatte ihm zuliebe seine anderen Verwandten in seinem letzten Willen zurückgesetzt, ja kaum mehr im persönlichen Verkehr geduldet. Die werktätige Freundschaft, mit der sich Beaumarchais für Paris de Mézieu, einen halb verstoßenen Neffen Duverneys, bei diesem einsetzte, gab neuen Anlaß zu Zwistigkeiten zwischen unserem Helden und dem Grafen. La Blache erwiderte nicht einmal den Gruß Beaumarchais' und berühmte sich wiederholt, er hasse diesen Menschen so glühend, wie man sonst nur ein Mädchen lieben könne. Das mochte in dem Jahrzehnt von 1760–70 hingehen, solange Duverney selbst seine Angelegenheiten ordnete; bei dem hohen Alter und der Kränklichkeit des Finanzmannes erschien es Beaumarchais aber geboten, sich für die Zukunft zu decken. Unter dem 9. März 1770 spricht er dem siechen Greis offen den Wunsch aus, er wolle – en cas du plus grand malheur que j'aye à craindre – nichts mit La Blache zu tun haben und zur Vermeidung aller Weiterungen schlägt er ihm vor, ihre wechselseitigen Forderungen und Verbindlichkeiten durch einen rechtswirksamen Rechnungsabschluß ins reine zu bringen. Nach mehrwöchentlichen, aus Angst vor La Blache ziemlich versteckt geführten Verhandlungen unterzeichnet Paris Duverney am 1. April 1770 das Schriftstück, das einen wahren Rattenkönig von Zivil- und Strafprozessen nachschleppen sollte. Die Vertragsurkunde, über deren Ausführung drei Geschlechter von Advokaten wegstarben, ist durchwegs von Beaumarchais eigenhändig geschrieben, von Paris Duverney nur datiert und unterfertigt. In derselben wird Beaumarchais' Schuldenstand mit 139 000, seine Gesamtforderung mit 237 000 Franken beziffert. Zur Begleichung seines sich demgemäß ergebenden Guthabens von 98 000 Franken spricht ihm Duverney ihren gemeinsamen Anteil an der Forstwirtschaft von Chinon im Werte von 75 000 Franken zu. Demnach würde Beaumarchais noch immer ein Überschuß von 23 000 Franken gebühren (Artikel IX), den er jedoch selbst, unter ausdrücklichem Verzicht auf weitere 8000 Franken, auf 15 000 Franken herabsetzt (Artikel XVI). Ferner wird Beaumarchais zu Fortsetzung des Holzgeschäftes in der Touraine für acht Jahre ein unverzinsliches Darlehen von 75 000 Franken, endlich auch ein langverheißenes, von Meisterhand ausgeführtes Bildnis Paris Duverneys zugesagt (Artikel XVI). Alle Empfehlungsbriefe, welche die königliche Familie an den Finanzmann zugunsten Beaumarchais' gerichtet ( et qu'il appelle ses lettres de noblesse), müssen dem letzteren zurückerstattet werden (Artikel XIII): als Gegendienst fordert Duverney, daß Beaumarchais ihre ganze Chiffernkorrespondenz vernichtet und zeitlebens über alle ihm bekannten Geheimnisse seines Freundes reinen Mund hält (Artikel XV).

Wenige Wochen nach der Unterzeichnung des Rechnungsabschlusses, Mitte April 1770, erkrankt Beaumarchais an einem Fieber, das ihn in Paris und Pantin über zwei Monate an das Bett fesselt; die Bestimmungen des Vertrages werden angeblich aus diesem Grunde nicht erfüllt. Und als nun Paris Duverney Ende Juli 1770 stirbt, steht Beaumarchais mit seinen Ansprüchen dem Grafen La Blache gegenüber: an Stelle des großmütigen, hochsinnigen Onkel Allworthy Duverney hatte seinem Neffen, dem vielberufenen Verschwender Marquis de Brunoy ein Bild des Königs und der Königin vermacht, das ihm von den hohen Herrschaften selbst als Geschenk gewidmet worden. La Blache interpretierte das Legat dahin, daß de Brunoy nur ein Anrecht auf die Porträts selbst, nicht aber auf die zugehörigen goldenen Kapseln und Rahmen habe und de Brunoy erhob in begreiflicher Entrüstung Klage, gestützt auf die testamentarische Bestimmung, daß ihm die Bilder in statu quo ausgefolgt werden sollen. Mém. pour P. A. C. de Beaum. 1772. 47 ff. war – wie unser Held als Kenner von Fieldings (kurz vorher in eine opéra-comique umgewandelten) Tom Jones bemerkt – sein ränke- und händelsüchtiger Neffe Blifil getreten. Beaumarchais forderte den Grafen zunächst mehrmals brieflich auf, Duverneys Verbindlichkeiten zu erfüllen; er läßt ihn und seine Vertrauensmänner bei seinem Notar in die Vertragsurkunde und alle Belege Einsicht nehmen: La Blache, der mit vorgefaßter Meinung erschienen war, gerät bei der Prüfung dieser Papiere in ungemessene Aufregung; er gebraucht die heftigsten Schmähworte gegen Beaumarchais, den er als Lügner und Gauner hinstellt. Gutwillig – so erklärt er ohne Umschweif – werde er niemals seine Ansprüche befriedigen; und sollte er jemals auf dem Prozeßwege sein Begehren durchsetzen, so müßten zuvor Jahre und Jahrzehnte ins Land gehen und Beaumarchais' Name in jeder Art geschändet werden. Er gelobt, seinen Gegner zu ruinieren und sollte ihm das 100 000 Taler kosten. Dieser Racheschwur zeugt mehr noch für den Haß, als für die Habsucht La Blaches, von der Beaumarchais übrigens in seinen Prozeßschriften gleichfalls die erbaulichsten Geschichten zu erzählen weiß. Jedenfalls hat der Neffe Duverneys seinen Vorsatz voll ausgeführt und Beaumarchais' Klage (vom 22. Februar 1771) mit einer Tücke und Hartnäckigkeit, mit einer Erbitterung und Leidenschaftlichkeit bestritten, die nur an einem Gegner von solcher Unerschrockenheit zuschanden werden sollten Mémoire pour Madame de Goezmann, Lambert, 1773, S. 15. Gazette de la Haye du Vendredi 12 mars, No. 31: »Le Comte de la Blache accuse M. de Beaumarchais d'avoir trompé M. Paris Duverney, d'avoir supposé même sa signature et d'avoir escroqué par ce moyen une somme considérable: cette affaire qui avait déjà occupé les tribunaux se plaide actuellement avec beaucoup de chaleur au Parlement et il est à craindre pour le sieur de Beaumarchais que ces deux aventures (Chaulnes und La Blache) ne renouvellent d'anciens reproches qu'on lui a faits d'être devenu veuf trois (!) fois si subitement et si à propos pour l'arrangement de sa fortune et qu'on ne cherche à éclairer sa conduite sur tous ces objets.«. Mit dem Aufgebot seiner vollen gesellschaftlichen Überlegenheit, mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln der Verschleppung, der Schikane, der Verleumdung in und außer dem Gerichtssaale hat La Blache seinen Gegner verfolgt; er bezichtigte Beaumarchais in seinen Einwendungen geradezu hinterlistiger Schädigung Duverneys und trat mit einer Gegenklage hervor, derzufolge Beaumarchais nicht nur keine 15 000 Franken aus der Verlassenschaft zu fordern, sondern vielmehr an den Universalerben über 50 000 Franken herauszuzahlen hätte. Die Anwälte La Blaches ziehen seinen Widerpart öffentlich in ihren Gerichtsreden des Betruges und der Urkundenfälschung. Die Skandalchronik bemächtigte sich seines Privatlebens; der Tod seiner zweiten Frau (11. November 1770), die im Wochenbette starb, gab willkommenen Anlaß, in der Gazette de la Haye die Märchen von der Vergiftung seiner ersten Frau in vermehrter und verschlechterter Ausgabe zu verbuchen, Geschichtchen, die diesmal ebenso leicht zu widerlegen waren, wie im Fall Franquet – denn auch Madame Levesque-Watebled-Beaumarchais nahm fast ihr ganzes, in Leibrenten angelegtes Vermögen in das Grab mit. Einen Hauptstreich führte La Blache aber damit aus, daß er den Richtern Mann für Mann sagte, Beaumarchais sei von Mesdames, tausend ehrloser Handlungen willen, für immer aus ihrem Kreise verwiesen worden. Diese Beschuldigung veranlaßte den einstigen Liebling der Prinzessinnen ihrer Palastdame, einer Gräfin de P… den Sachverhalt mitzuteilen' mit der Bitte: Madame Victoire – die andern Schwestern erwähnt er auffälligerweise gar nicht – möge ihm bezeugen, daß er sich stets als Mann von Ehre benommen habe. Die Gräfin antwortete, Madame Victoire versichere, niemals irgendwem irgendetwas gesagt zu haben, was seinem Rufe schaden könnte; auch sei ihr nichts bekannt, was sie zu einer Bemerkung der Art berechtigen würde. Beaumarchais hatte nichts Eiligeres zu tun, als diese Zeilen in einer Note seines gedruckten Mémoires mit den Worten zu verwerten, »Madame Victoire habe ihn ermächtigt, zu erklären, daß alle ihr in betreff dieses Prozesses in den Mund gelegten Äußerungen vollständig falsch seien«: eine Taktlosigkeit Beaumarchais', die La Blache sofort ausnützte. Er fuhr nach Versailles und brachte daselbst die Prinzessinnen dermaßen in Harnisch, daß sie insgesamt eine Erklärung abgaben des Inhalts: »sie nähmen keinerlei Anteil an Beaumarchais und seinem Rechtsstreit und hätten ihm schlechterdings nicht erlaubt, in einer für die Öffentlichkeit bestimmten gedruckten Prozeßschrift sich ihrer Protektion zu berühmen«. Der Polizeileutnant beschied Beaumarchais zu sich, um sein Vorgehen zu rügen; die ungeschickte Note in seinem Mémoire wurde von Amts wegen unterdrückt. La Blache verkündete bei den Richtern und in der Gesellschaft triumphierend, Beaumarchais habe sich erdreistet, gefälschte Empfehlungsbriefe der Prinzessinnen vorzuweisen, und der späterhin so tapfere Mann schwieg vorerst, beschämt, kleinlaut und ängstlich. Er führte seine Sache noch nicht selbst, und trotz aller Gehässigkeiten La Blaches wollte er gegen ihn nur juristisch, nicht moralisch recht behalten; er rief es schon als Sieg aus, daß in erster Instanz keine der beiden Parteien mit ihrem Klagebegehren völlig durchdrang – ein Urteil, gegen welches La Blache sofort appellierte.

Innerhalb der gesetzlichen Berufungsfrist schrieb Beaumarchais, seiner Schulden so wenig achtend, wie seiner Widersacher, als Stammgast der Opéra comique 1762 wurde die Opéra comique mit der Comédie italienne verschmolzen. – Piron, Mariage de Momus. – La Harpe, Cours de littérature, t. XVIII, 1–199: bis zur Stunde noch immer die beste kritische Würdigung der opéra comique. Bgl. a. Paul de Saint Victor: Les deux masques III. Paris, Lévy, 1883. Chap. VIII – X. und ihrer Theaterprinzessinnen, für das Théâtre des chansons sein einziges Singspiel, den »Barbier von Sevilla«, eine Komödie, zu der er nicht bloß die Worte, sondern auch, mit freier Benutzung spanischer und italienischer Volkslieder, die Weisen gesetzt hatte. Der Autor hatte sein musikalisches Lustspiel ursprünglich selbst für die Spieloper bestimmt, die aus bescheidenen, mühsamen Anfängen, im beständigen Kampfe gegen die tyrannische »Lehensherrschaft« der Comédie française, zu einer richtigen Nationalbühne erwachsen war. Die Truppe Molières hatte wohl seine Privilegien, nicht aber seinen Geist und Edelsinn überkommen, engherzig und hoffärtig stieß sie die berufensten Bühnendichter zurück. Die Komödianten des Théâtre français nützten ihr Monopol mit unwürdiger Knauserei aus; sie behandelten die lebenden Dramatiker mit solcher Geringschätzung, sie schoben die Aufführung ihrer Stücke so willkürlich hinaus, daß die besten, erbittert durch soviel Unbill, sich dauernd von ihnen ab- und der Opéra comique zuwandten. Lesage und Piron verschmähten es nicht, für Jahrmarkts- und Marionettentheater zu arbeiten; mit Fuzelier und Panard waren sie anfangs die geistigen Nährväter des Théâtre de la foire, aus dem späterhin, insbesondere dank Favart und Sedaine, Philidor und Monsigny, die volkstümliche Spieloper hervorging. Eine ganz neue Muse, so scherzt der nachmalige Dichter der Métromanie im Jahre 1722, sei die zehnte, kaum zwanzig Jahre alt, schön wie Amor, lustig und unterhaltend, LA FOIRE, die Tochter von Bacchus und Venus, die vom Vater das Feuer und von der Mutter die Anmut ererbt habe. Die Sympathien der Massen folgten von Anfang an der neuen Richtung, und selbst strenge, akademisch geschulte Geister, wie Laharpe, entzogen sich dem Zauber des echt gallischen, bühnenfähig gewordenen Vaudeville nicht. Oper und Théâtre français standen oft wochenlang leer, während die Gesangspossen des Théâtre de la foire ungezählte Zuschauer anzogen und entzückten. Die Mitglieder der zünftigen Truppen versuchten es, den gefährlichen Nebenbuhlern mit allen Tücken und Rücken das Dasein unleidlich zu machen; sie beschwerten sich bei dem Parlament und dem königlichen Rat gegen die »Bönhasen«, die ohne Fug und Recht Zwischenspiele und ganze Stücke aufführten; sie klagten wiederholt auf Schadenersatz und ließen mehr als einmal die Schaubuden des Théâtre de la foire sperren und niederreißen. Aber immer fanden sich neue, mutige Unternehmer, die, allen Bedrückungen zum Trotz, auf jedem neuen Jahrmarkt mit neuen Possen zur Stelle waren. Einmal erkauften sie von dem Direktor der königlichen Oper, ein andermal vom Grundherrn des Marktplatzes die Befugnis, Tänzer und Sänger auftreten zu lassen. Schon im Jahre 1716 bot eine Frau Baune den Rechtsanwälten der Oper 35 000 Livres für die Erlaubnis, fortan ausschließlich zur Zeit der Messen Schauspiele mit Gesang und Tanz unter dem Namen der Opéra comique aufführen zu lassen. Je lebhafter die Sympathien des Publikums diesen Bestrebungen folgten, desto gehässiger setzten die Truppen der Comédie française und der Comédie italienne ihren Kleinkrieg fort; bald wurde es dem Théâtre de la foire verwehrt, gesprochene, bald wieder gesungene Zwischenspiele zur Aufführung zu bringen; mitunter verbot man den Jahrmarktsbühnen beides und unterdrückte sie durch einen Machtspruch. Immer wieder aber lebten sie in der einen oder anderen Form sieghaft auf und mehr als einmal schöpften ihre Leiter und Dichter gerade aus den schlimmsten Anfeindungen neue Kraft. Untersagte man den Darstellern das Reden, so halfen sie sich mit Pantomimen und ließen die Gesangstexte auf der Bühne in Riesenbuchstaben erscheinen oder von der Galerie herabflattern; das Orchester intonierte die alte oder neue Weise und bezahlte Leute im Parterre, in Logen und dem Amphitheater sangen solange mit, bis auch die Zuschauer einstimmten. Als im Jahre 1722 das Théâtre de la foire auf die Vorführung von Seiltänzern beschränkt wurde, als die Schauspieler weder singen noch Dialoge sprechen durften, lehnten es die bewährten Dichter der Opéra comique Fuzelier, Lesage und Dorneval ab, weiterhin Stücke unter diesen Bedingungen zu schreiben.

Der jugendliche Piron aber nahm die Aufforderung des schwer bedrängten Direktors, ihm eine »Posse« zu liefern, an, und binnen zwei Tagen machte er alle einfältigen Verbote durch ein Wunderwerk von Tiefsinn und Witz, durch die geniale Improvisation » Arlequin-Deucalion, Monologue en – trois actes« zunichte. Man begreift, daß er Goethe mit diesem Monodram Anm. zu Rameaus Neffen, Piron, Hempelsche Ausgabe, XXXI, S. 131. Vie de Piron (Oeuvres I, 53–58). Sainte-Beuve N. L. VII, 415 ist nicht ganz gerecht gegen Pirons Farcen, aber es ist kein kleines Lob, das er mit dem Satz ausspricht: cela ressemble aux farces et aux moralités du temps de Gringoire. und seinen Vaudevilles lebhafter interessierte als mit seinen schulgerechten Stücken in Alexandrinern. Piron hat in seinem Deucalion die kühnsten Ausfälle Figaros gegen politische und soziale Mißstände vorweggenommen. Der glücklichen Stoffwahl gesellt sich ein verwegener, mit allen Ständen, mit allen künstlerischen, moralischen und wirtschaftlichen Schäden der Zeit überlegen spielender Humor. Niemals vorher und niemals nachher hat Piron so tief und scharf die Wahrheit erkannt, niemals das Große launiger, das Launige größer gesagt. Seine vielen Singspiele sind runde Meisterstücke dieser kleinen Kunstform; nur durchwaltet sie nicht mehr der überraschende, aristophanische Zug des Deucalion: er hänselt fortan mit seinem unversieglichen burgundischen Mutterwitz nur mehr ästhetische und sonstige Tagesmoden. So stellt er in dem geistvollen Einakter » Les enfants de la joie« der ihm tief verhaßten, moralisierenden Komödie, »der Tochter der Weisheit und der Schwester der Langeweile«, als Schutzgeister des Singspieles die Kinder von Momus und Lucine, die launigen Schelme Scaramouche, Pierrot und Arlequin triumphierend gegenüber. Seinem Genius war es beschieden, diese alten, stehenden Masken zu verjüngen und zu modernisieren; bewußt oder unbewußt zeigte er, daß die französische Komödie bei der Narrenfreiheit des Theâtre de la foire in die Schule gehen müsse. In zweifacher Beziehung erwiesen sich nämlich diese Jahrmarktspossen Nicht besser, als mit den Worten Gottfried Kellers über die potentielle Bedeutung der Wiener und Berliner Posse wußte ich das Wesen des Théâtre de la foire zu kennzeichnen. der Technik akademischer Lustspieldichter überlegen: »einmal durch die größere Willkür in der Ökonomie, wodurch der für die politische Komödie durchaus unentbehrliche göttliche Unsinn und unbeschränkte Mutwille wieder hergestellt wird; zweitens durch die Verbindung der Musik mit der Dichtung in den Couplets; die Kunst komischer Darstellung erreichte ihren Gipfelpunkt beim Vortrag dieser Couplets, welche das gequälte Volk und den an sich selbst verzweifelnden Philister scherzhaft und ironisch von den Leiden des schlechten Regimentes unterhielten.« Was nicht gesagt werden durfte, das mochte in Stachelversen gesungen, mit stummberedtem Gebärdenspiel angedeutet werden. Schauspieler und Zuhörer kamen einander bei solchen Anspielungen auf halbem Wege entgegen. Und nichts ist begreiflicher, als daß in einem Jahrhundert der schlimmsten und kopflosesten Willkürherrschaft die Kritik des Bestehenden am wirksamsten und lautesten im Schauspielhaus geübt wurde. Bedeutsame Ansätze zu dieser polemischen Beredsamkeit auf dem Theater findet man in Pirons »Deucalion«: die rhetorischen Ergüsse in den Tragödien Voltaires und seiner Leute, selbst die Hohnreden Figaros im »Barbier von Sevilla«, wie im »tollen Tag« überbieten dieses Meisterwerk des Théâtre de la foire kaum an gesundem Menschenverstand, an satirischem Scharfblick. Piron war der größte, doch nicht der einzige, welcher politische Heilslehren auf diesen kleinen, »beschränkten und bedrängten« Theatern zum besten gab. Neben und trotz dem Théâtre de la foire versuchte die Comédie italienne die Menge durch Parodien, Singspiele und Harlekinaden zu gewinnen. Ein vorzeitig geschiedener Bühnendichter, De Lisle, schuf in Arlequin sauvage und in Timon le misanthrope 1721 und 1722 zwei Komödien, die dem Wissenden noch heute durch ihre melancholische Menschenkenntnis, durch die erstaunliche Fülle neuer Motive und Ideen zeigen, daß die Entwicklung der französischen Komödie im 18. Jahrhundert weniger im Théâtre français, als auf Stätten zu suchen ist, die leider bisher noch immer keinen überlegenen Geschichtsschreiber gefunden haben. Vgl. La Harpe, Cours de Litt. XVIII, 328 ff. und Léon Fontaine: Le théâtre et la philosophie au XVIIIe siècle. Paris, Cers, o. J. S. 129 ff.

Denn die damaligen Lustspieldichter der Comédie Française, vielfach Männer von großem Geschmack und Talent Mém. pour servir à l'histoire des spectacles de la Foire, par un acteur forain, Paris, Briasson, 1743. Histoire du théâtre de l'opéra comique, Paris, Lacombe, 1769, 2 Bde. Favart, Mém. et correspondance, Paris, 1808. Vgl. a. die Mémoires von Jean Monnet, Paris, 1772. Die Arbeiten von Bonnassies, Campardon, Heulhard sind fast durchwegs nur Kompilationen., zeichnen sich nicht eben durch Ursprünglichkeit aus. Nach Molière traten zwar zunächst zwei Poeten auf, die sich in das seltene Doppeltalent seiner einzigen Persönlichkeit teilten: Regnard, der Erbe seiner Begabung vorwiegend in der Posse und dem Schwank, einer der lachlustigsten Meister der französischen Literatur, und Lesage, der in seinem » Turcaret« die weitaus bedeutendste Charakterkomödie des 18. Jahrhunderts zustande brachte. Die herbe Wahrheit dieses Sittenstückes behagte den Parisern jener Zeit schlecht. Kabalen der Schauspieler und der stolze Künstlersinn dieses großen Realisten entfremdeten ihn dem Théâtre français: so setzte Lesage seine ganze Kraft an Romane und Jahrmarktspossen, die er unter glücklicheren Verhältnissen zum Heil der französischen Bühne sonst vielleicht ausgiebiger der Komödie gewidmet hätte. Nach dem Rücktritt dieser beiden sollte dem Théâtre français durch zwei Menschenalter kein Lustspieldichter ersten Ranges erstehen Die anmutigste und anregendste Schrift über die Entwicklung des französischen Lustspiels im 18. Jahrhundert ist Jules Lemaîtres Büchlein La comédie après Molière et le Théâtre de Dancourt, Paris, 1882. In einer eindringenden Kritik von Charles Lenients Werk La comédie en France au XVIIIe siècle (Paris, 1888) hat Gustave Lanson beherzigenswerte Winke gegeben: La comédie au XVIIIe siècle (in dem Sammelbande Hommes et livres, Paris, 1895). Vgl. die Bibliographie S. 473–479 in Eugène Lintilhac, Histoire générale du théâtre en France. IV. La comédie. Dix-huitième siècle. Paris (ohne Jahreszahl; das Vorwort ist vom 4. März 1909 datiert).. In der Claviatur Voltaires fehlt eine volle Oktave; der bedeutendste Nationalschriftsteller der Franzosen im vorigen Jahrhundert, der Spötter ohnegleichen, hat zeitlebens nicht ein Lustspiel hervorgebracht, das man – von Molière ganz zu geschweigen – auch nur Corneilles Menteur oder Racines Plaideurs an die Seite stellen könnte. Dancourts flinke, spöttische, nur allzu flüchtige Augenblicksaufnahmen, La Chaussées weinerliche und Marivaux' Boudoirkomödien, technisch und geschichtlich sehr beachtenswert, entfernten sich immer weiter von den großen Vorwürfen, die der Dichter des » Tartuffe« und des » Misanthrope« der französischen Schaubühne gestellt oder vielmehr erobert hatte. Und die namhaftesten Jünger dieses Meisters, Destouches und Gresset, bleiben bei aller Feinheit des Geistes, bei aller Nettigkeit der Ausführung doch nur Größen zweiten Ranges. Überängstlich haftet jener in seinen Gesellschaftsbildern an den Vorurteilen und Liebhabereien einer engbegrenzten Spießbürgerwelt, und allzu gewissenhaft folgt dieser Molièreschen Mustern. Sein » Méchant«, so richtig dieser herzlose, hämische Verleumder aus dem Höflingsschwarm von Versailles herausgeholt ist, erscheint doch nur als das männliche Gegenstück zur Célimène des Misanthrop. Zudem schlägt der lehrhafte Zug in diesen von keiner stofflich interessanten Handlung belebten Komödien allzu stark vor; außer der einen und der andern neuen Hauptfigur begegnen uns immer wieder nur dieselben gleichgültigen Liebespaare, komischen Alten, schwachköpfigen Lustspielväter oder -Onkel. Der Raisonneur der Komödie gleicht aber niemals dem Chorus des Aristophanes, sondern einem schalen philiströsen Moralprediger; auch der Dialog schlägt aus natürlich bewegtem Gespräch mehr und mehr in aufdringliche Spruchweisheit um. Voltaire hatte also recht, immer wieder über den Verfall der Kunst in seinem Jahrhundert zu klagen, wenn er dabei an die Tragödie und die Komödie großen Stiles dachte, aber sein Urteil ging fehl, wenn er auch die Vorboten einer neuen, verheißungsvollen Kunstform, das Aufblühen des Singspiels, abschätzig behandelte. Es war eine harmlose Spielerei, wenn Lesage der Molière des Théâtre de la Foire, Favart der Racine der Opéra comique und Vadé der » Corneille des Halles« genannt wurde: ins Schwarze aber traf Collé, wenn er Panard, dem »Gott des Vaudeville«, nachsagte »Panard ist ohne Widerrede der größte Chansonnier, den Frankreich je besessen; seine Gemälde sind immer wahr und anziehend, ohne sich jemals von dieser köstlichen Einfachheit zu entfernen, die den Reiz des Vaudeville und Chanson ausmacht; viele seiner Verse dürften in ihrer schlichten Natürlichkeit von La Fontaine herrühren und seine Ähnlichkeit mit diesem einzigen Dichter offenbarte sich auch in seinem Wesen und Charakter. Mir galt Panard als einer der letzten Autoren, die in Frankreich Vaudevilles und heitere Chansons zur Geltung bringen; sonst stirbt dieses Genre mehr und mehr ab; Rührseligkeit und Sophistik, Langeweile und Ziererei sollen fortan die alten Lustbarkeiten einer Nation ersetzen, die verderbt und entartet ist; die Wohlanständigkeit aber, die man in unserem Jahrhundert bis zur Pedanterie treibt, beweist meines Erachtens nur die Herrschaft des Lasters.« Immer wieder eiferte Collé gegen die weinerliche Komödie; immer hoffnungsloser schien ihm die Zukunft der echten Komödie, die »nur in Republiken oder unter einem König wie Ludwig XIV. gedeihen kann, der mit fester Hand den Größten und Geringsten seiner Untertanen gleicherweise Achtung gebot«, während unter dem Despotismus Ludwigs XV. der Verfall des Reiches mit dem Verfall der Kunst zugleich fortschreite. Nur in dem Wiederaufleben des angestammten volkstümlichen Frohsinns, in dem naiven, launigen Genre, das La Fontaine und Marot, Chapelle und Rabelais, Molière und Panard als Vollblut-Gallier gepflegt haben, will dieser schöpferisch und kritisch gleich berufene Autor Zeichen des Umschwunges erblicken.

Es war Collé beschieden, die Erfüllung seiner Wünsche zu erleben, und mit neidlosem Enthusiasmus begrüßte er Beaumarchais als Mann der Verheißung. Nicht als Schüler Diderots, sondern als Freund und Liebhaber der Opéra comique, als geborener Vaudevillist gewann unser Held den Beifall der Kenner, das Herz der Menge. Im »Barbier von Sevilla« durchdrang er die entwicklungsbedürftige Form der Panardschen und Favartschen Singspiele mit neuem Geist und Leben: im »tollen Tag« dagegen knüpfte er geradezu an die politischen und sozialen Jahrmarkskomödien Pirons und Delisles an.

Zu verwundern bleibt nur, daß Beaumarchais nicht gleich in seinen ersten dramatischen Versuchen als Autor von Spielopern seine Begabung erprobte; von Jugend auf fühlte sich der leidenschaftliche Musikfreund zum Théâtre de la foire hingezogen; seine Chansons und Paraden fanden weit über den Kreis seiner Bekannten Verbreitung und Beifall; auf Madrider Dilettantenbühnen teilte man ihm nicht umsonst in Annette und Lubin die Liebhaberrolle zu. Er kannte wie kein zweiter die prächtigen Singspiele Favarts und Sedaines, die in den Jahren zwischen 1740–1760 Welterfolge davontrugen, und er übertraf ihre glücklichsten Schöpfungen gleich mit seiner ersten Spieloper, denn so Gefälliges und Dauerndes die Textdichter der Opéra comique auch vor und nach Beaumarchais zustande gebracht haben – die Krone aller musikalischen Lustspiele bleibt doch sein »Barbier von Sevilla«. War es ihm auch nicht beschieden, Figaro als hilfreichen Liebesboten, wie er es gehofft und gewagt, selbst mit siegreichen Melodien zu begaben: das Glück und das Verdienst hat er unbestritten, zeitgenössische und Nachgeborene Tondichter mit dem idealen Textbuch einer opera buffa und eines drama giocoso beschenkt zu haben. Der »Barbier von Sevilla« hat lange vor Rossini seinen Einzug in die Opéra comique gehalten, seine ursprünglich vermeinte Heimstätte, auf welcher er jedoch durch einen merkwürdigen Zwischenfall nicht gleich von Anfang erscheinen durfte.

Der Dichter hatte sein Stück zuerst den Comédiens Italiens vorgelesen, welche das Singspiel kurzweg ablehnten; am Abend desselben Tages fand er sich in heiterster Stimmung bei einer Sängerin der komischen Oper, Mademoiselle Du Mesnil, in Gesellschaft von Marmontel, Sedaine, Rulhières, Chamfort und anderen Theaterfreunden zusammen, denen er sogleich sein unerwartetes Mißgeschick in munterer Weinlaune ( entre deux vins) mitteilte. Die Anwesenden hießen seinen Mißerfolg vor dem sénat comique du scenario jedoch geradezu als Glücksfall willkommen: sie alle waren nämlich der Meinung, daß der »Barbier« im Théâtre français als echte Komödie sich erfolgreich bewähren müsse. Die Hausdichter der Spieloper, Marmontel und Sedaine, gaben zu allgemeinem Ergötzen die eigentlichen Gründe der scheinbar unerklärlichen Zurückweisung zum besten: das hervorragendste Mitglied dieser Bühne, Clairval, dem Beaumarchais seinen »Figaro« zugedacht hatte, war in jungen Jahren Barbiergehilfe gewesen, und nun und nimmer hätte sich dieses Schoßkind der vornehmen Pariser Frauenwelt bereit finden lassen, eine Rolle zu spielen, die irgendwie an seine eigene Vergangenheit erinnern konnte. Die Empfindlichkeit eines Komödianten, der allerdings Gräfinnen und Herzoginnen zu seinen Füßen sah, genoß im Kreise seiner Kameraden aber selbstverständlich mehr Rücksicht, als das runde Meisterwerk unseres Dichters. Clairval allein ist es also zuzuschreiben, daß der »Barbier« nicht sogleich als Opéra comique die Sympathien der Hörer gewann. Variantes du Barbier de Séville. Théâtre complet II, S. 188, Var. XC. Gudin (Oeuvres VII, 229 ff.). Lauzun, Bibl. d. Mém. 37 ff. 41. – In Deutschland wurde der »Barbier von Sevilla« im vorigen Jahrhundert meist als Operette aufgeführt. Vgl. Der Barbier von Sevilla. Leipzig, Dyck, 1784, Vorbericht. Noch in der späteren, für das Théâtre Français bearbeiteten Form hat die Komödie die Eierschalen des Vaudeville nicht völlig abgestreift. Figaros Entrée (1, 2), die Couplets des Grafen (I, 6), das Trinklied Almavivas (II, 13), Rosinens Ariette (III, 4), selbst Bartolos zotiger Gassenhauer zeugen bis zur Stunde für den von Beaumarchais selbst wiederholt, noch in der Buchausgabe nachdrücklich gewahrten Genre des Singspiels ( Théâtre complet II, 116, Note 1). Die Varianten LVIII, LXVIII, insbesondere aber XC sind Einlagen im Stil der echten burlesken Opéra comique. – d'Heylli: Théâtre complet II, XLIII weist auf einige der von Beaumarchais beliebten Entlehnungen und auf ein gleichnamiges Stück aus dem Jahre 1692 hin. In der Histoire du Théâtre de l'Opéra comique finde ich zwei einaktige, nach der Inhaltsangabe zu schließen, sehr wichtige Vaudevilles verzeichnet: La précaution inutile (28. VI. 1735) und Les précautions inutiles (23. VII. 1761). I. c. II, 469. 470. Die Verfasser find Gallet und Richard. – Zu den Quellen des Barbier von Sevilla habe ich 1885 auf Gil-Blas: Histoire du garçon barbier und auf Panards Singspiel Le comte de Belflor hingewiesen, das ich in der ersten Auflage nur nach der Inhaltsangabe in der Histoire du théâtre de l'Opéra comique, Paris, 1769, II. 258 heranziehen konnte. Seither habe ich das Stück in der Pariser National-Bibliothek, Manuscrits, Fonds français 9324, Collection Soleinne 83, No. 1207, p. 79 ff. gefunden. Die Konjekturen Lintilhacs ( Beaumarchais et ses oeuvres, Paris, 1887) über die Wandlungen des Barbier von Sevilla, 221 ff., sind haltlos. Panards »Graf von Belflor« liebt das Mündel Jacinthe des Alcalden von Campo Mayor, Don Bartolomeo Cornuero, der eine frühere Geliebte Marcella (Marcelline?) verlassen und um ihr Vermögen gebracht hat. Verkleidet, wie Almaviva, von seinen Dienern Scapin etc. gefördert, schleicht sich der Graf bei Jacinthe ein, entdeckt sich ihr nach allerhand Irrungen und bewegt sie, sich entführen zu lassen. Der Alcalde, der selbst Jacinthe heiraten wollte, macht Miene zu feindlichen Gegenmaßregeln, allein der Corregidor gebietet ihm Halt und entsetzt ihn wegen seiner Unterschlagungen nicht nur seines Amtes, sondern läßt ihn von den Alguazils abführen. Den Beschluß macht die mit Gesang und Tanz gefeierte Vermählung des Grafen mit Jacinthe. Panards Opéra comique wurde am 17. Juli 1740 zum erstenmal à la foire de St. Laurent gegeben. Sie soll auf ein spanisches Stück zurückgehen, von dem im Mercure de France einzelne Szenen mitgeteilt worden sein sollen. Vgl. unten Anm. zu S. 262.

Nichts ist anspruchsloser, als die Handlung unseres Singspiels, die Figaro in den Schlußsatz zusammenfaßt: »wenn Jugend und Liebe sich verbünden, um einen Alten zu überlisten, so bleibt all seine Gegenwehr nur unnütze Vorsicht.« Aber überraschend wird dies einfache Grundmotiv durch derbkomische Zwischenspiele und sinnreiche Einfälle belebt. Es ist, als ob Beaumarchais, von allen guten Geistern Voltaires geleitet, die Komödie geschrieben hätte, welche der Alte von Ferney seiner Nation schuldig geblieben. Nur ist der Frohsinn Beaumarchais' sorgloser, jugendlicher, natürlicher als die mehr als einmal gemachte, grinsende Laune des greisen Voltaire. Jahre und Jahre, schwere Enttäuschungen und furchtbare Kämpfe mußten über Beaumarchais hingehen, ehe aus dem »Barbier von Sevilla« der Hohnredner und öffentliche Ankläger des »tollen Tages« wurde: bei seinem ersten Auftreten hat Figaro kein soziales Epigramm, sondern ein anakreontisches Liedlein, das Lob von Wein und Trägheit, auf den Lippen. Er begegnet dem Grafen von Almaviva unter den Fenstern Rosinens so von ungefähr, wie sein Urbild, der stets vergnügte, gitarrespielende Barbiergehilfe Diego auf der Wanderschaft dem Gil-Blas in den Weg läuft. Auch ist der behende, anschlägige Bursche, allem Selbstlob zum Trotz, mehr der Zungenheld als der eigentliche Maschinist unseres Stückes. Rosine in ihrer Verlassenheit, der Tyrannei und Liebeswerbung eines verhaßten Vormundes preisgegeben, braucht Selbsthilfe. Sie bedarf nicht erst der Winke Figaros, um Lindor zu schreiben, Botschaft zu singen und zu bringen, der Argwohn und die Quälereien Bartolos werden die eigentlichen Lehrmeister der lieben Unschuld. Auf geradem Weg darf sich Jugend zu Jugend und Liebe zu Liebe nicht finden, sie werden einander auf listig betretenen Schleichwegen begegnen und zu allen Wonnen beglückender und beglückter Hingebung noch die Freude erleben, einen überschlauen Peiniger zum besten zu haben. Nicht der Barbier von Sevilla, sondern das hilflose Mündel Bartolos steht im Mittelpunkt der Handlung; nicht Figaro, sondern Rosine rührt uns bei Beaumarchais, wie bei Rossini im Innersten. Nur ein großer Kenner des Frauenherzens hat diese echt romanische Mädchengestalt vergegenwärtigen, nur ein meisterhafter Beobachter des wirklichen Lebens seine Männercharaktere so bestimmt scheiden können. Der leicht entzündliche, ritterliche Almaviva ist in sparsamen, sicheren Umrißlinien wahrhaftig dargestellt; der Schimmer der Jugend und Schönheit umleuchtet ihn, ohne daß es erst idealisierender Züge bedürfte, sein gewinnendes Wesen glaubhaft zu machen: er tritt auf und es ist selbstverständlich, daß ihm Rosinens Herz wie durch ein Naturgesetz zufällt. Die schlauen Bösewichter, Bartolo und Basilio, sind als lustige Personen mit kräftiger Hand mitten inne gestellt zwischen die Masken der Stegreifkomödie und die betrogenen Betrüger des Charakterlustspiels. Figaro selbst endlich gibt ein frisches Selbstporträt des Beaumarchais jener Tage, wie späterhin der Kammerdiener im »tollen Tag« der kaum verhüllte Doppelgänger des mit seinen Erfolgen und Erfahrungen wachsenden, ewig intrigierenden und räsonierenden Autors sein wird. Der Charakteristik würdig ist die Technik; der Minenkrieg Rosinens, Almavivas und Figaros führt nach den muntersten Zwischenspielen zu vollem Sieg: die Verkleidungsszenen Almavivas sind, wenngleich von Molière, Regnard und Panard entlehnt, mit Glück und Geschick neubelebt; die Episoden des nießenden und gähnenden Dieners bringen derbkomische Züge im Geschmacke der Farce und Opéra comique in willkommenen Gegensatz zu dem rührenden Liebeszwist der sich verraten wähnenden Rosine; ein voller, von Künstlern, Kritikern und Zuschauern stets neu gepriesener Treffer ist die Szene des verblüfften, von allen buchstäblich heimgeschickten Basilio im dritten Akt mit dem sprichwörtlich gewordenen: Qui trompe-t-on-ici? Tout le monde est dans le secret. Am wenigsten einverstanden mag man sich mit der Leichtgläubigkeit Rosinens und der jähen, überhasteten Lösung im letzten Akt erklären: es wird sich jedoch noch zeigen, daß die schicksalreiche Komödie nach dem Mißerfolg der ersten Aufführung aus fünf in vier Akte zusammengezogen wurde. Von den Mitgliedern des Théâtre fraiçais wurde der »Barbier von Sevilla« nach dessen Vorlesung durch den Verfasser am 3. Januar 1773 schon in seiner ursprünglichen Fassung mit Enthusiasmus aufgenommen und zur sofortigen Darstellung für die Faschingstage vorbereitet. All das erwies sich aber, wie der anfängliche Titel des Lustspiels, als précaution inutile, da mit einem Male durch eine Reihe von tragikomischen Erlebnissen Beaumarchais' die Aufführung des Stückes um ein paar Jahre hinausgeschoben wurde.

Ein galantes Abenteuer unseres Helden führte ihn, nach einem (seinerseits unverschuldeten) pöbelhaften Faustkampf mit einem Duc und Pair, in das Staatsgefängnis und das just in der kritischen Zeit, in welcher sein Rechtsstreit mit La Blache in zweiter Instanz entschieden werden sollte. Beaumarchais war nämlich in freundschaftliche Beziehungen zu dem Herzog v. Chaulnes getreten, dem Sohne eines ebenso gelehrten als ehrenwerten Vaters und einer ebenso hochgeborenen als skandalsüchtigen Mutter; von ihr mag der exzentrische Duc das redselige Blut und den maßlosen Jähzorn geerbt haben, vom Vater ein Stück seiner wissenschaftlichen Liebhabereien, die er übrigens gleichfalls sinnlos genug betrieb. So vergiftete er sich einmal fast mit Kohlendampf, seinem verkehrten Forschungseifer zulieb, und Gudin sagt gewiß nicht zuviel, wenn er ihn als wunderliches Gemisch von Geist und Kopflosigkeit, Wißbegier und Roheit, Vertrauensseligkeit und Raserei schildert, als einen halben Narren, der mit Zärtlichkeiten so unversehens zur Stelle war wie mit Gewalttätigkeiten, bei welchen er wie ein trunkener Wilder um sich schlug. Im Laufe einer mehrjährigen Bekanntschaft ließ er sich von Beaumarchais namhafte Darlehen verschaffen. Da er überdies Gefallen an dem allzeit aufgeräumten Gesellschafter fand, zog er ihn als Tischgenossen in den Kreis seiner erklärten Maitresse, einer Mademoiselle Mesnard, Sängerin der Opéra comique – vielleicht haben die beiden Pariser Kinder hier nur alte Beziehungen aufgefrischt, denn die Schöne des Herzogs hatte sich in jungen Tagen als Blumenmädchen auf den Boulevards herumgetrieben. Sicher ist, daß sie trotz der Freigebigkeit Chaulnes' Senac de Meilhan, Portraits et caractères, La Duchesse de Chaulnes (Paris, Dentu, 1813, S. 7 ff. 92). – Goncourt, Portraits intimes. Charpentier, 1878, S. 197 ff. – Grimm, Corr. litt. – Fleury, Mémoires: bekanntlich nur eine – übrigens geschickte – Kompilation. (Bruxelles, 1835.), der auch ihr Töchterchen als das seinige anerkannte, von dessen Heftigkeit sich ebenso abgestoßen wie zu Beaumarchais hingezogen fühlte. Der Herzog hatte guten Grund, sich von den beiden für verraten zu halten; auch verdroß es ihn, daß Beaumarchais ihn wiederholt zum Stichblatt seiner Sarkasmen machte, gleichwohl war die Art und Weise, wie er es unternahm, den ihm vermeintlich angetanen Schimpf zu rächen, eines Irrsinnigen würdiger als eines Kavaliers.

Die Mesnard hatte nach den ersten Eifersuchtsszenen des Herzogs Beaumarchais gebeten, ihr Haus zu meiden. Das hielt er auch so durch einige Monate. Mittlerweile benahm sich Chaulnes aber so unleidlich gegen seine Geliebte, daß sie mit ihm brach und sich für eine Weile in das behagliche Asyl der bedrängten Frauenwelt, das Kloster, dazumal eine Art von geistlicher Pension, zurückzog. Nach einer kurzen Respektzeit kehrte sie in ihr Heim zurück und lud Beaumarchais wieder zu sich ein; der verständigte den Herzog in einem seiner merkwürdigsten Briefe von diesen Vorgängen und Absichten. Niemals hat ein siegreicher Galan seinem Nebenbuhler lebhafter und impertinenter zugleich den Text gelesen: »Madame Mesnard zeigt mir an, daß sie frei ist. Ach, Herr Herzog, ein so großmütiges Herz erhält man sich durch Drohungen sowenig wie durch Schläge oder Geld … Verzeihung, wenn ich mir solche Betrachtungen erlaube. Sowie ich von Madame Mesnard spreche, vergesse ich, daß ich nach Zuvorkommenheiten aller Art in Ihrem und meinem Hause von Ihnen auf das liebevollste begrüßt, gehätschelt und umarmt wurde; ich vergesse, daß Sie mit einem Male Ihr Benehmen und Ihre Reden ohne jeden Anlaß geändert haben. Ich will auch den für Sie entsetzlichen, zwischen Männern geradezu widerlichen Auftritt mit Stillschweigen übergehen, bei dem Sie sich bis zu dem Vorwurf verirrten, daß ich der Sohn eines Uhrmachers sei. Da ich mich nun meiner Angehörigen selbst angesichts derjenigen berühme, welche sich für berechtigt halten, die ihrigen zu beleidigen« – Chaulnes beschimpfte in einem skandalösen Erbschaftsprozeß seine Mutter in gedruckten Schriftsätzen – »sehen Sie wohl ein, Herr Herzog, wessen Stellung in diesem Augenblick die vorteilhaftere war.« Gudin, Hist, de Beaumarchais. – Oeuvres, VI. A Nos seigneurs les maréchaux de France. 250–259.

Der hofmeisternde Ton dieser gewundenen Perioden hätte gelassene Philosophen aufbringen müssen, beim Herzog von Chaulnes rief er einen Anfall von Tobsucht hervor. Gudin besuchte am 11. Februar 1773 Madame Mesnard gegen 11 Uhr morgens und setzte sich auf einen Fauteuil neben ihr Bett. Sie zerfloß in Tränen und erzählte ihm, wie schwer sie unter der Brutalität Chaulnes' dulde; dann kam sie auf seine Ausfälle gegen Beaumarchais zu sprechen. In diesem Augenblick trat der Herzog ein; Gudin erhob sich, grüßte und trat ihm seinen Platz am Bette ab. »Ich weine«, meinte die Mesnard, »und bitte Herrn Gudin, er möge Beaumarchais auffordern, sich von den lächerlichen Anwürfen zu reinigen, die man gegen ihn erhoben.« – »Sie lieben ihn«, rief der Herzog mit erhobener Stimme. »Ich erkläre Ihnen, daß ich mich auf der Stelle mit ihm schlagen werde.« Gudin tröstete die bestürzten Frauen, die Mesnard, ihr Töchterchen und eine Freundin mit den Worten: »Ich eile zu Beaumarchais, um diesen Zweikampf zu verhindern.« Auf dem Weg in die rue Condé begegnete er der Karosse Beaumarchais': »der Herzog sucht Sie, um sich mit Ihnen zu schlagen. Kommen Sie sofort zu mir, um alles Nähere zu hören.« »Unmöglich! ich muß auf das Jägermeisteramt zur Gerichtssitzung; sobald die zu Ende ist, will ich bei Ihnen vorsprechen.« »Er wird Sie töten.« »Ah bah! er wird höchstens seine Flöhe umbringen.« Mit diesem Kraftwort fährt Beaumarchais weiter: Gudin schaut der Kutsche eine Weile nach, dann tritt er den Heimweg an. Als er die Stufen zum Pont-Neuf hinansteigt, fühlt er sich unversehens an den Rockschößen festgehalten, und fällt rücklings in die Arme des Duc de Chaulnes, der sein Opfer wie einen erbeuteten Vogel aufhebt und trotz seines Widerstandes in den Fiaker wirft, aus dem er ausgestiegen. »Mit welchem Recht, Herr Herzog, wagen Sie, der unaufhörlich von Freiheit spricht, die meinige anzutasten?« »Mit dem Recht des Stärkeren. Sie werden mir Beaumarchais zur Stelle schaffen und wenn ich ihm erst den Degen in den Leib gerannt und das Herz mit den Zähnen ausgerissen haben werde, mag diese Mesnard zusehen, was aus ihr wird. Wenn Sie sich mir widersetzen, werde ich Ihnen eine Ohrfeige geben.« »Die werde ich Ihnen zurückgeben.« »Eine Ohrfeige – mir?« Mit diesem Ausruf stürzte sich der Herzog auf Gudin. Der Brave trug jedoch eine Perücke, die dem Tollwütigen in der Hand blieb. Dadurch wurde die Szene für die sich neugierig herandrängende, laut auflachende Menge immer komischer; der Herzog hörte und sah von alledem nichts, faßte Gudin an der Gurgel und zerkratzte ihm Hals, Kinn und Ohren. Gudin wehrte sich, so gut es anging, und schrie aus Leibeskräften nach der Wache; daraufhin mäßigte sich der Herzog, der ihn nötigte, nach Beaumarchais' Wohnung, Rue Condé, mitzufahren. Der Ärmste brachte mühsam seine Perücke in Ordnung, dann sprang er in demselben Augenblick, in dem der Duc de Chaulnes den Fiaker verließ, um an Beaumarchais' Haustür zu klopfen, aus dem Wagen und machte sich hurtig davon. Die Diener Beaumarchais' sagten Chaulnes arglos, daß ihr Herr im Louvre Sitzung halte. Alles übrige wird uns der Dichter und Richter selbst erzählen:

»Ich hatte die Tagsatzung der Jagdhauptmannschaft gerade eröffnet, als ich den Herzog, höchst verstört, eintreten sah; gleich in der Tür ruft er mir laut entgegen, er habe mir etwas Dringendes mitzuteilen und das so eilig, daß ich den Saal sofort verlassen müsse. »Unmöglich, Herr Herzog! Die Pflicht gegen die Parteien nötigt mich, die begonnenen Geschäfte geziemend zu Ende zu bringen.« Sein Aussehen erregt dasselbe Erstaunen wie sein Ton. Ich besorge, daß man sein Vorhaben errät und hebe die Sitzung für ein paar Minuten auf, um mit ihm in ein Nebenzimmer zu gehen; hier eröffnet er mir im unverfälschten Marktweiberton, daß er mich auf der Stelle töten, mein Herz zerfleischen und mein Blut, nach dem ihn dürste, trinken wolle. »Sonst nichts, Herr Herzog? Dann mit Verlaub, zuerst das Geschäft und hernach das Vergnügen!« Als ich fortgehen will, hält er mich zurück mit der Drohung, er werde mir vor aller Welt die Augen ausreißen, wenn ich ihm nicht sofort folge. »Sie sind verloren, Herr Herzog, wenn Sie töricht genug sind, das zu wagen.« Damit kehre ich ruhig in den Gerichtssaal zurück. Während der zweistündigen Verhandlung setze ich der herausfordernden, verrückten Manier, in der er auf- und abging, die Sitzung störte und alle Leute fragte: »währt's noch lange?« die größte Kaltblütigkeit entgegen. (In so gedeckter Stellung war das allerdings nicht schwierig.) Er zieht meinen Beisitzer zur Seite und sagt ihm, er erwarte mich, um sich mit mir zu schlagen. Nach Schluß der Verhandlung kleide ich mich um und steige im Straßenanzug die Treppe mit Herrn v. Chaulnes hinab, den ich nach seinen Wünschen und Beschwerden frage einem Manne gegenüber, den er seit sechs Monaten nicht gesehen. »Keine Auseinandersetzungen! schlagen wir uns sofort oder ich mache einen öffentlichen Skandal.« »Dann werden Sie mir wenigstens erlauben, zu Hause einen Säbel zu holen. Ich habe in meinem Wagen nur einen Trauerdegen, und Sie werden offenbar nicht verlangen, daß ich mich damit gegen Sie verteidige.« »Wir werden beim Grafen Turpin vorbeifahren, der Ihnen Waffen leihen und uns zugleich als Zeuge dienen wird.« Damit springt er vor mir in meine Kutsche, ich steige nach ihm ein, sein Wagen folgt uns. Meine gleichmütigen Antworten steigern nur seine ohnmächtige Wut. Er droht mir in meiner Karosse mit geballter Faust; ich mache ihm begreiflich, daß ich meinen Degen nicht holen werde, um mich vorher wie ein Lastträger zu prügeln. Wir kommen beim Grafen Turpin an, der eben ausgehen will. Mr. de Chaulnes will mich bewegen, die Zeit bis vier Uhr in seiner Wohnung zu verbringen. »Das wird gewiß nicht geschehen, Herr Herzog.« Zugleich befehle ich dem Kutscher, mich nach meiner Wohnung zu fahren. »Wenn Sie dort absteigen,« sagt Chaulnes, »erdolche ich Sie bei Ihrer Tür.« »Das Vergnügen sei Ihnen unbenommen: denn ich gehe nirgend sonstwo hin, um die Stunde abzuwarten, die mir Ihre wahren Absichten offenbaren soll.« Diese Äußerung gibt neuen Anlaß zu den gröbsten Beschimpfungen. »Halt, Herr Herzog, wenn man einen Zweikampf vorhat, macht man nicht soviel Worte. Kommen Sie zu mir herein. Ich will ihnen ein Diner geben lassen, und wenn Sie mich hernach noch immer vor die Wahl stellen, mich mit Ihnen zu schlagen oder mir das Gesicht zerkratzen zu lassen, mag das Los der Waffen entscheiden.« Die Karosse hält vor meiner Tür: er folgt mir und nimmt scheinbar meine Einladung an. Ich treffe ruhig die nötigen Anordnungen (für das Diner?). Ich stelle ihm vor, daß mein Haus eine gastliche Freistatt sei, die ich gewiß zum wenigsten verletzen würde, sofern er mich durch Ausschreitungen dazu nicht zwingen würde. Ich will mich in ein Gespräch über seine Narretei einlassen, mich um jeden Preis töten zu wollen. Er wirft sich auf meinen Trauerdegen, den man auf meinen Schreibtisch gelegt hat und sagt mir zähnefletschend wie ein Tobsüchtiger, ich würde mich desselben nicht mehr lange bedienen. Damit zieht er vom Leder und will sich auf mich stürzen. »Elender Feigling!« ruf ich nun und fasse ihn um den Leib, damit ich außer Stichweite komme; zugleich will ich ihn bis zum Kamin drängen, um dort zu läuten. Er aber drückt mir mit der einen freien Hand fünf Fingernägel dicht unter den Augen ein und zerkratzt mir das Gesicht, das sofort von Blut überströmt. Es gelingt mir, die Glockenschnur zu erreichen, während ich ihn festhalte; meine Leute eilen herbei. »Entwaffnet diesen Wütenden!« Mein Koch, ebenso roh und handfest wie der Herzog, will ein Scheit Holz nehmen, um ihn niederzuschlagen. Infolge des Schmerzes lasse ich seinen Leib los, den ich bisher umfangen gehalten und versetze ihm mit voller Wucht einen gewaltigen Faustschlag. »Nichtswürdiger!« sagt er zu mir. »Du schlägst einen Pair und Herzog?« Ich bekenne, daß eine in diesem Augenblick so extravagante Äußerung mich zu jeder andern Zeit zum Lachen gebracht hätte. Da er jedoch stärker ist als ich und mich bei der Gurgel faßte, mußte ich zunächst an meine Verteidigung denken. Rock und Hemd werden mir zerrissen, mein Gesicht blutet von neuem. Mein Vater, ein fünfundsiebzigjähriger Greis, will sich ins Mittel legen, doch auch er bekommt sein Teil von den hausknechtartigen Wutausbrüchen des Duc und Pair ab. Meine Diener wollen uns voneinander losbringen, aber ich selbst hatte alle Mäßigung verloren und die Hiebe fielen von beiden Seiten. Endlich kommen wir an den Rand der Stiege, wo der Stier niederfällt, über meinen Domestiken purzelt und mich mit sich hinabreißt. Infolge des Lärms, den er macht, rotten sich die Leute auf der Straße zusammen; eine Frau« – wohl Schwester Julie – »schreit aus dem Fenster, daß man den Hausherrn umbringt. Er dringt auf mich ein, um mich zu erstechen. Acht Personen werfen sich auf ihn; man entwaffnet ihn; er verletzt meinen Lakaien am Kopf, meinem Kutscher wird die Nase zerschlagen, meinem Koch die Hand zerstochen. »Nichtswürdiger Feigling!« ruf ich aus. »Schon zum zweiten Male stürmt er auf mich ein, der keine Waffe hat.« Er läuft in die Küche, um ein Messer zu suchen; man folgt ihm und bringt alle lebensgefährlichen Gerätschaften in Sicherheit. Da ich mich anschicke, wieder hinabzusteigen, höre ich von einem Stücklein, das mir beweist, daß dieser Mensch vollends toll geworden: sowie er mich nicht mehr sah, war er in das Speisezimmer eingetreten, hatte da ganz allein am Tische Platz genommen, eine große Schüssel voll Suppe und ein paar Cotelettes gegessen, dazu auch zwei Flaschen Wasser ausgetrunken. Nun hört er wiederum klopfen, läuft an die Tür, um zu öffnen, und erblickt den Polizeikommissär Chenu, der, überrascht von der entsetzlichen Bestürzung meiner Leute und am meisten betroffen durch meinen Anblick, fragt, um was es sich eigentlich handle? »Es handelt sich um einen feigen Rasenden, der hier in der Absicht eintrat, mit mir zu Mittag zu essen, sowie er aber den Fuß in mein Zimmer setzte, mir an den Leib rückte und mich zuerst mit meinem, hernach mit seinem Degen töten wollte. Sie sehen wohl, daß ich ihn mit Hilfe meiner Leute leicht hätte in Stücke hauen können; doch habe ich an mich gehalten und, abgesehen von hundert Faustschlägen, womit ich die Unbilden heimgab, die er meinem Gesicht und Haar angetan, verboten, ihm ein Leids zuzufügen.« Nach einem weiteren Wortwechsel »stürzt sich mein Wahnwitziger, der es im Boxen mit jedem englischen Matrosen aufnimmt, auf mich. Herr Chenu bittet mich, in meinem Salon zu bleiben und führt den Herzog, der die Spiegel zerschlagen wollte, mit sich fort. In diesem Augenblick kommt mein Lakai mit dem neuen Säbel zurück; ich nehme den Degen und sage dem Kommissär: »Mein Herr! Ich hatte nicht die Absicht eines Zweikampfes und werde sie niemals haben. Doch werde ich, ohne die Herausforderung dieses Menschen zu berücksichtigen, fortan nur mit diesem Degen ausgehen. Sollte er mich insultieren wollen, dann schwöre ich, daß ich die Welt von ihm befreien werde, der sie durch seine Feigheit entehrt.« Da meine Waffe gehörige Achtung gebot, zog er sich in mein Schlafzimmer zurück. Dort fand ihn Herr Chenu, erstaunt und erschreckt, damit beschäftigt, sich selbst zu ohrfeigen und das Haar gleich büschelweise auszuraufen, aus Wut darüber, daß er mich nicht umbringen konnte. Herr Chenu brachte ihn endlich dazu, nach Hause zu gehen.

Beaumarchais sollte bald sehen, daß dieses vermeintlich »seltsamste und ekligste Abenteuer« nur ein unbedeutendes Vorspiel war im Vergleich mit den grotesken Erlebnissen der nächsten Wochen und Monate. Fürs erste nahm er die Sache ungemein leicht und lustig auf. Am Abend dieses ereignisreichen Tages – man muß es zweimal lesen, um es zu glauben – begibt er sich zu einem seiner ältesten Freunde, um seinen »Barbier von Sevilla« vorzulesen. Er ist vergnügter denn je und entzückt alle Anwesenden durch den Humor, mit dem er seine Komödie vorträgt, und durch das meisterhafte Harfenspiel, mit dem er die flott gesungenen, eingestreuten spanischen Volkslieder begleitet. Am nächsten Morgen bringt ihm sein Vater, in dem sich der alte Soldat rührte, seinen Leibdegen, mit dem er selbst all seine Händel ausgefochten. Allein die Wehr erwies sich ebenso überflüssig, wie der Zweikampf. Der Vorfall war dem Polizeileutnant Sartines durch den Kommissär Chenu zu Ohren gekommen; er beschied Gudin zu sich, der selbstverständlich zugunsten Beaumarchais' aussagte und dabei den Eindruck erhielt, daß der Polizeigewaltige nicht sonderlich für den Herzog schwärmt, der übrigens als Duc und Pair seinem Ruf nicht Folge leisten wolle. Drei Tage nachher erblickt Chaulnes Gudin im Amphitheater der Comédie Française, geht auf ihn zu und fordert ihn auf, ihm in das Foyer zu folgen; dort erklärt er ihm, er werde Beaumarchais totschlagen, wo immer er ihn träfe. Gudin bestellt die Botschaft sofort brieflich an seinen Freund und benachrichtigt Sartines von diesem neuen Torenstreich, dessen sich der Herzog unermüdlich in allen Theaterfoyers, die dazumal die Stelle des Sprechsaales unserer Tageblätter vertraten, berühmt.

Am nächsten Morgen findet sich ein Gardist der königlichen maréchaussée bei Beaumarchais ein, um ihm namens des Königs oder vielmehr des Ministers Duc de La Brillière aufzutragen, er möge sich für einige Zeit auf das Land zurückziehen. Beaumarchais weist das Ansinnen zurück, da ihn die Ausführung dieses Befehles als ehrlosen Feigling erscheinen lassen würde. Der Minister legt ihm zur Strafe seiner Weigerung für einige Tage Hausarrest auf. Bald nachher laden ihn die Marschälle von Frankreich vor ihr Ehrengericht. Er antwortet dem Offizier, der ihn vor dieses Forum fordert, daß er kraft königlichen Befehls das Haus nicht verlassen dürfe. Der Offizier erklärt, daß die Marschälle seine Haft zeitweilig aufgehoben und die Verantwortung auf sich genommen hätten, ihn vor ihren Richterstuhl zu rufen. Beaumarchais gehorcht nun, bringt seine Rechtfertigung an und kehrt in sein Haus zurück. Mercier, Tableau de Paris (Ed. Desnoireterres, Paris, 1873). CVIII: Tribunal des maréchaux de France. »Aus der Geschichte erfährt man, daß sie eine souveraine inappellable Gerichtsbarkeit über Krieger und Adelige besaßen. Späterhin befaßten sie sich wesentlich mit Duellangelegenheiten. Der Doyen (Herzog von Richelieu) führt im Wappen rechts einen blanken Degen, links einen lilienübersäten Azurstab, von verschlungenen Händen gehalten.«

Der Herzog von Chaulnes erscheint vor demselben Ausnahmsgericht für Ehrenhändel und bestätigt in seinen Angaben, von persönlichen Verdächtigungen des Gegners abgesehen, im wesentlichen dessen Aussage. Er gibt zu, daß er sich in die Wohnung Beaumarchais' begeben, um – daselbst zu Mittag zu essen. Dort sei er beleidigt und tätlich insultiert worden; seither habe Beaumarchais den Vorfall in einer für Chaulnes so ehrenrührigen Weise entstellt, daß der Herzog allerorts erklärt habe, er werde dem Manne, dessen Ruf nichts weniger als tadellos und der just wegen Urkundenfälschung in Untersuchung sei, nur die einem Plebejer gebührende Züchtigung angedeihen lassen. Die Marschälle hören nicht weiter auf diese Angebereien, sondern lassen dem Herzog von Chaulnes wohlverdiente Festungshaft in Vincennes zuteil werden. Auf Beaumarchais' Bitte, auch ihm Recht widerfahren zu lassen, erklären sie ihn für straflos und frei. Trotz dieses Erkenntnisses begibt sich Beaumarchais nochmals zum Herzog de La Vrillière, um von ihm zu erfahren, ob er wirklich jeder Haft ledig sei. Zufälligerweise trifft er den Minister jedoch nicht, als er sich bei ihm melden läßt. Er fragt deshalb beim Polizeileutnant an, der ihm bestimmt erklärt, er sei vollkommen frei und könne unbesorgt seinen Geschäften nachgehen. Nichts natürlicher, als daß Beaumarchais von dieser Erlaubnis nun wirklich Gebrauch macht. Allein er so wenig wie seine Gewährsmänner haben mit der Engherzigkeit La Vrillières gerechnet. Der boshafte und beschränkte Höfling sieht den Spruch der Marschälle als Eingriff in seine Machtvollkommenheit an. Und da es ihm nicht möglich ist, diese erlauchten Richter seinen Zorn fühlen zu lassen, bestraft er Beaumarchais im Namen des Königs (der von dem ganzen Zwischenfall vermutlich nicht das mindeste weiß) für den Frevel, seine Haft gebrochen zu haben. Er läßt ihn (26. Februar 1773) in das Fort L'Évêque abführen, von wo aus Beaumarchais – und das aus derselben Zelle, in der einstmals die berühmte Tragödin Clairon gefangen gehalten wurde – an seinen getreuen Gudin den folgenden halb launigen, halb entrüsteten Brief richtet:

»Kraft eines ungesiegelten Briefes, der deshalb den Namen Siegelbrief ( lettre de cachet) führt, der von Louis gefertigt, von Phelippeaux gegengefertigt, Bachot zur Vollstreckung und Beaumarchais zur Erleidung aufgetragen wurde, bin ich seit heute morgen im Fort L'Évêque in einem ungeheizten Zimmer gegen eine Miete von 2160 Livres mit der tröstlichen Versicherung einquartiert, daß mir mit Ausnahme des Notwendigen nichts abgehen soll. Hat mich die Familie des Herzogs, dem ich einen Strafprozeß ersparte, gefangen setzen lassen? Oder der Minister, dessen Befehlen ich stets gefolgt, wo nicht gar zuvorgekommen bin? Oder die Herzoge und Pairs, mit denen ich nie etwas zu schaffen hatte? Ich weiß es nicht; doch es ist um den Namen des Königs eine so schöne Sache, daß man ihn nicht oft genug vervielfältigen und zweckmäßig anbringen kann. Also quält man in jedem wohlregierten Lande von Amts wegen diejenigen, welche man von Rechts wegen nicht beschädigen kann. Allüberall, wo es Menschen gibt, tragen sich widerwärtige Dinge zu, und das große Unrecht, recht zu haben, ist stets ein Verbrechen in den Augen der Macht, die unablässig strafen und niemals richten will.«

Der witzige Lebemann, der im Eingang dieser Zeilen zu Wort kommt, schließt unversehens als Frondeur mit Klagen über despotische Vergewaltigung: zum erstenmal läßt Beaumarchais hier einem vertrauten Freund gegenüber Töne anklingen, die er alsbald in gedruckten Streitschriften zum Entzücken seiner Landsleute, nur macht- und wirkungsvoller, als vollendeter Meister anschlagen wird. Was also zuerst als absichtsloser Gefühlserguß zum Durchbruch kommt, wird wenige Monate später, künstlerisch wohl vorbereitet und auf den Effekt berechnet, die Stimmung der Nation wunderbar richtig treffen und mit tausend Zungen »Begeisterungshaß« wider ererbte Mißstände, wider eine feile Justiz und ein Bastardparlament predigen.

8. Beaumarchais vor dem Parlament Maupeou

Flammermont, Le chancelier Maupeou et les parlements. Paris, Picard, 1884, S. 286.

On se demandera avec étonnement, comment
un pareil procès a pu exister dans le dix-huitième
siècle; par quel genuit infernal et quel
enchaînement diabolique un legs universel de
quinze cent mille francs a engendré l'odieux
procès des quinze mille francs, lequel a enfanté
l'absurde procès des quinze louis, lequel a produit
le fameux arrèt de mon blâme, lequel a
fait blâmer etc. etc. etc.

Beaumarchais: Réponse au mémoire
signifié du Comte de La Blache.

Der Herzog von La Vrillière hatte Beaumarchais zunächst nur für eine Woche »in ein luftiges, mit festen Jalousien versehenes, wohlversperrtes, sparsam eingerichtetes, gegen Diebe jedoch trefflich gesichertes Gelaß, in dem mitten in Paris am Seineufer anmutig gelegenen Forum Episcopi« beschieden. La Blache aber verstand es durch ebenso dunkle, wie mächtige Einflüsse diese acht Tage in beiläufig ebensoviele Wochen umzuwandeln. Der Prozeß gegen den Universalerben Duverneys war gerade spruchreif geworden und nichts konnte La Blache willkommener sein, als Beaumarchais festgebannt zu wissen, während er, nach dem Brauch der Zeit, seine Richter Mann für Mann aufsuchte und bei der Stimmenwerbung für die eigene Sache von der Persönlichkeit seines Widersachers unterhielt. Viel Schlimmes brauchte er ihm nicht erst nachzusagen: die öffentliche Meinung erklärte ihn für einen skandalsüchtigen, wo nicht gar verbrecherischen Streber und was die Verleumdung anderer etwa noch übrig gelassen, das verdarb vollends der Zwischenfall mit Chaulnes. Wollte Beaumarchais aber seinen Rechtsstreit gewinnen, so galt es vor allem, die vorgefaßte, üble Meinung seiner Richter umzustimmen. Je länger seine Haft währte, desto besorgter wurden seine Freunde. Gudin hielt es nicht für ausgeschlossen, daß Beaumarchais zeitlebens in einem château d'oubli festgehalten, bestenfalls dazu begnadigt werde, in England als Verbannter zu sterben. So trübe Gedanken stiegen jedoch unserem Helden überhaupt nicht auf. Anfangs nahm er den unbequemen Arrest mit philosophischem Gleichmut auf: »Hätte ich die Gicht in einem Bein bekommen, so würde ich ohne zu murren in meinem Zimmer, an einen Fauteuil gefesselt, bleiben müssen: ein Befehl des Ministers kommt zum mindesten einem Anfall von Podagra gleich, und der erste Trost in allen Leiden ist, sich der Notwendigkeit zu beugen.« Diese Selbstbescheidung hielt freilich nicht lange vor. Je näher die Urteilsfällung rückte, desto dringender bestürmte Beaumarchais den Polizeileutnant, sowie den Herzog de La Vrillière und das Gericht der Marschälle etc. mit ungezählten Briefen, Bitt- und Denkschriften. Seine Freunde, allen voran Madame Mesnard, legen ihr Fürwort ein; diese Bemühungen aber werden an der schroffen Abweisung La Vrillières zuschanden, dem Beaumarchais' Eingaben zu trotzig und selbstbewußt erschienen. So bleibt dem Gefangenen nichts übrig, als diesen erbärmlichen Gesellen um Gnade anzuflehen. Nachdem er demütige Abbitte geleistet, erlaubt man ihm, täglich, jedoch nur zu dem Zweck, um Audienzen bei seinen Richtern zu nehmen, das Gefängnis für ein paar Stunden zu verlassen, aber wohlgemerkt: er darf keinen Schritt allein, sondern stets nur im Geleite eines beeidigten Wächters, eines Sieur Santerre, gehen und seine Mahlzeiten, sowie sein Nachtlager immer nur im Fort L'Évêque nehmen. In der letzten Märzwoche benützt er die ihm so sparsam zugemessenen Augenblicke dazu, allen Beisitzern des Parlamentsgerichtes seine Aufwartung zu machen; einflußreiche Räte sucht er wohl auch drei- bis viermal heim. Plötzlich hört er, daß der Generaladvokat die Abweisung seiner Ansprüche beantragt hat und daß am 1. April zum Berichterstatter in seinem Rechtsstreit der Parlamentsrat Goezmann bestellt wurde.

Diese Persönlichkeit wird nun begreiflicherweise von der höchsten Bedeutung für ihn und seine Sache. Er hat diesen Richter zuvor wohl schon flüchtig einmal in der Amtsstube eines anderen Rates getroffen; er hat ihm, jedesmal vergebens am 23., 26. und 27. März, auch in seiner Privatwohnung Besuch abstatten wollen. Allein damals hatte Goezmann nur eine Stimme unter vielen abzugeben, jetzt aber ist er der entscheidende Stimmführer geworden; deshalb muß unser Held alles daran setzen, ihm vor der Urteilsschöpfung den Sachverhalt in seiner Weise mündlich auseinanderzusetzen. Noch am 1. April stellt sich Beaumarchais in Goezmanns Wohnung ein und das nicht etwa einmal, sondern dreimal. Da er den Parlamentsrat nicht zu Gesicht bekommen kann, läßt er jedesmal bei der Türhüterin ein Billett des Wortlautes zurück: »Beaumarchais bittet, ihm die Gunst einer Audienz zu gewähren und beim Portier die entsprechenden Weisungen für Tag und Stunde zurückzulassen.« Am 2. April begibt er sich wiederum zu Goezmann, mit derselben Beharrlichkeit wiederum dreimal, und regelmäßig erhält er den Bescheid, Goezmann sei ausgegangen. Beaumarchais' Begleiter, der Wächter Santerre, sieht aber, wie der Parlamentsrat die Fenstervorhänge seines Arbeitszimmers zurückschlägt und durch die Glasscheiben auf den Quai, die Kutsche und die Audienzwerber hinabschaut. Sechsmal in zwei Tagen hat also unser Held vergebens an die Türe seines Richters geklopft; unmutig und ratlos begibt er sich am Abend des 2. April zu seiner Schwester Lepine und klagt ihr sein Leid, daß Goezmann sich vor ihm verleugnen lasse.

Zufälligerweise ist gerade der Nachbar und Hausgenosse (böse Zungen behaupten sogar, der Liebhaber) von Madame Lepine bei ihr zu Besuch, ein aus der Provence stammender Geldmakler, namens Bertrand Dairolles. Dieser überaus dienstwillige Südfranzose weiß nun zu berichten, daß er einen Buchhändler, Le Jay, kenne, der zu Goezmann als Verleger seiner juridischen Werke Beziehungen habe; zugleich erbietet er sich, Beaumarchais durch diesen Mittelsmann die so lang umsonst ersehnte und erstrebte Audienz zu verschaffen. Auf Dairolles' Anfrage erklärt sich Le Jay auch bereit, bei Madame Goezmann anzuklopfen. Alsbald läßt der Buchhändler an Beaumarchais' Schwester die Nachricht gelangen: einer Audienz ihres Bruders bei dem Parlamentsrat stünde kein Hindernis im Wege, sofern er sich zu einem Geldopfer entschließen wolle. Gudin war zugegen, als man Beaumarchais zuerst diese Botschaft bestellte. Er bezeugt, mit welcher Überraschung und Entrüstung sein Freund diesen Antrag aufnahm. Er habe es nicht nötig, so meinte er, die Audienzen seines Richters zweiter Instanz zu erkaufen, da ihm der Richter erster Instanz, Dufour, in sechs Wochen Audienzen über Audienzen gewährt habe; auch sei seine Sache gut und von Dufour zu seinen Gunsten entschieden worden. Beaumarchais' Angehörige wendeten dagegen ein, daß ein kluger Mann bei einem räuberischen Überfall ohne Widerstand seine Börse hergebe, wenn er damit sein Leben retten könne; ein Sieg in erster Instanz verbürge nicht den gleichen Ausgang vor dem Oberrichter u. dgl. m. Aber es brauchte eine Weile, bevor man Beaumarchais dazu vermochte, seine Einwilligung zu einem Auskunftsmittel, das er unanständig nannte, und zu dem für die Audienz geforderten Preis von 100 Louis zu geben. Die verlangte Summe war zudem nicht einmal zur Stelle: ein Freund des Hauses, Mr. de la Chateigneraye streckt sie der Schwester Beaumarchais' als Darlehen vor, während unser Held wieder im Fort L'Évêque sitzt. Mit schwerem Herzen und zögernder Hand läßt sie Le Jay die Hälfte der Summe, 50 Louis, mit der Bemerkung zukommen: der Betrag scheine ihr sehr hoch im Verhältnis zu der geringfügigen Gegenleistung, la faveur de quelques audiences que l'on demandait. Aber schon am nächsten Morgen findet sich Bertrand Dairolles bei ihr ein, um die weitern 50 Louis zu holen: »Wenn man einmal ein Opfer bringt,« meint er, »muß es sich sehen lassen dürfen.« Er versiegelt hierauf die Geldrollen und fährt mit Le Jay in einer Droschke fort; nach der Rückkehr versichert er, der Buchhändler habe von der Frau des Parlamentsrates die Zusage erhalten, daß sie Beaumarchais alle erforderlichen Audienzen bei ihrem Mann verschaffen werde. Zugleich übergibt er Beaumarchais einen Empfehlungsbrief an Madame Goezmann mit der Weisung, er werde bei seinem Besuch im Hause des Richters zunächst wieder die Antwort erhalten: der Rat sei ausgegangen; sowie er aber dem Lakai von Madame den Brief zur Besorgung übergebe, könne er bestimmt darauf zählen, bei Herrn Goezmann Einlaß zu finden. Noch an demselben Abend (3. April) begibt sich Beaumarchais in Begleitung seines Rechtsfreundes Falconnet und des Wächters Santerre wiederum in die Privatwohnung seines Referenten, wo sich alles genau so zutrug, wie Dairolles es vorhergesagt. Man bedeutet dem Bittsteller zuerst: Monsieur sei nicht zu Hause; infolgedessen läßt er den Brief an Madame durch den Lakaien überbringen; gleich darauf erhält er den Bescheid: Beaumarchais möge sich über die Hauptstiege in das Arbeitszimmer von Herrn Goezmann begeben, der sofort aus dem Zimmer von Madame über die Nebentreppe gleichfalls hinkommen wolle. Es währt nicht lange und der Parlamentsrat wird endlich für Beaumarchais sichtbar. Ein zweideutiges Lächeln spielt um seine Lippen, als ihm der Audienzwerber seine Sache auseinandersetzt. Ab und zu hemmt er seinen Redefluß durch nichtige Einwürfe, die Beaumarchais sofort zu Papier bringt, um sie nach seiner Verabschiedung noch in derselben Nacht schriftlich zu widerlegen. Von dem Wunsche erfüllt, diese Aufklärungen wiederum persönlich anzubringen und mündlich zu vertreten, bittet er Dairolles, ihm eine zweite Audienz zu verschaffen. Man fordert, wie Beaumarchais – in diesem Punkt in Widerspruch mit Dairolles und Le Jay – versichert, ein neues Opfer; da er aber schon den für die erste Audienz begehrten Geldbetrag nicht zur Hand hatte, läßt er Frau Goezmann durch Le Jay eine mit Diamanten reichbesetzte Uhr übermitteln. Nun aber verlangt Madame mit einem Male noch 15 Louis, angeblich für den Sekretär ihres Mannes. Eine Forderung, die um so unerwarteter kommt, als demselben Sekretär (Claude de Saint Simon) tags zuvor im Auftrage Beaumarchais' 10 Louisd'or überbracht worden waren, welche der rechtschaffene Mann anfangs mit dem Bedeuten ablehnte, er habe mit diesem Rechtsstreit nichts zu schaffen, da Herr Goezmann sich dessen Bearbeitung ausschließlich vorbehalte. Erst nach längerem Sträuben verstand sich der Sekretär zu der Annahme dieses dazumal fast zu einer Institution erwachsenen Parteienzolles. Nur widerstrebend ließ sich Beaumarchais dazu herbei, auch noch diese 15 Louis – in Silbermünze: so unscheinbare Einzelheiten werden alsbald von entscheidender Bedeutung – zu opfern. Madame quittierte die Sendung mit der Antwort: Beaumarchais möge sich Montag früh bei ihrem Manne melden, und soferne er vor der Urteilsfällung nicht mehr von ihm in Audienz vorgelassen werden könnte, würde ihm alles, was sie von ihm erhalten habe, zurückgestellt werden. Diese Botschaft erfüllte Beaumarchais mit bösen Vorahnungen. Trotzdem begab er sich am nächsten Tag mit Santerre und einem seiner Freunde nochmals zu Goezmann. Die Türhüterin empfing ihn mit den Worten, sie habe gemessenen Auftrag, niemanden vorzulassen. Beaumarchais, dem die Not auf die Fingernägel brannte, wollte die Audienz erzwingen, aber selbst seine Hartnäckigkeit und Beredsamkeit erwies sich vor Goezmanns Pforten ohnmächtig.

Um sieben Uhr abends wurde das Urteil geschöpft und Beaumarchais mit seiner Klage nicht bloß abgewiesen, sondern zur Zahlung von 56 000 Livres an La Blache verurteilt. Als Goezmann den Beratungssaal verließ, sagte er zum Anwalt Beaumarchais': »Meine Kollegen haben mein Referat ohne jede weitere Erörterung mit einfachem Kopfnicken gutgeheißen ( opiner du bonnet); überhaupt – fuhr er abschätzig fort – hat man bei diesem Prozeß zunächst den Menschen (Beaumarchais) und hernach erst seine Sache im Auge gehabt.« Der Familie unseres Helden erschien dieses Urteil geradezu als Makel an seiner Ehre. Gleichzeitig mit der Nachricht vom Verlust des Prozesses erhält Madame Lépine die beiden Geldrollen mit je 50 Louis und die Uhr zurück; die 15 Louis jedoch, welche in letzter Stunde für den Sekretär verlangt worden waren, unterschlägt Madame Goezmann kurzweg zu ihrem eigenen Vorteil. Das erfährt Beaumarchais nämlich auf seine Anfrage bei Claude Saint-Simon, der gereizt erwiderte: die 15 Louis wären ihm nicht einmal angeboten, geschweige gegeben worden, ja er hätte sie in dem einen, wie in dem anderen Falle überhaupt nicht angenommen. Auch Le Jay wies die Zumutung, diesen Betrag nicht an seine Bestimmung abgeführt zu haben, mit Entrüstung von sich. Als der Buchhändler die 15 Louis aber von Madame Goezmann zurückforderte, erklärte sie rundweg: es sei ausbedungen worden, daß dieser Betrag ihr unter allen Umständen, gleichviel ob der Prozeß gewonnen oder verloren würde, verbleiben müßte. Die unverschämte Antwort bestimmt Beaumarchais, der Frau seines Referenten am 21. April einen Brief zu schicken, in dem er schreibt, er habe wohl zwei Rollen mit je 50 Louis und die Uhr, nicht aber die weiteren, vermeintlich für den Sekretär bestimmten 15 Louis zurückbekommen. Es sei unbillig, daß man sie ihm vorenthalte; er sei auch von ihrem Manne in dessen Bericht so grausam mitgenommen worden, seine Einwendungen seien dermaßen mit Füßen getreten worden, daß es mehr als ungerecht wäre, den ungeheuren Verlusten, welche dieser Prozeß ihm koste, noch weitere 15 Louis hinzuzufügen, die sich schlechterdings nicht in ihre Hände verirren dürften.

Madame Goezmann tut, als ob sie diese Worte nicht verstände: sie spielt sich auf die gekränkte Unschuld hinaus, läßt Le Jay kommen und sagt ihm, man fordere von ihr die 100 Louis und die Uhr. Der Buchhändler beteuert natürlich, getreulich alles zurückgestellt zu haben, was sie ihm gegeben; er beschwert sich auch sofort bei Beaumarchais' Schwester über diese verdrießliche Geschichte. Aber Madame Lépine kann den ziemlich begriffsstutzigen Buchhändler durch eine Abschrift des Briefes an Madame Goezmann davon überzeugen, daß ihr Bruder weder die Uhr, noch die 100 Louis, sondern einzig und allein die 15 Louis zurückgefordert habe. Mit der Kopie und allen erforderlichen Erläuterungen ausgerüstet, begibt sich Le Jay neuerdings zu Madame Goezmann, die ihn grob und heftig mit dem Bescheid abfertigt, sie habe und wünsche nicht das Geringste mehr herauszugeben.

Inzwischen läßt der Graf La Blache, zur Sicherstellung seiner Forderung, Beaumarchais' liegende und fahrende Habe pfänden; die Gebühren der Gerichtsvollzieher etc. betragen tagtäglich über 500 Franken; dazu kommen noch die Kosten, welche aus seiner Haft im Fort L'Évêque erwachsen, Auslagen für seine Verpflegung, die er nicht einmal begleichen kann, so daß, als ihn nach endlosen Bitten und Beschwörungen La Vrillière endlich freigibt, seine Schwester und Dairolles ein paar Louis zusammenschießen müssen, damit er überhaupt imstande ist, das Gefängnis zu verlassen. Seine Vermögensverhältnisse sind so trostlos, daß er sein Hauswesen auflösen, Schwester Julie in eine Klosterpension, seinen Vater zu einer alten Freundin schicken muß. Er ist finanziell und moralisch zugrunde gerichtet.

Die schlüssigen Proben, welche er also an seinem eigenen Leibe von der Allmacht der Willkürherrschaft erfahren, vermögen aber in keiner Weise seiner Zunge Gewalt anzutun. Mit seinen Schwestern Julie und Lépine um die Wette verbreitet er in Gesellschaften und Theaterfoyers die Geschichte von der Bestechlichkeit der Madame Goezmann: wenn er mit seinem Klagebegehren abgewiesen wurde, so habe das keinen andern Grund, als daß sein Gegner dem Referenten nicht, gleich ihm, 200, sondern 500 Louis bezahlt habe. Die Sache macht furchtbaren Lärm in Paris. Als der Parlamentsrat Goezmann am 27. Mai an der Gasttafel einer »Person von Bedeutung« (vermutlich dem Minister Herzog von Aiguillon) erscheint, fordert ihn dieser hochgeborene Gönner nach Tisch unter vier Augen auf, er möge bei seiner Frau anklopfen, ob sie nicht ohne sein Vorwissen schwach genug gewesen, der Versuchung ihr Ohr zu leihen. Zugleich nennt er ihm Maître Junquières, Advokat am Parlament, als weiteren Gewährsmann. Am nächsten Tag nimmt Goezmann seine Frau ins Verhör, die – wie sie wenigstens behauptet – ihm weder vorher, noch in diesem Augenblick aus Schonung für Le Jay das geringste gestanden haben will. Im Justizpalast ersucht darauf Goezmann Maître Junquières, sich mit ihm zum Generalprokurator zu begeben und rückhaltlos die Wahrheit zu sagen. Der Advokat weist ihn kurzweg an Le Jay. Erst jetzt scheint Madame – allerdings nur einen Teil der Wahrheit – gebeichtet zu haben. Ein Kollege Goezmanns, ein ehemaliger Reiteroffizier, Nicolai, gibt ihm den verhängnisvollen Rat, er möge sich von Le Jay eine Erklärung ausstellen lassen, des Inhalts: Beaumarchais habe ihn wohl mit Bestechungsversuchen an Frau Goezmann geschickt, doch habe sie alle seine Anerbietungen mit Entrüstung zurückgewiesen. Madame Goezmann weiß Le Jay insgeheim dermaßen einzuschüchtern, sie weiß ihm so beweglich zu klagen, »ihr Mann würde ihr Arm und Bein entzweischlagen, wenn er die volle Wahrheit erführe«; sie verspricht ihm so sicher volle Straflosigkeit als Preis seiner Willfährigkeit, daß der Buchhändler in Gegenwart des Parlamentsrats nicht den Mund aufzumachen wagt und am 30. Mai in dessen Wohnung willenlos ein von Meister Goezmann selbst aufgesetztes Schriftstück wortwörtlich – nur mit groben grammatikalischen und orthographischen Schnitzern – abschreibt, in dem es heißt: Madame Goezmann habe die von Beaumarchais angebotenen Geschenke, 100 Louis und eine diamantenbesetzte Uhr hautement et avec indignation zurückgewiesen; alle gegenteiligen Angaben Beaumarchais' wären infame Lügen und im Grunde nur der Ausfluß seiner üblen Laune, weil er sachfällig geworden. Von den fünfzehn Louis aber war weder bei der Begegnung mit Goezmann, noch in dem Entwurf und ebensowenig in der von Le Jay gegebenen Kopie dieser Erklärung mit einem Worte die Rede. In Le Jays Begleitung begeben sich Herr und Frau Goezmann gleich nachher zu La Vrillière und dem Polizeileutnant, um ihm die Erklärung zu zeigen, offenbar in der stillen Zuversicht, diese großen Herren zu einem Gewaltstreich gegen Beaumarchais zu vermögen. Aber der Herzog stellt ihm keinen Haftbrief zur Verfügung und Sartines meint trocken, seiner Ansicht nach wäre es das beste, den ganzen Handel auf sich beruhen zu lassen. Das wäre wohl auch dem würdigen Ehepaar Goezmann am liebsten gewesen. Als aber Beaumarchais vom Präsidenten des Parlaments, Sauvigny, zu einer Privatbesprechung geladen, diesem den nackten Tatbestand mitteilte, war es unmöglich geworden, die Angelegenheit totzuschweigen. Goezmann wurde von seinen Kollegen rundweg erklärt, es sei der feste Wille der Ratskammer, daß er »Ausstreuungen, die ihm eher verächtlich als beleidigend erschienen seien«, zur Anzeige bringen müsse. Dies tat er denn auch und schloß als Corpus delicti seiner Eingabe die nach seinem eigenen Konzept von Le Jay ausgefertigte Erklärung an, eine Nichtswürdigkeit, die nur von der Gleißnerei überboten wird, mit welcher der Parlamentsrat im Nachwort seiner Denunziation meint: »Mißachtung oder vielmehr Vergebung persönlicher Beleidigungen sei eine der am höchsten zu schätzenden Tugenden eines Richters; seiner Würde stehe es schlecht an, die Übellaune und Bosheit der Parteien zu bekämpfen; er stelle deshalb selbst keinen Strafantrag, sondern überlasse es der Weisheit des Gerichtshofes, zu entscheiden, ob der Versuch, die Frau eines Parlamentsrats zu bestechen, in der Absicht, dessen Stimme zu gewinnen, eine Beleidigung der ganzen Körperschaft sei?« Das Parlament bejahte diese Frage. Am 21. Juni faßte die Ratskammer auf Antrag des Generalprokurators den Beschluß, Vorerhebungen pflegen, beziehungsweise den Strafprozeß einleiten zu lassen. Bei dem Aufsehen, welches diese häßlichen Händel machten, hätte wohl jedes Tribunal so schwerwiegende Beschuldigungen gegen eines seiner Mitglieder ernst genommen; der Gerichtshof, der in unserem Falle so strenge gegen die Anklage der Bestechlichkeit einschritt, hatte jedoch ganz besondere Gründe, solche Beschuldigungen nicht überhand nehmen zu lassen. Denn dieses Parlament, das amtlich noch immer den altehrwürdigen Namen des Parlement de Paris führte, war im Jahre 1771 vergewaltigt worden, und an die Stelle der früheren, durch Geburt, Reichtum, Gelehrsamkeit und Familienbeziehungen ausgezeichneten geistlichen und weltlichen Räte waren (fast durchwegs namen- und willenlose) Kreaturen des Kanzlers Maupeou getreten. Parlement: »cour souveraine composée d'ecclésiastiques et de laïques établie pour administrer la justice en dernier ressort au nom du roi en vertu de son autorité comme s'il y étoit présent«. Die 13 Parlamente waren (nach dem Zeitpunkt ihrer Einsetzung) Paris, Toul, Grenoble, Bordeaux, Dijon, Rouen, Aix, Rennes, Pau, Metz, Besançon, Douai, Nancy. Guyot, Rép. universel de jurisprudence 1784.

Es ist nicht die Aufgabe dieser Blätter, die Kriegsgeschichte des französischen Parlaments und Königtums im vorigen Jahrhundert im einzelnen zu verfolgen; Beaumarchais' Händel greifen jedoch in diesen Kampf als eine der folgenschwersten Episoden zu mächtig ein, als daß wir ihn mit Stillschweigen übergehen dürften.

Anfangs der zwanziger Jahre verglich Montesquieu die französischen Parlamente den Ruinen, welche man mit Füßen tritt, die aber gleichwohl unsere Gedanken zu den berühmtesten, durch uralten Volksglauben geweihten Tempeln zurückführen. Die flüchtig hingeworfene Bemerkung erschöpft in ihrem Tiefsinn die geschichtliche und politische Bedeutung dieser Körperschaften. Von dem Tage, an welchem das Pariser Parlament, wie zur Vergeltung für das Erscheinen des mit der Reitpeitsche fuchtelnden Ludwigs XIV. in der Vollversammlung der Ratskammern, das Testament dieses Zwingherrn umgestoßen hatte, war der Einfluß der Robins auf die öffentliche Meinung unablässig gewachsen. Die Energie, mit der sie gegen Laws Finanzprojekte sich stemmten, die Gelassenheit, mit der sie ihre zeitweilige Verbannung nach Pontoise ertrugen, gereichte ihnen nach dem Zusammenbruch des Mississippi-Schwindels zu dauerndem Ruhme. Und die gleiche Haltung beobachteten sie, allen Einschüchterungen, Drohungen und Strafen Ludwigs XV. zum Trotz, fast während seiner ganzen Regierungszeit, insbesondere in Steuer- und kirchlichen Fragen. Ihre Unbotmäßigkeit bestimmt gute Monarchisten zu dem Ausspruch, daß der König von Frankreich der machtloseste aller europäischen Herrscher sei. Die Militärpartei und die Jesuiten schreien die fortgesetzten Weigerungen der Parlamente, mißliebige Edikte des Königs in ihre Register aufzunehmen, als Aufruhr und Hochverrat aus. Gegner der Robins stiften die Du Barry an, ihrem königlichen Herrn Van Dycks Portrait Karls I. tagtäglich vor Augen zu stellen mit den Worten. »La France, siehst Du dieses Bild? Wenn Du Dein Parlament gewähren lässest, wird es Dir den Kopf abschneiden, wie das Parlament von England Karl köpfen ließ.« Aber Ludwig XV. bedurfte in diesem Falle nicht erst fremder Warnungen. Er haßte und fürchtete die Robins von altersher als »Republikaner«; er sah das Attentat Damiens' als Ausfluß ihrer Lehren an; er erfuhr durch mehr denn zwei Menschenalter so unausgesetzt Widerwärtigkeiten aller Art durch ihren passiven Widerstand, wie durch ihre wiederholte offene Auflehnung und Diensteinstellung, daß er seinem Kanzler Maupeou endlich unbedingte Vollmacht erteilte, »die Krone wieder aus der staubigen Gerichtsstube hervorzuholen«. Unbeirrt durch die Proteste aller Prinzen von Geblüt, unbekümmert um die furchtlosen Gegenvorstellungen der edelsten Patrioten, wie Malesherbes, nicht achtend der Gärung in den Massen, gab Ludwig XV. Maupeou freie Hand, die Widerspenstigen zu zähmen. Mit rücksichtsloser Härte schickte sich der Kanzler an, uralte Befugnisse und neu aufgekommene Anmaßungen der Parlamente als Übergriffe zu strafen. Als sich aber die Robins seinen Edikten widersetzten, ließ er sie vom König zuerst strenge rügen und als auch alle Lits de justice an ihren einmütigen, festen Gesinnungen zuschanden wurden, in der Nacht (vom 19. zum 20. Januar 1771) von Musketieren aufheben und durch lettres de cachets vor die Wahl stellen, entweder sich rückhaltlos zu unterwerfen oder wegen offenen Ungehorsams gegen den Monarchen exiliert zu werden – endlich, mit Verletzung ererbter und erworbener Rechte, ihrer Stellen für verlustig erklären.

Eine Revolution hat man vor 1789 Maupeous Maßregeln genannt: ein Staatsstreich waren sie gewiß. Zu ihrer Rechtfertigung aber kann nicht das Geringste vorgebracht werden. Maupeou war keiner der großen Politiker, die mutig jede Verantwortung wagen und tragen, um ein in allen Fugen krachendes Reich einer Kur auf Tod und Leben zu unterziehen: er war ein kleiner rachsüchtiger Mensch, ein gewissenloser Wohldiener der Du Barry, mit deren »Vetterschaft« er sich brüstete. Nicht mit unbeugsamem Vorbedacht vollendete er die Revolution von 1771 als eiserne Staatsnotwendigkeit: nur als nécessité imprévue beschönigte er selbst seine Fügsamkeit gegen Ludwig XV., der mit und neben ihm einen Terray als Finanzminister, einen Aiguillon als Kriegs- und Minister des Auswärtigen frei gewähren ließ. Wohl berief sich Maupeou darauf, daß er schwere, unleugbare Mißbräuche der alten Parlamente (die Käuflichkeit der Stellen, das Sportelwesen, die übermäßige Ausdehnung der Gerichtssprengel u. dgl. m.) aufzuheben beflissen war. Aber sein vortrefflichster publizistischer Anwalt, Le Brun, späterhin der Kollege Napoleons als Konsul, erklärte ihm wiederholt mündlich und in Denkschriften, daß vereinzelte noch so heilsame Reformen auf dem Gebiet der Rechtspflege nichts bedeuten, solange nicht gleichzeitig Verwaltung und Finanzwirtschaft aus ihrer gegenwärtigen Verrottung gerissen, solange nicht die Freibeuterei der Generalpächter und Höflinge aus der Welt geschafft, kurz Einnahmen und Ausgaben gesetzlich überwacht würden. Le Brun wies unablässig auf das Muster der englischen Zustände hin; er forderte mit, ja vor der Parlamentsreform die Einberufung der Generalstaaten und Steuerbewilligung durch die Stände. Denn solange nicht politische Einrichtungen solcher Art an die Stelle der Parlamente traten, wurden diese mit Recht von den besten Männern Frankreichs als der letzte Hort der Freiheit gepriesen. Tocqueville: Notes et pensées se rapportant à l'ouvrage l'ancien régime et la révolution. Oeuvres, VIII. 119. – Michelet, Louis XV et Louis XVI. Histoire de France XVII, 176 ff.

Dem modernen Historiker fällt es allerdings leicht, nachzuweisen, daß die Parteigänger der Parlamente im vorigen Jahrhundert Fabeln über ihr Alter, ihre Rechte und Machtvollkommenheiten ersonnen oder nachgebetet haben; es ist uns auch vollkommen begreiflich, daß Denker wie Voltaire und Turgot, wegen der Unduldsamkeit der » boeufs-tigres«, gegen die Mörder Calas' und de La Barres, gegen die unbarmherzigen Preßgerichte und viele andere Mißstände der Parlamente Stellung nahmen; wir wissen auch, warum die »Pflugschar der Revolution« über sie wegging und weggehen mußte, warum Mirabeau seine Donnerkeile gegen ihren Kastengeist, ihre Streit- und Herrschsucht schleuderte. Bei alledem bleibt unbestreitbar, daß ihre Autorität die letzte Schutzwehr der Untertanen gegen die immer sinn- und herzloser auftretende Despotie eines Ludwigs XV. und seiner Leute bildete. Eine Ansicht, welche einer der größten politischen Denker Frankreichs, Tocqueville, überzeugend vertritt: »gerade die schlechten Eigenschaften, welche man den Parlamenten am heftigsten vorgeworfen, erschienen der Nation mit einem Male als politische Bürgschaften. Man verschanzte sich hinter ihren Fehlern; ihre Herrschsucht, ihr Trotz, ihre Vorurteile wurden Waffen, deren sich die Nation bediente«. Man wollte glauben, daß die Parlamente mit Recht – als zeitweilige Vollmachtträger der Generalstaaten – die Verbuchung der Steueredikte verweigern dürften, weil sie aus diesem – tatsächlich allerdings unhaltbaren – Anspruch die Befugnis ableiteten, der maßlosen Verschwendung des Hofes und einer völlig verkommenen Finanzwirtschaft entgegenzutreten. Ebenso schenkte man willig der Irrlehre Gehör, daß die Parlamente aller Provinzen nur Glieder einer und derselben unteilbaren Körperschaft seien, weil diese Theorie ihr Ansehen, ihr Gemeingefühl und ihre Widerstandsfähigkeit im ganzen Königreich stärkte. Und die ganze Nation trat in solchen Gesinnungen auf ihre Seite, als ein Machtwort der Krone sie vernichten wollte. Zu dem Anteil für ihr gutes Recht gesellten sich noch der Unwille über die kleinliche Bosheit der Verfolger und allgemeines Mitleid mit den hart geprüften Opfern des königlichen Zornes. Besenval, Mém. 192. – Taine, Die Entstehung des modernen Frankreich, I. – Geffroy, Gustave III et la cour de France, I, 110 ff. 232. Paris, Didier, 2e édition, 1867. – La jeunesse de Mad. Epinay, 80 ff. Paris, Lévy, 1882. Dernières années de Mad. Epinay, 418 ff. ibid. 1883. – L'abbé F. Galiani, I, 371. Paris, Lévy, 1881. Edition Perey-Maugras. – Journal historique de la révolution opérée dans la constitution de la monarchie françoise par M. de Maupeou, Londres, 1774. 5 Bde. – Journal historique du rétablissement de la magistrature (6. und 7. Bd. des Journ. hist.). Londres, 1776; s. auch Flammermont 415–422.

Denn mit ausgesuchter Tücke ging Maupeou an sein Rachewerk. Alle ihm persönlich verhaßten Parlamentsräte verbannte er in unwirtliche, ungesunde, weltentlegene Ortschaften; er riß sie von ihren Familien los und erlaubte Kranken und Sterbenden selbst nach jahrelangem Exil nicht, die Ihrigen noch einmal zu sehen; ihre Ämter aber, die er mit offenem Rechtsbruch einzog, verlieh er – da die Mitglieder des königlichen Rates an Zahl zu gering waren, um alle geistlichen und weltlichen Ratsstellen zu besetzen – an Leute, die er selbst zynisch den Dirnen verglich, welche neugebaute Häuser trocken wohnen. All das läßt es nur allzu begreiflich erscheinen, daß der Volksmund dem vom Kanzler geschändeten Pairshof, dem ersten Gerichte des Reiches, keinen schimpflicheren Namen zu geben wußte, als den in der Geschichte fortlebenden des Parlamentes Maupeou. Eine tiefe Bewegung wühlte – vielleicht von den Bauern abgesehen – alle Stände des Landes auf. Der Hochadel, von den Prinzen des königlichen Hauses geführt, bewies dem Bastardparlament nicht bloß bei Festmessen und öffentlichen Aufzügen unverhohlen seine Verachtung; die Bürgerschaft verwünschte aus patriotischen und finanziellen Besorgnissen Maupeou als Hausmeier, Sejan etc. mit tausend Flüchen und Spottversen. Die Anwälte hielten sich durch Jahre von dem ihrer Ansicht nach entweihten Gerichtshof fern. Am tollsten aber trieben es die Frauen. Die Löwinnen der Pariser Salons interessierten sich, um ein geistvolles Wort von Madame Epinay zu gebrauchen, für alle Subtilitäten der Verwaltungstheologie ( théologie d'administration), für die heikelsten Fragen der Reichsgrundgesetze mit einem Feuereifer, der allerdings nicht bloß Modesache war: sie nahmen sich aus vollem Herzen ihrer Väter und Brüder, Männer und Freunde an, die ihre Charakterfestigkeit mit dem Verlust ihrer Würden und ihres Vermögens hatten bezahlen müssen. Der neue Geist im Volke aber rührte sich in tausend und abertausend Flugschriften, Gassenliedern und ernsthaften, staatsrechtlichen Untersuchungen, die ebenso streng verfolgt, als eifrig verbreitet wurden. Und die Seele der parlamentarischen Opposition war Conti, »der liebenswürdigste der Tyrannen, der herrischeste der Republikaner«: unter seinem Schutz, aus dem Serail der Isle-Adam und aus den Salons im Temple, ging jene vielberufene » Correspondance« Correspondance secrète de Mr. de Maupeou avec Mr. de Sorhouet conseiller du nouveau parlement 1772. Suite de la correspondance 1773. in die Welt, deren Urheberschaft in den Tagen des heißesten Kampfes wiederholt Beaumarchais zur Last geschrieben wurde, eine Anklage, von der ihn mehr noch die Originalität seines Talentes, als die zeither erwiesene Tatsache frei spricht, daß Augeard, ein Verwandter von Malesherbes, diese »französischen Juniusbriefe« verfaßt hat. In offenbarer Anlehnung an die epistolae obscurorum virorum wird hier ein Briefwechsel zwischen Maupeou und seinem vertrautesten Ratgeber Sorhouët fingiert: Sorhouët teilt dem Kanzler mit, welche Gerüchte über ihn und seine Leute in der Bevölkerung umlaufen – ein bequemer Anlaß, Maupeou selbst als den Abkömmling einer Familie von Mördern zu brandmarken und über die neuen Parlamentsgewaltigen die schmachvollsten Enthüllungen beizubringen. Während die Mitglieder des alten Parlaments durchwegs als Männer von Stand, Rang, Geist und Unabhängigkeit gefeiert werden, schildert Sorhouët ihre Nachfolger als Tröpfe und Glücksritter, Streber, wo nicht gar gesellschaftlich unmögliche Hallunken. Der neue Präsident der Pairskammer, Sauvigny, wird als Einfaltspinsel hingestellt, der nicht bis zwei zählen kann und nur wider seinen Willen durch seine keifende, unwissende Frau zur Annahme des ersten Richterpostens im Reich überredet wurde. Nicolai wird als brutaler Kavallerist verhöhnt, ein sicherer Gin (späterhin gleichfalls einer der Wühler gegen Beaumarchais), als geldgieriger Stellenjäger, Goezmann endlich als Spitzbube gekennzeichnet, der vom Kolmarer Gericht offenbarer Betrügereien halber weggejagt wurde, um in Paris, dank einem Gönner von Schneider, auf den Lilien des Pairshofes Platz nehmen zu dürfen. Seiner Frau wird nacherzählt, daß sie zwei Jahre vor ihrer Hochzeit um Almosen bettelte, während ihre Schwägerin noch zur Stunde in einem Kramladen unter der Louvrepassage Obst feilhalte. Personalien der Art, heutzutage selbst in einer Polemik des schlechtesten Geschmackes unerlaubt und unwirksam, schlugen im vorigen Jahrhundert, bei der gesellschaftlichen Bedeutung der noblesse de robe sicherer ein, als die gediegensten Staatsschriften. So weiß unser Pamphletist den Gegensatz zwischen den Richtern des alten und des neuen Parlaments nicht sinnfälliger zu vergegenwärtigen, als durch die gut erfundene Skandalgeschichte: ein neuer Parlamentsrat – seinem Aussehen nach ein Wucherer – hause in einer richtigen Mördergrube mit einem Weibsbild, das er zu seiner Ehefrau machen will, eine Absicht, die nur an der Weigerung der Courtisane scheitert. Die erklärt nämlich, ihr Gewerbe sei anständiger als das des Parlamentrates, eine Wahrheit, die der Richter von Maupeous Gnaden mit den Worten zugibt: on fait beaucoup plus cas d'elle dans le monde que de nous.

Schmutzige Anekdoten der Art gingen von Mund zu Mund; man nahm sie als parodistische Übertreibungen willig hin; vollen Beweis erbrachten sie aber doch nicht. Dazu kam, daß die Macht der Gewohnheit, die Notwendigkeit der Rechtspflege, die scheinbare Unmöglichkeit eines Ministerwechsels, die Zufriedenheit Ludwigs XV. und seines erklärten Thronfolgers, Ludwigs XVI., mit dem neuen System die Halben und Schwachen zum Wanken brachte. Wohl machten sich die wirtschaftlichen Schäden der Maupeouschen Justizreform immer peinlicher fühlbar; wohl wuchs mit der Steuerlast für die neuen Richtergehalte die Zahl der Bankerotte und Selbstmorde beständig; aber nur wenige sahen trotzdem mit voller Bestimmtheit den unvermeidlichen Zusammenbruch dieser Zustände voraus und gar zu viele trösteten sich mit dem Witzwort des Papstes, der beste Beweis für das Dasein einer Vorsehung sei der Fortbestand Frankreichs unter einem König wie Ludwig XV.

Anhang und Sympathien fehlten Maupeou zwar nach wie vor, aber der Sturm der Entrüstung, der zu Beginn des Jahres 1771 allerorten durch das Land gegangen, war langsam verbraust; die lauten Ausbrüche des Unmutes über die Unterdrückung der Provinzialparlamente hatten sich allmählich gelegt; fast alle Prinzen von Geblüt machten ihren Frieden mit der Krone; die widerspenstigsten Advokaten, der berühmte Meister Gerbier auch diesmal den meisten voran, wurden durch ihre materiellen Verhältnisse genötigt, ihre Tätigkeit wieder aufzunehmen; die ausdauerndsten Parteigänger der alten Parlamente bangten um die Zukunft ihrer Freunde: da platzt mit einem Male der Bestechungsprozeß Goezmann-Beaumarchais und alles, was von der Niedertracht des Parlaments Maupeou bisher nur im Flüsterton angedeutet werden durfte, offenbarte sich plötzlich, zum Erstaunen selbst der Gegner des neuen Gerichts, der ganzen gesitteten Welt; denn abenteuerlicher, als die Grotesken erbitterter Pasquillanten, sprachen, oder richtiger »schrien« hier die Tatsachen. Und was anfangs nur als dumpfes Gerücht über Gang und Gegenstand der Kriminaluntersuchung umlief, das sollte alsbald, von Beaumarchais grell beleuchtet, dem Hohngelächter von Frankreich, Europa und Amerika preisgegeben werden. Ohne das zu wollen oder zu wissen, wurde er einer der Haupturheber des Sturzes der Magistratur Maupeous, ein Verdienst, das gleich nach dem Erscheinen seiner ersten Streitschriften nach Pariser Brauch mit einem Wortspiel gewürdigt wurde: Louis Quinze a détruit le parlement ancien, quinze Louis le détruiront. Ein widerwillig erobertes Verdienst, wohlverstanden: denn Beaumarchais fühlte sich nicht zum Tribunen berufen, und erst in verzweifelter Notwehr wurden ihm die Mémoires abgerungen. In jedem Stadium des Prozesses hoffte er – vergebens –, daß ihm jedes weitere Wort der Verteidigung erspart bleiben könne. Denn die Kriminaluntersuchung machte alle Anschläge, die Wahrheit zu verschleiern, zunichte und belastete Goezmann und seine Leute auf das schwerste, obwohl es dem Parlamentsrat anfangs nicht an beflissenen Helfern gefehlt hatte, die seinen Einfluß in dem Maße über-, als sie Beaumarchais' Geist und Zähigkeit unterschätzt hatten. Zwei Männer von der Feder insbesondere, beide zeitweilig unwürdige Schützlinge Voltaires, der Zensor Marin und der ehemalige Hausdichter Friedrichs des Großen, Baculard d'Arnaud, ließen es nicht bloß bei ehrloser Zwischenträgerei bewenden: sie waren ohne weiteres bereit, falsche Zeugenschaft zu geben und zu werben, die geradezu auf Beaumarchais' strafgerichtliche Verurteilung als Verleumder angelegt war. Am 25. Juni 1773 wurden Julie Beaumarchais und auch Mad. Goezmann vernommen; die letztere erklärt, Le Jay auf der Stelle mit dem Angebot der 100 Louis und der Uhr zurückgewiesen zu haben. Der Hausarzt der Lépine, Doktor Gardanne, von Geburt ein Provenzale, wie Dairolles, ein Mann, der vielfach in den Prozeß eingreift und als Freiwerber von Mad. Roland in ihren Denkwürdigkeiten ( Bibliothèque nationale, III 180–189) meisterlich geschildert wird, hat gleich Madeleine Françoise Caron, Frau des Hofuhrmachers Lépine, sein Verhör am 26. Juni zu bestehen. An diesem Tag deponiert auch Le Jay, daß er nur aus Gefälligkeit für Madame Goezmann zur Ausstellung der falschen Erklärung sich verstanden habe. Am 1. Juli deponiert Beaumarchais' Schwager Miron (der Gatte »Tontons«), Advokat; am 2. Juli De la Chataigneraye, der ausdrücklich bestätigt, daß Beaumarchais nur mit großer Entrüstung und äußerstem Widerstreben sich zu Geldopfern herbeiließ; auch habe er mit denselben nichts anderes, als die Gewährung von Audienzen bezweckt: le Sieur de Beaumarchais étoit si présomptueux de son droit et de son éloquence, daß er nur die Möglichkeit haben wollte, seine Sache selbst vertreten zu dürfen. An demselben Tag sagte endlich noch das 10½ Jahre alte Söhnchen Le Jays aus (der Kleine hatte nämlich seinen Vater begleitet, als dieser der Goezmann die 15 Louis überbrachte), der Wächter Santerre und der Sekretär Claude de St. Simon. Archives nationales, Informations.

Herr Baculard d'Arnaud fand sich »aus freien Stücken« bewogen, – denn er hatte nur ganz zufällig einen kleinen Kriminalprozeß bei Goezmann anhängig – am 9. Juni 1773 an den Parlamentsrat ein Schreiben zu richten, in welchem er zur Steuer der Wahrheit allen beleidigenden Ausstreuungen gegenüber erklärt: sein Buchhändler Le Jay habe ihm eines Abends eine sehr schöne Uhr mit dem Bemerken gezeigt, daß dieses Kleinod sowie 100 Louis im Auftrage Beaumarchais' Madame Goezmann angeboten, von ihr jedoch mit Entrüstung abgewiesen worden sei. Noch schlimmer und gefährlicher, als dieser verlogene Wohldiener (der sich – ein mildernder Umstand! – vor der rechtsförmlichen Instruktion des Strafprozesses meldete) trieb es der Ränkeschmied Marin, Redakteur der Gazette de France, der als Geschäftsträger Goezmanns den zuerst zum Verhör geladenen Bertrand Dairolles am Tag vor seiner Aussage im Hause von Madame Lépine aufsucht, und da er ihn weder dort, noch anderwärts antrifft, die Botschaft zurückläßt – er möge den Zwischenfall mit den 15 Louis vollständig verschweigen, überhaupt seine Aussage so kurz als möglich halten und weder Madame Goezmann noch sonst wen bloßstellen. Auf die entschiedene Einrede Beaumarchais', daß diese 15 Louis der Schlüssel der ganzen Angelegenheit seien und eine Verdunkelung der Wahrheit in dieser Richtung geradezu Le Jay ins Verderben stürzen würde, lautet die herzlose Antwort des königlichen Zensors: »Was verschlägt es, wenn dieser Spitzbube von Buchhändler geopfert wird? das ist weiter kein großes Unglück, wenn nur die andern sich dadurch einen Handel vom Halse schaffen, der heute die Minister in Atem hält und bei dem nur Beulen zu holen sind.« Marins Reden und Handlungen erscheinen noch niederträchtiger, wenn man erfährt, daß Bertrand Dairolles, der eine Kronzeuge, ein schwankender, habsüchtiger Charakter, seit vier Jahren um die Gunst des Herzogs von Aiguillon sich bemühte, also gerade desjenigen Ministers, dessen persönliche Streitigkeiten mit den alten Parlamenten der Bretagne und von Paris den äußeren Anstoß zu Maupeous Staatsstreich gaben, zu allem Überfluß gerade desjenigen Mannes, dessen Fürwort Goezmann seine Stellung als Parlamentsrat zu danken hatte. Allein Bertrand, der im Lauf des Prozesses noch einer der am heftigsten, am lustigsten gehänselten Widersacher Beaumarchais' wird, sagt als der Erstvernommene beim Untersuchungsrichter in einem mehrstündigen Verhör die volle Wahrheit aus. Schon vor Beginn des Prozesses aber hatte Le Jay auf Andringen seiner Frau, eines kernhaften Weibes aus dem Volke, nachdem er sich zuvor bei dem berühmten Anwalt Gerbier Rats erholt, die Erklärung zugunsten der Goezmann als falsch bezeichnet und förmlich zurückgezogen. Und da nun auch die Aussagen der Schwestern und Freunde Beaumarchais' mit den Angaben Le Jays, Baculards und des Sekretärs stimmten und also trotz des beharrlichen Leugnens von Madame Goezmann schwere Verdachtsgründe gegen sie an den Tag brachten, mußte der Generalprokurator am 10. Juli den Antrag stellen: auf Grund der Vorerhebungen Caron de Beaumarchais, Bertrand Dairolles und Le Jay in Untersuchung zu ziehen, Gabrielle Julie Jamard, verehelichte Goezmann, aber zu »assignieren«. Guyot: Répertoire universal et raisonné de jurisprudence civile, criminelle, canonique et bénéficiale de Paris 1784. Procédure extraordinaire: proc. crim.: réglement à l'extraordinaire le jugement qui ordonne que les témoins seront recolés et confrontés.

In diesem zweiten Prozeßstadium wird nun auch Beaumarchais selbst vernommen, und da die Prozedur à l'extraordinaire geregelt wird, hat er durch Wochen und Monate Gelegenheit, Einblick in die unbegreifliche Schwerfälligkeit des ganzen Gerichtsverfahrens zu gewinnen. Jeder Angeklagte wird pedantisch und weitwendig dem Verhör ( interrogatoire) unterzogen; ein zweites Mal wird ihm seine ursprüngliche Aussage vorgehalten, damit er allfällige Zusätze zu Protokoll geben kann ( récolement); endlich wird er sämtlichen Zeugen und Mitangeklagten gegenübergestellt ( confrontation): Geduldproben, bei welchen dem Ruhigsten die Zunge mit dem Verstande mehr als einmal durchzugehen pflegt. Beaumarchais aber hält diese Anfechtungen nicht bloß mutig, sondern mit bestem Humor aus: er macht wiederholt Witze über die Umständlichkeit in seinen Vernehmungen, zugleich aber findet er mit erstaunlicher Raschheit der Auffassung bei der Vorlesung jedes neuen Verhörs-, Zusatz- oder Konfrontationsprotokolls die Widersprüche der Gegner, die starken und schwachen Punkte seiner eigenen Verteidigung heraus. Mit seltenem Humor antwortet er bei persönlichen Begegnungen seinen Widersachern so schnell und schlagend, daß wir beim Vergleich seiner protokollierten Verhöre und Kreuzverhöre mit der Schilderung dieser Gerichtsszenen in den Mémoires uns immer wieder fragen, was mehr Bewunderung verdient: die Genialität einer Natur, die inmitten der schwersten Bedrängnisse so siegesgewiß scherzt, so unbegreiflich heiter mit Menschen und Dingen spielt, oder die Kunst des Autors, der seinen eigenen Strafprozeß dramatisiert und Zeugen und Angeklagten in einer Kriminalkomödie vergegenwärtigt, die den Vergleich mit Molières besten Charakterlustspielen aushält. Voltaire rät denn auch Beaumarchais unter dem ersten Eindruck seiner Mémoires an, seine Prozeßschriften spielen zu lassen, wenn der Barbier nicht durchgreift; Bernardin de Saint-Pierre stellt ihn sogleich in eine Reihe mit Molière. Collé wurde nicht müde, in Tagebüchern und Briefen die Schilderung der Konfrontation mit Madame Goezmann als die Krone der französischen Lustspielliteratur des 18. Jahrhunderts zu preisen. Unser Held schlägt sich »mit zehn, zwölf Personen auf einmal und ringt sie alle nieder, wie Arlequin sauvage eine ganze Rotte der Scharwache über den Haufen rennt«: das Kunststück gelingt ihm im heimlichen Gerichtsverfahren so trefflich, daß er dessen öffentliche Wiederholung nicht zu scheuen braucht. Die außerordentlichen Erfolge, welche Voltaire, Elie de Beaumont, Linguet etc. mit Prozeßschriften – Mémoires – beim großen Publikum davongetragen, ermuntern ihn, es ihnen gleichzutun: aber kein Anwalt fand sich, der den Mut gehabt, seine Vertretung zu führen – galt es doch einen Angriff gegen einen Parlamentsrat. Guyot unter Mémoire. – Brunetière, Nouvelles études critiques: La librairie sous Malesherbes. – Littré, Dictionnaire s. v. Mémoire. – Archives nationales X 2 B., 1400 Parlement criminel. Procès criminel 1771–74. Prozeß gegen Archier und Genossen wegen Verbreitung aufrührerischer Schriften gegen das Parlament Maupeou. Vgl. dazu auch Hardy, 6. I. 1772. Maupeouana, II. 238. 239. Das Journal historique, V, 148 verzeichnet die Strafe für den Hauptkolporteur: acht Jahre Verbannung nach einer zweijährigen Untersuchungshaft.

Da faßte er den waghalsigen Entschluß, sein eigener Sachwalter zu werden. In der Form von Mémoires schickte er seine Flugschriften aus, die er mit ebensoviel Keckheit als Erwerbstrieb an allen Toren von Paris verteilen, in die Provinzen verschicken und jeder Gerichts- und Verlagsordnung zuwider in allen Buchhandlungen feilhalten ließ. Die »Mémoires« der Prozeßparteien waren dazumal allerdings noch zensurfrei, wie die Schriften der Bischöfe, aber diese Norm war natürlich nur im Interesse der Richter, im Interesse der besten und bequemsten Vervielfältigung der Parteieneingaben gegeben worden. Der verwegene, satirische Ton, den Beaumarchais anschlug, bleibt ein Zeugnis seiner aller Gefahren spottenden Tollkühnheit, denn gerade sein unmittelbarer Widersacher Goezmann hatte den Druckern und Verbreitern der gegen das Parlament Maupeou gerichteten Schmähschriften als echter Blutrichter den Prozeß gemacht und der alternde Ludwig XV. bestrafte, gleich dem Triumvirat Maupeou-Terray-Aiguillon, die ersten Würdenträger, die Großen des Reiches, abgetane Minister etc. so hartherzig und erbarmungslos mit Bann und Bastille, daß Beaumarchais' Beginnen nur aus seiner verzweifelten Lage erklärt werden kann. Zu verlieren hatte er allerdings kaum mehr, als seine persönliche Freiheit: zu gewinnen aber so gut wie alles, das Ohr der Mächtigen und den Beifall der Menge. Trübe, pathetische Klagen, deklamatorische Beschuldigungen im Stil der Beaumont und Linguet hätten ihren Zweck verfehlt, vielleicht auch auf der Stelle Gewaltmaßregeln auf ihn herabbeschworen. So kehrte er mit richtiger Witterung die komische Seite der Sache heraus. Er verstand es, nach Voltaire, lachen zu machen in einer ernsten Sache und hatte im Nu alle Welt für sich. Sein leichtes Blut, sein heiteres Naturell kam ihm in ungeahnter Weise zu statten. Er beeilte sich auch diesmal über seine furchtbaren Abenteuer zu scherzen, aus Angst, ja nicht darüber weinen zu müssen und er vergleicht seinen Geist mit Recht dem Federball, der von der Ballpritsche immer stärker, immer höher mit Zug und Schwung emporschnellt, die Zuschauer stets aufs neue beschäftigt und belustigt.

Dabei zählt es zu den großen Eigenschaften Beaumarchais', daß er bei allem Selbstvertrauen genau weiß, daß er der eigenen Bildung, dem eigenen Geschmack nicht unbedingt trauen darf; wie er die Szenen seines »Barbier« Blatt für Blatt von zuverlässigen Freunden kritisieren ließ, so zieht er auch diesmal einen Kreis von vertrauten Ratgebern um sich, denen er seine ersten, oft schonungslos abgelehnten, nach ihren Verbesserungen oft drei- und viermal überarbeiteten Entwürfe vorliest. Schwager Miron wird für juristische, Gudin für historische, Gardanne für medizinische Erörterungen herangezogen. Mr. de La Chataigneraye spricht bei diesen Vorlesungen als Weltmann mit; als Mitarbeiterin der besten und rührendsten Familiengeschichten ist Julie zur Stelle: ihre feine Hand hat erst das eine und das andere der schönen Augenblicksbilder vollendet, in welchen Beaumarchais sich inmitten der Seinigen als zärtlicher Sohn und ritterlicher Bruder verewigte; ihren Takt, ihre Kenntnis der Frauenwelt werden wir wiederholt bei der näheren Analyse der Mémoires zu preisen haben. Außer diesen nächsten Vertrauten, der bande joyeuse, wie sie von Goezmann und dessen Leuten, als dem tribunal de la haine, genannt werden, stehen ihm als vorkostende Kritiker und Mitarbeiter Malesherbes und Conti zur Seite. Und sowie die ersten Mémoires ihren Siegeslauf durch Paris antreten, erstehen ihm unter den alten Parlamentariern, wie unter den Feinden der neuen Ordnung ungezählte Nothelfer, die ihm – Tag für Tag, oft an die hundert – Zuschriften nicht bloß mit Äußerungen der Zustimmung, sondern auch mit wertvollen Mitteilungen über die Pläne und Persönlichkeiten seiner Gegner ins Haus schicken. Der vielbelächelte, dilettantische Bühnendichter wächst über Nacht zu einem Autor heran, dessen Streitschriften von den Kennern sofort mit Pascals »Provinciales« verglichen werden; gutgläubige Philister feiern den vorher so gründlich verachteten Lebemann sogar als Musterbürger von plutarchischer Seelengröße. Und diese merkwürdige Wandlung der öffentlichen Meinung und Stimmung vollzieht sich in einem Zeitraum von kaum sechs Monaten: ja, für die Wissenden besteht schon nach der Veröffentlichung des ersten Mémoires kein Zweifel darüber, welch wunderbares Talent hier unbewußt in den Dienst einer großen Sache getreten ist.

9. Die Mémoires im Prozeß Goezmann

Cordier verzeichnet vierzig Nummern unter dem Schlagwort Affaire Goezmann: die meisten beziehen sich auf die Mémoires der Gegner Beaumarchais', die auch gegen seine Beiräte, Julie, Gardanne etc. mit Streitschriften auftreten. Cordiers Angaben sind in keiner Weise erschöpfend: eine viel ausführlichere Aufzählung enthält das Originalurteil vom 26. Februar 1774, abgedruckt in der Suite de la justification du Sieur de Beaumarchais, 1776, S. 1–14. Ich selbst besitze die meisten Gegenmémoires: die vollständigste Sammlung derselben fand ich in der Pariser Bibliothèque de l'Arsenal.

Er war ein toller Christ und Sie müssen seine
Memoiren lesen. Prozesse waren sein Element,
worin es ihm erst eigentlich wohl wurde. Es
existieren noch Reden aus einem seiner Prozesse,
die zu dem Merkwürdigsten, Talentreichsten und
Verwegensten gehören, was je in dieser Art verhandelt
worden.

Goethe: Gespräche mit Eckermann

Nach dem ersten Verhör vom 27. Juli durfte Beaumarchais noch erwarten, daß die Kriminaluntersuchung eingestellt werden würde. Le Jay, der in der zweiten Juliwoche in die Conciergerie abgeführt worden war, wurde anfangs August wieder in Freiheit gesetzt und niemand unter Maupeous Freunden und Feinden begriff, weshalb der Kanzler diese Händel nicht kurzweg durch ein Machtwort des Königs niederschlagen ließ. Nach seiner zweiten Vernehmung am 21. August mußte Beaumarchais diese langgehegte Hoffnung aufgeben. Die Vorladungen alter und neuer Zeugen nahmen kein Ende; seine Konfrontation mit den Angeklagten wurde auf die zweite Septemberwoche angesetzt: seine Gesuche, drei Räte, Nicolai, Gin, Nau de St. Marc, als Parteigänger Goezmanns ablehnen zu dürfen und anderes mehr, wurden von dem Parlament so schlecht aufgenommen, daß er die Überzeugung gewinnen mußte, er könne aus diesem Prozeß, wenn überhaupt, nur mit Hilfe der öffentlichen Meinung unangefochten hervorgehen. Nach einem Zuwarten von drei Monaten überraschte er Richter und Laien mit einer Denkschrift, deren Titelblatt am besten einer der tiefsten Sätze des römischen Rechtes schmücken würde: Coactus volui – denn solange er vorher gezaudert hat, jetzt, dem unwiderstehlichen Zwang gegenüber, betätigt er eine Willenskraft, wie sie, wenigstens nach seinen eigenen Worten, keiner verächtlichen Seele innewohnt.

Im weltmännischen Plauderton setzt er ein: so frei über den Dingen stehend, seinen Stoff so sicher beherrschend und kunstreich meisternd, als gälte es die launige Erzählung einer von allerlei Fährlichkeiten begleiteten Fuchsjagd, nicht aber einen Handel, in dem es um Ehre und Leben geht.

»Die Frage, welche heute die Vollversammlung der Ratskammern beschäftigt, geht dahin: ob die Notwendigkeit, an die Umgebung eines Richters Geld zu verteilen, um sich eine unerläßliche Audienz zu verschaffen, ein Fall sträflicher Bestechung oder nur ein bemitleidenswertes Unglück sei?«

Damit war allerdings die heikelste Frage berührt: Beaumarchais hat vor seinen Erlebnissen im Hause Goezmann nicht entfernt daran gedacht, seinen Referenten zu bestechen; nur die Hartnäckigkeit, mit welcher ihm der Zutritt beim Parlamentsrat verwehrt wurde, hat ihn darauf gebracht, Erkundigungen über ihn einzuziehen, und erst bei diesem Anlaß hat er gehört, daß Frau Goezmann wiederholt im Laden Le Jays geäußert haben soll: »der Gehalt ihres Mannes sei zu gering, um standesmäßig leben zu können; sie wisse, daß die Leute vom alten Parlament Nebeneinkünfte gehabt und auch sie würde die Kunst verstehen, ein Huhn zu rupfen, ohne daß es schreie«. Aber so sicher es ist Genau so denkt Macaulay, Essays. Vol. II., London, 1862, Lord Bacon (369 ff.): There can be no doubt that, if the decision of the court had been favourable to him, these things would never have been known to the world. Goezmann rechnete nicht mit solcher dountless effrontery Beaumarchais'., daß er sich nicht aus eigenem Antrieb zu seinem Geldopfer verstand, ebenso sicher scheint uns, daß die 100 Louis und die diamantenbesetzte Uhr nicht nur dazu vermeint waren, Zutritt in das Haus des Richters, sondern ein günstiges Urteil zu erhalten; weshalb wären sonst die ersten 100 Louis überhaupt zurückgestellt worden? Die Audienz war ja erteilt und der – angebliche – Preis für dieselbe zum voraus bedungen und bezahlt worden. Daß die Form dabei einigermaßen gewahrt werden mußte, daß man den Kaufpreis des Urteils dem Richter nicht geradezu in die Hand drückte, sondern unter mehr oder weniger schicklichen Vorwänden Mittelspersonen an seine Frau schickte, das begriff der letzte Mann aus dem Volke so gut und rasch, wie der König und Kanzler. So unermüdlich Beaumarchais auch immer wiederholt und durch die Aussagen von Angeklagten und Zeugen zu erhärten versucht, es habe sich schlechterdings nur um die Vermittlung von Audienzen gehandelt: er täuschte niemanden. Auch auf ihn traf Basilios Wort zu: Qui trompe-t-on ici? tout le monde est dans le secret. Aber das verschlug weiter nichts. Alle Welt war im Geheimnis und trotzdem oder ebendarum durfte er auf die Sympathien aller Mitwisser seines Geheimnisses zählen, denn die strengsten Moralisten mußten ihm recht geben, wenn er meinte: »die Justiz muß das Auge vor allem auf die Hand, die nimmt, nicht auf die Hand, die gibt, offen haben. Nicht aus freiem Willen, sondern aus unausweichlicher Notwendigkeit wagt man – nicht unnahbaren – vielmehr nur verdächtigen, ihre Habsucht kaum verbergenden Richtern mit Anerbietungen der Art zu kommen«. Und deshalb ließ man es sich gern gefallen, daß er seinen eigenen, nicht sehr sauberen Rechtshandel zum Ehrenhandel der Nation hinaufsteigerte; die Wissenden, obenan Malesherbes Malesherbes' ungemein scharfe Abfertigung von Beaumarchais' Machenschaften (Brief vom 31. Dezember 1790) im Amateur d'autographes 1865 und Beilage V der ersten Auflage meines Beaumarchais 1886., verehrten in ihm niemals einen tadellosen Charakter, der ein Opfer der Rachsucht und Tyrannei geworden, wie La Chalotais oder La Bourdonnaie, aber dazumal wie heute hieß man ihn als Gelegenheitsredner willkommen, der die Schelmenmoral »auf einen Spitzbuben anderthalbe« voll Witz und Talent übte. Dabei folgte er dem Zug seiner angeborenen, rednerischen und theatralischen Begabung, sich die Leser immer als Hörer und Zuschauer zu vergegenwärtigen. Er schrieb und wirkte, auch in den Mémoires, mit der Technik des Dramatikers.

Den eigentlichen Tatbestand setzt er mit nervöser Energie auseinander; sein erfinderischer Geist weiß diese Exposition mit Eins humoristisch zu beleben. In der trockenen Vorgeschichte seines Prozesses überrascht er uns durch die putzige, ziffermäßige Aufzählung von zweiundzwanzig Gängen, die er machen mußte, um nur einmal Einlaß bei Goezmann zu erhalten. Und unversehens rückt er an die Stelle der Haupthandlung, in diesem Falle der Selbstverteidigung, satirische Zwischenspiele und ruhig räsonierende Bemerkungen im Stil des aristophanischen Chorus. In der Schule Voltaires hat er es gelernt, den Einzelfall zu verallgemeinern. Auch in der Klarheit der Darstellung verleugnet er diesen Meister nicht; entschieden überlegen ist er ihm aber in der Gabe, uns komische Gestalten leibhaftig vor Augen zu stellen. Die Episoden, in welchen Baculard d'Arnaud und Marin als boshafte Schelme eingeführt werden, lassen wohl noch nicht ahnen, zu welch unvergleichlichen Grotesken sie in diesem Gerichtsdrama späterhin emporwachsen werden, aber in Reden und Behaben sind sie schon in diesem Flugblatt so kräftig gefaßt, so richtig verfestigt, daß man ihresgleichen vergebens in den parodistischen Zerrbildern des »Candide« suchen wird. Selbst als Epigrammatiker überragt er mitunter Voltaire, nicht weil er größer, sondern weil er auf seinen Schultern steht. Und die neue Tonart, welche Rousseau in der Erörterung öffentlicher Angelegenheiten zuerst zur Geltung gebracht, beherrscht Beaumarchais so sicher, wie der Autor des Briefes an den Erzbischof von Paris. Ein kühner, moderner Zug durchwaltet vom ersten bis zum letzten Blatt die Beredsamkeit der Mémoires – wie eine Vorahnung der ungeheuren Macht, welche das freie Wort in unserem Staatsleben errungen hat, mußte es schon die ersten Leser dieser Streitschriften überkommen. Und selbst heute, bald hundertvierzig Jahre nach dem Erscheinen dieser Blätter, wissen wir nicht gar viel Kammer- oder Gerichtsreden zu nennen, die mit gleicher Sprachgewalt Pathos und Ironie, leidenschaftliche Zornesausbrüche und witzige Invektiven zum Ausdruck gebracht haben. Beaumarchais führt das Wort weit weniger zu seiner Verteidigung, denn als Ankläger: »die Magistrate machen nicht der Schwachheit, nur der bösen Absicht den Prozeß«, meint er wiederholt. Und solche Behauptungen geben ihm Anlaß oder Vorwand, den Verdacht von Bestechungspraktiken kurzweg auf Goezmann zu überwälzen, so vornehmlich in seinen Schlußbetrachtungen: »Der Bestechende will nur eine Sache: er braucht dazu nur einen Augenblick, er spricht nur ein Wort und wird entweder zum Fenster hinausgeworfen oder mit seinem Antrag zu Gnaden aufgenommen.« Man vergleiche damit seine Haltung: seine unablässigen Bitten um Gehör; sein Zögern in den Geldgaben; sein Benehmen nach der ersten Audienz usw. »Aber bei Ihren, wenn auch nur zögernd gebrachten Geldopfern ist es höchstwahrscheinlich, daß Ihre Bitten um Audienzen nur ein Vorwand waren, unter welchem Sie die Absicht versteckten, ihren Richter zu bestechen …?« – »Allerdings: sehr wahrscheinlich! Und glaube nur keiner, daß ich hier müßige Einwendungen ersinne, mit deren Beantwortung ich mir die Zeit vertreibe; dieselben wurden mir samt und sonders beim Verhör gemacht. Es ist höchstwahrscheinlich, gewiß! Nur handelt es sich hier glücklicherweise nicht darum, auf Wahrscheinlichkeiten hin schuldig zu sprechen, sondern durch schlüssige Beweise zu entscheiden, ob ich schuldig bin oder nicht. Was würde Herr Goezmann von mir halten, wenn ich den Felsblock, mit dem er mich zermalmen will, auf ihn zurückwälzen und sagen würde, da Madame Goezmann die Audienz ihres Mannes verkauft hat, ist es sehr wahrscheinlich, daß er zur Hälfte bei dem Geschäfte mit beteiligt war?«

Meister Adam im »Zerbrochenen Krug« büßt den Mißbrauch seiner Amtsgewalt in der Gerichtsszene nicht härter, als Meister Goezmann schon bei dieser ersten öffentlichen Begegnung mit »einem Dämon von Angeklagten«: denn was Beaumarchais nach den früheren, unzweideutigen Redewendungen etwa noch zu sagen übrig blieb, das versparte er mit seinem wohlgeübten Verständnis für den Effekt auf die Schlußworte seines Mémoires. Wollte man ihn verurteilen, so würde dieser Schuldspruch jedem habgierigen, bestechlichen Richter für alle Zukunft geradezu als Waffe dienen. Mit diesem Urteil in der Hand könnte er vor jede Prozeßpartei hintreten mit der Drohung: »Zahle 100 Louis, wenn Du willst, daß ich Dir Gehör schenke; wenn Du aber gezahlt hast, dann lies, gleichviel ob ich Dir Audienzen gewähre oder nicht, dieses Erkenntnis und zittere davor, Dir auch nur ein Wörtchen entschlüpfen zu lassen.«

Der Erfolg dieses ersten Mémoires war ein durchschlagender: binnen acht Tagen mußte eine zweite Auflage veranstaltet werden, die ebenso rasch vergriffen war, wie die erste. Niemand verstand, daß ein für Goezmann so diffamierendes Blatt frei umlaufen durfte. So unglaublich es scheint, Maupeou selbst war, vielleicht aus Haß gegen Aiguillon, Beaumarchais freundlich gesinnt; nur durch diese wohlwollende Haltung des Kanzlers wäre es erklärbar, daß Beaumarchais nicht verhaftet und sein Mémoire nicht mit Beschlag belegt wurde. Vgl. Arneth, Beaumarchais und Sonnenfels, S. 56. In einer Depesche Mercys an Kaunitz heißt es, Sartines habe erklärt: »es wäre der Kanzler (Maupeou) ein beständiger Gönner Beaumarchais' gewesen«. Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv. Der überlegene Hohn, mit welchem eine scheinbar nur aus Minutien zusammengesetzte Geschichte vorgetragen wurde, jede noch so versteckte Anzüglichkeit, alle ernsten und heiteren Betrachtungen wurden mit Begier aufgegriffen und als Hauptverdienst Beaumarchais' hob der ehrliche Buchhändler Hardy gleich von Anfang an treffend hervor, er verstehe die Kunst, von aller Welt gelesen zu werden. Die Spannung wurde noch dadurch erhöht, daß niemand den weiteren Verlauf der Dinge voraussehen konnte. Die einen meinten mit Hardy, daß dieser Prozeß juristisch überhaupt nicht zu schlichten sei; die meisten hielten auch Goezmann schon jetzt für dermaßen kompromittiert, daß das Gerücht Glauben fand, er würde seine Stelle im Parlament aufgeben und als Konsul nach Smyrna gehen. Die Zweifel wurden rasch gelöst. Trotz der Gerichtsferien wurde die Untersuchung vor der chambre des vacations fortgesetzt und auch außerhalb der Gerichtsstube traten Madame Goezmann, Baculard d'Arnaud und Marin ihrem Widerpart entgegen. Jeder Eine wäre den Mémoires dieser Edlen gewachsen gewesen – Beaumarchais behandelte ihre Schmähschriften geradezu als Schleifstein seines Witzes. Baculard d'Arnaud suchte vergebens seine niedrigen Gesinnungen hinter salbungsvoller Gleisnerei zu verbergen; Marin übte umsonst sein altes Handwerk der Achselträgerei und Verleumdung und Madame Goezmann war sehr übel beraten, als sie ihre Antworten von ihrem Gatten aufsetzen ließ. Beaumarchais nahm die Herren Mann für Mann vor, wie sie's verdienten: Goezmann, der schwerfällige elsässer Pedant, wurde trotz oder richtiger wegen seiner gelehrten Prahlereien in Beaumarchais' Charakterbild unversehens ein Doppelgänger von Molières schuftigem Trissotin; »ein Nadelstich genügte, um diesen aufgeblasenen Ballon zum Platzen zu bringen«. Marin wurde in seiner Erbärmlichkeit, Heuchelei und Gemeinschädlichkeit so allgemeiner Verachtung und zugleich so unauslöschlichem Gelächter preisgegeben, daß seine amtliche und gesellschaftliche Stellung in Paris unhaltbar wurde. Der Duckmäuser Baculard verlor den Rest von Ansehen, wenn er dergleichen nach Voltaires Sarkasmen überhaupt noch zu verlieren hatte, und bemerkenswert bleibt, daß nicht bloß schadenfrohen Weltkindern, sondern maßvollen Leuten das Geschick dieser Gesinnungs- und Leidensgefährten nur als wohlverdienter Lohn ihrer Taten erschien. »Niemand erbarmte sich ihrer«, meint Laharpe Cours de littérature XIII, 165. La Harpes Würdigung der Mémoires ist von keinem späteren Kritiker übertroffen, vielleicht nicht einmal erreicht worden., »als sie von Beaumarchais geschunden wurden, hatten sie ihm doch mit gezücktem Dolch aufgelauert«. Die Behauptung ist mehr als bloße Redefigur: sachlich bieten ihre Streitschriften – von ihren unfreiwilligen Selbstporträts abgesehen – wenig Ausbeute; sie ergehen sich am häufigsten in Schmähungen, die ihnen Beaumarchais hundertfach heimgibt: denn er löst jeden plumpen Nickelgroschen mit zierlich geprägtem Edelmetall ein. Nebenher gefallen sie sich aber auch in den nichtswürdigsten Angebereien; das mag man bei Goezmann und Marin noch begreiflich finden; die beiden fühlten, daß sie um ihr Amt und ihre Existenz kämpften. Mit welchem Recht aber stieß auch Baculard d'Arnaud in ihr Horn? Dieser Autor ohne Talent und Charakter würde nach den Enthüllungen in Beaumarchais' erstem Mémoire am besten geschwiegen haben: statt sich zu dieser bescheidenen Sühne seines törichten und überflüssigen Schurkenstreiches zu verstehen, vermißt er sich, den Sittenrichter zu spielen. Auch die anderen Gegner Beaumarchais' nehmen den Ton der gekränkten Unschuld gegen das triumphierende Laster an; nichts begreiflicher, als daß ihre Mémoires in der Gesellschaft den stärksten Beweis gegen sie machten; von diesen Naturselbstdrucken stachen Beaumarchais' Zerrbilder durch die Grazie ihrer Formgebung ab. Wohl durfte er jubeln, daß sein Geschick ihm solche Widersacher beschieden. Mit jeder neuen ihrer »tausend und ein« Streitschriften erhöht sich das Bewußtsein seiner genialen Überlegenheit. Man fühlt, wie ihm von einem Mémoire zum anderen Mut und Kraft wachsen, und nirgends mehr, als in den ohnmächtigen Wutausbrüchen und selbstgefälligen Tugendphrasen der Goezmann, Marin, Baculard und Bertrand, offenbart sich Beaumarchais' Erfolg beim Lesepublikum, denn inmitten aller Verwünschungen verstehen sich seine Gegner zu dem Zugeständnis der ungemessenen Volksgunst, welche die Mémoires errungen. Sein Ton wird zusehends freier, siegesgewisser; was auch kommen mag: Eines weiß er bestimmt, alle guten Geister Frankreichs sind mit ihm; seine Angeber und Verleumder gehen nicht ungestraft aus diesen Händeln hervor, sie sind gerichtet von der öffentlichen Meinung des Landes und Europas. Encore un ennemi, encore quelques mémoires et je suis blanc comme la neige! ruft er einmal jauchzend aus. Er hat endlich sich selbst und das Geheimnis seiner advokatischen Begabung entdeckt. Die von ihm und allen anderen ungeahnte Vielseitigkeit und Geschmeidigkeit seines Talentes erfüllt ihn mit übermütiger Schaffenslust. Er ist immer und gegen jedermann mit Abfertigungen zur Stelle. Die volle Frische eines starken, unverbrauchten Naturells entfaltet sich in einer Mustersammlung von ironischen und pathetischen Plaidoyers. Selbst seine Unfähigkeit, Werke langsam ausreifen zu lassen, kommt ihm bei diesen Leistungen, die aus dem Stegreif gefordert und geboten werden, zugute. Ja, wir finden in den Mémoires sogar, was wir in dem sonstigen literarischen Wirken Beaumarchais' vergebens suchen – eine stetige Entwicklung in aufsteigender Linie. Die Konsultation der Anwälte ist vom 17. November datiert: Hardy spricht davon erst unter dem 21. November, das Journal hist. schon unter dem 20. November 1773. Die Konfrontationen der Zeugen und Angeklagten im Prozeß Beaumarchais – Goezmann befinden sich im Pariser Nationalarchiv. Fonds X2, 13, No. 1338. Vgl. auch Musée des archives nationales publié par la direction générale des archives nationales. Paris, Plon, 1872, Nr. 1013.


Seine wiederholten Bitten um Einstellung des Strafprozesses waren neuerdings abgewiesen worden. Grund genug für ihn, »als Kämpe der öffentlichen Meinung« sich abermals an die Richter und, mehr noch als an diese, an »die Richterin aller Richter«, die Nation, zu wenden. In einem Supplément au mémoire etc. kehrt er sich ausschließlich wider Herrn und Frau Goezmann. Gegen jenen mit leidenschaftlicher Entrüstung, gegen diese durch die Darstellung ihrer gerichtlichen Konfrontationen, in der Form unübertrefflicher Komödienszenen. Selbst die Bühnenanweisungen im Diderotschen Stil sind nicht vergessen. Als wirksamste Kontrastfigur tritt der Angeklagten vor allem die Frau des Buchhändlers Le Jay gegenüber: eine Plebejerin – die Prozeßakten sprechen immer nur von einer femme Le Jay – die mit ihrer derben Wahrhaftigkeit Madame Julie Jamart, wenigstens bei Beaumarchais, vollständig schlägt. Er läßt den Lesern den Auftritt so glaubhaft erscheinen, daß ihnen das Bedenken gar nicht aufsteigt, ob er sich auch in Wirklichkeit genau so abgespielt hat. Das war nun freilich nicht der Fall; aber Beaumarchais' Zweck war erreicht, er wollte Madame Goezmann mit ihrer raschen Zunge, ihrem Kindskopf, ihrem fahrigen Wesen schildern, bevor er ihr in Person gegenübertrat. Da er jedoch bei dieser Gelegenheit die schwersten sachlichen Beschuldigungen und mehr als das, offenbare Anstößigkeiten, zur Sprache bringen wird, versäumt er es nicht, die Sympathien seiner weiblichen Leser vorher und nachher durch eine Verherrlichung der Frauenwelt zu gewinnen. Je galanter er gegen das schwache Geschlecht im allgemeinen ist, desto rücksichtsloser kann er gegen Madame Goezmann im besonderen sein, oder vielmehr gegen Monsieur Goezmann, denn mit zu den glücklichsten Eingebungen seines Kriegsplans gehört es, die volle Gehässigkeit des Prozesses ausschließlich dem »Oger« von Mann aufzulasten, der aus Feigheit seine Frau in Händel verstrickte, die er und er allein hätte auf sich nehmen müssen.

»Man kann sich gar nicht vorstellen, wieviel Mühe Madame Goezmann und ich hatten, einander zu begegnen, sei es, weil sie wirklich so oft unpäßlich war, wie sie das dem Untersuchungsrichter melden ließ, sei es, weil sie besonderer Vorbereitungen bedurfte, um einen so gefährlichen Zusammenstoß zu bestehen. Endlich traten wir einander Aug' in Aug' gegenüber. Unter den herkömmlichen Förmlichkeiten erscheint auch die Frage: ›ob wir einander kennen?‹

›Das gewiß nicht,‹ antwortet Madame, ›ich kenne ihn nicht und wünsche ihn auch nicht zu kennen‹: eine Äußerung, die zu Papier gebracht wurde. ›Ich habe ebensowenig die Ehre, Madame zu kennen; bei ihrem Anblick kann ich mich jedoch nicht enthalten, einen dem ihrigen gerade entgegengesetzten Wunsch zu hegen‹ – lautete meine Entgegnung, die gleichfalls protokolliert wurde.«

In dem Tone ging es in zwei aufeinander folgenden Sitzungen, beiläufig acht Stunden lang, fort; Madame setzt wiederholt in ›übermäßig maskuliner‹ Weise ein und Beaumarchais hänselt sie unablässig auf das ritterlichste. Als er nach der Vorlesung sämtlicher Verhörs- und Zusatzprotokolle von Madame Goezmann zu Worte kam, vermochte er, angesichts »dieses Meisterwerkes von Widersprüchen, Gemeinheiten und Ungeschicklichkeiten« einen Ausruf des Erstaunens nicht zu unterdrücken.

»Was soll das bedeuten?« ruft Madame entrüstet. »Das bedeutet, daß Sie eine sehr liebenswürdige Frau sind, die nur jedes Gedächtnisses bar ist, was ich Ihnen morgen früh zu beweisen gedenke.« »Schändlicher Mensch!« lautete die Antwort, »Sie verschieben Ihre Antwort offenbar nur, um Zeit zu gewinnen, Ihre Bosheiten besser vorzubereiten, aber ich erkläre Ihnen, Nichtswürdiger, daß, wenn Sie Ihre Einwendungen nicht sogleich vorbringen, man Sie morgen früh nicht mehr damit hören darf.«

Ebenso überrascht von dieser trotzigen Herausforderung, wie von dem bramarbasierenden Ton Madames erwidere ich: »Woher wissen Sie denn, Madame, daß ich ein so abscheulicher Mensch bin?« »Ich weiß es, von wo ich es weiß. Es ist mir gesagt worden.« »Vielleicht von Herrn La Blache?« »Von aller Welt – noch im letzten Winter – auf dem Opernball.« »Dann muß herzlich schlechte Gesellschaft dort gewesen sein, Madame; bei Ihrem Anblick fühle ich, daß es tausend angenehmere Dinge zu sagen gab, denn Sie werden zugeben, daß Sie nicht gerade die hübschesten Ballgespräche führten. Wie dem aber auch sei – da Sie heute durchaus noch Einwendungen hören wollen, frage ich Sie, ohne jedes weitere Nachdenken, weshalb Sie in all Ihren Verhören angeben, 30 Jahre alt zu sein, während Ihr Gesicht im Widerspruch damit höchstens auf 18 weist?«

Nach diesen Worten will sich Beaumarchais mit einem tiefen Knix verabschieden: die einfältige, eitle Frau aber langt rasch nach Fächer und Mantille und bittet ihn geschmeichelt, ihr den Arm zu reichen, um sie bis zum Wagen zu begleiten. Beaumarchais versteht sich auch zu dem geheischten Ritterdienst und erst der Gerichtsschreiber Fromm muß die beiden darauf aufmerksam machen, daß die Galanterie in diesem Augenblick und an diesem Ort nicht ganz angemessen sei. Beaumarchais macht eine zweite Reverenz und meint: »Nun denn, Madame, bin ich wirklich ein so schändlicher Mensch, wie man Ihnen hat weismachen wollen?« »Hm – zum mindesten sind Sie doch recht boshaft.« »Ach, Madame, überlassen Sie die argen Schmähreden lieber uns Männern, sie entstellen immer einen hübschen Frauenmund.« Auch dieses Kompliment wurde mit gnädigem Lächeln aufgenommen, und Beaumarchais braucht nicht erst zu versichern, daß selbst die ernsthaften Gerichtspersonen bei solchen und ähnlichen Einfällen in helles Gelächter ausbrechen mußten. Nach diesem Stücklein darf man aber auch Madame Goezmann Glauben schenken, wenn sie erzählt, Beaumarchais habe in Gegenwart des Untersuchungsrichters die Sache soweit getrieben, ihr den Antrag zu machen, sie möge sich auf seine Seite schlagen; sie würde, wenn sie sich mit ihm (Beaumarchais) verständigen wollte, von ihrem Mann (der gleich zu Beginn des Prozesses einen Haftbrief für seine Frau ausfertigen, doch nicht vollstrecken ließ) nicht in ein Kloster eingesperrt werden. Herr Goezmann sei ja doch ihr Quälgeist, wie der seinige, und sie würde ihn deshalb gewiß eines Tages erhören, seine Bemühungen würden ihr nicht mißfallen etc. etc.«

»Ich weiß nicht, woher es kommt,« schreibt er ein andermal, »aber sowie eine Frau in einem noch so verdrießlichen Handel erscheint, sänftigt sich der rauheste Charakter; alle Einwendungen werden milder vorgebracht, so groß ist der Zauber dieses Geschlechtes, dem man in Frankreich alles verzeiht, daß man weniger mit ihm hadert, um den Tatbestand zu klären, als um Anlaß zu haben, sich demselben zu nähern.« Die empfindsame Redewendung birgt ihren Stachel, denn keine dieser oft wiederholten Huldigungen für die »besten Freundinnen seines Lebens« hält ihn einen Augenblick ab, Madame Goezmann vor Gericht und öffentlich die grausamsten Wahrheiten zu sagen:

»Wie kommt es, Madame, daß Sie bei Ihrem ersten Verhör rundweg in Abrede stellten, die 100 Louis genommen und in Ihre Blumenschachtel gelegt zu haben, während Sie dieselbe Tatsache bei Ihrer zweiten Vernehmung zugaben?« Nach allerlei ausweichenden heftigen Antworten verweist sie auf ihr Zusatzprotokoll und erklärt, daß sie bei ihrem zweiten Verhör nicht wußte, was sie sagte, – – » étant dans un temps critique«.

» Critique à part«, erwidere ich, indem ich die Augen für Madame niederschlage, »der Grund scheint mir sehr sonderbar« (ohne die entscheidende Wichtigkeit dieser Aussage würde ich – schon aus Achtung für die Damenwelt – diese wunderliche Ausflucht gar nicht erwähnt haben). »Sie mögen mir glauben oder nicht,« nimmt nun Madame auf, »aber es gibt wirklich Zeiten, in welchen ich nicht weiß, was ich sage und alles vergesse: so ist es mir erst neulich begegnet …« Und damit beginnt sie eins der Geschichtchen vorzubringen, deren einziges Verdienst darin besteht, die Zuversicht des Erzählers zu stärken. – »Geben Sie sich keiner Täuschung hin, Madame«, bemerkt Beaumarchais mit großem Nachdruck in dem Supplément; »bevor das Parlament auf Ihre Vertraulichkeiten eingeht und Ihre unglaubliche Erklärung gelten läßt, muß dem Strafgesetz erst eine neue Bestimmung hinzugefügt werden, derzufolge jeder Vernehmung einer Frauensperson als unerläßliches Vorspiel eine Untersuchung durch Matronen voranzugehen hat …« Alle weiteren Auseinandersetzungen Beaumarchais' in dieser heiklen Materie zeugen für seinen Takt nicht minder, als für seinen gesunden Menschenverstand.

Ein andermal fängt er die Goezmann, wie ein Schulkind, das sich verplaudert. Madame erklärt immer wieder, daß Le Jay ihr niemals 15 Louis angeboten, oder von dieser Summe auch nur gesprochen habe. »Bedenken Sie, Madame, daß es weit besser wäre zu sagen: ich habe die 15 Louis zurückgewiesen, als zu behaupten, daß Sie gar nichts davon wissen.« »Ich bleibe dabei, daß man mir niemals davon gesprochen. Hätte es irgendwelchen Sinn gehabt, 15 Louis einer Frau meines Ranges anzubieten? mir, die ich tags zuvor 100 Louis abgelehnt …« »Tags zuvor? An welchen Tag denken Sie dabei?« »Nun an den Tag, an welchem …« Damit bricht sie jählings ab und beißt sich auf die Lippen. »Offenbar, Madame, an den Tag vor dem Tag, an welchem man Ihnen niemals von den 15 Louis gesprochen hat?« »Nun ist's genug«, erwidert sie zornig von ihrem Stuhle auffahrend, »oder ich gebe Ihnen ein paar Ohrfeigen … mit all Ihren hinterlistigen Redereien wollen Sie mich nur verwirren, aber ich schwöre, daß ich kein Wort mehr sprechen werde.« Und nun bekam der Fächer harte Arbeit, das Blut zu kühlen, das ihr ins Gesicht gestiegen war. Der Greffier wollte sich ins Mittel legen; aber auch er wurde gröblich abgeführt – sie war wütend wie eine angeschossene Löwin …«

So unerbittlich Beaumarchais seiner Widersacherin aber auch kleine und große Widersprüche nachwies – in einem Punkte wird er nicht müde, vor Richtern und Lesern ihr Zeugnis anzurufen; in der Versicherung, daß zwischen Le Jay und ihr niemals von etwas anderem, als von einer Audienz die Rede war. Dieses Zugeständnis nützt er unablässig, vor allem gegen ihren Mann aus, dem der zweite Teil des Supplément gewidmet ist.

Von Anfang an hat Beaumarchais die Taktik verfolgt, dem Parlamentsrat und ihm allein alle Verantwortung und alle Gehässigkeit für den abscheulichsten aller Prozesse aufzubürden. Er sagt so oft, daß Herr Goezmann aus freien Stücken sein Angeber geworden, daß der eine und der andere Leser es am Ende wirklich glaubt. Wir haben aber (Seite 142) gesehen, daß im Grund der ganze Prozeß nur durch die scharfe Zunge von Beaumarchais, durch das unaufhörliche Gerede von Julie und ihren Freunden hervorgerufen wurde. Und so wenig man Goezmann auch nur ein Jota von seiner Schmach abdingen wird und will, bemerkt muß doch auch werden, daß dieser argbedrängte Vorläufer von Kleists Dorfrichter gegen seinen Willen genötigt wurde, den Handel vor dem Parlamente zur Sprache zu bringen. Als die Sache soweit gediehen war, griff er allerdings zu den infamen Machenschaften mit Le Jay, doppelt infam, weil er dem Buchhändler, als es ernst wurde, sagte: »Ich habe die Dinge so geordnet, daß Sie im Prozeß nur als Zeuge, nicht als Angeklagter vernommen werden.« Sowie aber Le Jay hierauf bemerkte, er müsse ihm wahrheitgemäß mitteilen, daß er Madame zuliebe wohl in außergerichtlichen Erklärungen gelogen, nicht aber sich zu weiteren Unwahrheiten verstehen könne, erwiderte Goezmann ungeduldig: »Es tut mir um Ihretwillen leid, aber es ist keine Zeit mehr. Sie haben zwei Erklärungen ausgestellt, deren vollen Inhalt meine Frau Ihnen zum Trotz aufrechterhalten wird. Wenn Sie sich eines anderen besinnen, wird es nur desto schlechter für Sie sein.« Man begreift Beaumarchais' Ingrimm dieser Tücke gegenüber. Man begreift auch, daß er Goezmanns Bemühungen um Le Jays falsches Zeugnis Punkt für Punkt in einem Indizienbeweis darlegt, dessen Scharfsinn er mit Recht dem Kunststück des Altertumsforschers vergleicht, der die halbverlöschte Giebelinschrift der maison carrée zu Nimes aus den spärlichen Pünktchen zusammenbuchstabierte, welche die in unvordenklicher Zeit herausgefallenen Nägel der Erzbuchstaben daselbst zurückgelassen hatten. Aber so fest und schlüssig auch die Kettenglieder in Beaumarchais' preuves morales et physiques ineinander griffen, so gewaltig seine Erörterungen auch bei heimischen und fremden Lesern, Voltaire, Rousseau, Horace Walpole etc. einschlugen: überzeugender als die glänzendste Dialektik war das eigene, Beaumarchais damals noch unbekannte Geständnis Goezmanns, die Erklärung Le Jays aufgesetzt zu haben. Man begreift den leidenschaftlichen Ausbruch Beaumarchais', wenn er solchen Ränken gegenüber jede Mahnung, sich zu mäßigen, mit den Worten abweist: Unter dem 24. Juli 1773 sagt ein Infanterieoberst, der Ludwigsritter Sauvigny, aus: er wäre vor ungefähr vier Wochen in der Comédie Française bei der Tragödie Andromaque in den secondes loges gewesen; dicht neben ihm hätten zwei Herren, angeblich aus Nantes, gesessen, die von der Sache Goezmann und Beaumarchais lebhaft sprachen und sehr übel von dem Parlamentsrat redeten; der Offizier wies seine Sitznachbarn zurecht mit den Worten: »Ich kenne Herrn Goezmann nicht: doch halte ich ihn für einen sehr ehrenwerten Mann: etc.« Aber der Herr Oberst irrte gewaltig, wenn er zum Schluß meinte: »Derlei Gerüchte würden bald verstummen, schon deshalb, weil der Ruf der Person, die dazu Anlaß gäbe (Beaumarchais), ne fleuroit pas comme baume«. Arch. nat. l. c. Informations.

»Ein Mémoire in einem Halsprozeß darf nicht nach den Grundsätzen einer akademischen Prunkrede beurteilt werden; bei der Parade sieht man darauf, daß die Waffen blank geputzt seien: im Kampf entscheidet ihre Hieb- und Schußfestigkeit. Gestehen Sie mir in der Sache Recht zu und ich gebe Ihnen die Redensarten preis. Für mich gilt es zu siegen, nicht zu glänzen, oder vielmehr, Herr Rat, es genügt mir, nicht besiegt zu werden. Denn trotz Ihres erbitterten Hasses bekenne ich unumwunden, daß ich weniger suche, Ihren Fall vorzubereiten, als Sie zu hindern, den meinigen zu vollenden …«

Alsbald wird sich diese Versicherung in ihr Gegenteil verwandeln. Wenige Wochen nachher wird der von Goezmann wegen Verleumdung und versuchter Bestechung angeklagte Beaumarchais dem Parlamentsrat mit einem echten Figarostreich einen Kriminalprozeß wegen Fälschung eines Taufaktes aufhalsen. Schon jetzt aber vergleicht der démon d'accusé seinen Angeber Goezmann mit Verres und sagt zu guter Letzt: »das Parlament hört meine Verteidigung und die Franzosen haben Hände zum Beifallklatschen just ebenso, wie die Römer«.

An Applaus fehlte es auch diesmal nicht; den stärksten Lacherfolg hatten die Konfrontationen mit Madame Goezmann bei Hofe; die Du Barry ließ die Geschichte dramatisieren und als Proverbe unter dem Titel: à bon chat bon rat oder le meilleur ne vaut rien in Anwesenheit des Königs aufführen. Der nachmalige Darsteller des Figaro, Préville, machte Madame Goezmann, Feuillie gab Beaumarchais. Der Komiker, der die Parlamentsrätin vergegenwärtigte, soll besonders, als von dem temps critique die Rede war, die drolligsten Gesichter geschnitten und Ludwig XV. dermaßen gelacht haben, daß ihm die Tränen über die Backen liefen. Der Herzog von Noailles aber meinte mit verstelltem Ernst: »Sire, die Bosheit geht doch gar zu weit. Nun greift man gar Goezmann an, die Perle des Parlaments.« Minder humoristisch nahm der Dauphin, nachmals Ludwig XVI., die Sache: er soll Beaumarchais' Memoiren einem Jugendgespielen aus der Hand gerissen und ins Feuer geworfen haben. Am wenigsten komisch erschien der Handel aber natürlich Goezmann und seinen Getreuen; denn obwohl eine starke und gerade die verhältnismäßig anständigste Partei im Parlamente (die früheren weltlichen und geistlichen Mitglieder des königlichen Rates) erklärten, sie würden sich zurückziehen, wenn Goezmann sich noch fernerhin unter ihnen zeigen und auf den Lilien Platz nehmen wollte: sein alter Anhang, die Nikolai, Gin und andere, hielten noch immer bei ihm aus. Diese Gruppe nahm in der Ratskammer und in der Gesellschaft so schroff gegen Beaumarchais Partei, daß dieser ohne weiteres auch gegen sie den Kampf aufnahm. Wenn er noch irgendeine Ermutigung in diesem Unternehmen brauchte, so wurde sie ihm durch die literarischen Mißerfolge seiner Gegner zuteil. Von allen guten Geistern der Wahrheit und Laune verlassen, dienten die neuen Mémoires von Marin und Genossen nur seinen Schriften zu neuer Empfehlung und Anregung. Vergebens ließ Goezmann das Mémoire seiner Frau umsonst an alle verteilen, die ihren Namen bei seinem Türhüter einschreiben ließen. Alle Leser des Mémoire pour Madame de Goezmann, dem alsbald eine Addition au mémoire de Madame Goezmann pour servir de réponse au Supplément du Sieur Caron nachgeschickt wurde, stimmten lachend Beaumarchais zu, als er in seiner Replik schlagfertig spöttelte: er habe eine schneidige Frau als Gegnerin erwartet, statt dessen bediene man ihn mit verzopfter elsässer Kathederweisheit. Das Eingeständnis Goezmanns, daß er Le Jays Erklärung abgefaßt, nahm sich allerdings sehr wunderlich aus neben der abgeschmackten Selbstgefälligkeit, mit welcher er »alle Ehrenstellen aufzählte, um die er sich – umsonst beworben«, neben der Dreistigkeit, mit welcher er nicht bloß als Abstämmling der praenobilissimi et consultissimi domini, der »Präfekten und Protonotarien von Goezmann« seine Stammbäume zum besten, sondern sich zugleich auch für den würdigen Nachfolger der edelsten französischen Rechtsgelehrten, der Ducange, Mabillon, Pithou etc. ausgab. Nicht minder widerlich wirkte auch die unbegreifliche Verblendung, Madame Goezmann als Tugendheldin in Vergleich zu stellen mit der Gattin Sullys. Der einzige Vorwurf, der sie treffen könne – so hieß es in ihrem Mémoire –, sei das »Problem«, ob sie recht oder unrecht gehabt, ihren Gatten nicht sogleich von der Beleidigung in Kenntnis zu setzen, »die mir im Namen des Herrn Caron von Le Jay angetan wurde«; mehrere ehrenwerte Damen, deren Männer Leute in Amt und Würden seien oder gewesen seien, hätten sie aber versichert, daß man auch ihnen ähnliche Anträge gestellt, daß sie sich jedoch damit begnügten, dieselben stillschweigend zu verwerfen, ohne weiteres Aufheben davon zu machen. Und der Herzog von Sully erzähle selbst, er habe seine Frau, die ihm, durch das Anerbieten wertvoller Diamanten irre gemacht, einen Finanzpächter vorstellte, nur durch einen strengen Verweis in Gegenwart dieses Traitant zu ihrer Pflicht zurückgerufen. Solchen Fehlgriffen gegenüber hatte es nichts weiter zu sagen, wenn sie über Beaumarchais' Adel witzelte und gegen den seducteur adroit mit dem groben Geschütz auffuhr, seine Behauptungen als Greuel Nr. I, Nr. II, Nr. III etc. zu klassifizieren. Brûler n'est pas répondre, zitiert er fröhlich zu Beginn eines neuen Mémoires, in welchem er keinem seiner offenen und versteckten Gegner die Antwort schuldig bleiben, mit jedem seine Sprache sprechen wird – einem Tierbändiger vergleichbar, der zur Unterhaltung des Publikums nach Herzenslust mit dressierten Bestien sein Spiel treibt.


Beaumarchais' drittes Mémoire – der eigentliche Titel lautet: Addition au Supplément du mémoire – gab vor dem Erscheinen Anlaß zu allerlei Beschwerden und Weiterungen; der erste Parlamentspräsident Sauvigny lud den Syndikus der Buchdruckergilde vor, um von ihm zu hören, ob und bei wem Beaumarchais neue Streitschriften setzen lasse; auch der Polizeileutnant richtete zwei Tage später an denselben Gewährsmann dieselbe Anfrage. Die Antwort lautete, Cousin besorge den Druck und Beaumarchais gedenke dem Präsidenten sein Manuskript mitzuteilen und alle von diesem gewünschten »Kürzungen« vorzunehmen. Es war hohe Zeit, daß das Mémoire erschien, denn die Machthaber drängten nun auf die schleunigste Entscheidung des Prozesses, der ihnen allgemach unbequem wurde, und die Fällung des Urteils, das, wie männiglich voraussah, die Unterdrückung der Streitschriften aller Parteien verkündigen sollte, wurde für den 23. Dezember festgesetzt. Allein am 15. Dezember überraschte Beaumarchais das Parlament mit einer Anzeige gegen Goezmann, in welcher er den urkundlichen Beweis dafür erbrachte, daß jener als »Pate« eines neugeborenen Kindleins (der Frucht eines vertrauten Verhältnisses des Parlamentsrates mit einer Putzmacherin) unter falschem Namen den Taufakt im Kirchenbuch unterschrieben habe. Und infolge dieser Denunziation wurde zum größten Verdruß aller Freunde Goezmanns, »dieses modernen Cato, der an Adams Stelle Eva sicher den halben Apfel zurückgestellt hätte«, an dem zur Schöpfung des Urteils anberaumten 23. Dezember mit 30 gegen 28 Stimmen der Beschluß gefaßt, die Entscheidung zu vertagen und Meister Goezmann als Angeklagten in den Prozeß einzubeziehen. Dieses rasch bekannt gewordene große Ereignis hatte die Neugier der Pariser auf Beaumarchais' Mémoire auf das höchste gereizt. Tage und Tage zuvor drängten sich Leute in seiner Wohnung, um die Addition au Supplément zu erhalten. Aber zuerst mußten die großen Herren befriedigt werden. Beaumarchais ließ 100 Exemplare auf Luxuspapier abziehen, für seine Gönner und Richter. Als die Blätter endlich erschienen, riß man sich die Exemplare im Gerichtsgebäude und auf den Straßen aus den Händen. Im Café Foy, Rue de Richelieu, wurde das Pamphlet laut vorgelesen und von der Zuhörerschaft mit Behagen aufgenommen. Die Einsichtigen erklärten die (immerfort neu aufgelegten) Schriften schon dazumal für eine Zierde der Nationalliteratur, die nicht bloß in den Büchereien der Liebhaber, sondern in allen öffentlichen Bibliotheken eine bleibende Stätte finden sollten, ja, der Generaladvokat Vaucresson, derselbe, der in zweiter Instanz Beaumarchais' Abweisung im Prozeß La Blache mit veranlaßt hatte, stand nicht an, zu erklären, das dritte Mémoire sei dem zweiten so überlegen, wie dieses dem ersten; Frau Goezmann sei nun völlig vernichtet, Marin gerichtet, Baculard d'Arnaud und Bertrand Dairolles unmöglich gemacht. Der letztere hatte sich nämlich (aus Gründen, die gleich zur Sprache kommen werden) gleichfalls als Memoirenschreiber gegen Beaumarchais aufgetan: mit so vollständiger Verkennung seines Wesens, daß er ihm öffentlich vorwarf, er habe sein letztes Mémoire absichtlich in der für die Urteilsschöpfung festgesetzten Woche veröffentlicht, weil er da keine Antwort mehr zu fürchten hätte. Das – einem Beaumarchais, der jedem, der es hören wollte, zurief: »Gebt mir Feinde und Hindernisse, wenn ich siegen soll«, einem »Bouffon«, der seine helle Lust daran hat, den Schwarm seiner Feinde zu mustern: gens d'epée, gens de robe, gens de lettres, gens d'affaires, gens d'Avignon, gens de nouvelles, cela ne finit pas, meint er selbst scherzhaft. Und nun ladet er sie der Reihe nach ein, ein Tänzchen zu wagen: er spielt ihnen allen auf. Den Vortritt hat, wie billig, Madame Goezmann; nach ihr ergeht der Ruf an die anderen: à vous Mr. Baculard, à vous Mr. Marin, à vous Mr. Bertrand. Und nach diesen munteren Vorübungen und Kampfspielen tritt er seine ernsthaften, gefährlichen Widersacher, Nicolai, Gin, La Blache und Meister Goezmann mit ernsthaften Zorn- und Hohnreden, Drohungen und Anklagen an – er muß »zuerst in die Knie vor den Gewaltigen sinken, bevor er sie ohrfeigen darf«. Er meistert, nach einem Kennerwort, zugleich die Stilweise Montaignes, Rabelais' und Swifts; von dem ersteren hat er die Kraft des Ausdrucks und die Naivität der Wendungen; vom zweiten die derben, aber unvorhergesehenen originellen Narrenspossen; vom dritten den Gebrauch der satirischen, weitausholenden Streiche, die desto stärker niedersausen, je länger sie unterwegs aufgehalten wurden. Keine Analyse vermag dem vollen Reiz der unmittelbaren Lektüre annähernd gleichzukommen. Je öfter man die Mémoires vornimmt, desto reicheren Genuß erschließen sie uns. Liebhaberei mag dem einen oder dem anderen den Preis zuerkennen. Die Franzosen stellen das vierte zuhöchst. Mir erscheint das dritte, dessen Betrachtung wir uns jetzt zuwenden, am meisten aus einem Gusse, als das bestgeschlossene im Aufbau, als das gelungenste in der satirischen Charakteristik der Gegner.

Bevor er weitere Klagen gegen seine Feinde vorbringt, hält er es für angemessen, vielfach (und das nicht bloß von Übelwollenden) gegen ihn selbst erhobene Beschwerden zu widerlegen. Man fand es nämlich unziemlich, in einer so ernsthaften Sache einen so spaßhaften Ton anzuschlagen. Er gedenkt nicht ohne Beziehung auf das eigene Talent der schonungslosen Kämpfe Pascals gegen die Jesuitenmoral: »nachdem er, unbeschadet der schuldigen Achtung gegen die Religion, Escobar und seinesgleichen, die Personen in der Niederung witzig gehänselt, nahm er seinen Hochflug zu den Dingen selbst und setzte mit doppelt wirksamen Donnerworten ein, wenn seine heilige übermächtige Entrüstung die Heiterkeit seines Wesens zurückgedrängt hatte.« Also verletze auch er nicht die dem Parlamente selbst geziemende Achtung durch seine Sticheleien gegen das tribunal de la haine, dessen Vorsitzende, Redner, Beiräte, und – Henker er genau kenne. »Ach meine lieben Freunde, laßt meinen Stil hübsch in Frieden und sucht lieber den Eurigen zu verbessern; denn ich brauchte nur mit Euch zu wetteifern, statt Gründe vorzubringen, Schmähreden auszustoßen, und nicht Einer unter uns würde mehr gelesen werden.«

Auch die niederträchtige Verleumdung, daß er ein Emissär der mißvergnügten Parteigänger des alten Parlaments, die tückischen Ausstreuungen, daß er der Autor der … (Seite 149) Correspondance sei, würden ihm nichts anhaben können. Keine dieser kleinen Lügenkünste wäre imstande, den Sachverhalt zu ändern, daß er denunziert wurde, ohne schuldig zu sein, in Untersuchung gezogen wurde ohne corpus delicti, à l'extraordinaire verfolgt wurde in einem Rechtsstreit, in dem er befugt gewesen wäre, als Ankläger aufzutreten. So bleibe ihm nur übrig, auf eine Reihe von Mémoires zu erwidern, von welchen kein einziges auf die seinigen erwidert habe. Er beginnt mit dem Madame's. Nehme er aus demselben die Schimpfworte schändlich, infam, nichtswürdig weg, so habe er schon über ein Dutzend Seiten abgetan; freilich mache sie ihm gleich eingangs den Stand seiner Vorfahren zum Vorwurf:

»Ach, Madame, es ist nur allzuwahr« (so lautet die vielbewunderte, endgültig von Schwester Julie redigierte Abfertigung), »daß der letzte unbeschadet einer vielverzweigten Geschäftstätigkeit auch einen sehr großen Ruf in der Kunst der Uhrmacherei zu erwerben wußte. Genötigt, mich in dieser Beziehung geschlagen zu geben, bekenne ich mit Schmerz, daß mich nichts von dem Verdacht reinigen kann, der Sohn meines Vaters zu sein. Doch ich muß innehalten, denn ich bemerke soeben, daß er mir beim Schreiben über die Schultern schaut und mich lächelnd umarmt. O Ihr, die Ihr mir einen Vorwurf aus meinem Vater macht, Ihr habt keine Ahnung von seinem edelmütigen Herzen! Wahrhaftig, die Uhrmacherei ganz beiseite gelassen – ich weiß niemand, gegen den ich ihn eintauschen möchte. Allein ich kenne zu gut den Preis der Zeit, die er mich messen lehrte, als daß ich sie mit der Widerlegung ähnlicher Fadaisen verlieren möchte. Auch kann ja nicht alle Welt gleich Herrn Goezmann sagen

Je suis fils d'un bailli: oui
Je ne suis pas Caron: non.

Bevor ich jedoch mein letztes Wort in dieser Frage spreche, will ich Schriftgelehrte fragen, ob ich es mir gefallen lassen muß, daß man also in meinem Familienarchiv herumwühlt und mich an meinen alten, fast vergessenen Ursprung mahnt. Wissen Sie denn auch, Madame, daß ich bereits eine Adelsprobe von nahezu – 20 Jahren nachweisen kann? daß dieser Adel mir eigentümlich zugehört kraft einer regelrechten, mit einem großen, gelben Siegel gesiegelten Pergamenturkunde, und daß niemand es wagen darf, mir ihn streitig zu machen, da ich die Quittung dafür in Händen habeAuf gut Glück seien zu diesem Thema einige bezeichnende Schlagsätze aus den Zeugnissen der Zeitgenossen herausgegriffen. Quesnay erklärt, daß niemand am Hof so angesehen sei, wie Paris Montmartel, weil er am meisten von der » toute puissante poudre de prelinpinpin« habe. Anonyme Vorstellungen bemerken dem König: » l'esprit patriotique soutenait les anciens états et unissait toutes les classes pour le salut d'un pays: l'argent en tient lieu dans ce temps, il est devenu le moteur universel. L'argent de finance infecte toutes les parties et domine à la cour, tout devient alors vénal et tous les rangs se confondent« ( Mém. de Mad. du Hausset 57. 58. 95). Der »Neffe Rameaus« erklärt: es gibt kein Vaterland mehr; von einem Pol zum andern seh ich nur Tyrannen und Sklaven; man mag sich stellen, wie man will, man entehrt sich, wenn man nicht reich ist. Gold ist alles und das übrige ohne Gold ist nichts; sobald ich einen Louisdor besitze, stelle ich mich vor meinen Knaben hin, ziehe das Goldstück aus meiner Tasche, zeige es ihm mit Verwunderung, hebe die Augen gen Himmel und küsse das Geld (Hempelsche Ausgabe, Goethe XXXI, 48. 88). » C'étoit connoître un siècle dont le devise pourroit être: laissons là les parchemins: nous parlerons un autre jour de vos vertus; montrez moi de l'or.« Tilly, Mémoires 415. Es wäre leicht, diese Zitate zu vermehren und eine förmliche Anthologie der Art zu geben. In unserem Jahrhundert nehmen die Moralisten schroff gegen den Geldadel Stellung. So insbesondere Emile Augier in Ceinture dorée.

So herzlich jedermann Beaumarchais' entzückender Liebeserklärung für seinen Vater Beifall zollen muß, so geteilt werden die Stimmen über die Selbstironisierung seines Adelsschachers sein. Gewiß: das Wort von dem Adelsbrief, der mit der Quittung in der Hand verteidigt werden kann, übertrifft an Schärfe die meisten Hohnworte Figaros gegen die hochgeborenen Herren, die sich nur die Mühe gegeben haben, einmal geboren zu werden. In Beaumarchais' Augen ist der Stammbaum des herabgekommenen Sprößlings von Ahnen, die als Helden oder Staatsmänner ihren großen Namen durch ihre Taten erworben haben, nicht mehr wert, als der Adelsbrief des Emporkömmlings, der durch eine rechtschaffene Zahlung alle Ehrenrechte der Geburt wettmacht. Eine Anschauung, die sich ihm in der Gesellschaft seiner Tage durch lebendige Beispiele leicht aufdrängen mochte: die Träger der Namen Richelieu und Rohan, um nur zwei der ersten Geschlechter Frankreichs zu nennen, waren in der Zuchtlosigkeit ihres ehelichen Lebens, in der Liederlichkeit ihrer Vermögensverwaltung, in ihrer Wohldienerei gegen die Mätressen Ludwigs XV. eher schlechter, denn besser, als die Nachfahren der geadelten Finanzgenies à la Turcaret, Samuel Bernard etc. Insofern wäre gegen seine Thesen nicht viel einzuwenden. Der Adel des Geistes, des Gemüts, des Talents überstrahlt jeden ererbten, erkauften oder erbettelten Adel. Nur ist es nicht ausgeschlossen, daß solche Eigenschaften sich auch bei den Abstämmlingen berühmter alter Familien finden, und in diesem Falle begreift man, daß ein (übrigens aristokratischer Liebhabereien so wenig verdächtiger) Mann wie Rousseau erklärt hat, wenn man überhaupt noch auf etwas anderes stolz sein dürfe, als auf persönliches Verdienst, so sei es l'orgueil qui se tire de la naissance. Wohl dem, der seiner Ahnen gern gedenkt, weil und sofern ihr Andenken ein leuchtender Spiegel aller Ehren, weil und sofern ihre Lebensarbeit die Betätigung aller Bürger- und Familientugenden gewesen. Dieses ideale Erbgut verpflichtet die Nachkommen zur Nacheiferung, und in diesem Sinne schlägt die schlichte Regel Noblesse oblige die insolente Vordringlichkeit des Geldadels, der in Beaumarchais einen seiner ersten und begabtesten Wortführer gefunden hat für den Anspruch, nicht gleicher Berechtigung Aller, sondern gleicher Bevorzugung der Reichen und Gewitzten mit den bisher allein Privilegierten. Denn bei aller Zungenfertigkeit gegen Almaviva kann und mag Figaro so wenig ohne ihn leben, wie Beaumarchais selbst des steten, engen Verkehrs mit den Großen und Größten des Reiches wird entraten wollen. Und weiter: bei der unumschränkten Rede- und Verhöhnungsfreiheit, die der Autor des »tollen Tages« seinem Helden gegen alle Stände, Mißbräuche und Einrichtungen des Staates gewährt, vergißt er keinen Augenblick, daß er die Geldmächte zu schonen hat. In der »Hochzeit des Figaro« wird man nicht ein Wort gegen den Finanzschwindel der Agioteure, gegen die Raubwirtschaft der Generalpächter jener Zeiten finden. Die Allgewalt des Geldes, von allen tieferblickenden Geistern schon dazumal als der Fluch der französischen Zustände verwünscht, war ein Glaubensartikel Beaumarchais', dem er seine ganze Lebensführung unterordnete. Er erklärt nicht bloß in Scherzreden, daß alles käuflich sei, er war von dieser Überzeugung dermaßen durchdrungen, daß er nichts für verboten hielt, um in den Besitz des Säckels Fortunati zu gelangen. Dieser häßliche Grundzug seines Wesens offenbart sich meines Erachtens leider auch in der eben angeführten, sonst so herrlichen Stelle des dritten Mémoires. Der Mann, welcher Talente besaß, die, um keinen Preis feil, nur wenigen Auserwählten als seltenes Geschenk der Natur zufallen, hatte zu allen Gaben des Geistes und Witzes leider nicht auch den vollen Sinn für die strengen Forderungen der Moral und Ehre – von Takt und Zartgefühl ganz zu schweigen – mitbekommen.

Dieser unheilvolle Zwiespalt zwischen Beaumarchais' Charakter und Talent hat Männer wie Malesherbes späterhin zu offenem Bruch mit ihm getrieben. Bestand er aber auch die strenge Kritik des Menschenkenners und Sittenrichters nicht – mit Schelmen vom Schlage Goezmann fand er sich schnell und voll ab. Mit Stichelreden hebt er an, mit Keulenschlägen hört er auf; er schenkt ihm die Plumpheit seiner phrases alsaciennes so wenig, wie die unzeitige Prahlerei mit seinen Ahnen, den baillifs, und ist unerschöpflich in Schwänken, um die Vermessenheit des praenobilissimi et consultissimi Goezmann dem allgemeinen Gespötte preiszugeben. Nicht einen Augenblick darf der Leser vergessen, daß der Richter, der sich in einem Atem mit Ducange, seine Frau zugleich mit der Gemahlin Cäsars und Sullys nennt, ein Urteil gefällt, das in Form und Inhalt falsch, nur durch ein »Pirouettieren auf Absurditäten« und Schlimmeres möglich war. Und mit wahren Donnerworten weckt er ihn und seinesgleichen aus dem Sündenschlaf, wenn er mit Redewendungen, wie sie dem Zug und Geist der Zeit entgegenkommen, verkündigt:

»Niemals entfernt sich ein Magistrat ungestraft von seiner Pflicht; es erhebt sich die öffentliche Meinung; denn wenn es einen Augenblick gibt, in welchem die Richter über jeden Bürger entscheiden, so gibt zu allen Zeiten die Gesamtheit der Bürger ihre Entscheidung über ihre Richter. Der Wahrspruch der einen ist im Gesetze, der der anderen nur auf die Moral gegründet. Aber es bleibt noch zu erwägen, welcher von beiden größeres Gewicht hat. Jeder Bürger untersteht ohne Zweifel der Magistratur; aber welcher Magistrat kann sich der Achtung seiner Mitbürger begeben?«

Nach so strengen Auseinandersetzungen sucht er eifrig seine Leser mit munteren Zwischenspielen zu unterhalten: »Die Erinnerung an meine Leiden seit diesem verhängnisvollen Richterspruch beugt meine Kräfte und trübt meinen Frohsinn; gehen wir zu anderem über, denn ich bedarf jener, um meine Verteidigung glücklich zum Abschluß zu bringen, und dieser, um so viel Mißgeschick zu ertragen.« Das ist nur eine bequeme Redefigur: in Wirklichkeit war Beaumarchais bei bester Laune, als er zur Abwechslung einmal weder Zeugen, noch Angeklagte, sondern die Jasager unter den Lesern seiner, wie der Gegenmémoires vornimmt. Die Parlamentsrätin hat seiner spaßhaften Rechnung, daß erst auf zweiundzwanzig Gänge der Partei eine Audienz bei Herrn Goezmann komme, dadurch den Garaus machen wollen, daß sie vor Gericht und in ihren gedruckten Prozeßschriften die Liste ihrer Türhüterin mitteilte, in welcher sein Name vom 23. bis 29. März nur dreimal eingetragen erscheint. Die Behauptung genügt (meint Beaumarchais), daß zuerst ein paar Leute den Kopf schütteln; alsbald heißt es bei den Mildesten: »hm, darauf wird wenig zu sagen sein«, bei den Wichtigtuern: »die Liste der Türhüterin gibt ihm einen harten Stoß«, während die gewöhnlichen Nachbeter mit absoluter Bestimmtheit erklären: »die Liste wird sich Beaumarchais nun und nimmer vom Halse schaffen«. »Ach«, fährt er im freigeisterischen Ton der Tagesphilosophen fort, »just so wurden alle törichten Märchen dieser Welt in Umlauf gesetzt, von Frechen ausgeheckt, von Müßigen verbreitet, von Trägen nachgeredet, von den Wiederkäuern bekräftigt, von den Enthusiasten zur Geltung gebracht, aber in ihr Nichts zurückgeschleudert durch den ersten Denker, der sich die Mühe nahm, sie gründlich zu prüfen.« Sämtliche Beaumarchais-Ausgaben lassen nach Gudins Muster die den Originaleditionen beigefügten Consultations der Advokaten weg; auch diese Gutachten, Meisterstücke klaren Resumierens, rühren aber von Beaumarchais selbst her und ihr Lob habe ich nach La Harpe l. c. 148. 149 nicht mehr zu wiederholen. – Über Baculard selbst s. Monselet, Les oubliés et les dédaignés, Paris, 1864, 305–15; ferner die Anm. Goethes zu »Rameaus Neffe«.

Voltaire hätte die Wendung nicht feiner, ersinnen, nicht geschickter anbringen können und Voltaire wußte jesuitische Kniffe nicht anmutiger, beharrlicher, ironischer abzuweisen, als Beaumarchais die einfältige Faselei mit der Liste der Türhüterin widerlegt. Die vielgepriesenen Si, Quand, Et und Pourquoi des Alten von Ferney gegen Lefranc de Pompignan, sind als Virtuosenstücke der Polemik technisch lange nicht so erstaunlich, wie Beaumarchais' Leistung. Dort wird auf wenigen Blättern der ganze Katechismus der gewitzten Weltleute gegen eingebildete Hohlköpfe, das Kriegsrecht der auf Tod und Leben angegriffenen Philosophen gegen anspruchsvolle Unduldsamkeit, ein unerschöpflich reicher Inhalt in die knappste Form zusammengedrängt. Beaumarchais hat dagegen immer nur das eine, bis zum Überdruß bekannte, monotone und nichtige Beweisthema zu bereden: »ich habe niemanden bestechen, ich habe nur der Umgebung meines Richters von der Türhüterin und den Lakaien bis zur Frau meines Referenten notgedrungen ein Gratiale bewilligen müssen«. Mit wie sinnreichen Einfällen Beaumarchais jede Einförmigkeit zu bannen wußte, haben wir gerade an seiner Verhöhnung übereifrigen Legendenglaubens gesehen; nach diesem Intermezzo wird der stumpfste Nachbeter, schon aus Selbstachtung, die Lügengeschichte mit der Liste nur mit einem Lächeln hinnehmen. Das Behagen des Schreibers, die Spannung der Leser steigt aber neuerdings, als die schon in der Einleitung angekündigten Antworten auf die Mémoires des Kleeblattes Marin-Arnaud-d'Airolles an die Reihe kommen. Wir ergötzen uns heute rein sachlich an diesen Karikaturen, während für die Zeitgenossen noch der Reiz von Porträts guter persönlicher Bekannter hinzutrat. »Zu Ihnen denn, Herr Baculard! In Ihrem Mémoire steht zu lesen:

›Ja, ich ging zu Fuße. Da traf ich in der Rue Condé den Herrn Caron in seiner Karosse. In seiner Karosse!‹ wiederholen Sie mit Nachdruck, indem Sie ein großes Ausrufungszeichen hinzusetzen. Wer würde nach diesem trübseligen Ja im Vortrab und dem großen Ausrufungszeichen, das im Nachtrab meiner Karosse hinterherläuft, nicht glauben, daß Sie der Neid in Person wären? Ich aber, der Ihre Gutmütigkeit kennt, weiß, daß Ihre Redensart: ›er saß in seiner Karosse‹ nicht sagen will, Sie bedauerten, mich in meiner Karosse zu sehen, sondern vielmehr, es täte Ihnen leid, daß ich Sie nicht in der Ihrigen sähe. Und so kommt es, daß, weil Sie nie sagen, was Sie eigentlich sagen wollen, wie ich schon die Ehre gehabt habe, Ihnen zu bemerken, man sich immer in Ihrer Absicht täuscht. Aber trösten Sie sich! Die Karosse, in der ich fuhr, gehörte mir nicht mehr, als Sie mich in derselben erblickten. Graf La Blache hatte sie mit meiner ganzen Habe pfänden lassen. Blauröcke mit grimmigen Flinten und Wehrgehängen hielten sie und all mein sonstiges Mobiliar unablässig im Auge, was sie nicht hinderte, nebstbei auch meinen Wein auszutrinken …«

Noch übler wird Marin mitgespielt. Punkt für Punkt folgt sein Sündenregister mit der Apostrophe einsetzend: wenn Sie nicht Goezmanns Freund waren, weshalb haben Sie dies und das getan? weshalb unwillig gesehen, daß die (dringend angebotene) Vermittlung von Audienzen nicht Ihnen, sondern Le Jay zufiel? weshalb den Zwischenträger gemacht, Ihren Einfluß als wucherischer Turcaret auf Ihren Raffle (so heißt der Helfershelfer Turcarets in Lesages Komödie) Bertrand eingesetzt, um ihn zur Verleugnung der Wahrheit zu bewegen? etc. Jeder Punkt der langen Anklagerede bringt eine neue, wirksame Steigerung. Eindringlich hält er Marin alle Gaunereien und Angebereien vor, die er sich gegen Berufsgenossen und andere Leute hat zuschulden kommen lassen; seine Rücken und Tücken auch gegen M. St. P. (Bernardin de Saint Pierre) etc. etc., vier volle Seiten weiterer et caetera Die Redensart mit den »vier vollen Seiten weiterer etc.« hat eingeschlagen, nirgends lebhafter als bei Beaumarchais selbst; sie kehrt in der Réponse ingénue, dem Tartare à la legion, der Vorrede zur Hochzeit des Figaro und vier vollen Seiten weiterer etc. wieder. seien stadtbekannt: »also munter vorwärts, mein Wohltäter! mein Freimut mag Sie befeuern, nur heraus mit allen Geheimnissen – heute sagt man ja doch alles.« Die Wirkung dieser Apostrophe war vernichtend. Voltaire, der Marin als bequemem Zensor ab und zu als » frère« schön getan, ändert sofort seinen Kurs. Condorcet und seine Partei wußten schon längst, was jetzt alle Welt von dem Wesen des Redakteurs der Gazette de France erfuhr. Er war und blieb gerichtet: man hätte denken sollen für immer; unserem Jahrhundert war es jedoch vorbehalten, eine »Rettung« Marins zu erleben, welcher, der Vollständigkeit halber, von Rechts wegen nur noch eine Rettung Bartolos und Basilios folgen sollte. Ant. Ricard, une victime de Beaumarchais. Paris, Ed. Plon, 1885. Das einzig Gute in dem 16 Bogen starken Buch sind die Zitate aus Beaumarchais, Voltaire, Lamartine, Brunetière etc. Marin war, in La Ciotat geboren, ein Südländer wie Bertrand: die Provenzalen stehen vielfach noch heute als Agenten im Ruf von Allerweltshelfern im Stil des grauen Männleins in Peter Schlemihl.

»Und nun zu Ihnen, Herr Bertrand! Es gäbe eine hübsche Preisaufgabe für die Akademie der Chirurgie im Jahre 1774, man könnte die Medaille gewinnen, wenn man zu erklären wüßte, woher es kommt, daß mitten durch das Gehirn unseres armen Bertrand ein Riß geht, infolgedessen er gewisse Tatsachen ebenso bestimmt behält, während ihm andere vollständig entschwinden … Wir alle mochten Gevatter Bertrand recht gut leiden, obwohl er mit dem kleinen Fehler behaftet ist, die Wahrheit stets zu verändern. Aber es gibt so viele Leute, bei welchen die Gewohnheit des Lügens mehr ein Fehler der Erziehung, als eine Charakterschwäche, mehr Verlegenheit um Gesprächsstoff, als eine vorgefaßte Meinung ist, Böses zu tun. Und im Grunde genommen, kommt das auf eins heraus. Kennt man solche Leutchen einmal, dann setzt man in seine Gedankengleichung bequem ein: Der hat das und das gesagt, folglich ist das Gegenteil richtig, und der Schlußkalkul stimmt nun voll und ganz. »Das Wohlwollen unserer Familie« – für Bertrand – »änderte sich erst mit dem Tage, an dem er erschreckt und bleich hereinstürzend meiner Schwester Lépine in Gegenwart von neun Personen sagte: »Fühlen Sie mir den Puls. Ich bin wie vom Fieber geschüttelt; ich habe gerade bei einer Dame mit vier Gerichtsräten gespeist, die mich nicht kannten und nach rückhaltlosen Gesprächen über unsern Prozeß endlich versicherten, die Absicht des Parlaments sei, Le Jay, Bertrand und Beaumarchais ohne Erbarmen zu strafen, weil sie es gewagt, den Ruf des musterhaftesten aller Richter anzutasten.«

Beaumarchais bestand nun darauf, daß ihm Bertrand die Namen dieser vier Räte nenne, die er zu recusieren gedachte. Als sich Bertrand dessen weigerte, wurde Beaumarchais erbost und erklärte, von Stund' an jeden Verkehr mit einem solchen »Schwächling und Feigling« aufzugeben. Bertrand ließ nach diesem Auftritt Beaumarchais fordern. Der beantwortete aber die Provokation auf der Stelle mit einer köstlich geschilderten – Wechselklage und in seinem letzten Mémoire mit der Spottrede: »Was soll die Einladung bedeuten, einen goldenen Degen zu nehmen? wollten Sie etwa die Kampfregel aufstellen, daß dem Sieger die Waffe des Besiegten als Beute zufällt? Leute Ihres Schlages haben gut in Zorn geraten, sie verlieren darüber nie den Kopf.«

Ausfälle gleich dem letzteren werden unserem Autor von einzelnen französischen Kritikern als Mißbrauch der Polemik übelgenommen. Wer den Anti-Goetze kennt und liebt, kann zur Rechtfertigung Beaumarchais' geltend machen, daß hier nicht bloß ein prinzipieller Streit, sondern ein Kampf um Sein oder Nichtsein ihm seine Worte und Handlungen eingab. »Mut und Wahrheit«: so lautete von Anbeginn seine Losung. Und wenn er es auch mit dieser nicht immer allzu streng nahm, an jenem hat er es nicht fehlen lassen. Unablässig forderte er neue Widersacher heraus. Hat Bertrand ihm auch die Namen der feindselig gesinnten Parlamentsräte nicht nennen wollen, Beaumarchais hat sie selbst rasch zustande gebracht, und er zeigt sie beim Präsidenten mit dem Bemerken an, er müsse bitten, daß Leute, die sich nicht scheuten, öffentlich les discours les plus indiscrets gegen ihn zu führen, nicht über ihn zu Gericht sitzen sollen: ein Akt der Selbsthilfe, dessen Notwendigkeit er vor seinen Lesern beredt begründet. Er vergißt auch nicht, La Blache seine kleinliche Bosheit, die Irreführung der Prinzessinnen (S. 114) in verdienten Worten der Entrüstung büßen zu lassen. Seinen Haupttrumpf spielt er jedoch zum Schluß aus. Nachdem er Goezmann in jeder erdenklichen Weise geneckt, geängstigt, in Worten herabgesetzt, nachdem er alle bestechlichen Richter des Orients und des Okzidents, Berres, Guisi, Tardieu etc. namhaft gemacht, um ihm einen Vorzugsplatz in dieser Galerie auszuwählen, druckt er die Strafanzeige ab, die er wegen Urkundenfälschung gegen ihn Form Rechtens eingebracht. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt, dem Richter, der seine Stimme als »ungewinnbar« ausgeben wollte, seine Sache im Zivil- und Strafprozeß als »unverlierbar« gegenüberzustellen. Goezmann hatte gut Beaumarchais' Fähigkeit als » Familier« zu rühmen, den eigentlich die Inquisition, dieser Talente halber, in Spanien hätte zurückbehalten sollen – das Stück Polizeigenie in dem Vater Figaros hatte es glücklich zuwege gebracht, ein Vergehen Goezmanns aufzuspüren, das an sich unbedeutend, ihn gleichwohl strafrechtlich haftbar und geradewegs jeder Urkundenfälschung verdächtig erscheinen ließ.

Der Streich wirkte denn auch dermaßen niederschmetternd auf das feindliche Lager, daß die Parteigänger des Verlorenen gleichfalls den Kopf verloren. Am Tage nach der Veröffentlichung des dritten Mémoires ließ sich Nicolai beikommen, als er an der Spitze seiner Kollegen, von Wachen geleitet, aus dem Gerichtssaal schritt, Beaumarchais aus dem Gewühl der Massen durch die Schergen herausgreifen und hinausweisen zu lassen unter dem Vorwand, Beaumarchais habe gegen ihn die Zunge herausgereckt und dergleichen mehr. Mit soviel Geistesgegenwart als Mäßigung ruft der so jählings Angetretene unter dem Beifall der Menge aus: »Ich werde nicht von der Stelle weichen; ich bin hier in einem Saal des Königs, der den Parteien zum Aufenthalt bestimmt ist. Ich bin hier am Tage meines Urteils an meinem Platze und ein Präsident verläßt den seinigen, um mich fortzujagen. Ich aber rufe die Nation auf zum Zeugen der Beleidigung, die mir angetan wird und derentwegen ich sofort die Klage bei dem Staatsanwalt erheben werde.« Statt sich zurückzuziehen, eilt er, von allen Zuschauern dieses aufregenden Auftrittes gefolgt, zum Generalprokurator, dem er in einem plaidoyer aussi bouillant que rapide sein Erlebnis berichtet. Der Prokurator sinnt eine Weile vor sich hin, dann fragt er: »Haben Sie Zeugen für eine so außerordentliche Begebenheit?« »Tausend!« »Dann kann ich Ihnen nicht verwehren, Ihre Klage bei dem Gerichtshof anzubringen: nur mahne ich Sie, vorsichtig zu sein.« »Das bin ich seit acht Monaten, Herr Prokurator; so lange Zeit schon schlucke ich alle öffentlichen Beleidigungen, welche mir der Präsident Nicolai zufügt, mit schuldigem Respekt hinunter: aber meine bisherige Langmut hat ihn endlich mir gegenüber so verblendet, daß ich nicht mehr schweigen kann.« Damit verläßt Beaumarchais das Gemach des Prokurators. Im Vorsaal und auf den Gängen erwartet und empfängt ihn das Publikum mit brausenden Jubelrufen und auf seine Aufforderung meldet sich in seiner Wohnung eine große Zahl freiwilliger Zeugen, die aus eigener Wahrnehmung den Auftritt zwischen Beaumarchais und dem »Kavallerierat und Parlamentsobersten« zu bekräftigen bereit sind. Die Klage gegen Nicolai, von Beaumarchais allsogleich zu Papier gebracht, blieb Goethe Eckermann II, 89; der Sachverhalt ist daselbst unrichtig erzählt: in der Beurteilung des Wesens unseres Helden trifft Goethe jedoch auch hier den springenden Punkt. – Garat, Mém. Paris 1821, II, 90 ff. – Über den Wilkes-Enthusiasmus der Pariser vgl. Brissot, Bibl. des Mém. 51 ff. dauernd in Erinnerung; in Paris erregte sie allgemeines Aufsehen. Man stellte ihn in eine Reihe mit dem Herausgeber des North-Briton, Wilkes, der bekanntlich gerade zuvor die englischen Minister und das Parlament durch seine beispiellos heftigen publizistischen Angriffe zu Gewaltmaßregeln aller Art (Ausstoßung aus dem Haus der Gemeinen etc.) veranlaßt hatte und als mutiger Raufbold auf der Mensur, wie in der Presse, die Massen geradezu revolutionierte. Sein North-Briton war allerdings einen Augenblick eine Tribüne, welche ganz Europa aufregte. Wilkes genoß auch in Paris alle Ehren, die man Modegrößen zuteil werden ließ; man trug Wilkes-Hüte, -Taschentücher etc. Im Grunde aber war der Vergleich mit diesem fragwürdigen Volkshelden, dessen persönliche Bekanntschaft Beaumarchais später in London machen sollte, keine sonderliche Auszeichnung für den Autor der Mémoires: es wäre denn, daß man ihm gleichen Einfluß, wie dem Engländer, auf die Hefe der Hauptstadt zuschreiben wollte. Nun lag es aber weder in der Absicht, noch in der Begabung Beaumarchais', den Pöbel zu Straßenaufläufen und gewalttätigen Zusammenrottungen aufzureizen. Ihm war es genug, wenn die Comédie Française seine ungeahnte volkstümliche Beliebtheit zum Anlaß nahm, die Eugénie wieder einmal aufzuführen. Er fand sich bei der Vorstellung ein, tat sich gütlich dabei, daß alle auf Gericht und Prozesse bezüglichen Schlagworte beklatscht wurden, und hatte nichts dawider, daß man ihn zu guter Letzt im Triumph zu seinem Wagen geleitete. Am liebsten sucht und findet er also seinen Lohn, für alle Leistungen als Gerichtsredner, in der Komödie. Es ist eine Genugtuung für ihn, daß Marin wiederholt vom Harlekin parodiert, von den Zuschauern der Comédie italienne und den Jahrmarktsbühnen in absentia beschimpft und persönlich mißhandelt wurde. Nichts natürlicher, als daß er den Schauspielern vorstellt, man müsse die ungemessenen Sympathien der Pariser für seine Persönlichkeit so rasch als möglich dem »Barbier« zugute kommen lassen. Immer dringender, immer lauter verlangen Autor, Darsteller und Publikum die Aufführung der neuen Karnevalskomödie, deren Erstlingsvorstellung endlich für die Fastnacht des Jahres 1774 anberaumt wird.

Während also der Dichter für sein Stück denkt und sorgt, schlägt er in der Gerichtsstube Tag für Tag neue Schlachten, die siegreichsten, die ihm bisher auf diesem Boden beschieden waren. Goezmann mußte nun selbst auf der Anklagebank erscheinen. In seiner ersten »Note« gibt der Parlamentsrat bereits kleinlaut zu, daß er sich über die Haltung seiner Frau vielleicht im Irrtum befunden haben mag; aber es half ihm nichts, seine Sache von der Madame Goezmanns zu trennen; der Untersuchungsrichter hielt ihm bei den Verhören vom 4., 6., 7. und 9. Januar alle von Beaumarchais gerügten Ungebührlichkeiten, fast mit denselben Worten wie der Autor der Mémoires, vor; er rügt, wie Beaumarchais, die Erschleichung der Erklärungen Le Jays, seine unwürdigen, zweideutigen Machenschaften mit Marin, La Blache und Genossen. Drang auch von dem Verlauf dieser geheimen Vernehmungen fürs erste nicht viel in die Öffentlichkeit, im Grunde galt Goezmann schon damals mit Recht als verloren. Das Gerücht seiner Flucht nach England bewahrheitete sich wohl nicht. Ein Zweifel darüber, daß er nun und nimmer auf den Lilien wieder Platz nehmen würde, konnte trotzdem nicht mehr aufkommen. Seine schlimmste Prüfung hatte er jedoch an den Tagen zu bestehen, an welchen er (25. bis 28. Januar 1774) mit Beaumarchais konfrontiert wurde: die Gerichtsszene durfte leider nicht mehr von unserem Dichter geschildert werden; doch schon fragmentarisch in den » Observations« des Parlamentsrates und nun gar im Wortlaut in den Akten des Pariser Nationalarchivs wirkt sie unwiderstehlich komisch. Der Pariser Gassenjunge und der eingebildete, auffahrende, plumpe Pedant nehmen ein Zungenduell miteinander auf, bei dessen Ausgang Beaumarchais nicht allein die Lacher für sich hat. Goezmann steift sich, wie sein Doppelgänger Bridoison-Goezmann im »tollen Tag«, nichtig und rabulistisch immer wieder auf die » f…o…o…o…orme«. Er will Beaumarchais mit der hundertmal abgetanen Portierliste beikommen; er hofmeistert ihn, weil er sich erdreistet hat, bei seinen Ausgängen aus dem Fort L'Évèque gegen die Vorschrift länger auszubleiben und andere Besuche als bei seinen Richtern zu machen; nichts begreiflicher, als daß ihm Beaumarchais bei seinen gravitätischen Posen ein Bein um das andere stellt. Und just ebenso wie er Frau Goezmann gegenüber den Kleinkrieg auch außerhalb der Gerichtsstube fortsetzt, bemerkt er dem Parlamentsrat auf der Treppe scherzend, es genüge ihm nicht, der Urheber und die Hauptperson des Prozesses zu sein; er halte Goezmann vielmehr durch seine leichten Truppen so sicher umschlossen, daß er ihm nicht entrinnen könne, ohne sein Teil abzubekommen. Zugleich sagte er, die Hände mit beredtem Gebärdenspiel weit auseinanderbreitend: er habe einen riesenhoch gehäuften Stoß von Akten gegen ihn gesammelt. Und an ihm lag es wahrlich nicht, wenn er nach dem vierten Mémoire, an dessen Ausarbeitung er sich nun machte, nicht auch ein fünftes mit seiner bonne encre indélébile schreiben durfte, so wenig es seine Schuld war, wenn der »Barbier« nicht gleichzeitig mit dem Urteilsspruch in die Welt ging.

Die Erstlingsvorstellung war für den 10. Februar angesetzt, das Theater für eine Reihe von Aufführungen im vorhinein ausverkauft, da macht plötzlich der Polizeileutnant Schwierigkeiten. Beaumarchais ist flugs bei Sartines, der ihm bedeutet, »das Verbot sei eine Folge der Verhältnisse«, ein Bescheid, zu dem der Dichter bemerkt: »just diese Verhältnisse müßten ihn dazu bestimmen, das Stück freizugeben. Seine Feinde hätten die Lüge ausgesprengt, daß er in seiner Komödie die Gerichte lächerlich mache: doppelter Grund für ihn, öffentlich jeden Verdacht der Art zu widerlegen. Zudem hätten schon vor 18 Monaten – Marin als Zensor und Sartines als Polizeigewaltiger den »Barbier« zur Aufführung zugelassen. Würde man ihm trotzdem nicht willfahren, so müßte er das Stück gerichtlich deponieren und unter Berufung auf die frühere Erlaubnis des Zensors und Sartines' die öffentliche Vorlesung seiner Komödie vor der Vollversammlung der Ratskammern verlangen. Der Polizeileutnant wurde durch diese Forderung in seinem Entschlusse wankend. Mit einemmal heißt es: die Dauphine habe die letzten Hindernisse beseitigt, als die Comédie endlich Theaterzettel mit der Ankündigung des »Barbier« für Samstag, den 12. Februar drucken und anschlagen ließ. Man verhoffte an dem Abend auch Marie Antoinette selbst im Schauspielhaus zu sehen. Am Donnerstag aber mußten die Schauspieler mitteilen, daß die Komödie neuerdings verboten worden sei. Der Herzog von La Vrillière hatte – wie man behauptete im Auftrag der Du Barry und des Herzogs von Aiguillon – dieses Machtwort eingelegt. Die Klagen über die tyrannischen Theatergesetze – die dazumal bezeichnenderweise nicht einmal die patriotische Komödie Collés » Une partie de chasse de Henri IV« zuließen, weil die Verherrlichung des guten Volkskönigs Heinrich als Satire auf Ludwig XV. gedeutet werden könnte – wurden wiederum laut; auch die Schauspieler, die nach der erneuten Prüfung und Freigebung des Stückes nicht mehr an dessen Aufführung gezweifelt hatten, bedauerte man wegen ihrer verlorenen Mühen und Einnahmen. Nach echter Pariser Art tröstete man sich aber alsbald mit Chansons und Anekdoten. Die einen erzählten, Ludwig XV. habe gesprächsweise zu Maupeou gesagt: »Bisher glaubte man allgemein, daß das Parlament nicht Wurzel fassen würde, und nun faßt es mit allen – Händen«; die andern dichteten Spottlieder auf Adam und Eva – Goezmann – und Preislieder auf den Autor der »Mémoires«, der Bürger und Lacher auf seiner Seite habe. Der überließ jedoch nicht bloß anderen die Sorge für seinen Ruhm. Resolut kommandierte er die Poesie. Seine längst vollendete Komödie durfte nicht gespielt werden. An ihrer Statt schrieb er eine neue: das vierte Mémoire, mit dem er gleichzeitig für seine Richter das Manuskript des »Barbier von Sevilla« zu den Akten erlegte. Das letzte Blatt in den Streitschriften gegen Goezmann ist eine »Note«, die alle bisherigen Mißgeschicke dieser comédie dans les moeurs espagnoles erzählt und auf den Autor »die volle Schärfe des Gesetzes herabruft, wenn in dem Context oder dem Stil dieses Werkes irgend etwas vorkomme, was nur in der leisesten Beziehung zu dem unglückseligen Prozesse stehe, in welchen ihn Herr Goezmann verstrickt habe«. Aber alle Bitten und Beteuerungen blieben fruchtlos. Und als endlich, etwa ein Jahr später, nach dem Tode Ludwigs XV. und nach dem Sturze des Parlaments Maupeou, der »Barbier von Sevilla« gespielt werden durfte, hielt sich Beaumarchais an sein Wort nicht mehr gebunden; er würzte den alten Text mit neuen Ausfällen gegen bestechliche Richter und dergleichen mehr. Den eigentlichen Epilog zu seinem »Feder- und Schikanenkrieg« schrieb er jedoch erst in der Gerichtsszene des »tollen Tages«, in der ein falscher Biedermann den Vorsitz führt, ein feiler, stammelnder Schwachkopf die Richterwürde zum allgemeinen Gespötte macht, Figaro trotz aller Zungenfertigkeit sachfällig wird, und das Volk – la canaille –, von den Ehrenplätzen verjagt, mit dem engsten, schlechtesten Winkel im Saal vorlieb nehmen muß.


In der zweiten Februarwoche erscheint das vierte – leider zugleich auch letzte – Mémoire Beaumarchais' im Prozeß Goezmann. Eines Sonntags morgens läßt er es an die Richter, Prinzen und alle Leute von Rang und Stand in Versailles verteilen, mitternachts aber auf dem Opernball ausbieten. 6000 Exemplare sind im Nu vergriffen, und auf das bloße Gerücht, daß diese Streitschrift mit Beschlag belegt werden solle, steigt ihr Kaufpreis zwischen dem 13. bis 17. Februar auf das Doppelte. Das Lob dieses Mémoires ist nicht mehr zu schreiben. Es ist ein Werk, auf das voll und ganz zutrifft, was Goethe von Jacques le fataliste gesagt hat: eine reiche Mahlzeit der verschiedenartigsten Gänge, alle bereitet mit der erlesensten Kochkunst, alle von dem erfahrensten Kenner seiner Kostgänger in richtiger Abwechslung, in appetitreizender Reihenfolge aufgetischt. Zerrbilder im Geschmack des Aretin werden von Richardsonschen Romanszenen abgelöst. Theatralische Schilderungen seiner eigenen Vernehmung vor den versammelten Ratskammern in michelangeleskem Freskostil folgen jener einzigen, berühmten Anrufung Gottes, die Sainte-Beuve mit zu den größten Proben der französischen Beredsamkeit zählt. Und seltsam: auch die Anregung zu dieser seiner meistberufenen literarischen Leistung sollte er seinen Feinden zu verdanken haben – das Motiv zu seiner Prosopopoe findet man in einer beiläufigen Wendung Bertrand Dairolles'. Aber mit welchem Scharfblick hat Beaumarchais das Goldkorn im Sumpf des Gegners entdeckt! mit wieviel Geist und Kunst hat unser Werkmeister verstanden, das unscheinbare Klümpchen in ein Prachtgeschmeide getriebener Arbeit umzuwandeln! In dieser genialen Umbildung des sprödesten Stoffes offenbart Beaumarchais, wenn nirgend sonst, seine schöpferische Originalität.

»Wenn das wohltätige Wesen, das über uns allen wacht, sich mir eines Tages gezeigt und zu mir gesprochen hätte: ›Ich bin derjenige, durch den alles besteht. Ohne mich würdest Du nicht auf Erden sein. Ich begabte Dich mit einem gesunden, kraftvollen Leib; ich hauchte Dir die rastloseste Seele ein; Du weißt, welche Fülle von Empfindsamkeit ich in Dein Herz, welche Fülle von Heiterkeit ich in Dein Wesen senkte. Aber durchdrungen, wie ich Dich sehe, von dem Glück zu denken und zu fühlen, möchtest Du allzu glücklich sein, wenn nicht auch Sorgen dieser Seligkeit das Gegengewicht halten würden. Deshalb wirst Du von tausend Widerwärtigkeiten gebeugt, von tausend Feinden angefallen, Deiner Freiheit, Deiner Güter beraubt, der Fälschung, der Bestechung und Verleumdung angeklagt werden. Du wirst unter der schmachvollen Last eines Kriminalprozesses ächzen, auf Schritt und Tritt durch den lästigen Formenzwang des Strafverfahrens gehemmt sein; man wird Dein ganzes Leben in all seinen Einzelheiten durch die törichtesten Berichte anfeinden und lange Zeit der schwankenden öffentlichen Meinung preisgeben, nur, damit sie entscheidet: ob Du der niedrigste der Menschen oder vielleicht bloß ein rechtschaffener Bürger seist?‹ – Ich würde mich in den Staub geworfen und gesagt haben: Wesen aller Wesen, ich schulde Dir alles, das Glück des Daseins, des Fühlens und Denkens. Ich glaube, daß Du uns Gutes und Böses in gleichem Maße zuteilst. Ich glaube, daß Deine Gerechtigkeit alles weise abwägt und daß der Wechsel von Lust und Leid, von Furcht und Hoffnung dem frischen Luftzug gleicht, der das Fahrzeug in Bewegung setzt und mit verstärktem Windstoß lustig vorwärts treibt. Wenn geschrieben steht, daß ich von allen Widerwärtigkeiten, welche Dein strenger Spruch mir ankündigt, heimgesucht werden muß, dann ist es gewiß nicht Deine Absicht, daß ich in diesen Kümmernissen zugrunde gehe. Gib mir die Kraft, sie zu bestehen, ihr Übermaß durch Tröstungen wettzumachen, und trotz so vieler Leiden werde ich nicht ablassen, Dir Lob und Preis in cithara et decachordo zu singen.«

Die Fülle seiner Heimsuchungen, die Bösartigkeit seiner Gegner, die Härte der Gefahr preist er als ebensoviele Segnungen des Schicksals. Besser als seine besten Freunde haben die Torheit und Tücke seiner Widersacher, die er in einer Galerie genial charakterisierter Spottbilder festhält, für ihn gesorgt. Sie waren so feig und falsch, so nichtswürdig und selbstverräterisch, daß er, wenn der Himmel ihm die Wahl gelassen hätte, sich keine größere Freude hätte ausdenken können, als die Erhörung seines heißen Gebetes: Allgütiger, gib mir – und nun folgt für jeden einzelnen das rächende, lebenstreue, hohn- und humordurchtränkte Konterfei – Marin! Allgütiger, gib mir Baculard! Herr der Welten, schenk mir Bertrand!

»Wenn endlich«, so betet er unverkennbar zur Beschwichtigung des Parlamentes Maupeou, »in den Drangsalen eines so bizarren Prozesses dies wohltätige Wesen mir die Wahl der Richter freigestellt hätte, dann würde ich gebeten haben, daß sie, eben erst zu ihren erhabenen Aufgaben berufen, voll und ganz zu empfinden vermöchten, daß ihnen die Austreibung eines verworfenen Genossen in den Augen der Nation mehr nützt, als hundert Urteile in Privathändeln.

Wie oft habe ich mir in diesen aufgeregten Tagen nicht gesagt: ich werde nicht die Schwäche haben, mir die allgemeine Achtung zum Bedürfnis zu machen, so wenig ich den Stolz habe, die meinige für alle Welt vorteilhaft zu halten. Trotzdem habe ich seither nur desto besser empfunden, wie süß es ist, öffentliche Sympathien zu genießen. Nehme ich zu alledem noch die mannigfachen Anerbietungen tatkräftigen Beistandes von ungezählten redlichen Leuten und die Tröstungen der Freundschaft, dann werden Sie mir wohl beistimmen, daß das lebendige Beispiel glücklicher Ausgleichung des Bösen durch das Gute den Lehren der mildesten Philosophie entspricht: Sunt quoque gaudia luctus.«

Noch andere Freuden sollten seine Leiden zeitigen: eine junge und schöne Frau war dermaßen entzückt von Beaumarchais' schriftstellerischen Leistungen, daß sie ihn auch persönlich kennen lernen wollte. Ein Vorwand war bald gefunden. Sie bat (wohl Gudin), von Beaumarchais für sie eine Harfe auszuleihen. Die Antwort unseres Autors lautete, er verleihe keine Instrumente; wenn ihn die Dame jedoch mit ihrem Besuch erfreuen wolle, würde sich das übrige schon finden. Die schöne Schweizerin folgt der Einladung: »es war schwer«, erzählt Gudin als Augenzeuge dieser ersten Begegnung, »Beaumarchais zu sehen, ohne ihn zu lieben, der Zauber seiner Persönlichkeit wirkte aber doppelt und dreifach zu einer Zeit, in welcher ihn ganz Paris als Verteidiger der Freiheit und Rächer der alten Parlamente bejubelte«. Marie-Therese Willermawla gewann das Herz des galanten Mannes. Ein Charakterbild, das Schwester Julie von ihr entworfen, schildert sie als gütig und gescheit, stolz und etwas pessimistisch, mitunter von antiken Gesinnungen beseelt: ein interessantes Gemisch von französischer Beweglichkeit und schweizerischer Würde. Ihre (1890 veröffentlichten) Briefe zeigen Überlegenheit des Geistes, selbständiges Urteil, kühle und zugleich milde Menschenkenntnis. Die Herzen der beiden fanden sich rasch und ganz. Beaumarchais lebte mit Marie-Therese in glücklichstem Einvernehmen, wenngleich der Liebesbund erst im Jahre 1786 durch eine kirchliche Ehe geweiht wurde. Louis Bonneville de Marsangy. Madame de Beaumarchais d'après sa correspondance inédite, Paris 1890.

So unerwartete Hingebung an sein Wesen durfte ihn wohl freudig bewegen. Trotzdem kamen bisweilen schwere Stunden über ihn, in welchen er seinem gepreßten Herzen durch Tränen Luft machte. Niemals aber, so bezeugt Gudin, behielt die Verzweiflung die Oberhand. Seine Tränen taten ihm wohl, wie erfrischender Tau; die Stunde des Kampfes gab ihm alle Kraft und damit seine Heiterkeit wieder. Er gebot im Privatgespräch so sicher über diese seine Hauptstärke, den Humor, wie in seinen Schriften. Berichtete man ihm von den Ausstreuungen seiner Widersacher, die Mémoires wären nicht von ihm, so lautete die Antwort: »O, über die Ungeschickten! weshalb bestellen sie die ihrigen nicht gleichfalls bei demselben Schreiber!« Führt ihn ein unerläßlicher Artigkeitsbesuch in die Gilde der Buchdrucker, (deren Syndikus sich seiner gegen einen widerhaarigen Zunftgenossen angenommen) so wirkte er durch die Gewalt mündlicher Rede so fortreißend, wie durch seine Mémoires La Harpe XIII, 157 Note 1 widerlegt die Fabel, daß die Mémoires nicht von Beaumarchais selbst, sondern von dem Anwalt Falconet herrühren; in Vergleich mit B.s Prozeßschriften seien einzig und allein die pathetischen Lallys zu setzen. ( l. c. 152.) Rousseau hat das Märchen mit den Worten abgetan: Solche Mémoires schreibt man für keinen andern.: die begeisterten Drucker erlassen ihm jede weitere Verbindlichkeit und tadeln ihren Kameraden, der ihm in so kritischen Umständen Verlegenheiten bereitet habe. Hardy schätzt sich glücklich, zufällig dem Auftritt beigewohnt zu haben; ihm erscheint Beaumarchais auch persönlich »als eines der überlegenen Genies, die der Schöpfer von Zeit zu Zeit, zum Erstaunen ihrer Zeitgenossen, als Zierde ihres Jahrhunderts erstehen läßt«. Die enthusiastische Stimmung der Gilde äußert sich auch noch durch eine zarte persönliche Aufmerksamkeit: am Tage nach seinem Besuch im Gremium der Drucker fordert ihn der Verleger Ruault auf, sich von Cochin porträtieren und das Bild dann vervielfältigen zu lassen. Der »Affe Nicolets« hatte also mit seinem »Tabarinsstil« Sieg um Sieg davongetragen. Aber der Vorwurf, daß sein Ton nicht zu seiner Lage passe, kehrt trotzdem oder ebendarum so unablässig wieder, daß er endlich ungeduldig ausruft: »so mancher Splitterrichter wagt es, mich leichtfertig zu schelten, der an meiner Stelle zittern und tausend Mittel für erlaubt halten würde, die ich bisher aus zu weit getriebener Rücksicht verschmäht habe.« Man lege ihm als Herzlosigkeit aus, was nur Sache der Philosophie sei: er eifere nur den holden Frauen nach ( objet de mon culte en tout temps), die ihr Leiden tapfer verbeißen und weniger darauf bedacht seien zu klagen, als zu gefallen. Zudem sei er wie Sosias: nicht sein leidendes, unglückliches Ich greife nach der Feder, sondern ein anderes mutigeres Ich, das in starken Strichen die Ungerechtigkeit der Feinde zeichne und die Aufmerksamkeit der Gleichmütigen dadurch wacherhalte, daß er seine trockenen Themen fröhlich belebe. Auch dem Sklaven vergleicht er sich, der das Gewicht seiner Ketten nicht mehr spürt, in dem Augenblick, in welchem er sieht, daß sein Lösegeld bezahlt wird. Und er spart in seinem vierten Mémoire nicht mit Gaben aller Art, um seine Freiheit wiederzugewinnen, ja, er tut in dem Bestreben, es allen recht zu tun, bisweilen zu viel des Guten. Der Vergleich zwischen Autoren- und Frauenleben, zwischen den Süßigkeiten der Empfängnis und der Bitterkeit des Gebärens kehrt bei Beaumarchais bis zum Überdruß wieder. Vgl. die Vorrede zu »Eugénie«, dem »Barbier von Sevilla« und dem »Tollen Tag«.

An die Anrufung Gottes schließen sich neue Beteuerungen seiner Unschuld, neue Anklagen wider Goezmann. Leider begnügt er sich nicht damit, dem Braven die Fälschung des Taufscheins humoristisch vorzurücken. Er legt eine schwerfällige, vermutlich von Gudin verschuldete Abhandlung über die Wichtigkeit und Heiligkeit der Geburtsregister ein. In sein Element kommt er dagegen, wenn er dem Parlamentsrat bemerkt, er habe seiner Putzmacherin gegenüber sich ebenso töricht benommen, wie gegen seine Frau: Niemand habe von ihm verlangt, er solle als Gevatter mit zu dem Taufbecken schreiten; mit dem knauserigen Patengeschenk von 15 Franken für sein neugeborenes Töchterchen habe er sich ebenso unnötig bloßgestellt, wie mit den 15 Louis von Madame Goezmann.

Ebenso unbarmherzig treibt er sein Spiel wiederum mit Bertrand und Marin: den letzteren verewigt er in einer Schilderung seines Lebenslaufes, die ohneweiters als Biographie Basilios umlaufen dürfte. Zum Schluß schlägt er dem kleinen Abbé aus Ciotat ein drolliges Phantasiewappen vor mit der heimischen Devise: Ques-a-co. Die provenzalische Lieblingspartikel wird im Nu zum Stichwort von Paris und Versailles. Marie Antoinette, die auch einen Kopfputz à la Ques-a-co in Schwang bringt, wird nicht müde, das Modewort bei jedem Anlaß unter hellem Lachen anzubringen.

Die empfindsamen Zwischenspiele des vierten Mémoires sind schon früher (5. Beaumarchais in Spanien) gewürdigt worden.

Der Auftritt, in dem er seine Vernehmung vor den chambres assemblées vergegenwärtigt, war ein Musterstück aufregender Darstellung. Dem Reiz des Gerichtsdramas gesellte sich dazumal noch der Reiz der Neuheit. Erst dem Zeitungswesen späterer Tage blieb es vorbehalten, Leser von Geschmack, Kriminalisten und alle Freunde des Volkes gegen so theatralische, auf den Effekt zugespitzte Berichte über Kriminalprozesse aufzubringen; der Ernst des Strafgerichtes, die Heiligkeit der ausgleichenden und vergeltenden Gerechtigkeit heischt und verträgt nur strenge Wahrheit. Für Beaumarchais und das Parlament Maupeou kamen solche Erwägungen noch nicht in Betracht. Fast drohend ruft er den Richtern zu: »Ich tue meinem Jahrhundert nicht die Schande an, es für so niedrig zu halten, daß es nur Gleichgültigkeit für seine Magistrate hege. Die Nation hat zwar nicht selbst auf den Stühlen der Richter Platz genommen, aber ihr majestätisches Auge ruht prüfend auf ihrer Versammlung.« Ja, er geht weiter und spricht schlankweg von den Mißständen des geheimen, schriftlichen Strafverfahrens, er äußert den Wunsch nach öffentlichen Schwurgerichten, wie sie in England Landesbrauch, mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, seine Erfahrungen und Ansichten in dieser Beziehung späterhin einläßlich zu erörtern. Er führe das Wort als citoyen offensé; er sei kein Ex-lex und seine Sache sei die aller Bürger.

Solchen Reden gegenüber schlugen nun endlich die Machthaber einen anderen Ton an. Der Generalprokurator widerrät Beaumarchais, weitere Mémoires zu veröffentlichen, ja es wurde sogar darüber verhandelt, ob man ihn nicht vor dem Urteilsspruch in Haft nehmen sollte, ein Antrag, der mit 31 gegen 24 Stimmen abgelehnt wird. Während dieser Beratung geht Beaumarchais im großen Saal so ruhig und sorglos umher, als ob ihn die Sache gar nicht weiter beträfe. Als er sich endlich zurückzieht, folgt ihm die Menge nicht bloß bis zu seinem Wagen, sondern auf den Pont-Neuf bis zu dem die Brücke beherrschenden Reiterbild Heinrichs IV.

Der erste Racheplan seiner Gegner im Parlament ist fehlgeschlagen. Mit verdoppelter Geschäftigkeit setzen sie nun alles daran, die Entscheidung so rasch als möglich herbeizuführen, damit dem (auch von Marin, Bertrand etc. noch immerfort betriebenen) Memoirenkrieg ein Ende gemacht werde. Zudem fürchten die Parlamentsräte neue, verdrießliche Kundgebungen Contis: mußten sie es doch hinnehmen, daß die Mätresse des Prinzen am Tage der Verurteilung der Drucker und der Kolporteure der Correspondance illuminieren ließ. Den Freunden Beaumarchais' wird bei dieser Überhast bange um ihn; viele bereden ihn zur Flucht. Conti spricht rückhaltlos das Wort: »Ich müßte meine Hand von Ihnen abziehen, wenn Sie der Henker berührt.« Der Präsident von Chateaugiron bringt endlich (17. Februar 1774) eine Amtsklage gegen die Mémoires bei den Kammern ein, worin er dieselben als eine cloaque d'infamie bezeichnet. Beaumarchais bleibt allein unverzagt und antwortet vor allem mit einer Eingabe an das Parlament, in welcher er auch Chateaugiron recusiert. Äußerlich ist er ganz ruhig. Darf man aber seinen späteren Erzählungen glauben, so trug er dazumal tragische Entschlüsse in seinem Innern.

»Acht Tage vor dem Urteil verkündigte La Blache triumphierend im Justizpalast, Beaumarchais' Teil werde sein: omnia citra mortem. Meine Antwort lautete damals: Ich bin nicht so weise wie Sokrates, aber mit seiner Unschuld werde ich seine Festigkeit vereinigen und den Schierlingsbecher zu trinken wissen. Und das ist nicht etwa ein Roman. Sie wissen es, ob ich ihn getrunken hätte, Sie, den ich mich enthalte, anders zu bezeichnen, erhabener Beschützer (Conti): Sie, dem mein Herz wagen würde einen zärtlicheren Namen zu geben, wenn er sich mit der tiefsten Ehrfurcht vereinigen ließe. Sie wissen es, ob ich ihn geleert hätte. Als Sie mich am Vorabend des Urteils allenthalben suchen ließen, sagten Sie mir mit edler, inniger Teilnahme: ›Gehen Sie morgen nicht in den Justizpalast, mein Sohn! Ich zittere für Sie. Wenn die Gerüchte sich bewahrheiten, wenn die Entscheidung verhängnisvoll fallen sollte, müßten Sie aus dem Gerichtssaal in den Kerker‹ … ›Das darf nicht geschehen, Monseigneur! meine Feinde sollen mir nicht vorwerfen, daß ich mit meinem Mut nur geprahlt; ich muß mein letztes Verhör vor dem Urteil bestehen; diese Pflicht muß ich erfüllen. Ich werde morgen in dem Justizpalast sein, und was die Gefahren betrifft, die Sie für mich besorgen, hören Sie denn: ich weiß noch nicht, wie tief eine Menschenseele vom Unglück gebeugt werden kann, aber seien Sie versichert, daß eine ehrlose Hand (der Henker) niemals einen Mann berühren wird, den Sie mit Ihrer Achtung ausgezeichnet haben. Man vergibt einem Unglücklichen‹ …« Die Strafe des Verleumders war dazumal, an den Pranger gestellt, vom Henker gebrandmarkt und des Landes verwiesen zu werden.

In der Nacht vom 25.–26. Februar ordnet Beaumarchais seine Angelegenheiten; er macht sein Testament und bedroht die Seinigen mit Enterbung, wenn sie für den Fall, als ihm ein Leides widerfahren sollte, nach seinem Tod nicht alles aufbieten, jede unverdiente Kränkung von seinem Andenken zu tilgen.

Am 26. Februar um fünf Uhr früh ist Beaumarchais unter den terribles voûtes des Gerichtsgebäudes zur Stelle. Die Pforten sind noch geschlossen. Allein, zu Fuß, hat er im Morgengrauen die sonst so lärmerfüllte Brücke überschritten, seltsam berührt von dem tiefen Schweigen, in welchem nur das Rauschen des Flusses vernehmbar ist. Er schaut auf die nebelumwogte Stadt und sagt zu sich selbst: »wie seltsam ist doch mein Los! Alle meine Freunde, alle meine Mitbürger geben sich der Ruhe hin, und ich – ich gehe vielleicht der Infamie und dem Tode entgegen. Alles schläft in dieser großen Stadt, und mir ist vielleicht überhaupt keine Ruhe mehr beschieden.« Alsbald wird der Justizpalast geöffnet. Er sieht wie alle Richter im Amtskleid herankommen und schweigend die Treppe hinansteigen. Sie alle lassen im Vorübergehen ihren Blick auf Beaumarchais ruhen.

»Ich zählte meine Opferpriester. Da sind sie, die mich verdammen werden. Ich wurde lange Zeit verhört. Meine ruhige Festigkeit erregte vielleicht die Vermutung, daß ich der Gefahr unkundig und die Vorsicht, mich in Haft zu nehmen, unnötig sei: wenigstens habe ich seitdem erfahren, daß ein ehrenwerter Unterbeamter, der mich genau kannte, immer seufzend wiederholte: ›Ach, meine Herren, Der wird Ihnen nicht entgehen; ich bürge dafür, daß er nicht fliehen wird.‹ Um 8 Uhr verließ ich die grande chambre, erschöpft, im Innersten durchfröstelt. Ich sprach bei meiner Schwester ein, die in nächster Nähe wohnte. ›Ich bin müde und will nicht weit vom Gerichtssaal sein; sie haben viel zu lesen, bevor sie das Urteil fällen. Laß mir ein Bett zurichten, etwas Ruhe wird meinen Kopf auffrischen. Ich habe das sehr not.‹ Ich wollte mich nur ausruhen und verfiel in tiefen Schlummer. Diese Gastfreundschaft, dieses zeitweilige Vergessen meiner Leiden war mir sehr heilsam, da auf diese Art ein Teil des Tages verfloß, an dessen Ausgang …« Arch. nat., Anträge des Gen.-Prokur. – Hardy 26. II. Journ. hist. V. Bos: Les avocats aux conseils du roi. 300 ff. Paris 1881.

Von sechs Uhr früh bis halb neun abends berieten die Richter; niemals zuvor hatte es einen solchen Andrang von Zuschauern gegeben. Der Generalprokurator hatte beantragt, ohne Angabe ausdrücklicher Urteilsgründe pour les cas resultans du procès Madame Goezmann und Beaumarchais mit derselben Strafe eines gerichtlichen Verweises ( admonestation) und einer Geldbuße von 3 Livres an die Armen zu belegen; ferner Madame Goezmann zur Rückgabe der 15 Louis zugunsten der Armen zu verurteilen mit der eindringlichen Mahnung, in Zukunft vorsichtiger zu sein; Beaumarchais sollte um Verzeihung wegen seiner Mémoires bitten, welch letztere öffentlich von Henkershand verbrannt werden sollten. Endlich sei er bei Leibesstrafe anzuhalten, nicht mehr rückfällig zu werden et de faire de pareilles mémoires: für die Abfassung der bisherigen aber in eine Geldbuße von 12 Livres zu verfällen. Bertrand Dairolles, Le Jay und Herr Goezmann seien hors de cour zu erklären (nach Voltaires Witzwort gleichbedeutend mit: hors d'ici, vilain).

Diese Anträge waren der Mehrheit der erbitterten Richter viel zu milde. Zweiundzwanzig schrien omnia citra mortem. Ihnen gegenüber standen zwei Meinungen, von welchen die strengere lebenslängliche Verbannung, die mildere die Strafe des blâme, das ist die infamierende Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte beantragte. Zum Schluß einer sechzehnstündigen Beratung sahen sich die Gemäßigtesten gezwungen, für den blâme zu stimmen, nur solcherart konnten sie es verhindern, daß die Mehrheit nicht dem Antrag zufiel, Beaumarchais durch die Hand des Henkers brandmarken und zeitlebens aus seinem Vaterland verbannen zu lassen. Mit 30 gegen 21 Stimmen wurde endlich Beaumarchais, gleich Madame Goezmann zur Strafe des blâme verurteilt; Le Jay und Bertrand Dairolles sollten verwarnt, Goezmann hors de cour erklärt werden. Dabei waren die Richter aber zu feige, diesen Schuldspruch öffentlich zu verkünden; sie stahlen sich auf Seitentreppen davon. Beaumarchais wurde – nach seinem letzten Verhör – mit allgemeinem Beifall begrüßt, als er den Saal durchschritt, um sich zur buvette zu begeben. Nur der erste Präsident wagt es mit einigen Räten, im Geleite von Fackelträgern und Huissiers, den Hauptgang hinabzuschreiten. Am Fuß der Ministerstiege warten berittene Boten, um das Urteil nach Versailles zu bringen. Répertoire universel etc. 1784. Admonition: sorte de punition qui consiste dans une sorte de reprimande. Celui qui subit cette peine n'est pas noté d'infamie. Blâme dagegen ist ein Verweis nach der Formel: » vu le procès etc. nous ordonnons que le dit Pierre sera mandé à la chambre du conseil pour être blâmé etc. Le blâme est une peine infamante. Hors de cour signifie qu'il n'y a pas assez de preuves pour asseoir une condamnation«. – Gudins Nachwort zu den Mémoires, Oeuvres III, 487–492. Journal historique V. 199. 200. 203. 204. – Voltaire schrieb an Florian: Beaumarchais a eu raison en tout et il a été condamné. L'arrêt ne réussit pas mieux à Paris qu'à Montpellier. Kehler Ausgabe LXVII, 318.

Ein Freund Beaumarchais' teilt ihm entsetzt das Erkenntnis mit. Der Verurteilte nimmt die Botschaft ganz ruhig auf: voyons, sagt er, ce qui me reste à faire; er verläßt das Haus seiner Schwester, da er zu besorgen hat, dingfest gemacht zu werden; Gudin begleitet ihn eine Strecke weit, bis beide davon überzeugt sind, daß sie für den Augenblick nichts zu fürchten haben. Nun verabschiedet Beaumarchais seinen treuen Gefährten und trifft für den nächsten Tag die Verabredung, zu welcher Stunde er ihn in seinem schon vorher gewählten Asyl – vermutlich bei dem bekannten Musikliebhaber und Generalpächter La Borde, einem Kammerdiener Ludwigs XV. – besuchen soll, denn in seinem eigenen Hause konnte er von den Schergen des Parlaments aufgehoben werden.

Allein das Urteil war in Paris mit so allgemeinem Unwillen aufgenommen worden, viele Richter hatten öffentlich vom Volke so laute Beschimpfungen erfahren, vor allem aber fühlte das Parlament Maupeou seine Autorität, ja seinen Bestand dermaßen gefährdet, daß Richter und Häscher ihn vorläufig unangefochten ließen.

Die Parteiführer des alten Parlaments zeichneten Beaumarchais jedoch vor aller Welt, wie einen um das Vaterland hochverdienten Triumphator aus. Conti schrieb sofort: Beaumarchais sei ein großes Beispiel für den Gerechtigkeitssinn des Publikums; das entsetzliche Urteil habe ihm nicht den leisesten Makel anhaben können, denn gleich im ersten Augenblick sei es durch die öffentliche Meinung, die er im Sturm für sich zu erobern gewußt, kassiert worden. Der Prinz tat noch mehr. Als er erfuhr, in welches Haus er sich zurückgezogen, begibt er sich dahin, um ihn zu besuchen. Beaumarchais eilt ihm entgegen; Conti nimmt ihn in seinen Wagen und unterhält sich daselbst angesichts des Publikums ziemlich lange mit ihm. Er sei, meinte der Prinz, aus so leidlich gutem Hause, daß er wohl mit dem rechten Beispiel vorangehen dürfe, wie man große Bürger ehren solle. Zugleich lud ihn Conti zu einem Festmahl mit vierzig anderen Tischgenossen zu sich. In Beaumarchais' Wohnung schreiben sich zahlreiche Gratulanten ein; der Herzog von Chartres empfing ihn auf das herzlichste; der Polizeileutnant bat ihn zu sich, um ihm lachend zu bedeuten: »Es genügt nicht blâmé zu sein: man muß auch bescheiden sein; der König wünscht, daß Sie nichts mehr, nicht einmal mehr gegen den Grafen La Blache schreiben.« Beaumarchais sagt das für die nächsten fünf Monate zu, denn sechs Monate waren die äußerste gesetzliche Frist, während welcher er überhaupt ein Gesuch um Revision des Urteils anbringen konnte. Die allgemeine Meinung, auch in der Provinz, war durchaus auf seiner Seite. Desto auffälliger war es, daß das Parlament, welches die verurteilten Personen nicht weiter behelligte, am 5. März die Mémoires unter außerordentlichem Andrang verbrennen und das Erkenntnis allüberall durch Maueranschlag kundmachen ließ. Bald nachher gibt Lesages Komödie » Crispin rival de son maître« Anlaß zu stürmischen Kundgebungen der Zuschauer im Thêátre français: infolgedessen wird kurzweg sogar jede weitere Aufführung der »Eugénie« durch ein Polizeiverbot untersagt.

Beaumarchais ist indessen halb verschollen: bald geht das Gerücht um, der König wolle ihn als »französischen Wilkes« strafweise in die Kolonien schicken, bald heißt es, daß er auf der Isle Adam, dem Sommersitz Contis hause; am wahrscheinlichsten ist es, daß er zeitweilig in die ländliche Stille seines kleinen Pantiner Hauses sich zurückzog.

Anfangs Juli erfährt Hardy plötzlich durch einen Freund des alten Caron, daß Beaumarchais für einen Monat oder sechs Wochen im Auftrage Ludwigs XV. an einen fremden Hof gereist sei …

Wie war das zugegangen? Wir rühren hier an die häßlichsten Punkte im Leben Beaumarchais'. Über Nacht hatte sich der vielgepriesene Volksheld in einen geheimen Agenten umgewandelt und das zunächst in einen Botenläufer Ludwigs XV., dem zu Gefallen er nach London reiste, um die Veröffentlichung schmählicher Pamphlete gegen die Du Barry zu verhindern. Diese schmutzigen, abenteuerlichen Geschichten verlangen – leider! – einläßlichere Prüfung: sie sind der Beginn von Beaumarchais' denkwürdiger politischer Tätigkeit.

10. Beaumarchais in London

Campagnes du Sieur Caron de Beaumarchais en Angleterre pendant les années 1774–1775–1776. Gaillardet, S. 218–225. Fournier, Introduction XXIV. – Boutaric, Correspondance secrète inédite de Louis XV. Paris, Plon, 1866, II, 356–361. – über Morande vgl. Brissot, Mémoires, 280 ff. Robicquet Théveneau de Morande. Paris, Quantin 1882. – Ich folge Gudin, Hist. de Beaumarchais 112 ff., ferner dem (undatierten, Ende Mai oder im Juni verfaßten) Rechenschaftsbericht Beaumarchais' an Ludwig XVI. Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv. – Archives des affaires étrangères, Angleterre, 1773 (502), 1774 (504. 505) Briefe d'Eons: als der Chevalier Morande Vorstellungen machte, antwortete er: » Que diable, je ne puis pas choisir un meilleur sujet pour en venir au but qui est l'argent. Voulez-vous que je fasse des romans ou des sermons, personne ne me lira.« Lauraguais war Beaumarchais' Beistand bei den Verhandlungen mit d'Eon: dieser ebenso geistvolle, als exzentrische Schuldenmacher war nach der Lektüre der Mémoires im Prozeß Goezmann ein unbedingter Beaumarchais-Enthusiast geworden ( Journ. hist. V.): späterhin wurde er ein Todfeind des Dichters, der von seinen abenteuerlichen Finanzplänen nichts hören wollte. (Vgl. Fournier 756.) Im Oktober 1775 löste Beaumarchais Morandes Leibrente gegen ein Kapital ab. ( Arch. des aff. étr., Angleterre 512.)

Pour vous livrer la guerre
Ma plume me suffit au défaut du tonnerre.

Le Gazetier cuirassé.

Beichtväter, Minister und Polizeigewaltige müssen endlich notgedrungen Menschenverächter werden: so meinte eines Abends der vielberufene Abenteurer »Graf« St. Germain im Salon der Pompadour und Ludwig XV. fiel ihm sogleich in die Rede mit dem schwermütigen Ausruf: Et les rois! Es war der Ausdruck seiner innersten Überzeugung; das Handwerk des Königs brachte ihm in der Tat die schlechteste Meinung von Mannesehre und Frauenwürde bei, seine Selbstkritik war größer, als seine Selbstachtung. »Kein rechtschaffener Kerl kann es an meinem Hofe aushalten«, so äußerte er wiederholt. Die Geringschätzung der Menschen nahm bei ihm selbst ihren Anfang und fand ihr Ende unter den Großen des Reiches sowenig, als unter den kleinen Leuten von Versailles. Wer immer ihm nahte, war von Eitelkeit oder Habsucht getrieben. Feil schien ihm alles, was in seine Kreise sich drängte, und Beaumarchais der letzte, der mit dem Ruhm auch das Martyrium des Volksmannes auf sich zu nehmen gedachte.

In der Besorgnis, das Urteil des Parlaments könnte am Ende doch vollstreckt werden, war unser blâmé in die Garderobe des Königs geflohen. Dort erfährt er von seinem Freunde La Borde, dem Kammerdiener Ludwigs XV., daß die Getreuen der Du Barry in höchster Aufregung seien über das Fehlschlagen aller Versuche, eine in London vorbereitete Schmähschrift » Mémoires secrets d'une fille publique« gewaltsam zu unterdrücken. Und alsbald schwillt das Herz Carons, von phantastischen Hoffnungen erfüllt. Er teilt La Borde sein Vorhaben mit, nach London zu reisen und insgeheim den Autor des Pamphlets durch ein ausgiebiges Schweigegeld zur Vernunft zu bringen; er hofft, indem er dem königlichen Herrn in dessen Liebeshändeln zu Willen ist, seine Feinde zu erniedrigen und sein Glück zu den Sternen emporzutragen. Der Kammerdiener spricht Ludwig XV. von Beaumarchais' Absicht und bald nachher begibt sich unser Held unter dem Schutze Contis in einem Wagen des Fürsten von Ligne über Gent nach London, wo er den Namen eines Monsieur de Ronac (Anagramm aus Caron) führt: ein Inkognito, das er selbst am wenigsten hütete. Es ist ein Todfeind Beaumarchais', der uns also die Vorgeschichte seiner Sendung erzählt, aber auch in den Darstellungen seiner Freunde nimmt sich der Sachverhalt nicht viel anders aus.

Gudin berichtet, daß Sartines dem Autor der »Mémoires« im Namen des Königs den Rat gab, sich nirgends blicken zu lassen und beileibe in den Händeln mit Goezmann und La Blache nichts weiter zu veröffentlichen. Daraufhin ließ der »französische Wilkes« (aus Flandern durch La Borde) an Ludwig XV. ein Schreiben gelangen, des Inhalts: er werde wohl schweigen, doch nicht aus Furcht, sondern freiwillig, da – Seine Majestät es wünsche; nur wolle er – bis vor Ablauf der gesetzlichen Berufungsfrist gegen das Urteil des Parlaments – im Ausland unter einem angenommenen Namen, von welchem er seinem königlichen Herrn Meldung machen werde, verweilen, nach diesem Beweise seiner Unterwürfigkeit aber heimkehren, um die schuldige Gerechtigkeit zu fordern: la justice est la dette des rois. Soweit mag Gudin gut berichtet sein: unglaubhaft klingt es aber, wenn er fortfährt: Kaum wäre Beaumarchais in England gewesen, so hätte der König La Borde gefragt, ob der um seiner Überlegenheit willen so vielgerühmte Freund nicht vielleicht vollbringen könne und wolle, was das Ministerium seit achtzehn Monaten fruchtlos anstrebe: das Erscheinen verschiedener druckreifer Schmähschriften hintanzuhalten. Gegen eine solche persönliche Einmischung des Königs spricht seine ganze Haltung in dieser Frage; gegen die Erzählung Gudins zeugt in unserem Falle aber auch noch ein (im Wiener Archiv abschriftlich erhaltener) Brief Beaumarchais', in dem er Ludwig XVI. Rechenschaft über die seinem Vorgänger geleisteten Dienste gibt, er bestätigt da selbst, daß er keinen unmittelbaren Auftrag von Ludwig XV. erhielt. Zur Befeuerung seines Tatendranges hatte die beiläufige Mitteilung La Bordes genügt, daß der Gazetier cuirassé bisher allen Anschlägen der Polizei, der List, wie der Gewalt erfolgreich Widerstand geleistet. Und nirgends hofft Beaumarchais, die ihm vom Parlament Maupeou aberkannten bürgerlichen Ehrenrechte rascher wiederzugewinnen, als unter der von Voltaire verfluchten canaille de la littérature, durch keine Leistung die Huld des Herrschers voller zu verdienen, als durch die Bezähmung des »neuen Aretin«, wie sich der Gazetier selbst nannte, während Mit- und Nachwelt ihn mit besserem Recht als »literarischen Bravo« behandelt.

Théveneau de Morande – dies der eigentliche Name des »Geharnischten« – von Geburt ein Burgunder, bereitete den Seinigen schon in seiner Jugend schwere Sorgen. Bei den Dragonern tat er nicht lange gut. Im Nu bringt er seinen Vater, einen ehrlichen Provinzanwalt, um 30 000 Franken, doch erst auf dem Pariser Boden kam sein Gaunergenie zu voller Entfaltung. Anfangs gefiel er sich als Parasit reicher Lebemänner, denen er ihre Schönen abspenstig machte. Die Polizeiinspektoren Sartines' sagen ihm noch weit schlimmere Dinge nach: er preßt Courtisanen Geld ab und wird als Dieb in einem verrufenen Hause dingfest gemacht. Über ein Jahr büßt der Schelm, homme dangereux pour la capitale, dies Stücklein im Gefängnis. Als man ihn endlich, seiner scheinbaren Reumütigkeit halber, freiläßt, hat Théveneau nichts Eiligeres zu tun, als dem Grafen St. Florentin eine Ode zu widmen, dermaßen gepfeffert, daß er, um seine besten Jahre nicht in der Bastille zu vertrauern, eilends nach England fliehen muß. Wohl trifft er mittellos in London ein, aber das ficht ihn nicht weiter an; flugs drängt er sich an reiche Wüstlinge, deren Geheimnisse er aushorcht und sich mit schwerem Gold abkaufen läßt. Im August 1771 verkauft er gegen ein Entgelt von 1000 Guineas das Manuskript des Gazetier cuirassé, ein Werk der Finsternis nach dem Wort Voltaires, eine zynische Skandalchronik, der alsbald mélanges confus sur des matières fort claires folgen. Es fehlt Morande nicht an freundlichen Aufmunterungen und Beiträgen von »hochgestellten Persönlichkeiten« in Versailles und Paris, aber auch an anderem Lohn fehlt es nicht immer: Graf Lauraguais prügelt ihn gelegentlich auf offener Straße und zwingt ihn, ihm vor Gericht kniefällig Abbitte zu leisten. Der Zwischenfall hält das Lästermaul nicht ab, gleich nachher an alle, nur irgendwie namhafte Franzosen, auch an den Alten von Ferney, Erpresserbriefe zu richten. Nur die wenigsten fertigen ihn spöttisch oder entrüstet ab und so nährt ihn sein neues Handwerk bedeutend besser, als sein altes, das er darum noch lange nicht aufgibt: Courtisanen zu brandschatzen. Beide glaubt er zu vereinigen, als er die Du Barry und Ludwig XV. wissen läßt, er habe ein vierbändiges Werk unter der Feder: »Geheime Denkwürdigkeiten einer öffentlichen Dirne«. Der König nimmt die Sache anfangs mit dem richtigen Gleichmut hin. Als ihm der Graf von Broglie zuerst von dem Handel schreibt mit dem Bedeuten, der Chevalier d'Eon sei bereit, Morande mit einem Schweigegeld von 800 Guineas vollständig abzufinden, lautet die Antwort: »es geschieht nicht zum erstenmal, daß man mir Böses der Art nachgesagt hat.« Die königliche Mätresse dagegen nimmt die Drohung nicht entfernt mit derselben Kaltblütigkeit hin. Schon das Gerücht, daß in dem Buch erzählt werde, wie der Erzbischof von Rheims ihr die Pantoffeln reiche; wie sie Maupeou die Perücke vom Kopf und den Kanzlertalar zum Schabernack von den Schultern reiße; wie Ludwig XV. seiner geliebten Chonchon den Kaffee kocht, unbeirrt durch ihre Frage: »möchte man es glauben, daß Du der Gebieter von 20 Millionen Franzosen bist?« – bringt ihre Getreuen in Aufruhr. Die Pariser Polizei versucht es, ungeschickt genug, zunächst mit einem Gewaltstreich; sie schickt eine Brigade nach London ab, die unter dem Vorwand einer Lustreise Théveneau auf ein in der Themse bereitliegendes Schiff locken und nach Frankreich entführen soll. Der Pamphletist bekommt Wind von dem Vorhaben und schlägt im eigentlichen Wortsinne neues Kapital aus der Verfolgung. Fürs erste läßt er die verkleideten Polizeiagenten in seine Nähe, selbst in seine Wohnung; nachdem er ihnen bei dem Anlaß ein schönes Stück Geld abgenommen, schlägt er aber Lärm und erhitzt die braven Londoner dermaßen, daß die Pariser Häscher fast gelyncht und in die Themse geworfen werden. Der Fall macht ungeheures Aufsehen, die Engländer haben die Juniusbriefe nicht umsonst gelesen. König und Ministerium sind machtlos dem Abenteurer gegenüber; es wiederholt sich, auf die diplomatische Anfrage Frankreichs, genau dasselbe, wie bei der, elf Jahre zuvor, vergebens geforderten Auslieferung eines weit gefährlicheren Störenfriedes, des Chevalier d'Eon; die Londoner Machthaber müssen mit Bedauern erklären: »Sein Benehmen ist verabscheuungswürdig, seine Person aber unverletzlich.« So verfahren ist der Handel, als Beaumarchais eingreift.

Als der Dichter des »Barbier« in London eintrifft, hört er auf seine vielfachen Erkundigungen, daß die ersten Exemplare der Schmähschrift schon gedruckt zur Versendung bereitliegen. Da er sogleich bei Morande vorspricht, verwehrt ihm dieser den Zutritt mit dem Bemerken, er sei allerorten von Mördern und Hinterhalten umgeben; die Pariser Regierung habe ihn neuerdings mit Hilfe einer bestochenen Magd knebeln und unschädlich machen wollen; wäre Monsieur de Ronac selbst ein Engel, seine Eigenschaft als Franzose müsse ihn von jedem Verkehr mit ihm absehen lassen. Mit solchen Redensarten kommt man keinem Beaumarchais bei; die Zeit drängt; durch List und Zähigkeit bringt er Théveneau de Morande nicht bloß dazu, ihn zu empfangen; er bestimmt ihn auch, mit der Veröffentlichung seines Pamphlets eine kurze Weile zuzuwarten. Mit einem Probeexemplar der Mémoires der Du Barry begibt sich Monsieur de Ronac inzwischen wiederum nach Versailles, um Ludwig XV. selbst lesen und entscheiden zu lassen, ob dies »höllisch boshafte Buch« nicht um jeden Preis zu unterdrücken sei? Der König nimmt mit behaglichem Wohlgefallen Morandes Buch und Beaumarchais' Diensteifer zur Kenntnis: alles Weitere überläßt er vorerst aber dem Herzog von Aiguillon, an den er Ronac weist mit dem ausdrücklichen Verbot: den Minister unter keiner Bedingung wissen zu lassen, daß der Monarch das Pamphlet erhalten und gelesen habe. Beaumarchais gehorcht selbstverständlich und spricht unter seinem Inkognito bei Aiguillon vor, seinem Leidensgefährten nach Gudins Bemerkung (denn auch der Herzog wäre vom Parlament von Paris wegen seiner Händel mit dem berühmten Jesuitenfeind La Chalotais »bemakelt« worden: eine Ehrenkränkung, die seiner Ernennung zum Kriegsminister und Leiter des Auswärtigen Amtes keinen Eintrag tat). Mr. de Ronac fand auch diesem nichtswürdigen Galan der Du Barry gegenüber die Eloquence du moment, so daß Aiguillon im Verlauf der Audienz plötzlich ausrief: »Entweder sind Sie der Teufel oder Beaumarchais in eigener Person.« Aber diese schmeichelhafte Erkennungsszene förderte die ferneren Unterhandlungen der beiden in keiner Weise. Der Minister, ein rachsüchtiger Gewaltmensch, verlangte vor allem den oder die Verfasser der Schmähschrift ausgeliefert oder doch wenigstens genannt zu erhalten. Und da sich Beaumarchais beharrlich weigert, Angeberei zu treiben, »der Handlanger einer allgemeinen Verfolgung, der Fackelträger von Häschern und Kerkermeistern der Bastille zu werden«, herrscht ihn der Minister so aufgebracht an, wie er in denselben Tagen Dumouriez hatte einschüchtern wollen. Während der letztere aber sogleich nach dem Degen griff, zog sich Beaumarchais betreten zurück und nur dem persönlichen Eingreifen des Herrschers zuliebe will der von Aiguillon entmutigte »Vertrauensmann« Ludwigs XV. eine zweite Reise nach London angetreten haben.

Morande hat inzwischen den weisen Rat d'Eons beherzigt, daß wer einmal gleich ihm das Handwerk eines Straßenräubers betreibe, dem eben vorbeifahrenden, goldstarrenden Galawagen ein so hohes Lösegeld als irgendmöglich abdringen müsse. Während sich der Gazetier vorher mit 800 Guineas ein für allemal hätte abfertigen lassen, forderte und erhielt er von Beaumarchais am 29. April rechtsförmlich und vertragsmäßig eine Abfindungssumme von 32 000 Livres, ferner eine Leibrente von 4000 Livres zugesichert, welch letztere nach seinem Ableben zur Hälfte auf seine Frau übertragen werden sollte. d'Eon hatte wohl recht, Morande scherzhaft vorzuwerfen, er wäre ein Tropf gewesen, sich bei derselben Gelegenheit nicht gleich auch aus Staatsgeldern Leibrenten für seine unehelichen Kinder, für seine Hunde und Katzen auszubedingen. Beaumarchais freilich berühmte sich dagegen, er habe Morande nicht bloß dazu vermocht, sämtliche Exemplare seines Pamphlets in einem großen Ziegelofen außerhalb Londons in Gegenwart von Lauraguais und Gudin vor ihm verbrennen zu lassen; es sei ihm überdies geglückt, den Gazetier aus einem gefürchteten Wilddieb in einen brauchbaren Jagdhüter zu verwandeln, d. h. Morande als wohlbesoldeten Spion der Pariser Regierung die französische Flüchtlingskolonie in London überwachen zu lassen. Zugleich heckte Beaumarchais einen weitergreifenden Plan aus, demzufolge mit Hilfe seines alten Madrider Freundes, des jetzigen Ministers Lord Rochford, fortan kein Franzose auf englischem Boden ungestraft gegen die heimatliche Regierung schreiben dürfe. Das einfache, wohlfeile Rezept Morandes befolgte er aus gutem Grunde nicht: der Gazetier meinte späterhin als erfahrener Fachmann, das gescheiteste sei, solchen Libellen gar keine Beachtung zu schenken; wenn die Machthaber sich um derlei Schmähschriften bekümmern, werden ihrer immer mehr; sonst verleiden Papierfabrikanten und Drucker unberufenen zahlungsunfähigen Pasquillanten am raschesten ihr Stücklein. Oeuvres VI, 263–267. Wiener Haus-, Hof- und Staatsarch. – Eine Reihe der folgenden Briefe danke ich der gütigen Mitteilung des würdigen Sohnes von Loménie, Charles de Loménie. – La calomnie! Et quel est le jour depuis 1774 où la calomnie s'est reposée autour de Marie Antoinette? Goncourt, Histoire de Marie Antoinette, Paris, Charpentier, 1878, S. 197 ff.

Trunken von seinen Erfolgen macht sich Beaumarchais auf die Heimfahrt. Schon sieht er die Schmach des Parlamentsurteils getilgt, schon wähnt er sich als geheimer diplomatischer und literarischer Agent in dauerndem persönlichen Verkehr mit dem König – da erfährt er bei seiner Landung in Boulogne die jähe schwere Erkrankung und bei seinem Eintreffen in Versailles den Tod Ludwigs XV. All seine Mühen und Reisen sind umsonst gewesen. »Ein anderer«, so schreibt er einem Freunde, »würde sich wegen solcher Schicksalstücke aufhängen«, Beaumarchais' Schnellkraft spottete des unvermuteten Schlages. Er war drauf und dran gewesen, der Vertrauensmann Ludwigs XV. in dessen heikelsten, höchstpersönlichen Angelegenheiten zu werden … der alte König war nun freilich tot. Was hinderte ihn aber, des gleichen Amtes, nur mit besserem Erfolge, bei dem neuen Herrn zu walten? Schätzte und beschützte ihn nicht der Polizeileutnant Sartines als einen der fähigsten Nothelfer? und durfte er nicht erwarten, daß das Regiment Ludwigs XVI. Pasquille gegen Marie Antoinette mit derselben Beflissenheit und Freigebigkeit unterdrücken werde, wie das alte die Schmähschriften gegen Du Barry? lag es nicht in seiner Hand, von Morande einen ganzen Katalog druckreifer, gegen die junge Königin gerichteter Libelle in Prosa und Versen zu erhalten und Sartines einzureden: seine ganze Zukunft hänge davon ab, Marie Antoinette bei ihrer Thronbesteigung den Beweis seiner Fürsorge in der Art zu erbringen, daß er nicht eine der ungezählten, von der Partei der Feinde Österreichs und ihrer Person, den d'Aiguillons, Maupeous, Mesdames und ihren Leuten ausgehenden Verleumdungen in die Öffentlichkeit und damit bis zu ihrem Gemahl dringen lasse? Auf die erste Nachricht Beaumarchais', daß in London das Erscheinen eines infamen, gegen die Ehre der Königin gemünzten Pamphlets bevorstehe, ist denn Sartines auch, von der Beredsamkeit und Gewandtheit seines Gewährsmannes gleicherweise bezaubert, unbedingt mit all seinen Vorschlägen einverstanden. Er stellt ihm Gelder und Vollmachten, kurz alles was er verlangt, zu Gebote. Das ist aber kein Kleines, Beaumarchais begehrt (aus Gründen, die uns bald klar werden dürften) eine eigenhändige Vollmacht Ludwigs XVI., in welcher der Monarch erklären soll: »Herr von Beaumarchais wird, meinem Geheiß zufolge, so rasch als möglich nach Holland und England abreisen, um meine geheimen Aufträge zu vollführen; die Schnelligkeit und Verschwiegenheit, die er dabei betätigen wird, sollen mir die willkommensten Zeichen seines Eifers sein.« Nicht auf einen Schlag erhält er einen so großen Beweis des königlichen Vertrauens, auf den er ungemein phantastische, seine verwegensten spanischen Anschläge überbietende Pläne baut; und doch baut er auf feste Grundlagen: auf seine genaue Kenntnis der Charaktere Sartines' und des Königs. Sein Unternehmen glückt denn auch anfangs über Erwarten.

In mehreren (im Wiener Staatsarchiv erhaltenen) Briefen offenbart er Ludwig XVI. zunächst alles und vielleicht noch etwas mehr, als was er in Wahrheit für dessen verewigten Großvater ins Werk gesetzt hat. Er berichtet auch, daß er Théveneau de Morande unter dem Vorwand, alte, im Tower aufbewahrte, die Rechte beider Kronen betreffende Urkunden zu prüfen, ein Jahrgehalt ausgeworfen habe, damit er genauen, regelmäßigen Bericht über alle wichtigen politischen Ereignisse und über alle Erzeugnisse der Schmutzliteratur erstatte. So habe er erfahren, daß gegen die Königin unter dem Titel: » Avis à la branche espagnole« eine Schmähschrift vorbereitet werde, die zugleich in London und Amsterdam gedruckt werden solle. Seine (Beaumarchais') Sache sei es, dieses Vorhaben zunichte zu machen; er gedenke aus England über Holland heimzureisen, um auch dort einen Geheimkorrespondenten zu bestellen und durch kluge Maßregeln in diesen beiden Reichen zügelloser Preßfreiheit alles aufzuhalten, was gegen den König und die Seinigen in Umlauf gebracht werden könne. Schon habe ihm in dieser Richtung Lord Rochford seinen vollen Beistand zugesagt: allerdings nicht als Minister Englands, sondern als Parteigänger Frankreichs; dazu sei aber zuvor noch erforderlich, daß Beaumarchais seinen alten Freund durch schlüssige, urkundliche Zeugnisse davon überzeuge, daß er auf den unmittelbaren Wunsch und Befehl des Königs handle. Er benötige also erstens einen Paß auf den Namen Ronac, zweitens einen Kreditbrief auf 500 Guineas, drittens die S. 211 in Beaumarchais' Entwurf ihrem vollen Wortlaut nach mitgeteilte Vollmacht. Auf diese eigenhändige Erklärung Ludwigs XVI. legt unser Held (auch in den Briefen an Sartines Sartines erklärte späterhin ausdrücklich, daß die erste Mitteilung, in betreff des anstößigen Pamphletes gegen Marie Antoinette, von Beaumarchais ausgegangen sei. Vgl. die Depesche Mercys bei Arneth, 55. – Ich folge hier außer Gudins Biographie einem mir von Charles de Loménie mitgeteilten Brief.) den größten Nachdruck: wie leicht könnte man ihn sonst, so wiederholt er mehrmals, in der Fremde nur für einen gewöhnlichen Späher oder Polizeiagenten halten? Sartines trägt Beaumarchais am 25. Juni kurzweg auf, abzureisen; an dem Paß und Kreditbrief läßt man es nicht fehlen. Aber obgleich er das so dringend geforderte königliche Handschreiben noch nicht erhält, schreibt er einem Vertrauten triumphierend: »der Teufel, der mein Leben schaukelt, hat mir meinen Herrn und Beschützer geraubt; gleichwohl sehe ich getrost zu, wer von uns beiden zäher sein wird, der Satan oder ich.« Und nun folgen geheimnisvolle Andeutungen: er sei im Begriff, mit ehren- und vertrauensvollen Aufträgen des neuen Herrn in neue Länder abzugehen. Der Boden brennt ihm unter den Füßen, aber noch muß er seine Reise um einen Tag aufschieben, da Conti ihn dringend bittet, der Aufführung eines neuen Dramas auf seinem Liebhabertheater im Temple beizuwohnen: »So wurde mir vor meiner Abfahrt nach London das rührendste Schauspiel beschieden; man (Marsollier) hat mein spanisches Abenteuer, schlankweg nach meinem Mémoire, auf die Bühne gebracht; das Stück« – »Norac und Javolci«, d. h. (im Anagramm) Caron und Clavijo – »wurde so lebhaft beklatscht und die ganze Gesellschaft hat sich unter so herzlichen Beifallsbezeugungen mir zugewendet, daß ich unter dem Eindruck meiner Erinnerungen und dieser Auszeichnung in helle Tränen ausbrach.« Marsolliers Stück ist abgedruckt in Bd. III seiner Oeuvres choisies, Paris 1825, unter dem Titel: »Beaumarchais à Madrid«. Der ursprüngliche Titel ist aufrechterhalten in einer sehr freien italienischen Umarbeitung Norac e Javolsi. Drama inedito di Mars … de Viv … Riduzione italiana dal Signor Francesco Gardini. Venezia 1809. (Terza raccolta di scenici componimenti.) – Vgl. auch Marsollier des Vivetières. Lettres inédites communiquées par Emile Perret de la Menue. Lyon 1866.

Am nächsten Morgen verläßt der Held des Marsollierschen Stückes Paris. Auf der Überfahrt wird das Schiff von einem furchtbaren Sturm heimgesucht und Beaumarchais dermaßen seekrank, daß ihm ein Blutgefäß springt; seine Unpäßlichkeit hält ihn jedoch nicht ab, von London aus Sartines sogleich mit einer Flut von Nachrichten heimzusuchen. Es sei ihm, dank einer wohlgelungenen intrigue de valets geglückt, den Drucker des Avis zu bestechen und sich heimlich, für ein paar Nachtstunden, das Manuskript des Libells zu verschaffen: die Schmähschrift sei von so giftiger Bosheit gegen Marie Antoinette erfüllt, daß alles an die Unterdrückung des Pasquills gesetzt werden müsse; die Anschuldigungen gegen die Königin seien zudem so tückisch, daß man Ludwig XVI. schlechterdings nicht die Schrift ihrem vollen Umfang nach mitteilen dürfe, der König könnte sonst selbst Verdacht schöpfen; zum mindesten aber würde Marie Antoinette nie verzeihen, daß man ihr eine solche Beleidigung nicht erspart habe. Alles hänge nun davon ab, daß Sartines ihn wirksam unterstütze; während er (Beaumarchais) aber von nicht gar hoch fallen könne, gefährde der Polizeigewaltige, Allbeneidete, Vielbefehdete in dieser Sache seine glänzende Stellung, Gegenwart und Zukunft. Schaffe er ihm die königliche Vollmacht, so könne er für den Erfolg einstehen; sonst macht der Briefsteller Sartines für alle Folgen verantwortlich.

Es brauchte nicht so vieler Worte, um den Polizeileutnant willfährig zu stimmen. Im vollen Vertrauen auf Beaumarchais als Retter aus so arger Gefahr, bringt es Sartines zuwege, daß Ludwig XVI. eigenhändig an Beaumarchais, wortwörtlich nach dessen Vorschrift, das langerbetene Schreiben richtet. Am 11. Juli schickt der Polizeileutnant das kostbare Blatt nach London mit einem Begleitbrief, in dem er seinen Vertrauensmann um möglichst viele Nachrichten bittet. Daran läßt es unser Held nicht fehlen; er überschüttet Sartines mit Briefen, auch aus Orten, die niemals in den ursprünglichen Reiseplan einbezogen waren: denn Beaumarchais eilt gleich nach Erhalt des königlichen Handschreibens nach – Wien, wie er versichert auf der Jagd nach einem betrügerischen Drucker, der ihm nicht alle Exemplare der Schmähschrift ausgefolgt, in Wahrheit von der Absicht geleitet, als beglaubigter Vertrauensmann des Königs sich bei Maria Theresia einzudrängen und die Gunst der Kaiserin durch seine angeblichen Bemühungen um ihre Tochter zu gewinnen. Was ihm bei seinen spanischen Entwürfen vorschwebte, mit Hilfe der Marquise de la Croix der allmächtige Mittelsmann zwischen Frankreich und Spanien zu werden, das wollte er nun unter besseren Vorbedingungen in seinen Wiener Anschlägen vollenden: der unentbehrliche, geheime Agent zwischen zwei Höfen und Reichen zu sein. Während er aber in Spanien die Liebe Karls III. zu einer schönen Sünderin in den Mittelpunkt seines Kalküls gestellt hatte, rechnete er diesmal mit einer weit edleren und zuverlässigeren Neigung, der Mutterliebe der Kaiserin für ihr so grausam angefeindetes Kind. Und wenn zu guter Letzt Beaumarchais' neuer Plan noch schmählicher fehlschlug, als seine spanischen Projekte, so traf ihn diesmal schwerer, als wahrlich nicht geringe Schuld, auch der Fluch der Lächerlichkeit: denn der vermeintlich allen Regenten und Ministern überlegene Monsieur de Ronac brachte zu seiner eigenen Verherrlichung eine Kriminalkomödie in Umlauf, deren plumpe Lügen damals sofort von den stumpfsten und schärfsten Geistern, von dem Postknecht, der ihn des Weges führte, bis zum Staatskanzler Kaunitz, der ihm das Handwerk legte, durchschaut wurden und heute noch seinen Ruf als gewitzter Kopf in Frage stellen. Wir haben mit diesen Bemerkungen der Darstellung nicht vorgegriffen: denn alle folgenden Erzählungen Beaumarchais' wollen nicht auf Treu und Glauben hingenommen, sondern nur als phantasievolle Geschichten eines noch dazu ungeschickten »Maschinisten« aus der Schule Figaros geprüft und beurteilt sein.

Beaumarchais berichtet, daß der Eigentümer des Libells » Avis à la branche espagnole«, ein sicherer William Atkinson, sich gegen ein Honorar von 1200 Guineas bereit erklärt habe, 4000 Exemplare der Schmähschrift in London, beziehungsweise in Amsterdam, zur Vernichtung auszuliefern; dagegen verpflichtet sich Beaumarchais in einem, wesentlich nach dem Schema des Morandeschen Vertrages gehaltenen (im Wiener Staatsarchiv aufbewahrten) Abkommen, Atkinson eine Anzahlung von 400 Guineas, den Rest von 800 Guineas aber in Amsterdam zu geben.

»Und am nächsten Samstag, 23. Juli, 3 Uhr morgens, habe ich, Ronac, mich zu Fuß von London auf die Straße nach Oxford begeben und daselbst einen Wagen aus jener Richtung mir entgegenkommen gesehen; Herr Atkinson ist mit zwei Begleitern, anscheinend Druckerjungen, ausgestiegen; der Wagen fuhr nun ungefähr eine Viertelmeile seitwärts; endlich wurde an einem ziemlich abgelegenen Orte Halt gemacht, dort wurden 4000 Exemplare aus dem Wagen genommen und genau gezählt: alles stimmt; nur acht Exemplare weist Atkinson in verletztem, beflecktem Zustand vor.«

Als sich Ronac aber nun auch das Manuskript zeigen läßt, bemerkt er (der sich vorher durch List Einblick in das Original verschafft haben will), daß dasselbe nur eine Ab-, nicht die Urschrift sei. Atkinson will Ronac glauben machen, daß er kein anderes habe; als dieser aber zur Antwort gibt, er lüge und er würde nicht eher abgefunden werden, bevor er Ronac nicht das Originalmanuskript ausfolge, errötet (!) Atkinson und gesteht, daß er dasselbe wohl besäße, aber dessen Rückstellung (an den Autor?) versprochen habe. Ronac setzt dem Ertappten so scharf zu, daß dieser sich endlich zu Wagen aufmacht, um das gewünschte Manuskript aus Oxford zu holen. Inzwischen läßt Ronac mit Hilfe der Druckerjungen Feuer an die Druckschriften legen, so daß fast die ganze Auflage verbrannt war, als Atkinson nach dreistündiger Abwesenheit wieder zurückkehrte. Eine Weile weidete sich Beaumarchais an der Bestürzung des Ankömmlings über diesen Streich; dann gab er ihm die bedungenen 400 Guineas und willfahrte auch Atkinsons Verlangen, daß alle handschriftlichen Kopien zu seiner, wie zur Sicherheit seiner Auftraggeber mitverbrannt würden. Über alle diese großen und kleinen Vorfälle setzt Beaumarchais-Ronac ein Schriftstück auf, das er auf seinen Knien zu Papier bringt. Der Schlußsatz des merkwürdigen Protokolls lautet: »Auf meine Bemerkung, daß mein Kontrahent sehr wahrscheinlicherweise nicht Atkinson heißt, da er einem Italiener weit mehr, als einem Engländer gleiche, gestand er mir, daß sein eigentlicher Name: G. Angelucci laute. Demgemäß verlangte ich, daß er die gegenwärtige Quittung über 400 Guineas auch mit diesem, seinem echten Namen fertige, was er denn gleichfalls tat.«

An demselben 23. Juli findet Beaumarchais aber noch Zeit und Lust, seinem alten Freund Garrick brieflich für den Anteil zu danken, den er, wie vordem an der »Eugénie« The private correspondence of David Garrick. London 1831. S. 609. Dieser Brief, sowie ein früherer (s. oben S. 93) in Betreff der Eugénie, ist den Beaumarchais-Biographen bisher entgangen., nun auch am »Barbier von Sevilla« genommen: er werde unbedingt nach seinen, des erfahrenen Theatermannes, Vorschlägen Bartolos Diener L'Eveillé Opium geben und ihn auf offener Szene schlaftrunken zeigen. »Als ich just an diese Verbesserungen ging, erhielt ich einen Brief aus Paris, demzufolge eine Dame eine Abschrift meines Stückes in Gesellschaften umlaufen und vorlesen lasse. Die Nachricht hat mich dermaßen aufgeregt, daß ich auf der Stelle beschloß, den »Barbier« in fünf Akte umzuarbeiten, damit mir in Frankreich niemand mit einem unbefugten Druck meiner Komödie zuvorkäme.« (Eine Schlimmbesserung, die der Pariser Uraufführung des »Barbier von Sevilla« verhängnisvoll werden sollte.) Zugleich übersendet er Garrick ein vollständiges Exemplar seiner Mémoires im Prozeß Goezmann als Zeichen seiner Achtung und Sympathie: ja er hätte das Geschenk dem großen Schauspieler und seiner Frau am liebsten persönlich überbracht, wenn ihn nicht »unaufschiebbare Geschäfte« nach Holland abberiefen.

Am 24. Juli schifft er sich nach Calais ein. In diesem französischen Hafen angelangt, schreibt er Sartines, in längstens vierzehn Tagen wolle er wieder daheim sein; indessen habe er in England seine Operation trotz mannigfaltiger Fährlichkeiten glücklich zum Abschluß gebracht. Das war nun freilich eine (bewußt oder unbewußt vorgebrachte) irrige Behauptung, denn in Holland beginnen erst die Schwierigkeiten oder – Reinekestücklein seiner Sendung. Am 3. August will Beaumarchais Angelucci in Amsterdam getroffen und von ihm eine dritte Abschrift des Manuskriptes, sowie die in London gedruckten Blätter des Vorwortes erhalten, zum Entgelt aber Atkinson am nächsten Tag einen namhaften Betrag in Barem und den Rest in Wechseln gegeben haben. Der Handel scheint vollständig beendigt. Da sendet er plötzlich am 6. August einen Brief nach Paris, in dem er sehr entrüstet anzeigt, Atkinson sei abends zuvor jählings aus Amsterdam verschwunden. Diese überhastete Flucht habe ihn auf den Verdacht gebracht, Atkinson-Angelucci sei vielleicht gar mit einem andern Manuskript des Libells durchgebrannt, um dasselbe anderwärts zu veröffentlichen. Und sein Verdacht sei Gewißheit geworden, als er von einem engeren jüdischen Landsmann Angeluccis, dank einer Bestechung von 25 Louis, in Amsterdam erfahren habe, der Flüchtling sei auf dem Wege nach Nürnberg, um in einer deutschen, und wenn das nicht gelingen sollte, in einer heimischen italienischen Druckerei die Schmähschrift drucken zu lassen. Diese völlig unerwartete Neuigkeit bestimme ihn, dem wortbrüchigen Angelucci über Trier und Köln in Eilfahrten nachzusetzen. Sein angebliches Ziel ist Nürnberg, denn – so schreibt er am 12. August aus Frankfurt am Main – er hoffe mit voller Zuversicht, Atkinson noch vor den Toren dieser Stadt einzuholen. Er klagt über Schmerzen in der Brust, Fieber und Reisestrapazen auf den schlechten Fahrstraßen; er bedürfe dringend einen Aderlaß, um seine Lebensgeister wieder aufzufrischen. Trotzdem will er nur vier Stunden in Frankfurt verruhen: so wichtig sei es, des Italieners habhaft zu werden. Aber so hastig er auch vorwärts stürmt, er hätte vielleicht doch noch einen freien Augenblick erhascht, die Bekanntschaft des in derselben Stadt weilenden Frankfurter Anwaltes zu machen, der just vorher sein spanisches Abenteuer dramatisiert hatte, sofern Mr. de Ronac von diesem Stück überhaupt etwas gewußt hätte; der junge Goethe aber, der nachmals den Spuren Cagliostros in Italien nachging, würde sicherlich mit Anteil den fremden Abenteurer aufgenommen und betrachtet haben, der vor dem größten Theaterstreich seiner Reise steht.

Unterwegs, zwischen Würzburg und Diebach, hört Mr. de Ronac, daß letzthin der Postwagen bei Possenheim ausgeraubt worden: eine Neuigkeit, die er für den Plan seines Intrigenstückes als dankbares Motiv eines unvorhergesehenen Zwischenspiels sofort zu verwerten gedachte. Kurz vor der Einfahrt in die Station Neustadt a. d. Aisch bemerkt nämlich der Postillon, daß »sein Passagier aufsteht und aus dem Sitzkästlein etwas wie ein Kammfutter und daraus einen Spiegel und ein Scheermesser heraustut«. Der Kutscher Dratz fährt infolgedessen langsam, ganz bedenklich, daß der Passagier sich unter dem Fahren sollte rasieren wollen. Beim Lichtenholz (einem kleinen Wäldchen zur Linken der Chaussée) läßt der Passagier halten, steigt aus, heißt durch seinen Bedienten den Postillon weiterfahren und geht mit dem spanischen Rohre in der Hand in das Gehölz. Der Postillon war der Meinung, es geschehe eines natürlichen Triebes willen; doch weilen in der Nähe einiges Gesträuch, vermochte er nicht abzusehen, warum derselbe so weit holzeinwärts gehe. Als der Postillon wieder haltmachen will, verwehrt ihm das der Bediente. Gemächlich trotten die Pferde bis an das Ende des Wäldchens. Hier wartet der Postillon, da der Passagier nicht nachkommt, »bey einer halben Stunde. Mittlerweile wären drei Handwerksbursche, Zimmergesellen, so bey ihren Bündlen Zwergäxte auf dem Rücken gehabt, nachgekommen, und als eine Weile darauf der Passagier auch wieder beykommen, hätte solcher ein weißes Tüchlein um die eine Hand gewickelt gehabt und, wie der Bediente dem Postillon auf Deutsch gesagt, gesprochen, er hätte Spitzbuben gesehen. Es hätte demselben aber nichts gefehlt, noch er (Sager) an des Passagiers Hand oder sonst am Leibe etwas gesehen, und er dahero zu dem Bedienten gesprochen: vielleicht hat der Herr die Handwerksbursche gesehen und vor Spitzbuben gehalten. Der Passagier habe sich dann wieder eingesetzt und fortfahren lassen. Als er durch die Statt oberhalb dem Armenhaus gekommen war, ließ er die Fenster aufmachen«; hiebei sah Dratz, daß Jenem »Blut durch das weiße um die Hand gewundene Tüchlein dringe, auch an der linken Seite des Halßes an der Halßbinde etwas Blut seye und auf sein Fragen derselbe gesagt: er wäre geschossen worden«. Der Postillon will nun sogleich zu dem Stadtvoigtey-Amt zurück; das leidet aber Beaumarchais nicht, sondern eilt weiter nach Nürnberg. Gleich nach seiner Ankunft im Gasthof zum Rothen Hahn fragt Ronac nach dem Bürgermeister, zu dem er gehen müsse. Auf den Bescheid des Wirtes Konrad Gruber, daß es wohl schon zu spät sei, verschob er sein Vorhaben auf den nächsten Tag und erzählte vor dem polnischen Obristleutnant von Nitschky und dem Postsekretär von Fetzer: »er sei am hellen Tag zwischen 3–4 Uhr von Straßenräubern angefallen und verwundet worden; er wäre vor Neustadt, um sich zu erleichtern, in das Tannenwäldchen gegangen: sogleich aber hätte er einen zu Pferd auf sich zukommen sehen, desgleichen einen andern zu Fuß. Jener wäre stark auf ihn hergeritten und hätte ihm alsogleich mit bloßem Seitengewehr einen heftigen Stoß mörderisch auf die Brust versetzt. Zum Glück für ihn wäre der Stoß jedoch auf seinem an einer goldenen Kapsel anhangend gehabten Orden abgeglitscht, so daß er dadurch am Kinn verwundet wurde und an der Brust eine Quetschung erlitten. Zugleich schilderte er beide Kerle, die »er nach allem Augenschein für Juden hielte, in einer eigenhändigen Beschreibung auf das natürlichste«. Mit der Vollständigkeit seiner Theateranweisungen vergegenwärtigt er die beiden Räuber ihrer äußeren Erscheinung, ihrer Tracht und ihrem Behaben nach. Und er hat nicht bloß die gelbe Gesichtsfarbe und Adlernase des einen, das blonde Haar und die vollen Wangen des zweiten bemerkt: er kennt auch ihre Namen; die Spießgesellen haben einander angerufen, und Ronac hat deutlich vernommen, daß die Bursche – Angelucci und Hatkinson heißen. Die Stammgäste des »Rothen Hahns« bezeugen dem Fremdling natürlich ihre lebhafteste Teilnahme. Der Wirt sieht auch, daß Ronac »an der Hand lädiert sei; doch zeigt ihm der die Blessur nicht ganz, sondern tut die Binde nur etwas beiseite; auch läßt er sich ein ihm angebotenes englisches Pflaster weder auflegen noch sich von einem Chirurgen verbinden«. Am nächsten Morgen steht er vorzeitig auf, so daß ihn der Wirt »nicht gar zu richtig im Kopf halten kann«. Vormittags geht er noch zum Bürgermeister, dem er, nachdem er bei seinem Besuch die ganze »Räubergeschichte« erzählt hat, in einem sogleich nachgesandten Brief noch anzeigt: »man werde den von ihm so genau beschriebenen Mann um so leichter ausforschen und erkennen, als er ihm mit dem Pistolengriff ein paar Zähne eingeschlagen habe; vielleicht sei er auch an den Hüften verwundet, denn als er sich auf den Boden warf, habe Ronac dessen Ledergürtel aufgeschnitten, um ihn zu fesseln und mit sich fortzuschleppen, ein Vorhaben, das nur daran scheiterte, daß ein paar Spießgesellen des Wegelagerers in der Ferne erschienen. Da nun der Klang des Posthorns auch die Spitzbuben irremachte, habe er sich zurückgezogen, das Rohr in der Rechten, die Pistole in der Linken«. Nach diesen überraschenden Enthüllungen verläßt Mr. de Ronac, »ein Edelmann aus Frankreich«, Nürnberg mit dem Bedeuten, dringende Geschäfte führten ihn nach Wien zur Kaiserin, unterdessen mögen die Magistrate innerhalb ihres Gerichtsbannes nur besonders acht auf die beiden Räuber Angelucci und Atkinson haben. Zu Wagen setzt er die Reise bis Regensburg fort. Das Schüttern der Kutsche schmerzt ihn jedoch dermaßen, daß er daselbst seine Chaise auf ein Floß stellen läßt und seine Fahrt auf der Donau fortsetzt. Er ist kaum zu Schiff, als er auch schon sein Abenteuer nach Paris berichtet: in zwei umfangreichen Briefen Wohl an Sartines: der Adressat in dem mir von Charles de Loménie mitgeteilten Briefe heißt Talia: offenbar ein Leihname., die biographisch und psychologisch für die Kenntnis Beaumarchais' gleich wichtig sind. Er berichtet alle Einzelheiten des räuberischen Überfalles. Abgelöst werden diese Historien ab und zu von lebendigen Augenblicksbildern der Landschaft und Staffage. Am eigentümlichsten sind aber unablässige Betrachtungen seiner Individualität und Lage: eine Selbstzergliederung, die all diejenigen zum Nachdenken, wo nicht gar zum Schweigen mahnt, die Figaros Monolog als unnatürlich anfechten, da nun und nimmer ein Mensch im Zustand der höchsten Aufregung die eigene Persönlichkeit und das eigene Geschick so einläßlich und so kritisch analysieren werde. In den Schreiben an Roudil und Gudin und in gar vielen andern Briefschaften Beaumarchais' finden wir ein gleiches: er spricht zu sich und zu andern von niemandem lieber, fleißiger und selbstverräterischer, als von seinem interessanten Ich. So vergleicht er sein Abenteuer zunächst mit dem Erlebnis des Cartesius, der ja auf demselben Flusse stromab fahrend und im Kahne behaglich lesend, hörte, wie die Schiffer (im Glauben, er verstände ihre Sprache nicht) sich verabredeten, ihn zu töten. Mit derselben Geistesgegenwart, mit welcher der Philosoph aber angesichts der Meuchelmörder seine Waffen prüfte, habe er einen räuberischen Überfall zuschanden gemacht. Damit aber seine Freunde, vor allem aber seine Freundinnen nicht erst aus dem Zeitungsblatt erschreckende und lügenhafte Berichte von dem Zwischenfall erhalten, erzählt er selbst die Geschichte, nur breiter und weiter ausgeschmückt, als den Nürnberger Honoratioren. Beaumarchais weiß nun mit einem Male, daß die Räuber deutsch geredet, daß er dem ersten Strolch stumm seine Pistole zeigte und also rückwärts schreitend, sich an eine dicke Tanne lehnte und mit einer geschickten Wendung den Baum als natürliche Schutzwehr gegen den Angreifer benutzte. Und nun folgt die ausführliche Beschreibung des Handgemenges, bei dem der erste Räuber, nachdem Beaumarchais' Pistole versagte, mit voller Wucht einen Dolchstoß auf seine Brust führte. »Es war um mich geschehen,« ohne die wunderbare Fügung mit der goldenen Kapsel, die nun in neuer Pracht vergegenwärtigt wird. In Frankfurt habe er nämlich ein Seidenfutteral für den Talisman (der königlichen Vollmacht) machen lassen, da er das kalte Metall bei der Hitze nicht auf bloßem Leibe tragen wollte D'Eon bei Gaillardet: Semblable à un galérien il porte à son cou une chaîne d'or, à laquelle est suspendue une petite boîte contenant une petite commission secrète, large tout au plus d'un ou deux pouces, signée par Louis XVI. Avec ce talisman il se croit bien supérieur aux ministres du roi etc. S. 422. 423. Vgl. l. c. 258. 259. 302 ff.. Die unvermutete Rettung aus solcher Todesnot habe ihm neue Kraft gegeben, wie ein Tiger sei er auf den Banditen gestürzt. Wenn er nun auch ein paar Schnittwunden an Hals und Händen abbekam, so habe er den Feigling doch überwältigt, so daß sein nichtswürdiger Kamerad das Roß des Bezwungenen bestieg und sich davonmachte, »während der letztere kniend, mit gefalteten Händen und den Worten: O mein Gott! um sein Leben flehte«. Schon wäre der Erzähler drauf und dran gewesen, den Banditen umzubringen: »da kam mir in den Sinn, daß die Tötung eines fußfällig um sein Leben flehenden Menschen eine Art von Mord, eine jeden Ehrenmannes unwürdige Feigheit sei«. Mein Lakai und der Postillon (? vgl. S. 218, 219 und 240) sagten, sie hätten den Spitzbuben mit der blauen Weste ohne Ärmel, den Rock über die Schulter geworfen, neben dem Wagen vorüberlaufen gesehen; vielleicht hoffte er meinen Wagen zu plündern, da er sich meiner Börse nicht hatte bemächtigen können. Ich wusch mit einem uringetränkten Taschentuch meine Wunden; die auf der Brust war nur eine leichte Schramme, die am Kinn aber sehr tief; ein Glück, daß bei dieser Verwundung nicht das Hirn verletzt wurde! Mein schlimmstes Leiden aber bleibt ein stechender Schmerz in der Magengrube bei jedem Atemzug« – vielleicht Nachwehen der schweren Seekrankheit und der anstrengenden Wagenfahrt auf den vielgescholtenen erbärmlichen Straßen – »ich muß im Handgemenge einen starken Schlag in diese Gegend bekommen haben, den ich nicht sogleich verspürte. Künftig wird man meinen Beinamen ändern und mich statt Beaumarchais le blâmé Beaumarchais den »Benarbten« ( balafré) nennen müssen. ( Balafré, setzt er ganz im Stil seiner Zeit hinzu, qui ne lassera pas que de nuire à mes succès aphrodisiaques; mais qu'y faire?) Meine Geschäfte sind beendigt. In drei Wochen kann ich in Paris sein. Ich halte es mit dem Wort: Fleisch und Blut kehrt immer wieder. Adieu, mein Freund! Versammeln Sie, ich bitte Sie darum, zu Ehren des armen Krüppels meinen Vater, meinen kleinen Gudin, Freund Chateigneraye, Lépine, kurz, wen Sie wollen, und trinken Sie, nachdem Sie allen die Geschichte umständlich erzählt haben, auf meine Gesundheit. Wenn Ihr mich wiederseht, werdet Ihr es machen, wie die Bauern, in deren Dörfern ich haltmache und die mein Abenteuer von den durchkommenden Postillons gehört haben. Sie rotten sich um meinen Wagen zusammen und sagen, wie mein Diener mir verdolmetscht: »Seht doch, da ist der Franzos, der im Wald von Neustadt totgeschlagen wurde.« Ich lache und sie sperren die Mäuler voll Verwunderung auf, einen Ermordeten lachen zu sehen. Aber ich spreche von gestern, denn heute bin ich auf der Donau, einem sehr schönen Fluß, dessen vielgekrümmter Lauf jeden Augenblick ein anderes Bild der Uferlandschaft bietet.« Rühmend gedenkt er noch der allgemeinen Teilnahme und Hilfsbereitschaft, die er vom Bürgermeister bis zum Gastwirt bei allen Nürnbergern gefunden: »Ich schickte eines Tages dem Prinzen von Conti aus Ostende eine Schilderung des Lebens und Treibens im Hafen, mit der Bemerkung, daß wenn ich an den Schranken des Parlaments von Paris ein wenig mit der Menschheit hadern mußte, ich mich am Hafendamm von Ostende gründlich mit ihr aussöhnte. So habe ich auch in Nürnberg all die Menschenliebe wiedergefunden, die mich in Neustadt verlassen hatte.«

Der überlange Brief tut seiner Schreiblaune so wenig Eintrag wie seine Wehleidigkeit: am nächsten Tag ist er flink dabei, auch Gudin in einer umfänglichen Epistel zum Herold seiner Heldentaten zu bestellen. An den Linzer Landungsplatz kommen zwei Hirten mit ihren Klarinetten; die Schäfer spielen vortrefflich und die Hoffnung auf ein paar » craitches« (Kreuzer) läßt sie trotz Sturm und Regen ausharren. »Sie kennen meine Liebe zur Musik und wissen, daß ich nun gleich guter Dinge bin. Zwei Waldhornspieler gesellen sich zu den Klarinettisten, und damit bin ich meilenweit von allen Dieben, Dolchen, Wäldern, Parlamenten, kurz allen bösen Quälgeistern entfernt, die viel unglücklicher sind, als ich, den sie so sehr verfolgt: denn sie haben Unrecht. Aber schon naht eine neue Verfolgung: man untersucht mein Gepäck, um nachzuforschen, ob ich nicht bloß in meinem Felleisen, sondern vielleicht gar in meiner Brieftasche irgend etwas mitführe, was den Gesetzen der Kaiserin widerspricht. Das Lustigste aber ist, daß die Leute, welche meine Papiere durchsehen, kein Wort Französisch verstehen. Sie können sich also vorstellen, welch gründliche Untersuchung das abgibt. Noch ein Gulden! – (denn darauf läuft die ganze Visitation hinaus). Nun schwimm' ich auf meinem mit sechs Ruderern bemannten Boot wieder stromabwärts. Der Regen hat aufgehört; vom Gipfel bis zum Fuß der Berge gewähren die Abstufungen vom Dunkelgrün der Tannen zu den hellen Farben der Linden und der reichbebauten Fluren einen entzückenden Anblick. Unsere Maler mögen immerhin sagen, daß die Natur dem Auge (nach den Prinzipien der Perspektive) nur drei ›Gründe‹ offenbart: Vor-, Mittel- und Hintergrund: ich beharre darauf, daß es ihrer vier, fünf, ja unendlich viele gibt, und doch ist mein Auge nicht entfernt so geübt, wie das ihrige – O Gott! wie sehr leide ich!« Damit beginnt ein neues Klagelied über Brustweh, Bluthusten und den schlechten Kalkül der Räuber, die um ein paar elender Dukaten willen das eigene und fremde Leben auf's Spiel setzen: »Dennoch bin ich nicht so arg zu bedauern, als Sie vielleicht glauben: ich lebe ja noch, da ich schon tot sein sollte« und wenn er selbst an der Verletzung im Magen stürbe: »was verschlägt es? welche Laufbahn ist voller erfüllt, als die meinige? wenn die Zeit nach den Ereignissen bemessen wird, die sich darin zusammendrängen, dann habe ich zweihundert Jahre gelebt. Ich bin nicht lebenssatt, aber ich kann die Freude des Daseins, ohne zu verzweifeln, andern überlassen. Ich habe die Frauen mit Leidenschaft geliebt, meine Empfänglichkeit für ihre Reize war die Quelle der größten Wonnen. Ich war gezwungen, mit Männern zu leben, und diese Notwendigkeit hat mir ungezählte Leiden bereitet. Wenn man mich fragen würde, was überwog: Lust oder Leid? ich würde ohne Zaudern sagen – die Freude.« Auch das exemplifiziert er wiederum umständlich an seinem Neustädter Abenteuer.

Wir müssen es bei den bisherigen Proben bewenden lassen, sie sind ein schlüssiger Beweis dafür, wie ernst es Beaumarchais selbst seinen Intimen und Verwandten gegenüber mit (noch dazu schlecht erfundenen) Falstaffiaden nahm; denn daran, daß der ganze Überfall im Lichtenholze bestenfalls nur Halluzination gewesen, wird (wenn das noch notwendig sein sollte) die folgende, auf die Untersuchungsakten und den »Lokalaugenschein« gegründete Darstellung kaum mehr einen Zweifel übrig lassen. Auch die Beweggründe, die Beaumarchais bei diesen bewußten Lügen oder unbewußten Phantastereien geleitet haben, werden bald durchsichtig werden. Unbegreiflich aber bleibt die Hartnäckigkeit, mit der er seinen Lieben gegenüber ganz überflüssigerweise seitenlange kasuistische Abhandlungen über seine Empfindungen und Hochgefühle während des Raubanfalles und nachher zum besten gibt. Hier steht man vor dem Rätsel, ob und wem zu Gefallen er seine wenigen wahren Freunde mystifiziert? Diese Fragen steigen bei jeder erneuten Lektüre des Briefes an Gudin wieder auf, in welchem er dem Freunde »beichtet« und Ablaß (wegen seiner halb blutdürstigen, halb edelmütigen Gesinnung gegen den besiegten Räuber) erbittet. Oeuvres VI, 269–300. In etwas anderer Redaktion nach einer unter den Beaumarchais-Papieren der Com. Franç. aufbewahrten Fassung bei Fournier 756–64. Eine interessante Kopie derselben besitzt auch das Wiener Archiv. Übersetzt bei Lewald, Beaumarchais, Stuttgart, 1839, 108–29.

»Wenn all das eine üble Wendung nehmen sollte, so wissen Sie, mein Freund, wieviel Leute Sie zu trösten haben; zuerst sich selbst, denn Sie würden einen Mann verlieren, der Sie von Herzen liebt; dann die Frauen; die Männer freilich, von meinem Vater abgesehen, würden große Seelenstärke bei diesem Verlust an den Tag legen. Aber keinesfalls dürfen Sie diesen Brief verbrennen. Ich wünsche vielmehr, daß Sie mir denselben wieder einhändigen; man läßt so gewissenhafte Bekenntnisse nicht gern in fremden Händen. Könnt' ich Sie doch nur noch einmal fröhlich umarmen! Suchen Sie, ich bitte Sie darum, meinen armen kleinen Schatz (?) auf: denn all das ist etwas stark für einen zarten Frauenkopf; suchen Sie auch (Schwester) Julie auf; ich will Ihnen dafür nach der Heimkehr danken, und suchen Sie endlich meine kleine Doligny (die erste Darstellerin der Pauline in den Deux amis) auf: sie hat mir in den Tagen meiner schlimmsten Bedrängnis so herzlichen Anteil bewiesen. Und die arme Marquise – selbstverständlich!« – »So lange man keine Post findet und Papier übrig behält, ist der Brief nicht zu Ende. Ich habe geschlafen und geträumt, daß man mich ermorde! ich bin in einer tödlichen Krisis erwacht. Wie frei atme ich wieder! Die steinigsten Berge an beiden Ufern sind mit Reben bedeckt; alles was ich sehe, ist Kraftleistung der Kultur. Die Böschung ist so steil, daß man in den Abhang Staffeln einhauen und jede Bergesstufe untermauern mußte, um die Abrutschung des Erdreiches zu verhindern; es ist das die Arbeit des Mannes, der den Wein trinken wird, aber die Rebe, die nichts trinken wird – wenn Sie sehen könnten, wie sie mit voller Kraft den Saft aus dem kahlen Gefels saugt, an das sie sich anklammert, Sie würden gleich mir sagen: ein jedes tut hier sein Bestes. An dieser Stelle (es ist wohl der Donaustrudel bei Grein gemeint) ist der Fluß so eingeengt, daß er schäumt, und dies erinnert mich im kleinen an unsere gemeinsame Überfahrt von Boulogne nach Dover, wo wir so krank waren. Noch 25 deutsche Meilen und ich werde in einem guten Bett in Wien sein, wo ich mir wenigstens acht volle Tage gütlich tun will; da es dort Ärzte gibt, wird es wohl auch nicht an Aderlässen fehlen, denn das ist ja ihr vornehmstes Kunststück. – Die Nähe einer großen Hauptstadt: Kapellen, Festungen, der Schiffsverkehr, all das zeigt mir, daß wir ankommen: zusehends mehren sich die Menschen; sie werden einander immer ärger drängen und am Ende meiner Fahrt dicht aneinandergepreßt sein.«

Am 20. meldet Beaumarchais in einer kurzen Nachschrift seine Ankunft in Wien und nicht an ihm lag es, wenn er sein Tagebuch nicht nach wie vor in Form von offenen Briefen an seine Pariser Freunde weiter fortsetzen konnte. Das eigentliche Motiv seiner Wiener Reise hatte er freilich, bei all seiner Redseligkeit, keinem von ihnen verraten. Es war ein Vorhaben, neben dem (um mit dem Patriarchen zu reden) das »Problema« des Raubanfalles im Lichtenholze nur als belangloser Zwischenfall erschien: der Entwurf einer Hofkomödie, der nicht schlecht ausgeklügelt war, wenn Beaumarchais als Hauptpersonen Könige vom Schlage Ludwigs XVI., Machthaber von der geistigen Beschaffenheit Sartines' hätte beschäftigen können. Traf er an der Grenze Österreichs aber auch die ererbten Übelstände des Trinkgeldes an – in der alten Kaiserstadt waltete neben der Herrscherin Maria Theresia als Kanzler Wenzel Kaunitz und vor der strengen Prüfung dieses Mannes vermochten noch ganz andere Leute wie Monsieur de Ronac nicht zu bestehen.

11. Beaumarchais in Wien

Gräffer, »Wiener Dosenstücke«, der Vater Gräffers hatte für seinen Buchhandel den Gassenladen den Dreilauferhauses gemietet, in welchem gelegentlich auch Kaiser Joseph vorsprach. (Gräffer, Kleine Wiener Memoiren II, 36.) Schräg gegenüber im kleinen Michaelerhause war der freundliche Laden von Dejan, in welchem alle Pariser Novitäten, Voltaires, Rousseaus, d'Alemberts und Beaumarchais' Schriften und Bilder ausgestellt und zu kaufen waren. l. c.

Vous appelez cela betrügen? Corriger la
fortune!
Betrügen! O, was ist die deutsch Sprak
für ein arm Sprak! für ein plump Sprak!

Riccaut de la Marlinière.

Beaumarchais war in der nächsten Nähe der Hofburg abgestiegen, dem alten »Dreilauferhaus«, einem »äußerst soliden, äußerst plumpen, äußerst düstern, äußerst ehrwürdigen, in der Miete äußerst wohlfeilen Gebäude aus dem sechzehnten Säkulum«. Am Tag nach seiner Ankunft stellt er sich bei dem Sekretär Maria Theresias, Freiherrn von Nenny ein, der ihn zuerst »auf sein zerhauenes Gesicht für einen Glücksritter, einen verabschiedeten irländischen Offizier oder dergleichen mehr ansieht« und demgemäß mit seinem Anliegen, der Kaiserin insgeheim einen Brief zu bestellen, sehr kurz abfertigt; der Baron ist drauf und dran, Mr. de Ronac die Tür zu weisen, als dieser mit einem Male einen noch entschiedeneren Ton anschlägt als der Höfling und erklärt, er mache ihn der Kaiserin gegenüber für alle bösen Folgen verantwortlich, die seine Weigerung einer höchst wichtigen Unternehmung zufügen könnte. Das energische Auftreten des Fremdlings verfehlt seines Eindrucks nicht; widerwillig nimmt Nenny seinem Besucher den Brief ab, mit den Worten, er dürfe deshalb nicht erwarten, daß die Kaiserin ihm eine Privataudienz bewilligen werde. »Das braucht Ihnen weiter keine Sorge zu machen«, erwidert Beaumarchais. »Wenn mich die Kaiserin empfängt, so werden wir beide, Sie und ich, unsere Pflicht getan haben. Alles weitere steht beim Schicksal.« Nenny schickt nun der Kaiserin Beaumarchais' Brief mit einem Begleitschreiben, in dem er bemerkt: der Fremde sei ihm als homme de mise erschienen. Die Epistel von Mr. de Ronac an Maria Theresia beginnt mit der Versicherung: er glaube Ihrer Majestät seine Ehrfurcht nicht wirksamer bezeugen zu können, als dadurch, daß er mit Umgehung aller Würdenträger sich unmittelbar an Sie wende. Aus dem fernsten Westen Europas sei er Tag und Nacht herbeigeeilt, um Ihr Dinge mitzuteilen, die Ihr Glück, Ihre Ruhe, ja, sozusagen Ihre heiligsten Gefühle betreffen. Trotzdem er unterwegs von Räubern angefallen und schwer verletzt worden sei, habe er ohne Verzug seine Reise fortgesetzt. Da aber Ihre Majestät diese Mitteilungen möglicherweise als Fiebertraum eines Verwundeten ansehen könnte, so bitte er, rasch jemanden zu ihm zu senden, der mit Ihrem vollsten Vertrauen ausgezeichnet sei; er werde sich dieser Person nicht eröffnen, da er das nur Ihrer Majestät selbst gegenüber tun dürfe, wohl aber Ihrem Abgesandten genug sagen, um von Ihrer Majestät eine Privataudienz zu erhalten, von der weder die Minister, noch die Botschafter das mindeste erfahren dürfen. Die Kaiserin möge also nicht Anstand an seiner Bitte nehmen, Ihrem Vertrauensmann ein Handschreiben mitzugeben, des Inhalts: »Mr. de Ronac kann sich rückhaltlos der Person gegenüber äußern, welche ihm dies Billet überbringt: sie ist meines Vertrauens würdig«.

Maria Theresia ist im ersten Augenblick gewillt, de Ronac kurzweg vorzulassen, im nächsten Moment erscheint es ihr aber geratener, den Fremdling zuvor von dem Statthalter ausholen zu lassen und zu guter Letzt willfahrt die Kaiserin Ronacs Wunsch: sie betraut mit Umgehung aller Minister, ja selbst ihres Sekretärs den Grafen Seillern in einem genau nach Ronacs Vorschrift abgefaßten » Zettul« mit der Sendung, Anliegen und Beglaubigung des Fremdlings zu prüfen. Ihrer Meinung nach wird hinter der Geheimniskrämerei die Enthüllung eines Mord- oder Giftmordanschlages stecken, um die sie sich wenig bekümmert; sie hält nichts »auf alle diese secretten; allein weil es einen Dritten, nicht mich angeht, will nichts unterlassen«. Der Graf läßt Ronac sofort zu sich bescheiden; der bittet fürs erste, seines Bluthustens halber, um Entschuldigung, stellt sich aber zwei Stunden später bei Seillern ein. Er teilt dem Grafen mit, daß er von dem König von Frankreich mit einem eigenhändigen wichtigen Auftrag nach England und Holland entsendet worden sei, der ihn jedoch unvorhergesehenerweise nach Deutschland geführt habe; hier sei er unterwegs von Räubern angefallen und nur durch die goldene Kapsel, welche des Königs Ordre umschloß, vor dem Tode gerettet worden. Sein Auftrag betreffe die Ehre der Königin von Frankreich, doch müsse er um schleunigste Audienz bitten, denn er könne sich nur kurze Zeit aufhalten und gedenke sich niemandem, zum wenigsten dem französischen Botschafter, zu zeigen. Um endlich mit größter Schnelligkeit und Sicherheit von Maria Theresia empfangen zu werden, vertraute er dem Grafen das Handschreiben Ludwigs XVI. an, damit er dasselbe der Kaiserin vorweisen könne. Seillern erwiderte, er gedenke in einer Stunde nach Schönbrunn zu fahren, um der Kaiserin Bericht zu erstatten und weitere Befehle entgegenzunehmen; er stelle es Ronac aber frei, sich gleichfalls dahin zu begeben, um zur Stelle zu sein, wenn ihn die Kaiserin zu sprechen wünsche. Beaumarchais stimmte sogleich freudig zu, und Maria Theresia ließ ihn auf das erste Wort von Marie Antoinette, gleicherweise von Muttersorge und echt weiblicher Neugier getrieben, vor.

Mr. de Ronac näherte sich »der höchsten Person so viel möglich« mit den Worten: »Da er sehe, daß Ihre Majestät den Statthalter mit Ihrem Vertrauen würdigte, nähme er keinen Anstand, sich rückhaltlos zu äußern«. Mit der éloquence du moment berichtet er Maria Theresia die ganze Vorgeschichte seiner Sendung; von seinen Verträgen mit Atkinson-Angelucci, der ihm in Amsterdam vorgeworfen, er habe ihn um ein Vermögen gebracht: denn von anderer Seite seien ihm 3000 Pfd. für das Erscheinen des Libells geboten worden, ein Profitchen, das er nur durch Ronacs goldene Zunge verscherzt habe; er erzählt weiter von Angeluccis jäher Flucht nach Nürnberg und dessen (Beaumarchais durch einen andern Juden verratenen) Absicht, das Buch nicht bloß französisch, sondern auch italienisch zu veröffentlichen, denn es sei Angelucci geglückt, allerdings keine Abschrift, wohl aber ein paar fehlerhaft gedruckte Exemplare des Pamphlets in Sicherheit zu bringen. Im Flug sei er (Ronac) nun Angelucci nachgeeilt. Endlich am 14. August, um 3 Uhr nachmittags, habe er im schönsten Sonnenschein bei der Fahrt durch den Wald von Neustadt einen Mann zu Pferde erblickt, in dem er bei schärferem Hinblicken Angelucci zu erkennen glaubte. (Diese Variante erscheint hier zum ersten Male.) Auch der Reiter scheine ihn, den Verfolger, erkannt zu haben: denn er sei alsobald in das Gehölz abgebogen; sowie nun der Wagen an die Stelle gekommen, von der aus Angelucci das Weite gesucht, sei er – Ronac – aus der Kutsche gestiegen, um den Postillon weiterfahren zu lassen. Angelucci habe sich im Walde umgewendet, und sowie er Ronac erblickte, dem Pferde die Sporen gegeben, aber im Dickicht wäre dem Reiter sein Galopp schlecht bekommen: Beaumarchais will auf ihn zugesprungen sein, ihn bei den Stiefeln gepackt und zu Boden geworfen haben. Dann habe er ihm die Pistole auf die Kehle gesetzt mit der Drohung: »Meister Schelm! der Augenblick ist gekommen, in dem du für all deine Schändlichkeiten zahlen mußt!« Er habe Angelucci genötigt, sein Felleisen zu öffnen und seine Taschen zu leeren. Im Mantelsack des Überraschten habe er die unterschlagenen Exemplare des Avis gefunden: die habe er (Ronac) ihm zur Strafe seines Treubruches abgenommen; ebenso einen Teil des ungebührlich erhaltenen Geldes, dann aber Angelucci – laufen lassen. Nach diesem Abenteuer im Walde habe er (Ronac) sich wieder auf die Straße begeben wollen, da seien ihm aber Räuber in die Quere gekommen. Mit dramatischer Anschaulichkeit erzählt er der Kaiserin den Kampf mit den Banditen, ungefähr so wie in den nach Paris gerichteten Briefen, nur mit dem Zusatz, daß er vor dem Nürnberger Magistrat statt der geforderten Personbeschreibung der Strolche den Steckbrief des Juden Angelucci zu Protokoll gegeben habe, denn dieses gefährlichen Menschen müsse sich die Kaiserin unter allen Umständen versichern. Es sei auch unerläßlich, daß Maria Theresia nicht nur in Nürnberg, sondern auch in Venedig, der Heimat Angeluccis, Nachforschungen nach dem Libell anstellen lasse; denn die Schmähschrift sei hauptsächlich gegen Marie Antoinette gerichtet: da sei zu besorgen, daß wenn das Pamphlet unverkürzt und unverfälscht dem »jungen, mißtrauischen und austèren« König vor Augen käme, dies unfehlbar für dessen Gemahlin die übelsten Folgen nach sich ziehen müsse. Zur Verhütung eines so außerordentlichen Unglückes schlage er (Ronac) der Kaiserin vor, das Libell in Wien mit Weglassung der für die Königin verletzendsten Stellen umdrucken zu lassen, nur solcherart sei es möglich, Ludwig XVI. durch Vorweisung eines gedruckten Exemplars von der Erfüllung seines Auftrages zu überzeugen und ihm doch die verleumderischen Anklagen gegen Marie Antoinette zu verbergen; wie viel er (Ronac) auch dabei wage: er erbiete sich gleichwohl, die Abänderung der Schmähschrift ins Werk zu setzen, im guten Glauben, dadurch keineswegs die schuldige Treue gegen den König zu verletzen, vielmehr nur ihm großen Verdruß zu ersparen. Maria Theresia war durch die unablässige, nachdrückliche Erwähnung des Libells auf dessen Inhalt immer begieriger geworden. Beaumarchais las ihr infolgedessen ihrem Wunsch gemäß das Pamphlet von Anfang bis Ende vor: kein Wunder, daß die Audienz über drei Stunden dauerte. Arneth-Geffroy: Correspondance secrète entre Marie-Thérèse et le comte de Mercy-Argenteau. Paris 1874. II, 230. – Beau marchais en Allemagne par Paul Huot. Paris 1869. Eine französische, verschärfte Redaktion von Arneths Studie.

Der Avis à la branche espagnole ist von Kaunitz und späterhin von Arneth kurzweg Beaumarchais selbst zugeschrieben worden; seither hat Geffroy Bedenken erhoben, ob diese weitschweifige und langweilige Schmähschrift wirklich von dem Autor der Mémoires im Prozeß Goezmann herrühre und auch ich muß mir nach wiederholter, 1910 erneuerter reiflicher Prüfung des Avis aus inneren und äußeren Gründen Vorbehalte gegen die Vermutung von Kaunitz, Arneth und Huot erlauben. Das Wiener Abenteuer gereicht dem Andenken Beaumarchais' ohnehin zu so schwerem Nachteil, daß wir ihm nur auf schlüssige Beweise hin noch weitere Sünden zur Last legen dürfen. Sehen wir uns den Avis etwas näher an.

Das Libell nimmt eine Warnung an die spanischen Bourbons, ihre Erbrechte auf den französischen Thron zu wahren, zum Anlaß, Marie Antoinette häßliche Dinge nachzusagen. Durch ein Spiel der Natur oder durch die schlechte Wahl der Lebensgefährtin, die Ludwig XV. seinem schon durch Skorbut geschädigten Sohn bestimmt habe, seien nun an der Spitze der Nation drei Prinzen, von denen keine Nachkommenschaft erwartet werden dürfe. Der König insbesondere sei durch seine Körperbeschaffenheit außerstande, Kinder zu haben. Bei diesem vielleicht nur vom König selbst verkannten Sachverhalt beständen zwei Möglichkeiten: entweder wird er ohne unmittelbaren Leibeserben sterben oder solche Leibeserben haben, die nicht er in die Welt gesetzt haben wird. Deshalb hätten die spanischen Bourbons und selbst die Mitglieder des Hauses Orleans das ernsteste Interesse, die Königin zu überwachen; sie müßten Mittel und Wege finden, den ahnungslosen König davon zu überzeugen, daß seine Konstitution ihn hindere, jemals Kinder mit der Königin zu zeugen. Sei dem König einmal diese traurige, aber notwendige Aufklärung erteilt, dann würde diese Erkenntnis genügen, alle heimtückischen Absichten gegen seine Ehre und die echten Thronfolger zu vereiteln. Ein mutiger Mann müsse dem König die Augen über die drohende Gefahr öffnen; finde sich kein anderer, so werde das jedenfalls durch den Verfasser des » Avis« Der Autor des ›Avis‹ spielt hier auf die anfängliche Kälte Ludwigs XVI. an. S. Goncourt, Histoire de Marie-Antoinette, S. 40 ff. Paris, 1878. geschehen. Man könne ein ausgezeichneter Fürst sein trotz körperlicher Gebrechen. Der Libellist werde sich deshalb nicht scheuen, Ludwig XVI. als obersten Hüter der Königin anzurufen. Schließlich, so wolle er dem König sagen, sei der eigene Vorteil der Maßstab für alle Handlungen der Menschen; der Vorteil der Königin sei nun, um jeden Preis einen Sohn zu bekommen, um Frankreich nach dem Tod ihres Gemahls einen Herrn aus ihrem Blut zu geben. Ihre Stellung sei zweideutig und haltlos, solang sie nicht Mutter eines Thronfolgers wird; vorher läßt die Nation sie nicht als Französin gelten. »Bemessen Sie danach ihren Kummer über das Gebrechen Ihrer Konstitution. Von diesem Kummer zum Wunsch, ihn zu beseitigen, ist nur ein Schritt, und zur Erfüllung dieses Wunsches wird sich wohl die Gelegenheit finden. Oder glauben Sie, daß es ihr in einer so großen Sache an Rat und Beistand fehlen wird?«

»Bedenken Sie«, ruft der Anonymus den Thronanwärtern zu, »daß sie Österreicherin, also ehrgeizig ist; bedenken Sie, von welcher Mutter sie herstammt, und daß diese in Ermanglung eines andern Ratgebers ihre beste Helferin sein wird.« Der Herzog von Aiguillon habe fallen müssen, der imstande gewesen wäre, über die Geheimkorrespondenz von Marie Antoinette mit der Kaiserin von Österreich die wichtigsten Enthüllungen zu machen. Was tut der Abbé de Vermond, der sich tagtäglich mit der Königin, einer Frau von zwanzig Jahren, einsperrt? Wie kann man solche Ungehörigkeiten am französischen Hofe dulden? Dieses Pfäfflein muß verjagt, Choiseul von jedem Aufsteigen zur Macht ferngehalten und den Tanten Ludwigs XVI. die strengste Überwachung seiner Gemahlin anvertraut werden. Vor allem sei ihr jeder Einfluß auf die Geschäfte zu entziehen. So lange Marie Antoinette keine Kinder habe, sei sie eine Fremde für den Hof; der König habe nur den Nießbrauch, nicht das Eigentum der Krone. Damit kommt der Autor des Avis auf die Grundrechte der Verfassung zu sprechen und auf die ungeheuren Fehler, zu welchen der Kanzler Maupeou Ludwig XV. gegen sein Gewissen, seine Pflicht und das Recht der Nation durch die Zerstörung der Parlamente verleitet habe. Und hat Maupeou solcherart seinen Herrn etwa reicher und unabhängiger gemacht? Im Gegenteil, die heillose Zerrüttung der Finanzen, die Minderung der Steuereinnahmen trotz der entsetzlichen Erpressungen eines anderen, noch verächtlicheren Schurken – »man merkt, daß ich von dem infamen Abbé Terray sprechen will« – der Geist des Aufruhrs (so entschuldbar bei Völkern, die in ihrem Lebensnerv sich bedroht fühlen) und der allgemeine Haß: das waren die Früchte, welche dieser fürchterliche Kanzler am Ende seiner Tage einen König pflücken ließ, der die Schwäche hatte, ihn zu hören, und die Torheit, ihm zu glauben. Mit welchem Gesindel besetzte dieser ehr- und schamlose Beamte nicht unsere Gerichte? Die Unwissenheit und Niedrigkeit seiner Kreaturen gab sie unaustilgbarer Verachtung preis. Dieser Fülle von Übeln müsse Ludwig XVI. rasch abhelfen, sonst könnte er eines Tages ihr Opfer werden. Sein erster Ratgeber sei glücklicherweise ein durch Alter, Begabung und Unglück ausgezeichneter Staatsmann (Maurepas). Der Polizeileutnant Sartines dagegen sei sitten-, talent- und charakterlos, geizig, geldgierig und dabei so töricht, an sein Emporkommen zu glauben; er sei arm von Haus aus, besitze heute aber Ländereien und ein ungeheures Vermögen: er hatte keine 10 000 Livres im Vermögen bei seinem Amtsantritt, heute verfüge er über 150 000 Livres Rente, voilà son crime. Ludwig XVI. solle den Tempel von Krämern dieses Schlages säubern; was verschlüge es hernach, ob er Kinder habe oder nicht? Die gefährlichsten Fürsten sind die schwachen, wie Ludwig XV., dem es eigentlich an gesundem Menschenverstand nicht fehlte. Allein er verdiente den Fluch aller kommenden Jahrhunderte, die sich begnügen werden, ihn zu verachten, weil er allein das Unheil zu verantworten hat, das er unter seinem Namen anrichten ließ. Oft sah er das Gute und duldete trotzdem das Schlechte, weil er schwach und insbesondere gleichgültig gegen seine Untertanen war. Wie unverschämt schaltete Choiseul, der sich in seiner Machtfülle fast für den König von Frankreich hielt, nicht mit den Staatsgeldern, um seiner Verschwendung und seinen Ausschweifungen zu frönen? Choiseul ist die Quelle alles Unglücks, er beging Torheit auf Torheit und wähnte jede mit einem Scheffel von Louis gut zu machen. Gleichwohl kehrt er an den Hof zurück. Es wird das neue Regiment brandmarken, wenn er wieder an die Macht kommt. Aber auch wenn das nicht geschieht, wird er Ludwig XVI. durch Marie Antoinette regieren, denn er wird ihr seine Ideen durch Vermond mitteilen lassen. Ebenso hitzig eifert der Autor des Avis gegen die andern Parteigänger Marie Antoinettes: sie alle müßten vom Hofe verwiesen, der Königin aber alle Zuschüsse von seiten ihrer Mutter entzogen werden. Niemand wird dem König seine wohl durch die Natur gebotene Weiberscheu verdenken, niemand Kinder Frankreichs von ihm heischen, sofern er nur verstehen werde, den Handel zu heben, die Steuern herabzusetzen, die Mißbräuche in Justiz und Verwaltung, die Siegelbriefe, Polizeiplackereien und Finanznöte, den Despotismus der Minister und die Ränke des Klerus zu beseitigen, Sittlichkeit und die beinahe ganz erloschene Liebe zum Glauben durch Strenge gegen die Freigeister und huldvolles Entgegenkommen gegen alle rechtschaffen Gesinnten zu neuen Ehren zu bringen.

Der Avis, der selbst in diesem gedrängten Auszug den modernen Leser nicht sonderlich interessiert haben dürfte, erregte Maria Theresias vollste Aufmerksamkeit; dem lebhaften Anteil, welchen sie den unscheinbarsten Einzelheiten des Ehelebens ihrer Tochter entgegenbrachte, konnte sie hier vollauf genugtun: denn Beaumarchais erläuterte den Text der Schmähschrift Blatt für Blatt. »Bei dieser durch etwelche Stunden angedaureten Verlesung« – so heißt es in einer Note des Statthalters Grafen Seillern – »machte der Ronac sehr lange und in die dermalen bei dem französischen Hof angesponnenen Intrigen sehr tief einschlagende Bemerkungen, aus welchen abzunehmen, daß derselbe davon ziemlichermaßen unterrichtet sein müsse.« Sehr begreiflich, daß die Kaiserin mehr als einmal verwundert ausrief: »Was hat Sie mit so glühendem Eifer für das Wohl meines Schwiegersohnes und vor allem meiner Tochter erfüllen können?« Die Antwort lautete: »Madame, ich war einer der unglücklichsten Menschen in Frankreich gegen Ende der Regierung Ludwigs XV. Die Königin, Marie Antoinette, hat in diesen furchtbaren Zeiten nicht verschmäht, einige Sympathie für mich, auf dessen Haupt so viel Schrecken gehäuft wurden, an den Tag zu legen. Indem ich ihr heute diene, ohne die geringste Hoffnung, daß sie jemals davon erfahre, löse ich nur eine alte Schuld ein.« »Was aber hat Sie dazu genötigt, Ihren Namen zu ändern?« »Madame! ich bin unglücklicherweise (!) unter meinem eigentlichen Namen im ganzen literarischen Europa viel zu sehr bekannt; meine gedruckten Verteidigungsschriften haben alle Geister dermaßen zu meinen Gunsten eingenommen, daß ich überall, wo ich unter dem Namen Beaumarchais erscheine, sei es, weil ich den Anteil der Freundschaft, oder den des Mitleids errege, Besuche und Einladungen aller Art erhalte und nicht mehr in der Lage bin, im Verborgenen zu bleiben, wie das meine heikle Sendung erfordert. Deshalb habe ich den König um die Erlaubnis gebeten, unter dem Namen de Ronac zu reisen, auf den auch mein Paß lautet.« »Wird Ihr Mann (Angelucci)«, fragt die Kaiserin nun weiter, »wagen, sich in Nürnberg zu zeigen, wenn er erfährt, daß Sie selbst dort gewesen?« »Madame: um ihn zu bestimmen hinzugehen, habe ich ihn irregeführt; ich habe ihm nämlich (im Walde von Neustadt?) gesagt, daß ich Kehrt machen und unverweilt nach Frankreich zurückkehren wolle.« Die Kaiserin dankt Beaumarchais für seine eifrigen und umsichtigen Bemühungen und bittet ihn, ihr den Avis bis zum nächsten Tag zu leihen. Er willfahrt ihrem Wunsche, da sie ihr geheiligtes Wort gab, ihm das Libell durch Herrn v. Seillern wieder zurückstellen zu lassen. »Gehen Sie zu Bette«, so sagte sie mir mit unendlicher Gnade: »lassen Sie sich nur schnell die Ader schlagen; man darf nie, weder hier, noch in Frankreich vergessen, wie viel Eifer Sie bei dieser Gelegenheit im Dienste Ihres Herrn bewiesen haben!«

Von diesem Lobspruch berauscht, kehrt Beaumarchais nach Wien zurück, genauer gesagt, an seinen Schreibtisch. Seine alte, unaustilgbare Liebhaberei, die Herren der Welt in Geheimkorrespondenzen als Ratgeber heimzusuchen, bestimmt ihn, all das, was er etwa in seinen mündlichen Auseinandersetzungen nicht klar und umständlich genug erörtert hat, in einem umfänglichen Memoire an die Kaiserin nachzuholen. Die Urheber jenes Libells, so meint er, bezwecken nur, dem König Mißtrauen gegen Marie Antoinette einzuflößen. Wer aber vermöge die Wirkung giftiger Verleumdungen vorherzusagen? Bei gleichem Anlaß habe er anfangs gewagt, dem verstorbenen König die Befriedigung seiner Neugier zu versagen, und dabei war Ludwig XV. sechzig Jahre alt und durch lange Erfahrungen abgestumpft gegen boshaftes Gerede. Dürfe man solche Gelassenheit aber auch bei einem jungen Fürsten voraussetzen, der zum erstenmal in dem beleidigt werde, was ihm auf Erden das Teuerste? Kein Zweifel: man muß Ludwig XVI. die Angriffe gegen seine Frau verbergen. Zwei Wege ständen ihm dabei offen: einmal, Ludwig XVI. zu sagen, daß die Räuber in dem Handgemenge von Neustadt mit seiner Brieftasche auch das für den König bestimmte Exemplar gestohlen hätten; doch wäre das eine Lüge, die einem Beaumarchais sehr widerstrebt; zudem würde der König in Angst und Sorge geraten, ob das gestohlene Libell nicht am Ende doch wieder irgendwo auftaucht, endlich aber (für unseren Helden wohl das Entscheidende) seinen geheimen Sendboten für einen ungeschickten, vielleicht gar unzuverlässigen Diener halten. Deshalb bleibe nur der zweite Ausweg: der Umdruck des Libells. Nachdem er diese Fragen »durch eine so einsichtige Prüfung geklärt hat«, hält er es für notwendig, sich auch in die Gefühle Maria Theresias hineinzudenken und die Gründe zu erwägen, aus welchen sich die Kaiserin etwa diesem Unternehmen widersetzen könnte. Er sähe nicht einen: denn was er als Privatmann, aller Gefahr und der eigenen Ohnmacht nicht eingedenk, wage, das kann Maria Theresia auf ihre doppelte Autorität als Mutter und Kaiserin doch mit voller Sicherheit ins Werk setzen. Allerdings könne es der Kaiserin schwer fallen, einem ganz Unbekannten so großes Vertrauen zu schenken: »auf diesen Einwurf getraue ich mich, ohne Besorgnis vor irgend welchem Widerspruch, zu entgegnen, daß ich von dem ganzen französischen Volke als ebenso mutiger, wie unbeugsamer Mann geachtet, nur auf diesen Titel hin vom König mit seinem so schwer zu erringenden Vertrauen ausgezeichnet wurde etc.«

Beaumarchais wähnte sich am Ziel seiner Wünsche oder vielmehr am Anfang einer neuen glänzenden Laufbahn, da er den letzten Federzug an dieser Denkschrift machte. Wie groß mag daher sein Erstaunen gewesen sein, als unversehens zwei Offiziere mit blankem Degen und acht Grenadiere mit aufgepflanztem Seitengewehr in sein Zimmer traten, gefolgt von einem Sekretär, der ihm ein Billet Seillerns überbringt, des Inhalts: »aus Gründen, die er selbst gutheißen müsse, sei zeitweilig Haft über ihn verhängt worden.« Man nimmt ihm seine sämtlichen Briefschaften, ja trotz seines Einspruches sogar den »Talisman« ab: (allerdings nicht, bevor er die goldene Kapsel mit einem Papierumschlag umhülst und mit der Aufschrift versieht, das Kleinod sei nur für die Kaiserin bestimmt). »Keinen Widerstand«, gebietet ihm der Sekretär; Beaumarchais erwidert kaltblütig: »der Gewalt kann und werde ich mich nicht widersetzen.« (Späterhin prahlt er sogar, gesagt zu haben: »Widerstand leiste ich bisweilen wohl gegen Räuber, nicht aber gegen Kaiser!«) Nur – nach der Feder langt Monsieur de Ronac, um an dem einen und demselben 24. August nicht weniger als drei Briefe an Seillern zu richten. In dem ersten Schreiben meint er: nur Zweifel an der Identität seiner Person vermöchten ein so außerordentliches Vorgehen zu erklären; er sei aber kein Schwindler ( fourbe), der Namen und Sendung eines andern angenommen, sondern in Wahrheit Beaumarchais selbst, der nicht dringend genug an seiner Pflicht, d. i. der Mahnung festhalten könne, die Nürnberger und Schwabacher Druckereien überwachen zu lassen, denn es sei (wie er mit einer Paraphrase des oben angeführten Wortes von Sartines meint) nicht genug, Staatsgefangener zu sein, man müsse auch seine Geschäfte besorgen. Im zweiten Brief kommt er darauf zurück, daß nur Zweifel an seiner Identität zu einer Strenge Anlaß gegeben, die man bald bitter bereuen dürfte. Es wäre ihm ein Leichtes, durch die Anrufung des französischen Gesandten, an dessen Vertrauensmann er im verwichenen Jahre sein schönes Landhaus bei Paris verkauft habe, alle Schwierigkeiten zu beheben, aber er wolle ihn schlechterdings nicht in Mitwissenschaft ziehen in betreff eines Geheimnisses, das nur dem König und Sartines bekannt sei. Er bitte deshalb um die Erlaubnis, dem nächsten kaiserlichen Postpaket einen offenen Brief an Sartines beischließen zu dürfen. Und in diesem Schreiben an seinen Pariser Gönner sagt er: er wisse nicht, weshalb er verhaftet sei; aus seinem Regensburger Brief wisse der Polizeileutnant von seinem Neustädter Abenteuer; er habe trotz seiner Wunden seine Reise nach Wien fortgesetzt im guten Glauben, in den Landen der Kaiserin ebenso hilfreichen Beistand gegen Angelucci zu finden, wie in England und Holland. Eine leidige Personenverwechslung könne daher einzig und allein seine Verhaftung verschuldet haben.

In diesem Punkte irrte Beaumarchais jedoch gründlich; an seiner Identität mit dem Autor der Mémoires im Prozeß Goezmann zweifelte niemand: im Gegenteil. Der Mann, nach dessen Wunsch und Willen »der Bursch« zuerst polizeilich überwacht und hernach zum Gefangenen erklärt wurde, Fürst Wenzel Kaunitz, war vornehmlich durch Beaumarchais' Namen zu so außerordentlichen Maßregeln bestimmt worden. Die Kaiserin hatte dem Kanzler nämlich, unmittelbar nach der Audienz des Mr. de Ronac, den Avis zur Begutachtung gesandt. Ziemlich gleichzeitig aber waren – wie Ronac das verlangt hatte – durch einen besonderen Kurier die Erhebungen der Nürnberger Behörden, sämtliche Zeugenaussagen etc. nach Wien geschickt worden und bei allem ungeheuchelten Respekt vor dem französischen Kavalier und seiner kritiklos geglaubten Sendung zur Kaiserin kamen alle Berichte und Raisonnements auf die Zeugenaussage des (gleich am Tage des angeblichen Überfalles von Neustadt vernommenen) Postknechtes Georg Dratz hinaus: »Es komme ihme die Sache vor, ob habe der Passagier mit dem unter Weegens heraus genommenen Scheermesser« – dem Handwerkszeug Figaros! – »sich etwan was zugefügt; er habe in und an dem Leithenholze niemand alß die drei reißende Zimer Bursche gesehen, auch gar nichts gehöret, noch wahrgenommen, so verdächtiger Leute Anwesenheit glaublich machen könne, villweniger von einem Schuß etwas gehöret.«

Während derart die Räubergeschichte von Neustadt als Phantasiestück angezweifelt wurde, unterzog Kaunitz die anderweitigen Reden und Taten des Monsieur de Ronac einer eindringenden (noch einläßlich zu erörternden) Kritik. Trotzdem war die Kaiserin betrübt, als man auf Geheiß des Kanzlers Beaumarchais dingfest machte. Auch sie war nach dem Eintreffen der Nürnberger Amtsberichte und mehr noch durch Kaunitz' Vortrag zu der Überzeugung gelangt, daß Herr von Ronac sie »anführen gewollt«. Während Maria Theresia aber der Ansicht war, daß man Beaumarchais als »elenden Betrüger behandeln und binnen zwei Stunden aus Wien und dem Reich hätte verweisen sollen, damit er sähe, daß man nicht sein dupe sei, ihn aber doch nicht ins Verderben stürzen wolle, wie er es wohl verdient hätte,« erregte der Name dieses Spitzbuben die Aufmerksamkeit des Fürsten, der ihn für denselben hielt, dessen Mémoires im letzten Winter hier mit so allgemeinem Entzücken gelesen wurden. Und der Rat von Kaunitz, den die Kaiserin in so vielen großen Angelegenheiten, oft gegen ihre persönlichen Neigungen, beherzigte und vollstreckte, kam auch in diesem geringfügigen Zwischenfall zur Geltung. Der Kanzler, der den ganzen Sachverhalt sogleich in einer Depesche an den österreichischen Gesandten erzählte und beurteilte, hielt nämlich nicht bloß die Historie von dem räuberischen Überfall für einen Roman; er erklärt Beaumarchais kurzweg für einen Betrüger.

»Beaumarchais« – so bemerkt der Kanzler mit strafrichterlichem Spürsinn – »begab sich, und zwar mit Zurücklassung seines Bedienten, ohne alle abzusehende vernünftige Ursache in den Wald. Er kam blutig und so leicht blessiert zurück, daß allem Ansehen nach sein Scheermesser die Stelle der ›rauberischen Sabeln‹ vertrat. Es war nicht das geringste Geschrei zu hören, welches doch bei derlei Gelegenheiten unvermeidlich ist und von dem Postillon oder Bedienten hätte vernommen werden können und müssen. Beaumarchais zeigte nur seine Pistolen, schoß aber nicht, und gleichwohl hat er allein einen Räuber zu Pferde in die Flucht gejagt und den andern zu Fuß dergestalt überwältigt, daß er ihm leicht hätte das Leben nehmen können. Die ganze Geschichte von den Räubern und der romanhaften Verfolgung Angeluccis scheint somit eine bloße Fiktion und von Beaumarchais nur darum ersonnen zu sein, um die Vollbringung seines Auftrages um so mühsamer und gefährlicher erscheinen zu machen und dadurch seine eigene Verdienstlichkeit zu erhöhen. Daß Beaumarchais das ganze Geheimnis in Wien entdeckte, das Libell übergab und dessen Umdruck in Vorschlag brachte, scheint auf ganz falsche Begriffe von der Denkungsweise der Kaiserin gegründet.«

Soweit wird jeder Unbefangene (auch wenn er nicht, gleich dem Schreiber dieser Zeilen, zuvor das Lichtenholz abgestreift, um die Angaben Beaumarchais' an Ort und Stelle zu prüfen) Silbe für Silbe dem Kanzler beistimmen müssen. Nicht ebenso unbedingt wird man seine weiteren Folgerungen gelten lassen: »Wenn man übrigens alle Umstände genau kombiniert, so kann man sich beinahe des Argwohnes nicht entschlagen, daß Beaumarchais selbst der Fabrikant des Libells sein dürfte. Er verspricht, mit seinem Kopfe dafür zu stehen, daß das ganze Libell sogar bis auf die letzten Spuren unterdrückt sei, ein Versprechen, welches, wie jedermann weiß, etwas fast ganz Unmögliches für einen Dritten in sich enthält, der nicht der Autor selbst ist und das einzige Manuskript sowohl als alle gedruckten Exemplare in Händen hat. Dieser Verdacht würde dadurch noch um vieles begründeter werden, wenn von Sartines oder sonst jemand zuverlässig erforscht würde, ob Beaumarchais die erste unmittelbare oder mittelbare Veranlassung gegeben habe, daß die Existenz des Libells dem König angezeigt wurde oder daß er zu dessen Unterdrückung verwendet werden möge? Die Vorgeschichte seines Lebens lasse diesen Verdacht aufkommen, und sein Vorgehen in der ganzen Angelegenheit, alles was er getan habe und was ihm angeblich zugestoßen sei, werde unter dieser Voraussetzung ebenso leicht verständlich, wie die geheimen Triebfedern seiner Handlungsweise und des lächerlichen Romans, mit dem er uns heimgesucht hat. Um den Verdacht einer (durch die Abfassung des Libells begangenen) vollkommen charakterisierten Majestätsbeleidigung von sich abzuwenden, habe er alle Mittel aufgewendet, um sich dieser königlichen Sendung zu versichern. Und nachdem ihm dies geglückt, versuchte er augenscheinlich, soviel Vorteil als möglich aus derselben zu ziehen; zu dem Ende habe er sich seine große Fertigkeit zunutze gemacht, Romane zu dichten, und wenn nicht alles, so doch den größten Teil seiner Erzählung erfunden, um sich als einen Mann zur Geltung zu bringen, dessen Tatkraft, Scharfsinn und Tapferkeit die größten Belohnungen verdiene.«

So naheliegend diese Vermutung von Kaunitz erscheint – volle Klarheit, ja selbst nur einen Inzichtenbeweis dafür, daß Beaumarchais den Avis selbst verfaßt, hat er so wenig wie die spätere Forschung für diese Annahme erbracht. Gewiß ist, daß Mr. de Ronac durch den unvermuteten Hintritt Ludwigs XV. um den Lohn seiner Mühen sich mit eins betrogen sah; wahrscheinlich auch, daß er selbst kein Mittel für unerlaubt hielt, um die Gunst seines Nachfolgers und damit die Aufhebung des blâme, neue Ehren und Gnaden bei Hofe zu erlangen Bibl. des Mém., Brissot 132 ff. Robicquet 54 ff. – Goezmann wurde am 17. März 1774 schimpflich wegen Urkundenfälschung kassiert, nachdem er trotz wiederholter Mahnungen seiner Kollegen nicht freiwillig seine Entlassung gab ( Journ. hist. V, 236). In London setzte er sich als Revolverjournalist fest; vor Ausbruch der Revolution kehrte er nach Paris zurück; dort wandte er sich im tiefsten Elend an – Beaumarchais, der ihm mit grimmigem Hohn ein Almosen von – 15 Louis zuwandte. Unter der Schreckensherrschaft wurde Goezmann – an demselben Tage wie André Chenier – guillotiniert. Vgl. Huot, Goezmann et sa famille und seine gedruckten » Requêtes au Roi«.. Völlig abweisen dürfen wir also die Möglichkeit nicht, daß Beaumarchais (wie er ja in Wahrheit selbst den König und Polizeileutnant zuerst von dem Dasein des Avis unterrichtete) Machenschaften ins Werk setzte, wie sie ihm Kaunitz zur Last legt und wie sie – nach den Fabeln des Neustädter Attentats muß man das zugestehen – ihm zugetraut werden können. Anderseits ist es immerhin denkbar, daß der aus einem Wilddieb in einen Forstwart umgewandelte Morande, seinen gerade gegen gutes Entgelt übernommenen Pflichten gemäß, Beaumarchais wirklich mit der Anzeige von der Vorbereitung des Avis eine erste Probe seiner Dienstwilligkeit gegeben. Denn mit der Bekehrung des Gazetier cuirassé war ja die Schmutz- und Skandalliteratur der französischen Fremdenkolonie auf englischem Boden eher ermutigt als erschreckt worden. Jeder, der sich Morande an Frechheit gewachsen fühlte, konnte versuchen, sein Schweigen noch teurer zu verkaufen, als der wohlbezahlte Gazetier. Und welches Freibeutertum der Feder solcherart auf dem schützenden Boden des Exils getrieben wurde, das beweist leider nichts mehr als die Flut von Spottliedern und Flugschriften gegen Marie Antoinette, die, von den rachsüchtigen Gegnern der »Österreicherin« unablässig inspiriert und bezahlt, von England aus verbreitet wurden. In Frankreich konnte den »verlorenen Kindern der Literatur« das Handwerk in der Bastille verleidet werden: in Holland, vornehmlich aber in London, zehrten freiwillige und unfreiwillige Auswanderer desto gieriger von der Verderbnis des Mutterlandes. Echte Literaten, geschweige überzeugte Patrioten fanden sich (wenn man Linguet und Brissot ausnehmen will) fast gar nicht unter diesen »neuen Aretinen«; meist waren es schiffbrüchige Existenzen, die sich zum »literarischen Bravotum« verstanden. Betrügerische Bankerottierer, Offiziere, die mit der Regimentskasse, Mönche, die mit ihren Beichtkindern durchgegangen waren, Ausreißer und davongejagte Beamte (wie der Baron von Thurn, alias – Parlamentsrat Goezmann): all diese Herren standen jedermann zu jeder Verleumdung willig zu Diensten. Es fiel ihnen nicht schwer, Späherdienste zu leisten, ja, es gehörte zu ihren alltäglichen, selbst von Thurn-Goezmann geübten Kniffen, den Pariser Polizeigewaltigen das bevorstehende Erscheinen von Schriften anzukündigen, deren Manuskripte sie sich gegen teures Geld abkaufen ließen. Ihr meistgesuchter Brotgeber, der Verleger und Zeitungseigentümer Brissière (ein ehemaliger Lakai, der in Lübeck schon unter dem Galgen gestanden, weil er seinen Herrn bestohlen) bereicherte sich durch die schmachvolle Industrie, gleichzeitig die französische Regierung und die französischen Flüchtlinge zu verraten. In diesem Kreise rief die Thronbesteigung Ludwigs XVI. mehr als Ein Pasquill gegen Marie Antoinette hervor, und es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß auch der Avis von einem spekulativen Kopfe unter diesen dunklen Ehrenmännern ausgeheckt wurde. Ja, wer die zynische Gesinnung und Verschlagenheit Morandes auch nur aus der Charakteristik Brissots kennt, vermag sich des Gedankens nicht zu erwehren, daß der Gazetier cuirassé in eigener Person ein Miturheber des Pamphletes gewesen, dessen drohende Veröffentlichung er selbst seinem Pariser Gewährsmann anzeigte. Ein Stücklein der Art, zur würdigen Eröffnung seiner neuen Laufbahn, würde Morande wohl anstehen, und auch die Schreibweise des » Avis« stimmt eher zu den publizistischen Leistungen des Gazetiers als zu Beaumarchais' Memoirenstil. Mag man diese Hypothese aber auch als zu gewagt verwerfen, ebenso unbewiesen erscheint jedenfalls die andere: Beaumarchais und kein anderer sei der Autor des » Avis«. Geffroys Urteil wurde bereits angeführt: das individuelle Gepräge Beaumarchais' trägt auch meines Erachtens der Avis in keiner Weise. Ebenso scheint mir die Annahme, daß er seinen Stil absichtlich verstellt habe, unzulässig, schon deshalb, weil in dem Avis zuviel geschichtliche Angaben und Ausblicke vorkommen. So stark Beaumarchais aber als Dialektiker war, so schwach ist er als Historiker. Nicht besser begründet wäre die Vermutung, daß er Gudin, seinen Reisebegleiter, als Mitarbeiter herangezogen; einmal wird Beaumarchais' fidus Achates selbst von seinen Feinden als ehrenhafter Charakter gerühmt, dann aber war er gerade mit der Abfassung seines Geschichtswerkes » Aux manes de Louis XV. et des grands hommes qui ont vécu sous son règne« vollauf beschäftigt. Bleibt also wohl zu erwägen, ob Beaumarchais nicht vielleicht im Einverständnis mit Morande den Avis für seine Zwecke ausnützte? Die dauernden Beziehungen, welche der Autor des »tollen Tages« mit diesem Revolverjournalisten bis zu seinem Tode unterhielt, sind ihm in späteren Jahren von Mirabeau, Brissot und anderen so strafend vorgerückt worden, daß wir eine derartige Erklärung aller folgenden Vorgänge wohl im Auge behalten müssen Gudins Buch, das mit dem Untertitel: » Essai sur les progrès des arts et de l'esprit humain sous le règne de Louis XV« 2 Bde., Deux-Ponts 1776, erschien, erregte Voltaires Aufmerksamkeit. Oeuvres complètes, Kehler Ausg. LXVIII, 290. 349. 357.. Denn so bedenklich jede Verbindung (geschweige zu einem so gefährlichen, folgenschweren Unternehmen) mit Morande für jeden, und nun gar für Beaumarchais erschien, der ihn eben bezahlt und bekehrt hatte: einen anderen Helfer hat er schwerlich in diesen Händeln gesucht und gehabt. Am besten werden wir uns übrigens in der Frage nach dem Verfasser des Avis mit einem Non liquet bescheiden Mr. Charles de Loménie schrieb mir unter dem 8. Mai 1885 zu dieser Frage: » Vous savez que sur la question des missions secrètes de Beaumarchais il y a longtemps que je veux ajouter quelques mots au livre de mon père pour exprimer l'opinion que je sais être la sienne après les travaux de Mr. d'Arneth et que vous pouvez donner comme telle: à savoir que s'il est à peu près prouvé que l'histoire de la forêt de Neustadt est une fiction romanesque (et mon père n'en avait lui-même donné le récit que sous toutes réserves) il n'est nullement prouvé que cette fiction se rattache à toute une entreprise malhonnête de fabrication de libelles pour se faire donner ensuite la mission de les poursuivre. C'est au nom de l'étude approfondie qu'il avait faite du caractère de Beaumarchais et en se fondant aussi sur le sentiment de la principale intéressée, c'est-à-dire de la reine Marie Antoinette – sentiment exprimé dans une lettre à l'impératrice Marie Thérèse (Il regarde cet homme comme un fou etc.) – que mon père repoussait cette accusation.« Es gereicht mir zur Ehre und Freude, diese Ansicht Louis de Loménies mitteilen zu dürfen, obgleich ich derselben nicht durchaus zustimmen kann..

Viel kritischer für Beaumarchais und zugleich unzweideutiger für den Forscher wird der Fall, sowie wir mit ihm von Paris nach London kommen. Hier (so behauptet er) will er mit dem Eigentümer der Schmähschrift, Atkinson-Angelucci, Abmachungen getroffen und das Libell dem Feuertod preisgegeben haben. Ja, es existiert eine Vertragsurkunde, die Mr. de Ronac aufgesetzt und angeblich mit Atkinson-Angelucci unterfertigt hat. Hier aber bleiben wir ohne Antwort auf die Frage, ob dieser Atkinson-Angelucci überhaupt jemals gelebt hat oder nicht vielmehr eine bloße Phantasiegestalt gewesen? Niemand (außer Beaumarchais) hat diesen verschmitzten Hebräer gekannt oder gesehen, die Nürnberger haben ihn aus sprichwörtlichen Gründen nicht gehenkt, und ich habe seinen Namen in holländischen und venezianischen Polizeiberichten, Druckerlisten etc. vergeblich gesucht. Gegen seine Existenz zeugt ferner am stärksten die Vertragsurkunde zwischen Mr. de Ronac und Angelucci: denn 1. erscheinen auf dem Titelblatt des » Avis« als Initialen des Verlegers die Buchstaben G. A. (die allerdings ebensowohl Guglielmo Angelucci als Guillaume – weshalb nicht William? – Atkinson bedeuten können), während in der Vertragsurkunde Text und Namenszug beständig Hatkinson lauten: die verräterische Spirata zeugt aber für den echt französischen Sprachgebrauch, vokalisch anlautende Fremdwörter mit dem Hauchlaut zu versehen. Beaumarchais scheint also das Instrument nicht bloß geschrieben, sondern auch unterschrieben zu haben; 2. behauptet Beaumarchais (wie schon in den »Amtsglossen« zu seinen Papieren im Wiener Archiv bemerkt wird), den Vertrag auf seinen Knien geschrieben zu haben, während derselbe seiner »glatten runden Handschrift nach« eher am Schreibtisch zustande gekommen sein dürfe. Endlich ist die ganze romantische Geschichte von der Verbrennung des Avis nichts anderes als die genaue Wiederholung des Verfahrens, kraft dessen Morandes Mémoires secrets d'une fille publique aus der Welt geschafft wurden (S. 210) – Gründe genug für Kaunitz, Beaumarchais »als überführten Verbrecher und Verräter« anzusehen.

In diesem Sinne wies der Kanzler den österreichischen Botschafter in Paris an, dem König oder dem Minister Sartines umfassende Meldung von all diesen Umständen zu geben mit dem Bemerken, man habe geglaubt, die Verhaftung des rätselhaften Fremden im Interesse des Königs von Frankreich verfügen zu müssen; dem Willen des französischen Monarchen bleibe es jedoch anheimgegeben, ob der Gefangene sogleich freizulassen, oder nach Frankreich zu senden, oder endlich in Wien einem regelrechten Strafprozeß zu unterziehen sei?

Beaumarchais blieb unterdessen in sicherem Hausarrest »bey den drei Laufern«. Seillern sendete ihm seinen Arzt, Kaunitz als Kommissar, der seine Papiere mit ihm durchgehen und seine allfällige Rechtfertigung entgegennehmen sollte: Joseph von Sonnenfels. Am 25. August fand sich »der Mann ohne Vorurteil« bei dem Autor der »Eugénie« ein, dessen Drama er (vor mehr denn einem Jahrfünft) bei der ersten Wiener Aufführung in den »Briefen über die Wienersche Schaubühne« sehr anerkennend besprochen hatte. Sonnenfels' Bericht über diese persönliche Begegnung ist nicht entfernt von demselben Wohlwollen für Beaumarchais beseelt wie jene Kritik, sondern in wesentlichen Punkten die sachliche Grundlage von Kaunitz' Depesche oder vielmehr Anklageschrift. Der Gefangene bot im Laufe des Gespräches dem Regierungsrat wohl ein Widmungsexemplar der »Mémoires« im Prozeß Goezmann an: Sonnenfels lehnte die Gabe jedoch einstweilen höflich ab. Und Beaumarchais war es gleichfalls um nichts weniger als um einen Austausch von Artigkeiten zu tun. »So willig er sich mit einem Mann von Sonnenfels' Verdiensten in literarische und philosophische Unterhaltungen einlassen möchte«, für den Augenblick liegen ihm ganz andere Sorgen am Herzen. Er beschwört den Abgesandten mündlich und die kaiserliche Regierung schriftlich, doch auch auf seine Privatangelegenheiten Rücksicht zu nehmen; in Paris stände die Revision seines Prozesses gegen La Blache zur Entscheidung, und wenn man ihm schon nicht verstatten wolle, seine Sache selbst zu führen, bei der 50 000 Taler auf dem Spiele ständen, so müsse er doch wenigstens seinem Freunde Roudil Instruktionen zukommen lassen. Wenn man ihm keinen Glauben schenke und an seiner Identität zweifle, so wäre es das Einfachste, ihn mit gebundenen Händen und Füßen nach Frankreich zu schicken. Mit dieser Forderung war Beaumarchais im Recht, wenn er gleich die Kaiserin und die Behörden durch das erfundene Neustädter Attentat irregeführt hatte. Ein Willkürakt bleibt seine Verhaftung ohne regelrechte Kriminaluntersuchung immerhin. Man hätte ihm den Prozeß machen oder ihn an die französischen Gerichte ausliefern sollen. Keines von beidem geschah, ja, man strafte ihn sogar wegen seiner ungemessenen Schreibseligkeit, indem man ihm nach den ersten Tagen seiner Haft, in welchen er ganze Broschüren fertig brachte, Federn, Tinte und Papier entzog: »man verwehrte mir sogar, meine literarischen Eindrücke, kritische Einfälle etc. zu verfestigen!« Man verbot ihm, auf die Gasse zu schauen, ja selbst nur in das Nebenzimmer zu gehen. So wurden ihm, statt der verhofften Gunstbezeugungen einer dankbaren Mutter, ungemütliche Polizeiplackereien zuteil. Man nimmt ihm (um allfällige Selbstmordgedanken zu hintertreiben) Messer, Schuhschnallen, Scheere und dergleichen mehr ab. Durch volle 31 Tage (die er nach seiner alten Liebhaberei in 44 640 Minuten umrechnet) teilt er sein Zimmer mit einem Soldaten: ob er schläft oder wacht, immer hat ein Grenadier mit aufgepflanztem Bajonett Acht auf ihn. Man glaubt sich doppelt berechtigt zu solcher Strenge, als neue Erhebungen von Bürgermeister und Rat der Stadt Nürnberg zu dem Entschluß führen: »Das Angeben eines räuberischen Überfalls dürfte wohl eine bloße Erdichtung sein«. Nichts natürlicher, als daß Kaunitz immer mehr in seinem Verdacht bestärkt wurde, daß »ein Mensch, der sich zu Fälschungen erbietet, selbst ein Betrüger sein muß«, nichts natürlicher aber auch, als die Ungeduld Maria Theresias: j'avoue, j'attens avec impatience le retour du courrier. Die Antwort, welche der Eilbote endlich in der dritten Septemberwoche brachte, hatte Beaumarchais' sofortige Freilassung zur Folge.

Der Botschafter antwortet der Kaiserin vertraulich, dem Kanzler amtlich: Beaumarchais, den er nicht persönlich kenne, der aber allbekannt sei durch seine romanhaften, extravaganten Abenteuer, die zum mindesten Leichtfertigkeit und Unbesonnenheit voraussetzen, habe sich wenigstens bisher keiner strafbaren Handlung schuldig gemacht; trotzdem könne man ihn unter den obwaltenden Umständen ohne Zweifel für den Verfasser der Schmähschrift ansehen, ein Verdacht, in dem Mercy-Argenteau durch Konferenzen mit Sartines nur bestärkt werden konnte.

Die Erzählung von dem Neustadter Attentat habe (so erklärte der Pariser Polizeileutnant) wohl auch er sogleich angezweifelt. Ebenso erscheine ihm die ganze Wiener Reise nur von dem Wunsche eingegeben, die Kaiserin zu einem Geschenke zu bestimmen. Dagegen bestritt er jeden verbrecherischen Vorsatz und Treubruch Beaumarchais'. Hätte Mr. de Ronac dergleichen beabsichtigt, so würde er sich schwerlich an des Königs treueste Freundin, seine Schwiegermutter, gewandt haben. Und habe sich Beaumarchais bisher auch bisweilen unbesonnen und lebhaft gezeigt, so wäre er doch noch niemals unehrlich gewesen. Auch den Vorschlag Beaumarchais', das Libell in usum des eben zum König emporgestiegenen delphini umzudrucken, entschuldigte Sartines mit echter Höflingsweisheit: es seien ja Fälle nicht selten, in welchen man den Regenten unangenehme Dinge verbergen müsse. Bei alledem war Sartines' peinlichste Verlegenheit nicht zu verkennen; in einem unbewachten Augenblick vertraute er Mercy-Argenteau, daß Beaumarchais und Beaumarchais allein von dem ganzen Handel mit dem Avis ihm und dem König Mitteilung gemacht: »es wäre demnach nicht unmöglich, daß Beaumarchais, um sich für die Zukunft ein besseres Schicksal zu verschaffen und aus seinen gegenwärtigen Schulden zu reißen, diesen verzweifelten Anschlag gemacht habe«. Im nächsten Augenblick bereute Sartines jedoch schon diese Äußerung, die ihn selbst am schlimmsten bloßstellte; er meinte deshalb auch: »er kenne zwar den feurigen Geist und das gebrannte Hirn Beaumarchais', habe jedoch noch nie Arglist oder Unredlichkeit an ihm wahrgenommen. Zudem scheine ihm der Inhalt des Avis den Verdacht zu entkräften, daß sein Vertrauensmann in eigener Person die Schmähschrift verfaßt habe: denn (?) der Kanzler Maupeou und der Herzog von Choiseul, die sich immer (?) als Gönner und Schützer Beaumarchais' erwiesen hätten, seien im Avis am heftigsten angegriffen, der Herzog von Aiguillon dagegen glimpflich behandelt etc.«

Kaunitz traf in seiner Antwort an Mercy den Nagel auf den Kopf: »der lockeren Moral Sartines' gesellt sich in diesem Falle noch sein höchstpersönliches Interesse, ein Subjekt wie Beaumarchais, den er selbst dem König als Vertrauensmann empfohlen, nicht nur zu entschuldigen, sondern zu verteidigen«. Im übrigen stellte es die Kaiserliche Regierung Beaumarchais frei, sich in Wien nach Belieben aufzuhalten und umzutun oder sofort abzureisen. Die Wahl fiel ihm nicht schwer: »und wenn ich unterwegs sterben müßte (so antwortete er) würde ich keine Viertelstunde länger hier bleiben«. Kaunitz ließ ihm tausend Dukaten als Gnadengeschenk oder Schmerzensgeld anweisen, die Beaumarchais anfangs ablehnte. »Sie haben aber kein anderes Reisegeld: all Ihre Habseligkeiten sind ja in Frankreich.« »Dann werde ich meinen Wechsel geben zur Bestreitung der notwendigsten Auslagen.« »Eine Kaiserin gibt kein Darlehen wie ein Bankier.« »Und ich nehme Wohltaten nur von meinem Herrn an.« »Die Kaiserin wird aber finden, daß Sie sich große Freiheiten herausnehmen, indem Sie ihre Geschenke zurückweisen.« »Einem so schwer beleidigten Mann wie mir darf man es nicht verargen, wenn er Almosen ausschlägt.« Trotz dieser großen Worte behält der » drôle«, nach Kaunitz' Zeugnis, die 1000 Speziesdukaten. In Paris freilich erbat er von Ludwig XVI. die Erlaubnis, das Geldgeschenk zurückzustellen und gegen eine (mindestens gleichwertige) Ehrengabe umzutauschen. Man tat ihm seinen Willen: Maria Theresia ließ ihm einen kostbaren Diamantring zukommen, den er bei außerordentlichen Anlässen (z. B. seiner gerichtlichen Rehabilitation) mit theatralischer Aufdringlichkeit zur Schau trug. Von der letzten österreichischen Post – Haag – schreibt Beaumarchais an Sartines: »trotzdem sich das Bessere diesmal als der Feind des Guten erwiesen habe, bedauere er keine seiner früheren Handlungen«. Kaunitz' Depesche, bei Arneth 60*. Loménie I, 401. – Arneth 59*. Loménie I, 402. Arneth-Geffroy II, 235. 244. – Die französischen Beaumarchais-Forscher sind einmütig der Ansicht, daß seine Räubergeschichten von Anfang bis zu Ende erfunden seien. Ce n'est même plus ici Figaro, c'est Scapin, erklärt André Hallays (Beaumarchais 42). Lintilhacs Versuch, mindestens die Existenz Angelucci's zu beweisen, hat Larroumet (Beaumarchais S. 172) mit triftigen Gründen als gänzlich mißglückt bezeichnet.

Allein im Grunde mochte er doch fühlen, daß er mit dem Melodram im Leben, wie auf der Bühne weniger Glück habe, als mit Suiten und Komödien. Der Humorist in ihm rührt sich wieder. In übermütigster Stimmung dichtet er unterwegs das tolle Robin-Liedchen, dem unter seinen Chansons die größte Popularität beschieden war, weil es wie ein echter Naturselbstdruck wirkte: Loménie II, 343. Beaumarchais erklärte sich 1784 mit der Veröffentlichung von Friedels Verwelschung des Goetheschen »Clavigo« unter der Bedingung einverstanden, daß sein Name in denjenigen von – Ronac (!), der seines Schwagers Guilbert in Ilberto umgewandelt würde. Geradezu vandalisch wütete er gegen Mozarts »Hochzeit des Figaro«: vgl. seinen Brief an die Pariser Opernsänger (Loménie, Pièces just. II, 585 und die Note zur dritten Ausgabe l. c. 457): darnach ließ Beaumarchais Mozarts Oper samt dem vollen Text seines Dialoges und allerlei Tänzen aufführen: infolgedessen mißfiel den übermüdeten Zuhörern sowohl die Musik, wie die Dichtung.

Mag immerhin, was will, gescheh'n,
Immer der gleiche bleibt Robin.
Sei's wettertrüb, sei's wunderschön,
Heißt's fasten, gilt's im Tanz sich dreh'n,
Am Abend oder Morgen,
In Jubel oder Sorgen,
Mag immerhin, was will, gescheh'n,
Immer der gleiche bleibt Robin.

In so ausgelassener Laune besuchte Monsieur de Ronac auf der Durchreise in Augsburg das Theater, wo er – wie vor einem Vierteljahr beim Prinzen Conti – abermals durch die Dramatisierung seines fragment de mon voyage en Espagne überrascht wurde. Er sah hier zum ersten Male Goethes »Clavigo«, den er ein Jahrzehnt nachher als Zensor der französischen Ausgabe genauer in der Lektüre kennen lernen und beide Male so abschätzig beurteilen sollte, wie späterhin Mozart's »Hochzeit des Figaro«: »der Deutsche hat meine Geschichte mit einem Zweikampf und einem Begräbnis überladen, Zutaten, die weniger Talent, als – Hohlköpfigkeit verraten.« Ich habe dieses von mir im Britischen Museum aufgefundene Urteil Beaumarchais' zuerst in Lindaus »Gegenwart« (15. Juni 1880) mitgeteilt. Der Dichter schrieb in seinem letzten Lebensjahr an Marsollier: Autrefois quand Mr. le prince de Conti au jour que je partais pour l'Angleterre me força de rester douze heures de plus à Paris pour lui dire, m'ajouta-t-il, mon sentiment sur la pièce d'un jeune homme que l'on donnait ce jour-là même sur le théâtre de la cour du Temple, je me fis bien tirer l'oreille pour aller voir une comédie bourgeoise où l'auteur et tous les acteurs doivent être, disais-je, très au dessous du médiocre. Non, me dit en riant le Prince, il s'agit d'un jeune homme dont je veux juger le talent à venir sur ce que vous m'en apprendrez. Je cédai. Mais après avoir été vivement ému de revoir ma propre aventure d'Espagne répresentée avec fidélité, je me souviens, que je fondis en larmes à l'adieu de Médée, que vous m'y fites faire par Clavico qu'on arrêtait. Je dis au Prince: c'est un trait de génie dans le jeune auteur que d'avoir recueilli tous les malheurs qui me sont arrivés depuis mon retour de Madrid pour me les faire prédire par un méchant, justement puni dans une pièce dont l'époque remontait à dix ans du jour où il la composait. Le reste est bien, disais-je: mais ce morceau-là est superbe, ce jeune homme aura du talent et d'un genre très estimable.
Je n'ai jamais revu ce premier essai de votre génie dramatique quoique passant à Augsbourg en Souabe je me sois vu jouer une seconde fois, moi vivant mais joué sous mon nom
(bei Marsollier waren – s. S. 213 – die Namen Beaumarchais-Caron und Clavigo anfangs durch Anagramme ersetzt) ce qui n'était je crois arrivé à nul autre. Mais l'allemand avait gâté l'anecdote de mon mémoire en la surchargeant d'un combat et d'un enterrement, additions qui montraient plus de vide de tête que de talent. Et vous, vous l'aviés embellie. London, British Museum. Egerton Manuscripts.

Wir begreifen, daß und warum Monsieur de Ronac an dieser »modernen, mit möglichster Simplizität und Herzenswahrheit dramatisierten Anekdote« kein Gefallen finden konnte: nicht seine Art und Kunst trat ihm im »Clavigo« entgegen, und Goethe hatte vollauf recht, als er in der ersten Schöpferfreude schrieb: »Daß mich die Mémoires des Beaumarchais, de cet aventurier français, freuten, romantische Jugendkraft in mir weckten, sich sein Charakter, seine Tat mit Charakteren und Taten in mir amalgamierten und so mein Clavigo ward, das ist Glück: denn ich hab Freude gehabt darüber und was mehr ist: ich fordere das kritischste Messer auf, die bloß übersetzten Stellen abzutrennen vom Ganzen, ohne es zu zerfleischen, ohne tödliche Wunde, nicht zu sagen der Historie, sondern der Struktur, Lebensorganisation des Stückes zu versetzen.« Schon Danzel (Gesammelte Aufsätze, herausgegeben von Otto Jahn, Leipzig, Dyk 1855) hat darauf hingewiesen, wie vollkommen Goethe die ausländischen Charaktere und Verhältnisse in echt deutsche umgewandelt hat. – Vgl. Erich Schmidts Clavigo-Studie (Charakteristiken II). Berlin, 1900. – Louis Morel, Clavigo en Allemagne et en France. Revue d'histoire littéraire de France, 1903. – Eine sehr willkürliche italienische Umarbeitung des Goetheschen »Clavigo« ist Eloisa Beaumarchais. Dramma in cinque atti. Milano. Da Placi do Maria Visaj. Biblioteca ebdomadaria teatrale fasc. 259. – - Am 3. Februar 1898 brachte das Pariser Odéon eine von Gaston Schäfer besorgte Bühneneinrichtung des Goetheschen Clavigo. Den einleitenden Vortrag hielt Eugène Lintilhac (wiederholt in dem Sammelband: Conférences dramatiques, Paris 1898), eine ergötzliche Kapuzinade gegen den »Liebes-Salamander« Goethe und die » Sainte-Wehme de Weimar, de cette Goethe-Gesellschaft, cette société d'admiration goethéenne, dont l'intransigeance et le snobisme aussi s'étalent périodiquement dans une revue spéciale« etc. – Kühl urteilt Wilhelm von Humboldt über den Clavigo (1791. Briefe an Karoline von H., Berlin 1906); sehr bemerkenswert Schopenhauer, Welt als Wille. III. § 52.

Und gewiß: wer Goethes Ausführung mit Beaumarchais' Urstoff zusammenhält, dem »werden« – wie Lessing der Favartschen Umarbeitung einer Geschichte Marmontels nachsagte – »die geringsten Veränderungen, die dieser gelitten und zum Teil leiden mußte, lehrreich auf manchen Handgriff des Schaffenden leiten, den noch kein Kritikus zur Regel generalisiert hat.« »Den Schmerz über Friederikens Lage« suchte Goethe »durch poetische Beichte« zu meistern, um durch diese »selbstquälerische Büßung einer inneren Absolution würdig zu werden.« Er hat zuvor im »Götz« und später im »Faust« das Schicksal treulos verlassener, liebender Mädchen vergegenwärtigt; auch in dem Mémoire Beaumarchais' trat ihm das Los der unglücklichen Braut Clavigos »wie ein Zauberspiel, ein Nachtgesicht entgegen, das ihm einen Spiegel vorhielt«. Seiner Phantasie bot sich in dem fragment de mon voyage en Espagne zugleich aber ein neuer Vorwurf: das Zorngericht, das der geborene Schützer und Rächer der Unglücklichen über den Verräter hält, die Entschließung, zu welcher der Schuldige dem Bruder des betrogenen Mädchens gegenüber sich entscheidet. Im »Faust« stellt sich der Verführer der Ausforderung Valentins: im »Clavigo«, diesem »Weislingen in der ganzen Rundheit einer Hauptperson«, bestimmen anfangs edelmütige, ritterliche Gesinnungen den Treubrüchigen, jede Demütigung auf sich zu nehmen, nur um der Gekränkten nicht auch noch den Bruder zu gefährden. Goethes »Clavigo« schreibt die geforderte Erklärung, nicht weil er Beaumarchais fürchtet, sondern weil, vernichtender als alle Drohungen des Franzosen, die Stimme der Selbstanklage in ihm laut wird und ihn mahnt, zu den Füßen der tödlich beleidigten Braut »seinen Schmerz, seine Reue auszuweinen«. Was aber nach dieser Sühne das jähe Umschlagen seiner aufrichtigen Gesinnungen herbeigeführt, was Clavigos neuen, gräßlichen Meineid begreiflich und entschuldbar macht, das sagt er selbst wahr und echt menschlich in den Worten:

»Als ich sie wiedersah, im ersten Taumel flog ihr mein Herz entgegen – und ach, da das vorüber war, Mitleiden – innige tiefe Erbarmung flößte sie mir ein, aber Liebe – sieh, es war, als wenn mir in der Fülle der Freuden die kalte Hand des Todes übern Nacken führe. Ich strebte munter zu sein, wieder vor denen Menschen, die mich umgeben, den Glücklichen zu spielen: es war alles vorbei, alles so steif, so ängstlich. Wären sie weniger außer sich gewesen, sie müßten's gemerkt haben …«

Und wer nicht schon bei der Lektüre des »Clavigo« hier der Peripetie gewahr wird, den mögen gute Goethedarsteller überzeugen. Im Wiener Burgtheater war es Sonnenthal, wohl der beste Clavigo der deutschen Bühne, der mit sanguinischem Überschwang die Geliebte »mit jugendlichen Rasereien, stürmenden Tränen und versinkender Wehmut« antritt. Erst als sie ihm vergeben, schaut er wieder in ihr Antlitz. Ein leiser Ekel rüttelte ihn, da er in die zerstörten, vom Tode gezeichneten Züge blickte. Im nächsten Moment faßte er sich wieder, aber jeder Fühlende unter den Zuschauern dieser Musterdarstellung begriff, daß Clavigo mit übermenschlicher Tugend ausgerüstet sein müßte, um seines ästhetischen Widerwillens gegen die Kranke Herr zu werden. Wir wissen jetzt, was Clavigo sträflicherweise, aber unwiderstehlich, vor und nach dem Erscheinen des Bruders antreibt, Marie zu verlassen: er liebt sie nicht mehr, er kann sie nicht mehr lieben. Er ist ein haltloser, aber wahrhaftiger Charakter, ein bedauerns-, kein nichtswürdiger Mann. Daß er trotzdem sein Wort einlösen möchte, – wenn nicht Carlos mit seiner Lessingischen Dialektik laut und unwiderleglich nur dasselbe ausspräche, was er selbst im stillen denkt und fühlt: daß er an der Ehe mit Marie zugrunde gehen muß – dieser Vorsatz der Selbstüberwindung um den Preis der Selbstvernichtung spricht für ihn. Und gegen ihn zeugt es nicht, wenn er »einen Funken von Carlos' Stärke, von Carlos' Mut« begehrt, »mit einem Herzen, das einen ruhigen Bürger glücklich machen würde, den unseligen Hang nach Größe verbindet«. »Und was ist Größe, Clavigo? Sich in Rang und Ansehen über andere zu erheben? Glaub es nicht! Wenn dein Herz nicht größer ist als anderer Herzen, wenn du nicht imstande bist, dich gelassen über Verhältnisse hinauszusetzen, die einen gemeinen Menschen ängstigen würden, so bist du mit allen deinen Bändern und Sternen, bist mit der Krone selbst nur ein gemeiner Mensch!« In diesem Kernsatz kommt mehr als der »reine Weltverstand« Carlos' zum Ausdruck: er gibt (allerdings nicht der satten Philistermoral, die Goethe eigentlich nur auf Grund seiner eigenen Darstellung des Sesenheimer Idylls noch immer als Frevler gegen Friederike anklagt und verdammt) die Lösung der überflüssigen Frage, weshalb Goethe nicht lieber als Frankfurter Anwalt und Gemahl einer elsässischen Pfarrerstochter seinem Hauswesen Vorstand, statt dem Daimonion in seiner Brust zu folgen.

Goethe deckte sich so wenig ganz mit Clavigo, Weislingen oder Faust, wie Friederikens Bruder, dieser Doppelgänger des Moses im Vicar of Wakefield, Beaumarchais glich. Trotzdem kann er nicht alle Familienähnlichkeit mit seinem Trauerspielhelden verleugnen. Ohne Selbstgefälligkeit – eine Eigenheit, der man niemals bei Goethe begegnet – redet er unbewußt von der eigenen Stellung in der deutschen Literatur, wenn dem Archivarius nachgerühmt wird: »Wir wenigstens haben keinen neueren Autor, der soviel Stärke des Gedankens, soviel blühende Einbildungskraft mit einem so glänzenden und leichten Stil verbände.« Und der künftige »Befreier« der deutschen Dichtung spricht aus Clavigos Antwort: »Ich muß unter dem Volke noch der Schöpfer des guten Geschmacks werden.« Auch Goethes Plan, wie der Clavigos, war der Hof, und aus seinem Herzen war es gesprochen, wenn Carlos meinte: »Heiraten! just zur Zeit, da das Leben erst recht in Schwung kommen soll, sich häuslich niederlassen, sich einschränken, da man noch nicht die Hälfte seiner Wanderung zurückgelegt hat.« Sein Liebesbekenntnis war es endlich, daß »ein Roman, der nicht von selbst kommt, nicht imstande sei, ihn einzunehmen«. Und Goethes Monolog belauschen wir in dem einzig-schönen Nachklang von »Willkommen und Abschied«: »Verbergt euch, Sterne, schaut nicht hernieder, ihr, die ihr so oft den Missetäter sahet in dem Gefühle des innigsten Glückes diese Schwelle verlassen, durch eben diese Straße mit Saitenspiel und Gesang in goldenen Phantasien hinschweben und sein am heimlichen Gitter lauschendes Mädchen mit wonnevollen Erwartungen entzünden.« Und auch in den Schilderungen Dritter erkennen wir den Dichter wieder: Carlos-Merck spürt ihm doch immer an, daß er »ein Gelehrter« ist; Mariens Schwester Sophie preist ihn als »den Alten, noch eben das gute, sanfte, fühlbare Herz, noch eben die Heftigkeit der Leidenschaft. Es ist noch eben die Begier, geliebt zu werden und das ängstlich marternde Gefühl, wenn ihm Neigung versagt wird.« Und nicht bloß die Freunde Goethes haben wenig Männer gekannt, die so großen und allgemeinen Eindruck auf die Weiber machten als er.

Doch genug und übergenug der Proben, daß die liebenswertesten Eigenschaften Clavigos Goethe selbst entlehnt sind. Und für diese Hauptgestalt ist Goethe seiner Quelle nicht mit einem Zuge verpflichtet. Dem »Heldengang« des Bruders (natürlich nur des Beaumarchais des Fragment de mon voyage d'Espagne) ist er dagegen ziemlich treu gefolgt. Doch auch hier hat er das Ganze veredelt. Goethes Beaumarchais zerreißt auf das erste Wort von der Verzeihung Mariens die Erklärung Clavigos, während der Autor der Mémoires das schimpfliche Blatt selbst in der Zeit seiner herzlichsten Beziehungen zum »Pensador« sorgfältig aufbewahrt. Für den Carlos dagegen ist Goethe – wenn irgend wem – in erster Reihe Lessing zu Dank verpflichtet: nicht die Moral, aber die Redegabe des Polemikers Lessing erscheint in der großen Szene des vierten Aktes, diesem Drama im Drama, dieser genial exponierenden und unwiderstehlich mit sich fortreißenden Dialektik verkörpert. Wie armselig nehmen sich die kecksten Suiten Figaros neben dieser methodischen Weltklugheit und ihrem zwingenden Wortführer aus! Wenn diese Gestalt Beaumarchais' Anteil nicht zu gewinnen vermochte, dann begreift man, daß er die im vollen Wortverstande ins Deutsche übersetzten Frauencharaktere Marie und Sophie nicht verstehen konnte.

Goethe hat eben durchwegs frei, selbständig und schöpferisch den fremden Stoff umgebildet: das Fragment de mon voyage d'Espagne gab ihm nur den äußeren Anstoß, ein Problem, das ihn menschlich und künstlerisch immer wieder bedrängte, in neuer Form aufzunehmen. Und schon der junge Dichter betätigte bei diesem Anlaß die große Weisheit, welche der reife Mann, allen folgenden Künstlern und Forschern zur Beherzigung, in einer beiläufigen brieflichen Anmerkung verkündigte: »Wir haben bisher die französische Litteratur zu steif, entweder als Muster oder als Widersacher behandelt.« Der Dichter des »Clavigo« hat uns andere Bahnen gewiesen. Der Straßburger Student hat als Shakespeare-Schwärmer Voltaire wohl einen Thersites gescholten; späterhin hat der Olympier den Chorführern der französischen Literatur so vollen Anteil bezeugt, daß seine tiefgründenden Beziehungen zu den französischen Zeitgenossen doch nur in Monographien: Goethe und Voltaire, Goethe und Diderot, Goethe und Rousseau zu erschöpfen wären. Er hat den Stoff der »natürlichen Tochter« (allerdings noch freier und idealer stilisiert, als die Motive des Fragment de mon voyage en Espagne im Clavigo) den Denkwürdigkeiten einer verdächtigen Abenteurerin, angeblich einer illegitimen Tochter unseres Conti, entlehnt; er ist der romantischen Schule und dem Kreise des »Globe« so gerecht geworden, wie Molière und Chateaubriand. Er lobte und tadelte als Patriarch der Weltliteratur, gleich weit entfernt von Haß, Neid und Ausländerei. Er liebte das Talent, er ehrte die Kunst, wo immer sie ihn grüßten. Und in diesem Geiste pries er wieder und wieder Beaumarchais als originellen Jünger Voltaires; in diesem Geiste setzte er dem Schöpfer des »Figaro« in Dichtung und Wahrheit Ehrenmale, nachdem er an dem Menschen Beaumarchais im »Clavigo« das wahrhaftige Wunder einer »Transfiguration« gewirkt. Erich Schmidt gibt dem Plan seiner Arbeit gemäß in »Richardson, Rousseau und Goethe« nur den Stammbaum des »Werther«.

12. Beaumarchais und d'Eon

Nous nous vîmes conduits sans doute par
une curiosité naturelle aux animaux extraordinaires
de se rencontrer.

d'Eon: Campagnes du Sieur Caron de Beaumarchais

Noch schlimmer als auf Mr. de Ronac war Kaunitz auf die französische Regierung zu sprechen. Jenen fertigte er beiläufig in derselben Weise ab, wie Friedrich der Große Voltaires Frankfurter Abenteuer: »im Grunde genommen hat er die Galeere verdient und kann von Glück sagen, daß er mit der Heimsuchung von ein paar Grenadieren davon gekommen.« Die Haltung Sartines' aber erschien dem Kanzler von böser Vorbedeutung für die Zukunft der affaires de là-bas. Wieviel geringschätziger würde sein Urteil über die erbärmliche Wirtschaft ( gouvernement pitoyable) auch unter dem neuen Herrscher gelautet haben, wenn er erfahren hätte, daß der plumpe und entlarvte Maschinist des Wiener Zwischenspiels in Versailles nicht bloß wieder zu Gnaden ausgenommen, sondern alsbald von den Ministern in den wichtigsten Staatsaktionen zu Rate gezogen und mit den heikelsten geheimen Sendungen betraut wurde.

Unmittelbar nach seiner Heimkehr hört Beaumarchais allerdings von Sartines, daß Maria Theresia ihn für einen Glücksritter gehalten und auch seine Pariser Gönner Verdacht gegen ihn geschöpft. Die unwillkommene Botschaft erschreckt ihn aber weiter nicht. Er wiederholt schlankweg in einem umfassenden, für Ludwig XVI. bestimmten Mémoire Diese (mir von Charles de Loménie mitgeteilte) Denkschrift vom 15. Oktober 1774 wurde der Darstellung in Kap. 11 und 12 vielfach zugrunde gelegt. Louis de Loménie teilt I, 396–403 nur die zweite Hälfte des Mém. mit. den ganzen Sachverhalt, wie er sich denselben mittlerweile zurechtgelegt. Der König nimmt alle Reiseabenteuer des Mr. de Ronac, die Räubergeschichte von Neustadt etc., wohl nicht gläubig, aber humoristisch hin und die Minister begleichen anstandslos die Kosten dieser Ausflüge, die nach Beaumarchais' Rechnung – zweiundsiebzigtausend Franken betragen. Der König hat ja über den »Schalksnarren« gelacht, dessen »Schwänke« auch die Königin herzlich belustigt haben: wie darf es da einem »Staatsmanne« noch beikommen, den gut angeschriebenen Tollkopf ( imprudent et fol) ernsthaft zur Verantwortung zu ziehen? Und das nun gar, wenn der leitende Minister Maurepas ein Witzbold von Profession, ein Chansonnier aus Liebhaberei ist, dem der schmutzigste Gassenhauer mehr gilt, als das wichtigste Staatsgeschäft? der, unter dem vorigen König wegen eines frechen Vierzeiligen auf die Pompadour gestürzt, ein jahrzehntelanges Exil nicht besser zu verkürzen wußte, als dadurch, daß er alles, was Schmähsucht und Unzucht in Frankreich in Verse brachten, säuberlich abschreiben und in roten, mit seinem Wappen geschmückten Maroquinbänden auf die Nachwelt kommen, einen Unratskanal in Marmor fassen ließ? bei dem alles »Eingebung des Augenblickes, Epigramm, kleine Finesse, Sarkasmus war«? der seinen einzigen Stolz darein setzte, stets die Lacher auf seiner Seite zu haben, und um diesen Preis alle göttliche und irdische Majestät zum Entzücken der Höflinge persiflierte? der alle Schäden des Gemeinwesens verspottete und im übrigen in der Fülle der Macht, mit einem Luchsauge für die Schwächen und Lächerlichkeiten der Menschen begabt, alles tat und geschehen ließ, um die allgemeinen Mißstände noch zu mehren? der bei den wichtigsten Vorträgen Turgots und Neckers nur Langeweile empfand und die schwierigsten Fragen mit zynischen Hohnreden abfertigte? So beispielsweise gleich das erste große Problem, das sich der Regierung Ludwigs XVI. entgegenstellte: die Zukunft des Parlaments Maupeou. Das Volk beschimpfte die Richter des Bastard-Parlaments, wenn sie im Amtstalar über die Straße gingen. Als sich die Räte deshalb bei Maurepas beschwerten, lautete seine Antwort: »Es wird also gut sein, wenn Ihr fortan Rosa-Dominos über Eure Roben nehmt.« Man muß die Urteile von Patrioten, z. B. dem Marquis d'Argenson, über den jungen Maurepas mit den Urteilen Ségurs und der Madame Campan über den greisen Mentor Ludwigs XVI. vergleichen. Alle kommen in derselben Verurteilung dieses ministre petit-maître überein: » Maurepas fut le type le plus parfait au XVIIIe siècle de cette espèce de frivolité et de ce méchant esprit dans un homme en place.« Sainte-Beuve, C. L. XII, 123. 503.

Damit, ja selbst mit dem Sturz Maupeous war die verworrene staatsrechtliche Frage freilich noch nicht gelöst; während aber Rechtsgelehrte und Politiker, Männer in Amt und Würden, wie die gemaßregelten Magistrate sich um die Wette bemühten, Maurepas' Entscheidung durch ernsthafte, nachdenkliche Untersuchungen zu beeinflussen, hatte er seinen Gewährsmann schon gewählt: den »blâmé« des Prozesses Goezmann, Beaumarchais. Verdient aber hatte unser Dichter diese Auszeichnung einzig und allein durch ein – Vaudeville in der Mundart, das eben die Runde in Paris machte. Nach altem Brauch hatte sich Beaumarchais bei dem Gemahl der Pompadour, Lenormand d'Etioles, an dessen Namenstag als Gast eingefunden. Auf der Hausbühne des Schlosses Etioles, die nach dem Zeugnis des Präsidenten Henault so schön war, wie die der damaligen Oper, hatte Lenormands erste Frau, bevor sie die Geliebte Ludwigs XV. geworden, 1742 durch ihre Schönheit und ihre schauspielerischen Gaben alle Geladenen entzückt Oeuvres VII, 187. Dort heißt es auch, daß das Lied von einem Schauspieler vorgetragen wurde: die im Text gegebene Darstellung bei Gudin, Histoire de Beaum. Über die »Paraden« insbesondere zu vergleichen Théâtre des boulevards, Paris, 1881, mit der Einleitung von George d'Heylli.. Nach dem Tod der Pompadour verheiratete sich der längst getröstete Gatte zum zweitenmal. Ungemein glücklich in der neuen Ehe, schwer reich und gastfrei, sah Lenormand unablässig bunte Gesellschaft bei sich; Größen der Comédie Française, wie der nachmalige erste Darsteller des Figaro, Préville, Dugazon etc. trafen sich dort mit hochgeborenen Damen, wie der Gräfin Turpin, mit munteren Pariser Bürgerstöchtern, wie den Schwestern Beaumarchais', und lebenslustigen Leuten aus der Finanzwelt. Bei großen Anlässen, vor allem am Namenstag des Schloßherrn, gab es besonders festliche Veranstaltungen, Hauskomödie und Gartenfeuerwerk, zu denen auch gut bewirtete Dorfleute aus der Umgebung sich drängten. So langweilte man sich selten in Etioles, niemals aber unterhielt man sich besser, als wenn Lenormands Titular-Amtsbruder – Beaumarchais war königlicher Sekretär wie der Schloßherr – sich einstellte. Seine munteren Einfälle, seine musikalischen Talente, seine Verwandlungsfähigkeit für die verschiedensten Fächer der verschiedensten Salonkomödien und nicht zum wenigsten die eigene Erfindergabe ließen ihn auf Etioles just ebenso wie 1764 in den diplomatischen Kreisen Madrids von vornherein als Spielleiter erscheinen. Er improvisierte Texte und Weisen zu schnurrigen Namenstags-Bänkeln und als Parodist von »Brettl-«Stücken übertraf er die meisten Proben solcher vom Jahrmarktstheater auf die Pariser Liebhaberbühnen verpflanzten »Paraden«; so hießen ursprünglich die zur Anlockung von Zahlgästen vor der Meßbude der Komödianten gratis zum besten gegebenen stark mundartlich gefärbten Schwänke. Auf den rohesten Massengeschmack berechnet, sparten die Paraden Handgreiflichkeiten so wenig wie Eindeutigkeiten. Unter der sehr anfechtbaren, in vielen Paraden eingestreuten Ausrede, daß Worte nicht stinken ( paroles ne puent point), behandeln diese Jahrmarktspossen mit Vorliebe alle erdenklichen Naturalia in mittelalterlicher Narrenfreiheit. Ein Zeichen der Pariser Zustände jener Zeit bleibt es, daß diese Ausgeburten frechen Gauklerhumors von ehrenwerten, in ihrem bürgerlichen Beruf sehr ernsten Menschen, wie dem tüchtigen Juristen Gueulette, für Hauskomödien nachgeahmt, parodistisch wenn möglich vergröbert und vor Männlein und Weiblein, vermutlich auch vor sonst recht zimperlich tuenden Damen, zum allgemeinen Gaudium gespielt wurden. Schon der Name der einen und der andern Parade ( Le marchand de merde) zeigt, daß diese Stücklein sich mit rabelaisischer Vorliebe den Niederungen des Leibes zuwenden; höher gelegene Regionen kommen meist nur beim unvermeidlichen Stirnschmuck zur Sprache und die Schamlosigkeit, mit der aphrodisische Schmerzen nach mephistophelischem Rezept aus Einem Punkt kuriert werden, muß die abgehärtetsten Leser im Remède à la mode verblüffen. Wie sicher Beaumarchais Ton und Art der Paraden beherrschte, bezeugen vier zu verschiedenen Namenstagen seines Freundes (Karl Borromäus Lenormand) improvisierte Gelegenheitsstücke; in allem Übermut halten sie, wenn auch gewiß nicht für höhere Töchter bestimmt und geeignet, erfreulicherweise mehr Maß, als Gueullettes Théâtre des boulevards. Am harmlosesten läßt sich die ländliche Szene Colin et Colette an; ein Dorfmädchen glaubt sich verschmäht, weil ihr Schatz Blumen gepflückt und nicht ihr geben will; es käme in diesem Liebeszwist fast zum Bruch, wenn Colette nicht zu rechter Zeit hörte, daß der hübsche Strauß dem Namenstagskind zugedacht gewesen; auf ihre Bitte, sich Colin als Gratulantin anschließen zu dürfen, läßt er sie galant das Bouquet Herrn v. Lenormand allein überreichen Der Entdecker der auf seine Anregung für die Comédie Française angekauften Beaumarchais-Papiere, Edouard Fournier, teilt in einem am 12. September 1866 an den Pariser »Figaro« gerichteten Brief (wieder abgedruckt Théâtre complet II. 208 ff.) mit: er habe den Plan des »Barbier von Sevilla« auf einem losen Blatt gefunden à un moment où ce ne devait être qu'une sorte d'opérette folle pour une fête du chateau d'Étioles. Und in seiner Gesamtausgabe der Werke Beaumarchais' gründet Fournier 1876 seine Behauptung auf handschriftliche (S. 733/734 veröffentlichte) » Observations« eines ungenannten, dem Dichter vertrauten Kritikers zum Text des »Barbier von Sevilla«, deren Schlußzeilen einen Hinweis auf das Schloßtheater Lenormands in Étioles enthalten. An sich wäre eine solche Urform des »Barbier von Sevilla« als Parade nicht undenkbar. Allein solange genauere Beweise fehlen, sind Zweifel um so mehr am Platze, als kein einziges unmittelbares zeitgenössisches Zeugnis für eine solche Herkunft des Barbier, weder aus Beaumarchais' und Lenormands Freundeskreis, noch von irgendeinem Gast des Etioler Schloßtheaters vorliegt. Die Hypothesen Lintilhacs S. 213 ff. sind nach meinem Dafürhalten willkürlich.. – Ebenso friedlich geht wüstes Geschimpf im unverfälschten Argot zwischen den um den Vortritt hadernden Fischweibern und Markthelfern aus; nachdem die zungenfertigen Deputés de la Halle et du Gros-Caillou, handfeste Größen der Halle, einander buchstäblich in die Haare gefahren sind, einigen sie sich im Lob des Hausherrn und widmen Charles Lenormand statt des herkömmlichen »Buschens« einen Fischzug von Karpfen, Rochen, Aalen, Schleien als Namenstagsgeschenk. – In den Bottes de sept lieues wird ein täppischer Hanswurst Gilles, den sein Herr Cassandre als Hüter der Haustochter Isabelle und eines Felleisens mit 20 000 Talern Erbgut bestellte, durch einen schlauen Harlekin geprellt, der unter dem Vorwand, ihm die Siebenmeilenstiefel anzuschnallen, den Dümmling mit Stricken fesselt und dann im Bunde mit seinem Herrn Leander Isabelle samt dem wohlgefüllten Felleisen entführt. Ausgiebiger noch als im Geburtstagskompliment des Schlußvaudevilles wird Charles in der Parade Jean Bête à la Foire verherrlicht. Auch hier wird Cassandre im Jahrmarktsgetümmel durch allerhand Listen des Liebhabers (Hans Tropf) und dessen Helfershelfer Harlekin, die sich einmal als Quacksalber und Tanzbär, dann als Arzt und klystierbewehrter Apotheker verkleiden, dazu gebracht, die zuerst versagte Zustimmung zur Verheiratung seiner Tochter Isabelle zu geben; als nach dem Kalendertag dieses Jawortes gefragt wird, ist es gerade der 4. November, Karl Borromäus, und nun geht eine Lawine des Lobes über den Schutzheiligen von Etioles nieder, der Mädchen ausheiratet und als Vater der Armen Bedrängte vor dem Ruin rettet, Bedürftige unterstützt etc. – Als Beaumarchais, nach allen schicksalsschweren Erlebnissen der jüngsten Zeiten, auch am Karlstage des Jahres 1774 unvermutet in Lenormands Freundeskreis erscheint, empfängt ihn allgemeiner Jubel. Die Hausleute beschwören ihn um ein neues Gelegenheitsgedicht; er zieht sich eine kurze Weile zurück und bringt im Nu ein Bänkel fertig, das (nach Gudin) der Schauspieler Dugazon, nach einem anderen Gewährsmann Beaumarchais selbst in Bauerntracht nach den Weisen eines damals volkstümlichen Gassenhauers zum besten gab. In derbstem Dialekt fragt der Landmann, wo ein gewisser Karl wohnt? nicht Karl V., der die Welt verwüstet hat, vielmehr ein sicherer Charlot, dem in den folgenden Strophen die beste Nachrede als gütigem Grundherrn und als Ehestifter unter den Leuten seines Dorfes gegönnt wird, bis endlich der Sänger Lenormands wohlwollender Haltung in Beaumarchais' eigener Sache mit der Wendung gedachte:

Im Winter hatt' ich 'nen bösen Prozeß,
Da ward ich arg geplackt,
Daß ich's nur sag, ich ward expreß
Vom neuen Gericht gezwackt.
Da sprach Charlot voll Mutterwitz
Und tröstet mich: Potzblitz!
Dein' Sach' mir wohlgefällt.
Und doch, wie ward' ich zugedeckt!
Wie ha'm sie sich bedreckt!
»Blamiert« man so die arme Welt?

Nur der außerordentliche (für uns nicht ganz begreifliche) Erfolg dieses Liedchens in Paris bestimmte, nach Gudins Versicherung, die Minister, – Beaumarchais' Wohlmeinung über die Frage der Wiederberufung der alten Parlamente einzuholen. Wir wollen, milder von den damaligen Machthabern denkend, hinzufügen, daß vielleicht Beaumarchais' Beziehungen zu Conti – galt er doch im Ausland sogar für dessen Sekretär – einen gewissen Anteil an der Einforderung dieses Votums hatten. Mag nun auch der Führer der parlamentarischen Opposition, nachdem er Beaumarchais' » Idées élémentaires sur le rappel des parlements« kennen gelernt, versichert haben, er wolle, falls die Minister auf dessen Vorschläge eingingen, diese Zugeständnisse als Gnade auf den Knien annehmen: wir müssen trotzdem erklären, daß dieser »Staatsschrift« Beaumarchais' weder geschichtliche noch literarische Bedeutung zukommt. Die 1771 ihrer Stellen beraubten Parlamentsräte seien, so behauptet Beaumarchais, nach wie vor rechtlich, wenn auch nicht tatsächlich im Besitz ihrer Würde geblieben; der König habe sie folglich nicht durch eine neue Bestallung mit ihrem Richteramt zu betrauen, sondern einfach aufzufordern, ihre alten Sitze im Parlamente wieder einzunehmen. Sei damit die Unabsetzbarkeit der Richter dargetan, so ergebe sich zugleich ihre Befugnis, frei über die königlichen Steueredikte zu beraten und ihre Einwendungen dagegen geltend zu machen. Nur (und hier bewegt sich Beaumarchais in einem circulus vitiosus) sei die Freiheit der » rémontrances« insofern zu beschränken, daß dieselben höchstens passiven, nicht aktiven Widerstand gegen das Gebot des Königs nach sich ziehen dürfen. Die Privilegien der Parlamente seien damit erschöpft, daß sie akademisch ihre Mißbilligung des königlichen Steuerediktes zu erkennen geben, äußerstenfalls dessen Vollstreckung ablehnen – und den Soldaten des Königs überlassen. In dieser Beziehung hätten die Mitglieder des früheren Parlaments ihre Rechte überschritten – die Einstellung des Gerichtsdienstes seitens der Parlamentsmitglieder wäre unzulässig gewesen, doch bleibe dabei außer Frage, ob und wie weit (durch Maupeous Maßregeln) solche Schuld nicht zu hart gebüßt wurde.

Daß mit solchen Silbenstechereien der unheilbare Zwiespalt zwischen der finanziellen Mißwirtschaft des absoluten Königtums und dem immer stürmischer erhobenen Begehren nach Steuergesetzen im englischen Stil nicht zu schlichten war, hat die Geschichte der Jahre 1774–89 längst erwiesen. Die Wiederberufung der alten Parlamente hat andererseits vielfach Anlaß zu der Behauptung gegeben, dieser erste große Regierungsakt Ludwigs XVI. sei verfehlt in der Absicht, verhängnisvoll in seiner Durchführung gewesen. In letzterer Beziehung wird niemand Einspruch erheben; der Grundgedanke aber, den Rechtsbruch Ludwigs XV. aufzuheben, verdient nur volle Billigung. Ein scharfsinniger, staatskluger Mann, Galiani, hat die richtige Lösung angegeben, da er meinte: »setzen Sie alle heilsamen neuen Reformen (Aufhebung der Sporteln, der Käuflichkeit der Richterposten etc.) mit den alten Richtern ins Werk: le système nouveau est meilleur; les personnes anciennes valaient mieux.« Aber erst Napoleon I. hat dieses Programm in seiner bewunderungswürdigen Gerichtsordnung zur Geltung gebracht, allerdings unter den günstigsten Vorbedingungen. Denn zur Zeit seines Imperiums war die Trennung von Verwaltung und Rechtspflege schon vollzogen; im Frankreich Ludwigs XVI. rangen aber nicht bloß richterliche und vollziehende Gewalt miteinander, im Kampfe lagen alte und neue Zeit, gedankenlose, verschwenderische Willkür und die Notwendigkeit, dem ausgesogenen Volke Einfluß auf die Verteilung von Einnahmen und Ausgaben zu gewähren. Durch eine kluge und starke Politik, wie sie Le Brun im Sinne hatte (S. 146), wäre – vielleicht! – das neuberufene, von altem Ansehen getragene Parlament zu reformieren, durch die rechtzeitige Gewährung wenn auch noch so bescheidener verfassungsmäßiger Bürgschaften das Königtum zu belehren und damit zu retten gewesen. Statt dessen berief man die Parlamente, nicht um sie fortan an der Ordnung des Staatshaushaltes teilnehmen zu lassen, sondern um durch einen Theaterstreich die Volksgunst zu gewinnen. Im übrigen begannen die alten, kleinlichen Eifersüchteleien und großen Feindseligkeiten zwischen Regierung und Parlament fast am ersten Tage seiner Wiederberufung, um bis zur Revolution nicht mehr zur Ruhe zu kommen.

So weit blickten allerdings nur wenige Geister des damaligen Frankreich und Beaumarchais sah in dem großen Ereignis gar nur einen bequemen Anlaß, den Ministern immer näher zu kommen und sie mit Stimmungsberichten zu unterhalten. Er meldet den Eindruck, den die (bekanntlich gegen die persönliche Überzeugung Ludwigs XVI. getroffene) Entscheidung im Volke, beim Klerus, im Ausland, bei Conti und dem Herzog von Chartres hervorgerufen. Aber so frische Augenblicksbilder er auch aus Kirchen beibringt (in welchen die Beichtväter den Frauen die Absolution verweigern, wenn sie die Frage, ob sie für die Wiederberufung der Parlamente seien, bejahen); so beflissen er hervorhebt, der König sei durch diesen Beweis seiner Großmut noch viel mächtiger als zuvor (denn seine Minister hätten es verstanden, unter honigsüßen Worten das Gift zu verbergen und die französischen Freiheiten dermaßen zuzurichten, daß er ihnen nun und nimmer die Seinigen anvertrauen wollte): seine Endabsicht bei diesem Botenläuferdienst ist eine andere. Der König soll wissen, daß er in einem Winkel von Paris einen uneigennützigen Diener sein eigen nennt. Im übrigen will er »das schmachvolle Urteil des Parlaments Maupeou, von dem ihn freilich ganz Europa längst losgezählt, bescheiden zwar, aber doch nur mit der Mäßigung eines Mannes, der Ränke so wenig fürchtet, wie Ungerechtigkeiten, kassiert sehen.« Er will aber auch das Schoßkind der Minister für einträgliche, geheime Sendungen bleiben und um seine Uneigennützigkeit zu beweisen, schickt er Sartines in einem Briefe (der, wie er bestimmt weiß, Ludwig XVI. vor Augen kommen muß) 200 Louis zurück, um welche er sich angeblich zu seinem Vorteil bei der Rechnungslegung über die Wiener Abenteuer geirrt. Sartines war für so viel Geschicklichkeit und Dienstwilligkeit nicht unempfindlich, aber sonderlich erfreut ist Beaumarchais nicht, als ihm sein (vom Polizeileutnant zum Marineminister emporgestiegener) Gönner neuerdings zumutet, ein paar Libelle in London zu unterdrücken. Ton und Anliegen der Machthaber ändern sich allmählich in dem Maße, als Maurepas mehr Anteil an Beaumarchais nimmt. Diese gnädigen Gesinnungen des Premiers wachsen von Tag zu Tag: der alte Egoist unterhält sich fast mit niemandem lieber und besser, als mit dem Dichter des »Barbier von Sevilla«, dessen Komödie nun endlich, Donnerstag 23. Februar 1775, zum erstenmal aufgeführt und zu allgemeinem Erstaunen von einem mehr als wohlwollend gesinnten Publikum – abgelehnt wird. Gudin selbst bekennt, daß »ein Stück, das ihn bei der Vorlesung entzückt hatte, bei dieser ersten Aufführung durch – das Übermaß von Witz langweilte«; La Harpe wieder klagte, daß die Scherze allzu derb und possenhaft seien.

Die eigentliche Schuld an dem Mißerfolg trug der unglückliche, in London entstandene und (S. 216) Garrick angekündigte Plan, die Komödie, noch dazu mit unbegreiflicher technischer Unbeholfenheit, auf fünf Akte auszudehnen. So hatte Beaumarchais den dritten Aufzug just mitten in der Musiklektion entzweigeschnitten und einen Aktschluß beliebt, der den wunderlichsten Zwischenspielen der »Eugénie« nachgebildet erscheint. Der verkleidete Almaviva fragt Rosine: »möchten Sie uns nicht das hübsche Ritornell zum besten geben?« Und die Antwort lautet: »Gerne! Zuvor aber müssen wir zum Klavier in das Nebenzimmer gehen.« Grund genug, den Vorhang fallen zu lassen. Zu Beginn des nächsten Aufzuges erschien dann Bartolo mit der Versicherung: »Ich habe keine Note überhört, das Ritornell ist wunderschön, aber Rosine hat Recht, morgen lasse ich das Klavier in den Salon schaffen«: ein Vorhaben, das Beaumarchais selbst (wenn auch nicht über Nacht, so doch binnen drei Tagen) ins Werk setzte. Der Flügel wurde auf die Szene gestellt, alle Fehler, alle Längen aber zwischen der ersten und zweiten Aufführung, von Donnerstag bis Sonntag getilgt. Beaumarchais strich das Stück tapfer auf vier Akte zusammen, und in dieser neuen Bearbeitung, die in der Hauptsache nur die Zutaten der Londoner Umgestaltung beseitigte und auf die frühere straffere Fassung der »Komödie« zurückging, griff der »Barbier« nun siegreich durch. Böse Zungen meinten wohl, der Beifall rühre nur von bezahlten Klatschern her; der Autor habe sich »in Viere zerrissen, um die Gunst der Zuhörer zu gewinnen: besser aber wäre es gewesen, seine vier Akte in Stücke zu reißen etc. etc.« Der glückliche Dichter kümmerte sich um diese neidischen und boshaften Redereien fürs erste nicht; ihm genügten die starken Einnahmen, welche die Komödie machte. Die gestrichenen Stellen (unter anderem die köstliche, später für den »Tollen Tag« benutzte Tirade vom Goddam, als dem Wunderwort, das dem Fremden auf englischem Boden jede weitere Kenntnis des Englischen erspare) waren für seine späteren Werke nicht verloren. Was er aber sonst noch Launiges und Bissiges auf dem Herzen hatte, das sprach er in einer Vorrede aus, die seinen damaligen Gönnern fast lustiger erschien, als das Stück selbst. Beaumarchais kleidet seine Selbstverteidigung in die Form eines »maßvollen Briefes über den Durchfall und die Kritik des Barbier von Sevilla«:

»Auftritt der Autor, bescheiden gekleidet, um dem Leser mit demütigem Kniefall sein Stück darzubieten.« Er hofft, ihn in einem der glücklichen Augenblicke anzutreffen, in welchem er sorgenfrei, zufrieden mit seiner Gesundheit, seinen Geschäften, seiner Geliebten, seinem Essen und seiner Verdauung einen Augenblick an der Lektüre des »Barbier« Gefallen finden könne. Wenn aber zufällig seine Gesundheit gerade angegriffen, sein Vermögen gefährdet, seine Schöne treubrüchig oder sein Magen verstimmt sei, dann möge der Leser das Buch beiseite legen und lieber seine Haushaltungsbücher oder das nächstbeste philosophische, theologische, moralische, politische, ökonomische oder diätetische Werk zu Rate ziehen. Ist aber sein Zustand derart, daß er ihn schlechterdings vergessen muß, dann solle er das Journal von Bouillon zur Hand nehmen und hernach. ein oder zwei Stunden gemächlich verschlafen. Dieses (wenn wir nicht irren, von Marin mitbegründete) Blättchen vernichtet nämlich den »Barbier« gründlich. Vor einem wohlgeneigten Auditorium sei es dem Dichter, dank der Zauberkraft einer geschickten Vorlesung, zwar gelungen, die Schwächen des Werkes zu verbergen; seither aber hätten ihn die Kritiker seiner Pfauenfedern beraubt und als schwarzen Raben mit all seiner Gefräßigkeit und Frechheit hingestellt. Trotzdem bittet er den Leser, ihn selbständig zu beurteilen: denn berufsmäßig seien die Skribler Gegner der Schriftsteller: – ( par état les gens de feuilles sont souvent ennemis des gens de lettres). Prüfe mich deshalb selbst, o Leser: kommt doch gleich nach der Wonne, die Menschen zu beherrschen, die Ehre, sie zu richten. Der Leser entscheide aber in zweiter Instanz und entkräfte deshalb bisweilen den Spruch der ersten Instanz, der Zuschauer. Nun hätten wohl auch diese fleißig gelacht bei seiner Komödie, allein der Journalist von Bouillon habe ihn darüber aufgeklärt, daß diese Heiterkeit nicht dem Stück, sondern nur dessen Autor gegolten habe. Genau besehen, sei diese Wendung jedoch nur ein Advokatenkniff, denn da sein einziger Vorsatz gewesen, das Publikum zu unterhalten, genügt es, daß man überhaupt gelacht, gleichviel, ob über ihn selbst oder über sein Stück, sofern man nur aus vollem Herzen gelacht habe. Der Kritiker von Bouillon hat nun freilich gemeint: »der Barbier« sei eine Farce, aber der Schimpfname, den ein Ausländer Koch den französischen Ragouts anhängt, schade ihrer Schmackhaftigkeit weiter nicht. Die »Farce von Bouillon« hat aber auch keinen Plan, meint unser Kritikus. Ist er ihm vielleicht entgangen, weil er zu einfach ist? Ein verliebter Alter soll morgen sein Mündel heiraten: ein junger, gewandter Liebhaber kommt ihm zuvor und führt an demselben Tag, im Haus des Vormunds, ihm zum Schabernack, die Braut heim. Der Maschinist des Durcheinander ist aber ein durchtriebener Bursche, ein Hans Ohnesorgen, der über Erfolg und Mißerfolg seiner Unternehmungen gleicherweise lacht. Nichts natürlicher, als daß das Werk eine ungemein lustige Komödie wurde. »Hätte ich aber, statt bei meinem komischen Einfall zu beharren, meinen Plan ins Tragische oder ›Dramische‹ verkehren wollen, so hätte mir gewiß nicht der Anlaß dazu gefehlt bei einem Abenteuer, dessen wenigst wunderbare Motive ich auf die Bühne gebracht. Denn alle Welt weiß ja, daß gerade in dem Augenblick, in dem mein Stück fröhlich abschließt, hinter dem Vorhang der Zank wegen der schuldigen hundert Taler zwischen Bartolo und Figaro sich erst recht erhitzt. Von Beleidigungen geht man zu Schlägen über. Der vom Barbier geprügelte Doktor reißt Figaros Haarnetz hinunter und mit einemmal sieht man nicht ohne Überraschung eine Art von Spatel auf dem geschorenen Haupt des Barbiers eingebrannt. So windelweich Bartolo auch geprügelt ist, dies Schauspiel rührt ihn; bewegt ruft er aus: ›mein Sohn, o Himmel, mein Sohn!‹ Aber noch bevor ihn Figaro recht verstanden, hat er ihn mit verdoppelten Püffen heimgesucht. Und doch ist der Barbier der natürliche Sohn Bartolos. Bevor der heutige Vormund Rosinens, dazumal noch Frater, Marcellinen verließ, hat er sein Spatel zum Glühen gebracht und seinem Knäblein damit am Hinterhaupt ein Zeichen eingebrannt, um ihn wiederzuerkennen, wenn sie das Geschick jemals zusammenführen sollte. Mutter und Kind hatten sechs volle Jahre in ehrenhafter Dürftigkeit verlebt, als ein Zigeunerhauptmann, mit seiner Truppe auf einem Streifzug durch Andalusien begriffen, von der Mutter über die Zukunft ihres Sohnes befragt, das Kind stahl und an seiner Statt das zweideutige Horoskop zurückließ:

Nachdem er das Blut seiner Mutter bedroht,
Bedrängt er den Vater mit Not und Tod,
Kehrt dann gegen sich das eigene Schwert,
Stößt zu – und wird jählings beglückt und geehrt.

Heute geht das Orakel in Erfüllung. Da Figaro Marcelline am Fuß zur Ader gelassen, erwahrt er die erste Verszeile; da er (nach dem Fallen des Vorhangs) seinen Vater Bartolo durchwalkte, die zweite; und inmitten der rührenden Erkennungsszene bereut Figaro seine Heftigkeit gegen den Doktor dermaßen, daß er das Schermesser gegen die eigene Brust zückt (Vers 3). Da ich ihm aber die Wahl vorbehalte, sich den Hals oder bloß den Bart abzuschneiden, kann ich mein Stück so pathetisch oder lustig als möglich beschließen. Heiratet Bartolo zu guter Letzt Marcelline, so kommt auch die vierte Verszeile zu Ehren: welche Lösung! Und all das hätte mich nur einen sechsten Akt gekostet, und welchen sechsten Akt! Niemals hat eine Tragödie auf dem Théâtre français – doch genug! Bleiben wir bei unserem Stück, so wie es gespielt und kritisiert wurde. Wenn man mir griesgrämig vorwirft, was ich gemacht habe, dann ist nicht der richtige Augenblick gekommen, das zu loben, was ich hätte machen können«!

In diesem Punkte war der Prinz von Conti anderer Meinung als Beaumarchais. Ihm gefiel dieser in parodistischem Übermut hingeworfene Plan so außerordentlich, daß er den Dichter dringend aufforderte, ihn ja nicht fallen zu lassen: eine Mahnung, die Beaumarchais bekanntlich wohl beherzigt und im »Tollen Tag« verwirklicht hat.

Auch die anderen Abfertigungen vorlauter Tadler sind ebenso witzfunkelnd, wie überzeugend:

»Kenner haben bemerkt, daß ich die Ungebührlichkeit begangen habe, französische Zustände von einem andalusischen Spaßvogel in Sevilla kritisieren zu lassen, da doch die Wahrscheinlichkeit gebot, daß er sich nur über spanische Sitten lustig machte; sie haben recht; ich selbst dachte anfangs so ernstlich daran, daß ich fast gewillt war, das Stück (übrigens eines der lustigsten, das je auf dem Theater erschien) in spanischer Sprache zu schreiben und darstellen zu lassen. Ein Mann von Geschmack gab mir jedoch zu erwägen, daß die Komödie infolgedessen ein wenig von ihrer Heiterkeit für das Pariser Publikum verlieren könnte etc.«

Eine Antwort, die ja ebenso schlagend für das Spanien des Gil-Blas und für die orientalischen Geschichten Montesquieus, Voltaires und Diderots gilt; da man den Machthabern nicht frei ins Angesicht trotzen durfte, mußte man sich mit möglichst durchsichtigen Masken helfen.

»Ein anderer Liebhaber warf mir (und das just in dem Augenblick, in welchem sehr viele Leute im Theaterfoyer ernsthaft aufhorchten) vor, meine Komödie gleiche dem Sedaine'schen Singspiel ›Man kann nicht an alles denken!‹ ›Nur gleichen?‹ entgegnete ich. ›Ich erkläre rundweg, daß mein Stück gar nichts anderes ist als: Man kann nicht an alles denken.‹ ›Und wie das?‹ ›Je, nun, man hat zuvor noch nie an mein Lustspiel gedacht …‹; der Liebhaber blieb mit offenem Munde stehen und man lachte ihn um so rechtschaffener aus, als derjenige, welcher mir vorwarf, ›man denkt niemals an alles‹, ein Mensch ist, der niemals an irgend etwas gedacht hat.« Die gleiche Abfertigung gilt allen übereifrigen Motivenjägern, die seit der Uraufführung des Barbier bis auf unsere Tage, – von den Cent nouvelles nouvelles, Molières Schule der Ehemänner, La Fontaines Contes bis auf Regnards Folies Amoureuses, Lesages Geschichte des Barbierjungen, Panards Comte de Belflor, die » Précaution inutile« des Gherardischen Théatre Italien, – immer andere Urbilder und Entlehnungen Beaumarchais' aufspüren wollten. Zweifellos hat der Dichter bewußt und unbewußt Gelesenes und Gesehenes ausgenommen, sicherlich aber ist er im »Barbier« weit mehr ein Neuerer, als ein Erneuerer. Durchweg hat er die alte Form der Intrigenkomödie mit seinem eigenen Denken und Können verjüngt, durchweg die überkommenen Masken des eifersüchtigen Alten, des jugendlichen Entführers und des gefangenen Mündels in leibhaftige Menschen umgewandelt und im verleumderischen Erzhallunken Basilio, vor allem aber in seinem Ebenbild Figaro zwei Charaktere geschaffen, die keiner ihm vor- oder nachgemacht hat. Der Quellsprung des »Barbier von Sevilla« stammt aus Beaumarchais' eigenstem Wesen; er hatte darum leichtes Spiel, alle plumpen Ankläger seiner Komödie – nach seinem eigenen, stolzen Wort einer der heitersten aller Zeiten und Völker – mit rächendem Witz abzuweisen.

Für das Schlußfeuerwerk versparte sich Beaumarchais aber die Erklärung der Gründe, aus welchen er seiner ursprünglichen Absicht zuwider keine Spieloper aus dem Stücke gemacht. Seine überraschende Antwort widerspricht diesmal jedoch in persönlicher und sachlicher Beziehung der Wahrheit. Er gibt die Schuld seiner Sinnesänderung einzig und allein der französischen Musik, die auch im Drama zu sehr an der sangbaren Coupletmanier festhalte, dieselben Motive allzuoft zu Wiederholungen des Textes mißbrauche und gar zu eigenmächtig mit dem Wort des Autors umgehe. Mit solchen Behauptungen steht nicht allein die geschichtliche Entwicklung der französischen Spieloper in Widerspruch, die gerade in jenen Jahren, dank Philidor, Monsigny und Gretry, einen echtnationalen Stil ausbildete, den ein schöpferischer Meister wie Boieldieu in unserem Jahrhundert in einem klassischen musikalischen Lustspiel zu reiner Vollendung emporführte. Seine Klage über die Unnatur der französischen Musik, vielleicht nicht ganz ungegründet, soweit dabei die große Oper zur Frage steht, wird unhaltbar den heiteren, gefälligen, halb gesprochenen, halb gesungenen Weisen der Opéra comique gegenüber. In dieser schönen Blütezeit des französischen Singspiels gilt das Wort mindestens so viel wie die Melodie, das Textbuch wird von gleicher Bedeutung wie die Tondichtung, und nicht umsonst stehen im Foyer der Opéra comique die Marmorbüsten von Sedaine, Favart und – Beaumarchais neben den Bildsäulen der bahnbrechenden Tonsetzer jener Tage. Der »Barbier von Sevilla« ist denn als echtes und rechtes Singspiel gleich nach seinem Erscheinen von italienischen und französischen Komponisten, Paisiello und Isouard, in Musik gesetzt worden, aber nicht einer hat Beaumarchais' Beifall gefunden, der ja unbegreiflicherweise späterhin auch der Mozartschen »Hochzeit des Figaro« keinen Geschmack abgewann. Vielleicht hätte er sich auch gegen die zweite Weltoper, zu welcher er ahnungslos das Libretto schrieb, eigensinnig verschlossen: Rossinis Barbiere di Seviglia, diese einzige opera buffa, der Rosine, Almaviva, Figaro und Bartolo das Heimatrecht in allen Ländern und Zungen zu danken haben. Die grundlegende neuere Arbeit gab Boutaric: Corresp. secrète de Louis XV. (2 Bde., Paris 1866). Vgl. auch Broglie, Le secret du Roi. Paris, 2 Bde., 1879.


Nach dem großen Siege der Mémoires war Beaumarchais nach England gegangen. Ein gleiches wiederholt er nach dem Erfolge des »Barbier«. Auch die gleichen phantastischen Pläne erfüllen ihn bei diesem neuen Ausflug. Den Freunden sagt er zwar, Maurepas habe ihm wiederum einen Libellhandel ans Herz gelegt; insgeheim schreibt er aber Ludwig XVI., er sei es müde, immerfort nur die Otternbrut zu zertreten; er wolle dem Könige lieber zuverlässige Berichte über englische Zustände und Kolonialfragen zukommen lassen. Dabei glaubt er seine Verdienstlichkeit zu erhöhen, wenn er wiederum erzählt, der Dienst des Königs habe sein Leben neuerdings ernstlich gefährdet: schon auf der Hinreise, in Frankreich, habe er einen Reiter bemerkt, der ihm beständig nachgesetzt, und als er seine ursprüngliche Route infolgedessen aufgegeben und die Überfahrt in einem kleinen Boot nach Hastings (statt nach Dover) gemacht, sei er auf englischem Boden erst recht von Spionen geplagt, in anonymen Briefen mit dem Tode bedroht worden, wenn er London nicht sofort verlasse etc. Die Hartnäckigkeit Beaumarchais', ohne Vorwissen der Minister solcherart das Ohr des Königs zu gewinnen, entsprang übrigens nicht bloß romanhaften Gelüsten: seit Jahren und Jahren dürfte er, vielleicht durch Paris Duverney, Conti, La Borde, von dem secret du roi, der Geheimdiplomatie Ludwigs XV., gehört haben, die ihren dunklen Geschäftsträgern mancherlei Bedrängnis, aber außergewöhnliche, fette Einnahmen einbrachte. Und was dem Vielerfahrenen an dem Allerweltsgeheimnis etwa noch dunkel geblieben, das enthüllte ihm der vielberufene Chevalier d'Eon, der sich späterhin in seiner Weibermaskerade berühmte: er trage die Witwentrauer um das secret du roi – als der richtige Hanswurst für die diplomatische Tragikomödie Ludwigs XV.

Schon im vorigen Jahrhundert war es allbekannt, daß dieser Herrscher sich sozusagen das Amt des Oberst-Ränkemeisters an seinem Hofe vorbehalten hatte. Es war ihm eine Lust, seine eigenen Minister auszuspionieren, neben den offiziellen Leitern des auswärtigen Amtes sich von geheimen Ratgebern, wie dem Grafen von Broglie, eingehende Berichte aus allen Reichen übermitteln und begutachten, mehr als einmal sogar seinen Botschaftern neben den Staatsdepeschen ihrer amtlichen Chefs durch seine Geheimagenten gerade entgegengesetzte Weisungen zukommen zu lassen: kurz, ein Versteckenspiel aller gegen alle anzustiften und sich selbst seine unheilbare Langeweile ein wenig zu vertreiben, indem er (vermeintlich) seine öffentlichen und geheimen Minister gleicherweise zum besten hielt. Die Pompadour und Choiseul waren aber sehr genau unterrichtet von dieser Liebhaberei Ludwigs XV.; sie wußten, daß er in der Schule seines ersten Lehrers und Staatsministers Fleury nach dem Wunsche und Willen dieses gleißnerischen Priesters die Gewohnheit angenommen, nie tatkräftig in die Geschäfte einzugreifen, sondern mit schadenfroher Hinterlist seine Würdenträger auszukundschaften. Auch ließen ihn seine Mätressen und Minister frei dieser Neigung nachhängen; wußten sie doch, daß dieser Schattenkönig weniger Macht besäße als ein Advokat des Châtelet: chaque ministre étoit plus roi que lui; Ludwig XV. würde, das war die allgemeine Überzeugung seiner Höflinge, ohne weiteres seine Abdankung unterschrieben haben, wenn man ihm die Urkunde im Conseil nur geschickt genug in die Hand gespielt hätte. Nur dann und wann, meist aus persönlicher Rachsucht gegen einen intriganten Nebenbuhler, störten die Minister die diplomatische Spielerei des Königs, der sogleich, wie ein ertappter Schulknabe, seine geheimen Vertrauensmänner herzlos dem Haß ihrer Feinde preisgab. Diese bequeme, von Leuten wie dem Grafen Broglie geduldig hingenommene Übung bekam ihm aber sehr schlecht einem hitzköpfigen Abenteurer gegenüber, wie d'Eon, dessen Schicksale unlöslich mit dem secret du roi verbunden sind. »Schwarzer Fuchs« war das Schlagwort für den englischen Gesandten Williams; das »Sinken der Zobelpreise« sollte die Abnahme des Einflusses von Bestuscheff bedeuten etc. Gaillardet: Mémoires sur la chevalière d'Eon. Pièces justif. S. 376 ff.

Vom kleinen burgundischen Landjunker hatte sich dieser merkwürdige und begabte Mann in Paris zum Doktor der Rechte, Zensor, literarischen Dilettanten, vor allem aber zum Liebling hochadeliger Familien, der Stainville, Belle-Isle, Nivernais etc. emporgearbeitet; er galt als findiger Kopf. Den entscheidenden Umschwung seines Geschickes führte aber seine eigentümliche, frauenhaft zarte Erscheinung herbei. Und zwar kam das folgendermaßen:

Mitte der fünfziger Jahre hatten alle diplomatischen Beziehungen zwischen Rußland und Frankreich aufgehört; Conti, dazumal – freilich nur für sehr kurze Zeit – der Depositar des secret du roi, von dem ehrgeizigen Wunsch erfüllt, mit Hilfe von Elisabeth, die er sogar heiraten wollte, König von Polen oder zum mindesten Herzog von Kurland und russischer Armeekommandant zu werden, setzte alles ins Werk, die Spannung zwischen den beiden Mächten auszugleichen. Auch Ludwig XV. hielt es – kurz vor Ausbruch des siebenjährigen Krieges – für unerläßlich, mit der Zarin freundliche Beziehungen anzuknüpfen. Auf geradem Wege ging das nicht, denn der Kanzler Bestuscheff stand in englischem Sold. Da verfiel der König (oder Conti) auf den Einfall, einen geheimen Agenten (und zwar einen Sohn Großbritanniens, Douglaß) unter dem Vorwand einer geologischen Forschungsreise nach Rußland gehen und (in der Chiffernschrift eines Pelzhandels) Bericht über die dortigen Zustände erstatten zu lassen. Da aber bei der Wachsamkeit des Petersburger Kanzlers zu besorgen stand, daß Douglaß vielleicht schon an der Grenze abgewiesen würde, gesellte man ihm d'Eon bei, der – auf Wunsch Contis oder des Königs – Frauentracht anlegte und in dieser Verkleidung wirklich bei Hof Eingang gewann, der Kaiserin eigenhändige Briefe Ludwigs XV. in die Hände spielte, das Wohlgefallen der Zarin erregte und – es ist ein Epigramm der Geschichte! – in dem Einbanddeckel eines Exemplares von Montesquieus Esprit des lois eine eigenhändige Antwort Elisabeths an den König von Frankreich glücklich über die Grenze brachte. Es ist keine Frage, daß sich d'Eon in dem folgenden Jahrzehnt als diplomatischer Agent in Rußland und England durch seine Fähigkeit und Weltläufigkeit Verdienste um sein Vaterland erwarb; er hintertrieb in Petersburg alle Machenschaften Bestuscheffs; er ließ es sich nach Ausbruch des siebenjährigen Krieges auch nicht nehmen, unter Broglies Kommando als Dragoneroffizier sich tapfer zu schlagen; er war ferner, nach dem unglücklichen Ausgang des Feldzuges, der Sekretär des schöngeistigen Herzogs von Nivernais, »dieses Anakreon der Politik«, der in London die Friedensverhandlungen leiten sollte, alles und jedes aber der Gewandtheit und Tatkraft d'Eons überließ. Dem ehrgeizigen Chevalier glückten denn auch ein paar Husarenstücklein; er bezecht einen englischen Staatssekretär, dem er in der Trunkenheit das Ultimatum der Friedensbedingungen entwendet, ist im Fluge mit diesen Präliminarien in Versailles, hat solcherart einen gewissen Anteil an einigen glimpflichen Bestimmungen des Vertrages und erfährt die (in diplomatischen Kreisen anfangs als unglaublich bezweifelte) Auszeichnung, von dem englischen Hof mit dem Ehrenamt betraut zu werden, die Ratifikation des Friedens nach Versailles zu überbringen. Nichts natürlicher, als daß Ludwig XV. dem »kleinen« d'Eon, den er immer gut leiden mochte, zu seinen bisherigen Pensionen und Gnadengaben die Gunst einer außerordentlichen Audienz angedeihen läßt, in der er ihn umarmt, mit den Worten: »Er bringt mir Glück!« Gleich darauf schickt der König diesem vrai dragon au cabinet et à l'armée das Ludwigskreuz und als bald nachher der Herzog von Nivernais der englischen Nebel überdrüssig wird, empfiehlt er seinen zeitweiligen Stellvertreter zu seinem Nachfolger. d'Eon wird Form Rechtens zum ministre plénipotentiaire ernannt. Und seiner offiziellen Standeserhöhung gesellt sich als höchster Vertrauensbeweis des Monarchen eine geheime Weisung: nicht bloß nach wie vor das secret du roi zu wahren, sondern Ludwigs XV. grand projet zu fördern, das, unmittelbar nach dem Friedensschluß mit England, ein Rachewerk bezweckte. Im Auftrag des Königs nahmen nämlich französische Offiziere und Ingenieure Vermessungen der britischen Küste etc. vor, denn Ludwig XV. gedachte die stolze Seemacht unversehens durch eine Landung zu überraschen und zu demütigen. In eigenhändiger Zuschrift verständigte der Monarch d'Eon von seinem Vorhaben, in betreff dessen er ihm tiefste Verschwiegenheit auftrug. Kein Wunder, daß der Chevalier, der das »Sekretarisieren« längst satt hatte, sich als wohlbestallten Geschäftsträger ansah. Soweit wäre seine Laufbahn, nach modernen Begriffen, auch vollständig begreiflich; d'Eon war der richtige Mann an der richtigen Stelle, und er hätte seine Sache ohne Frage geschickter gemacht als alle folgenden französischen Botschafter in London, die Guerchy, Guines und Adhémar, die ihre diplomatische Talentlosigkeit durch die Skandale ihres Privatlebens wettzumachen glaubten. Dazumal jedoch war noch die gelobte Zeit der Günstlingswirtschaft, von der Figaro erzählt: »man will mir eine Stelle zuwenden, unglücklicherweise war ich derselben vollkommen gewachsen; das Amt bedurfte eines Rechenmeisters – selbstverständlich verlieh man es also einem Tänzer.« Während d'Eon sich immer behaglicher in seine neue Tätigkeit einlebte, fiel es dem Herzog von Praslin ein, einen völlig unfähigen Aristokraten, Guerchy, zum Botschafter in London zu ernennen; der neue Diplomat soll seine Stelle durch die Nachsicht verdient haben, die er als Eheherr dem Minister gegenüber walten ließ. Mit dieser Gunstbezeugung für den gefälligen Gatten dachten die Pariser Machthaber zugleich d'Eon dafür zu strafen, daß er ihnen trotz wiederholter persönlicher Mahnungen und privaten Warnungen keinen Einblick in die letzten Zwischenfälle seines intimen Briefwechsels mit Ludwig XV. und dessen »geheimem« Minister des Auswärtigen gewähren wollte. Praslin wies deshalb d'Eon kurzweg an, sich sofort seiner Würde als ministre plénipotentiaire zu begeben und wiederum den Titel eines Sekretärs anzunehmen. d'Eon widersetzt sich dieser Degradation auf das entschiedenste und schlägt dabei einen desto insolenteren Ton an, je lebhafter Ludwig XV. seine Handlungsweise durch Broglie insgeheim gutheißt und ihm einschärft, alle das secret du roi betreffenden Aktenstücke aus dem Botschaftshotel zu entfernen und an sicherem Orte zu bergen, denn Choiseul setze alles daran, sich mit List oder Gewalt dieser Papiere zu bemächtigen. d'Eon, den sich in seiner Eigenliebe durch die Huld des Königs ebenso geschmeichelt, wie von den Ministern gekränkt fühlt, gefällt sich nun in einem Federkrieg mit seinen hochgeborenen diplomatischen Gegnern, in dem aller Witz und Geist, nicht aber der Erfolg auf seiten d'Eons blieb. Figaro behielt dazumal nur auf der Bühne recht, aber der Barbier von Sevilla so wenig als sein geistiger Urheber hätten sich der Absagebriefe zu schämen, die d'Eon an seine Gegner richtete. Guerchy, der ihm hoffärtig geschrieben, »nur der Zufall habe ihm zu seiner Stellung verhalfen«, fertigt er u. a. also ab: »Schon Salomo hat vor geraumer Zeit gemeint, alles hienieden sei Zufall und Gelegenheit, Glück und Unglück; ich muß bescheiden hinzufügen, daß der Zufall, welcher den Titel eines ministre plénipotentiaire einem Manne zukommen ließ, der ein Jahrzehnt hindurch erfolgreich diplomatische Verhandlungen durchgeführt hat, keiner der blindesten auf Erden war. Übrigens kann jeder Eine nur durch Vergleich mit Einem oder mehreren anderen gemessen werden – von gewissen Fällen abgesehen, in welchen die Männer nach ihren Frauen bewertet werden.« Der blutige Hohn dieser Anspielung genügt d'Eon nicht; er schreibt geradewegs: Guerchy wolle ihm sein Gratiale abnehmen, damit die Gläubiger des neuen Botschafters nicht vor den Pforten seines Palais die danse des cocus aufführen. Guerchy und Praslin waren die letzten, sich solchen Trotz bieten zu lassen, sie wollten d'Eon rundweg absetzen, in die Heimat zurückrufen und daselbst für einige Zeit in sicheren Gewahrsam bringen. Der König hatte zwar weder Mut noch Lust, diesem Andringen seiner Minister sich zu widersetzen; während er aber im Conseil ihre Strafanträge gegen den unbändigen d'Eon guthieß, schrieb er ihm insgeheim:

Versailles, 4. Oktober 1763.

Sie haben mir in Frauenkleidern ebenso nützlich gedient wie in denjenigen, welche Sie jetzt tragen; bedienen Sie sich wieder jener Tracht und ziehen Sie sich in die City zurück. Ich verständige Sie davon, daß der König heute, doch nicht eigenhändig, sondern bloß mit dem Stempel, der seinen Namenszug trägt, den Befehl ausgefertigt hat, demzufolge Sie nach Frankreich zurückkehren sollen. Ich trage Ihnen dagegen auf, mit all Ihren Papieren in England zu bleiben bis zu dem Zeitpunkt, in welchem ich Ihnen weitere Weisung erteilen werde. Sie sind in Ihrem Hotel nicht sicher: Sie werden da mächtigen Feinden begegnen.

Louis.

d'Eon fiel der Brief aus den Händen. Was hatte er von der Festigkeit eines Herrschers zu hoffen, der ihn opfern ließ, ob er gleich nur seinen geheimen Aufträgen gehorcht hatte? Wohl mußte er es über sich ergehen lassen, daß er als »Narr« und »Hochverräter« seines Amtes entsetzt wurde; aber er selbst berühmt sich, daß man die Dinge unmöglich weiter treiben könne, als er das getan; er trägt seine Privathändel mit Guerchy in die Öffentlichkeit und gibt seinen ganzen Briefwechsel mit Praslin und dessen neuem Botschafter – eine fast unerhörte Indiskretion – in einem heute noch lesenswerten Bande » Lettres et mémoires« zum besten. Ludwig XV. schont er wohlweislich als seinen Brotherrn vor dem Publikum, doch gibt er ihm in seinen Korrespondenzen zu verstehen, er könnte aus seinen eigenhändigen Briefen nachweisen, daß der König von Frankreich eine Restauration der Stuarts und einen Überfall des englischen Gebietes geplant und vorbereitet habe. Ferne sei es von ihm (d'Eon), sein Vaterland ohne Not zu verraten; wenn aber der König ihn schon vor der Welt preisgebe, so müsse er ihm insgeheim beistehen gegen seine Widersacher. Denn während d'Eon Ludwig XV. also mit der Drohung einschüchtert, er werde, wenn man ihm nicht ausgiebige materielle Genugtuung zuteil werden lasse, der Opposition des Unterhauses seine Briefschaften verkaufen und damit Krieg zwischen den Nachbarreichen entzünden, – verklagt er Guerchy vor den englischen Geschworenen, er habe ihm mit Gift und Meuchelmord nach dem Leben getrachtet. Und die Stimmung der durch Wilkes aufgestachelten Massen (die d'Eon zwar als canaille und mob bezeichnet, trotzdem aber zu seiner Schutzmacht bestimmt) ist dermaßen erregt, daß die große Jury allem Völkerrecht zuwider gegen den durch die Exterritorialität gefeiten Botschafter ein Indictment ergehen läßt, des Inhalts, es lägen gegen Guerchy genügend schwere Inzichten vor, um seine Verfolgung wegen Anstiftung zur Ermordung d'Eons zu rechtfertigen. Das englische Ministerium zog wohl die Sache mit einem Acertiorari an sich, Guerchys Stellung war jedoch unhaltbar geworden. Er verlangte seine Abberufung und starb bald nachher in der Heimat, wie seine Familie versicherte, als Opfer der publizistischen und sonstigen Bosheiten d'Eons.

Ludwig XV. nimmt die Drohungen des Chevalier anscheinend gelassen hin: »ich zweifle, ob wir Krieg haben werden, selbst wenn er alles sagen sollte«. Trotzdem ist der König der Ansicht, daß »dieser Skandal ausgehalten werden muß«. Da man d'Eon ein festes Jahrgehalt von 12 000 Livres aus der königlichen Privatschatulle anweist, bleibt er auch bis zum Tode des Königs ruhig; ja er nimmt, auf ausdrücklichen Wunsch Ludwigs XV., im Juni 1765 seine geheime politische Berichterstattung wieder auf. Mit unleugbarer Federgewandtheit und Sachkenntnis berichtet er Broglie als dem Hüter des secret du roi über die Bedeutung der amerikanischen Händel, Pitts Haltung, Wilkes' Käuflichkeit etc., und sein Stilleben wird nur dann und wann durch die Wettmanie der Engländer getrübt, die große Summen auf die Preisfrage setzen, ob d'Eon ein Weib oder ein Mann. Anfangs der siebziger Jahre prügelt d'Eon »unter allgemeiner Billigung aller ehrenhaften Soldaten« solcher Wetten wegen ein paar Makler durch, die sich vergebens darauf berufen, daß nach einer Parlamentsakte jede Wette, nur nicht die auf das Leben des Königs, seiner Frau und seiner Kinder, gestattet sei. Nach dem Tode Ludwigs XV. freilich, mit dem seine ganze Existenz in Frage gestellt wurde, wird sich seine Entschiedenheit in dieser Beziehung gewaltig ändern. Vor allem überflutet er Ludwig XVI. und den Grafen von Broglie mit Enthüllungen und Bittschriften, die sich samt und sonders nicht wesentlich von Erpressungen unterscheiden.

»Niemals« – so schreibt er an Broglie – »würde die Nachwelt solche Ereignisse glauben können, wenn wir, Sie und ich, nicht alle urkundlichen Belege in Händen hätten, um dieselben und noch unglaublichere beweisen zu können; hätte ›der Advokat‹ Ludwig XV. hieß in der Geheimschrift des secret du roi immer nur l'avocat; Broglie le substitut, Nivernois le mielleux, Choiseul (wohl seiner rötlichen Haarfarbe wegen) le lion rouge, Guerchy (abschätzig genug) le mouton cornu oder le bélier; d'Eon selbst l'intrépide oder tête de dragon etc. etc. nicht die Jesuiten vertrieben und irgendeinen Malagrida zum Beichtvater gehabt, so würde all das niemanden überraschen; nun aber hoffe ich, daß der neue König einen Jesuiten weder als Beichtvater noch als Freund, gleichviel in welcher Verkleidung, ob als Kanzler, courtisan oder courtisane um sich dulden wird etc.«

Broglie verstand d'Eon und warf sich zu seinem Fürsprecher auf. Und Ludwig XVI., den diesmal wie so viel andere Male das Verhängnis traf, die Erbschaft seines Vorgängers ohne die Rechtswohltat des Inventars antreten zu müssen, hatte mit d'Eon wie von Macht zu Macht zu verhandeln, denn unablässig drohte der Chevalier, seine Papiere äußerstenfalls den Engländern zum Kaufe anzubieten. Ludwig XVI. schien es notwendig, mit d'Eon sich gütlich zu vergleichen. Der erste Abgesandte des Hofes kam aber schlecht an, d'Eon verlangte erstens unbedingte Wiedereinsetzung in seine früheren Ämter und Würden, zweitens eine Entschädigung von 318 477 Livres. Nicht viel besser erging es einem zweiten Unterhändler, von dem d'Eon 256 000 Livres begehrte. Nun dachte man in Versailles wohl daran, d'Eon langsam auszuhungern. Das läßt sich der gewitzte Abenteurer jedoch nicht bieten. Er verpfändet gegen einen Vorschuß von 5000 Pf. Sterling dem ihm befreundeten Admiral Lord Ferrers einen Teil seiner Papiere (nicht die wichtigsten: denn die auf die Restauration der Stuarts, die französische Ausschiffung etc. bezüglichen Dokumente verbarg er unter dem Fußboden seiner Wohnung, wie er emphatisch versicherte, dicht bei einer selbstgelegten Mine, um sich, wenn's not tat, mit seinem Privatarchiv in die Luft zu sprengen). Da d'Eon sich also immer wilder geberdete, wuchs die Besorgnis der französischen Machthaber, der Brausekopf könne aus Verdruß und Rache am Ende doch einen unüberlegten Streich begehen. Und es war deshalb gewiß allen Beteiligten gleicherweise willkommen, als der Dichter des »Barbier« sich zum Mittelsmann in diesen Händeln erbot. Bibl. des Mém., Mad. Campan. 152. Dutens, Mém. d'un voyageur qui se repose. Unter den Diplomaten war kaum ein Zweifel, daß d'Eon männlichen Geschlechtes. Auch Lintilhac (67, 68) ist überzeugt, daß Beaumarchais d'Eons wahres Geschlecht gekannt hat.

d'Eon hatte schon bei Gelegenheit der ersten Londoner Reise Beaumarchais' den Wunsch ausgesprochen, ihn kennen zu lernen; die Streitschriften im Prozeß Goezmann hatten diesem anderen Out-law die Anerkennung abgenötigt, es gäbe – nach der Verwegenheit des Stils und der Gedanken zu schließen – noch Männer in Frankreich. Dazumal aber (April 1774) fand Beaumarchais keine Zeit, d'Eons dringender Ladung zu folgen. Erst jetzt (Mai 1775) konnte Morande die beiden miteinander bekannt machen. d'Eon gefiel sich nicht wenig in der Gesellschaft eines Mannes, dessengleichen ihm auf seinen vielen Reisen niemals untergekommen war. Er ist entzückt, als Beaumarchais sein wohlwollender, einflußreicher Fürsprecher in Versailles werden will, denn verwickelter als je zuvor ist die Lösung von d'Eons Anliegen im Augenblick. Auf die erste Nachricht von seiner straflosen und ehrenvollen Rückkehr nach Frankreich erscheint der Sohn seines Todfeindes Guerchy in Begleitung seiner Mutter und des Herzogs von Nivernais bei allen Ministern, um zu erklären, er werde das Andenken seines Vaters an diesem Nichtswürdigen rächen, wann und wo immer er es wagen sollte, sich in seinem Vaterland zu zeigen.

Da kam ein sinnreicher Kopf auf den Einfall, alle Schwierigkeiten in der Art zu heben, daß man d'Eon zu der öffentlichen Erklärung vermöchte: er sei überhaupt kein Mann, sondern – ein Weib. Alle Weiterungen wären damit auf einen Schlag beseitigt, alle Vergehen wider die Beamtendisziplin, alle literarischen Anfeindungen Praslins und Guerchys würden dadurch als Unarten einer in ihrer Eitelkeit verletzten Frau entschuldbar und jede Forderung von Genugtuung als Narretei erscheinen. Es ist nicht genau zu ermitteln, wer (Maurepas, Vergennes oder Beaumarchais) diese possenhafte Wiederholung von d'Eons romantischer Verkleidung am russischen Kaiserhof zuerst anregte, den Politikern von Versailles galt dieses Spiel jedenfalls als große Staatsweisheit. In dem Punkte huldigte der sonst so ernste, würdige Minister Ludwigs XVI., Vergennes, genau denselben zynischen Ansichten wie Ludwig XV., der ja dem Chevalier halb zum Zeitvertreib, halb zur Rettung aus bedenklichen Verhältnissen diese Maskerade anempfahl. In den Friedensunterhandlungen Beaumarchais' war es mithin der erste und entscheidende Punkt, d'Eon zu der unumwundenen, feierlichen Versicherung zu bestimmen, er sei seit jeher ein Weiblein gewesen, das nur durch wunderbare Schicksalsfügung sich allzeit als Mann im Leben umgetan habe. Arch. des aff. étr. 1775 ff. Brit. Mus. Pièces relatives au Chev. d'Eon et à Mr. Caron de Beaumarchais (1778–1789). Eg. Mpts. II. 341. Com. fr., Beaum., Bd. VI. – D'Eon übte das Amt eines kgl. Zensors nicht ohne Witz, so schrieb er nach der Lektüre eines Marmontelschen Buches: »Ich habe dies Werk gelesen und gar nichts Bemerkenswertes daran gefunden.«

d'Eon stellt die Sache so dar, als ob Beaumarchais von ihm zum besten gehalten worden sei. Auch Gaillardet, Loménie und der Herzog von Broglie sind der Meinung, daß der Autor des »tollen Tages« den Tränen und Lügen d'Eons vollen Glauben geschenkt habe. Nach aufmerksamer (nicht immer erquicklicher) Prüfung der d'Eon-Papiere im British Museum und in den Pariser Archiven kann ich mich dieser Ansicht nicht unbedingt anschließen. Wahr ist allerdings, daß Beaumarchais dem König schrieb, d'Eon gehöre einem Geschlecht an, dem man in Frankreich alles verzeihe; wohl will d'Eon ihm unter Tränen seine Geheimnisse ( connaissance d'une partie de sa position politique et physique) offenbart haben. Ebenso fest steht aber, daß Beaumarchais gemeinsam mit Morande große Summen auf die Frauenqualität d'Eons wettete, ebenso fest steht, daß es in seinem wohlverstandenen Interesse lag, an diese Fabel nicht zu rühren. Wenn er d'Eon zu einem vernünftigen Abkommen bewegen kann, dann ist es Vergennes zufrieden, sonst, meint der Minister des Auswärtigen, mag der Chevalier tun, was ihm beliebt, die Schmach des Landesverrates werde auf ihm haften bleiben. Beaumarchais aber setzt das Vorhaben durch, d'Eon vertragsmäßig zur Erklärung seiner Nicht-Mannhaftigkeit zu bestimmen und damit ein- für allemal unmöglich zu machen. d'Eons ewige Geldverlegenheiten, kaum weniger aber seine Skandalsucht, das Verlangen, die Leute von sich reden zu machen, all das kam dem geschickten Unterhändler zustatten; die weibliche Verkleidungsrolle, welche der junge d'Eon in Rußland mit Erfolg zum besten gegeben, sollte also der Fluch seiner letzten Lebenshälfte werden. Denn all seinen früheren Leistungen, seinen nicht gemeinen Anlagen zum Trotz, ist er von dem Tag an gerichtet, an dem er die folgende, von Beaumarchais entworfene Transaktion billigte und unterfertigte. Selten ist der krauseste gravitätische Amtsstil parodistischer gebraucht worden als in diesem Schriftstück, das kurzweg in die Literatur des Groteskkomischen zu verweisen wäre, wenn nicht die nichtswürdige Leichtfertigkeit der Minister Ludwigs XVI., der gewissenlose Mißbrauch der französischen Steuergelder darin zu tragischem Ausdruck käme.

»Wir Endesgefertigte, Pierre Augustin Caron de Beaumarchais einerseits (mit besonderer Vollmacht des Königs von Frankreich ddo. 25. August 1775 beglaubigt, welche dem Chevalier d'Eon vorgewiesen und abschriftlich dem gegenwärtigen Protokolle angeschlossen wurde) und Fräulein Charles Geneviève Louise Auguste André Timothée d'Eon de Beaumont, großjährig, vormals Dragonerhauptmann, Ritter des königlichen Ludwigsordens, Adjutant des Marschalls und des Grafen von Broglie, vordem Doktor des kanonischen und bürgerlichen Rechtes, Advokat am Parlament von Paris, königlicher Zensor für belletristische und historische Werke, mit dem Chevalier Douglaß nach Rußland entsendet, um die Annäherung beider Höfe herbeizuführen, französischer Botschaftssekretär des bevollmächtigten Ministers am russischen Hofe, Marquis l'Hôpital, Gesandtschaftssekretär des Herzogs von Nivernais etc.« – d'Eons zeitweilige Bestallung zum ministre plénipotentiaire wurde absichtlich nicht erwähnt – »andererseits – sind über folgende Vertragsbestimmungen einig geworden:«

Beaumarchais fordert in Art. I und II die Auslieferung aller offiziellen, sowie der Geheimkorrespondenz zwischen d'Eon, dem verstorbenen König und den verschiedenen von Sr. Majestät mit der Leitung dieser Korrespondenz betrauten und daselbst als substitut, procureur etc. bezeichneten Personen, welche Geheimkorrespondenz unter dem Fußboden des Schlafzimmers des besagten d'Eon verborgen, aus diesem Versteck von ihm in Beaumarchais' Gegenwart hervorgezogen wurde. In Art. III verpflichtet sich d'Eon feierlich, Guerchys Andenken und Familie fortan in Frieden zu lassen. »Art. IV. Und damit eine unübersteigliche Schranke zwischen den Streitteilen aufgerichtet werde, fordere ich im Namen Sr. Majestät, daß die Verkleidung, welche bis zu diesem Tage die Person eines Mädchens fälschlich in Gestalt eines Chevalier d'Eon hat erscheinen lassen, völlig aufhöre. Und indem wir dem tugendhaften und zurückhaltenden, dabei aber tapferen und kraftvollen Betragen volle Gerechtigkeit widerfahren lassen, das sie stets in der Tracht ihrer Wahl ( habits d'adoption) bewährt hat, verlange ich unbedingt, daß das Phantom eines Chevalier d'Eon völlig verschwinde und eine öffentliche unzweideutige Erklärung über das wahrhaftige Geschlecht von Charles Geneviève etc. d'Eon vor ihrer Ankunft in Frankreich und vor der Wiederannahme ihrer Mädchenkleider diese Frage für alle Welt endgültig zur Entscheidung bringe. Fräulein d'Eon kann sich heute diesem Begehren um so weniger verschließen, d'Eon wollte hier einschalten: »als das Geschlecht der Dame durch Zeugen, Ärzte, Matronen und rechtsförmliche Urkunden erwiesen erscheint«, ein Zusatz, den Beaumarchais tilgte. Diese Weigerung gilt mir gleichfalls als Anhaltspunkt dafür, daß Beaumarchais selbst das Märchen nicht glaubte. als sie durch dessen Erfüllung in den Augen beider Geschlechter, welche sie gleicherweise durch ihre Lebensführung, ihren Mut und ihre Talente geehrt hat, nur desto interessanter erscheinen wird. Unter diesen Bedingungen werde ich ihr urkundlich freies Geleite ( sauf-conduit en parchemin) nach Frankreich zusichern; und nicht bloß Schirm und Sicherheit wird ihr der König zuteil werden lassen, er hat auch die Güte, die Jahrespension von 12 000 Livres, welche ihr der verstorbene Herrscher im Jahre 1766 bewilligt hat, in einen Leibrentenvertrag auf die gleiche Summe umzuwandeln etc.«

In gleicher und gleich umständlicher Weise verpflichtet sich d'Eon zur Annahme all dieser Bedingungen; außer den bisherigen Zugeständnissen erhebt »die Amazone« aber auch noch Anspruch auf allerlei große und kleine Vorteile und Ehrenrechte. So wünscht d'Eon, auf den Frauenkleidern das Ludwigskreuz tragen zu dürfen; weiter einen ansehnlichen Geldbetrag zur Anschaffung eines trousseau de fille; endlich die Zusage des Königs, daß er gleich Ludwig XV. alle sechs Monate sich erkundigen wolle, ob d'Eon noch lebe oder am Ende gar den Machenschaften seiner Feinde zum Opfer gefallen sei. Die protokollarische Erwiderung Beaumarchais' lautet: »In betreff des Ludwigskreuzes möchte ich die Grenzen meiner Vollmacht durch die Entscheidung einer so heiklen Frage nicht überschreiten; andererseits erscheint es mir nicht ungebührlich, diese Vergünstigung einem tapferen Mädchen einzuräumen, das, von seinen Angehörigen in Männerkleidern erzogen, alle Mühen und Beschwerden des Waffenhandwerks ertragen hat; in weiterer Erwägung, daß das seltene Beispiel dieses außerordentlichen Mädchens wenig Nachfolge unter dessen Geschlechtsgenossinnen finden wird; daß ferner für den Fall, als – die Jungfrau von Orleans (welche den Thron und Staat Karls VII. gerettet hat, indem sie in Mannskleidern focht) im Kriege irgendwelche militärische Auszeichnungen von der Art des Ludwigskreuzes erhalten hätte, der König nach Vollendung ihrer Taten ihr schwerlich diesen Lohn ihres Heldenmutes abgenommen und ebensowenig ein französischer Ritter diesen Ordensschmuck für entweiht gehalten hätte, weil er Brust und Putz ( le sein et la parure) einer Frau zierte, die auf dem Felde der Ehre sich stets würdig erwiesen, ein Mann zu sein« – –

Aus diesen und ähnlichen, in den schwerfälligsten Perioden vorgebrachten Gründen hofft Beaumarchais der neuen Jeanne d'Arc (!!) zugleich mit den 2000 Talern für ihre Ausstattung mit Mädchenwäsche und Kleidern die Erlaubnis auszuwirken, das Ehrenkreuz auch weiterhin zur Schau zu tragen. Dagegen darf d'Eon bei einer allfälligen Reise nach Frankreich weder Waffen, noch Männerkleidung mit sich führen, überhaupt »nur zum Andenken an die Vergangenheit eine vollständige Dragoneruniform, Helm, Säbel, Pistolen, Gewehr und Seitengewehr behalten, wie man die Reliquien eines geliebten Wesens sorgsam aufbewahrt«. Um übrigens diese hochwichtigen Probleme mit größter Beschleunigung zu lösen, begibt sich Beaumarchais eilends nach Versailles und überläßt es dem getreuen Gudin, sich mit d'Eon zu unterhalten. Bei Wilkes' Lord Mayors-Bankett macht der Wackere die Bekanntschaft der Amazone, die ihm mit dem angeblichen Mysterium ihres Geschlechts zugleich auch ihre narbenbedeckten Beine enthüllt. Anfangs Oktober kehrt Beaumarchais wieder nach London zurück, von Ludwig XVI. und seinen Ministern mit allen Vollmachten versehen, die Verhandlungen ganz nach seinen Vorschlägen zu Ende zu führen. Am 5. Oktober (die endgültige königliche Genehmigung stand bis zum 4. November 1775 aus) wurde die kulturhistorisch denkwürdige Transaktion geschlossen, gefertigt und mit dem »Wappensiegel« der beiden Edlen bekräftigt. Der König und seine Minister waren mit Beaumarchais' Leistungen sehr zufrieden: d'Eon aber, der anfangs mit überschwenglicher Anerkennung von Beaumarchais' Vermittlung gesprochen, wähnt sich mit einem Male übervorteilt oder richtiger nicht ausgiebig genug entschädigt für die Auslieferung seiner Geheimpapiere. Bei der Einlösung der an Admiral Ferrers verpfändeten Aktenstücke knausert Beaumarchais zur Unzeit. Der Dichter des »Barbier von Sevilla« war von diesem großgesinnten Lord auf sein Gut geladen worden. Auf der Reise nach Staunton, die Beaumarchais in Gesellschaft von Gudin und dem Grafen von Bourbon unternahm, machen die Drei unterwegs Mittagsstation. Ein Amerikaner, der in demselben Landwirtshaus speist und hört, wie die Reisegefährten Beaumarchais mit Namen nennen, tritt ihn sofort an mit der Versicherung, daß die Mémoires in Prozeß Goezmann in Philadelphia mit Begeisterung aufgenommen wurden und den Amerikanern die höchste Meinung von seinem Talent eingeflößt haben. Durch diese Begegnung gehoben, entzückte Beaumarchais mit seinen geselligen Talenten Ferrers und seinen ganzen Kreis. Hätte es nur gegolten, mit Geist und Witz zu zahlen, so würde Beaumarchais wohl nie Händel mit d'Eon bekommen haben; er verschob jedoch während seiner Anwesenheit in Staunton-Hill die Erörterung der Geldfrage von Tag zu Tag bis auf den letzten Augenblick vor der Abreise. Und als man ihn endlich nötigt, Ernst zu machen, stellt er Schuldscheine aus, die er »auf Edelmannswort« gleich nach seiner Ankunft in London bar begleichen will, sofern der Lord ihm nur gestatte, d'Eons eiserne Truhe aus seinem Palais nach Versailles schaffen zu lassen. Admiral Ferrers nimmt nach so feierlichen Zusagen keinen Anstand, Beaumarchais die gewünschte Ermächtigung auszustellen, die unser Held sich sofort zunutze macht, ohne die Wechsel deshalb einzulösen. Wohl behauptet er, diesen und ähnlichen Anklagen d'Eons gegenüber, er habe ihm damit nur Gleiches mit Gleichem vergolten, denn der Chevalier habe der französischen Regierung wichtige Aktenstücke vorenthalten. Die Erbitterung d'Eons beschwichtigt er mit solchen Antworten gewiß nicht. Ein unversöhnlicher Feind ersteht ihm damit in diesem heißblütigen Burgunder, ein Gegner von ganz anderer publizistischer Begabung, als alle seine bisherigen literarischen Widersacher.

In einer jahrzehntelangen Polemik, in Flugschriften, Mémoires an die französischen Minister, in französischen und englischen Zeitungsblättern verhöhnt und beschimpft d'Eon Beaumarchais »als den gewandtesten und angenehmsten Affen«, als »Uhrmacherjungen, der sich so dreist benehme, als wenn er das perpetuum mobile entdeckt habe«, als Thersites, als Doppelgänger des Barbiers Ludwigs XI. Olivier le Daim etc. etc. Wirksamer aber als mit so groben Schmähungen verfolgt er ihn mit talentvollen Satiren, in welchen er mit unleugbarem Geschick alle schwachen Seiten seiner Persönlichkeit hervorhebt: Beaumarchais' Selbstgefälligkeit; seine theatralische Art, »alle Staatsgeheimnisse wie Kulissengeschichten zu behandeln«; seine läppischen Spielereien mit der goldenen Kapsel; all das und manches mehr wird scharf und lustig zur Sprache gebracht. Alle ungeschickten Streiche Beaumarchais' erspäht und erfährt d'Eon. In seinen Nachlaßpapieren findet man, wie in einem Kriminalakt, die meisten Geschichten und Zeitungsausschnitte, die dem Dichter des »Barbier« zur Unehre gereichen, sorgsam gesammelt. Aber Beaumarchais kümmert sich nicht weiter um diese Verfolgungen. Die Leute in Amt und Würden, Vergennes voran, teilen ihm ja alle, selbst die glaubhaftesten Eingaben d'Eons zur Begutachtung mit. In der Öffentlichkeit überläßt er die Abfertigung des Chevalier gar nur – Morande. Galt ihm doch der ganze Handel gleichsam als Steigbügel, um sich in den Sattel zu schwingen; hatte er doch im Auftrag der Minister, gleichzeitig mit der d'Eonschen Angelegenheit, vier andere Sendungen zu besorgen! Die wichtigste selbstgewählte aber blieb: die zaudernden Machthaber Frankreichs, wenn auch nur insgeheim, gegen ihre ursprüngliche Absicht zu bestimmen, die amerikanischen Freiheitskämpfer mit Geld und Waffen zu unterstützen. Die Weltlage, die alte Politik Frankreichs, zumeist aber das tiefempfundene Bedürfnis, die Schmach des siebenjährigen Krieges wettzumachen, kamen Beaumarchais' feuriger Beredsamkeit hilfreich zustatten. Nach jahrelangen Bemühungen setzte er es endlich durch, daß Vergennes und Maurepas auf seine Pläne, vor allem auf seinen Hauptvorschlag eingingen, sich seiner als Unterhändler und Mittelsmann zu bedienen. Als aber die erste runde Million für diese große Sache in seine Hände geflossen war, blickte er mitleidig auf d'Eon und seinesgleichen hinab, auf die armseligen Gesellen, die ihn wohl schmähen, aber weder an Einfluß, noch an – Einnahmen zu kränken vermochten.

13. Rodrigue Hortalez & Cie.

Oeuvres V, 24. 25. 73. 91. – Flassan, Histoire de la diplomatie française VI, 164. Paris, 1809. – Paris, Versailles et les Provinces III, 198 ff. – Oeuvres V, 73; Loménie meint dagegen: nur die Rücksicht auf einen Rechtsstreit, der von Beaumarchais' Erben gegen die amerikanische Regierung geführt wurde, habe die Familie bewogen, aus der Gesamtausgabe alles auszuscheiden, was der gegnerischen Prozeßpartei als verfängliches Beweismittel dienen könnte: ein Argument, das niemandem recht einleuchten wird, der da weiß, wie wenig Beaumarchais seinen Vorteil in Geldfragen außer acht ließ.

De l'intrigue et de l'argent, te voilà dans
ta sphère.

Suzanne: Le mariage de Figaro. I. 1.

Einer der wenigen Irrtümer Loménies ist die Behauptung, daß kaum irgend ein zeitgenössischer Autor außer dem Herzog von Lévis eine klare Vorstellung von Beaumarchais' Bedeutung für die Sache der amerikanischen Freiheitskämpfer gehabt habe. Just das Gegenteil ist richtig. Die meisten Memoirenschreiber jener Zeit, Paladine und Volkstribunen, Salonlöwen und Publizisten, Lafayette, Brissot, der Prince de Ligne, der Abbé Georgel etc. etc. berichten, daß Beaumarchais als Vertrauensmann der französischen Regierung die »Bostonianer« (wie dazumal der Lieblingsname für die Aufständischen lautete) mit Geld-, Waffen- und Truppensendungen unterstützt habe. Auch die Depeschen des englischen Botschafters in Paris und die von Gibbon verfaßte Staatsschrift des Londoner Kabinetts beschuldigen die Minister Ludwigs XVI. vollen Einverständnisses mit Beaumarchais, der sich oft und gern berühmt: er habe »zum größten Ereignis des Jahrhunderts, der Befreiung Amerikas, mehr beigetragen als irgend ein anderer«. Und triumphierend beruft er sich in jeder kritischen Lage seines Lebens auf eine Zuschrift des Präsidenten John Jay, der ihm als Wortführer des Kongresses von Philadelphia am 15. Januar 1779 die Botschaft sendete: »Beaumarchais habe durch seine Bemühungen zu Nutz und Frommen der Vereinigten Staaten die Achtung dieser jungen Republik errangen und den Beifall der neuen Welt verdient«. Ein umfassendes Werk, das unser Autor anfangs der neunziger Jahre über diese geschichtlich bedeutsame Episode seines Lebens druckreif vollendete, konnte in den Wirren jener Tage nicht veröffentlicht und im Nachlaß nicht mehr aufgefunden werden. Teilweisen Ersatz gewähren die reich fließenden Quellen im Archiv des Pariser auswärtigen Amtes De Ligne, Oeuvres IV (Paris, 1827).. Tag um Tag können wir hier seine Tätigkeit verfolgen. Eindringliche Denkschriften werden von flüchtig einbegleiteten, letzten Posten aus London und vom Kriegsschauplatz abgelöst; die kleine und große Pariser Stadtchronik wird neben kühn ausgreifenden, geschäftlichen und militärischen Vorschlägen sorgsam gepflegt; Ausbruch eines enthusiastischen, beredt zum Ausdruck gebrachten Patriotismus stehen unvermittelt neben Zeugnissen unverfälschter Plusmacherei. Durch die Schnelligkeit und Genauigkeit seines Nachrichtendienstes beschämt und überrascht er die Minister und nicht bloß wertvolle Neuigkeiten weiß er zu melden, er offenbart erstaunlichen Scharfblick in der Beurteilung von Menschen und Ereignissen. In Zeiten, in welchen Choiseul der zünftigen Diplomatie aus seinem Schmollwinkel höhnend zuruft, ihre Uhren gingen stets um sechs Monate zu spät, ist Beaumarchais mit seinen Prophezeiungen der unabwendbaren Trennung der amerikanischen Kolonien von dem Mutterlande allen landläufigen Anschauungen fast um ein Jahrzehnt voraus. Diesen unleugbaren Talenten gesellt sich rastlose Betriebsamkeit. Alle Töne, schmeichlerische Wohldienerei und feurige Mannhaftigkeit gebraucht er, um die Trägen zu beflügeln, die Spröden zu gewinnen. Als der Prince de Ligne Beaumarchais eines Tages im Vorsaal des Ministers Vergennes trifft, fragt er ihn erstaunt: »Welcher Zufall führt Sie hierher? gilt's etwa Ihrem Figaro?« »Nicht doch!« lautete die Antwort. »Besehen Sie einmal diesen Stoß von Akten und Briefen; damit treib' ich Hexerei, denn von allen Geschäften dieser Erde bleibt doch das Schwerste, seine Papiere in ein Ministerportefeuille zu schmuggeln.« Wenn de Ligne es dazumal aber nicht begreifen konnte, daß einer der »ernsthaftesten Staatsmänner, die jemals dem französischen auswärtigen Amte vorstanden, just einen Possenreißer ( farceur) zu seinem Gewährsmann wählte«, so müssen wir bemerken: Vergennes konnte, solange die Verhältnisse ungeklärt waren, gar keine geeignetere Persönlichkeit für seine Zwecke finden als Beaumarchais, der schon im Mai 1774 an Sartines aus London schrieb: »Sollte der König irgend etwas von den hiesigen Zuständen insgeheim, rasch und zuverlässig erfahren, sollte er irgend etwas sogleich und verschwiegen getan haben wollen: hier bin ich, der in seinem Dienst einen Kopf, ein Herz, zwei Arme und – keine Zunge hat.« Das Figarowort fand williges Gehör, und da die Wiener Abenteuer sein Ansehen nicht zu erschüttern vermocht, hatte der glückliche Abschluß der Händel mit d'Eon seine Geltung nur erhöht. Die Minister sind fortan zu jeder Stunde für den gewitzten Mann zu sprechen. Sein Ehrgeiz ist damit aber nicht zufrieden; der Verkehr mit den Großen befriedigt ihn nicht, solang es noch Größere gibt, und nun, nachdem ihm gerade zuvor alle Heimlichkeiten des secret du roi offenbart wurden, regt sich mehr denn je seine alte Liebhaberei, mit den Königen selbst unmittelbare, persönliche Beziehungen zu unterhalten. Unbeschadet seiner Mißerfolge bei Karl III. und Maria Theresia wagt er sich an Ludwig XVI., dessen charakteristische Schwäche er von Anfang an durchschaute. »Der König« (so schreibt er gelegentlich an Maurepas) »ist bei aller scheinbaren Festigkeit lenksam, unselbständig, schwankend in seinem ganzen Wesen. Vergessen Sie nicht, daß er sich wiederholt vollkommen umstimmen ließ; vergessen Sie nicht, daß er als Dauphin eine unbesiegbare Abneigung gegen die alten Parlamente hegte, trotzdem aber die Wiederberufung derselben in das erste Halbjahr seiner Regierung verlegte; vergessen Sie nicht, daß er geschworen, sich niemals impfen zu lassen, trotzdem aber, acht Tage nach diesem Gelöbnis, das virus im Leibe hatte.« Dieser Haltlosigkeit und Unschlüssigkeit des Monarchen gegenüber müßte es Maurepas ein Leichtes sein, drei Aufgaben zu lösen, an welchen Ruhm und Größe des Vaterlandes hänge: erstens die Ordnung des Staatshaushaltes, zweitens die Gleichstellung der Protestanten, nicht zuletzt aber drittens die Vernichtung der englischen Übermacht durch ein Schutz- und Trutzbündnis zwischen Frankreich und Amerika. Arch. des aff. étrang. Angleterre 522. 30. März 1777. Auch bei Bancroft, History of the United States, Boston 1876. V, 526. Oeuvres V, 88. 89. Gudin, Hist. de Beaum. Bibl. de mém. Ségur I, 76. Flassan VI, 143 ff. Außer Bancroft und Laboulaye ( Hist. des états-unis, 3 vol., Hachette) vgl. a. Lecky, Geschichte Englands im 18. Jahrhundert. (Deutsche Ausgabe, Heidelberg, 1882–1884) Bd. III, 284 ff. Bd. IV, 42 ff. Doniol druckt in seinem monumentalen Quellenwerk über Frankreichs Anteil an der Begründung der Vereinigten Staaten (1885–90) die meisten (von mir Ende der siebziger Jahre im Archiv des Pariser auswärtigen Amtes durchforschten und in der ersten Auflage dieser Biographie ausgeschöpften) Briefe und Denkschriften Beaumarchais' ab. Die Bedeutung dieser Berichte und Vorschläge habe ich schon 1885 mit geziemender Wärme anerkannt. In der Beurteilung der Geschäftspraxis Beaumarchais' kann ich dagegen Doniol nicht durchweg beistimmen, wiewohl er selbst II, 611. 612 zugibt, daß Beaumarchais die Dinge durch ein Übermaß von Intrigen verwickelt hatte.

Beaumarchais war nicht der erste, welcher die Schmach des siebenjährigen Krieges, die Demütigung, welche seine Heimat durch den älteren Pitt und Clive erlitten, durch geheime Förderung der amerikanischen Unabhängigkeitsbestrebungen heimzahlen wollte. Dessenungeachtet durfte er mit Recht Akt von dem Zeitpunkt nehmen, in welchem er Ludwig XVI. beschwor, die Stunde der Rache wahrzunehmen. Denn im Kronrat herrschte in den Jahren 1774–76, bei aller Sympathie für die Aufständischen, arge Meinungsverschiedenheit. Während der Minister des Auswärtigen, Vergennes, jeder Feindseligkeit gegen England das Wort redete, mahnte Turgot im Hinblick auf die Reichsfinanzen zum Frieden, so warmherzig dieser große Staatsmann im übrigen der Sache der bürgerlichen und Handelsfreiheit jenseits des Weltmeers Sieg wünschte. Der neue Marineminister Sartines, seiner Aufgabe in keiner Weise gewachsen, zitterte vor der Möglichkeit eines Krieges, für welchen er schlechterdings keine Flotte auszurüsten vermochte, und Maurepas lehnte mit schlechten Witzen jede endgültige Entscheidung ab. Die leitenden Kreise sind zudem in voller Unkenntnis der Lage: der neue Polizeileutnant Le Noir holt seine Nachrichten über englische Zustände einzig und allein von einer Pariser Courtisane, die mit dem einen oder dem anderen Lord Beziehungen unterhalten.

Solcher Zerfahrenheit und Ratlosigkeit trat Beaumarchais, als »der lästige Sachwalter« der Amerikaner, gegenüber – vor der Ankunft Deanes und Franklins ohne Frage einer der bestunterrichteten Kenner Englands und der Vereinigten Staaten auf dem Kontinent. Denn zum Erstaunen Ludwigs XVI. und seiner Minister hat er in allen Lagern alte und neue Bekannte ausgeholt. Mit dem intimsten Freundeskreis Georgs III. hat er Fühlung durch den Staatssekretär Lord Rochford, seinen treuen Freund und Verehrer noch aus der Madrider Zeit, der Beaumarchais als »Veteranen in der Politik« allezeit freudig begrüßt und nun in England, wie vordem in Spanien, im Vertrauen auf seine »geniale diplomatische Überlegenheit« stets die wichtigsten Geheimnisse mitteilt, um seine Ansicht zu hören. Schon 1764 hatte Beaumarchais an Choiseul geschrieben: ohne besondere Mühe habe er diesen Mann durch und durch schauen können, dessen Amt es eigentlich wäre, sich zu verschleiern. Er empfahl deshalb dem Minister, diesen harmlosen, franzosenfreundlichen Schwachkopf als willenloses Werkzeug Beaumarchais' zu betrachten, der ihn gerade in Paris verachte. Und nicht nur in der Vertraulichkeit dieser Geheimkorrespondenz, auch in Junius' Briefen wird Rochford ebenso höhnisch beurteilt: »Dieser diplomatische Lord hat sein Leben auf das Studium und die Praxis der Etikette verwendet und gilt für einen gründlichen Zeremonienmeister; ich will ihm deshalb die Schmach nicht antun, ihn auf die Grammatik oder den gesunden Menschenverstand zu prüfen.« Nicht minder lebhaften Verkehr pflegt er mit Wilkes, der stolz verkündet, der persönliche Feind Georgs III. zu sein Bibl. des mém. XXXII, Brissot 302. – Vgl. die Charakteristik Wilkes', geschöpft aus autobiographischen, handschriftlichen Aufzeichnungen bei Lecky III, 135 ff. – Brissot nennt den » Courier« sogar » peut-être le seul monument, qu'on devra consulter etc.« l. c. 286.. Dieser Abgott des Mob und der Londoner Bürgerschaft findet in der Heimat Gefallen an Beaumarchais, wie er auf seinen Reisen Winckelmanns und Voltaires Bekanntschaft suchte. Er zieht unseren Helden in seine Kreise und offenbart ihm Schlachtplan und Ziele der Opposition. Er führt ihn auch mit einem jungen Amerikaner, Arthur Lee, zusammen, der bald entscheidend in die diplomatischen Verhandlungen zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten eingreifen wird. Die ausgiebigste Belehrung erhält Beaumarchais aber, dank Morande, von den allerdings nicht mehr zweifelhaften Vätern der modernen Zeitungsindustrie, den Gründern, Herausgebern und Mitarbeitern des Courrier de l'Europe, Swinton und seinem Stabe, einem Redaktionsbureau, dessen Bedeutung Brissot schwerlich überschätzt mit der Versicherung: der Courrier de l'Europe werde eines Tages vielleicht eine der wichtigsten Quellen für die Geschichte des amerikanischen Freiheitskrieges sein. Im Parlament folgt er den Reden Chathams, späterhin auch Burkes, mit Anteil und Zustimmung. Unbeirrt durch die Halsstarrigkeit des Königs Georg III., unbekümmert um die prahlerischen Versicherungen des Ministers Lord North und die Haltung der überwältigenden Mehrheit beider Häuser, gelangt er zu dem Schlusse, daß jede eigenmächtige Besteuerung der amerikanischen Kolonien durch das britische Parlament ungesetzlich und die offene Auflehnung der »Bostonianer« demgemäß vollkommen begründet sei. Früher als die meisten anderen, neun Monate vor der Unabhängigkeitserklärung, vertritt er schon die Meinung, daß der Bruch unheilbar, daß Amerika durch die Verblendung des Königs, durch die unzeitige Willfährigkeit seiner allzu getreuen Kronräte unwiederbringlich dem Mutterlande entfremdet sei. Diesen Anschauungen entstammt eine Denkschrift, welche er in der dritten Septemberwoche 1775 an Ludwig XVI. richtet: Die Amerikaner – fest entschlossen, lieber das Äußerste zu erdulden, als nachzugeben, zudem erfüllt von jener Begeisterung, welche den kleinen Stamm der Korsen den Genuesen so oft furchtbar gemacht – haben 38 000 Bewaffnete unter den Mauern von Boston. Diese Tapfern haben die englische Armee in die Notwendigkeit versetzt, entweder in dieser Stadt Hungers zu sterben oder, was unverweilt geschehen wird, ihre Winterquartiere anderwärts aufzuschlagen. Ungefähr 40 000 ebenso wohlbewaffnete und entschlossene Männer wie jene verteidigen das übrige Gebiet, ohne daß diese Achtzigtausend dem Lande auch nur einen einzigen Ackerbauer, den Werkstätten auch nur einen einzigen Arbeiter gekostet hätten. Eine Nation dieses Schlages, Sire, muß unbesieglich sein: zumal wenn ihr in dem höchst unwahrscheinlichen Fall, daß die Engländer sämtlicher Küsten Herr würden – unermeßliches Hinterland zum Rückzug offenstünde. Alle (?) einsichtigen Leute in England sind denn auch davon überzeugt, daß die Kolonien für das Mutterland verloren sind, eine Ansicht, der auch ich mich anschließe. Der offene Krieg mit Amerika ist aber für England lange nicht so verhängnisvoll wie der Bürgerkrieg, der in kurzem in London ausbrechen wird: die Verbitterung zwischen den Parteien hat den Gipfelpunkt erreicht, seitdem der König die Amerikaner zu Rebellen erklärt hat. Dieses Meisterstück einer kopflosen Regierung hat alle Kräfte der Opposition gesteigert und vereinigt. Lord Rochford, mein Freund seit 15 (?) Jahren, meinte gesprächsweise: »ich besorge, der Winter geht nicht vorbei, ohne daß ein paar Köpfe, sei es in der königlichen, sei es in der Oppositionspartei herabgeschlagen werden.« Andrerseits hat mir der Lordmayor Wilkes bei einem glänzenden Mahle, in einer Aufwallung wilder Freude öffentlich gesagt: »Seit langer Zeit erweist mir der König von England die Ehre, mich zu hassen: ich habe ihm dagegen stets das Recht widerfahren lassen, ihn zu verachten; die Zeit ist gekommen zu entscheiden, wer von uns beiden den anderen richtiger beurteilt hat und auf welcher Seite der Wind die Köpfe zu Fall bringen wird …« Die kleinste Niederlage, welche die königlichen Truppen erleiden, kann die Verwegenheit der Massen und der Opposition steigern und die Dinge in London unversehens einer Lösung entgegentreiben. Sähe sich der König genötigt nachzugeben, dann – ich spreche es mit Schaudern aus – scheint mir die Krone auf seinem Haupte nicht fester zu sitzen als die Köpfe seiner Minister auf ihren Schultern. Dieses unglückliche englische Volk mit seiner zügellosen Freiheit kann dem denkenden Menschen nur aufrichtiges Mitleid einflößen; niemals hat es die Wonne genossen, friedlich unter einem guten, tugendhaften König zu leben. Die Briten verachten und behandeln uns als Sklaven, weil wir freiwillig (!) gehorchen. Heute wurde bei zwei der reichsten Londoner Kaufleute eine Subskription eröffnet, an welcher alle Mißvergnügten sich beteiligen: das Geld kommt den Amerikanern unmittelbar, oder mittelbar den ihnen von den Holländern geleisteten Waffensendungen zugute. Allgemein besteht die Meinung, daß dieser Krieg bald auch Weiterungen zwischen England und Frankreich herbeiführen und dieser neue Zwischenfall den Sturz des gegenwärtigen Ministeriums, das heißersehnte Bemühen aller Oppositionellen, verwirklichen werde. Unser Ministerium ist schlecht unterrichtet und sieht träge und untätig all diesen Ereignissen zu, die uns an Leib und Leben gehen: ein überlegener und wachsamer Mann wäre heute in London an seinem Platze etc. Das war nicht bloß Beaumarchais' Ansicht; noch drei Jahre später schrieb John Adams aus Paris: »König und Königin sind hier sehr beliebt. Auf der andern Seite des Kanals sitzt dagegen ein König, der auf dem besten Wege ist, für die Nation der Gegenstand ganz anderer Gefühle zu werden, vielleicht schon geworden ist.« Lecky IV, 53.

Ludwig XVI. gab Beaumarchais auf diese, wie auf verschiedene andere Mémoires keine Antwort. Unverweilt wendet sich dieser nun an einen der eben wegen ihrer »türkischen Tatenscheu« beim König verklagten Räte, an Vergennes: anfangs erfolglos. Als der Unermüdliche aber in immer neuen Briefen den Minister bestürmt, ihm Ja oder Nein, überhaupt nur irgend einen Bescheid zu sagen, ob und in welcher Weise er mit seinen Berichten fortfahren solle, läßt ihn Vergennes wissen: vertrauliche, zuverlässige Mitteilungen wären willkommen, nur möge er sich vor Indiskretionen hüten, eine Warnung, die Beaumarchais mit der kräftigen Versicherung billigt: es wäre eine unverzeihliche Eselei, wenn er in einer so heikeln Sache die Würde des Monarchen oder seiner Räte irgendwie bloßstellte. »Nach seinen besten Kräften arbeiten« – so fährt er mit einer oft wiederkehrenden Lieblingswendung fort – »bedeute gar nichts in der Politik; jeder Tölpel verstände das ja, ein Vertrauensmann Seiner Majestät und seiner Minister müsse das Bestmöglichste vollenden.« Und nun beginnen ruhelose Reisen. In achtzehn Monaten fährt er achtmal von London nach Paris, unablässig von der Besorgnis gequält, der König möchte in einer »ebenso leichten, als notwendigen Entscheidung, vielleicht der folgenschwersten seines ganzen Lebens« nein sagen. Unablässig wiederholt er auch die Bitte, Ludwig XVI. möge ihn zuvor, wenn auch nur in einer viertelstündigen Audienz empfangen und zu Wort kommen lassen. Da sein Wunsch nicht erfüllt wird, versucht er es am 7. Dezember 1775, in einem höchst ergötzlichen Privatissimum Ludwig XVI. über den Unterschied von Staats- und bürgerlicher Moral zu belehren. Der Ritterlichkeit des Königs gereiche es zur Ehre, daß er sich scheue, heimlich gegen England wühlen zu lassen. In Wirklichkeit hätten die britischen Politiker, Pitt an der Spitze, kein anderes Ziel verfolgt, als ihr Vaterland auf Kosten Frankreichs und Spaniens zu vergrößern. Und wenn der König gar so heikel wäre, wie könnte er Kolonialkriege, Sklavenhandel, die Teilung Polens dulden? Wenn die Menschen Engel wären, müßte man die Politik verachten und verabscheuen. Wenn die Menschen Engel wären, bedürften sie aber auch nicht Religion, Gesetze, Beamte, Soldaten; die Erde wäre selbst ein himmlischer Aufenthalt, nicht, wie in Wirklichkeit, ein leibhaftiges Bild der Hölle. Wenn der König diese Auffassung der praktischen Politik nicht teile, dann möge er einen vielerfahrenen Mann, wie Vergennes, als Schiedsrichter zu Rate ziehen und wenn dieser Minister Ludwigs XVI. in dieser Frage Beaumarchais nicht beistimmen würde, dann wolle er Scaliger, Grotius, Pufendorf, Gravines, Montesquieu und alle anderen Meisterwerke des Staatsrechtes ins Feuer werfen und zugeben, daß sein ganzes Leben verloren gewesen, da es ihn nicht dahin gebracht habe, seinen Herrn in einer Sache zu überzeugen, die ebenso klar als bedeutungsvoll für seine Interessen sei. Bei dieser Gelegenheit fehlt es wiederum nicht an der Wendung, daß mündliche Erörterung seinen Gedankenaustausch mit dem König wesentlich fördern würde. Und da Ludwig XVI. auch diesmal seinem Drängen nicht nachgibt, ruht Beaumarchais nicht, bis er eine Woche später mindestens eine schriftliche Erklärung des Königs erzwingt. Kurz vor Abschluß der d'Eonschen Händel weiß er an ihn einen Fragebogen gelangen zu lassen, in betreff einiger Ansprüche des Chevalier, deren Berechtigung Ludwig XVI. persönlich prüfen soll. Und der junge König, der in diesen Tagen arglos eine geheime Privatkorrespondenz mit einem intriganten Glücksritter, dem Marquis de Pézay, unterhält, antwortet auch Beaumarchais in eigenhändigen Randnoten. Der Briefsteller geht aber im Verlauf seines Schreibens auf ganz andere Gegenstände seiner Wißbegierde über als auf das Ludwigskreuz der neuen Jeanne d'Arc.

»Wenn die erste Person (so fragt unser Held u. a.), welche ich in London sehen werde, Lord Rochford, mich auffordern sollte, insgeheim den König von England zu sprechen, soll ich eine Audienz der Art annehmen oder ablehnen? Die Frage ist keineswegs müßig und verdient wohl erwogen zu werden.« Ludwig XVI. erwidert orakelhaft: »Wohl möglich.« »Ich habe die Ehre«, heißt es in dem Fragebogen weiter, »Eure Majestät davon zu verständigen, daß unser Botschafter in London, Graf Guines, versucht hat, mich bei den englischen Ministern zu verdächtigen. Wird es mir erlaubt sein, ihm einige Andeutungen zu machen etc.?« »Er (so lautet die Wohlmeinung des Königs) soll nichts erfahren.«

Das war das letzte Wort Ludwigs XVI. auf diesem Blatte, obgleich Beaumarchais vor seiner Abreise »bestimmte Erklärungen in betreff seiner Vorschläge, den Amerikanern insgeheim Geld und Waffen zukommen zu lassen«, erbeten hatte. »Ich hafte« (so schloß der geheime Agent) »mit meinem Kopfe für den ruhmvollsten Ausgang dieser Unternehmung, ohne daß dabei die Person meines Gebieters, seine Minister oder seine Interessen im geringsten bloßgestellt würden. Wagt irgendwer von denjenigen, welche Ihnen davon abraten, Sire, gleichfalls seinen Kopf einzusetzen für alles Unheil, das er auf das Reich herabbeschwört?«

Für eine keck zugreifende Politik, ja nicht einmal für eine versteckte Parteinahme zugunsten der Amerikaner war jedoch der König noch nicht zu gewinnen. Als eine Art von »Geschäftsführer mit unbestimmtem Auftrag« geht Beaumarchais also nach England. Da aber seine wiederholte Anwesenheit in London während dieser bewegten Zeiten leicht verdächtig werden könnte, betraut man ihn mit einer offiziellen, möglichst harmlosen Sendung: er soll im Auftrag der Regierung spanische und portugiesische Geldsorten für die französischen Kolonien besorgen, zugleich aber mit Vergennes einen Briefwechsel unterhalten, der während der nächsten dritthalb Jahre immer lebhafter, gehalt- und folgenreicher sich gestaltet. Der Minister warnt ihn überängstlich vor jeder nur einigermaßen unbesonnenen, verräterischen Äußerung, und Beaumarchais entgegnet mit einem wunderlichen Gemisch von Unterwürfigkeit und Ungeduld. »Vergessen Sie nicht, Herr Graf, daß in diesem Reich der Ränke ein guter, leidlich gescheiter Diener mehr wert ist, als zwanzig Hoffreundschaften. Unsere große Angelegenheit gerät immer mehr auf Abwege. Ich sehe das mit Schmerz, denn in ein paar Wochen wird keine Abhilfe mehr möglich sein.«

Ebenso beharrlich stellt sich unser Dränger bei Maurepas, am unermüdlichsten aber beim König ein, dem er – diesmal durch Vergennes – eine umfangreiche neue Staatsschrift »Krieg oder Frieden« zugehen läßt, die längst einen Ehrenplatz in der Gesamtausgabe Beaumarchais' verdient hätte. Auch hier kommt mehr der Sachwalter als der Politiker zu Worte, aber sein Beweisthema läßt sich hören und mit zwingender Beredsamkeit vertritt er seine oder vielmehr die Ideen des amerikanischen Parteigängers Lee.

Feiger Friede würde nichts nützen; wie immer die Dinge sich gestalten mögen: Frankreich müsse Partei ergreifen. Heute lasse Amerika Ludwig XVI. als Dank für geheimen Beistand einen Handelsvertrag anbieten, der alle Vorteile, kraft deren sich England durch ein Jahrhundert bereichert habe, fortan den Franzosen zuwenden würde. Ferner wollen sich die Kolonien verpflichten, Frankreichs Besitzstand mit ihrer ganzen Macht zu verbürgen. Würde sich aber der König weigern, die Amerikaner zu unterstützen, so müßte der Kongreß in einer öffentlichen Proklamation an alle Völker der Erde die gleichen Anerbietungen stellen, die zweideutige Haltung Frankreichs rächen.

»Erwägen Sie also, Sire, daß eine unzeitige Ersparnis von wenigen Millionen in kurzem Frankreich ungeheuere Opfer an Blut und Geld kosten kann; bedenken Sie vor allem, daß schon die Rüstungen zu einem erzwungenen Feldzug mehr verschlingen würden als alle Subsidien, die man heute von Ihnen fordert; daß Sie eine armselige Knauserei von 2–3 Millionen vor Ablauf der nächsten Jahre mit mehr denn 300 Millionen werden bezahlen müssen. Wenn man dagegen einwendet, daß wir die Amerikaner nicht unterstützen können, ohne die Engländer wider uns aufzubringen und also den Sturm zu entfesseln, den ich beschwören will, so lautet meine Antwort, diese Gefahr steht nicht zu befürchten, wenn man meinen so häufig entwickelten Plan befolgt: die Amerikaner insgeheim zu unterstützen unter der ausdrücklichen Bedingung, daß sie reinen Mund halten und niemals ihre Prisen in unsere Häfen senden, widrigenfalls der Kongreß sofort jeder weiteren Hilfeleistung unsererseits verlustig gehen müßte. Und (der unvermeidliche Kehrreim jeder Denkschrift!) falls Ew. Majestät keinen geeigneteren Mittelsmann zur Verfügung haben sollte, nehme ich die Verantwortung auf mich, den Vertrag ins reine zu bringen, ohne irgendwen zu kompromittieren, in der Überzeugung, daß mein Eifer meinen Mangel an Geschicklichkeit besser ersetzen wird, als die Geschicklichkeit eines anderen meinen Eifer zu ersetzen vermöchte.«

Noch immer zaudern die Machthaber; ganz ohne Folgen bleibt aber die eindringliche Mahnung nicht. Beaumarchais wird wiederum nach London entsendet, und diesmal erteilt Vergennes dem neubestellten chargé d'affaires die ausdrückliche Weisung, Beaumarchais' Kreise nicht zu stören. Der offizielle Vertreter Frankreichs am englischen Hofe hat sich auf die laufenden Geschäfte zu beschränken, der eigentliche (wenn auch nur geheime) Gesandte Vergennes' ist während der nächsten Monate unbestritten Beaumarchais. Wie eine halbverklungene, eines Mannes von seiner Begabung und Bedeutung unwürdige Geschichte kommt dann und wann der Handel mit d'Eon zur Sprache: einzig und allein seiner Aufmerksamkeit bleibt die Entwickelung der amerikanischen Zustände empfohlen, dazumal der Mittelpunkt der französischen, ja der Weltpolitik. Die lehrreichen Depeschen, welche unser Held nun an Vergennes richtet, erregen und verdienen auch mit größerem Recht, als zwei Drittel aller Gesandtschaftsberichte jener Tage, die Aufmerksamkeit des Königs, den Dank des Ministers. Ganz besonders warme Aufnahme findet in Versailles eine Depesche Beaumarchais', in welcher er die schneidige Abfertigung englischer Anmaßung meldet: in der Tat konnte auch kein Botschafter Ludwigs XIV. Übergriffe des Großtürken kommentmäßiger zurückweisen, als Vergennes' geheimer Agent die Beschwerden, welche ihm Georg III. vertraulich durch Rochford mitteilen ließ. Der Lord zeigt dem bewährten Freunde zuerst ein Handschreiben des Königs, in welchem ihn dieser bittet, ihm zuliebe den Posten eines Vizekönigs von Irland anzunehmen. Beaumarchais rät dem Lord, seine Bedenken aufzugeben (Rochford wollte nicht das ganze Jahr fern von London verbringen) und einen Franzosen seiner Bekanntschaft als Sekretär zu bestellen (er hoffe durch einen Leibspion der Art auch die grüne Insel in Vergennes' Bannkreis zu ziehen). Nach diesem Beweis von Freundschaft und Offenherzigkeit möchte Rochford nun auch Beaumarchais gesprächig machen; er holt ihn über die Gesinnungen Ludwigs XVI. aus und erzählt nebenher, daß ein sehr ernster Fall gerade den englischen Ministerrat beschäftige: Ein Schiff, das die Amerikaner für einen Kaufmann von Nantes bestimmt und befrachtet hatten, wurde geradeswegs in den Hafen von Bristol gesteuert. Der König von England hoffe und wünsche nun, so meinte Rochford, daß sein Bruder Frankreich die Kaufleute von Nantes wegen sträflichen Einverständnisses mit den rebellischen Amerikanern bestrafen würde. Beaumarchais' schlagfertige, entrüstete Erwiderung lautete: Frankreich habe nur die gleiche Unparteilichkeit gegen beide kriegführenden Mächte walten zu lassen; England sei wohl berechtigt, auf offener See Schiffe zu kapern, welche seinen Feinden Munition zuführen; eine Beschränkung der französischen Kaufmannschaft, wie sie Georg III. fordere, wäre aber ein unbefugter Eingriff in die Handelsfreiheit der Untertanen und in die Souveränitätsrechte Ludwigs XVI.

Beaumarchais hatte sich dermaßen in die Hitze geredet, daß Rochford kleinlaut auf andere Dinge überging. Vergennes lohnt seinem Briefsteller mit einem Übermaß schmeichelhafter Anerkennung. Der König selbst läßt Beaumarchais sein volles Einverständnis mit soviel »Freimut, Weisheit und Festigkeit« aussprechen.

Es bedurfte dieser Lobsprüche nicht, um seinen Tatendrang zu befeuern, seine Wachsamkeit rege zu erhalten. Ein geheimer Kurier, ein Postenlauf um den andern trägt die neuesten Nachrichten vom amerikanischen und parlamentarischen Kriegsschauplatz nach Versailles; eine Depesche Vergennes' um die andere erledigt in fast kollegialem Ton seine Eingaben; es sind wahre Honigmonate, welche der Minister und sein Gewährsmann vorerst miteinander verbringen. Trefflich nutzt Beaumarchais die frisch und sachlich geschilderten Redeschlachten zwischen North, Fox etc., alle Fehlgriffe des englischen Ministeriums, den unwürdigen Menschenschacher der deutschen Fürsten, Großes und Kleines, für seinen unabänderlichen Schlußsatz aus: das britische Reich mit seinen zerrütteten Finanzen und seiner kopflosen Regierung sei nicht imstande, den Amerikanern zu widerstehen, wenn Frankreich den letzteren Waffen, Pulver, vor allem aber Ingenieure und Geld zukommen lasse. Im Schlafe könne Ludwig XVI. wiedergewinnen, was im schmachvollen Frieden von 1762 verloren gegangen sei, und den alten Primat in Europa sich aufs neue sichern. Trotz aller Gefahren und Späher, die ihn in London umgäben, fühle er sich auf britischem Boden doppelt als Franzose. Triumphierend meldet er die Räumung von Boston durch die Engländer, die Besetzung von New-York durch die Amerikaner. Ganz geheuer ist es dem angeblichen marchand de moyadores doch nicht immer zumute: er besorgt gelegentlich sogar ernstliche Verfolgungen der englischen Regierung, gegen welche er im Notfall Schutz beim Volke und Wilkes suchen würde. In dieser Absicht vermutlich gedenkt er die Sympathien der Londoner Zeitungsleser zu gewinnen, sonst wäre es selbst bei der Beweglichkeit unseres Helden schwer zu erklären, wie er, just während er im vollen Zug ist, einen Weltkrieg zu schüren, Lust und Zeit findet, dem Herausgeber des Morning Chronicle ein Genrefeuilleton einzusenden, bei dem alle guten Geister Voltaires, alle Amoretten Bouchers Gevatter gestanden haben dürften. Die gâité faite à Londres ist in die Form eines Briefes an den Zeitungsredakteur gekleidet:

»Ich bin Ausländer, Franzose und ein Mann von Ehre. Wenn Sie damit auch nicht ganz genau erfahren, was ich bin, so habe ich Ihnen doch wenigstens in mehr als einer Beziehung gesagt, was ich nicht bin, und das ist in den heutigen Zeitläuften nicht ganz überflüssig in London. Vorgestern fand ich im Pantheon nach dem Konzert während des Balles einen schwarztaffetenen, ebenso gefütterten, spitzenbesetzten Frauenmantel auf dem Boden; ich weiß nicht, wem dieser Mantel gehört. Ich bitte Sie deshalb, Herr Redakteur, meinen Fund in Ihrem Blatte anzuzeigen, damit der Mantel getreulich der berechtigten Eigentümerin ausgefolgt werden kann. Um aber in dieser Beziehung keinen Irrtum aufkommen zu lassen, will ich Ihnen sagen, daß die Dame, welche ihn verloren, an diesem Tage rosafarbene Federn als Kopfputz und Ohrgehänge aus Brillanten trug (doch bin ich des letzteren Umstandes nicht so gewiß wie alles übrigen). Sie ist groß und wohlgeformt; ihr Haar ist hellblond, ihr Teint blendend weiß; sie hat einen feingeschwungenen Hals, schlanke Taille und den hübschesten Fuß von der Welt. Ich habe sogar bemerkt, daß sie sehr jung, ziemlich lebhaft und zerstreut ist. Ihr Gang ist elastisch; für den Tanz hat sie ausgesprochene Vorliebe. Wenn Sie nun fragen, warum ich ihr den Mantel nicht sofort zurückgestellt habe, so kann ich nur wiederholen, daß ich diese Person niemals gesehen habe. Nur die Betrachtung des Frauenmantels bot alle Merkmale an die Hand, seine Eigentümerin zu erkennen.« Und nun erzählt er mit leichter Feder, daß er in der Kapuze des Mantels ein paar wunderschöne, blonde Haare und rosenfarbene Federchen gefunden; ebenda bemerkt der amateur français auch ein paar unscheinbare, verräterische Ritzer, die vermutlich von den Ohrgehängen herrühren. Ebenso sinnreich wird die Zerstreutheit und Tanzlust der jungen Dame begründet: »kein Zweifel, daß dieses reizende Geschöpf die lebhafteste Schöne in ganz England, Schottland und Irland – ich möchte hinzufügen Amerika, wenn man dort nicht in jüngster Zeit ganz verteufelt lebhaft geworden wäre. Vielleicht hätte ich dem Mantel meiner Unbekannten bei weiteren Nachforschungen auch noch ihren Stand und Rang abgefragt; wenn man aber von einer Dame weiß, daß sie jung und hübsch ist, weiß man damit nicht schon alles Wissenswürdige von ihr? Wenigstens hielt man das zu meiner Zeit also in ein paar guten Städten von Frankreich und selbst in einigen Dörfern, wie – Marly, Versailles etc. Seien Sie daher nicht überrascht, Herr Redakteur, daß ich, der sein Leben lang philosophische Fachstudien über das schöne Geschlecht gemacht, durch das bloße Studium unseres Mantels entdeckt habe, daß die blonde Unbekannte allen Reizen der Venus den Wuchs der Grazien und die Jugend Hebes gesellt, daß sie auf den Füßchen von Aschenbrödel mit der Behendigkeit Atalantes in den Ballsaal eilt.«

Das Phantasiebild wird zu guter Letzt noch in gebundener Rede verherrlicht: galante Verse verkünden der Schönen, daß der Franzose sie meiden müsse, er würde im Lande der Freiheit sonst unweigerlich zum Sklaven werden. Das Schäferspiel hindert ihn nicht, seinen Vorteil als Rechenmeister zu wahren; er weiß seine offizielle Sendung als Münzenhändler sehr einträglich zu gestalten und ist eben drauf und dran, sich von Sartines zum befugten Goldmakler machen zu lassen, als mit einem Male seinem prosaischen, wie seinem poetischen Zeitvertreib durch die völlig unerwartete, große Nachricht vom Sturze Turgots ein Ende bereitet wird. Im ersten Augenblick ist Beaumarchais auf das Schlimmste gefaßt. Er wähnt, daß auch Vergennes aus dem Amte scheiden und Choiseul Platz machen wird; er besorgt, daß all seine Mühen wieder umsonst gewesen seien. Kein Wunder, daß er die Londoner Parlamentsdebatten (als »unfruchtbaren Hader von Ärzten, die einander in die Haare fahren über die Krankheit, an welcher ihr Patient verstorben ist«) im Stich läßt und nach Versailles hastet, wo er »so todmüde eintrifft, daß er kaum die Feder halten kann«, trotzdem aber Lust, Kraft und Zeit findet, um Audienzen und Weisungen von Vergennes zu erbitten.

Nun aber erfüllen sich die kühnsten Hoffnungen Beaumarchais'. Durch den Austritt Turgots hat die Kriegspartei die Oberhand erhalten; zudem haben die Amerikaner in blutigen Gefechten ihre Sache selbst am tapfersten empfohlen: Vergennes schlägt deshalb dem König in einem Brief, »von dem es keine Übertreibung ist zu sagen, daß er mehr dem Brief eines Verschwörers, als dem eines Staatsmannes gleicht«, vor, insgeheim, durch geschickte Zwischenträger, wie Beaumarchais und seinesgleichen, den Amerikanern Hilfsmittel (Geld, Waffen etc.) zukommen zu lassen, England gegenüber aber den Schein voller Neutralität zu wahren. Der König ging auf alle Vorschläge des Ministers ein, welcher das Versteckenspiel so weit trieb, daß er keinen diese Angelegenheit betreffenden Auftrag eigenhändig niederschrieb, sondern seinem fünfzehnjährigen Sohn in die Feder diktierte. Beaumarchais aber konnte sich diesmal seiner alten Leidenschaft für Verkleidungsrollen unter dem Beifall des Ministers hingeben. Er erhielt am 10. Juni 1776 von Vergennes die erste, runde Million aus dem französischen Staatsschatze, eine Summe, die im August desselben Jahres durch eine zweite, von Spanien bewilligte Million verdoppelt wird, mit dem gemessenen Auftrag, »all seine Lieferungen und Sendungen, ja selbst den Namen seiner Helfer und Handelsgesellschafter zu verbergen und zu verhüllen«. Beaumarchais tut sich demgemäß mit den Kapitalien der heimischen und der Madrider Regierung als Reeder und Kaufherr großen Stiles auf, dessen Firma »Rodrigue Hortalez & Cie.«, seinem eigenen Ausspruch zufolge, »Mummerei war, wie alles übrige«. Übermenschliches soll er nun vollbringen. Das Ministerium hat ihm wohl (im Verhältnis zu dem Geforderten bescheidene) Geldmittel zur Verfügung gestellt, außerdem auch die Vergünstigung gewährt, aus den Zeughäusern Pulver, Waffen, Zelte und dergleichen zu beziehen; gleich von Anfang aber sieht er, daß er allein für die ungemessenen Bedürfnisse der Amerikaner nicht aufzukommen vermag. Seine Aufgabe ist es, Kapitalisten und Reeder in ganz Frankreich zu werben, trotz so vieler Mitwisser aber streng das Geheimnis zu hüten, denn der englische Botschafter, der »schöne« Lord Stormont, den Beaumarchais nachmals öffentlich als seine »Eumenide« neckte, ist unaufhörlich mit Klagen und Beschwerden über Friedensbruch in Versailles zur Stelle, und Maurepas hat seinem Schützling ganz ernsthaft angekündigt, er würde bei der ersten Ungeschicklichkeit, deren ihn die englische Regierung überweisen könnte, ohneweiters dingfest gemacht werden. Mehr als einmal muß Vergennes denn auch das Doppelspiel so weit treiben, auf Stormonts Begehren Schiffe mit Beschlag zu belegen, die Rodrigue Hortalez & Cie. auf Kosten des französischen Ministeriums mit Kriegskontrebande befrachtet hat. In den meisten Fällen aber glückt es Beaumarchais' Künsten, Waffen und Freiwillige ungefährdet über das Weltmeer entkommen zu lassen. Je mehr er fortschickt, desto mehr verlangen die Amerikaner von ihm. Beaumarchais soll nach ihrem Wunsche auch Kriegsschiffe ausrüsten, Offiziere und Ingenieure für sie anwerben. Von Barzahlungen ist vorerst nicht die Rede. Wenn seine Schiffe geborgen in den Vereinigten Staaten anlangen, dann will man sehen, ob und wieviel Indigo und Tabak an Zahlungsstatt als Rückfracht an das Haus Rodrigue Hortalez & Cie. abgehen kann. So unbestimmt Beaumarchais' Mandat, so unbestimmt sieht es mit der finanziellen Zuverlässigkeit seiner Schützlinge aus. Rodrigue Hortalez baut im Stillen aber, bisweilen nur zu zuversichtlich, auf seinen mächtigen Auftraggeber in Versailles, und im übrigen ist ihm ja am wohlsten in phantastischen Glücksgeschäften. Eine Woche nach Empfang der ersten Million macht er sich auf, zu einer Rundreise in den französischen Hafenstädten, um Nothelfer für sich und seine Amerikaner zu suchen. Er zieht auch mehr als einen Großkaufmann in sein Interesse und findet persönlich überall herzliche Aufnahme, mitunter sogar zu herzliche Aufnahme, denn er kann es nicht lassen, dort und da unzeitig sein Inkognito zu lüften, besonders in Städten, die gute Theater haben, und so begegnet es Rodrigue Hortalez in Bordeaux, daß er auf allen öffentlichen Spaziergängen mit den Klängen seines Robinliedes begrüßt und zu einer Galavorstellung des »Barbier von Sevilla« geladen wird. Diesmal geht der Zwischenfall glücklicherweise ohne ernste Folgen vorüber. Beaumarchais erobert die Herzen der Frauenwelt so rasch und ganz, daß ihre Sympathien vielleicht auch Rodrigue Hortalez zugutekommen. Und das um so mehr, als unser Held (sei es aus alter Anhänglichkeit für seine calvinistischen Vorfahren, sei es in richtiger Würdigung der reichsten und fähigsten Reeder der Gironde) den protestantischen Kaufherrn verspricht, er werde für ihre Gleichberechtigung im bürgerlichen Leben, für ihre unbedingte Wählbarkeit in die Handelskammer von Bordeaux eintreten. Indessen er also die Sache der Minister und Amerikaner mit Glück und Geschick fördert, trifft ihn selbst ein Pfeil aus dem Hinterhalt.

Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß Beaumarchais seine Beziehungen zu Maurepas, Vergennes etc. auch seinen alten Rechtshändeln zugute kommen ließ. Niemals war er geschäftiger, Goezmanns Urteil im Prozeß La Blache und seine Infamierung durch das Parlament Maupeou kassieren zu lassen, als in diesen Tagen. Nach vielen Bemühungen bei dem Siegelbewahrer Miroménil (einem unfähigen Manne, der seine Würde lediglich der Gunst der Gräfin Maurepas dankte, die ihn für den besten Hanswurst der damaligen Liebhabertheater hielt) hatte er endlich die Versicherung erhalten, daß seinem Gesuche um Urteilsrevision willfahrt werden solle. Die Instanz war in diesem Falle der Staatsrat, eine Behörde, in welcher viele abgedankte, Beaumarchais selbstverständlich feindselige Räte des Parlaments Maupeou wiederum ein Plätzchen gefunden hatten. Die zeitweilige Abwesenheit unseres Helden machten sich nun seine Feinde im Staatsrat und außerhalb desselben zunutze und in Bordeaux hörte er, daß seine Gesuche kurzweg abgewiesen wurden, mit anderen Worten, seine Sachfälligkeit im Prozeß La Blache, sowie der blâme nach wie vor zu Recht bestehe. Auf die erste Nachricht von diesem Rachewerk unversöhnlicher Widersacher stürmt Beaumarchais, so eilfertig er Paris vor einer Woche verlassen, nach Versailles zurück, um dies Ränkespiel zunichte zu machen. In sechzig Stunden hat er die Fahrt hinter sich, freilich ist sein Reisewagen unterwegs gebrochen, und sein erster Besuch gilt selbstverständlich Maurepas. »Wie, Herr Graf, während ich an die äußersten Grenzen Frankreichs eile, um die Geschäfte des Königs zu besorgen, ruiniert man die meinigen?« »Sie haben Recht, an der ganzen Dummheit ist nur der Siegelbewahrer schuld«, entgegnete der Minister, der Beaumarchais zugleich volle Genugtuung versprach und mit dem Aufgebot ganz außerordentlicher Gnadenmittel des Königs bald nachher auch verschaffte. Dieser Streich einflußreicher Gegner war also pariert. Noch leichter wurde Beaumarchais mit anderen Neidern fertig, deren Bewerbungen seine Berufung zu dem Vertrauensamt in den amerikanischen Händeln ein jähes Ende bereitet hatten. Ein gelehrter Freund Franklins, ein Dr. Dubourg, konnte es gleich dem barocken und verschwenderischen Grafen Lauraguais unserm Helden nie vergeben, daß derselbe für Rodrigue Hortalez geerntet, was sie angeblich gesäet hatten. Vergennes hatte auf die dringende Beschwerde Dubourgs Beaumarchais gefragt, ob sie nicht vielleicht gemeinsam derselben Sache dienen könnten? Infolgedessen kam es auch zu einer Zusammenkunft zwischen beiden, deren Ergebnis Dubourg dem Minister in folgendem Schreiben bekannt gab:

»Ich habe mit Beaumarchais Rücksprache gepflogen. Alle Welt kennt seinen Geist und niemand kann seiner Verschwiegenheit, seinem Eifer für alles Gute und Große mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen, als ich. Ich halte ihn für einen der meistberufenen Männer für politische Verhandlungen, dagegen für einen der mindest geeigneten zu Geschäftsunternehmungen. Er liebt den Prunk; man sagt, daß er Mädchen aushält; er gilt endlich für einen Geldschneider ( bourreau d'argent); es gibt denn auch in ganz Frankreich keinen Kaufmann oder Fabrikanten, der eine andere Vorstellung von ihm hegte und es sich deshalb nicht zweimal überlegen würde, Beziehungen mit ihm anzuknüpfen. Er setzte mich daher in nicht geringes Erstaunen durch die Mitteilung, daß Sie ihn nicht bloß zu Ihrem und unserem Berater, sondern zu der Aufgabe auserwählt hätten, die ganze Unternehmung zu leiten, die Bestimmung der Preise, den Abschluß aller Lieferungen, Hin- und Rückfrachten ausschließlich zu besorgen. Ich gab wohl zu, daß hieraus der Vorteil erwachse, die Dinge mehr im Stillen abzumachen; ich stellte ihm aber zugleich vor, daß er solcherart sich des Monopols für so ungeheure Geschäfte bemächtige und alle diejenigen zu Schaden kommen ließe, welche mit so viel Kosten als Mühen seit Jahren für den Kongreß gearbeitet.«

Es zeugt für die Beliebtheit, deren sich Beaumarchais damals bei dem Minister erfreute, daß dieser ihm Dubourgs Brief kurzweg zur Beantwortung übergab. Der Angegriffene säumte denn auch nicht, seine Epistel an den heißblütigen Arzt Vergennes abschriftlich mitzuteilen: »Was in aller Welt hat es mit unsern Geschäften zu tun, daß ich ein höchst geselliger, verschwenderischer Mann bin, der sogar Mädchen aushält? Übrigens sind die Mädchen, die ich seit zwanzig Jahren aushalte, Ihre ganz ergebenen Dienerinnen: sie waren fünf an der Zahl, vier Schwestern und eine Nichte. Vor drei Jahren sind zu meinem Bedauern zwei dieser ausgezeichneten Mädchen gestorben. Ich halte jetzt nur mehr drei, zwei Schwestern und eine Nichte, aus – immerhin ein netter Luxus für einen Privatmann. Was würden Sie aber erst sagen, wenn Sie wüßten, daß ich das Ärgernis soweit treibe, auch Männer auszuhalten: zwei sehr junge, sehr hübsche Neffen mitsamt dem unglücklichsten aller Väter, der einen so skandalösen Zuhälter in die Welt gesetzt hat? Mein persönlicher Aufwand ist noch ärger. Vor drei Jahren erschienen meiner Eitelkeit Spitzen und gestickte Kleider zu armselig; ich trieb deshalb die Hoffart soweit, mein Handgelenk stets mit dem feinsten glatten Musselin zu schmücken. Das schönste schwarze Tuch ist nicht zu schön für mich; mitunter, wenn es besonders heiß ist, versteigt sich meine Geckerei selbst bis zur Seide. Aber ich bitte Sie, Herr Doktor: schreiben Sie all das nicht dem Grafen von Vergennes – Sie würden mich sonst bei ihm noch völlig zugrunde richten …«

Der Humor dieser Abfertigung mußte dem Minister ebensowohl behagen, wie die unversehens eingestreute Schmeichelei: Mr. de Vergennes n'est pas un petit homme. Nichts natürlicher, als daß der Minister, allen Gegenbestrebungen Dubourgs zum Trotz, Beaumarchais mit dem eben in Paris eingetroffenen Abgesandten der amerikanischen Regierung, Silas Deane, in Verkehr treten ließ. Mit diesem Emissär der Vereinigten Staaten, der Kanonen und allen sonstigen Kriegsbedarf herbeischaffen sollte, verständigte sich der Chef des Hauses Rodrigue Hortalez rasch und gut, wie beiden späterhin vorgeworfen wurde, fast zu gut, denn die Unbescholtenheit Deanes in diesen Lieferungsgeschäften blieb nicht unangezweifelt. Beaumarchais streckte Deane nämlich ab und zu auch für seinen Lebensunterhalt kleinere Beträge vor, da das Amt eines Sendboten der amerikanischen Freiheitskämpfer dazumal noch mit keinen festen Bezügen verbunden war; von einer eigentlichen Bestechung Deanes aber kann trotz der späteren Anklagen von Lee und seinesgleichen nicht ernstlich die Rede sein. Der Briefwechsel von Rodrigue Hortalez mit diesem ersten nicht offiziellen Vertreter Amerikas in Frankreich spricht gegen einen derartigen Verdacht. Beaumarchais hofft »mit einem tugendhaften Volk zu tun zu haben, das seine Lieferungen – gleich nach Erhalt – in Barem oder im Fall der Säumnis mit den entsprechenden Verzugszinsen bezahlen werde«; er verheißt »Amerika wie seinem eigenen Vaterlande zu dienen, und in der Freundschaft eines hochherzigen Volkes die wahrhafte Belohnung seiner freudig geleisteten Arbeit zu finden.« Silas Deane erscheint jedoch die Tugend der Republikaner nicht ganz so zahlungsfähig, wie Rodrigue Hortalez: er verheißt ihm zwar Rückfrachten in Tabak oder Bezahlung in Geld, aber er gesteht offen, daß die Einlösung dieser Verbindlichkeiten längere Fristen erfordern werde. Beaumarchais nimmt die Dinge leichter; er sieht wohl, daß selbst die allerdringendsten Lieferungen nicht mit den ihm von Frankreich und Spanien zur Verfügung gestellten zwei bis drei Millionen bestritten werden können, aber er zählt auf die Gefälligkeit des Kriegs- und Reformministers St. Germain, der den Autor der Mémoires im Prozeß Goezmann enthusiastisch willkommen heißt und in allen Arsenalen bestens empfiehlt, wie ihn Vergennes als seinen Vertrauensmann, bisweilen sogar als seinen Geheimsekretär, bei dem spanischen Botschafter in Paris, Aranda, einführt. Schon wenige Wochen nachher (30. August 1776) zeigt Rodrigue Hortalez dem Gesandten Karls III. an, daß er unverweilt an die Amerikaner die folgenden Munitions- und sonstigen Gegenstände gelangen lassen könne und werde: 216 Kanonen; 300 000 Pulverrationen; 30 000 Flinten; 200 Kanonenläufe; 27 Mörser; 13 000 Bomben; 8 Transportschiffe; vollständige Ausrüstung für 30 Offiziere; vollständige Uniformen für 30 000 Soldaten (95 000 Ellen Tuche für Waffenröcke, 42 000 Ellen Unterfutter, 60 000 Paar Wollstrümpfe, 120 000 Dutzend Knöpfe etc.); 30 000 Decken, 180 000 Ellen Leinwand für Soldatenhemden; 15 000 Pfund Zwirn; 1000 Pfund Seide; 100 000 grobe Nähnadeln; 30 000 Sacktücher; 20 000 Paar Schuhe; 30 000 Paar Schuhschnallen und Strumpfbänder etc. etc.: in Summa Lieferungen im Gesamtwert von 5 600 000 Franken. Man begreift, daß sich Beaumarchais in diesen Tagen einen marchand de temps nennt. Zu allem Überfluß wird ihm außer den Pflichten eines Kriegsministers aus dem Stegreif unversehens auch ein geistliches Amt angesonnen: er soll am Sterbebett Contis mit witzigem Zuspruch durchsetzen, was der Erzbischof von Paris mit aller Salbung nicht vermocht hat, den fürstlichen Freidenker zur Annahme der kirchlichen Tröstungen vermögen. Conti, dem man im Leben oft vorwarf, er verkörpere den Geist der Ligue in sich, frondierte auch im Tode noch; er weigerte sich, die letzte Ölung aus den Händen Beaumonts zu empfangen. Als Beaumarchais aber, Vergennes' Auftrag gemäß, bei seinem alten Gönner vorsprach, hatte der Prinz schon seinen Geist ausgehaucht.

Der »exzessive« Schmerz, den ihm dieser Todesfall bereitet, hält ihn nicht ab, in demselben Schreiben an Vergennes Dubourg ausgiebig anzuschwärzen und seine affaire politico-commerçante mit aller Rastlosigkeit weiter zu betreiben. Die Minister sind auch mit seinen Leistungen zufrieden. Er setzt, auf ihre Sympathien bauend, alles daran, um endlich die Revision seines Prozesses, die Aufhebung des blâme, durchzusetzen. Es gehört aber seine Zähigkeit und die geschickte Ausnutzung seiner Ausnahmsstellung dazu, um der Böswilligkeit seiner alten Gegner, der Pedanterie des Siegelbewahrers den Meister zu zeigen. Da im Staatsrat die rechtsförmliche Revision des Prozesses seiner Händel hintertrieben wurde, muß er ganz außerordentliche Gnaden des Monarchen in Anspruch nehmen. Er gibt den Ministern ziemlich deutlich zu verstehen, daß die Lieferungen für die Amerikaner so lange stocken werden, als ihm nicht all seine früheren Ehrenrechte, sein Hofamt beim Jagdgericht und dergleichen mehr wieder zuteil geworden. Maurepas richtet nun auch wirklich an den ersten Präsidenten und Generalprokurator des Parlement de Paris – denn von diesem wieder zur Geltung gelangten Gerichtshof soll an Beaumarchais gutgemacht werden, was das Parlament Maupeou an ihm verschuldet – Briefe, in welchen er die Sache seines Schützlings als unaufschiebbar bezeichnet; die Dringlichkeit sei dadurch begründet, daß Beaumarchais im Auftrag des Königs unverzüglich wichtige Geschäftsreisen antreten müsse. Der Ton dieser Empfehlungsschreiben ist von so ungewöhnlichem Anteil getragen, daß Beaumarchais in eigener Person sich nicht nachdrücklicher seiner Sache annehmen könnte: – er hat denn auch die Briefe in der Tat selbst verfaßt und der bequeme Minister hat sie bloß ausgefertigt. Noch sind aber Beaumarchais' Wünsche nicht erfüllt. Er sähe es gern, daß der Generaladvokat Séguin in eigner Person und das noch vor den Gerichtsferien die Angelegenheit zu Ende führe. Auch diesmal unterschreibt Maurepas willfährig das Konzept des Bittstellers; und im Augenblick »wachsen seiner Sache Flügel«.

Auf den 6. September wird wirklich die Verhandlung anberaumt. Lange zuvor weiß Beaumarchais jedoch, daß er einstimmig déblâmé werden wird; nur eine Bedingung hat man ihm gestellt, daß er an diesem großen Tag der Sühne nicht selbst das Wort ergreifen werde. Er gehorcht und »verschluckt seine Zunge«. Mit seinem alten Schick wählt er aber einen Fürsprecher, dessen Name schon die schroffste Verurteilung des Parlaments Maupeou ist, den einzigen Advokaten, der niemals vor dem entweihten Gerichte erschienen: »der Märtyrer Beaumarchais« bestellt den »jungfräulichen« Target zu seinem Verteidiger. Die Dinge nehmen ihren von vornherein abgemachten Verlauf. Beaumarchais erscheint in dem überfüllten Saale, einfach gekleidet; nur an seinem Finger funkelt der Diamantring, den er von Maria Theresia (wir haben aus dem Kapitel »Beaumarchais in Wien« ersehen, für welche Verdienste) erhielt. Bescheiden nimmt er auf dem für ihn bestimmten Sitze Platz. Nur der Tod (so versichert er alsbald in einer gedruckten Erklärung) habe ihn des Glückes beraubt, als ruhmvollsten Beistand Conti neben sich zu sehen, wie dieser edle Fürst ihm das verheißen; aber auch Conti hätte von dem Autor der Mémoires nicht schwärmerischer, von dem Parlament Maupeou nicht abschätziger reden können, als Target. »Sie alle kennen seine Sache, deren Ruf bis in die fernsten Provinzen gedrungen ist. Herr von Beaumarchais hat das Glück gehabt, einen Teil der allgemeinen Sympathien auf sich zu ziehen, welche Sie (die von Maupeou vertriebenen Parlamentsräte) ganz Frankreich eingeflößt haben. Ein Exemplar seiner Mémoires wurde von Henkershand zerrissen und verbrannt. Trotzdem waren und blieben sie in aller Händen: alle Bürger gedachten bei dieser Lektüre mit Tränen der verbannten Magistrate, alle hegten die feurigsten Wünsche für ihre Wiederkehr, alle fühlten sich durch liebe- und achtungsvolle Gesinnungen für Sie erhoben und begeistert etc. etc.«

So legt der Anwalt Beaumarchais' Ehrenerklärung den Richtern als Pflichtgebot ihrer Dankbarkeit an das Herz. Aber dieser Empfehlung bedurfte es so wenig, als der von ihm erörterten Formgebrechen des angefochtenen Urteils (z. B.: in diesem Racheakt habe man einen Angeklagten ohne Angabe von Gründen » pour les cas resultans du procès« schuldig gesprochen, abgelehnte Richter mitstimmen lassen etc.). Der Generaladvokat sprach denn auch nur zwei Worte, und der Senat fällte auf der Stelle die Entscheidung: Beaumarchais sei en tel et semblable état wie vor dem blâme des Parlaments Maupeou zurückzuversetzen. Brausende Jubelrufe werden laut Loménie, Pièces just. II, 15. Une note sur la caisse d'escompte. Arch. des aff. étrang. Com. Franç. Alcala de Henares. (Die Mitteilung seiner Denkschriften aus dem Jahre 1776 würde allein einen ansehnlichen Band füllen.) – Arch. des aff. étr. Espagne 551. 13. April 1777. Aranda an Vergennes: Hier s'est présenté chez moi Mr. de Beaumarchais: je l'ai laissé parler tant qu'il a voulu; m'a dit que dans l'aprèsdîné (sic!) il passeroit à Versailles et j'espère qu'il se sera plaint plutôt de mon silence que de ma franchise etc.. Die Zuschauer tragen den Triumphator aus dem Verhandlungssaal bis zu seinem Wagen. Die Hand bebt Beaumarchais vor seliger Erregung, da er dem Grafen Vergennes von den Huldigungen der Menge, von seiner Dankbarkeit für den König Kunde gibt. Es war sein schönster Tag im Justizpalast, vielleicht der ehrenvollste in seinem Leben. Größere, lärmendere Erfolge werden ihm noch zuteil werden; reinere, redlicher verdiente Freuden sind ihm nicht mehr beschieden. Der Volksheld von heute gilt ein Jahrzehnt später den Massen als verächtlicher Industrieritter. Und in der Tat, der Schwindelgeist, der ihm stets anhaftet, entfaltet sich in der Geschäftstätigkeit von Rodrigue Hortalez üppiger denn je zuvor. Jeder andere würde unter der Last der amerikanischen Forderungen, in seinen steten Geldverlegenheiten sich streng auf die nächstliegenden Aufgaben beschränken: Beaumarchais überrascht uns und seine Zeitgenossen unaufhörlich mit guten und schlechten neuen Entwürfen, und nur mit Zweifel bewundernd kann man diesem außerordentlichen Ingenium auf all seinen Wegen folgen. Dem leitenden Minister Maurepas überreicht er Gutachten über die Regelung des Staatshaushaltes, die Begründung einer Escomptebank, die Befreiung des Landes vom Vampyr der Steuerpächter, die Gleichberechtigung der Protestanten. Vergennes und Aranda legt er Vorschläge und Motivenberichte zu Allianz- und Handelsverträgen mit den Vereinigten Staaten vor, mit dem selbstverständlichen Beisatz, er sei bereit, erforderlichenfalls jede auftauchende Schwierigkeit in Madrid oder London persönlich zu beseitigen. Anfangs nehmen die Machthaber seine Beflissenheit auch mit dem früheren Wohlwollen auf; sie sehen es gerne, wenn er – in der eisenbahnlosen Zeit! – fast allmonatlich in einem anderen Hafen, auf den entlegensten Werften erscheint, um den Stapellauf neuer oder die Befrachtung alter Schiffe mitzumachen; sie haben ihre Freude daran, wenn er wider die Klagen des Botschafters Stormont über die Verletzung des Völkerrechts so hurtig Bescheid weiß, wie vordem gegen die Winkelzüge im Justizpalast. Mehr und mehr erbleicht aber sein Stern bei Vergennes. Lange vor der Ankunft Franklins auf englischem Boden hat er die Sympathien dieses gescheiten und vornehm gesinnten Ministers verscherzt und nach dem Tode Maurepas' ist seine Rolle im Auswärtigen Amt nur mehr die eines lästigen, unbescheidenen und gering geschätzten Gläubigers. Dieser Umschwung vollzieht sich lediglich durch seine eigene Schuld, wie ein knapper Auszug seiner Briefe aus jener Zeit erhärten soll.

Bis zu dem Augenblick, in welchem Benjamin Franklin als Wortführer der Amerikaner in Paris eintraf (Ende 1776), blieb Beaumarchais unbestritten in seiner Vertrauensstellung; Maurepas leiht ihm sein Ohr, so daß Rodrigue Hortalez diesen Gönner als zweiten Conti begrüßt und preist. Vergennes empfängt auf seine Empfehlung den Herausgeber des Courrier de l'Europe, Swinton, höchst entgegenkommend; der Minister gewährt ihm auch so volle Redefreiheit für seine »Kassandrarufe«, daß Beaumarchais mehr als einmal erschreckt bittet, seine Briefe gewiß keinem Zweiten zu zeigen; er schilt Arandas bequeme Manier, die wichtigsten Entschlüsse z. B. inbetreff der Unabhängigkeitserklärung Amerikas, mit dem Sprüchlein hinauszuschieben: Dieu est bon Bourbon, oder wie Beaumarchais, das spanisch gefärbte Französisch des Botschafters parodierend, schreibt: Diou, il est Bourbon. Eine Losung, der unser kecker Pariser das Hohnwort entgegenstellt: Nur die Bourbonen selbst wollen nicht bourbonisch sein ( Il n'y a que les Bourbons qui ne veulent pas être Bourbon). Allmählich wird es Vergennes aber müde, immer nur Klagen gegen knauserige Finanz- und eigenmächtige Kriegsbeamte entgegenzunehmen, während Beaumarchais selbst trotz aller prahlerischen Selbstverherrlichung mit den weiteren Lieferungen ins Stocken gerät. Diese leisen Verstimmungen schlagen in offene Ungnade um, als Rodrigue Hortalez in einem kritischen Augenblick sein Inkognito mit unverantwortlichem Übermut behandelt. Unter dem Pseudonym Durand begibt er sich nach Havre, um daselbst ein von ihm ausgerüstetes, mit hastig zusammengerafften und schlecht gewählten Freiwilligen bemanntes Schiff, die »Amphitrite«, vor der Abfahrt nach »San Domingo« zu besichtigen. Aber er bekommt Händel mit einem der Offiziere, Ducoudray. Den schlimmsten Streich spielt ihm jedoch seine Selbstgefälligkeit. Mr. Durand läßt es sich in seinen sparsam bemessenen Mußestunden nicht nehmen, die Aufführung seiner Stücke auf dem Theater von Havre vorzubereiten und selbst Proben mit den Schauspielern abzuhalten. Kein Wunder, daß sein Inkognito in der ganzen Stadt und weit über deren Weichbild hinaus Anlaß zu allgemeinem Gerede gab. Der englische Botschafter, Lord Stormont, wußte schon von Beaumarchais' Abreise, und nun, da er von seinen Absichten und Taten in Havre hört, führt er eine so heftige Sprache bei den Ministern, daß dieselben notgedrungen den Befehl erteilen, die »Amphitrite« dürfe schlechterdings nicht den Hafen verlassen. Als das Verbot in Havre eintrifft, hat das Schiff von Rodrigue Hortalez allerdings schon die Anker gelichtet, aber der Verdruß, den Beaumarchais' Taktlosigkeit Vergennes bereitet, ist damit noch lange nicht vergeben und vergessen. Und weitere Winkelzüge und Unfälle des bis dahin so gehätschelten Vertrauensmannes verschlechtern seine Stellung bei diesem Minister von Tag zu Tag.

Gerade als die Amphitrite auslaufen soll, trifft auch das Schiff ein, das Franklin als Abgesandten Amerikas nach Frankreich bringt. Trotz aller klug ersonnenen und unbedacht ausgeführten Plane Beaumarchais' gelingt es ihm aber nicht, Doktor Benjamin in seine Kreise zu ziehen: Figaros Ränke werden an dem common sense von Meister Richard zu schanden. Franklin lebt in Passy in idealem Verkehr mit Frau Helvetius und Turgot und je mehr sein Ansehen in der guten Gesellschaft, bei Hofe und im Ministerium wächst, desto mehr wird Rodrigue Hortalez zurückgedrängt. Franklin hört mehr auf Dubourg und Arthur Lee, die erklärten Feinde Beaumarchais', als auf dessen Freund Silas Deane. Zudem wird durch den regen unmittelbaren Verkehr Franklins mit Vergennes' Ministerialsekretär Gérard jeder weitere Unterhändler überflüssig. Nicht bloß die Amerikaner fühlen sich bei Doktor Benjamin besser geborgen, als bei Rodrigue Hortalez. Beaumarchais wird von allen diplomatischen Vertraulichkeiten immer entschiedener ausgeschlossen und auf seine Handelsunternehmungen verwiesen, die er fortan teilweise auf eigene Faust und nicht eben ehrlich und glücklich betreibt. Gleich die nächsten Wochen bringen ihm den vollen Beweis des Umschwunges in Vergennes' Gesinnungen. Er hat im Dezember die Amphitrite glücklich aus dem Hafen von Havre entwischen lassen; zu seinem nicht geringen Verdruß erfährt er im Januar, daß dieses Schiff nicht auf hoher See, sondern unversehens wieder in Lorient eingelaufen ist. An dieser bösen Überraschung trägt aber nur die Eigenmächtigkeit des Offiziers Schuld, den Beaumarchais durch sein barsches Auftreten verletzt hatte. Lord Stormont erhebt nun abermals und diesmal wirksam Einspruch, die Amphitrite darf nicht mehr in See stechen. Zu seinem schweren Ärger und Geldverlust erlebt Beaumarchais auch noch die Demütigung, daß Vergennes ihn bei Freund und Feind, bei Deane und Lee bezichtigt, aus Eigennutz den ganzen Handel angestiftet zu haben: »nur eine Schelmerei oder Schurkerei Beaumarchais' trägt an all diesen Verzögerungen Schuld«, so erklärt der Minister wiederholt. Und obgleich Rodrigue Hortalez den sonst so maßvollen Vergennes mitleidig zu stimmen sucht und versichert, er sei einem Gallenfieber nahe, will der Minister von solchen Scapinskrankheiten nichts hören. Zugleich erstehen Beaumarchais auch auf amerikanischem Boden nicht zu unterschätzende Widersacher. Er hat sich dem unbotmäßigen Ducoudray gegenüber als allmächtiger Reeder aufgespielt und ihn kurzweg seines Schiffskommandos in einem gereizten Erlasse enthoben. Diese strenge Maßregel ruft aber eine allgemeine Meuterei gegen Beaumarchais hervor: sämtliche Kameraden Ducoudrays, selbst Beaumarchais' Neffe, der als Freiwilliger mit an Bord, weigern sich, weiter zu fahren, so lange Ducoudray nicht wieder in sein altes Amt eingesetzt wird. Ducoudray selbst aber geht auf einem anderen Schiffe nach den Vereinigten Staaten, wo er (bis zu seinem Selbstmord) um die Wette mit Arthur Lee Beaumarchais als gewissenlosen, habsüchtigen Lieferanten anschwärzt und schädigt.

Nur langsam erteilt Vergennes dem argbedrängten Rodrigue Hortalez halben Pardon; das alte Vertrauen kehrt nie wieder. Der Minister rügt es auf das schärfste, daß Beaumarchais Morande und d'Eon nicht voll ausbezahlt hat und sagt ihm kein Wort, als er eine wirkliche Leistung, das Auslaufen von drei Schiffen in drei Tagen, melden kann. An Beflissenheit ließ es der abgedankte Liebling natürlich nicht fehlen; aber Vergennes hört nicht auf ihn, wenn er den Finanzplan entwickelt, eine amerikanische Anleihe von 7–8 Millionen durch eine öffentliche Bankgründung ins Leben zu rufen, und der Minister ist besser unterrichtet als sein Briefsteller, wenn Beaumarchais ihm geheimnisvoll berichtet, Franklin wolle mit England Frieden schließen. Auch die abgeschmackte Schmeichelei, er wolle eines der auslaufenden Schiffe Comte de Vergennes taufen, wird mit einem schroffen Nein abgefertigt. Betrübt klagt der früher so gehätschelte Korrespondent; der Minister antwortet ihm »weder weiß noch schwarz«, und seine ernstlichsten Bemühungen, sich wieder unentbehrlich zu machen, rufen nur den Spott der Wissenden wach. Aranda und Vergennes lassen ihn nämlich ungestört reden und schreiben: hinterher machen sie sich aber dann lustig über die mouche du coche! Der verschlossene, spanische Gesandte hört ihn so unbeweglich an, wie Vergennes, da er ihnen stundenlang den Kriegsplan entwickelt: erstens durch geheimnisvolle kombinierte Manöver der spanischen und französischen Flotte die englische Marine in der Freiheit ihrer Bewegungen zu hemmen, zweitens dem König von England durch einen Börsenkrieg die Aufnahme neuer Anleihen unmöglich zu machen; endlich drittens zur Verwirklichung dieser kühnen Projekte Herrn Caron de Beaumarchais nach Madrid zu senden, der mit Hilfe des Kammerdieners Piny in kürzester Frist den König für sein Vorhaben gewinnen würde. So ist er unfreiwillig und unbewußt zur komischen Person im Auswärtigen Amt geworden, und nur in einem Punkt erregt er nicht die Heiterkeit Vergennes': in seinen unablässigen Bitten um Zuschüsse. Die Amerikaner senden trotz seiner Lieferungen weder Geld, noch Rohprodukte; oft nicht einmal Antwort. Wenn Rodrigue Hortalez & Cie. nicht offenen Bankbruch ansagen soll, muß ihm das französische Ministerium helfen. Im Dezember 1777 erfährt Beaumarchais aber zu seiner schmerzlichsten Enttäuschung, daß eine weitere Million nicht ihm, sondern einem anderen, in Paris und Amsterdam tätigen Handelshause Grand anvertraut wurde. »Ich bin abgetan,« jammerte Beaumarchais, »ich habe die Frucht der edelsten, unglaublichsten Arbeiten verloren.« Die Engländer lachten sich ins Fäustchen über diese Abdankung, über seine offenbare Ungnade, so klagt er Vergennes. Zugleich aber bittet er, ihm Rechnung legen zu dürfen, bevor er notgedrungen Konkurs anmelden, wenn nicht gar flüchten müsse. Zwölf bis vierzehn Tage habe er seine Zahlungseinstellung hinausschieben können – nun aber sei das Äußerste nicht zu vermeiden. Maurepas, in dessen Auftrag er kostspielige Flintenlieferungen für die Amerikaner versagte, habe ihn, als er Monate und Monate hernach deren Bezahlung begehrte, abgefertigt, wie einen englischen Korsaren, der die französische Flagge begehrt hätte. So wisse er keinen Rat, er stünde vor dem Ruin; ihm drohe die Schande eines Fallissements, das er niemals würde rechtfertigen können ohne eine verhängnisvolle unfreiwillige Indiskretion – eine Wendung, die Vergennes nicht mißverstehen konnte. Sollte Beaumarchais über den Anteil der französischen Regierung an den Geschäften und Verlusten von Rodrigue Hortalez & Cie. schweigen, dann hieß es, ihm neuerdings mit Staatsgeldern aushelfen. Ein Rettungswerk, das sich Vergennes mit Übergehung Neckers als höchstpersönliche Pflicht angelegen sein ließ. Von Ende Mai bis anfangs Juli 1777 erhält er aus den Staatskassen neuerdings nahezu 1.200.000 Francs. Die Amerikaner hatten andere Sorgen, als die, ihre Schulden pünktlich zu bezahlen. Auf dem Kriegsschauplatze sah es höchst bedenklich aus. Ja, die Nachricht vom Fall Lexingtons bekümmerte Franklin dermaßen, daß der sonst so schweigsame Doktor – einmal und nicht wieder – Beaumarchais sein Herz ausschüttet. Gudins 1767 gedrucktes (Erstlings-?) Werk: Lothar II. oder Frankreich im Interdict wurde 1768 in Rom öffentlich verbrannt. Anno 1800 wurde das Stück angeblich »in der Druckerei des Vatikans« aufgelegt. Über die Conquête de Naples und alle sonstigen historischen Schriften Gudins s. Grimm ( Corr. litt. Ed. Tourneux, Registerband s. v. Gudin). Siehe über die Mânes o. S. 245 und 509. – Beaumarchais preist besonders Gudins (ungedruckte) Geschichte Frankreichs in 35 Bänden, die ihm als Historiker einen Ehrenplatz gleich nach Voltaire und Robertson sichere. P. A. Caron de Beaumarchais aux électeurs ses collègues (Cordier Nr. 458). – Siehe auch Maurice Tourneux. Notice préliminaire zur Histoire de Beaumarchais 1888.

Ungewiß und sorgenvoll war die Zukunft, als Rodrigue Hortalez wiederum Paris verließ und sich zur Besichtigung seiner Werften nach den französischen Häfen begab. Alle persönlichen und geschäftlichen Verdrießlichkeiten trübten aber seine Laune so wenig, daß er die Geschäfts- mit einer Lustreise verband, zu der er Gudin als Begleiter lud. Und nicht die schlechtesten Blätter der Histoire de Beaumarchais sind es, auf welchen der Reisegefährte unseres Helden diesen gemeinsamen Ausflug schildert. Nach so viel Unerfreulichem, das wir von Beaumarchais zu verbuchen hatten, wirkt es wohltuend, auch seines treuen Freundessinnes, seines gewinnenden Wesens im häuslichen Kreise zu gedenken, Eigenschaften, welche ihm späterhin die Sympathien Laharpes eintrugen, wie sie ihm anfangs der siebziger Jahre den ziemlich spröden Gudin als Freund zuführten. Der Bund der beiden, welcher in ihrem Leben einen so breiten Raum einnimmt, verdient auch in Beaumarchais' Biographie ein Plätzchen.

Gudin, der Sohn eines Genfer Uhrmachers, lebte Ende der sechziger Jahre in Paris als literarischer Anfänger, dessen Tragödien und Gedichte wenig Beifall bei berufenen Richtern fanden, die übrigens, wie alle Welt, den Privatmann seines wackeren Charakters halber hochhielten. Im Winter 1770 kam er in das Haus von Madame Miron, der jüngsten Schwester Beaumarchais', die ihn mit ihrem Bruder bekannt machen wollte. Aber obwohl sich Gudin für die Dramen »Eugénie« etc. interessierte, wich er anfangs jeder persönlichen Begegnung aus, da der Dichter als insolenter Glücksritter verschrien war. Die literarischen Beziehungen von Madame Miron zum Abbé Delille und dessen Kreis führten Gudin aber immer wieder zu ihr zurück und endlich traf das Unvermeidliche doch ein; er begegnete Beaumarchais und der Eindruck, den der geistvolle Lebemann auf ihn machte, widersprach dem allgemeinen Verruf. Die beiden näherten sich einander immer mehr; ihr Verkehr gestaltete sich immer herzlicher, so daß in Paris späterhin sogar das alberne Gerücht Verbreitung fand, Gudin sei der eigentliche Autor des »Barbier« und der Mémoires. Die richtige Antwort auf solche Beschuldigungen gaben die Satiriker, wie Gilbert, die Gudins eigenen Schriften nachsagen, sie seien wohl gedruckt, doch niemals veröffentlicht worden. Beaumarchais freilich rühmte den treuen Freund auch als Literator. In der Revolutionszeit veröffentlichte der Dichter des »tollen Tages« ein Flugblatt, in dem er Gudin als Mann von größtem Verdienst, gleich empfehlenswert als Schriftsteller, wie als Patrioten, zum Deputierten empfahl. Wir denken bescheidener von Gudins Fähigkeiten, der einzige Titel seines Nachruhms bleibt seine Histoire de Beaumarchais, nicht ihrer literarischen Bedeutung nach, sondern als Ausdruck seiner treuen Gesinnungen, vor allem aber wegen ihrer wahrhaftigen Mitteilungen schätzenswert. Gudin hat in herzlichen Beziehungen zu dem Dichter des »Barbier«, dem Autor der Mémoires, fast durch ein volles Menschenalter gestanden, von 1770 bis zu Beaumarchais' Tod 1799. Er hat ihn daheim und in der Gesellschaft, vor allem aber auf seinen Reisen beobachten können, denn die meisten Fahrten Beaumarchais' hat er als sein Begleiter mitgemacht. Ein wunderliches Paar; der beschauliche Polyhistor und der nur der Gegenwart lebende Rodrigue Hortalez: ein Gegensatz, den Gudin schon selbst herausgefunden. Bei ihren Kreuz- und Querzügen durch Frankreich vergleicht er sich »einem Schatten, der um Gräber und Ruinen irrt, die Toten zur Belehrung kommender Geschlechter beschwört, indessen Beaumarchais als tätiger, nur für das Wohl seiner Mitmenschen wirkender Mann Reeden und Werften besucht, tausend fleißige Hände beschäftigt, tausend Köpfe nach seinem Wort und Willen lenkt«. In Orleans, Blois, Amboise, Poitiers, La Rochelle ist Gudin mit Erzählungen und Verherrlichungen von Jeanne d'Arc, Heinrich IV., dem schwarzen Prinzen, Richelieu zur Stelle. In Kriegshäfen und Arsenalen wiederum gebührt Beaumarchais das erste Wort. Sie durchreisen die Provence, bestaunen, wie seinerzeit Rousseau, das Riesenwerk der Römer, den Pont du Gard bei Nîmes; am wohlsten aber suhlen sie sich in Marseille, der herrlich fortblühenden Massilia, der Wunderstadt, welche geheiligte phokäische Erinnerungen nicht hindern, alle Völker, die das Mittelmeer durchstreifen, an seinem Molo gastlich zu begrüßen. In Marseille erlebte Beaumarchais die Freude, sein Schiff » L'heureux«, das Stormonts Ränke volle zehn Monate in Frankreich festgehalten, auslaufen zu sehen. Von Marseille führte Beaumarchais' Weg nach Aix, der Stadt, vor deren Parlament der Prozeß gegen La Blache verwiesen wurde. So lustig das antik-moderne Phokäa, so traurig war das mittelalterliche Aix; »die römischen Säulengänge um die Heilquellen waren ebenso verfallen, wie die Mauern des Herrenschlosses der ehemaligen Grafen von Provence, in welchen das Parlament seit seiner Begründung getagt hatte, nun mußte es aus den baufälligen Räumen in ein nahes Kloster übersiedeln. So glich die ganze, schwarze, düstere Stadt schon in ihrem Äußeren den Robins mit ihren dunklen Talaren. Unbeschadet seines melancholischen Aussehens war Aix aber ungewöhnlich reich: die Schikanen seiner Sachwalter, die Heilkraft seiner Quellen lockte immer neue Besucher heran.« Beaumarchais weilte nicht zum letzten Male in der südfranzösischen Parlamentsstadt. Sein Rechtshandel war noch nicht spruchreif, und so macht er sich, von Gudins historischen Liebhabereien angenehm unterhalten, über Avignon und die katalaunischen Gefilde auf die Rückreise. So unvergeßliche Bilder ihrer Schaulust aber auch beschieden waren, alle diese gesellschaftlichen Erinnerungen und Natureindrücke erschienen nach Gudins Zeugnis den Heimgekehrten klein, den triumphalen Ehren gegenüber, die dem greisen Voltaire von seinen Parisern bereitet wurden. Beaumarchais war (am 3. März 1778) im Théâtre français, bei der berühmten Erstlingsvorstellung der »Irene«, die der geistige Adel Frankreichs zum Anlaß nahm, dem sterbenden Dichter überschwengliche Huldigung darzubringen für ein Leben fruchtbarer Arbeit. Beaumarchais applaudierte mit an jenem denkwürdigen Theaterabend, der nur ein Seitenstück im 18. Jahrhundert finden wird – die Erstlingsvorstellung von »Figaros Hochzeit«. Der Alte von Ferney hatte sich von den Strapazen dieser Jubelfeier, bei der man ihn »unter Rosen ersticken wollte«, noch nicht erholt, als sich Beaumarchais schon bei ihm einstellte. Der greise Poet umarmte seinen Besucher, den er zu der Vielseitigkeit seiner Talente, zu der Fülle seiner Theatererfolge beglückwünschte mit den allerdings nur von Gudin verbürgten Worten: »er setze seine Hoffnungen einzig und allein auf ihn«. Mit dieser Schmeichelei wollte Voltaire, wie wir bald sehen werden, ebensowohl den Schriftsteller wie den Spekulanten Beaumarchais für seine literarische Erbschaft interessieren.

Auch die Amerikaner bereiten ihm die freudigste Überraschung durch den glorreichen Tag von Saratoga. Die frohe Botschaft von der Kapitulation läßt ihn rasch der Fährlichkeiten und Schmerzen vergessen, die er durch einen Sturz aus dem Wagen erlitten. »Aus der Tiefe seines Bettes« erhebt er seine Stimme zu Vergennes Flassan l. c. 150–159. Beaumarchais' Mémoires an Vergennes, Arch. des aff. étrang. 526 (Dezember 1777 bis Februar 1778) sind fast durchweg publizistische Meisterstücke, die in einer Gesamtausgabe seiner Schriften nicht fehlen sollten., in der Zuversicht, daß der König über diesen Heldentaten der Freiheitskämpfer nicht der wahren, ersten Freunde Amerikas vergessen wird. Sein Siegesjubel wird aber bald gedämpft. Ohne sein Zutun, obwohl er es nicht an beredten Mémoires fehlen läßt, erkennt Ludwig XVI. förmlich die Unabhängigkeit Amerikas an. Der offizielle Vertreter der Vereinigten Staaten in Versailles wird Franklin und einer der ersten Akte der amerikanischen Deputation ist die Beschlagnahme der Rückfracht von Beaumarchais' »Amphitrite«. Dem schneidigen Auftreten von Rodrigue Hortalez gelingt es allerdings dies einemal, recht zu behalten gegen Franklin und Lee, aber neue Verdrießlichkeiten plagen ihn. d'Eon zeigt sich in Frankreich, von der vornehmen Welt kaum weniger gefeiert als Voltaire, und die streitbare Amazone beginnt sofort einen Federkrieg gegen Beaumarchais-Thersites, der unseren Dichter nicht halb so unterhält »wie das Parterre«. Auf vielen Liebhabertheatern wird in einem Possenspiel die parodistische Liebeswerbung Beaumarchais' um Hand und Herz d'Eons zum besten gegeben. Und Rodrigue Hortalez-Ronac wird nicht bloß zum Gespött der Fräulein von Saint-Cyr, welche die tugendhafte d'Eon zu sich laden und lachend zustimmen, wenn d'Eon versichert, Beaumarchais verdiene, von jeder rechtschaffenen Frau gefuchtelt zu werden. Der Skandalerfolg der Chevalière hält in Frankreich nicht lange vor, doch ganz ohne Einfluß blieben so gallige Worte und Pamphlete nicht. Beaumarchais verhöhnte wohl die facétie d'Eon mit den Versen von Glucks Armida » Armide est encore plus aimable, qu'elle n'est redoutable«; das kecke Auftreten d'Eons ermutigte trotzdem viele kleine und große Leute, gegen den bis dahin für unverwundbar gehaltenen Autor der Mémoires einen anderen Ton anzuschlagen. d'Eons weitere Schicksale sind bekannt. Er wurde anfangs durch die ungewohnte, in Frankreich obligatorisch bei Kerkerstrafe von ihm geforderte Weibertracht krank. Bei Ausbruch des Krieges zwischen England und Frankreich versagte man ihm natürlich die Erlaubnis, in die Armee einzutreten. Er lebte, fast interniert, auf dem Lande. Erst Mitte der achtziger Jahre durfte d'Eon nach England zurückkehren. Dort führte er ein halbvergessenes Dasein, das er nur ab und zu durch theatralische Schaustellung seiner Person bei Preisfechten und dergleichen mehr interessanter zu gestalten versuchte. Bis zu seinem Tode gefiel er sich in Frauenkleidern. Die Leichenschau des coroners und der Zeugen bestätigte, was die Wissenden niemals bezweifelten: » ce corps constitue tout ce qui peut caractériser un homme sans aucun mélange de sexe.«

Ausgiebiger Trost sollte Beaumarchais dagegen in Südfrankreich zuteil werden. Beim letzten Waffengang gegen La Blache, auf der Reise nach Aix, erfuhr er die Nachricht von dem Tode Voltaires und der Weigerung der Geistlichen, ihn zu begraben. »Er bedauerte,« so erzählt Gudin, »nicht in Paris zu sein, sonst hätte er Maurepas dazu bestimmt, dem Klerus eine große Lehre zu geben; nach seinem Rate hätte der Sänger Heinrichs IV. zu Füßen der Reiterstatue seines Helden, auf dem Pont-Neuf, bestattet, die Akademie, das Parlament, die Universität zu dem Leichenzug geladen werden müssen, bei welchem bloß Laien Zulaß gefunden hätten. Schriftsteller, Kunstfreunde und Männer der Wissenschaft wären ein würdigeres Gefolge gewesen als das geistliche. Ein Akademiker hätte die Denkrede halten und zugleich den Ort bezeichnen können, wo Voltaires Bildsäule neben dem Denkmal des Bearners sich erheben sollte …« Gudin zweifelt keinen Augenblick, daß Beaumarchais beredt genug gewesen, seinen Plan durchzusetzen. Jedem anderen, voran dem Urheber dieses phantastischen Vorschlages, mußten schwere Bedenken aufsteigen, ob unter dem ancien régime selbst ein frivoler Freigeist, wie Maurepas, zu einer derartigen Antizipation der Leichenfeier Victor Hugos sich verstanden hätte? Als Beaumarchais seine hitzigen Reden noch nicht zu Ende gesprochen, war Voltaire, dank seinem Neffen Mignot, schon längst in geweihter Erde zur letzten Ruhe gebettet, und als unser Dichter, wenige Wochen später, die Botschaft von Rousseaus Ende erhielt, meinte er viel verständiger: es sei im Grunde überflüssig, daß er diesen beiden Genies ein besonderes Totenopfer weihe – ganz Frankreich betrauere sie tief und würdig genug. Rousseaus Wesen war Beaumarchais übrigens, sehr begreiflicherweise, fremdartig und widerwärtig. Vgl. sein Urteil über die Confessions, Loménie II. Pièces just. Nr. 26, S. 587.

Indessen die beiden Kämpfer von allen Erfolgen und Enttäuschungen verruhten, rüstete Beaumarchais zu einem munteren Scheingefecht mit dem Grafen La Blache. Denn mochte dem Fernstehenden der Ausgang des Streites auch zweifelhaft erscheinen, wer schärfer zusah, konnte bald merken, daß die Minister Beaumarchais' Sache mit Wort und Tat förderten. Es war denn in der Tat nur Hartnäckigkeit des Grafen, die ihm diese letzte Demütigung eintrug. La Blaches schöne junge Frau hatte sich im Verein mit Conti bemüht, den Prozeß gütlich zu schlichten; der Ausgleich war schon dem Abschluß nahe, als Beaumarchais' Unnachgiebigkeit in einem nebensächlichen Punkte – er ließ durchaus nicht von der Forderung, ein gutes Bildnis von Paris Duverney zu erhalten – die alte Gehässigkeit seines Widersachers neu entfacht. Nach wie vor kämpfte La Blache mit unerlaubten Waffen. Aber nur ausnahmsweise antwortete Beaumarchais auf seine Verleumdungen und Schmähungen mit »knisternden Mémoires«, er fühlte sich stark genug, ihn gewähren zu lassen. Volle Siegesgewißheit spricht denn auch aus den letzten zwei, rasch improvisierten Antworten Beaumarchais' auf die Pamphlete La Blaches, der Réponse ingénue und dem Tartare à la legion.

»Ein erhitzter Kolporteur klopft an meine Tür und übergibt mir ein Mémoire mit den Worten: »Mr. de la Blache bittet Sie, sich für seine Sache zu interessieren.« »Kennst Du mich denn, mein Freund?« »Nein, das verschlägt auch nichts: wir sind unser drei, die von einer Tür zur andern laufen; ja unser Auftrag lautet, die Klöster so wenig wie die Krämerbuden zu übergehen.« »Ich bin nicht neugierig, mein Freund!« »Ach! nehmen Sie das Heft doch an: ich habe so schwer zu tragen; es weisen mich auch gar zu viele Leute ab.« »Meinetwegen! da – nimm! 8 Sous für deine Mühe und Gabe!« »Aber – bester Herr! wahrhaftig, soviel ist's gar nicht wert!«

In dieser Tonart setzt Beaumarchais ein: nicht Geld-, nur Ehrenfragen stünden zur Entscheidung; La Blache sei ein niedriger, jede adelige Gesinnung verletzender Geldschneider, er dagegen der von ritterlichen Gefühlen erfüllte Anwalt Duverneys. Wir kennen das alte Beweisthema und staunen nur über die neuen Seiten, die ihm Beaumarchais abgewinnt. Während La Blache mit einem Troß von Advokaten, Beratern und Schergen ihn aus dem Hinterhalt anfalle, gleiche er dem Tartaren, dem wilden Skythen, der auf offenem Felde, unbewehrt, nur der eigenen Kraft vertrauend, sich zum Kampfe stellt: »wenn dann mein Pfeil, mit kräftigem Zug abgeschnellt, pfeifend die Luft durchsaust, den Widersacher trifft und durchbohrt, so weiß man stets, wer ihn abgeschossen, denn ich schreibe auf die Spitze: Caron de Beaumarchais.« Was in diesem Schlußwort der Réponse ingénue beiläufig angedeutet ist, das gibt seiner letzten Streitschrift gegen La Blache Titel und Inhalt. Der Unermüdliche staffiert das endlose Gezänke eingangs mit einer kecken stilistischen Attacke heraus, die ihren Meister lobt, und schließt (ganz nach der Figaroweisheit Tout finit par des chansons) mit einem Scherzgedicht. Dazwischen liegt allerdings viel Phrasengestrüpp. Nur notgedrungen, so meint er, müsse er den Grafen »einseifen«, wie Figaro seinen Bartolo; er liebe den Frieden; seine Devise sei eine Trommel, die nur Lärm macht, wenn man auf sie losschlägt. Silet nisi percussus. Die Trommelwirbel, die Beaumarchais gleich nach dem Erscheinen des » Tartare« in Aix zum besten gibt, stimmen allerdings nicht zu dieser Versicherung. Am 19. Juli 1778 hat er seine Schlußschrift den Richtern überreicht. Was weiterhin bis zum Tag der Urteilsfällung (21. Juli) zu sagen übrig blieb, kam in öffentlichen Gerichtsreden der beiden verhärteten Gegner zum Ausdruck. Volle 5¾ Stunden vertrat Beaumarchais seine Sache, energisch, logisch, klar. Nach ihm kam La Blache zu Wort, geistreich und spitzfindig, doch nicht überzeugend. Einen vollen Tag widmeten die Richter der Urteilsberatung, ob sie gleich schon zuvor mit diesem Rechtsstreit 59 Sitzungen verbracht hatten. Die Aufregung in Aix, »einer Stadt, die von Prozessen lebt«, war außerordentlich. In den Hallen des Gerichtsgebäudes drängten sich die Neugierigen. La Blache harrte des Spruches in einem erleuchteten Salon, dessen Fenster auf die Promenade gingen. Beaumarchais ist indessen im Haus seines Anwaltes in einer stillen, abgelegenen Seitenstraße. Mit Einbruch der Nacht öffnen sich die Pforten des Gerichtssaales. Der Ruf wird laut: »Beaumarchais hat gewonnen«. Tausend Stimmen wiederholen ihn. Unter lautem Beifall pflanzt er sich bis zu La Blaches Wohnung fort, bei dem jählings Fenster und Türen geschlossen werden. Mit südlicher Lebhaftigkeit drängen sich die Massen zu der Wohnung Beaumarchais'. Der allgemeine Jubel berauscht ihn, so daß er nach Gudins Bericht – doch nur wie Rosine, im Übermaß freudiger Erregung – ohnmächtig wird. Bald erholt er sich aber und stattet dem Parlamentspräsidenten einen Dankbesuch ab. Der Magistrat sagt ihm, daß zugleich auf die Vernichtung seiner Aixer Mémoires ( Réponse ingenue und Le Tartare) und eine Geldstrafe von 1000 Livres erkannt wurde. Beaumarchais fügt lächelnd weitere 1000 Livres zu der Buße. Als er heimkehrt, begrüßt ihn ein Ständchen. Flöten, Geigen und Tambourins klingen durcheinander, Freudenfeuer erglänzen. Die Handwerker von Aix erscheinen und singen in ihrer Mundart Liedchen zu seinen Ehren. Näher als diese volkstümlichen Ehren mochte Beaumarchais der Wortlaut des Urteils zu Herzen gehen. Der Rechnungsabschluß zwischen Duverney und ihm vom 1. April 1770 wurde mehr denn 8 Jahre nach seiner Ausfertigung nicht bloß für unbestritten echt erklärt, das Parlament verfällte La Blache auch in ein Strafgeld von 12 000 Livres, das er seinem Gegner wegen unbesonnener Verleumdung auszahlen mußte. Die Besorgnis, daß La Blache den siegreichen Beaumarchais zu einem Zweikampf auf Schweizer Boden zwingen werde, bewahrheitete sich nicht. Duverneys Neffe verzichtete auf jedes weitere Rechtsmittel. Am Tag nach dem Urteilsspruch wendete sich La Blache an die Richter mit der Bitte, ihm kleine Erleichterungen in betreff der Zahlungsfristen bei seinem Gegner auszuwirken: ein Begehren, dem sofort willfahrt wurde. So erhielt Beaumarchais zwei Wechsel auf kurze Frist für die mit 70 625 Franks bezifferte Vergleichssumme: und zwar als Forderung aus dem Rechnungsabschluß vom 1. April 1770: 15 000 Livres, samt Zinsen im Betrage von 5625 Livres, Schadensersatz wegen Verleumdung 12 000 Livres, Prozeßkosten 8000 Livres, endlich Entschädigung für das von Duverney zugesagte unentgeltliche Darlehen in betreff der Forstwirtschaft von Chinon (s. oben S. 112) 30 000 Livres: zusammen 70 625 Livres, eine Summe, die Beaumarchais in seiner Geldklemme sehr gelegen kam und nicht, wie Kreyssig meint, »fast ganz« für Wohltätigkeitszwecke angewendet wurde.

Auf der Rückreise besuchte Beaumarchais in Lyon die Gräfin **. Mit einem Male tritt ein Fremder ein, der auf den Autor der Mémoires mit den Worten zugeht: »Ich muß Sie entweder erwürgen oder – umarmen!« Es war La Blaches Bruder, der die Haltung des Generals stets mißbilligt und Beaumarchais in sein Herz geschlossen hatte. In Paris wird der Triumphator mit herzlichen Glückwünschen empfangen. Aber es duldet ihn nicht lange auf dem Faulbett. Er verreist insgeheim für ein paar Wochen nach London (ein gewagtes Spiel für Rodrigue Hortalez!). Mittlerweile entlud sich über Gudin, der in besser gemeinten als geratenen Versen Beaumarchais' Sieg öffentlich gefeiert hat, ein Ungewitter des Zornes. Die abgetanen Räte des Parlements Maupeou haben nur mit ohnmächtiger Wut Beaumarchais' Erfolge hinnehmen können; seinen literarischen Parteigänger im Courrier de l'Europe, in dessen Hymnus von fremder Hand ein Ausfall auf den früheren sénat profane hineingedichtet wurde, wollen sie dagegen desto strenger zur Verantwortung ziehen. Nur einer rechtzeitigen Warnung der Nichte Voltaires hat es Gudin zu danken, daß er unter dem Pseudonym eines Herrn Le Blanc in die gemütliche Freistatt des Temple flüchten kann. Beaumarchais nimmt sich des Freundes mit größter Energie an; er erklärt Maurepas: wenn der Haftbrief gegen Gudin nicht sogleich aufgehoben werde, gedenke er dessen Unschuld vor Europa (!) zu erproben und Gudins Ehre mit größerem Lärm, als seiner eigenen, Genugtuung zu verschaffen. Der Minister läßt es nicht so weit kommen und Beaumarchais darf sich in einem launigen Briefe an Maurepas über die dummen Teufel lustig machen, welche bei der Hausdurchsuchung unter Gudins Papieren als besonders verdächtig das Cochinsche Bildnis unseres Dichters mit Beschlag belegten. Der Zwischenfall hat die Freunde für immer auf Tod und Leben verbündet.

Und es tat, selbst für eine so leichtmütige Natur wie Beaumarchais, not, daß er ein treues Herz sein nennen durfte in den Stürmen, die ihn unablässig heimsuchten. Seine Feinde und Neider verbreiteten die abscheulichsten Gerüchte. So oft eines seiner Schiffe auf das Andringen Stormonts mit Beschlag belegt wurde, hieß es, er stehe selbst im englischen Sold und habe in London Nachricht von dem bevorstehenden Auslaufen seiner Kontrebande gegeben. Und doch bestand Rodrigue Hortalez dazumal die schlimmsten Prüfungen durch die Schlauheit und schadenfrohe Bosheit des englischen Botschafters, der seinen Einspruch fast immer im letzten Augenblick, vor der Lichtung der Anker, erhob, um Beaumarchais gleichzeitig um Schiff und Ladung zu bringen. Am heißesten entbrannte der Streit zwischen den beiden einander ebenbürtigen Gegnern um Beaumarchais' Kriegsschiff Le fier Rodrigue. Die Engländer hatten der Firma Hortalez & Cie. so häufig ihre Handelsschiffe weggekapert, daß der Chef des Hauses auf den Einfall kam, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Im April 1777 kaufte Beaumarchais unter falschem Namen der französischen Regierung ein schadhaftes Linienschiff L'Hippopotame ab, das er sofort kalfatern, kriegstüchtig ausrüsten und mit Wein, Branntwein, Pökelfleisch, kurz mit einer Fracht im Wert von einer Million beladen ließ. Lord Stormont erhob, wiederum unmittelbar bevor der auf den Namen Le fier Rodrigue umgetaufte Hippopotame auslaufen sollte, Einspruch gegen diese mittelbare Unterstützung der Amerikaner. Und obgleich Beaumarchais in einem seiner beredtesten Briefe nachwies, daß der fier Rodrigue weder Waffen noch Kriegskassen mitführe, halfen ihm all seine spitzigen und witzigen Bemerkungen nichts: er hatte sich, wieder zur Unzeit, verraten. Sein Kriegsschiff mußte auf Befehl der Minister in Frankreich bleiben. Zu seiner großen Genugtuung nicht für lange. Denn sowie die Feindseligkeiten zwischen England und Frankreich die Abberufung Stormonts zur Folge haben, rüstet Beaumarchais ein Dutzend Kauffahrteischiffe, reich beladen mit Kriegsbedarf und Lebensmitteln aus, die unter dem Schutz des fier Rodrigue nach Amerika segeln sollen. Das Kriegsschiff »Seiner Majestät Caron de Beaumarchais'« nimmt sich mit seinen 52 Kanonen stattlich aus, so stattlich, daß der Admiral der französischen Flotte, Graf d'Estaing, mit höchstem Erstaunen diese schwimmende Festung betrachtet, als er derselben unversehens bei La Grenade ansichtig wird, denn der Admiral ist eben drauf und dran, den Engländern eine Seeschlacht zu liefern. Als er vom Kapitän des fier Rodrigue vernommen, wessen Flotille er beschützt, befiehlt ihm d'Estaing, kurzweg alle Handelsschiffe Beaumarchais' im Stiche zu lassen und mit dem fier Rodrigue der französischen Armada zu Hilfe zu kommen. Das geschieht, und Beaumarchais' Kriegsschiff hat entscheidenden Anteil an dem (allerdings nicht folgenreichen Gala-) Sieg von La Grenade. 80 Kugeln durchbohren den fier Rodrigue, dessen sämtliche Masten werden in Stücke geschossen, der Kapitän stirbt den Tod der Ehre. Kein Wunder, daß Graf d'Estaing im ersten Hochgefühl des Triumphes dem Nothelfer in der Rue du Temple – dort waren die Bureaus des Hauses Hortalez & Cie. – vom Admiralschiff aus nicht bloß seinen Dank meldet, sondern den Verbündeten zugleich auch fragt, welche Auszeichnungen er den Leuten seiner Marine zuwenden soll? Beaumarchais verlangt das Ludwigskreuz für seinen zweiten Kapitän und die Übernahme eines seiner Matrosen, Ganteaume (der es späterhin bis zum Admiral brachte), in die Kriegsmarine. Der König läßt Beaumarchais seine Befriedigung über den rühmlichen Anteil des fier Rodrigue an dem Tage von La Grenade aussprechen und durch Maurepas nach seinen eigenen Wünschen fragen. Rodrigue Hortalez will geantwortet haben: »er bitte nur um die eine Gnade, nie gerichtet zu werden, bevor man ihn zur Verantwortung gezogen«. So bescheiden ließ sich Beaumarchais nun allerdings nicht abfinden: der Tag von La Grenade soll und wird ihn aus seiner heillosen Geldklemme befreien. Rodrigue Hortalez kann darauf hinweisen, daß ihm außer der Schädigung des fier Rodrigue unermeßlicher Nachteil durch die Preisgebung von dessen Begleitschiffen erwachsen sei. Er erhält auf der Stelle eine Entschädigung von 400 000 Livres, und wir werden noch sehen, wie geschickt Beaumarchais den Zeitpunkt wählt, in welchem Ludwig XVI. ihm die Heldentat von La Grenade mit runden anderthalb Millionen vergüten muß. Vgl. die einläßliche Schilderung von Beaumarchais' Weiterungen mit Stormont Oeuvres V, 25–45.

Übrigens führte er nicht bloß Seekrieg mit England. Das Kabinett von St. James hatte in seinem von Gibbon verfaßten Manifest gegen Frankreich ausdrücklich die Haltung des Ministeriums Maurepas-Vergennes gegen Beaumarchais als Beweis außergewöhnlicher Perfidie angeführt. Der Dichter des »Barbier« wäre wohl unter allen Umständen Vergennes im Federkrieg hilfreich beigesprungen; er fühlte sich doppelt und dreifach zu dem Amt des publizistischen Anwalts seines Vaterlandes berufen, da er also namentlich in der englischen Staatsschrift genannt wurde. In vortrefflichen Observations sur le mémoire justificatif de la cour de Londres rollt er Englands Sündenregister auf; er geht der Dreieinigkeit von Handel, Krieg und Piraterie scharf zu Leibe und weist mit richtigem historischem Blick nach, daß England allein Schuld trage am Abfall Amerikas. Kein neuerer Geschichtsschreiber hat die Notwendigkeit des Unabhängigkeitskrieges richtiger begründet, als Beaumarchais in seinen Erörterungen über die verfehlte britische Handelspolitik in den Kolonien und die Verkennung der Aufgaben Frankreichs in Kanada. Die Verblendung der Minister Georgs III. habe das übrige dazu getan, daß der Bruch unheilbar wurde; töricht sei es also, Frankreich, das sich nur allzu neutral gehalten, zur Verantwortung zu ziehen. Habe man sich auch in Versailles anfangs kühl und ablehnend gegen die Amerikaner gestellt: er als Privatmann habe es sich zur Ehre und Freude angerechnet, die Sache der Freiheit zu fördern und zugleich den französischen Handel an den britischen Seewölfen zu rächen. In echt figaresken Wendungen gießt er alle Schalen seines Hohnes über Stormont und dessen Politik aus, die er als »erhabene Heuchelei« brandmarkt, während er für Gibbon ein paar freundliche Bemerkungen, für Georg III. nur Worte der Schonung hat.

Die heute noch lesenswerte Schrift verfehlte ihres Eindrucks nicht. Ein paar tausend begeisterte Briefe gingen Beaumarchais von seinen Landsleuten zu; Gudin verglich ihn mit – Tacitus und Price. Von einer Seite aber, von welcher er das am wenigsten erwartete, sollte er eine ganz unvorhergesehene, bitter empfundene Demütigung erfahren – von den Machthabern von heute und gestern. In der Hitze des Schreibens hatte sich ein sachlicher Irrtum eingeschlichen: Beaumarchais führte als eine der schmachvollen Bedingungen des letzten Friedens auch die an, daß England fortan die Zahl der französischen Kriegsschiffe willkürlich begrenzen dürfe. Diese Bemerkung reizte Choiseul dermaßen, daß er Vergennes schrieb: die Art der Veröffentlichung von Beaumarchais' Schrift lasse nicht daran zweifeln, daß sie von dem gegenwärtigen Minister inspiriert sei; die ersten Abschnitte verdienten auch alles Lob, aber eine so unerhörte Verleumdung seiner früheren Tätigkeit als Minister des Auswärtigen nötige ihn, die Unterdrückung der Observations von Amts wegen zu fordern. Beaumarchais erbietet sich sofort, die unrichtige, Choiseul verletzende Angabe in Zeitungen, Flugblättern, Nachträgen, kurz in jeder erdenklichen Weise zu widerrufen: nur die vollständige Unterdrückung seiner Schrift möge man ihm nicht antun; er habe mit seiner Broschüre, welche Vergennes ja vor der Drucklegung gelesen, allen Franzosen aus dem Herzen gesprochen: weshalb also einer Bosheit der Schwester Choiseuls – denn von ihr ginge der ganze Lärm aus – nachgeben? Umsonst! Auf Beschluß des Staatsrates wird Beaumarchais' Schrift unterdrückt, mit der Begründung: die Observations enthielten allzuviel gewagte Behauptungen; zudem wären sie stilistisch nicht immer sorgfältig abgewogen; endlich den Zensurvorschriften zuwider gedruckt. Beaumarchais' Klagen: er wäre vor Europa bloßgestellt und seine carrière humaine zu Ende, sobald man die Observations verleugne und verbiete, fertigt Vergennes mit der ironischen Bemerkung ab: er wisse nicht, ob er sich von dem Büchlein die Heilswirkung der letzten Ölung versprochen habe; in dem Fall möchte er ihm keinen Freipaß für den Himmel verbürgen. Und Beaumarchais duckte dem Gewaltstreich, schwieg den Hohnreden gegenüber, weil er der Förderung der Großen nicht entraten mochte. Bald aber kommt die Stunde der Vergeltung, in welcher er diesen puissants de quatre jours vor versammeltem Volke die Meinung sagt: die Premiere des »Tollen Tages«.

14. Die Kehler Voltaireausgabe

Voltaire figaroisé.

Katharina II.

In demselben Jahre, in welchem Beaumarchais' Kriegsschiff le fier Rodrigue in der Seeschlacht von La Grenade zur französischen Flotte stieß, schickte sich der rastlose Mann an, mit einem Aufwand von Hunderttausenden auf deutschem Boden ein Verlagsunternehmen zu begründen, zunächst nur dazu bestimmt, »dem größten Philosophen und dem größten Dichter, dem größten Genius und dem größten Mann des Jahrhunderts, Voltaire, durch eine Musterausgabe seiner sämtlichen gedruckten und ungedruckten Werke das schönste literarische Denkmal zu setzen«. Es war nicht allein Begeisterung für den Alten von Ferney, die Beaumarchais zu so superlativischen Verheißungen trieb; es war auch nicht bloß Wagemut, der ihn anspornte, den schweren Geschäftssorgen von Rodrigue Hortalez & Cie. noch alle Mühen und Gefahren einer lediglich auf seinen zwei Augen stehenden Société typographique ganz außergewöhnlicher Art beizugesellen; auch der bei unserem Helden sonst so vordringliche Erwerbssinn hatte diesmal nicht das erste Wort. Was ihn bewog, ein Riesenwerk zustande zu bringen, das Leute vom Handwerk nach jahrzehntelangen Vorarbeiten nicht einmal zu beginnen sich getrauten, das war all das miteinander und noch manches mehr, unter anderem der Gedanke, die Hasser und Neider zum Schweigen zu bringen, die ihm vorwarfen, er habe sich einzig und allein durch die schamlose Ausbeutung der Amerikaner und ihrer Gönner so märchenhaft bereichert. Gudin erzählt freilich, die erste Anregung zu dem kühnen Entschlusse sei von Maurepas ausgegangen. Katharina die Zweite habe nämlich den Verleger Panckoucke aufgemuntert, eine von ihm geplante Voltaireausgabe, zur Vermeidung aller Zensurschwierigkeiten, in Rußland auf ihre Kosten und unter ihrem Schutze drucken zu lassen Prospektus der Voltaire-Ausgabe ( Mém. secr. 31. Jan. und 17. Febr. 1780). Handschriftlich auch im Faszikel I der Beaumarchais-Papiere im großherz. bad. Landesarchiv. Dazu Brief Beaumarchais' an den Markgrafen von Baden, Paris, 30. August 1785. Fasz. I. – Vgl. Beuchot, Préface générale seiner Voltaire-Ausgabe, abgedruckt in der Edition Moland, I, S. XVIII ff. – Im September 1786 schreibt Beaumarchais an den Abbé Calonne: J'ai la preuve en main que c'est d'accord avec les ministres du roi, que j'ai commencé cette grande et ruineuse affaire etc. Loménie II, 232.. In patriotischem Unwillen habe sich nun Beaumarchais auf die erste Kunde von diesem Vorhaben nach Versailles aufgemacht, um Maurepas diese Meldung zu hinterbringen. »Es wäre eine Schmach für Frankreich« – so redete er dem Minister ins Gewissen – »die Schriften des Mannes, der die vaterländische Literatur zu triumphalen Ehren gebracht, in der Fremde veröffentlichen zu lassen.« Der Minister erinnerte sich vermutlich gerade nicht daran, daß bei Lebzeiten Voltaires die meisten und besten Werke des Dichters der Pucelle nur als Schmuggelware über die französische Grenze gebracht werden durften, ein Umstand, der zu allen sonstigen Reizen dieses Autors noch den Reiz der verbotenen Frucht gesellte; Maurepas soll vielmehr die Ansichten Beaumarchais' geteilt und nach kurzem Besinnen geantwortet haben: »Ich kenne nur einen Menschen, der diese Demütigung von uns abwenden kann …« »Und der wäre, Herr Graf?« »Sie.« »Nun denn, Herr Graf: ich möchte die Bedrängnisse und Fährlichkeiten einer solchen Unternehmung ohne weiteres auf mich nehmen; wenn ich aber all meine Kapitalien aufs Spiel gesetzt haben werde, wird der Klerus beim Parlament Beschwerde führen, die Ausgabe wird mit Beschlag belegt, der Herausgeber gleich den Druckern gebrandmarkt, die Schande von Frankreich vollständig und offenkundig geworden sein.« Herr von Maurepas versprach infolge dieser Vorstellungen den Schutz und Schirm des Königs für ein Unternehmen auszuwirken, »das den Beifall aller Gutgesinnten finden und den Ruhm seiner Regierung erhöhen müßte«. Soweit der Bericht Gudins, dem wir nicht kritiklos Glauben schenken wollen. Nicht von dem Minister, sondern von Beaumarchais selbst dürfte die Anregung ausgegangen sein, an der deutsch-französischen Grenze die Opera omnia Voltaires drucken und unter stillschweigender Duldung der Machthaber einschwärzen zu lassen. Was der geistige Urheber der Société littéraire et typographique von Maurepas erbat und erreichte, war vermutlich nichts anderes, als die Gewähr ausgiebiger Bürgschaften dafür, daß er sein Unternehmen mit der besonderen Zustimmung des Ministeriums begonnen habe. Als ihm dieser Freibrief zuteil geworden, schritt er rüstig ans Werk; er löste dem hart vor dem Bankrott stehenden Panckoucke Brissot nennt ihn wohl zu abschätzig einen Turcaret littéraire; vgl. über ihn auch die Mém. von Garat I, 269–277. Paris 1821. – Vgl. den Briefwechsel von Katharina mit Grimm ( Sbornik imperatorskawo ruskawo istoritscheskawo obschtschestwa Tom. 23, 1878) S. 105, 106, 140. für einen Preis von 160 000 Franken sämtliche Druck- und Handschriften ab, welche dieser Verleger im Laufe von Jahrzehnten mit Sammler-Glück und -Fleiß, teilweise auch von Voltaires Nichte mit großen Kosten an sich gebracht hatte; er kaufte die Lettern des berühmten englischen Schriftgießers Baskerville für 150 000 Franken; er entsendete eigens Leute vom Fach nach Holland, damit sie dort die Technik der Papierfabrikation studieren sollten; er wird Eigentümer von drei alten Papiermühlen in den Vogesen, die er erweitern und seinen gesteigerten Ansprüchen gemäß instand setzen läßt; er lernt, wie er selbst schreibt, über Nacht das ABC der Buchdruckerei, der Papierfabrikation und des Verlagswesens und er weist, nach einer weitverbreiteten Überlieferung, Panckoucke kurzweg ab, als dieser ihm am Tage nach dem Vertragsabschluß mitteilt, Katharina die Zweite habe ihm gerade einen Wechsel auf 150 000 Franken geschickt, er bitte ihn deshalb, den ganzen Handel rückgängig zu machen. In dieser Form ist die Geschichte gewiß nicht richtig. Gleich nach dem Tode ihres alten Freundes und Briefstellers Voltaire hat »Semiramis« ihren Pariser Vertrauensmann Grimm allerdings mit Panckoucke (und zwar auf des letzteren Bitte) Verhandlungen pflegen lassen, allein es wird dabei nicht viel mehr als eine Beisteuer zu den Druckkosten zur Sprache gekommen sein. Und selbst bei diesen sehr akademischen Erörterungen will Katharina, der die Ausgabe gewidmet werden sollte, schlechterdings nichts von Panckouckes Vorschlag hören, vor allem die ungedruckten Nachlaßschriften Voltaires zu veröffentlichen. Heillose Scheu äußert sie aber von dem Augenblick an, in welchem Beaumarchais in die Geschichte verwickelt erscheint. So sympathisch ihr der Barbier von Sevilla ist, so wohlgesinnt sie erklärt, »sie werde, wenn sie einmal in einer andern Welt mit Cäsar zusammentreffe, ihm dies Stück empfehlen«, ebenso widerwärtig ist ihr der Verfasser des Lustspiels selbst; sie will von Figaro persönlich nichts hören; sie billigt jedes arrangement panckouckien, sofern sie dadurch nur jede Berührung und jedes Mißverständnis mit Beaumarchais vermeiden kann.

Nur auf die eigene geistige Kraft gestellt, entwirft unser Held nun seinen Feldzugsplan. Es gilt, mit lockenden Versprechungen Käufer und Subskribenten für ein Prachtwerk zu gewinnen, das pro Exemplar 365 Livres kosten soll; es gilt, die richtigen Persönlichkeiten für den kritischen und technischen Apparat auszuwählen, Schriftsteller, Leiter für die Druckerei und Papierfabrik, Korrektoren, Schriftgießer, Buchbinder, Kupferstecher etc. auserlesener Art heranzuziehen; es gilt endlich oder vielmehr erstlich, mit richtigem Blick die Freistatt zu erkunden, auf der in voller Sicherheit der Druck begonnen und vollbracht werden kann, denn nach der ursprünglichen Absicht Beaumarchais' sollen sämtliche Bände an sämtliche Subskribenten gleichzeitig und vollzählig anno 1782 abgeliefert werden. Alle diese schwierigen Aufgaben löst Beaumarchais rasch, wiewohl nicht immer mit glücklichem Erfolge. Zu Herausgebern und Kommentatoren bestellt er Panckouckes Landsmann, den Liller Decroix, und leider auch Condorcet. Als oberster Korrektor erscheint der Gatte Tontons, Beaumarchais' Schwager Miron. Das Amt eines Druckereileiters soll anfänglich Restif de la Bretonne Rétif de la Bretonne, Monsieur Nicolas, 1797, Tome X, 11me partie, 3185 ff., der Autor und Setzer vielberufener naturalistischer Romane in einer Person, übernehmen. Und da die Verhandlungen mit diesem als Autor, wie als Handwerker gleicherweise eigenrichtigen Gesellen an seiner Halsstarrigkeit zuschanden werden, die herkömmliche Orthographie zur Anwendung zu bringen, tritt als unumschränkter Vollmachtträger Beaumarchais' der ehemalige Architekt Le Tellier ein. Dieser ebenso unfähige als herrische Mann hat die Aufmerksamkeit seines Pariser Chefs vielleicht zuerst auf das ganze Unternehmen hingelenkt; er hat dem Dichter des »Barbier« eine goldene Zukunft der Société typographique vorausverkündigt; er war es auch vermutlich, der Beaumarchais als Druckort Zweibrücken oder Neuwied oder endlich die Feste Kehl empfahl. Erwägungen verschiedener Art lassen gerade das Gebiet des Markgrafen von Baden als trefflich geeignet für die Zwecke der typographischen Gesellschaft erscheinen. Ganz abgesehen von der Nähe Straßburgs, erwarten die Herausgeber Voltaires, in Karl Friedrich, – dem überzeugten Parteigänger der Physiokraten, dem Briefsteller von Vater Mirabeau und Dupont de l'Eure, dem Freunde der französischen Philosophen, einem der würdigsten Vertreter des deutschen patriarchalischen Fürstentums, der gleich seiner Gattin Marie Luise persönliche Beziehungen zu Voltaire gesucht und gepflegt hatte, – einen zuverlässigen Schützer und Gönner ihrer Bestrebungen zu finden. Von diesen Hoffnungen ermutigt, stellt sich Le Tellier als Abgesandter der Société typographique in Karlsruhe ein. Durchweg nach den Beaumarchais-Papieren im großherz. bad. Landesarchiv. Vgl. auch Karl Obser, Voltaires Beziehungen zu der Markgräfin Karoline Luise von Baden-Durlach und dem Karlsruher Hof. (In der Festschrift zum 50jährigen Reg.-Jub. des Großherzogs Friedrich von Baden. Heidelberg, 1902.)

Dort bringt er das Gesuch an, der von ihm vertretenen Gesellschaft auf zwanzig Jahre alle zur Feste Kehl gehörigen Gebäude, Wiesen, Felder, Wälder, Jagd- und Fischereirechte gegen einen noch näher zu vereinbarenden Pachtzins in Bestand zu geben und ihm zugleich ein Privilegium für eine Druckerei zu verleihen, welche inbetreff aller nicht mit dem Namen eines Serenissimo gehörigen Druckortes versehenen Bücher Zensurfreiheit genießen soll. Im geheimen Rat wird sogleich das Bedenken laut, daß »der Ort der Druckerey, auch wenn er nicht auf den Titel gesetzt erscheine, nicht lange verborgen bleiben könne und deshalb die Rücksicht auf die auswärtigen Höfe eine Druckerey ohne alle Censur und Aufsicht nicht zulasse«. Der Markgraf genehmigt diesen Bescheid. In der ersten Septemberwoche reicht Le Tellier in Erwiderung auf diese Erlässe eine vier Folioseiten starke Denkschrift ein, die nach ihrem ganzen Ton und Duktus größtenteils, wo nicht gar von Anfang bis zu Ende aus Beaumarchais' Feder stammen dürfte. Unter Berufung auf den beigeschlossenen Prospekt der Voltaireausgabe wird bemerkt: die Société typographique sei in keiner Weise mit jenen abscheulichen Winkeldruckereien zu verwechseln, die Europa mit Schmähschriften gegen Gott und die Kirche, die gekrönten Häupter und alle redlichen Menschen überfluten. Zweck dieses Unternehmens sei, Voltaire zu geziemender Geltung zu bringen. Nun möge man sich die Stimmung in der ›Société‹ ausmalen, als in deren Pariser Rat die ersten Entscheidungen des Karlsruher Geheimen Rates eintrafen. Einer in der Gesellschaft (deren einziges Mitglied, nebenbei bemerkt, Beaumarchais war) erhebt sich und sagt: »So sind denn die Schriften Voltaires auf diesem Kontinent geächtet; nur das freie England hat die Fesseln des Aberglaubens abgeschüttelt; auf dieser Insel müssen wir denn auch ein Standbild Voltaires zwischen dem Altar der Freiheit und dem Altar der Duldung aufrichten. In Europa würden nun aber erst recht alle Erleuchteten nach Voltaires Werken aussehen, denn Voltaire sei kein Feind der Ordnung und des Friedens, er habe nur für die Aufklärung gegen den Fanatismus die Stimme erhoben.« »Was verlangen wir? einen stillen Winkel, auf dem wir vor lästigen Inquisitionen und voreiligen Zensuren sicher sind.« Und nun erörtert Beaumarchais in seinem beredten Advokatenstil alle Vorteile, welche diese Druckerei, ein Unternehmen des Gewerbefleißes, tausend rüstigen Händen bieten müsse. Kein Zweifel, daß, von solchen Erwägungen geleitet, ein anderes Mitglied des Pariser Rates den ersten Sprecher beruhigen und mit der Hoffnung trösten werde, daß die badischen Minister streng in der öffentlichen, schriftlichen Verkündigung der Willensmeinung Serenissimi insgeheim und mündlich diese Erklärungen abschwächen werden. Die Handschriften Voltaires seien so kostbar, daß sie schlechterdings nicht einem Zensor anvertraut werden können; zudem seien seine Werke für Deutschland nicht bedenklich; auch der hohe Preis der Ausgabe bürge dafür, daß sie nur solchen Gesellschaftsklassen zugänglich sein werde, die in allen Ländern die Erlaubnis haben, alles zu lesen etc.; endlich erbietet sich Le Tellier, jeden Band sogleich nach der Drucklegung vorzulegen und heikle Stellen kartonnieren zu lassen.

Die Antwort des Geheimen Rates lautet vorerst zuwartend; man begegnet einander mit kaum verhehltem Mißtrauen; die marktschreierische Verheißung des Prospektus, den Subskribenten Voltaires eine Lotterie von 1000 Losen im Gesamtbeträge von 300 000 Livres zugute kommen zu lassen, hat neue Vorbehalte des Geheimen Rates hervorgerufen. So verläßt Le Tellier Karlsruhe mit der Erklärung, es sei schlechterdings unmöglich, die Gesellschaft jedem Einspruch von Kaiser und Reich, von Deutschland und Frankreich preiszugeben. Nach diesen hochtrabenden Worten sollte man meinen, er scheide auf Nimmerwiederkehr. Fünf Monate später hat er sich jedoch anders besonnen. Mitte Februar 1780 findet sich Le Tellier neuerdings in der badischen Hauptstadt ein und wiederholt sein altes Anliegen mit dem Versprechen, daß die Société typographique erstens alles nur mit Baskervillischen Leitern drucken lassen, zweitens kein Werk eines lebenden Autors, drittens nichts in den Schriften verewigter Autoren veröffentlichen werde, was als Blasphemie oder Beleidigung gekrönter Häupter gelten könnte, endlich viertens in deutscher Sprache nichts ohne die besondere Erlaubnis Serenissimi herausgeben werde. Der Markgraf befindet, »seiner diesfalsigen Entschließung, in Ansehung deren dabei noch findenden Anstände, einigen Aufschub zu geben«. Zugleich wird dem Präsidenten von Hahn aufgetragen, »nicht nur hiervon den Le Tellier zu benachrichtigen, sondern auch bei demselben vorläufig die Einleitung zu machen, daß von Druckung der Pucelle d'Orléans und des Candide abstrahiert werde«. Zwei Tage später wird dem Le Tellier bekannt gegeben:

»Serenissimus sehen unter den vorherigen Bedingungen und unter der neuen Versicherung, daß die Censuren nicht durch die Departements laufen sollen und möglichst verschwiegen bleiben sollen, in dem Falle geneigt, ihm oder seinen associés zur befreyten Druckerey in Kehl die Erlaubnis zu geben.« Unter dem 7. März gibt der Präsident Hahn endlich alle Bedingungen zur Erteilung des Privilegiums an, und unter dem 10. März erklärt sich Le Tellier vollkommen einverstanden mit denselben. Er verspricht, erstens daß alles, was mit Angabe des Druckortes erscheint, die ordentliche Zensur passiere, zweitens daß in allen sonstigen Publikationen Blasphemien oder Angriffe gegen gekrönte Häupter ausgeschlossen bleiben, drittens daß der Markgraf frei bleibe von Schadensersatzansprüchen irgendwelcher Art, viertens daß Le Tellier und seine Vollmachtgeber niemals Serenissimum vor französischen Gerichten belangen, fünftens daß die Pucelle, die Paraphrase des hohen Liedes und der Candide niemals die Kehler Pressen verlassen würden etc.

Diesen schlüssigen Erklärungen gegenüber ist wohl anzunehmen, daß der im echten Figarostil gehaltene, ebenso witzige als insolente Brief Beaumarchais', worin er Le Tellier anweist, Serenissimo wegen der beabsichtigten Verstümmelung der Voltaireausgabe die Leviten zu lesen, niemals an seine Adresse gelangt ist, geschweige, wie Loménie behauptet, den Markgrafen zu einer Kapitulation bekehrt hat. Karl Friedrich beharrte auf seinem Sinn; in der Privilegiumsurkunde werden ausdrücklich die drei genannten anstößigen Werke Voltaires ausgenommen. Und wenn die Société typographique den Candide und die Pucelle trotz dieses Verbotes und trotz ihrer wiederholten Unterwerfung unter die vorgeschriebenen Bedingungen in die Gesamtausgabe eingeschmuggelt hat, so geschah dies dank einer ohnmächtigen, unablässig zum besten gehaltenen »Spezialzensur«, von der noch des weiteren die Rede sein wird.

Inzwischen nehmen die Verhandlungen guten, wenn auch etwas schwerfälligen Verlauf. Hofrat Herzog und Ingenieur Schwenck werden nach Kehl entsendet, um mit Le Tellier alle Vereinbarungen über die von ihm gewünschten Räumlichkeiten, den Bestandzins etc. zu treffen. Der Vertreter der Société typographique, der alsbald allgemein verhaßte Tyran de Kehl fordert nun Tag für Tag immer neue, immer größere Vergünstigungen. Er will nur zu seiner Bequemlichkeit alle Kasematten und Kasernenwohnungen für sich in Anspruch nehmen und den evangelischen Pfarrer und Schulmeister, sowie alte, brave Untertanen aus den Wohnungen vertreiben, die sie seit Jahren innegehabt und bezahlt haben.

Es ist eine wahre Freude, diesem fahrigen, anspruchsvollen Streithahn gegenüber, der gleich von Anfang an Beaumarchais schwere Verdrießlichkeiten bereitete, die ruhige, stetige, billig abwägende Art der badischen Beamten zu beobachten. So lautet das Gutachten des Hofrats Herzog: »Die Haltung eigener Buchbinder dürfte der Gesellschaft nicht zu erschweren sein (es handelt sich nämlich um die Luxuseinbände, deren Anfertigung besondere Geschicklichkeit erfordert); Le Tellier, der mit seinen Forderungen immer vom Hundertsten ins Tausendste kommt, begnüge sich aber nicht mit eigenen Buchbindern, er wolle auch alle die Handwerker selbst aufstellen, die dem Buchbinder die Materialien in die Hände liefern, das sind Lohgerber, Sämischgerber, Pergamentmacher und, was man wohl nicht erwarten wird, Mezger, weil diese dem Vieh die Haut mit einem gewissen Vorteil abziehen müssen. Auch diese möchten, die Mezger ausgenommen, der Gesellschaft zu bewilligen seyn. Ein eigenes Wirthshaus für ihre Leute wird der Gesellschaft in eben dem Maße, wie es bey verschiedenen Glashütten und dergleichen getrieben wird, auch wohl zu gestatten seyn. Zu Freygebung anderer Gewerbe und Handwerkssachen sehe ich nirgends einen Beweggrund.« Auch der Amtmann von Kehl, Strobl, äußert ernste Bedenken vor zu weit gehenden Vergünstigungen.

Ein Machtspruch Serenissimi entscheidet diese Vorfragen; der Markgraf resolviert, daß dem Le Tellier zehn eingehend bezeichnete Räumlichkeiten für zwanzig Jahre gegen einen Jahreszins von 400 Gulden bestandweise überlassen werden sollen. Zugleich erfolgt »wegen der von Le Tellier gebetenen Erlaubnis eigener Gewerber und Handwerker« etc. die Entschließung: daß diese Leute oder deren Familien weder auf das Kehler Bürgerrecht, noch auf Unterstützung aus öffentlichen Fonds Anspruch, sondern in gesunden und kranken Tagen der Gesellschaft zur Last fallen.

Der Bevollmächtige der Société typographique fügte sich unbedingt diesen Anordnungen; wurde ihm doch, manchen Gegenvorstellungen zum Trotz, unter dem 18. Dezember die Privilegiumsurkunde für die »Druckung derer Schrifften des Voltaire mit Basquervillischen Lettern« ausgefertigt, in welcher ihm und seinen Leuten »Personal-, Schazungs-, Accis- und Abzugsfreiheit« zugesichert wird.

Die ungewöhnlichen Gerechtsame genügen unserem Franzosen nicht: er will seine Befugnisse unablässig vermehren, wo nicht gar eigenmächtig überschreiten; auf seine Bitte verwilligt ihm der Geheimrat brevi manu eigene Bauleute. Bald aber laufen Beschwerden vom Amt und den Zunftmeistern der Schlosser, Bäcker und anderer Handwerker zu Kehl ein, wonach »Le Tellier sich Schreiner aus Luneville, Leute mit bemakeltem Vorleben und vielen Kindern kommen lasse und vorhabe, sich auch Schlosser etc. aus der Fremde zu verschreiben«. Es hebt damit ein hartnäckiger Zunftkrieg an, bei dem es sogar zu Tätlichkeiten kommt. Die Glaser von Kehl legen im wörtlichsten Wortverstande den aus Straßburg herübergekommenen Glasern das Handwerk; ein andermal erscheint Le Tellier durch die eigenmächtige Schlachtung von Vieh eines Acciseunterschleifes bezichtigt etc. Und die gereizte Stimmung in der Bürgerschaft wird in nichts beschwichtigt durch die Gewalttätigkeit, mit welcher er Festungs- und Rheinbauwerke demoliert und Kehler Einwohnern durch willkürlich angelegte Feldwege ihre Saaten verdirbt. Ein resolutes Frauenzimmer, Ottiny, reißt eines Tages Zäune nieder, die Le Tellier auf ihrem Grund und Boden aufrichten läßt, und als der Tyrann von Kehl sie durch seine Leute dingfest macht und in weitwendigen Protokollen vor dem Geheimrat in Karlsruhe gleich den Kehler Glasern verklagt, stellt sich der Amtmann Strobl ohne viel Umschweife auf die Seite der Beschuldigten. Beaumarchais selbst hält in den mildesten Worten seinem Vertreter seine Unverträglichkeit vor: »seit Sie mit unserem Voltaire zu schaffen haben, bekomme ich von allen Seiten, in Briefen aus London, Paris, Zweibrücken, Kehl, immer nur Vorwürfe zu hören; ich muß daraus wohl oder übel folgern, daß Sie bei den besten Absichten durch eine geringschätzige Manier die Durchschnittsmenschen verletzen, die gewohnt sind, den Baum nur nach seiner Rinde zu beurteilen.« Unter seinen eigenen »Künstlern«, Druckern und Schriftgießern erregte Le Tellier gleichfalls Anstoß durch sein unzeitiges Knausern, mehr noch aber »durch die Ungezogenheit, mit welcher er, der ehemalige Maurerpolier, Meister vom Fach anherrschte wie Tagelöhner und Ziegelstreicher«.

Ärgere Verdrießlichkeiten als dieser häusliche Krieg bereiteten der Société typographique sowohl, wie der Karlsruher Regierung Klagen maßgebender Persönlichkeiten gegen Beginn und Fortgang des Druckes. Im Pariser Parlament rührte sich die alte Feindschaft wider Voltaire. Der nachmals so viel berufene Brausekopf, Rat d'Esprémenil, stand einer Schmähschrift nicht ferne, die mit dem bezeichnenden Losungswort Clamate et ululate in die Welt geschickt wurde und das Beweisthema vertrat, die katholische Religion habe seit ihrer Gründung keinen gehässigeren und durch seinen Witz und Hohn zugleich gefährlicheren Widersacher gehabt als Voltaire. Seine Absicht sei gewesen, der Nebenbuhler des Begründers des Christentums zu werden. Ebenso frech und schamlos wie den Glauben, habe Voltaire die gesellschaftliche Ordnung persifliert; er habe Zucht- und Sittenlosigkeit offen gepredigt und verbreitet, die Magistratur unablässig beschimpft, mehr als einen jungen, unbesonnenen Leichtfuß in den Tod gejagt, denn d'Esprémenil steht nicht an, das tragische Geschick des Chevalier de la Barre als warnendes Beispiel für Voltaires verderblichen Einfluß anzuführen. Beaumarchais fertigte den »obskuren Beller und Heuler« mit dem »Ausdruck seiner tiefsten Verachtung« ab.

So bequem war ein anderer Beschwerdeführer nicht abzutun, der sich unversehens bei dem Markgrafen bei Baden meldete: der Kardinal Fürst-Erzbischof von Straßburg, der unglückselige Held der Halsbandgeschichte, Prince de Rohan Kardinal Rohans Brief wörtlich mitgeteilt Beilage VII. B. der ersten Auflage meiner Beaumarchais-Biographie (S. 653).. In der genialen Groteske, die Carlyle von diesem unwürdigen Priester entworfen hat, fehlt der letzte bezeichnende Zug, daß dieser träge, geckenhafte Lüstling, der Adept Cagliostros, einem deutschen Fürsten in einem vertraulichen Schreiben mit Klagen bei Kaiser und Reich droht, wenn er auf seinem Gebiete Voltaire weiterhin drucken läßt. Dabei kleidet Rohan seine Epistel in gleißnerische Worte. Nur die Sorge um das Seelenheil seiner Straßburger Diözesankinder führt angeblich seine Feder. Nur der Wunsch, seinem Cousin gefällig zu sein, bestimmt ihn zu der jesuitischen Versicherung, Karl Friedrich durch eine (allenfalls nur als Scheinklage vermeinte) Denunziation Anlaß zu geben, sich seine Kehler Schützlinge vom Halse zu schaffen. Eine wahre Lust ist es, in den Beaumarchais-Papieren des badischen Landesarchivs die Gutachten des außerordentlichen Zensurkollegiums und die Entwürfe zu dem Antwortschreiben des Markgrafen zu lesen, in welchen trotz aller höfischen Floskeln die ehrliche, deutsche Wohlmeinung der wackeren Herren über den »Vetter« Kardinal zum Vorschein kommt. Der Kehrreim aller Vorschläge lautet, Rohan höflich, aber entschieden zu bedeuten, daß der Markgraf selbst alle im Interesse der Religion und des Fürstentums gebotenen Vorsichtsmaßregeln getroffen habe und im übrigen wisse, daß »Ihro Kaiserliche Majestät« – dazumal Joseph II. – »die Beschrenckung der Preßfreiheit als einen Eingriff in die Rechte der Menschheit verabscheuten und es als ein Hindernis der Aufklärung der Nationen betrachteten, wenn man alles so genau nehmen und nichts gelten lassen wolle, was etwa dem oder jenem aus Neid oder Privatabsichten ärgerlich und anstößig scheinen und folglich als nicht zu erlauben vorkommen möchte«.

Serenissimus meint: gut Ding braucht Weile, und beantwortet erst ein Vierteljahr nach dem Eintreffen der Epistel Rohans den Bischofsbrief, nach einem wohlgelungenen Konzept Edelheims. Karl Friedrich beruft sich in seinem Schreiben darauf, daß er seine Regentenpflichten durch volle 35 Jahre so sorgsam erfüllt habe, daß sein hochwürdiger »Cousin« gar nicht die Besorgnis habe hegen brauchen, daß er, der Markgraf, sie gelegentlich der Kehler Druckerei außer acht gelassen. In betreff seiner zweiten Bemerkung – der Klage bei Kaiser und Reich – meint der Markgraf kurzweg: »er müsse seine Eminenz versichern, daß ein Vorhaben der Art der deutschen Reichsverfassung vollständig zuwider sei und deshalb von vornherein keine Aussicht auf den geringsten Erfolg habe.« Der unberufene Warner meldete sich nicht wieder. Die wohlverdiente Lektion hatte ihn offenbar über die Souveränitätsrechte seines weltlichen »Cousins« ein- für allemal ausgiebig aufgeklärt.

Nicht so glatt lief ein anderer Zwischenfall ab, der sich anfangs viel harmloser anließ. Die Société typographique hatte ihre Tätigkeit kaum aufgenommen, als sich im Frühjahr 1781 in Kehl und Karlsruhe ein sicherer Pierre Chanson mit dem Anliegen meldet, »er wolle in Kehl ein Hans und das Bürgerrecht erwerben, soferne man ihm die Erlaubnis erteile, eine Druckerey zu betreiben und nebenher einen Buchladen zu eröffnen, in dem er auch Schreibmaterialien, Kupfer etc. feilhalten wolle«. Legationsrat Rochebrune und Amtmann Strobl befürworten das Gesuch, da bisher noch kein Buchladen in Kehl bestünde, dem der Geheime Rat willfahrt. Anfangs führt Chanson fürs erste scheinbar ein rechtes Stilleben, er verlegt ein Elementarbuch der Geographie, das anstandslos die Zensur passiert. Und auch seine Bitte, ihm die Herausgabe eines » ouvrage périodique«, betitelt » L'observateur«, zu bewilligen, wird aufrecht erledigt. Zensor Molter berichtet: schon nach dem Motto » Uno avulso non deficit alter« stelle sich das ganze Unternehmen als eine Nachahmung von Linguets Annales politiques dar. Bei so akademischen Bemerkungen sollte die Kritik des Observateur nicht stehen bleiben. Chanson druckt ohne Zensur bedenkliche Geschichtchen aus dem Espion Chinois nach und es währt nicht lange, so trifft eine Beschwerde des Amtmanns Strobl ein, daß Chanson »bisweilen anstößige Bücher führe, auch sogar neulich in seinem Observateur No. IV. etwas unter dem Titel Querelles littéraires eingerückt, so Verdrießlichkeiten nach sich ziehen kann und wird«. Der Artikel ist aus Paris, 18. August, datiert und berichtet: »daß seit einigen Tagen ein kleine Broschüre betitelt Lettre d'un Alsacien à son ami souscripteur des oeuvres de Mr. Voltaire zirkuliere, in welchem der Briefsteller den Nachweis führt, daß die Ausgabe nicht dem Prospekte entspreche, vielmehr von Druckfehlern und Ungenauigkeiten wimmle; die Schuld schiebe der ungenannte Elsässer auf die schlechte Geschäftsführung und den unerträglichen Charakter des Direktors der Société typographique. In der Wahl dieses Mannes erkenne man die sonstige Feinheit des Geistes von Mr. de Beaumarchais nicht wieder, doch gelte hier, wie allerwärts das Sprichwort: caecitatem hominum quis non miratur?«

Strobl ist der Meinung, daß der Druck der Schmähschrift gegen Le Tellier, so hart man auch über ihn urteilen möge, keinesfalls zu gestatten sei. Alsbald ist er aber nicht bloß in der unerquicklichen Lage, ein gedrucktes Exemplar der Lettre d'un Alsacien beizuschließen, sondern auch anzuzeigen, daß Le Tellier die Urheberschaft dieses Pasquills einem gewissen Lamy zur Last lege, vormals Schriftsetzer der Société typographique, nunmehr Faktor bei Chanson. Der Kehler Zensor, Rochebrune, erklärt, daß die anstößigen Stellen im Observateur ebensowenig wie die Pamphlete ihm vorgelegt worden seien. Der Geheimrat verordnet, das Amt Kehl »solle Chanson vorladen und im Falle der Wiederholung solcher Stücke die Entziehung der Druckereilizenz androhen«. Als aber Strobl Chanson vorfordert, heißt es, es wäre verreist. Ferner wird gemeldet, daß Chanson oder Lamy der Société typographique neun Bände Voltaire entwendet haben sollen. Endlich betritt man bei einer Hausdurchsuchung in Chansons Druckerei den Lamy, wie er gerade im Begriffe steht, in Form eines Pariser Briefes ein neues Pasquill zu setzen, das alle Angriffe der »Elsässer« billigt und verschärft. Nun endlich meldet sich auch Le Tellier und bringt schlüssige Beweise dafür vor, daß Chanson in Paris, wohl bei Beaumarchais, vorgesprochen und die Lettre d'un Alsacien gegen ein Schweiggeld von ein paar hundert Livres habe verkaufen wollen.

Gleichzeitig treffen noch weitere Enthüllungen über den sauberen Patron ein. Rochebrune erfährt mit einemmal, daß Chanson Libelle, wie er in drolliger Steigerung bemerkt, gegen alle Welt, selbst die Straßburger Honoratioren, gedruckt und unter die Leute gebracht habe. Und mit allgemeiner Entrüstung wird die Entdeckung aufgenommen, daß Chanson, ein nichtsnutziger, sein Weib prügelnder Gesell, ein Schandwerk verlegt habe, das die ärgsten Gotteslästerungen enthalte. Dem Amtmann und dem Zensor von Kehl sind diese Aufschlüsse allerdings etwas spät zu Ohren gekommen und schwer erklärlich bleibt, wie sie der Vorschrift des Geheimen Rates entsprochen haben, Chanson vor Erteilung der Druckereilizenz »gute Attestate seiner bisherigen Aufführung« abzuverlangen. Gewiß ist, daß er fortan verschollen bleibt. Sein Gehilfe Lamy aber, der auf Befehl des Geheimen Rates dingfest gemacht werden soll, darf mit seinem sauberen Patron nicht in eine Reihe gestellt werden. Hat auch Rachsucht gegen Le Tellier seine Feder geführt, so muß doch zugestanden werden, daß seine von großer Belesenheit zeugende Kritik der Kehler Voltaireausgabe die eines tüchtigen Fachmanns und nicht verächtlichen Polemikers ist.

In der Lettre d'un Alsacien wird der Prospektus Beaumarchais' im Sinne des La Fontaineschen: Promettre est un et tenir un autre fast Punkt für Punkt zergliedert. Der Briefsteller erzählt, er habe sich nach Kehl, einer kleinen Stadt am rechten Rheinufer begeben, bekannt durch das Fort, welches Ludwig XIV. nach Vaubans Angaben aufführen ließ. Die Markgrafen von Baden-Durlach hätten die Festung nicht im Stand erhalten und dieses Fort samt Pertinenzen der Société typographique vermietet. Der Briefsteller habe die Gießerei, Druckerei und Buchbinderei besichtigt. Der junge, aufgeweckte »Künstler«, der ihn in dem Etablissement herumgeführt, habe nach Tisch auf ein Plauderstündchen bei ihm vorgesprochen und an der Hand der Tatsachen erwiesen, daß der Prospekt, wie alle Ankündigungen der Art, nur Sand in die Augen des Publikums streuen sollte. Die Verheißung Baskervillescher Druckerschwärze sei eitel Lüge gewesen. Der Druck der Lettern und Ziffern sei, wie im einzelnen dargetan wird, häßlich und ungenau; auch das Papier sei schlecht. Freilich lassen sich die Meister des Pariser Druckereiwesens, die Barbons, Didots, Etiennes, Clousiers etc. Pressen, Arbeiter, Papier usw. etwas kosten; Herr Le Tellier aber scheine seine Pressen von einer Minuendo-Versteigerung geholt zu haben. Nichts tauge etwas, Preßbalken, Münzpressen, Formen und Schrauben wären nichts nutz. Das Schlimmste aber sei der Direktor selbst mit seinem absprechenden, rücksichtslosen, eigennützigen Wesen; kein Arbeiter, selbst der Erfahrenste nicht, wage einen Ratschlag. Wie anders Didot, der 1777 als Arbeiterfreund und -Vater eine Eingabe der Pariser Drucker gegen ein dem Ministerium vorschnell abgedrungenes Reglement de discipline unterschrieb, um die Interessen der Typographie gegen Schleuderarbeit wahrzunehmen. (Note Lamys.) Andererseits wird jeder jähe Einfall Le Telliers Gesetz, dem alles unbekümmert um Herkommen und gesunden Menschenverstand folgen muß. Infolgedessen flüchten alle tüchtigen Arbeiter, so schnell sie können, und die Verheißung des Prospektus, die Ausgabe im Jahre 1781 den Subskribenten zu überantworten, sei schlechterdings unerfüllbar. Der Direktor mit seinem Universalgenie, der omnis homo, dieser ungerechte Mann, dessen Stirn seit langem verlernt, zu erröten, habe den englischen Arbeitern 2 sols vom Tausend Lettern und das von dem Preise abziehen wollen, den alle Prinzipale in Paris bezahlen, kein Wunder, daß die Ausgabe nicht einmal an die sorgfältigeren Barbons hinanreichen werde. Die Gesellschaft habe einen Unglücksmenschen an die Spitze gestellt etc. Mit der größten Schärfe werden in einem Nachtrag alle technischen Mängel der bisher gedruckten Bände hervorgehoben, mit dem boshaften Vermerk, ein Werk, so umfangreich wie die Ausgabe selbst, sei erforderlich, wenn man alle Fehler verbuchen wolle.

Wenn wir ein gut Teil dieses harten Urteils auch der persönlichen Feindseligkeit Lamys zur Last schreiben wollen, sicher ist, daß Beaumarchais selbst bei Le Tellier Klage führte, daß er schlechtes Papier etc. wähle und ihn der Gefahr aussetze, den gemeinen Betrügern und Spekulanten der Verlegergilde beigezählt zu werden. »Niemals« – so erklärt er ihm – »werde er sich zu Mittelmäßigem bequemen.« Freilich genügte es in diesem Falle nicht, auf die schöne äußere Ausstattung des Voltaire das Schwergewicht zu legen, es tat vor allem not, die Texte genau nach den Originalausgaben oder -Manuskripten herauszugeben. Und in dieser Beziehung läßt die Ausgabe so gut wie alles zu wünschen übrig; die bekannten Werke sind meist nach schlechten Nachdrucken, die handschriftlichen vielfach verstümmelt und ungenau, endlich Schriften anderer Autoren als Voltaireana wiedergegeben. Als Beuchot in unserem Jahrhundert um die Textkritik Voltaires sich viel verdient machte, zog er Beaumarchais' Gewährsmann Decroix wohl als Nothelfer für die Mitteilung ungedruckter Briefe Voltaires zu Rate, in Wahrheit beginnt aber erst mit ihm der dankenswerte Versuch einer genauen und vollständigen Gesamtausgabe Voltaires, dessen endgültige Lösung unseren Tagen nach den Bemühungen des Bibliographen Georges Bengesco beschieden sein sollte. Nicht viel besser als um die philologischen und technischen Mitarbeiter Beaumarchais' stand es um die literarischen. Condorcets Voltairebiographie und seine Anmerkungen sind phrasenhaft, weitschweifig und gehaltlos. Die Noten, welche Beaumarchais selbst einsteuerte, gehören allerdings mit zu den besten Anekdoten, die jemals aus seiner Feder geflossen; nur schade, daß er kaum ein dutzendmal mit so willkommenen Gastspielen erscheint. Zudem läßt die Vollständigkeit der Ausgabe zu wünschen übrig: ein Hauptwerk Voltaires, die Lettres sur les Anglais, wurde, aus Scheu vor dem Pariser Parlament, nicht in die Oeuvres complètes aufgenommen, und auch sonst haben spätere Herausgeber, durch Fleiß und Finderglück ausgezeichnet, reiche Nachlese halten dürfen.

Ein dauerndes Verdienst der Kehler Ausgabe bleibt dagegen die besondere Beachtung des Briefschatzes von Voltaire: 20 Bände von 71 sind der Korrespondenz des Mannes gewidmet, der einen David Strauß zuerst durch den Zauber seines Briefstils gefangen nahm. Der Briefwechsel mit Friedrich dem Großen und Katharina II., die Korrespondenz mit d'Argental, d'Alembert und tausend anderen bedeutenden und unbedeutenden Persönlichkeiten offenbaren Voltaire als Meister aller Töne, als Kenner der Menschen und Zeiten seines Jahrhunderts, der seinesgleichen nicht hatte. Höfisch und zynisch, pathetisch und frivol, herzlos und großmütig, egoistisch und aufopfernd, Diplomat und Pamphletist, Ankläger und Angeber, der Schmeichler und die Geißel der Großen, Ränkeschmied und hochherziger Retter in der Not, ein großer Autor und ein kleiner Mensch – all das und noch viel mehr ist Voltaire in diesen Briefen, die so lange wie die französische Sprache leben und seine meisten anderen Werke überdauern werden. Niemand kennt ihn und seinen Kreis, der nicht in alle Heimlichkeiten dieser entzückenden und gleich darauf wieder empörenden Korrespondenz eingedrungen ist. Niemand wird ihn vollständig verdammen, der seinen reinen Eifer für alle Opfer des Fanatismus und der Tyrannei in diesen Briefen, wie in einem Tagebuch, in immer neuen Worten und Entschlüssen aufleben; niemand aber ihn dauernd ins Herz schließen, der seine bubenhaften, neidischen und verlogenen Verdächtigungen Rousseaus, seine häßliche, eines großen Geistes unwürdige Hetze gegen die canaille de la litterature, Desfontaines, La Beaumelle und Fréron immer wiederkehren sieht. Aller Witz und alle Grazie seiner galanten Episteln, alle Genialität seiner herrlichen akademischen Staatsbriefe – z. B. über den Unterschied der französischen und italienischen Sprache, über die Kunst der Geschichtschreibung etc. – täuschen über den mephistophelischen Grundzug seiner Natur nicht hinweg. Nirgends überrascht seine Wahlverwandtschaft mit der Spottgeburt aus Dreck und Feuer mehr als in seiner Korrespondenz, die als Mustersammlung beredter und satirischer, neckischer und belehrender Episteln die ersten Briefsteller der Alten und Modernen übertrifft und nur dort den Ausdruck versagt, wo Voltaires eigenes Wesen die Fehler, wenn nicht gar das Fehlen, von Gemüt und Charakter durch keine Kunst des Stiles verbergen kann.

Eine andere wichtige Beigabe der Kehler Edition waren die » Mémoires pour servir à la vie de M. de Voltaire« ein posthumer Racheakt Voltaires gegen Friedrich den Großen. Beaumarchais gab dieses Fragment in Pariser Gesellschaften, u. a. beim Herzog von Choiseul, als Vorleser zum besten. Und es half Mr. de Vergennes nichts, daß er dem Chef der Société typographique die Weisung zukommen ließ, seine Vorlesungen, die viel Aufsehen und Ärgernis erregten, einzustellen und das Manuskript erst nach dem Tode des großen Preußenkönigs zum Abdruck zu bringen.

Ebensowenig als an die Winke der Pariser Machthaber kehrte sich die Kehler Sozietät an die Karlsruher außerordentliche Zensurkommission. Schon zu Anfang des Jahres 1782 beschweren sich Volz und Montpernis über die Willkür, mit welcher ihnen Le Tellier einzelne Bogen vorenthält; über die Dreistigkeit, mit welcher er sich Postfreiheit anmaßt und sie nötigt, die Bücherpakete auf ihre eigenen Kosten in Empfang zu nehmen. Wiederholt macht auch Amtmann Strobl Vorstellungen, daß bei Le Tellier »ein mehreres außer der Zensur gedruckt werde«. Le Tellier antwortet in all diesen Fällen ausweichend, stellt jede böse Absicht in Abrede, erklärt, daß er die Originalhandschriften nicht aus der Hand geben dürfe, da er für dieselben persönlich mit 50 000 Franken hafte, und tut im übrigen nach wie vor, was er will. Das eine und das andere Mal läßt er sogar in anderen Kehler Offizinen Libelle gegen mißliebige Persönlichkeiten (Rochebrune und die Straßburger Honoratioren) drucken. Auch sonst gibt er Anlaß zu Weiterungen. Er läßt im Karneval seine Leute oft ohne besondere Erlaubnis tanzen. Und so scharf lauten endlich die Karlsruher Erlässe und die vergröberte Mitteilung durch das Amt Kehl, daß Le Tellier es für nötig befindet, sich ausdrücklich vom Geheimen Rat die Zusicherung zu erbitten, er habe nicht zu besorgen, jemals ohne Grund arretiert zu werden. Die Mißstimmung gegen den Tyrannen wächst unablässig unter den Kehler Amtspersonen, Kleinbürgern und den 1784 die Zahl 157 erreichenden »Kolonisten«. Die Fremden halten so wenig Ordnung, daß der brave Amtmann Strobl erklärt, er könne mit der bisherigen Polizeimannschaft von einem Invaliden und einem Hatschierer nicht dauernd ausreichen und infolgedessen nur um Verstärkung durch Militärwache ansuchen. Das Begehren muß des Kostenpunktes halber abgewiesen werden. Sein Schmerz über die Nichtbewilligung dieses Wunsches wird aber wohl durch die unerwartete Freude gemildert worden sein, daß Le Tellier Knall und Fall seine leitende Stellung aufgeben muß.

Am 15. Oktober schreibt Le Tellier dem Markgrafen, daß im Augenblick, in dem mit der Veröffentlichung ihrer Ausgabe begonnen werden sollte, die plötzliche Flucht eines gewissen Cantini, Beaumarchais' Kassier, ihn zu Maßregeln nötige, die den Zusammenbruch der Société typographique nach sich ziehen müßten. Anfangs Januar des nächsten Jahres erklärt er Karl Friedrich, nur durch die vollständige Zession aller seiner Ansprüche an Beaumarchais sei es ihm möglich gewesen, die befürchtete Katastrophe von den Kehler Etablissements abzuwenden. Am 15. Januar kündigt Amtmann Strobl an, daß als Le Telliers Nachfolger der ehemalige französische Kriegskommissar De La Hogue sich in Kehl eingefunden habe, und am 8. Februar richtet der neue Befehlshaber der Société typographique ein Schreiben an den Markgrafen, in dem er die rechtsförmliche Verzichtleistung Le Telliers auf alle seine Ansprüche zugunsten von Beaumarchais, die »nur aus Dankbarkeit für die Dienste, welche ihm Mr. Caron de Beaumarchais von Anbeginn ihrer Verbindung erwiesen«, geschehen sei, mitteilt. Der Markgraf hat Le Telliers Rücktritt mit kaltem Bedauern zur Kenntnis genommen. Er resolviert: »dem De La Hogue sei in französischer Sprache Protektion zuzusichern.« De La Hogue ist das gerade Gegenteil von Le Tellier, schmiegsam, übersüß, schmeichlerisch. Er übersendet Serenissimo ein Exemplar der ersten Ausgabe von Beaumarchais' »tollem Tag« und Karl Friedrich nimmt das Widmungsexemplar huldvoll entgegen. De La Hogue tut inzwischen alle Schritte, um die formelle Übertragung des Le Tellierschen Privilegiums auf Beaumarchais und seinen Namen ins Werk zu setzen; er ist mit diesem Verlangen nur noch eifriger zur Stelle von dem Tage an, an dem Le Tellier wie ein Rasender in der Kehler Druckerei erscheint und mit dem Ruf: »Ich ergreife Besitz von allem, was hier steht und liegt«, Maueranschläge De La Hogues von den Wänden reißt, von den Gestellen und Pressen Holzstücke, dann wie ein Besessener auch im Garten und auf den Wällen des Forts Baumzweige und Früchte abschlägt. Karl Friedrich verordnet, daß De La Hogue in dem Besitz seiner Direktion gegen Le Tellier geschützt und dieser mit seinen vermeintlichen Ansprüchen auf den ordnungsmäßigen Weg verwiesen, nötigenfalls arretiert werde. Die Briefe, in welchen Le Tellier den Markgrafen um Gnade anfleht, werden mit dem Bescheid erledigt, er möge sich an die Gerichte mit seinen Ansprüchen wenden; ein ausführlicher Brief Beaumarchais' aber wird mit einem Schreiben des Markgrafen beantwortet, worin ihm Karl Friedrich sein Wohlwollen bezeugt und seinem Unternehmen auch fürderhin Schutz zusagt. Beaumarchais erhebt starke Beschuldigungen gegen Le Tellier, der ihn schwer geschädigt habe; er behauptet, diesem ungetreuen Geschäftsführer 1 600 000 Franken anvertraut zu haben; der Plan aber, sein (Beaumarchais?) ganzes Vermögen an sich zu bringen, sei mißglückt. Deshalb verfolge und verklage ihn Le Tellier nun. Beaumarchais erklärt sich aber bereit, auf alle Vorteile, welche ihm die Kehler Unternehmung einbringen könnte, unbedingt zu verzichten, wenn Le Tellier ihm nur seine bisherigen Kosten und Barauslagen ersetzen wolle, alle erdenklichen Erleichterungen in den Zahlungsfristen und Zinsennachlaß will er ihm diesfalls zugestehen etc. Der Brief tut im Verein mit De La Hogues Bitten seine Schuldigkeit: am 8. September 1785 wird das Privilegium auf Caron de Beaumarchais, Jacques Guilbert De La Hogue et Cie., jedoch mit dem Vorbehalte übertragen, daß den Rechten Dritter dadurch kein Eintrag geschehen dürfte. Le Tellier strengte einen Prozeß gegen Beaumarchais vor den badischen Gerichten an, in dem er jedoch nicht durchdrang.

Ein paar Maitage des Jahres 1786 verbrachte Beaumarchais mit La Hogue und einem Pariser Anwalt, der sich als Mitglied der Akademie von Florenz und von seinen Renten lebender Edelmann einführte, Herrn von Serionne, in Karlsruhe Beaumarchais' Besuch am Karlsruher Hof nach Ring (Karlsruher Archiv) s. oben »Quellen«. Zur Charakteristik Rings verweist Obser auf seinen Aufsatz über Klopstocks Beziehungen zum Karlsruher Hof (Z. Gesch. v. Oberr. N. F. VI.), Erich Schmidts »Charakteristiken« und D. F. Strauß (Hist. Z. 1859).. Sehr gnädig empfangen, speiste Beaumarchais täglich an der fürstlichen Tafel bei Hofe. Einmal lud auch Prinz Wilhelm Ludwig die drei Franzosen mit ihrem Karlsruher Kavalier, dem Geheimen Hofrat und Prinzenerzieher, zur Nachttafel, wo es in großer, auserlesener Gesellschaft sehr hoch herging. Es wurde herrlich geschmaust und Beaumarchais übte seinen natürlichen Witz, insbesondere an dem Ökonomisten Buté. »Wir bestiegen«, nach Rings handschriftlicher Aufzeichnung, »auch einmal miteinander unsern Schloßturm, wo sich Beaumarchais außerordentlich wohlgefiel und wovon er lange nicht heruntergehen wollte. Einige Abende las er Serenissimo die Idee und den Prodromum«, den Prolog, »zu seinem nachher mit so lautem Beifall aufgeführten ›Tarare‹ vor. Er liest und prononciert sehr gut, ist übrigens im ganzen ernsthaft, hat viel Welt, ist ungezwungen, weiß jedem nach seinem Stande zu begegnen, spricht vortrefflich, erzählt sehr gut und unterhaltend, weiß überall befriedigenden Bescheid zu geben, ist sehr glücklich in Repliken, gerät nie in Verlegenheit ( ne reste jamais court), weiß alles mit gehöriger Würze und mit dem naivsten Witze vorzutragen, daß man ihm um alles gern zuhört, sprach uns von der Marine und vom Commerz, vom Geldwechsel und von Politik, vom Theater und vom Magnetismus, vom Procès du collier« – und von dessen traurigem Hanswurst, dem Kardinal Rohan, dessen Anfechtung der Kehler Voltaireausgabe der Markgraf so tapfer abgewehrt hatte – »kurz von allem, was man wollte, im angenehmsten hinreißendsten Tone, so daß alles nur an seinem Munde hing und nur von ihm unterhalten sein wollte«.

Auch des häßlichen (im 16. Kapitel ausführlich zur Sprache kommenden) Zwischenspiels von Saint-Lazare wurde am Karlsruher Hofe gedacht und die Vermutung geäußert, ob nicht die Rache der hohen Geistlichkeit wegen der Kehler Voltaireausgabe und wegen Beaumarchais' Spottliedchen gegen den Hirtenbrief des Bischofs von Senez hinter der Gewalttat stecke. Allein Beaumarchais machte kein Hehl daraus, daß nur die gereizte Autoreneitelkeit des Grafen von Provence, nachmals Ludwig XVIII., den Ausschlag gegeben: rien plus drôle que cette histoire, fügt Ring hinzu, il nous l'a conté lui-même et elle lui fait beaucoup d'honneur.

Die Société typographique führt aber fortan ein weit weniger aufgeregtes Dasein als bisher. De La Hogue sucht ab und zu die eine und die andere Vergünstigung nach: unter anderem will er für sich und das Etablissement einen außerordentlichen Gerichtsstand erwirken, sonst bleibt alles beim alten. Die Zensoren klagen ebenso beweglich und ebenso erfolglos, wie in den Tagen Le Telliers, daß »das wenigste von denen in Kehl gedruckten Werken des Voltaire zur Zensur komme, und auch die Zensur scheine nur pro forma zu sein, weil der Abdruck schon geschehen, wenn ein Bogen davon zur Zensur gesandt werde. Das mag nun bei den alten Sachen hingehen: anders stehe aber die Sache, wenn, wie augenblicklich, die Korrespondenz mit Friedrich dem Großen gedruckt werde.« Diese Beschwerde findet volle Unterstützung beim Markgrafen. Infolgedessen antwortet De La Hogue mit freundlichem Entgegenkommen. Die Zensoren prüfen die Bogen des Rheinsberger Briefstellers, sie finden nichts Erhebliches auszusetzen. Nur empfiehlt Minister Edelsheim die Vorsicht, daß, »wenn in denen Briefen Sr. Majestät zuweilen etwas unschickliche Ausdrücke aus dessen erhabenster Feder geflossen seien, man solche durchaus ausließe; so seien insbesondere die Worte coïonneries und chancre etc. zu tilgen. Auch einzelne Ausfälle auf den Zar Peter dürften nicht stehen bleiben.«

Nebendem erfährt die Zensurkommission erst bei dieser Gelegenheit, daß ihr sieben Bogen der Korrespondenz gar nicht mitgeteilt worden seien. Noch schlimmer als die Karlsruher Spezialzensur wird die Straßburger Polizei zum besten gehalten. In der dortigen Stadtbibliothek habe ich in den »Bücher-Zensur-Protokollen« die lustigsten Geschichten der Figarostreiche gefunden, mit welchen vor den Augen der Grenzwächter und Magistrate die Voltaireausgabe »in Päcken von 81?, 80?, 91 etc. Zentnern schon umschnürt und verbleyet in das Innere des Königreiches« befördert wurden. Voltaire, der unübertroffene Meister in der Kunst, die Behörden mit angeblichen »Nachdrucken« und tausend erfinderischen Listen zu necken, hätte seine helle Freude an seinem ebenbürtigen Schüler Beaumarchais gehabt, der im vollen Einverständnis mit dem durch ein Freiexemplar bestochenen Generalpostdirektor und durch die geschickte Behandlung der Minister alle Ämter zweiten und dritten Ranges unablässig am Narrenseil führte. Im Laufe der Jahre erließ der Generaldirektor der Zensur allerdings ein vertrauliches Rundschreiben, worin er anzeigt, daß die beiden Kehler Voltaireausgaben in zwei Formaten auf vier verschiedenen Papiersorten zu acht Preisen »toleriert«, aber weder in Zeitungsblättern angekündigt, noch in Schaufenstern etc. ausgestellt werden dürfen.

Alle Geschicklichkeit Beaumarchais', alle Begünstigung der Minister vermochten indessen den materiellen Mißerfolg dieser Ausgabe nicht abzuwenden. Deutsche Besucher der für die damaligen Zeiten riesigen Anlagen konnten sich zwar nicht genugtun in begeisterten Lobsprüchen auf Gegenwart und Zukunft des Unternehmens; im November 1784 veröffentlichte das »Deutsche Museum« einen Brief von J. H. Frentzel an den bekannten Anwalt der Judenbefreiung, Geheimrat Dohm, »Die Beaumarchais'sche Buchdruckerei in Kehl betreffend«, in dem die Tüchtigkeit der Leistungen, die Größe der bereits bewältigten wie der für die Zukunft ins Auge gefaßten Aufgaben ungemessen gepriesen wurde. Nicht nur Musterausgaben der französischen Meisterstücke, Prachtdrucke der lateinischen Autoren seien in Angriff genommen; »aber auch dieser Plan scheint der Gesellschaft noch zu eingeschränkt; er soll noch weiter gehen und sich auf die deutschen Dichter erstrecken«. Beaumarchais wäre willens, alle vorzüglich guten deutschen Schriften und besonders die Poeten der Reihe nach in lateinischen Lettern abdrucken zu lassen, nicht nur aus kaufmännischen Absichten, sondern um die deutsche Literatur in Frankreich bekannter zu machen. »Vermöge der Macht seines unternehmenden Geistes und des erstaunlichen Einflusses, den er auf alle Stände in Frankreich hat,« hoffe Beaumarchais es dahin zu bringen, daß jede öffentliche und beträchtliche Privatbibliothek sich die Werke der Deutschen ebenso, wie sie jetzt schon die Schriften der Italiener, Engländer und anderer Nationen besäßen, ankaufen würde. Sbornik etc. Brief vom 20. Sept. 1783, 25. Nov. 1787, 28. Dez. 1787, 22. Febr. 1788. Mém. secr. t. XXVI, p. 250. Fournier, Introduction XLIV. Loménie 224. 225.

Allein unbekümmert um dieses und manches andere phantastische Vorhaben hielten sich selbst für Voltaire die Franzosen an die bisherigen, bedeutend wohlfeileren und ebenso guten Ausgaben, und die Deutschen erhielten in dem Gothaer Nachdruck Ettingers für 30 Reichstaler alle Errungenschaften der Kehler Oeuvres complètes. Auch sonst erwuchsen Beaumarchais immer neue Verdrießlichkeiten. Kaiserin Katharina, die schon auf die erste Nachricht, daß »Figaro« im Besitze ihrer Briefe an Voltaire sich befinde, außer Rand und Band geraten war, findet es impertinent, daß er ihre Korrespondenzen ohne ihre besondere Erlaubnis drucken läßt, es mag noch hingehen, wenn er Voltaires Briefe an sie veröffentlicht, aber wehe ihm, wenn er die ihrigen herauszugeben gedenkt. Als sie hört, daß der vilain homme den Band bereits fertig gestellt hat, läßt sie durch Grimm Klage bei Ludwig XVI. und dem Oberzensor Montmorin erheben und alle bedenklichen Stellen kartonnieren; 412 000 Seiten mußten mit einem Kostenaufwand von 15 000 Livres umgedruckt werden. Aber allem Anschein nach hat Beaumarchais für diese Laune der Zarewna keinen Heller Entschädigung erhalten. Kein Wunder, daß der Hauptunternehmer der Société typographique seine Schöpfung mehr und mehr vernachlässigt und dann und wann sogar versäumt, den Bestandzins zu zahlen. De La Hogue sucht diese Vergeßlichkeit seines Chefs durch verdoppelte Aufmerksamkeit gegen den Markgrafen und seine Minister wettzumachen; mit übertriebener und nichts weniger als absichtsloser Wohldienerei drängt er sich an Karl Friedrich heran. Bald dankt er für das huldvolle Versprechen eines Bildes Serenissimi, bald wieder zeigt er seine Verbindung mit der verwitweten Baronin von Neuenstein in einem Tone an, als ob er zu den ältesten und treuesten Vasallen des Markgrafen gehören würde. Im Grunde erstrebt er nichts anderes als ein Hofamt. Mit unverhohlener Enttäuschung beklagt er sich in seinem letzten Briefe an Karl Friedrich darüber, daß ihm mit dem Titel eines Geheimen Legationsrates nicht auch die Stelle eines interimistischen Geschäftsträgers von Baden am Pariser Hofe zuteil geworden, da der bisherige Vertreter Dupont de l'Eure doch gewiß nicht auf die Dauer die Pflichten eines Abgeordneten mit denjenigen eines badischen Abgesandten zu vereinigen vermöchte.

Beaumarchais greift immer weniger in die Kehler Händel ein. Nur einmal, im April 1788, erregt das falsche Gerücht von seinem Ableben große Bewegung in Karlsruhe und dem Stammsitz der Société typographique.

Im November wendet sich Beaumarchais zum letztenmal selbst an den Markgrafen, zum schlagenden Beweis für seine ungeschwächte Lebenskraft und Kampflust, mit dem Gesuch, seinen Prozeß gegen Le Tellier zu beschleunigen. Bald aber verliert Beaumarchais auch das letzte Anrecht auf den Namen »eines Bürgers der Zitadelle von Kehl, eines Untertanen Serenissimi etc.« Die badischen Rentämter wollen nichts mehr von einer weiteren Stundung des Pachtzinses hören; alle geschraubten Erklärungen De La Hogues werden vom Hofrat Herzog mit der Forderung zunichte gemacht, die Sache nicht weiter hinauszuschieben und deutlich Ja oder Nein zu sagen. Im November 1790 geben De La Hogue und Beaumarchais' Bevollmächtigter Salins de Monfort ihre unumwundene Zustimmung zur Aufhebung des Bestandvertrages. Der Markgraf bringt die Sache als echter Grandseigneur ins reine: er erklärt seinen Willen dahin, daß 6000 fl. gezahlt werden und dem De La Hogue Zimmer und Garten noch auf drei Monate zu belassen sei.

Nach den nötigen Förmlichkeiten und Sicherstellungen für allfällige Gläubiger der Société typographique wird endlich 1791 der Bestandvertrag vollkommen aufgehoben. Die » avantages de la location de Kehl« für Karl Friedrich Vgl. Kleinschmidt, Karl Friedrich von Baden, Heidelberg, Carl Winter, 1878, S. 71., von denen Loménie spricht, sind nach dieser Endabrechnung gleich Null; der Markgraf erhielt einen Pachtzins von 3000 fl., den er vermutlich von gewöhnlichen Bürgersleuten gleichfalls im Lauf von zehn Jahren hereingebracht hätte, und er bezahlte der Société typographique zu guter Letzt für ihre Meliorationen das Doppelte ihres Bestandzinses heraus. Auch der heimische Gewerbefleiß ist durch diese Unternehmung, die wesentlich Ausländer beschäftigte, nicht gefördert worden. Eigennutz und Privatvorteil hatten von Anfang mit dieser Sache nichts zu schaffen gehabt. Was Karl Friedrich zur Erteilung des Freibriefes bewogen, war vornehmlich der Wunsch gewesen, die Sache der Aufklärung in seinem Kreise und auf seine Art zu fördern.

Beaumarchais' Absichten bei der Begründung der Kehler Kolonie wären nicht so einfach zu kennzeichnen. Sicher ist nur, daß sie ihm nicht nur keinen Nutzen, sondern einen Schaden von Millionen einbrachten. Seine Voltaireausgaben blieben unverkauft in den Kellern seines Palastes liegen. Und als ihn Panckoucke drängte, die rückständigen Posten für den Ankauf der Manuskripte zu begleichen, veräußerte er endlich unter der Hand einen Teil seiner Büchervorräte zu herabgesetzten Preisen und im Nu wurden die Oeuvres complètes de Voltaire, Edition de la Société typographique, von betrügerischen Unterhändlern vergantet und im Aufstrich feilgeboten. Selbst zu diesen Schleuderpreisen wurden die Bücherbestände nicht an den Mann gebracht; war doch im Jahre des Nationalkonventes, in den Tagen der Schreckensherrschaft, keine Liebhaberei seltener als die bibliographische! Zudem verkündigten wirksamer als die besten historisch-kritischen Voltaireausgaben die Taten und Worte der Söhne der Revolution den Einfluß seiner Schule, die verheerende Wirkung der furchtbaren Lehre Ecrasez l'infame!

15. Die Generalstaaten der Bühnendichter

Journal des Intendanten Papillon de la Ferté. (Paris, Ollendorf, 1887.) Index.

Ah! les étranges animaux à conduire que
des comédiens.

Moliére: L'Impromptu de Versailles

Die Revolution, welche die Lehren von Voltaire und Rousseau über alles Erwarten zur Geltung brachte, verhalf auch einem alten Lieblingswunsch Beaumarchais' zum Siege: die Gesetzgeber der Nationalversammlung ließen dem geistigen Eigentum vollen Rechtsschutz angedeihen. Dieselben Volksvertreter, welche den Privilegien des Adels und der Geistlichkeit so rasch ein Ende bereitet, brachen das Monopol der Comédie Française, dessen Mißbrauch kaum irgendwer schärfer zu Leibe gegangen als der Dichter des »Barbier von Sevilla«. Er, der in dem Jahrzehnt 1774–84 als Sachwalter seiner eigenen Prozesse in Paris und Aix, als geheimer Agent, Reeder und Verleger übermenschliche Arbeitsmühen zu bewältigen hatte, fand nicht bloß Kraft und Lust, »zu seiner Erholung« den »tollen Tag« zu schreiben, er war als Wortführer aller dramatischen Autoren zur Stelle, als es hieß, dem Übermut und der Habgier der Mitglieder des Théâtre français den Meister zu zeigen. Dazu bedurfte es zunächst des Rechenmeisters, der ziffermäßig erhärtete, daß die Schauspieler die Bühnendichter in ihren Einnahmen wissentlich um Hunderttausende verkürzten: auf den ersten Augenblick eine unlösbare Aufgabe, bei der engherzigen, bedingungslos aufrecht erhaltenen Übung der Komödianten, keinem Theaterdichter Einblick in die Geschäftsbücher der Maison de Molière zu gewähren. Es galt aber weiter, »den Sultanen des großen Serails« beizukommen, der Günstlingswirtschaft der Herzöge von Duras und Richelieu, welchen als ersten Kavalieren des Königs die oberste Leitung der Hoftheater zukam. Mit das Schwierigste war, »die Republik der Wölfe« einer Diktatur zu unterwerfen, d. h. sämtliche Bühnendichter zu einmütigem Vorgehen zu vermögen. Es ist vielleicht die größte Leistung der diplomatischen Findigkeit Beaumarchais', wie er bei diesem Anlaß der »beiden unbotmäßigsten Menschenklassen: Schauspieler und Schriftsteller« Herr wurde. Und wenn man ihm später nachgerühmt: er habe mehr Geist und Witz aufwenden müssen, um den »tollen Tag« auf die Bühne zu bringen als ihn zu dichten, so gilt dieser Lobspruch mindestens in demselben Maße der Umsicht und Ausdauer, mit der er seinen Feldzug gegen die Comédie Française plante und beendigte. Ohne jeden eigennützigen Beweggrund trat er als Anwalt von Leuten auf, die mit ihren idealen Neigungen nicht das Geschick verbanden, ihren persönlichen Vorteil wahrzunehmen. Während die meisten Theaterdichter jener Tage in sehr bescheidenen, wo nicht gar ärmlichen Verhältnissen lebten, verfügte Beaumarchais nach dem Sieg von La Grenade über eine Jahresrente von 100–150 000 Franken. Er hatte seine ersten Dramen der Comédie vollkommen unentgeltlich überlassen und die strittigen Autorenbezüge des »Barbier« wohltätigen Zwecken zugedacht. Was ihn trieb, in diese heiklen Händel einzugreifen, war ein edleres Motiv. Er schrieb den Niedergang der dramatischen Kunst in Frankreich dem Elend der Theaterdichter, dem Unverstand der Schauspieler zu und er nahm mit seinem Kampf für die materielle Unabhängigkeit des dramatischen Schriftstellers nur seinen frühzeitig gehegten Vorsatz auf, die Wiederherstellung des nationalen Schauspiels anzustreben, eine Absicht, die er am besten dadurch zu erfüllen gedachte, daß er dem Raubwesen Einhalt tat, dem die uneinigen, unpraktischen Literatoren dazumal preisgegeben waren. Das Wort ist stark: es trifft aber die Wahrheit. Weitab lagen die Tage, in welchen ein Direktor mit dem Künstlersinn Molières berufenen Poeten würdige Honorare anwies. Schon unter der Regentschaft spielten die Komödianten einem Lesage so übel mit, daß sie seine rächende Zensur verdienten.

»Sind denn diese Herrchen« – so meint ein Schauspieler im Gil Blas – »überhaupt unserer Beachtung wert? Wenn wir uns auf eine Stufe mit diesen Skriblern stellen wollen, wäre das der sicherste Weg, sie gründlich zu verderben. Behandeln wir sie allezeit als Sklaven, unbesorgt um ihre Launen. Wenn der Ärger sie auch eine Weile von uns forttreibt, ihre Schreibwut führt sie am Ende doch wieder zu uns zurück: müssen sie doch überglücklich sein, wenn wir aus Erbarmen ihre Stücke überhaupt spielen wollen.« Despois, Le Théâtre français sous Louis XIV, Paris, Hachette, 1874, S. 201. Ed. Garnier 183. Piron, Oeuvres complètes, I. Vie de Piron, S. 85 (Neuchatel 1777). Beaumarchais, Oeuvres VI, 44. 190. 204. Vie de Piron 54–58. Despois 195. I. Fournel, Curiosités théâtrales. Paris, Delahays, 1859. S. 126. Vgl. den Brief Sedaines. Loménie II, 558. Oeuvres VI (Avertissement Gudins 8. IV, VIII). Beaumarchais, Oeuvres VI, Av. III, 6. 7. Fournel, XXI. La Harpe, Corr. litt. I, 129. 184. Aubertin, Histoire de la langue et de la littérature française au moyen-âge I, 442 (Paris, Belin, 1876).

Es lag mehr als parodistische Übertreibung in diesem Ausfall: die Comédie Française übte dieselbe schrankenlose Tyrannei, wie gegen alle Nebenbühnen, so auch gegen die Autoren. Voltaire überließ seine Stücke notgedrungen – oft unentgeltlich – dem einzigen Schauspielhaus, das ihm zur Verfügung stand, und es war vollkommen begreiflich, daß die Anfänger seinem Beispiele folgten, auch wenn er es versuchte, die Jungen dann und wann zum Widerstand gegen die Komödianten aufzustacheln. Piron lehnte Aufforderungen der Art mit der schlüssigen Erklärung ab: er werde nicht bei seinem Erstlingswerk Streitigkeiten heraufbeschwören, denen anerkannte Meister, wie Voltaire und Lamotte, bei ihren neueren und neuesten Werken vorsichtig aus dem Wege gingen.

Je nachgiebiger die Bühnendichter sich benahmen, desto rücksichtsloser wurden die Komödianten. Beaumarchais hat späterhin unwiderleglich nachgewiesen, daß die Genossenschafter der Comédie Française in jenen Zeiten der größten allgemeinen Theaterpassion ihren Jahresanteil auf je 25–27 000 Franken zu steigern wußten, während die Durchschnittstantième für einen Autor 1650 Franken betrug. Die Schauspieler verdienten jahraus jahrein 8–900 000 Franken, während alle Bühnendichter höchstens 37 802 Livres erhielten. Der Dichter des »Barbier« war nicht der erste, der sich gegen so unleidliche Zustände auflehnte. Große Talente wandten sich (s. oben S. 115) vollständig von der Comédie Française ab, dem Jahrmarktstheater, Liebhaberbühnen und dem Théâtre italien zu. Hatte sich doch auf Sedaines Begehren die erste, dem Singspiel geweihte Truppe schon 1775 bereit erklärt, den Theaterdichtern zeitlebens von jeder Aufführung ihrer Werke einen angemessenen Gewinnanteil zu verwilligen. Freilich besaß nicht jeder dramatische Autor das Talent und die Geschmeidigkeit, Vaudevilles zu schreiben; wer aber Trauerspiele, Charakterkomödien und Rührstücke zur Aufführung bringen wollte, mußte nach wie vor an die Pforten des Théâtre français klopfen. Der Übermut dieser privilegierten Komödianten wuchs denn auch ins Ungemessene. Als ein mißliebiger Tragödiendichter, Lonvay de la Saussaye, seine Tantième begehrte, überraschten ihn die Mitglieder der Comédie mit einer Rechnung, derzufolge der Autor als Beitrag zu den ungedeckten Ausstattungskosten dem Theater 101 Livres 8 Sous und 8 Heller herauszuzahlen habe. Der gehänselte und betrogene Dichter wandte sich, wie andere in ihrer Eitelkeit und in ihren Einnahmen gekränkte Autoren, Palissot, Mercier etc., mit wuchtigen Streitschriften an die Öffentlichkeit. Ihre Berufsgenossen, von Voltaire und Sedaine bis zu La Harpe und Cailhava, erhoben auch immer wieder die Forderung nach einem zweiten Schauspielhaus. Aber all das blieb nur frommer Wunsch, solange Beaumarchais nicht als Nothelfer eingriff. Gleich nach den ersten Pamphleten von Palissot etc. hatte Richelieu unseren Helden aufgefordert, die Frage genau zu studieren, und der Marschall überantwortete Beaumarchais zu diesem Zweck auch sämtliche alte und neue, auf die Comédie bezüglichen Verordnungen; ferner einen Empfehlungsbrief an die Comédie, auf den gestützt er deren Geschäftsbücher verlangen und ihre Übereinstimmung mit den Theatergesetzen prüfen sollte. Die Schauspieler empfingen Beaumarchais jedoch sehr schlecht; sie verweigerten ihm rundweg jede Einsicht in ihre Bücher, mit dem Bemerken, der Marschall sei ebensowenig befugt, die Vorlegung ihrer Aufzeichnungen zu verordnen, wie Beaumarchais verlangen dürfe, sich um ihre Einnahmen und Ausgaben zu bekümmern. Der so barsch Abgewiesene wartete geduldig die Gelegenheit ab, die Streitfrage einmal in eigener Sache zur Erörterung zu bringen: ein Ereignis, das mit dem großen Kassenerfolg des »Barbier von Sevilla« zusammenfiel. Vorläufig aber studierte Beaumarchais die Geschichte der Tantième in Frankreich und gelangte dabei zu folgenden, überraschenden Aufschlüssen.

Ursprünglich wurde der dramatische Dichter ein- für allemal mit einem gewissen Geldbetrag abgefunden. Zur Zeit der Mysterien stellte man den Autor des Textes beiläufig auf eine Stufe mit dem Zimmermann, der das Schaugerüste beistellte. Späterhin lohnten die Schauspieler nach dem Schock arbeitende Schnelldichter wie Hardy mit drei Talern für je ein Stück ab. Allbekannt ist der Anlaß, bei welchem von diesem System des festen Honorarsatzes abgegangen und der Gedanke des Gewinstanteiles zur Geltung gebracht wurde.

Tristan L'Hermite las anno 1635 den Komödianten ein Stück vor: Les Rivales, das sie annahmen und mit 100 Talern bezahlten, im Glauben, der Vorleser wäre auch der Verfasser des Werkes. Hinterdrein erfuhren die Schauspieler aber, daß sie geirrt: die Rivales waren von dem (dazumal noch namenlosen, späterhin so berühmten) Quinault. Infolgedessen wollten die Komödianten die L'Hermite zugestandenen 100 Taler für Quinault auf 50 Taler herabsetzen. Tristan aber schlug statt dessen vor, dem Dichter, »so lange das Stück noch neu wäre«, ein Neuntel der Einnahme für jede Aufführung zu gewähren, ein Antrag, der von den Komödianten angenommen und seitdem auch manchem anderen Autor gestellt wurde.

Zu Molières Zeiten waren noch beide Formen des Entgeltes gebräuchlich: der Dichter erhielt entweder zwei Kopfanteile von der Einnahme oder eine runde Abfertigungssumme, die bei namhaften Autoren gewöhnlich 2000 Livres betrug. Trotzdem war der Beruf des Dramatikers dazumal nichts weniger als nahrhaft. Pierre Corneille mußte darben, sowie die Auszahlung des königlichen Gnadengehaltes ins Stocken kam, und der Unfug bettelhafter Widmungen nahm bei großen und kleinen Schriftstellern dermaßen überhand, daß Scarron ein Werk wehmütig dem Hündchen seiner Schwester zueignete, während Furetière mit blutigem Hohn hungrigen Autoren empfahl, ihre Schriften dem Henker von Paris zu dedizieren.

In den Jahren 1685 und 1697 wurden die ersten Verordnungen in betreff der Tantième erlassen, die eigentlich nur das Herkommen verbuchten. Die Autoren sollten fortan ein Neuntel der Einnahme erhalten: sank sie aber im Sommer unter 300, im Winter unter 500 Franken, so sollten die Schauspieler das Recht haben, ein Stück abzusetzen, das nicht einmal die Tageskosten deckte. Aus dieser Bestimmung folgerten die Komödianten, sie hätten für den Fall, daß ein Stück einmal weniger als 300, beziehungsweise 500 Livres getragen, das freie Verfügungsrecht über dasselbe; sie wären insbesondere nicht gehalten, den Autor irgendwie zu entschädigen, wenn sie sein Werk in günstigeren Zeitläuften wieder aufnehmen wollten. Schon dazumal war die Lage der Bühnendichter so wenig neidenswert, daß Beaumarchais mit Recht bemerken durfte: die Schauspieler hätten es sich seit jeher in den Kopf gesetzt, die Poeten bei lebendigem Leibe zu beerben. Die Komödianten waren aber noch immer nicht zufrieden. Im Jahr von Roßbach befand sich die Comédie Française in arger Geldklemme und obwohl Ludwig XV. ihre Schulden durch Gnadengaben etc. von 489 000 auf 179 000 Livres herabminderte, vermochten ein paar findige Mitglieder der Truppe die oberste Theaterbehörde zu einem Staatsstreich. Es wurde nämlich ein neues, vor den Autoren sorgsam geheim gehaltenes listenreiches Reglement erlassen, durch welches die Bühnendichter wieder um mehr als die Hälfte ihrer verbrieften Ansprüche geschmälert wurden; denn es fiel den Schauspielern leicht, selbst die besten Zugstücke an Tagen anzusetzen, an welchen die Theatergänger durch Hoffeste etc. abgelenkt wurden. Sowie die Einnahmen solcherart aber unter das Minimum sanken, erloschen alle weiteren Forderungen der geprellten Autoren.

»Der Barbier von Sevilla« stand vor der 32. Aufführung, als die Komödianten, dieser Übung getreu, das Lustspiel für einen Abend ankündigten, an dem Guiberts Modetragödie Le Connétable de Bourbon in Versailles zur Aufführung gelangen sollte. Beaumarchais erhob jedoch gegen dieses Vorhaben nicht allein sofort Einspruch: er verlangte auch mit aller Entschiedenheit genaue Rechnungslegung über die bisherigen Einnahmen des »Barbier«. Volle sechs Monate blieb sein Anliegen unerfüllt. Endlich fragt ihn ein Schauspieler vor seinen Kameraden, ob er sein Stück der Comédie überlassen oder sein Autorrecht weiterhin geltend machen wolle. Beaumarchais erwidert lachend mit dem Wort Sganarelles:

»Ich werd' es Euch geben, wenn ich's Euch geben will, und ich werd' es Euch nicht geben, wenn ich es nicht hergeben will; übrigens steht das der Rechnungslegung gar nicht im Weg: erhält doch ein Geschenk erst seine volle Bedeutung, wenn man dessen ganzen Wert kennt.« Einer der ersten Schauspieler ergreift nun das Wort und meint: »Wenn Sie uns das Stück schon nicht schenken wollen, so sagen Sie uns doch wenigstens, wie oft es noch zu Ihrem Vorteil aufgeführt werden soll, bevor es uns gehört?« »Welche Notwendigkeit besteht denn eigentlich, daß das Stück überhaupt Euch gehört?« »Hm – viele Autoren halten das so mit uns.« »Ei – ich finde diese Autoren unnachahmlich.« »Sie befinden sich dabei aber recht wohl; denn wenn Sie auch an dem Ertrag Ihres Werkes keinen Teil mehr haben, so genießen Sie doch die Freude, sich häufig gespielt zu sehen: die Comédie vergilt gern Gleiches mit Gleichem. Wünschen Sie also, daß wir Ihr Stück noch sechs-, acht-, selbst zehnmal zu Ihrem Vorteil aufführen?« Mir erschien der Vorschlag so heiter, daß ich in demselben Tone erwiderte: »Da Sie mir das freistellen, so verlange ich, daß man den ›Barbier‹ zu meinem Vorteil tausendundeinmal aufführe.« »Sie sind sehr bescheiden.« »Ebenso bescheiden, wie Sie gerecht sind. Welche Manie plagt Sie doch, Leute zu beerben, die noch nicht tot sind? Da mein Stück erst bei mäßigen Einnahmen Ihnen zufallen kann, so sollten Sie von Rechts wegen den Wunsch hegen, daß es niemals in Ihr volles Eigentum übergeht: sind denn 8/9 von 100 Louis nicht mehr wert als 9/9 von 50? Ich sehe, meine Herren, daß Sie Ihre Interessen weit mehr lieben als verstehen.« Ich empfahl mich lächelnd von den Anwesenden, die gleichfalls lächelten, weil ihr Sprecher ein wenig errötet war.

Die Lektion trug ihre Früchte. Einige Zeit nach dem Auftritt in der Comédie stellt sich Beaumarchais' erster Bartolo, Dessessarts, bei ihm ein und bringt ihm 4500 Franken als Autorenhonorar. Da der Abgesandte des Théâtre Français aber keine Rechnung mitbrachte, weigerte sich Beaumarchais, die Geldsumme anzunehmen.

»Es gibt allerlei Dinge« – so meint Dessessarts beschönigend – »über die wir dem Dichter nur einen beiläufigen Überschlag ( côte mal taillée) geben können.« »Und ich verlange weit mehr als Geld und Geldeswert, einen ziffermäßig genauen Ausweis, der allen künftigen Verrechnungen zwischen Autoren und Schauspielern als Muster dienen kann.« »Ich sehe wohl,« erwiderte Dessessarts kopfschüttelnd, »daß Sie Händel mit uns anfangen wollen.« »Ganz im Gegenteil! möge es dem Gott der Verse gefallen, daß ich alle Streitigkeiten zum gleichen Vorteil aller Teile zu schlichten wüßte.«

In dem Muster eines Geschäftsbriefes erklärt Beaumarchais alsbald den Schauspielern, er fordere nichts als die Lösung einer der einfachsten Rechenaufgaben, die er Punkt für Punkt lichtvoll und unwiderleglich erörtert, so unwiderleglich, daß sich die Komödianten monatelang besinnen, ob und was sie antworten sollen. In Paris verbreitet sich nun aber (vielleicht nicht ganz ohne Zutun unseres Dichters) die Nachricht: Beaumarchais wolle die Comédie Française gerichtlich verfolgen. Er nimmt das Gerücht zum Vorwand eines neuen Schreibens an die Schauspieler, des Inhalts: nach seinem großen, tragischen Prozeß verspüre er nicht viel Lust nach einem kleinen komischen; er überließe es ihnen, drollige Farcen wie den Maître Pathelin als Nachspiel des Polyeucte zum besten zu geben: er verlange nur rasche Vorlage aller Behelfe, um seine Tantièmen selbst zu berechnen, denn die Sache eile: die Armen, denen er sein Honorar bestimmt habe, stürben sonst noch vor Kälte. Die Schauspieler versuchen es nun, Beaumarchais durch Übersendung eines einfachen, von niemandem unterfertigten Rechnungsauszuges ( bordereau) zum Schweigen zu bringen, wie er von der Comédie gemeiniglich dem Autor zur Verfügung gestellt werde. In einem Antwortschreiben ironisiert der Dichter des »Barbier« die Unzulänglichkeit dieses bordereau so schlagend, er verlangt so nachdrücklich die Beglaubigung dieses Rechnungsbeleges, daß nach kurzem Geplänkel zehn Genossenschafter der Comédie mit dem Geständnis herausrücken: es sei unmöglich, ihm genauere schriftliche Angaben über jeden Posten des bordereau zu geben, doch sei man gerne bereit, ihm mündlich alle erforderlichen Aufschlüsse zuteil werden zu lassen. Beaumarchais erwidert: er sei bereit, ihnen in ihren Rechennöten einen Buchhalter zur Verfügung zu stellen, denn beiläufige Überschläge würden den Autoren nie und nimmer genügen. Die Schauspieler überraschen ihn nun mit dem Bescheid, die Wichtigkeit des Gegenstandes nötige sie, die Angelegenheit vier aus ihrer Mitte gewählten Ausschüssen und ihren juristischen Beiräten zu übergeben: denn obwohl die Comédie weder Güter noch Herrenrechte besaß, hatte sie ihre ständigen Advokaten, die all ihre Ungerechtigkeiten, insbesondere gegen die Nebentheater vertreten mußten. Der namhafteste Rechtsbeistand der Komödianten war Gerbier, spitzfindig und beredt, ein unermüdlicher Leser und dialektischer Schüler von Pascal. Beaumarchais hätte sich diesem Gegner zu allen Zeiten gewachsen gefühlt, diesmal war er ihm durch die unanfechtbare Gerechtigkeit seiner Sache nun gar noch überlegen. Er nahm es anfangs nur mit ein paar Witzreden hin, als die Advokaten und Schauspieler ihre Verschleppungen mit dem Karneval und den Tanzfreuden entschuldigten. Als aber auch der Hochsommer weder eine Aufführung des »Barbier«, noch die geforderte Rechnungslegung brachte, stellte Beaumarchais das Ultimatum: er werde den Rechtsweg betreten, wenn sein Handel nicht binnen 8 Tagen ausgetragen sein sollte. Die Drohung bewog die Schauspieler, dem gefürchteten Manne endlich einen Termin anzusetzen, um sich mit ihrem Ausschuß auseinander zu setzen. Garat, Mém. sur le XVIIIe siècle et sur Mr. Suard. Paris, 1821. 130–139.

Soweit waren die Sachen gediehen, als Beaumarchais von dem Theatergewaltigen, Herzog von Duras, zu Gast gebeten und gefragt wurde, ob er nicht lieber friedlich an der Schöpfung einer neuen Tantiemenordnung mitarbeiten wolle? Unser Dichter erklärte sich mit Freuden zu jedem Reformwerk bereit, nur meinte er, man möge zu dessen Beratung nicht bloß, nach Duras' Plan, einige namhafte, sondern alle Dramatiker berufen. Der Herzog billigte diese Idee, ja, er forderte Beaumarchais geradezu auf, mit deren Verwirklichung Ernst zu machen. Und so geschah's. Am 27. Juni 1777 ließ der Dichter des »Barbier« an sämtliche in Paris wirkende Bühnendichter ein Rundschreiben ergehen, in dem er sie von Duras' edeln Absichten in Kenntnis setzt, und am 3. Juli folgen die Geladenen fast ausnahmslos seinem Rufe. Nach einem prächtigen Mahle bestellen 23 Autoren (darunter Bret, Lemierre, Gudin, Ducis, Favart etc.) Beaumarchais zu ihrem ständigen Vertreter, dem sie als Mithelfer Marmontel, Sedaine und den Senior Saurin beigesellen. Die Notabeln oder (um mit Chamfort zu reden) die Generalstaaten der Bühnendichter hatten damit zum ersten Male getagt. »Die« – von Scribe begründete vielberufene – »Gesellschaft dramatischer Autoren sollte sich (nach Sainte-Beuves Wort) niemals versammeln, ohne die Büste ihres geistigen Urhebers, Beaumarchais', zu bekränzen.« Oeuvres VI, 35–42. – Sainte-Beuve, C. L.VI, 227. – De la littérature industrielle. Portr. cont. II, 447.

Mit diesem Tag heben alle erfolgreichen Bemühungen an, den Schriftsteller durch Selbsthilfe unabhängig zu stellen; von diesem Tag aber verstummen auch die Klagen nicht mehr über den in der Literatur immer vordringlicheren Erwerbstrieb. »Beaumarchais, (so urteilt ein Mann, der zeitlebens nur von seiner Feder gelebt) der große Schutzpatron aller Verderbnis, hat zuerst genial in Verlagsunternehmungen spekuliert und den Beruf des Schriftstellers mit den Gründerkünsten Laws versetzt.« Der Vorwurf wurzelt in der reinsten künstlerischen Gesinnung Sainte-Beuves; sein Wehruf gilt dem Überwuchern des Geschäftsgeistes in der Literatur: Zeitungswesen und Romane, theatralische Modeware und gewissenlose Flickarbeit jagen bei den Massen allzuoft edeln künstlerischen Absichten und streng wissenschaftlichen Leistungen den Vorrang ab; als größter Erfolg gilt vielfach nur der Gelderfolg und in französischer wie in deutscher Zunge haben wir es als Triumph der schriftstellerischen Unabhängigkeit preisen hören, daß fortan nicht bloß im Schauspielhaus, sondern auch im Buchhandel der Gedanke des Gewinstanteils, die Tantième für jedes verkaufte Exemplar, zum Durchbruch gelangt ist. Die Literatur wird von banausischer Gesinnung schlankweg dem Marktgesetz von Angebot und Nachfrage preisgegeben. Nichts natürlicher, als daß stolze Naturen durch diese Zeichen offenkundiger Entartung zu strenger Kritik des Begriffes »geistiges Eigentum« herausgefordert wurden. Überzeugte Sozialisten haben mit Ingrimm erlebt, daß spekulative Köpfe die grelle Darstellung gesellschaftlicher Mißstände nur deshalb ins Werk setzten, um als Millionäre zu prassen: Gründe genug für redliche Schwärmer vom Schlage Louis Blancs, die Gedankenarbeit im Zukunftsstaat nicht anders als jede andere Arbeit behandeln zu wollen. Andere Denker haben seither sogar die Möglichkeit bestritten, irgendwem irgendwelches persönliche Anrecht auf Werke der frei schaffenden Phantasie zuzusprechen, denn in der Welt des Geistes sei alles Gemeingut: das Beste sei schon gedacht und gesagt worden, jede neue Schöpfung sei nur Umbildung überkommener Ideen, alter Motive.

Es hält nicht schwer, so entgegengesetzte Behauptungen gleicherweise als Übertreibungen abzulehnen. Ein Goethe sprach am Abend seines Lebens den stolzbescheidenen Wunsch aus: er möchte als Lohn seines Wirkens seinen Nachkommen den Wert eines Rittergutes zurücklassen. Und er hat Nachdruck und literarische Piraterie in Scherz und Ernst stets geziemend abgefertigt. Nicht der mühsame Erwerb des literarischen Handwerkers, nicht das geistige Eigentum des Künstlers und Forschers soll angetastet werden: wogegen sich mit Recht der Unwille der Besten kehrt, das ist die bevorzugte Stellung, welche neuerer Zeit habgierige Literatoren in der allgemeinen Rechtspflege anstreben; die lächerliche Härte, mit der nach dem einen und andern Entwurf eines Urhebergesetzes etwa ein moderner Beaumarchais den Autor des »Clavigo« wegen unbefugter Aneignung fremder Motive in Zivil- und Strafprozessen verfolgen dürfte, die geistige Simonie, die Wissen und Können oft in den Dienst des verderbtesten Tagesgeschmackes stellt. Kritische und moralische Entrüstung kommt gegen diese Schäden unserer Zeit nicht erfolgreicher auf, als die Satiren früherer Jahrhunderte gegen die Wohldienerei und bettelhafte Gesinnung feiler Schreiberseelen. Und trotzdem würde ein Autor, der als Akademiker eine führende Rolle spielt, heutzutage schwerlich im Salon eines Börsenkönigs sich als Possenreißer zu Dienstleistungen verstehen, wie sie Marmontel im Hause des Generalpächters La Popelinière übte. Denn alles überschlagen, ist der Beruf des Schriftstellers im 19. und 20. Jahrhundert wesentlich besser gesichert und geachtet als vordem: die Möglichkeit, niemandem zu Gnaden und niemandem zu Schaden, nur auf die eigene Kraft gestellt, sein Fortkommen zu finden, hat dem begabten, strebsamen Durchschnittsliterator (denn nicht vom Genie ist und war die Rede) bürgerliche Geltung, Selbstgefühl und die Freiheit der Meinungsäußerung erobert. Man mag die Übertreibung belächeln, mit welcher Beaumarchais sagt: »er habe durch den Kampf um das Autorrecht an der Reform des größten aller Mißbräuche gearbeitet«, aber es wird schwer halten, ihm zu widersprechen, wenn er fortfährt: »Jedes rechtmäßige Eigentum geht voll und unberührt von Vätern und Urvätern auf Söhne und Urenkel über; niemand sagt ihnen: die Äcker, Gemälde, Bildsäulen, die euer Vater euch zurückgelassen, dürfen euch nicht mehr gehören.«

Ebenso treffend weist er die Anklage ab, es stände gerade ihm, einem reichen Manne, schlecht an, die Geldfrage so stark in den Vordergrund zu rücken: »Die Schriftsteller sind meist in schlechten Verhältnissen, dessenungeachtet aber stolz; dieses Selbstbewußtsein steht den Führern der öffentlichen Meinung wohl an. Ich aber, vielleicht der am wenigsten begabte, doch einer der wohlhabendsten in ihrem Kreise, dachte, es wäre meines Amtes, geizig an ihrer Statt zu sein. Die selige Marschallin d'Estrées besaß 200 000 Franken Renten; niemals aber konnte ich eine Flasche edlen Sillery von ihr beziehen, wenn ich dafür nicht zuvor ein Goldstück im Wert von 6 Franken bezahlte, und doch beschuldigt sie niemand der Habsucht. Gleichwohl dünkt mich mein Stück in weit höherem Grade mein Eigentum, als ihr Weingarten das ihrige gewesen. In den Foyers unserer Schauspielhäuser meint man, es sei nicht edel von den Autoren, gemeine Geldfragen anzuregen, da ihre höchste Sorge doch sein soll, nach Künstlerruhm zu streben. Gewiß, nichts ist lockender als Ruhm; nur vergißt man dabei, daß wer sich seiner auch nur einmal im Jahr erfreuen will, von der Natur dazu verdammt ist, 365mal im Jahr zu Mittag zu essen; und wenn der Krieger und Staatsmann nicht erröten, den edlen Lohn für ihre Dienste einzuheimsen und immer höhere Grade anzustreben, die ihnen noch größere Einnahmen verschaffen, weshalb sollte der Sohn Apollos, der Freund der Musen, der unablässig notgedrungen mit seinem Bäcker rechnen muß, just mit den Schauspielern nicht rechnen?«

Die Richtigkeit dieser Beweisführung offenbart sich am besten, wenn wir Beaumarchais in seinen Kämpfen gegen das Übelwollen der Komödianten, die Gleichgültigkeit der Theatergänger, den Wortbruch der großen Herren, die Eifersüchteleien und Verdächtigungen seiner engeren Genossen verfolgen. Sonnenklar ergibt sich da, daß er nicht für unlautere, unverhältnismäßige Gewinste eintrat; er widersetzte sich nur grobem Betrug, immer tiefer fressendem Mißbrauch. Wer ihn mit verantwortlich macht für die Millionentantiemen der »Schönen Helena«, kommt mit seiner Beschwerde vor die unrichtige Tür: diesen und manchen anderen unverschämten Erfolg bewirkt, mehr noch als der Autor, das Publikum. Beaumarchais griff heilsam und rechtzeitig ein, so bezeugen am wirksamsten diejenigen, welche seinen Bestrebungen fern blieben: Diderot und Collé. In der Sache selbst stimmen sie ihm unbedingt zu: abseits halten sie sich aber, weil sie seine Bemühungen für aussichtslos halten. Diderot will (wie Moses am Tag der Schlacht wider die Amalekiter) mit ausgebreiteten Armen auf der Bergeshöhe (von Meudon) für den Sieg des Dichteraufstandes beten: »nur sei es leichter mit einem Parlament, als mit Schauspielern anzubinden«. Und Collé, der sich als begüterter Mann in seinem Hausstand überglücklich fühlte, mochte sich nicht aus seinem »Holländerkäse« hervorwagen; zudem verachtete er die Komödianten so gründlich, daß er sie weder sehen, noch irgend etwas von ihnen hören wollte. In seinen Mußestunden rollte Collé allerdings das Sündenregister der Komödianten auf, wie kein Zweiter: er, der sein Tagebuch nur zu dem Zweck begonnen, um die Novitäten des Théâtre français zu besprechen, wirft 1772 die Feder erbittert weg, weil die Komödianten seit 15 Jahren allen rechtschaffenen Autoren völlig unzugänglich geworden:

»Ehedem gaben sie jährlich ein Dutzend neuer Werke; gegenwärtig spielen sie kaum 3–4, obwohl sie 30–40 angenommen haben; ihre Trägheit und Nachlässigkeit kommt von ihrer Wohlhabenheit; die petites loges tragen jedem Genossenschafter 11 000 Franken etc. Das wird sich erst nach dem Tode des Königs ändern, wenn sein Nachfolger einen schrecklichen Bankrott machen wird; in dieser Zeit der Zerstörung, um mit Daniel zu reden, werden die Theaterhäuser verödet bleiben, wie ich das in meiner Knabenzeit nach dem Bankrott Laws erlebt habe.«

Es war allerdings bequemer, so heftig in der Heimlichkeit geschriebener Monologe zu eifern, als tatkräftig gegen die Comédie vorzugehen: Beaumarchais' Energie wurde ihm denn auch von den Getreuen im eigenen Lager widerraten. Gudin bemerkte mit Recht, der Prozeß gegen die Schauspieler wäre schwerer zu gewinnen als alle anderen, denn er sei gerichtet gegen Leute, die wir lieben, gegen Frauen, die uns entzücken und ihre Widersacher (wie die Amazonen Katharinens von Medici die Armee Heinrichs IV.) mit Liebkosungen auseinander treiben. Und Sedaine bekräftigte diese Ansicht mit dem Ausspruch, die schönen Augen einer Schauspielerin verfingen bei den Theaterchefs ganz anders als Recht und Ehre.

Beaumarchais fragte nach all diesen Schwierigkeiten nicht, sondern ging seinen festen Schritt weiter. Schon am 12. August 1777 erstattete er den Bühnendichtern seinen Bericht, der, mustergültig nach Form und Inhalt, maßvoll hervorhebt: im Grunde hätten die dramatischen Autoren gleiche Interessen mit den Schauspielern; sie dürften sich ihrer Überlegenheit deshalb nur dann entsinnen, wenn die Komödianten dies vergäßen. Die Bedeutung der nationalen Schaubühne für die Verbreitung der französischen Sprache, für die Erziehung der Jugend als freie Schule der Moral und Menschenkenntnis, wird beredt gewürdigt. All seine Vorschläge finden nicht bloß die Zustimmung seiner Genossen, sondern ebenso die Billigung der Herzoge von Duras und Richelieu. Alles scheint geregelt. Da fordert Duras mit einem Male, der Entwurf der Bühnendichter müsse auch den Schauspielern zur Begutachtung mitgeteilt werden. Wiederum willfahren die verbündeten Dramatiker und – damit schläft der Handel für ein halbes Jahr ein.

Beaumarchais merkt bald, daß im obersten Hoftheateramt der Wind umgeschlagen; er setzt nun Duras solange zu, bis dieser ihm verheißt, er wolle mit dem Staatsminister Maurepas eingehend über die wichtige Neuerung verhandeln, sobald er seinen Dienst in Versailles als erster Kammerherr Ludwigs XVI. antrete. Wieder wartet Beaumarchais ein volles Jahr. Dann erfährt er, daß Duras ihn bewußt oder unbewußt zum besten gehalten, denn nie hat der Theatergewaltige mit Maurepas die Angelegenheit beredet. Nun reißt dem Führer der Bühnendichter die Geduld und in einem denkwürdigen Briefwechsel mit dem wortbrüchigen Herzog offenbart er seine volle, persönliche, sachliche und stilistische Überlegenheit. Maurepas gegenüber hat Beaumarchais den halb demütigen, halb impertinenten Satz gewagt: es sei vielleicht schwieriger, einer Komödiantentruppe den Kopf zurecht zu setzen, als ein Staatswesen zu regieren; Duras dagegen überführt er in männlichem Ton Punkt für Punkt der Unwahrheit, und er scheut auch die Warnung nicht: wenn dieser sein letzter Versuch ohne Ergebnis bliebe, so würde er die Komödianten zu einem Rechnungsprozeß vor die zuständigen Gerichte laden und all ihre Kniffe, Ränke und Kassenunterschleife zum Nachteil der Autoren der Öffentlichkeit preisgeben.

Duras wird durch diese ungewohnte Sprache dermaßen gereizt, daß er Beaumarchais ziemlich schroff in der Form, sehr kleinlaut in der Sache »seine Generalbeichte« übermittelt. Unser Autor zergliedert dieses oberflächliche und kompromittierende Schriftstück mit aller Schonung, denn so derb er Duras anfaßt, wenn's not tat, er vergißt doch nie, daß der Theaterchef das letzte Wort für oder gegen die Autoren sprechen kann. Ja, er muß ihn desto vorsichtiger behandeln, als nun auch Richelieu (nach Hermann Grimms Ausspruch »einer von jenen vergoldeten Eckenstehern der Geschichte, die überall dabei gewesen sind und nirgends etwas getan haben«) alle seine früheren Zusagen mit der bequemen Wendung zurücknimmt: die Geschichte werde sich noch lange fortschleppen; seines Gedenkens seien Häkeleien der Art niemals ausgeglichen worden etc. etc. Bald darauf erhalten die Vertreter der Bühnendichter die betrübende Botschaft (4. September 1779): der König wolle schlechterdings nichts von einer neuen Tantiemeordnung hören; im Notfall bliebe den Autoren ja der Rechtsweg offen; doch dürfte es sich empfehlen, einen gütlichen Vergleich anzustreben, da ein Prozeß der Comédie sehr schaden würde. Die Antwort Beaumarchais' ließ an Entschiedenheit nichts zu wünschen übrig: da der Marschall ihm versichere, daß der König denjenigen, die zehnfach Recht haben, versage, ihn einmal um Gerechtigkeit zu bitten, werde er seine Ansprüche unweigerlich vor dem ordentlichen Richter anbringen etc.

Offener Krieg war damit angesagt. Gerade in diesem Augenblick schlägt nun der Intendant La Ferté Beaumarchais vor: er wolle ihm das vollständige Verzeichnis der Ausgaben und Einnahmen der Comédie während der letzten Jahre unter der Bedingung zur Einsicht vorlegen, daß er diese Bücher niemandem, nicht einmal seinen Genossen, zeige, bevor er den obersten Theaterchefs von dem Ergebnis seiner Studien Bericht erstattet. Beaumarchais sagt Ja und am 21. September 1779 erhält er endlich, was er von Anfang begehrt hat: volle Einsicht in die Geschäftsbücher der Comédie während der abgelaufenen drei Jahre. Auf Grund dieser »mehr gewalttätig entrissenen, als freiwillig zugestandenen Rechnungsbelege« beginnt er nunmehr eine Arbeit, die (nach seiner eigenen Versicherung) nicht ganz unfruchtbar für seine Berufsgenossen geblieben.

Wie Beaumarchais diesen Theaterstreich herbeigeführt hat, wissen wir nicht genau zu sagen: sicher ist nur, daß er in wohlberechneten Briefen die Stellung der theatergewaltigen Herzoge angriff. So warnte er Maurepas u. a., »diese Herren in der Akademie solche Übermacht gewinnen zu lassen wie in der Comédie: sie würden sonst dort alles ebenso knechten, wie da, und eine Körperschaft zu niedriger Kriecherei herabwürdigen, die nur dadurch einen Rest von Würde bewahren kann, daß sie unmittelbar dem König und dem Ministerium unterstehe.« Und an ebenso weltläufige Adressen richtet er die Epistel, die Theatergewaltigen hätten ihn bisher mit der höfischen Kunst, die alles verspräche und nichts halte, angeführt etc.; er werde in einem eingehenden Werke beweisen, daß unter den gegebenen Verhältnissen die dramatische Kunst in Frankreich wieder in Barbarei verfallen müsse: bei den gegenwärtigen Zuständen werde es bald weder Schauspieler noch Bühnendichter geben etc.«

Aus diesen Äußerungen und Andeutungen erfahren die beiden Herzoge, daß Beaumarchais im äußersten Falle ihre Eitelkeit nicht schonen und sie öffentlich nicht viel anders vornehmen würde, wie ehedem Nicolai im Prozeß Goezmann: nur so höchst persönliche, nichts weniger als sachliche Rücksichten dürften sie zum Einlenken bestimmt haben. Wie meisterlich Beaumarchais aber ihr erstes Zugeständnis ausnützte, lehrten die folgenden Ereignisse. Er arbeitete sich in die Geschäftsbücher der Comédie so gründlich ein, daß er bei der nächsten Zusammenkunft der Mitglieder und juristischen Beiräte der Comédie einer- und der Vertreter der Bühnendichter andererseits (22. Januar 1780) weitaus als der Sachkundigste sich erwies. Unbeirrt durch die Scheingründe Gerbiers erhärtete er ziffernmäßig, daß die Schauspieler die Bühnendichter in den Ansätzen für Tageskosten, Armensteuern, Spielhonorare, Pensionen, Hofreisen etc. geflissentlich benachteiligt, statt rechnungsmäßiger 53 742 Livres im Jahresdurchschnitt nur mit 14 380 Franken abgefunden hätten. Wollten demgemäß die Autoren gerichtlich zurückfordern, was ihnen seit einem Menschenalter vorenthalten worden: sie hätten über 200 000 Franken von den Schauspielern zu verlangen, wie er selbst bei den Aufführungen des »Barbier« um ein volles Drittel seiner Tantieme geschmälert worden sei. Alle Einwendungen Gerbiers widerlegt Beaumarchais siegreich; er erringt ein Zugeständnis um das andere, und nach mehrstündigen Verhandlungen kommt endlich ein Ausgleich zustande, mit dessen redlicher Erfüllung alle Teile sich hätten zufrieden geben dürfen. Einstimmig wird eine Reihe von Beschlüssen gefaßt und keine geringe Genugtuung für unsern Dichter mag die Bestimmung gewesen sein, daß seine Tantiemeberechnung für die Aufführungen des »Barbier« Schauspielern und Autoren fortan als mustergebend zu gelten habe. Alles scheint beigelegt; die Anwesenden tafeln noch lustig zusammen; beim Abschied schüttelt man sich die Hände; Beaumarchais selbst ruft vergnügt: »Gottlob! nun ist alles zu Ende!« Nur ein Beirat der Comédie murmelt vor sich hin: »Und ich sage, daß noch lange nicht alles aus ist.«

Drei Wochen nach der Unterfertigung des Ausgleiches hören die Bühnendichter, daß ohne ihr Vorwissen ein neues Reglement vom Staatsrat erlassen würde, des Inhalts: erstens bei Minimaleinnahmen von 800 beziehungsweise 1200 Franken fielen die Stücke nach wie vor den Schauspielern anheim; zweitens für die Berechnung dieser Summe dürfe kein anderer Beleg gefordert werden als der Ausweis der Abendkasse. In demselben Augenblick, in dem die Autoren also wähnten, dank Beaumarchais, ein Drittel ihrer von der Comédie usurpierten Geldansprüche wiedergewonnen zu haben, sollten die Theaterdichter durch diesen Kniff zwei Drittel der bisher als tantiemepflichtig anerkannten Vorstellungen einbüßen. Beaumarchais' Entrüstung über diesen Streich erreichte ihren Gipfelpunkt, als der Minister Amelot ihm auf seine Beschwerde eröffnete: der zweite Anwalt der Comédie, Jabineau, habe diese Abmachungen als Ergebnis des freien Übereinkommens zwischen Schauspielern und Autoren ausgegeben. In Paris geht sogar das Gerücht um: Beaumarchais habe alle Bühnendichter zum besten gehabt und über ihre Köpfe hinweg auf ihre Kosten zu seinem Privatvorteil einen Separatfrieden geschlossen. Und die Verleumdung hat nicht bloß die Schilderhebung mißvergnügter, zänkischer Leute zur Folge (wie sie schon im ersten Jahre Rochon de Chabannes und Genossen versucht hatten), sondern diesmal sieht sich selbst der rechtliche, neidlose Sedaine zu einem (kaum verhüllten Rüge-) Brief an Beaumarchais gedrängt. Kein Wunder, daß dem so ungebührlich Verkannten die Lust verging, seines Amtes weiterhin zu walten: er will auf seine Stelle als Sprecher der Bühnendichter in der ersten Aufwallung Verzicht leisten. Die Entschiedenheit und Heftigkeit seines Auftretens erscheint Sedaine jedoch als das volle Zeugnis, wie sehr er Beaumarchais' Haltung mißdeutet, und es fällt dem rechtschaffenen Manne auch nicht schwer, seine Übereilung einzugestehen und abzubitten. Sedaines Freundschaftsbeteuerungen beschwichtigen Beaumarchais wohl, aber er beharrt darauf, daß ihm von den Marschällen in Gegenwart seiner achtbarsten Kollegen Bret, Ducis, Gudin, Chamfort, Marmontel, Saurin und Sedaine bestätigt werde, daß er keine Ahnung von dem ungerechten Erlaß gehabt.

Duras gibt Beaumarchais nicht bloß alle gewünschten Ehrenerklärungen: er stellt sich auch, zur Abwechslung wieder einmal, auf die Seite der Autoren. Am 6. Mai wird die endgültige Redaktion der Tantiemeverordnung in Gegenwart von Duras, des Hofbeamten Des Entelles und der Schauspieler Préville und Monvel zustande gebracht. Der Herzog nannte diesen Tag den schönsten seines Lebens. Zu Ende war die Sache aber trotzdem noch immer nicht. Nicht umsonst wirft Beaumarchais den Komödianten seiner Zeit vor, daß sie nichts von dem Ruhm wissen wollen, als anständige Leute zu gelten. Die Mitglieder der Comédie führen nämlich wieder Klage. Duras weist sie erbost ab. Bei seinem Amtsgenossen Richelieu wie beim Minister erheben sie dagegen mit besserem Erfolg die Beschwerde, Beaumarchais habe ohne ihr Vorwissen in die letzte, schriftliche Ausfertigung des Vergleiches eine Bestimmung eingeschmuggelt, derzufolge in Zukunft das Werk eines lebenden Autors ihnen überhaupt nicht mehr frei eigen heimfallen könne. Sie bezichtigten Beaumarchais solcherart der Urkundenfälschung. Zugleich versuchten sie auch, Spaltung in das Lager seiner Getreuen zu bringen, indem sie Marmontel und Saurin zu einer neuen Besprechung in das Haus von Gerbier luden, ihren gefährlichsten Widersacher aber umgingen. »Die kleine Intrige erlebte die kleine Beschämung eines kleinen Mißerfolges«: denn Beaumarchais blieb nach wie vor der Vertrauensmann der Bühnendichter. Und trotz aller Sophismen Gerbiers, unbeirrt durch das herrische Wesen Richelieus, protestierte Beaumarchais gegen jede eigenmächtige Abänderung des von den Schauspielern und Autoren gemeinsam beschlossenen Übereinkommens. Während er Richelieu in Wort und Schrift vollen Beweis dafür erbrachte, daß er seinen Anklägern weder Unterschriften, noch Zugeständnisse abgelistet, ließ er der Comédie die rechtsförmlich geschlossene und gefertigte Vergleichsurkunde durch einen Gerichtsboten zustellen. Noch immer aber hofften die Schauspieler, durch höhere, ungenannte Einflüsse des lästigen Drängers sich zu entledigen: all diese kleinen und großen Anschläge durchkreuzt Beaumarchais aber dadurch, daß er dem Minister anzeigt, er wolle in einer maßvollen apologetischen Denkschrift alle Vorfälle, urkundlich belegt, dem Urteil der öffentlichen Meinung unterbreiten. Sämtliche dramatische Autoren billigen und unterzeichnen den meisterhaften Rechenschaftsbericht Beaumarchais'. Der Minister aber schreibt ihm sofort: der König wolle seinen und seiner Genossen Beschwerden volle Genugtuung zuteil werden lassen, nur möge er den Compte rendu nicht drucken lassen. Es war die Zeit, in der das Schlagwort umging: »wenn Beaumarchais mein halbes Vermögen begehrt, widrigens er Mémoires gegen mich schreiben wolle, ich würde ihm unverweilt mein ganzes geben.« Beaumarchais verstand den Wink und verzichtete leichten Herzens auf die Herausgabe einer Arbeit, die durch Klarheit der Beweisführung und Darstellung, durch die geschmackvolle Belebung der trockensten Rechenexempel unter seine besten Leistungen einzureihen ist: er trägt seinen Witz und Geist bis in seine Ziffern. Erst nach Beaumarchais' Tode hat Gudin den Compte rendu in der Gesamtausgabe zum ersten Male veröffentlicht. Schon bei Lebzeiten hatte Beaumarchais aber die Freude zu sehen, daß sein Wirken nicht fruchtlos geblieben. Am 9. Dezember 1780 erklärte ein Erlaß des Staatsrates die Beschwerden der dramatischen Autoren für begründet und sprach ihnen ein Siebentel statt des verlangten Neuntels der Einnahme zu; weiterhin wurde verfügt, daß der Grundsatz, Stücke bei Lebzeiten des Verfassers als verfallen einzuziehen, überhaupt nicht mehr zur Geltung gebracht werden dürfe. Diese neuen Normen schossen dermaßen über das Ziel, daß die Schauspieler neue Schwierigkeiten erhoben. Abermals war es das Verdienst Beaumarchais', die Zwistigkeiten, wenngleich diesmal auf Kosten der Autoren, beizulegen. Catalogue d'Autographes Bovet (Paris, Charavay, 1885). Séries VII, VIII, IX, S. 494.

Ein weitergehender Gedanke Gudins, die Generalstaaten der dramatischen Autoren in eine Akademie umzuwandeln, die Denkschriften zur Geschichte und Ästhetik des Theaterwesens, über die Technik der Szenierung, den Bau von Schauspielhäusern etc. herausgeben sollte, blieb unausgeführt. Überhaupt kamen die Theaterdichter über der Wahrung ihrer materiellen Wohlfahrt nur einmal in die Lage, ideale Anregungen zu geben: es geschah dies, als Abkömmlinge von Racine und Destouches ihre Unterstützung erbaten. Beaumarchais wandte sich als Fürsprecher der Enkelin Racines an Marie Antoinette: dabei rief er auch das Beispiel Voltaires an, der mehr seiner Eitelkeit, als einem Antrieb des Herzens zu Gefallen eine recht entfernte Anverwandte Corneilles in sein Haus aufgenommen und für ihre Mitgift eine kritisch und ästhetisch verfehlte Prachtausgabe der dramatischen Werke ihres großen Ahnen veranstaltet hatte. Auch sonst hielt sich Beaumarchais für berufen, als Wortführer der Theaterfreunde Mißstände zu rügen. So haben es die Besucher des zweiten Parterres in der Comédie Française (des beliebten Studentenplatzes) seiner Anregung zu danken, daß sie nicht zum Stehen verdammt sind. Auch die widerspenstigen Direktoren der Provinztheater nötigte er mindestens zur symbolischen Anerkennung der Autorrechte.

Im allgemeinen aber wird er zusehends nachgiebiger den Mitgliedern der Comédie gegenüber. Schon 1781 versuchen die Schauspieler, ihm die unentgeltliche Überlassung des »Barbier« abzuschmeicheln, und auch im übrigen mehren sich die Zeichen freundlicherer Gesinnungen zwischen dem Dichter und den Darstellern. Die rasche Annäherung hat aber keine andere Ursache, als die frühere Entfremdung: wie sie der beiderseitige wohlverstandene Vorteil auseinandergebracht, so sollte ihr beiderseitiger, wohlverstandener Vorteil sie wieder zusammenführen. Endgültig besiegelt aber wurde der Friedensschluß durch den Welterfolg des »Tollen Tages«.

16. Figaros Hochzeit

Fournier teilt (734–743) nach den Beaumarchais-Papieren der Com. Fr. die Denkschriften des Dichters an Le Noir, Breteuil und Ludwig XVI. mit.

Métier d'auteur, métier d'oseur.

Beaumarchais

Durften wir gerade die Fügung preisen, dank welcher uns der Führer der Theaterdichter selbst die Geschichte seiner Händel mit der Comédie so anmutig wie zuverlässig überlieferte, so müssen wir es doppelt beklagen, daß ein gleiches nicht dem Feldzug beschieden war, den Beaumarchais jahrelang ausfocht, um » la folle journée Der Säkulartag der ersten Aufführung der Folle journée wurde in der Comédie Française durch ein Gelegenheitsgedicht von Paul Delair (Paris, Ollendorff) gefeiert. August Paër hat unter dem Titel Le centenaire du Mariage de Figaro (Bruxelles, I. I. Gay, 1884) eine geschmackvolle Auswahl von Anekdoten und Urteilen aus zeitgenössischen Quellen (Laharpe, Grimm, Mém. secr. etc.) gegeben. Vgl. auch Correspondance secrète inédite sur Louis XVI, Marie Antoinette, la cour et la ville 1777–1792 publiée par Monsieur de Lescure. Paris, 1866.« auf die Bühne zu bringen. Wohl hat er in der Vorrede zu seiner Komödie, in Denkschriften an den König, seine Minister und Polizeigewaltigen das Beste und Genaueste über die Vorgeschichte seines größten Theatererfolges mitgeteilt. Diese wenigen Blätter lassen uns aber erst recht ermessen, welch einziges Kapitel die Schicksale des »Tollen Tages« in Beaumarchais' Denkwürdigkeiten hätten geben können. Ungezählte Versuche, diesen Verlust wettzumachen, haben die Figaroliteratur zu einer kleinen Bibliothek anschwellen lassen. Von 1784–1884 sind unversieglich immer neue Preishymnen und Satiren, Schilderungen und Kritiken in gebundener und ungebundener Rede zum Vorschein gekommen, mit dem Anspruch, dem einzigen Werk gerecht zu werden. Sind nun auch nicht all diese Leistungen Geist vom Geiste Beaumarchais', erschöpfen sie nun gar insgesamt nicht die geschichtliche und kunstgeschichtliche Bedeutung seiner Komödie – weit über ein Jahrhundert zu spät kommt ein jeder, der neues über »Figaros Hochzeit« beizubringen hofft. Will er seine Originalität nicht darein setzen, altes, vor ihm wahr und gut Gesagtes zu verschweigen, so muß er nach Goethes Rat den Mut haben, das Vernünftige noch einmal zu denken und unbekümmert um Lügen und Legenden die Dinge zu verbuchen, wie sie eigentlich gewesen sind.

Neun Jahre, so behauptet Beaumarchais, habe der »Tolle Tag« gebraucht, bevor er den Weg vom Pult des Dichters auf die Schaubühne gefunden. Die erste Anregung zu der Komödie habe ihm Conti gegeben, der ihn anspornte, die in der Vorrede zum »Barbier« tragisch parodierte Familiengeschichte Figaros zu dramatisieren. Nach kurzem Besinnen will unser Autor die Aufforderung angenommen und la folle journée in einem Zuge hingeschrieben haben. Dem Prinzen, als dem geistigen Urheber seines Werkes, will er dasselbe auch zuerst zur höchsten Befriedigung dieses Musterpatrioten gezeigt haben. Wären diese Angaben richtig, so müßte das 1784 zum ersten Male aufgeführte Stück schon vor dem August 1776 vollendet gewesen sein, denn um diese Zeit starb Conti. Allein andern Ortes teilt uns Beaumarchais mit, daß er sich erst im Jahre 1778 seinen theatralischen Liebhabereien wieder zugewandt und zwar bei folgendem denkwürdigen Anlaß. Er habe einem ihm bis dahin ungemein wohlwollend gesinnten Staatsmanne (Vergennes? Gerard?) ein Schreiben Deanes gezeigt, in dem es hieß, niemand habe mehr als Beaumarchais zur Befreiung Amerikas beigetragen; von Stund an verlor er die Gunst dieses Gönners. Alle Beteuerungen von Rodrigue Hortalez, daß er nichts von diesem Ruhm für sich in Anspruch nähme, fruchteten nichts: »der Streich war gefallen, der Lobspruch gelesen worden: ich war für ihn gerichtet. Um den Sturm zu beschwören, begann ich, mich neuerdings leichtfertigen theatralischen Spielereien hinzugeben und tiefstes Stillschweigen über meine großen politischen Arbeiten zu bewahren.« Man geht wohl nicht fehl, wenn man die beiden Berichte derart in Einklang bringt, daß Beaumarchais »Figaros Hochzeit« noch bei Lebzeiten Contis im Umriß entwarf und die Komödie erst Ende der Siebzigerjahre wieder vornahm, als er bei Vergennes, durch Franklin und Lee verdrängt und ersetzt, die Gesellschaft und ihre Sympathien dort zu gewinnen bemüht war, wo beide in jener Zeit am sichersten zu gewinnen waren: auf der Schaubühne. Die Streitigkeiten mit der Comédie beirrten ihn keinen Augenblick; hegte er doch eine Weile die Zuversicht, neben der Maison de Molière ein zweites Theater ins Leben zu rufen und vielleicht gar mit der folle journée zu eröffnen. Als aber der so hitzig geführte Kampf gegen die Komödianten mit einem halbschlächtigen Frieden beschlossen wurde, fiel es Beaumarchais nicht schwer, die rasch versöhnten Mitglieder des Théâtre français für sein Werk zu begeistern. Er selbst stellt die Sache so dar, als ob die Schauspieler ihm das Stück fast gewaltsam entrissen hätten; an seinem Zutun wird es wohl nicht gefehlt haben. Begreiflich aber ist jedenfalls die Aufnahme, welche die Schauspieler dem »Tollen Tag« bereiteten, als Beaumarchais ihnen das Stück vorlas (Ende 1781); sahen sie doch prächtige Rollen und große Einnahmen für sich voraus. Burckhardt, Kultur der Renaissance. – Le Tartuffe. Premier Placet au Roi. – Bibl. des mém. X, 202 ff.

Gleich nachdem die Comédie das Lustspiel zur Aufführung angenommen, bittet unser Dichter den Polizeileutnant Le Noir um einen Zensor. Ein zu diesem Amt berufener Advokat, Coqueley, erklärt das Stück mit einigen kleinen Abänderungen für aufführbar. Nicht unmöglich wäre es also gewesen, daß der »Tolle Tag« durch einen vorschnell in aller Stille erteilten Freipaß unangefochten aufgeführt worden wäre, wie seinerzeit Helvetius' » de l'esprit« zum Schaden eines lesefaulen Zensors (Tercier) ohne Anstand veröffentlicht werden durfte. Es war die Schuld Beaumarchais', daß er seiner Komödie außer dem einen, von Rechts wegen berufenen Zensor ungezählte, minder arglose Zensoren erweckte. Es duldete ihn nicht, das Urteil der öffentlichen Meinung von dem ersten Theaterabend abhängig zu machen; er las die Komödie in den vornehmsten Pariser Häusern, meist mit außerordentlichem Erfolg. Dem alten Maurepas, dem er, als sein »Leibnarr« verrufen, zu dessen höchster Ergötzung das Stück vorlas, erschien ebensowenig etwas Anstößiges an »Figaros Hochzeit«, wie einem Kreis von Kirchenfürsten, die den Vorwurf des Herrenrechtes ebenso lustig fanden, wie die Kollegen des Kardinals Bibbiena Macchiavells zynische Komödien, wie der päpstliche Legat und die meisten Hofprälaten Molières Vorlesung des Tartüffe. Allein neben so gedankenlosen oder frivolen Menschenkindern, die mit Vergnügen ihre Hinrichtung in effigie mit ansahen, sofern sie sich dabei nur unterhielten, waren auch alte und neue Gegner Beaumarchais' zur Stelle, die sein Stück dreist über alle Maßen, unzüchtig, eine Verhöhnung aller herrschenden Zustände und Gewalten schalten. Und zu diesen erklärten Widersachern des »Tollen Tages« gesellte sich eine in der absoluten Monarchie scheinbar allmächtige Persönlichkeit – der König.

Beaumarchais hatte die »Hochzeit des Figaro« durch seine großen und kleinen Künste dermaßen zum Modethema in Versailles gemacht, daß auch Marie Antoinette, seit jeher nicht ohne Schwäche für Beaumarchais' Geist und Laune, sich halb und halb auf seine Seite schlug; sie scheint wenigstens bei Ludwig XVI., der die Komödie schon flüchtig durchgesehen, ein gutes Wort für den »Tollen Tag« eingelegt zu haben; der König ließ seiner Gemahlin nun das Stück vorlesen, ein Auftritt, dessen Verlauf uns Madame Campan in einer klassischen Seite ihrer Memoiren erzählt hat. Ludwig XVI. begleitete die Vorlesung mit lobenden und tadelnden Bemerkungen; immer häufiger wurden aber seine unwilligen Äußerungen: »das geht zu weit! das ist unanständig etc.« Und als die Campan endlich zu dem Monolog im fünften Akte kam, sprang er von seinem Sitze auf mit dem Ausruf: »Das ist abscheulich! Das wird niemals gespielt werden: die Aufführung des Stückes wäre eine gefährliche Inkonsequenz, wenn man nicht zuvor die Bastille niederreißen wollte.« »Man wird also die Komödie nicht geben?« fragte Marie Antoinette schüchtern und halb enttäuscht. »Nein! bestimmt nicht!« lautete die Antwort des Königs: »Sie können dessen gewiß sein!« Lintilhac behauptet ( Beaumarchais inédit, Revue des deux mondes 1893, 1er mars), daß die Handlung ursprünglich in Frankreich gespielt habe. Seine Vermutung, daß Madame Campan diesen Urtext, in dem ausdrücklich der Bastille gedacht wurde, dem König vorgelesen habe, ist unbewiesen.

Mit diesem Tag beginnt ein fast persönlich geführter Zweikampf zwischen Ludwig XVI. und Beaumarchais, in dem unser Autor die Rücksichten des äußeren Anstandes gegen den König kaum sorgsamer aufrechterhält, als Figaro gegen Almaviva. Da ihm ein Minister erklärt, der »tolle Tag« werde nicht gespielt werden, und nach einer Reihe von siegreich widerlegten Gründen endlich mit dem Trumpf herausrückt: »Ihr Stück wird nicht aufgeführt, weil der König es nicht will –«, erwidert Beaumarchais: »wenn kein anderes Hindernis im Wege steht, wird mein Stück gespielt werden.« In Formen, wie sie nach den Worten des höfisch gewandten Grimm die Krone sonst nur für die allerwichtigsten Staatsakte wählt, bringt Ludwig XVI. wiederholt in den unzweideutigsten Kundgebungen seinen festen Willen zum Ausdruck, »Figaros Hochzeit« bei Strafe seines königlichen Zornes weder auf seinem Privat-, noch auf irgend einem anderen Theater aufgeführt zu sehen. Und wenn Beaumarchais' Gegenschwur: »Er (der König) will nicht, daß der ›tolle Tag‹ gespielt wird: ich aber gelobe, er soll gespielt werden und müßte das im Chor von Notre-Dame sein« dem Dichter auch nur von der Hofpartei aufgebracht wurde – gut erfunden ist das Wort jedenfalls, denn seiner, wie Figaros innerster Gesinnung entspricht solche Vermessenheit durchwegs. Von vornherein rechnete er mit der Charakterschwäche des Königs, die ihm nie verborgen geblieben. Er rechnete auch mit dem eigenen Erfindergeist, vor allem aber mit einer tötlich gelangweilten Gesellschaft, die »ihr tiefer Müßiggang so delikat in ihrem Zeitvertreib machte«, daß sie um keinen Preis die plebejischen Zorn- und Hohnreden missen wollte, welche alle Mißbräuche der adeligen Günstlingswirtschaft, die Knechtung der Geistesfreiheit, die Willkürherrschaft in Amt und Gericht in Worten rächten, wie sie bis dahin noch niemals auf dem französischen Theater waren vernommen worden. Das Geschick, mit dem Beaumarchais sein Ziel verfolgte, ist nur an dem Enderfolg zu messen, den man schwerlich übertreibt mit der Behauptung, daß der »tolle Tag« vielleicht niemals, gewiß weder unter der Schreckensherrschaft, noch unter Napoleon I., der Restauration, Louis Philipp oder Napoleon III., hätte gespielt werden dürfen, wenn ihm Beaumarchais nicht selbst zuvor die Bühne erobert hätte. In diesem Sinne mag man immerhin Börne zustimmen, wenn er »Figaros Hochzeit« eine Weltkomödie nennt, die Epoche bildete in der Geschichte Frankreichs Börne, Briefe aus Paris. CII.. Aber man wird ihm nicht folgen, wenn er fortfährt: »Und kommt mir einer und kauderwelscht von Demagogen, Volksverführern, von Zeitungsschreibern, Lügenverbreitern, von Revolutionsfabrikanten, so will ich ihm beweisen, bis er rot wird, daß Ludwig XIV., indem er den Tartüffe, Ludwig XVI., indem er die Aufführung des Figaro gestattete, jener der Geistlichkeit, dieser dem Adel die erste Wunde beigebracht, und daß es also zwei französische Könige gewesen, welche die französische Revolution herbeigeführt …« Denn von allem rednerischen Überschwang abgesehen, muß der Wahrheit gemäß entgegnet werden, daß die Aufführung des »Tartüffe« der freien Entschließung Ludwigs XIV. zu danken war, die Aufführung von »Figaros Hochzeit« aber gegen den Herzenswunsch Ludwigs XVI. der Autorität geradezu vom Hofadel abgenötigt wurde. Nicht die Selbstherrlichkeit, sondern die Ohnmacht des französischen Königtums kommt nirgends sinnfälliger zum Ausdruck als in dieser Niederlage Ludwigs XVI. Dieselben Leute, welche mit seinen edelsten Reformministern und -Entwürfen so schnell fertig wurden, verstanden es auch, dem Herrscher zum Possen, Beaumarchais' aufrührerisches Werk durchzusetzen. Wie sinnreich schmeichelte er aber auch ihren Liebhabereien, wie erfinderisch überraschte er Paris und Versailles in Tagen, in welchen der Technik der Reklame noch kein ausgebildetes Zeitungswesen zu Hilfe kam, mit immer neuen Einfällen zu Ehren Figaros! Da nicht alle Welt an seinen Vorlesungen teilnehmen konnte, reizt er die Neugier der Menge mit verheißungsvollen Gaben. Schon im Herbst 1782 singt männiglich Cherubins entzückende Romanze im Volkston, die auf die neuerdings durch die Amme des Dauphin in Schwung gekommene Weise des Marlboroughliedes gesetzt ist. Selbst die Königin singt zu dieser Lieblingsmelodie ihres Söhnchens die Worte Beaumarchais': Die Verdeutschung der Romanze gebe ich nach Dingelstedt (Beaumarchais' »Ein toller Tag« übersetzt und eingeleitet durch F. D., Hildburghausen, 1865); denn so scharf auch Paul Lindau mit vollem Recht diese Übersetzung von »Figaros Hochzeit« getadelt hat (Literarische Rücksichtslosigkeiten, Leipzig, 1871, 236 ff.): in der Wiedergabe der Romanze hat Dingelstedt, als geborener Lyriker, den Volkston kaum minder glücklich getroffen, als Beaumarchais selbst.

Mein Rößlein sollst mich tragen
(Ach mein Herz, mein Herz tut mir schlagen)
Durch Berg und Tal zu jagen
Wohl über Stock und Stein.

Wohl über Stock und Stein
Hinritt ich ganz allein
Wo dunkle Tannen ragen
(Ach mein Herz, mein Herz tut mir schlagen)

Da hub ich an zu klagen
Und Tränlein flossen drein etc.

Nichts begreiflicher, als daß die Getreuen der Königin sich bereit zeigen, dem Dichter dieses Liedchens beizustehen. In der Herzogin von Polignac findet Beaumarchais eine Gönnerin; angeblich als Privatvorstellung will sie zu Ehren des Grafen von Artois (nachmals Karl X.) auf dem Pariser Hoftheater der Menus plaisirs den »tollen Tag« spielen lassen. Beaumarchais willfahrt eifrig diesem Wunsche. 12–15 so gut wie öffentliche Proben hält er mit den Schauspielern der Comédie Française ab. Am 13. Juni 1783 soll das Galatheater statt haben. Die Großen des Reiches, alle Prinzen und Minister, die schönsten Frauen werden in reizend ausgestatteten Einladungskarten à la Marlborough und Figaro zu Gaste gebeten. Der Autor hat »mit dem impertinenten Ton, über den er in solchen Fällen gebot,« die Kosten für alle Proben und Vorbereitungen im Betrage von 10–12 000 Franken aus seiner Tasche bezahlt. Er ist der eigentliche Festgeber. Die Karossen mit geputzten Damen und vielbeneideten Herren fahren schon vor. Da erfährt man befremdet, daß der König, wie mit schadenfrohem Vorbedacht, fast in derselben Stunde, in welcher der Vorhang in die Höhe gehen soll, die Aufführung verbieten ließ. Wohl hat schon lange zuvor der Polizeileutnant Le Noir jedermann gesagt, er wisse nicht, mit wessen Bewilligung das Stück aufgeführt werde. Trotzdem erschien allen, den frivol, wie den rechtlich Gesinnten diese Maßregelung – im Grunde nur die Einhaltung eines feierlichen königlichen Wortes – als Gewaltstreich. Ludwigs Zögern bis zum letzten Augenblick galt als Bosheit, sein Machtwort, daß weder die Comédie Française, noch die Comédie italienne irgendwo und irgendwann versuchen sollte, den »tollen Tag« zu geben, als tyrannische Willkür. Der Befehl lautet so kategorisch, daß jeder den Vermessenen ausgelacht oder beklagt hätte, der es unternommen, die Komödie ein Vierteljahr später auf einem hochadeligen Haustheater und kaum zehn Monate später auf der ersten Bühne des Reiches zur Darstellung zu bringen. Beaumarchais aber hatte seine Bundesgenossen so klug gewählt, daß diese Wunder sich begaben. Zu ihm standen der Graf von Artois, Vaudreuil, die Polignacs, kurz der ganze Anhang von Marie Antoinette; gegen ihn der Großsiegelbewahrer und der König. Sehr begreiflich und glaublich erscheint es nach alledem, daß Ludwig XVI. eines Tages nicht ohne Selbstironie zu Miromesnil sagte: »Sie werden schon noch erleben, daß Beaumarchais mehr Einfluß haben wird, als der Großsiegelbewahrer«. Das würdige Gegenstück zu dem Worte Ludwigs XV. an einen Bittsteller: »Sie haben in dieser Sache nur mich auf Ihrer Seite; Ihr Anliegen ist also aussichtslos.« Auch hier traf die Rache für das Zerstörungswerk Ludwigs XIV. seine Nachfahren. Er hatte mit dem Übermut auch das Pflicht- und Ehrgefühl der meisten großen Geschlechter zunichte gemacht; die Rücksichten und Gnaden, welche der französische Herrscher seinem Hofadel schuldete, brachten ihn allmählich aber in lästigere Abhängigkeit von seinen eigennützigen Schmeichlern, als der Volkswille die englischen Fürsten vom Haus der Gemeinen.

Schon im September 1783 wird der »Tolle Tag« in Gennevilliers aufgeführt. Der Hausherr, Vaudreuil, hat, dem Grafen von Artois zu Gefallen, die Erlaubnis zu diesem Festtheater nicht etwa beim König, sondern bei – Beaumarchais nachgesucht. »Kein Heil ohne ›Hochzeit des Figaro‹,« so lautet wort- und sinngemäß der Kehrreim aller Briefe, in welchen Vaudreuil und der Sohn Richelieus, der Herzog von Fronsac, den in London weilenden Dichter um seine Zustimmung und Hilfe angehen. Diesmal kommt unser Autor den hohen Herren aber mit wohlberechneten Schwierigkeiten. Der König, so antwortet Beaumarchais, habe die Komödie verboten; seitdem ruhe ein Makel der Immoralität auf dem Stück, den zuvor jedenfalls ein Zensor tilgen müsse. Man erfüllt ein scheinbar so anspruchsloses Verlangen. Der Historiker und Akademiker Gaillard erklärt den »Tollen Tag« mit wenigen unbedeutenden Änderungen für bühnenfähig. Und nun geht Beaumarchais weiter und meint, er könne die Aufführung bei einem Hoffest zu Ehren des Bruders Seiner Majestät nur unter der Bedingung gestatten, daß die Mitglieder der Comédie Française die Komödie hernach auch auf ihrem Theater geben dürfen. Der Polizeileutnant schwankt. Da gibt ihm Beaumarchais zu verstehen, daß man sich in Rußland um sein Stück bewerbe; zudem habe er mit dem »Tollen Tag« nur beabsichtigt, Ludwig XVI. und Marie Antoinette ein Festspiel anläßlich der Geburt des Dauphin zu widmen, und Le Noir glaubt, dem Dichter Hoffnungen machen zu dürfen. Weshalb sollte auch den guten Parisern versagt bleiben, was die ersten Damen und Kavaliere in Gennevilliers entzückte? Am 27. September 1783 fand diese denkwürdige Aufführung auf dem Landsitze Vaudreuils statt unter so außerordentlichem Andrang von Gästen, daß Beaumarchais ein paar Fensterscheiben mit seinem Stock einschlug, um frische Luft in den schwülen Saal dringen zu lassen – ein Vorfall, der schon dazumal symbolisch gedeutet wurde. Cette pièce gaie que l'on trouve trop gaie parcequ'elle est quelquefois sérieuse, ayant été faite uniquement pour amuser le roi et la reine de France dans une grande réjouissance etc. Fournier 735. 738. Vgl. Beilage II in Tourneux' Ausgabe von Gudins Hist. de B.: une dédicace inconnue du Mariage de Figaro à Louis XVI et Marie Antoinette. Voltaires Dedikation des »Mahomet« an den Papst hatte also Schule gemacht. – Beaumarchais' Berufung auf russische Sympathien verträgt keine scharfe Kritik: Ein französischer Schauspieler in Petersburg, Daubtcourt, hatte zwar nach fünfzig erfolgreichen Aufführungen des »Barbier von Sevilla« Beaumarchais um Zusendung seiner noch ungedruckten Komödie Les noces (nicht: Le mariage) de Figaro gebeten (November 1781 Lintilhac, S. 407s. Katharinas Urteil über Figaro lautet vernichtend ( Sbornik imperatorskawo etc. 1878, 334 ff.). » Je ne me suis jamais trouvée en plus mauvaise compagnie que dans celle de cette noce célèbre« schreibt sie nach der Lektüre. Besser erging es dem Stück in Polen, wo es auf der Liebhaberbühne der Prinzessin von Nassau-Siegen (vielleicht sogar noch vor der ersten Pariser Aufführung) zur Darstellung gelangte. Loménie II, 287. Brüggen: Polens Auflösung, Leipzig, Veit, 1878. S. 291 ff.

Alle Parteigänger Beaumarchais' irrten aber gewaltig mit ihm, wenn sie nach dem außerordentlichen Erfolg dieses Abends bestimmt voraussetzten, die Komödie sei damit auch für das große Publikum freigegeben. Als der Dichter, nur der Form wegen, Le Noir um die Bestallung eines neuen Zensors ersucht, erhält er den Bescheid, der Großsiegelbewahrer sei der Ansicht, daß die zwei bisherigen Zensuren vollauf genügen; das Verbot des Königs aber bestünde nach wie vor zu Recht. Beaumarchais' Vorschlag, er wolle, zur Beseitigung dieses Hindernisses, Ludwig XVI. und Marie Antoinette selbst sein Werk vorlesen, wird nun freilich abgelehnt; zwei Monate nachher läßt der König aber auf eine neue Eingabe Le Noirs die Weisung ergehen: »es stünden noch immer unzulässige Dinge in dem Stück, welche der Autor um so leichter weglassen könne, als das Lustspiel, wie man sage, zu lang sein soll.« Der Polizeileutnant sah diese ziemlich orakelhafte Entscheidung als bedingte Aufhebung des königlichen Verbotes an, und Beaumarchais war für den Augenblick getröstet. Bald aber erlebte er neue Enttäuschungen. Denn als es hieß, einen dritten Zensor zu wählen, lehnten fast alle die heikle Aufgabe ab. Keiner wollte die Verantwortung dem König gegenüber tragen, die wenigsten sich mit Beaumarchais verfeinden. Nur auf die eindringlichsten Bitten läßt sich endlich Mr. Guidi, der Zensor des Journal de Paris, ein Mann, der seit dreißig Jahren kein Schauspielhaus betreten, zu dem leidigen Geschäft herbei; »wenn man nicht haben kann, was man liebt«, meinte Beaumarchais melancholisch, »muß man lieben, was man hat«. Denn Guidi wollte von dem Dichter persönlich schlechterdings nichts wissen; er wies jeden Versuch einer Auseinandersetzung mit dem gefürchteten Satiriker zurück, sein Urteil lautete verwerfend. Auf der Stelle beredet Beaumarchais den Polizeileutnant, der zu seinen nächsten Freunden zählte, ihm einen neuen Zensor zuzugestehen, einen harmlosen Stümper, der späterhin als Parodist des »Tollen Tages« verunglückt, Desfontaines. Dieser kleine Literat findet das Werk vortrefflich und verlangt nur ein paar Striche, zu denen sich Beaumarchais sofort herbeiläßt. Zugleich drängt er auf neue Zensuren. Während der bescheidene Bret aber für den »Tollen Tag« stimmt, gibt Suard sein Votum gegen das Stück ab. So geteilten Meinungen gegenüber hält es der Dichter für unerläßlich, Breteuil selbst als Schiedsrichter aufzurufen. Und es gelingt ihm endlich, den Minister zu bewegen, sich die Komödie im Kreise der Seinigen vorlesen zu lassen. Als unser Autor bei Breteuil sich einfindet, trifft er Gaillard, Chamfort, Rulhières, die Tochter des Ministers, Madame de Matignon, und einige Hausfreunde. Man nimmt Platz. Beaumarchais gibt vor allem die Versicherung, daß er unbedingt alle Verbesserungen annehmen wolle, die seine Zuhörer ihm vorschlagen würden.

»Er liest, man unterbricht ihn. Bei jeder Unterbrechung gibt er scheinbar nach, kommt späterhin aber auf seinen Urtext zurück und verteidigt schließlich die kleinsten Einzelheiten mit solcher Gewandtheit und dialektischen Kraft, mit solcher Verflechtung von Scherz und Räsonnement, daß seine Merker immer stiller werden. Man lacht, unterhält sich, applaudiert. Niemand spricht mehr vom Streichen; im Gegenteil, der eine und der andere schlägt Zusätze vor. Herr von Breteuil steuert selbst ein Witzwort bei. Beaumarchais dankt dem unverhofften Mitarbeiter mit der Schmeichelei: »Ihr Einfall wird meinen vierten Akt retten.« Madame von Matignon wünscht, daß das Band der Gräfin, welches Cherubin Susannen entwendet, von blauer Farbe sein soll. Der Vorschlag findet begeisterte Zustimmung: wer wollte nicht die Farbe von Madame Matignon tragen! Nur – wird der Einfall des Herrn von Breteuil nicht belacht, die Farbe des Bandes von niemand bewundert werden, wenn Figaro nicht freigegeben wird. »Nein!« meinte Chamfort, wenn er von diesem Abend sprach, »ich bin nie wieder einem solchen Hexenmeister begegnet. Was Beaumarchais zur Rechtfertigung seines Werkes vorbrachte, übertraf durch seinen Geist, seine Originalität und Komik alles, was er in seiner Komödie auch noch so Lustiges und Geistreiches zum besten gab. Ich glaubte einen Mann im Champagnerrausch zu sehen, der funkelnde Edelsteine mit seinen Zähnen zerrieb und seine Zuhörer unversehens mit Diamantenstäubchen überschüttete.« Jedenfalls streute er Sand in die Augen Breteuils, der den König zur Aufhebung seines Verbotes vermochte. Eine einzige Hoffnung hegte Ludwig XVI. noch: er erwartete zuversichtlich, daß das Stück durchfallen werde. »Möglich,« meinte Sophie Arnould, »aber fünfzigmal nacheinander.« Viel weitblickender als der Herrscher erwies sich der Bruder des Königs, Monsieur, nachmals Ludwig XVIII., mit der Prophezeiung: »Sie werden das Stück zu den Sternen emporheben in dem Wahn, damit einen Sieg über die Regierung davongetragen zu haben.«

Am 27. April war endlich der große Schlachttag gekommen. Leute aller Stände überfluteten Beaumarchais mit der Bitte um Eintrittskarten. Vierzig Zuschriften kamen in einer Stunde, jede mit dem gleichen Versprechen der Briefsteller, zum Dank für die Gunst des Autors als freiwillige Klatscher ihre Pflicht zu tun. In kunterbuntem Gedränge waren Ludwigsritter und Lastträger stundenlang vor Eröffnung des Theaters vor den Kassenschaltern zu sehen; ehrbare Frauen aus dem Bürgerstand und Herzoginnen übernachteten in den Ankleidekabinen der Schauspielerinnen, um nur gewiß abends ein Plätzchen, wenn's nicht anders ging, neben den meistgenannten Kurtisanen zu erobern; endlich wurden die Wachen weggedrängt, die Türen eingerannt; selbst die eisernen Gitter hielten dem Ansturm nicht stand. Kaum die Hälfte der Einlaß Heischenden konnte befriedigt werden. Im Saal selbst aber ging vor Beginn der Vorstellung eine Aufregung durch die Massen, die sich beim Erscheinen des siegreichen Admirals Suffren in begeistertem Zurufe, gleich darauf aber in skandalösem Jauchzen Luft machte, als eine vielberedete Hetäre, kaum geheilt von einer häßlichen Krankheit, sich einstellte Essai que nul homme de lettres n'avait encore osé tenter«, Préf., Théâtre compl. III, 31. Es war eine Neuerung, daß ein einziges Stück den Abend füllte.. Alle Minister waren erschienen, auch die beiden Brüder des Königs. Der Dichter selbst nahm in einer Loge Platz, das Weltkind zwischen zwei Abbés, die ihm, nach seinem übermütigen Wort, im äußersten Falle des secours très-spirituels spenden sollten. Von halb sechs abends bis zehn Uhr nachts währte das Schauspiel. Die Aufführung war bis in die kleinsten Episoden von Beaumarchais' Feuergeist durchwaltet, der Erfolg nach Grimms Zeugnis ein märchenhafter. Hämische und feindselige Stimmen versuchten wohl, sich geltend zu machen: es wurde ab und zu gezischt und gepfiffen. Monsieur machte kein Hehl aus seinem Unwillen gegen die Komödie. Die urteilsfähigen, unbefangenen Zuhörer standen aber von Anbeginn in den magischen Kreisen Beaumarchais'. Seit Molières Tagen war kein Komödiendichter in Frankreich aufgestanden, der solche Gewalt über das Publikum gewann; genau so wie nach den Erstlingsvorstellungen der Précieuses ridicules und der École des femmes bildeten sich Parteien und Gegenparteien; überschwängliche Lobsprüche und gehässige Kritiken, Parodien, Spottverse wurden gleicherweise »dem Bastard zuteil, der sich glücklicher erwies, als alle legitimen Kinder«. In ununterbrochener Reihenfolge kann die Komödie einige siebzigmal gegeben werden. Beaumarchais selbst, der trotz all seiner Bemühungen diese beispiellose volkstümliche Beliebtheit seines Werkes ebensowenig voraussah, wie etwa späterhin die Tondichter der »Marseillaise« und der »Wacht am Rhein«, sprach das berühmte Wort: »Es gibt etwas, das toller ist als mein Stück, das ist sein Erfolg.« Napoleon I. aber sah in diesem Triumph des »Tollen Tages« nicht sowohl ein künstlerisches Ereignis, als vielmehr »die Revolution in voller Aktion«. Und in der Tat, die Haltung des Publikums mehr noch als die Absicht des Dichters bestimmt Geschichtsschreiber, Lobredner und Tadler von »Figaros Hochzeit« zu dem Entschlusse, daß der 27. April 1784 in erster Reihe als politisches Datum zu gelten habe. Ein Zeichen des sinkenden Ansehens des Königtums, eine bis dahin in solcher Öffentlichkeit noch unerhörte Verhöhnung des Adels, der Zensur, des Stellenkaufes, einer unzuverlässigen, überlebten Justiz, eine Anklage aller despotischen Einschränkung der persönlichen und Gedankenfreiheit erschien damit gewiß auf der offenen Szene.

» Eine wahrhaft enzyklopädische Komödie« ist denn auch der »Tolle Tag Lacretelle, Histoire de France pendant le XVIIIe siècle, VI, 57., nennt den Tollen Tag eine encyklopädische Komödie.« mit Recht genannt worden. »Moral, Gesetzgebung, Politik, selbst Metaphysik, all das ließ Beaumarchais vorüberziehen, all das beredete und verhöhnte er, wie bei einem souper libertin.« Tiefer noch als mit den schärfsten Ausfällen wider die herrschenden Gewalten bewegte Beaumarchais das Herz der bürgerlichen Zeitgenossen mit dem ernst vermeinten Grundgedanken des Stückes, der, auf die kürzeste Formel gebracht, mit dem Wort des Grafen Münster zusammenfällt, die Antichambre will in den Salon. Beaumarchais hat gut sagen: »Weshalb diese weitgreifende Erbitterung gegen mein Werk? Fanden doch alle (?) Zensoren nur die unschuldigste aller Handlungen in dem Stück. Ein spanischer Graf ist verliebt in ein junges Mädchen, das er verführen will; sein Vorhaben wird aber zuschanden gemacht durch die vereinten Bemühungen dieser Kammerzofe, ihres Bräutigams und seiner eigenen Frau, obwohl er durch seinen Rang, sein Vermögen und seine verschwenderische Freigebigkeit unwiderstehlich erscheint« – für die Zuschauer war der Kleinkrieg Almavivas und Figaros mehr, als der Kampf um Susanne, er bedeutete den Kampf um das Herrenrecht in Staat und Gesellschaft. In den Zungenduellen zwischen Gebieter und Diener behielt der Lakai immer das letzte Wort. Und das nicht bloß wie die räsonnierenden Zofen in den Molièreschen Komödien, als Chorus des gesunden Menschenverstandes für den Theaterabend, sondern als der Sprecher der fähigen, fleißigen, aufstrebenden Vertreter des dritten Standes, die von allen militärischen Würden, einträglichen Kirchenpfründen und den wichtigsten Staatsämtern ausgeschlossen blieben, während dem Schwarme der Adligen die Anwartschaft auf solche Gnaden oft schon in die Wiege gelegt wurde. Das Talent wurde in Frankreich dazumal, wie Figaro, als Bastard behandelt, und Tausende und Zehntausende jubelten ihm zu, wenn er seine Titel gegen die der höfischen Drohnen abwog und die Summe seiner Betrachtungen in Worten zog, die – lange vor Sieyès' einem Epigramm Chamforts entlehnten Schlagsatz: »Was ist der dritte Stand? Nichts. Was sollte er sein? Alles« – dieselbe Weisheit verkündigten: »Weil Sie ein großer Herr sind, meinen Sie ein großes Genie zu sein. Adel, Vermögen, Rang, Würden, all das macht so stolz. Und was haben Sie geleistet für so viel Herrlichkeiten? Sie haben sich die Mühe genommen, geboren zu werden, weiter nichts! Im übrigen ein Alltagsmensch, während ich, im dunklen Haufen verloren, nur um mich fortzubringen, mehr Witz und Wissen aufwenden mußte, als man in den letzten hundert Jahren für die Regierung aller spanischen Provinzen verbraucht hat. Und Sie unterfangen sich, mit mir anzubinden.« Ebenso lawinenartig dröhnte der Beifall nieder, wenn Figaro das Handwerk des Höflings in die drei Worte zusammenfaßte: »empfangen, nehmen, verlangen«. Der Kern des Bürgertums, der seine patriotischen Dienste von den Machthabern verschmäht und mit Beleidigungen vergolten sah; die aufstrebenden Köpfe, die von Willkür und Zensurdruck beengt, jeden Phantasieflug als Verbrechen bedroht sahen, realistische Streber und ideale Freiheitsschwärmer, hochsinnige, aristokratische Reformer und demagogische Mißvergnügte, sie alle fanden eine Weile lang ihre geheimsten Gedanken, ihre Losungsworte und Entwürfe in diesem größten und verwegensten aller Gelegenheitsstücke. Zur Quellengeschichte der Folle journée habe ich auf die Contes moraux von Marmontel für Cherubin hingewiesen. Und Larroumet ist eine bemerkenswerte Ähnlichkeit der Motive im zweiten Akt (Heimkehr des eifersüchtigen Gatten; Sprung des überraschten Günstlings in den Garten) mit einem Roman der Prinzessin Conti » L'histoire des Amours du grand Alcandre 1632« aufgefallen (Larroumet, Petits portraits et notes d'art, Paris, 1897). Bezeichnenderweise soll der Held des großen Alcandre (der ein Schlüsselroman war) Heinrich IV. gewesen sein: ein richtiger Ahne Almavivas im 17. Jahrhundert. Auch der Page in Voltaires » Pucelle« wäre zu erwähnen. Im 18. Jahrhundert war übrigens an leibhaftigen Urbildern Almavivas und Cherubins kein Mangel: die meisten Almavivas waren in ihrer Kindheit Cherubins gewesen. Und was für Lauzun, Richelieu und andere Kavaliere zutraf, wiederholte sich auch in anderen Kreisen. Rousseaus Turiner Abenteuer, Casanovas und wohl auch Beaumarchais' erste Liebschaften lassen die Geschichten von Marmontel, Dorat, Louvet de Couvray nur als blasse Nachbilder erscheinen.

Der Welterfolg von »Figaros Hochzeit« gebührt also zunächst dem aristophanischen Zug der Komödie, dem Wagemut des Dichters, der zum ersten Male auf offener Bühne vergegenwärtigte, was allerdings jahre- und jahrzehntelang vor ihm pathetisch und ironisch, in Versen und Prosa, von Philosophen und Ökonomisten, Träumern und Staatsmännern, in Büchern und Flugschriften war ausgesprochen worden. Diesem Verdienst kommt die Genialität gleich, den zeitlichen Gehalt einer politischen Komödie unlöslich mit Gestalten und Geschichten zu verknüpfen, die unser Herz mit dem ewigen Zauber der Menschennatur, wahrhaftiger Liebe, rühren. Auch in der Wahl dieser Motive und Figuren hat Beaumarchais, wie für die Standreden seines Helden, oft fremde Anregungen benutzt; auch er hat wie Molière sein Gut genommen, wo er es gefunden, und das Urbild seines Cherubin einer Erzählung des Marmontel, die Auftritte im Schlafgemach der Gräfin, Cherubins rettenden Sprung in den Garten einer aus dem 17. Jahrhundert stammenden Erzählung der Prinzessin Conti, L'histoire des amours du grand Alexandre entnommen, das meiste aber aus »dem philosophischen Roman seines Lebens« geschöpft: so viel ungemünztes Gold er auch anderen zu danken hat, Umlaufswert hat ihm doch erst sein Prägestempel verliehen.

Der »Tolle Tag« ist Beaumarchais so ureigen, wie Götz, Clavigo und Faust Goethe zugehören. Und das in seinen Fehlern nicht minder als in seinen Vorzügen, in den Besonderheiten des Menschen mehr noch, als des Künstlers. Denn wenn wir Figaro auch nicht schlankweg als Selbstporträt Beaumarchais' ansehen wollen, in der Übung seiner Lebens- und dialektischen Kunst ist er uns schon wiederholt als täuschend ähnlicher Doppelgänger unseres Helden erschienen. Im Monolog des fünften Aktes zumal verrät der Schloßkastellan des Grafen Almaviva diese Wesensverwandtschaft: »Herr da und Knecht dort, wie es dem Glücke gefällt; ehrgeizig aus Eitelkeit, arbeitsam aus Notwendigkeit, aber träge mit Entzücken; ein Redner, je nach der Gefahr; Poet zu meiner Erholung; Musikus aus Liebhaberei; galant in jähen Anwandlungen, habe ich alles gesehen, alles getan, alles ausgekostet.« Bündiger und schlüssiger kann die Summe der Existenz des Memoirenschreibers, Dramendichters, Hofvirtuosen, diplomatischen Agenten etc. nicht gezogen werden. Aber auch in bedenklicheren Punkten verleugnet Figaro die Eigenheiten und Liebhabereien Beaumarchais' nicht. So scharf er die Adelsprivilegien abtrumpft, er träumt doch immer von hochadeligen Eltern, wie Beaumarchais selbst nicht eilig genug sich lettres de noblesse anschaffen konnte. Wie das Leben Beaumarchais' gipfelt mit gutem Grund die Figarokomödie in einer Gerichtsszene ohnegleichen; wie Beaumarchais in höchster Bedrängnis, angesichts des scheinbar unbesiegbaren Bundes des Grafen La Blache mit dem feilen Goezmann, nur auf seine Geistesgaben gestützt, Gewalt und Hinterlist durch Anrufung der weitesten Öffentlichkeit zuschanden machte, nimmt Figaro mit siegreichem Gassenjungenwitz den Kampf gegen den vergebens auf die F…o…oorm sich steifenden Stammler Don Guzmann-Bridoison – er hieß in der Urhandschrift geradezu Goezmann – und den scheinheilig unparteiisch seines Oberrichteramtes waltenden Groß-Corregidor Almaviva auf. Das Gleichnis, das Beaumarchais späterhin bei grundverschiedener Gelegenheit gebraucht, das ganze Himmelsgewölbe spiegle sich auf unserer Netzhaut, die nicht größer sei als ein Zeisigei, gilt auch von dieser Gerichtsszene als dem Sinnbild seines bunten Lebenslaufes, in dem an groben Mißgriffen so wenig Mangel ist, wie an außerordentlichen Siegen, in dem neben leuchtenden wärmenden Sonnen Irrsterne kreisen. In wenigen Schlagsätzen, in denen jedes Wort wuchtet, in gegensätzlichen Gestalten von der höchsten Glaubwürdigkeit verdichten sich alle Klagen und Anklagen wider die Mißbräuche einer verkehrten Gesellschaftsordnung und Rechtsprechung, in der für die »Canaille« kein anderer Platz da ist als außerhalb der Gerichtsschranken, in der unfähige Richter zu entscheiden haben, weil sie ihr Amt kaufen konnten, das sie allerdings noch lieber umsonst zum Geschenk erhalten würden.

An die Roheit des jungen Caron seiner Mutter gegenüber werden wir aber durch den Schandfleck des Stückes erinnert – das abscheuliche Motiv, daß Figaro Marzellinen drei volle Akte lang als liebestolle Furie schmäht und hänselt, um nach einer jähen Wiedererkennung die Alte als seine Mutter zärtlich ans Herz zu drücken, nebenher aber die Stimme des Blutes zu ironisieren. Sainte-Beuve C. L. VI, 235 deutet, wenngleich viel zu schonungsvoll, auf diesen Grundfehler des Stückes und seines Dichters hin.

Die Selbstgefälligkeit dieses »Professors der Insolenz« wird von Almaviva gelegentlich sehr ruhig, ohne Geistreichelei, aber so kurz und scharf zurückgewiesen, daß ein frei und vornehm gesinnter Mann wie Sainte-Beuve, »alles erwogen, lieber in einer Gesellschaft leben wollte, in welcher die Almavivas, als die Figaros die Oberhand haben«. Am schlimmsten spielt dem Helden des »Tollen Tages« seine Ränkesucht mit. Dabei ergeht es Figaro auf der Bühne genau so, wie Beaumarchais im Leben; sein Übereifer macht ihn bisweilen zuschanden. Sein Anschlag, den Grafen durch ein Brieflein von Susannen abzulenken und seine Eifersucht gegen die Gräfin zu erregen, ist dermaßen überkünstelt, daß nur die Geistesgegenwart Susannens und die feurige Entschlossenheit Cherubins den Jähzorn Almavivas eindämmen können. Ebensowenig bewährt sich der Mann der Vorsehung in seinem Rechtsstreit und geradezu stümperhaft nehmen sich seine Anzettelungen, den Grafen durch eine Doppelgängerin Susannens zu täuschen, neben dem mit künstlerischer Überlegenheit entworfenen Maskenscherz der Gräfin aus. Beschämt muß Figaro bekennen, daß die Männer im Vergleich mit den zehn- und zwölftausendmal gescheiteren Frauen nur Kinder in der Politik seien, und zuguterletzt werden Herrin und Dienerin, die nur vor hatten, einen Fuchs zu zähmen, gleich ihrer zwei fangen.

So erweist sich als die eigentliche Besiegerin Almavivas Susanne, wie sein wahrer Besieger Cherubin ist. Der Mutterwitz und die angeborene feine Sitte der Kammerzofe, dieser auch dichterisch ebenbürtigen Vertrauten Rosinens, die Anmut und Jugendfrische Cherubins vergegenwärtigen, überzeugender als die wortreichsten Gespräche und Selbstgespräche Figaros, die Wahrheit, daß der Zauber der Naturgaben mächtiger als alle Rechte der Geburt, daß gegen die Urgewalt echter, halb gestammelter Empfindungslaute aller äußere Glanz nicht aufkommt. Wie ein Spätling der unvergänglichen Hirtengeschichte von »Daphnis und Chloe« entzückt uns Cherubino di amore. Ein Hauch reinster, naiver Volksdichtung hat den Dichter gestreift, als er mehr andeutend wie verdeutlichend die tief menschlichen Regungen der verlassenen Gräfin für ihr Patenkind und die stürmischen ersten Wallungen dieses zärtlichen Knaben verfestigte. Echtes Finderglück hat ihm diesen elfenhaften Amor entgegengeführt, dem mit den Sympathien aller Frauen in Aguas frescas, mit den sentimentalen Empfindungen der Gräfin, der Frohnatur Susannens, den täppischen Gunstbezeugungen Fanchons, auch heute noch die Herzen aller Leser und Zuschauer zufliegen. Kindlich rein hebt sich bei aller Leidenschaftlichkeit seine erwachende Neigung für die Gräfin von dem schwülen Grundmotiv des Stückes ab, dessen Vorwurf von der ersten bis zur letzten Szene der Graf von Artois mit einem nicht wiederzugebenden Ausdruck erschöpfte. »Wie könnte aber,« so fügt Grimm dieser Kritik Artois' hinzu, »eine Komödie, die aus nichts als aus diesem Stoff gemacht ist, etwas anderes sein, als ein Werk des Genies?«

Die Halbwahrheit ist gottlob leicht zu widerlegen und das durch eine Schöpfung, welche den »Tollen Tag«, jedem Angriff unerreichbar, in eine reine Region deutschen Gefühlslebens emporgehoben hat: Mozarts Nozze di Figaro. Mozart selbst hat den Wunsch ausgesprochen, die von Kaiser Joseph Kaiser Josephs Handschreiben hat mir Karl Glossy freundlich aus dem Wiener Statthalterei-Archiv mitgeteilt: »Lieber Graf Pergen! Ich vernehme, daß die bekannte Komödie le mariage de Figaro in einer deutschen Uebersetzung für das Kärnthnerthor-Theater angetragen sein soll; da nun dieses Stück viel Unanständiges enthält, so ersuche Ich Mich, daß der Censor solches entweder ganz verwerfe, oder doch solche Veränderungen darin veranlassen werde, daß er für die Vorstellung dieser Piece und den Eindruck, den sie machen dürfe, wird haften können. Wien, den 31. Jänner 1785. Joseph für das Hofschauspiel halbverbotene Weltkomödie in Musik zu setzen, und Da Ponte hat mit großer Kunst ein Textbuch geschaffen, das seines Tondichters würdig war. Ohne einen wesentlichen Zug der Hauptcharaktere und -Motive preiszugeben, hielt er es bei allen heikleren Wendungen mit der Weisheit seines Figaro: »das Weitre, das Weitre verschweig' ich«. Und siehe da, auch von allen grobsinnlichen Schlacken, losgelöst von allen politischen und sozialen Vorbedingungen, bewährte sich »Figaros Hochzeit« als das beste aller musikalischen Lustspiele, wie »Don Juan« das genialste aller musikalischen Dramen bleibt. Beaumarchais tritt hinter Mozart soweit zurück, wie in unserer Oper, bezeichnend genug, Figaro hinter Cherubin zurückzutreten hat, denn was der Librettist dem »Tollen Tag« an geistvollen Zwischenspielen nehmen mußte, das vergalt ihm Mozart tausendfach durch seinen goldenen Humor. Wo Beaumarchais mit zynischen Redensarten einsetzt, schlägt Mozart Laute der keuschesten Innigkeit an. Niemals ist glückliche und verratene Liebe, Sehnsucht und Eifersucht, naive und sentimentalische Leidenschaft vielseitiger und wahrer zum Ausdruck gebracht worden. Wo Beaumarchais als Schalk verneint, reizt und wirkt, da entzückt uns Mozart Otto Jahn: W. A. Mozart (Vierter Teil 192 ff.-275. Leipzig, 1859). als »einer der echten Göttersöhne mit lebendig reicher Schöne«. Die Krone der Oper bleibt aber Susannens Arie: Giunse al fin il momento; reinste deutsche Empfindung durchwaltet diese Weise, die, wo die Worte für unsagbare Gefühle bräutlicher Erwartung verstummen, mit überirdischen Tönen unser Gemüt ergreift. So oft diese Harmonien angestimmt werden, überkommt jeden Fühlenden die Ahnung einer besseren, von aller Erdenschwere befreiten Welt. Susannens Wunsch: »Komm, o Trauter, daß ich mit Rosen kränze dein Haupt« wird in uns allen lebendig, dem Musensohn selbst gegenüber, dessen Bildsäulen immerfort frisch blühender Blumenschmuck zieren sollte. Die Besten aller Völker, von Rossini bis auf Richard Wagner, von Boieldieu bis auf Otto Jahn und Berthold Auerbach haben die Läuterung, mit der Mozart den »tollen Tag« sublimierte, in Weisen und Worten gepriesen. Niemand aber feierte den Genius, der ohne Widerrede bis zu dieser Stunde der hilfreichste Schutzpatron von Beaumarchais' Komödie ist und bleibt, begeisterter als David Friedrich Strauß:

Wo ist ein Sänger so wie du der Liebe?
Wo einer, der ihr wundersames Walten
In allen Arten, Stufen und Gestalten
In Tongemälden so wie du umschriebe?

Vom ersten Knospen scheu verhüllter Triebe
Bis wo sie sich zur Blütenpracht entfalten,
Vom Sinnenrausch, den keine Zügel halten,
Bis zu dem zarten Seelenhauch: Ich liebe.

Hier hast du nun der saubern Liebesvögel
Ein ganzes Nest, ein volles, ausgenommen
Und zeigst sie uns mit allen ihren Streichen.

Der ist kaum flügg'; der fliegt mit vollem Segel;
Ein Dritter hat schon etwas abbekommen.
Ein Durcheinander ohne seinesgleichen.

Ein Durcheinander ohne seinesgleichen, das in Paris im Schlußvaudeville ursprünglich mit dem fröhlichen, versöhnlichen Wort ausklingen sollte: Tout finit par des chansons. Aber es stand geschrieben, daß das Nachspiel von »Figaros Hochzeit« in Paris und Versailles minder harmlos enden sollte als auf dem Herrensitze des Großkorregidors von Andalusien. Vom 27. April 1784 an brachte jeder Tag Beaumarchais neue, immer gefährlichere Anfeindungen. Zunächst hieß es, er habe als Urbild seiner Gräfin die erste Frau des Reiches im Auge gehabt; nach der fünften Vorstellung flatterten ebenso boshafte als gemeine Spottverse in Hunderten von Exemplaren aus dem Paradies in das Parterre. Beaumarchais heißt anfangs solche Angriffe als gute Reklamen willkommen. Er zeigt nicht ohne Stolz den dicken Sammelband, in welchem er die ungezählten Gassenhauer, Pamphlete, Epigramme etc. für und wider den »Tollen Tag« aufbewahrt. Er macht hohen Gästen, wie Gustav III. von Schweden, bei ihren Theaterbesuchen die Honneurs, unbekümmert darum, daß dieser Fürst das Stück nicht indecent, sondern insolent nennt und tags darauf mit Behagen akademische Sticheleien Suards gegen diese Verderbnis des Theaters in einer Galasitzung der vierzig Unsterblichen mit anhört. Was verschlägt's, wenn die Leute schelten? sie alle, voran Gustav III., gehen trotzdem gleich nachher zum zweiten und dritten Male zu dem geschmähten Stück. Ende August betragen die Einnahmen schon 150.000 Franken. Schweigen die anderen, so ersinnt er selbst allerlei, um die Theatergänger reden zu machen und heranzuziehen. So bestimmt er u. a. den Reinertrag der fünfzigsten Vorstellung – dazumal noch kein so verbrauchtes Reizmittel wie heutzutage – wohltätigen Zwecken, der Begründung einer Anstalt, in welcher arme Mütter ihre Säuglinge stillen sollen. Das Vorhaben gibt Anlaß zu dem Stachelreim:

Weh! Beaumarchais übt Tugend!
Doch büßen wir es bitter!
Der Milch bezahlt der Jugend,
Vergiftet alle Mütter.

Aber gefährlichere Gegner als die Eintagsdichter solcher Verse und aller Parodien ( la folle soirée, les amours de Chérubin etc.) erstehen Beaumarchais. Der Erzbischof von Paris, selbst kein Mann der Feder, ließ sich von seinem Amtsbruder, dem Erzbischof von Sens, einen Hirtenbrief aufsetzen, in dem er gegen die neue Voltaireausgabe und den »Tollen Tag Diese unfreiwillige Anerkennung der Popularität des »Tollen Tages« wird durch eine andere beglaubigte Tatsache trefflich ergänzt: 40 Landpfarrer fanden sich gelegentlich, ohne frühere Verabredung, in Paris ein: Alle nur in der Absicht, »Figaros Hochzeit« zu sehen. Centenaire 89.« eiferte. Beaumarchais antwortete mit einem »Geistreichen Preislied auf einen geistlichen Fastenbrief«, zum großen Mißvergnügen des Königs, der ihn vor den Polizeileutnant fordern ließ. Dort leugnete unser Dichter, die boshaften Verse verfaßt zu haben, oder richtiger, er half sich nach Voltaires Muster mit einer witzigen Ausflucht. Er erklärte: So wahr der Fastenbrief vom Erzbischof von Paris, so wahr sei das Spottlied von ihm. Der Unmut Ludwigs XVI. war also aufs höchste gestiegen, als ein neuer Zwischenfall das Maß voll machte. Die ganze Polemik ist am vollständigsten mitgeteilt in der » Bibliothèque des amis des lettres«, Beaumarchais III. Paris, 1830 (166–188). Die Ausgabe ist von Ravenel besorgt: fehlt bei Cordier.

Anläßlich der Wohltätigkeitsvorstellung war Beaumarchais auf das gehässigste im Journal de Paris angegriffen worden; u. a. wurde da gefragt, was denn aus der kleinen, im »Tollen Tag« mit Schweigen übergangenen Figaro geworden sei, der Rosine im »Barbier« Bonbons zuwenden will? Beaumarchais antwortet schlagfertig, die kleine Figaro heiße von Haus aus Geneviève Valois und führe den Namen des »Barbiers« nur, weil dieser als wandernder Handwerksbursche sie in Frankreich unter seinen Schutz genommen. Dort habe sie einen sicheren Lecluze geheiratet, einen Lastträger, der vor ein paar Tagen vom Krahn der Auslademaschine beim Port St. Nicolas erfaßt und zermalmt wurde. Die sinnreiche Abfertigung, mit der zuletzt Beaumarchais den unglücklichen Hinterbliebenen ein paar Louis spendete, mißfiel aber seinen namenlosen Gegnern, welche die Polemik gehässig und pedantisch fortsetzten. »Ein Abbé, dem sein Beruf verwehrt, das Theater zu besuchen,« meldet sich zum Wort. Er habe den »Tollen Tag« nicht gesehen, allein niemand in Paris könne sich dem Ruf dieses Stückes entziehen. Jeder Packträger und jede Wäscherin habe zum mindesten einmal »Figaros Hochzeit« mitgemacht. Figaros Name sei solcherart beim gemeinen Volk so populär geworden, wie Tartüffe bei den Leuten von Welt; Figaro sei in diesen Kreisen gleichbedeutend mit jeder nichtsnutzigen Kreatur. Der Briefsteller habe Katzen, Hunde, Fiakerpferde Figaro anrufen hören. Just diese bedenkliche Popularität eines Namens, der Beaumarchais' Ruhm ausmache, könne aber das Unglück rechtschaffener Menschen herbeiführen. Das hätte er wohl bedenken sollen, als er das Elend der Witwe Lecluze nicht anders zu lindern wußte, als indem er ihr den Spitznamen der »kleinen Figaro« anhängte. Der Abbé erbittet ein Wort der Erwiderung auf diese Einwürfe und Beaumarchais gibt sie rasch, gereizt, scharf und witzig. »Wie, Mathan, (so fragt er mit einem Schlagsatz aus ›Athalie‹), ist dies die Sprache eines Priesters? Wer gäbe sich heutzutage nicht als Abbé aus? Vormals ein Ehrentitel für bevorzugte Priester, verweise man längst jeden Schurken und Dummkopf mit den Worten zur Ruhe: Still, Abbé! marsch fort, Abbé! Seine anonymen Widersacher würden ihre Antwort in der Vorrede zum ›Tollen Tag‹ finden. Welchen Zweck, meine Herren, verfolgen Sie also mit der Veröffentlichung Ihrer Torheiten? Gedenken Sie mich, der ich Löwen und Tiger besiegen mußte, um mein Stück auf die Bühne zu bringen, zu dem Geschäft einer holländischen Magd zu verdammen, die allmorgendlich mit dem Flederwisch das zudringliche Ungeziefer der Nacht totschlägt?« In dem Ton geht es fort bis zur Schlußwendung: »Jedes Tribunal wird die Herausgeber des Journal de Paris nötigen, den Namen des flüchtigen contumax an den öffentlichen Schandpfahl ihres Blattes zu nageln.«

Mit dieser Vermutung griff Beaumarchais aber fehl. Entweder hatte ihn sein Spürsinn im Stiche gelassen oder sein bisheriger Erfolg übermütig gemacht. Der Anonymus, gegen den er eine so drohende Sprache führte, war weder Suards Bruder, noch der Akademiker selbst, sondern der Graf von Provence, des Königs Bruder, der nachmalige Ludwig XVIII., der mit geschlossenem Visier zu diesem publizistischen Turnier ausgerückt war. Die Sache dieses Gegners war es nun freilich nicht, geistreiche Ausfälle mit geistreicher Abwehr heimzugeben; in seiner Macht aber stand es, beim König Genugtuung zu heischen. Schon längst hatten die Getreuen Ludwigs XVI. nach einem Anlaß gesucht, den Frechen zu erniedrigen. Tag um Tag erwartete man, von seiner Abführung in die Bastille zu hören. Was aber nach den verwegensten Hohnreden Figaros gegen Adel und Richterstand, was nach der dreisten Verhöhnung des Erzbischofs von Paris nicht geschehen war, das brachte nun eine gewiß unschuldig vermeinte Antithese des letzten Zeitungsartikels zustande. Man redete dem König ein, Beaumarchais habe unter den Löwen und Tigern, die sich vergebens der Aufführung des »Tollen Tages« widersetzt, seine geheiligte Person und seinen Anhang treffen wollen und in überwallendem Jähzorn schrieb Ludwig XVI. beim Kartenspiel auf ein Pique-Aß den Befehl, Beaumarchais sofort nach – Saint-Lazare zu führen. Der Name dieses Gefängnisses war ein Brandmal für jeden, der in diese Zwangsarbeitsanstalt für verlotterte Priester und jugendliche Züchtlinge verwiesen wurde, galt doch in Saint-Lazare der Staupbesen als Hausmittel! Der König gab mit diesem Machtspruch seiner innersten Gesinnung Ausdruck, er verwies Beaumarchais, der ihm seit den Wiener Abenteuern bis zu dem Triumph des »Tollen Tages« immer widerwärtiger geworden, in eine Reihe mit verwahrlosten Gassenjungen. Menschlich begreiflich war dieses Zorngericht, das Beaumarchais' Stellung für immer erschütterte; eines Königs würdig war solche Rache nicht. Im Prozeß Goezmann hatte ein Parlament ohne Ansehen und Haltung vergeblich versucht, Beaumarchais zu infamieren; diesmal aber häufte ein Herrscher, der mit Recht als der erste Ehrenmann des Reiches galt, Schmach und Verachtung auf Beaumarchais' Haupt.

Anfangs schwirrten nur dunkle Gerüchte durch Paris; bald aber wurde der Sachverhalt bekannt. Beaumarchais, so hieß es, sei Dienstag, 5. März 1785, vom Polizeikommissär Chenu unter starker Bedeckung nach St. Lazare gebracht worden. Als der Bote des Königs bei ihm eintraf, war er gerade mit dem Prinzen von Nassau-Siegen und dem Abbé Calonne beim Abendessen. Er empfing den Polizeikommissär ruhig, bat, nur seine Papiere nicht zu versiegeln, da er als Kaufherr zu viele laufende Geschäfte habe, und war gefaßt, in das Staatsgefängnis zu gehen. Erst als er hörte, welche Schande man ihm durch die Wahl seines Kerkers angetan, soll er in Tränen ausgebrochen sein. Zur dauernden Unehre der Lebewelt jener Zeit muß gesagt werden, daß sie anfangs die Nachricht mit ausgelassener Schadenfreude aufnahm. Die boshaftesten Karikaturen wechselten mit abscheulichen Spottliedern. Den einzigen, traurigen Spaß, den ich in Rivarols vielberufener Parodie der Erzählung Theramens entdecken konnte, hat ihm ein Zeichner vorweggenommen; er verkündete, daß Beaumarchais zum Willkomm von einem Lazaristen ein Schilling aufgemessen worden. Derselbe Karikaturist traf in einem zweiten bösgemeinten, bald demütig abgebetenen Blatt ahnungslos das Richtige: er zeigte, wie Beaumarchais vor Almaviva von – Basilio gezüchtigt wurde.

Nach diesen ersten Hohn- und Freudenausbrüchen fragte man nach den Ursachen der selbst unter diesem Regiment ungewöhnlichen Maßregel. Der eine schob sie auf die Verspottung des Hirtenbriefes, ein anderer auf Beaumarchais' Absicht, seine Vorrede drucken zu lassen. Endlich hörte man das eigentliche Motiv, die publizistische Beleidigung des Grafen von Provence, zu der Beaumarchais übrigens bewußt und tückisch herausgefordert worden war. »Er liefert sich selbst ans Messer,« meinte der Zensor Guidi, als er den verhängnisvollen Brief in die Druckerei gab: »man muß ihn gewähren lassen.« Der einzige, der sich während der Katastrophe männlich und gefaßt benahm, war Beaumarchais selbst. Er empfing in St. Lazare Gudin, seinen Arzt und seinen Kassier. Mittlerweile kamen die Einsichtigeren zur Besinnung. Der unvermeidliche Rückschlag trat ein, alle Welt schrie Tyrannei! Jeder Eine sah sich gefährdet, derselben Willkür preisgegeben. Selbst bei Hofe regte sich Nachbedacht, man wollte Beaumarchais aus der Haft entlassen. Der aber weigerte sich auf das entschiedenste, St. Lazare zu verlassen, bevor man ihm die Gründe seiner Verhaftung mitgeteilt. Erst dem eindringlichen Versprechen des Polizeileutnants, es werde ihm volle Genugtuung widerfahren, gelang es, ihn nach sechstägigem Aufenthalt in St. Lazare zur Rückkehr in sein Haus zu vermögen. Seine Lebensgefährtin und seine Tochter Eugenie empfingen ihn in tiefster Bewegung, sie fielen ihm zu Füßen. Hundert Karossen fuhren am nächsten Tage bei ihm vor. Er aber schenkte den Armen eine große Summe und erklärte, niemanden zu empfangen, bevor nicht die Schmach von ihm genommen. Er verzichtete auf seine Hofstelle im Jagdgericht, denn er sei durch die ihm angetane Unbill gestrichen aus der Reihe der Lebendigen; ja, er verdammte sich selbst zu dauerndem Hausarrest. Erst nachdem der König seine Rechtfertigung gelesen und darüber entschieden, wolle er sich wieder unter die Augen der Menschen wagen. Der Eingang dieser an Ludwig XVI. gerichteten Denkschrift zählt mit zu dem Markigsten und Mutigsten, was je aus seiner Feder geflossen. Fournier 764. Beaumarchais' Verdienst ist es, wenn sehr wichtige Archivalien, die als Makulatur feilgeboten wurden, der Forschung erhalten blieben.

Angenommen, daß in Frankreich ein Mensch so völlig verrückt sein könnte, den König in einem zensurierten, öffentlich abgedruckten Brief zu beschimpfen, möge man doch bedenken, in welchem Zeitpunkt dies geschehen. Just in dem Augenblick, in dem Ludwig XVI. mit seinen Ministern über Beaumarchais' Millionenforderungen in der amerikanischen Sache schlüssig werden sollte; in dem Augenblick, in dem ihm Vergennes 200.000 Franken für den Ankauf wichtiger Urkundensammlungen ersetzen sollte; just in dem Augenblick, in welchem er mit der Bitte um endgültige Regelung des Autorenrechtes sich an Breteuil herangewagt. Nur seine Feinde hätten diese Nichtswürdigkeit ausgeheckt und die Voreingenommenheit des Königs (der einzige Fehler edler Seelen, nach d'Aguesseau) mißbraucht. Er unterwerfe sich allen Formen des peinlichen Rechtes; nur heische er Gerechtigkeit, sonst sei er zeitlebens aus der Reihe der Bürger verstoßen. Ein Willkürakt könne weder seine noch irgend eines Menschen Ehre besudeln; in Frankreich aber sei auch das gesellschaftliche Herkommen von höchster Bedeutung und – nun kommt die häßliche Wendung – sein Vermögen, wie das von fünfzig mit ihm befreundeten und verbundenen Kaufleuten heische gebieterisch, daß die Wolke verschwinde, die vor der Nation, vor Europa und Amerika seine Person und seinen Kredit verdunkle.

Ludwig XVI. versteht den Wink. Mit königlicher Freigebigkeit werden Beaumarchais' Geldforderungen bewilligt; mit Genehmigung Vergennes' erkennt man Rodrigue Hortalez als Ersatz für seine Ansprüche vor, aus und nach dem Tag von La Grenade 2 150 000 Franken zu. Es war allerdings nicht schwer, so freigebig mit Steuergeldern zu sein, die man niemandem zu verrechnen hatte. Neben dieser vollwichtigen Genugtuung ließ sich der gutmütige Monarch auch zu einer Scheinbuße herbei; er wies Beaumarchais 1200 Franken Pension aus seiner Privatschatulle an. Zu guter Letzt erhielt der Poet endlich auch die Erlaubnis, die Vorrede zum »Tollen Tag« zu veröffentlichen. Die zuverlässigsten Aufschlüsse über Beaumarchais' Einnahmen aus dem amerikanischen Handel fand ich Arch. nat. G. 755. Der Staatsschatz zahlte ihm für seine Schadenersatz-Ansprüche (unter Calonnes Gönnerschaft) am 18. April 1783: 150 000, 21. April 1783: 150 000, 20. Mai 1783: 170 000, 21. Juni 1783: 435 400, 21. Januar 1784: 70 627. 3.9, 7. Februar 1784: 500 000 = 1 476 027.3.9. Die Expedition mit dem Fier Rodrigue wurde ausschließlich auf Rechnung des Königs gesetzt (Bericht der Kommissäre vom 21. Februar 1785). Außerdem stellte Beaumarchais noch Regreßansprüche an die Amerikaner. Arch. des aff. étrang. Angleterre 553. 1785 (April bis August).

Um die Theatereinnahmen nicht zu schmälern, hatte Beaumarchais gezögert, seine Komödie drucken zu lassen, im übrigen aber den Erfolg dieser Buchausgabe und ihrer Neuigkeit, der Vorrede, so sorgsam vorbereitet, wie den der ersten Aufführung. Seine Feinde und Neider hatten denn auch nicht wenig gebangt, ihre akademischen, gesellschaftlichen und versteckten Angriffe heimgezahlt zu bekommen. Die Besorgnis hatte ihren guten Grund; erregte doch die Vorrede der Komödie ebensoviel Aufmerksamkeit, als das Werk selbst. Beaumarchais warf sich mit seiner echt rhetorischen Art und Kunst zum Anwalt seiner eigenen Person und jeder einzelnen Gestalt seiner Komödie, zum Lobredner der Darsteller und all seiner früheren Stücke, zum Propheten seiner beiden folgenden Werke »Tarare« und »Die schuldige Mutter«, nebenher aber auch zum Ankläger all seiner Gegner vom König bis zum letzten Blättler auf. Selbstverständlich fehlt auch in dieser Advokatenarbeit das sentimentale, nicht sonderlich gelungene Zwischenspiel nicht: er nimmt Marcellinens Schicksal zum Anlaß, des traurigen Loses alternder Mädchen und des unwürdigen Wettbewerbes zu gedenken, den stickende Männer etc. der Frauenarbeit machen. Mehr als einmal kommt aber auch der gesunde Menschenverstand zu Wort, so wenn er das gute Dichterrecht wahrt, seine Modelle, unbekümmert um Ziererei und Gleisnerei, frischweg aus der Wirklichkeit zu holen.

Niemals, so wiederholt er nachdrücklich, habe die Zügellosigkeit der Sitten sich mit solcher Empfindlichkeit der Theatergänger gepaart. Molière hätte einem solchen Publikum gegenüber seine Marquis und Blaustrümpfe, seine Ärzte und adelssüchtigen Spießbürger so wenig durchsetzen können, wie seinen Tartüffe. Racine würde mit seinen Plaideurs den Unwillen aller Sachwalter erregt, Lesage mit dem Turcaret alle Pächter und Unterpächter der Salz-, Getränke-, Getreidesteuer etc. sich auf den Hals geschafft haben. Deshalb habe er sich gesagt, daß ein Mann von mutiger Entschlossenheit dem Verfall der Komödie entgegentreten müsse. Tiefe Moral könne nur durch starke Situationen gelehrt werden. In der Tragödie, wie in Phädra und Makbeth, stoße sich auch niemand an Blutschande, Königsmord etc. Molière wagte im Tartüffe die bedenklichsten Szenen. Die Komödie dürfte also keineswegs auf tugendhafte Charaktere beschränkt bleiben. Weil der Löwe wild, der Wolf raubgierig, der Fuchs verschlagen ist, wäre die Fabel ohne Moral? Und was ist jede Fabel anders, als eine leichtere Form des Lustspiels, wie jedes Lustspiel nur eine ausgeführte Fabel ist – eine schillernde Halbwahrheit, die nur der Schlußpointe zulieb gesetzt ist, der ganze Unterschied bestehe darin, daß in der Fabel die Tiere Verstand haben, während in unseren Komödien die Menschen oft wilder als bösartige Bestien seien. Laster und Mißbräuche unverhüllt darzustellen, sei die Aufgabe desjenigen, der sich der Schaubühne zuwende, er moralisiere lachend oder weine moralisierend, er sei Heraklit oder Demokrit, er habe kein anderes Gesetz zu befolgen Mehr als ein Menschenalter zuvor durfte La Chaussée im Préjugé à la mode die Narrheit der vornehmen Welt zum Vorwurf wählen, daß hochgeborne Gatten dem guten Ton zulieb keinerlei Sympathien für einander hegen und äußern sollen. Wie es die großen Herren jener Zeit mit dem Eheband hielten, ist allbekannt; als Lauzun in Amerika seine galanten Künste an ein junges, schönes Mädchen verschwendete, fragte ihn diese Jungfrau germanischer Abstammung: » Vos discours me surprennent, monsieur le duc, car on me dit, que vous êtes marié en France …« Die Antwort lautete: » Marié, oui, mais si peu, si peu que ce n'est pas la peine d'en parler. Demandez plutôt à La Fayette«. Lauzun, Bibl. des mém. XXV, 3. Siehe auch Oeuvres VII, 249 ff. (Gudin, Des Drames et de leurs critiques.). Weshalb seien nun ihm, der nichts anderes getan, auf der Kanzel und bei Hofe, unter den Großen, wie unter ihren gedungenen Soldschreibern, vor und nach der Aufführung soviele Feinde erstanden? Einzig und allein deshalb, weil der Verfasser, statt es an einem einzelnen, lasterhaften Charakter genug sein zu lassen, wie Regnard im Spieler, Destouches im Ehrsüchtigen, Molière im Geizigen und dem Tartüffe, seinen Plan so angelegt hat, daß er eine ganze Reihe tiefgewurzelter Mißbräuche, durch welche die Gesellschaft geplagt und zerstört werde, tadeln und angreifen wollte. Was aber durfte er auf der Bühne einem großen Herrn vorwerfen, ohne alle zu beleidigen? Doch wohl nur ihre übertriebene Galanterie, denn dies gerade sei der Fehler, zu dem sie selbst sich am liebsten, fast geschmeichelt, bekennen. »Und auch der Fehler, den ich dem Grafen andichtete, würde kein Lachen erregt haben, wenn ich Almaviva nicht den muntersten Charakter seiner Nation, Figaro, entgegengestellt hätte, der, während er sein Anrecht auf Susanne verteidigt, zugleich über die Entwürfe seines Herrn spottet und es in komischer Entrüstung dem Grafen übelnimmt, daß er es im Überlisten mit ihm, einem ausgelernten Meister in dieser Kunst, aufnehmen will …« Die vortreffliche knappe Studie Loménies (II, 349ff.) über Figaro als le roi et le dernier des valets de comédie wurde von Marc Monnier in einem ganzen Bande: Les aïeux de Figaro (Paris, Hachette, 1868) breiter, doch gewiß nicht besser ausgeführt. – Qu'est-ce qui amuse le peuple en France? Les fabliaux, les malins tours de Renart, l'art de duper le seigneur Ysengrimm etc. Le Héros populaire est déjà le plébéien rusé gouailleur et gai, qui s'achevera plus tard dans Panurge et Figaro. Taine, Hist, de la litt. anglaise. Vgl. auch Lenient, La satire en France, 137. 143 ff. Paris, 1859.

Hier lag allerdings die große Neuerung. Bis dahin war der echte Kavalier, wie im Leben, so auch auf der Bühne Respektsperson, den seine Adelsvorrechte davor schützten, gleich der canaille verspottet und zum besten gehalten zu werden. In guten Abhandlungen und dicken Büchern ist der Umschwung, den Beaumarchais' Werk in diesem altüberkommenen Verhältnis herbeigeführt, gepriesen worden. Wie er im Barbier einen komischen Alten von nicht gemeiner Verschmitztheit an Stelle des herkömmlichen schwachköpfigen Geronte setzte, beschied er Figaro als Widerpart einen ritterlichen, mit allen Gaben des Glückes ausgestatteten Almaviva, der oft beschämt und niemals erniedrigt, mit edlem Anstand, so gewinnend als möglich vergegenwärtigt wird. Je glänzender sein Wesen, je imposanter seine Machtfülle, desto glorreicher erscheint der Sieg Figaros und seines Mutterwitzes. Niemand wird alle Zwischenfälle dieses von zwei so ungleichen Gegnern geführten Kampfes, der zu guter Letzt zum Triumph des Wehrlosen ausschlägt, beredter und wohlgefälliger schildern, als Beaumarchais dies getan. Und gewiß: Almaviva und Figaro gehören fortan der Weltliteratur, sie stehen nebeneinander wie ihre engeren Landsleute Don Quijote und Sancho Pansa, Don Juan und Leporello. Es verringert auch Beaumarchais' Verdienst nicht, daß er, bewußt oder unbewußt, mit diesem Vorwurf ein gallisches Lieblingsmotiv verjüngte, den schon im Tierepos wunderbar behandelten Vorwurf des siegreichen Kampfes von List und Witz wider die brutale Gewalt. Im Vollgefühl dieser dauernden, künstlerischen Bedeutung seines Werkes erklärt Beaumarchais denn auch in seiner Vorrede: »Ich schreibe diese Blätter nicht für meine gegenwärtigen Leser. Erst nach achtzig Jahren werden die Schriftsteller jener Zeit ihr Schicksal mit dem unsrigen vergleichen und unsere Nachkommen aus meiner Darstellung sehen, um welchen Preis man ihren Vorfahren die Zeit vertreiben durfte.« Victor Hugo: Vorrede zum Cromwell. Säkularrede auf Voltaire. Dumas fils (Antrittsrede in der Acad. fr. Entreactes III, 314. Paris, Lévy, 1879). Taine im ersten Band der Origines de la France contemporaine. Börne, Briefe aus Paris CI. Paul de St Victor, Les deux masques III, 643 ff. Cherbuliez Rev. d. d. m. 1886. Lescure Éloge 1887. Francisque Sarcey, Quarante ans de théâtre. II. Paris, 1900. Jules Lemaitre, Impressions de théâtre. Paris, 1889, 3e série. 127. Ferdinand Brunetière, Les époques du théâtre français. Paris, 1892. S. 297–318. Lintilhac, La comédie. 18e siècle. S. 413 ff. – Deutsche Bearbeitungen haben zuletzt Ludwig Fulda und Joseph Kainz gegeben. – 1910 veröffentlichte Dr.  Angelo Seligmann im Programm des Troppauer Staatsgymnasiums eine Abhandlung »Figaros Hochzeit von Beaumarchais und die deutsche Literatur« (mit einleitendem Quellenverzeichnis. – In Nr. 3506 der Pariser Illustration vom 7. Mai 1910 veröffentlichte Bernard Shaw eine Verherrlichung Brieux', in der er Beaumarchais' Komödie maß- und grundlos herabsetzt. Die französischen Kritiker hätten Beaumarchais entweder nicht gelesen oder sie wüßten nicht, wie wenig bei ihm zu lesen sei. Die zweite Variation seines Hauptthemas – offenbar Herr und Diener, Figaros Hochzeit – n'est qu'une simple demande en faillite artistique et intellectuelle. – Welchen Eintrag Mozart und Rossini den Urtexten Beaumarchais' tun, bezeugt der berühmte Doyen der Comédie Française Edmond Got in seinem Journal (Paris, 1910, Bd. II, 158). Beim Londoner Gesamtgastspiel des Théâtre Français brachte der »Barbier von Sevilla« eine Einnahme von 2880 Franken: »ich hatte mehr verhofft; bei genauerer Überlegung begreife ich, daß, besonders bei einem ausländischen Publikum, die Oper Rossinis der Komödie Beaumarchais' ungeheuren Schaden ( un tort immense) zugefügt haben muß. Man scheint (im Schauspiel) immer die Verleumdungsarie (Basilios) zu erwarten. – Die jüngste Verdeutschung des Da Ponteschen Textes rührt von Max Kalbeck her (Bearbeitung des Wiener Hofoperntheaters unter Gustav Mahler, mit einem »Anhang«, der auch diejenigen Stellen des neuen Textes enthält, welche von der Bearbeitung der Wiener Hofoper ausgeschlossen wurden. Wien, Wallishauser o. J. [1905]).

Die achtzig Jahre der Prüfung sind längst um. Während aber Viktor Hugo, Taine, Dumas fils wetteifern, Beaumarchais als genialen Schöpfer einer neuen Komödie, der sozialen, zu verherrlichen, merken Schauspieler und Publikum zu ihrem eigenen Erstaunen, daß der »Tolle Tag« auf der Bühne lang, ab und zu sogar langweilig erscheint. Börne schob in den Dreißigerjahren die Schuld dieser Tatsache der schlechten Darstellung zu. Paul de Saint-Victor, sonst ein begeisterter Verehrer dieses dramatischen Bacchanals, findet Figaro selbst »nahezu unausstehlich an seinem Hochzeitstag«. Michelet begegnet dem Werk mit leidenschaftlicher Abneigung » Souvent il m'avait dit que les deux derniers actes étaient inférieurs aux trois premiers«. Gudin, Des drames etc. Oeuv. VII, 253. Sarcey, der nicht blind ist für die Schwächen des Dramatikers Beaumarchais, behauptet desto nachdrücklicher den Einfluß des Schlußaktes, der Pavillonszene der Folle journée, auf die Technik von Scribe und Sardou.. Sarcey berichtete als Augenzeuge, daß der »Tolle Tag« im Oktober 1871, kurz nach dem Kommuneaufstand, in der Comédie Française versagte: »Es ist das Unglück politischer Gelegenheitsstücke, unter dem Wandel von Flut und Ebbe der öffentlichen Meinung zu leiden. Ein Umschwung im Staatsleben läßt eine Komödie dieses Schlages, die gestern bis zu den Sternen emporgetragen wurde, tags darauf für ein halbes Jahrhundert überwunden, überholt, unzeitgemäß erscheinen.« Sarcey sah diese Zeiten für Figaro voraus und völlig Unbefangene verspüren bisweilen nach einer Aufführung des »Tollen Tages« leichten Katzenjammer nach dieser débauche de l'esprit. Kein Zweifel, daß in der Theaterwirkung Mozarts Oper das Lustspiel überflügelt, außerhalb Frankreichs fast ganz verdrängt hat. Die technischen Mängel der Komödie, zumal die Schwächen der beiden letzten Akte, die niemandem besser bekannt waren als Beaumarchais, treten im Schauspielhaus mit grausamer Deutlichkeit hervor. Auch verehren wir in Figaro längst keinen Revolutionär mehr. Der Räsoneur, der uns am Lesetisch noch immer unterhält, ermüdet mehr und mehr auf der Szene. Beaumarchais, der Modernste der Modernen seiner Zeit, wird heutzutage, als Theaterdichter des »Tollen Tages«, mehr aus historischen Gründen, als der lebendigen Bühnenwirkung zu Gefallen gespielt. Mag solche Pietät aber auch für Frankreich volle Geltung haben, in Deutschland wird trotz aller besser gemeinten als geratenen Bearbeitungen La folle journée nach den bisherigen Versuchen und Erfahrungen länger Leser als Zuschauer finden.

Und an ungezählten dankbaren Lesern wird es dem Stück als unvergänglichem Denkmal der französischen Nationalliteratur nie fehlen, das unter den Werken des Jahrhunderts nur mit Montesquieus Lettres persanes, Voltaires Candide, Diderots Neveu de Rameau verglichen werden kann. Rächend und strafend hielten diese Meister der todesreifen Gesellschaft jener Zeit den Spiegel vor. Auf die Dauer aber läßt es sich ein ganzes, großes Volk nicht genug sein an Spott und Hohn. Ein paar Jahre lang jauchzte alles den geistreichen Sticheleien Figaros zu, wie wohl auch Shakespearesche Heerlager den Scheltreden der Vorposten zuhorchten, ehe der Kampf anhebt. Allein im Gedränge der Schlacht vergißt man alsbald aller überflüssigen, wenn auch noch so geistsprühenden Witzworte. Man fordert Taten. Was Turgot, Malesherbes, Mirabeau mit übermenschlicher Anstrengung, was Robespierre durch einen blutigen Aderlaß bewirken wollte, ging erst durch Napoleon teilweise in Erfüllung. Auch hier verhalfen nur Blut und Eisen, nicht Satiren und Possenspiele dem Losungswort des Jahrhunderts zum Durchbruch – la carrière ouverte aux talents.

17. »Tarare« und der Prozeß Kornmann

Carlyle, Die französische Revolution, I, 80 (Leipzig 1844). – S. Grimms Corr. litt. vom Sept. 1785; ferner Adolphe Jullien » La comédie à la cour«. Paris, Didot, 300–311. Cent. 221.

J'ai besoin de me reposer; non dans l'inaction,
je ne le puis; mais dans le changement
d'occupation; c'est ma vie.

Beaumarchais: Mémoire en réponse au
libelle diffamatoire signé
Guillaume Kornmann.

Eroberer eines goldenen Vließes durch Riesenschmuggelei, Bezähmer von Höllenhunden im Parlament Maupeou und endlich gekrönter Orpheus im Théâtre Français hat Beaumarchais jetzt seinen Gipfel erreicht und vereint die Attribute mehrerer Halbgötter.« Ludwig XVI. muß den Tag von Saint-Lazare teuer bezahlen und dem Schwergetroffenen volle Genugtuung gewähren; zunächst durch ein ausgiebiges Schmerzensgeld, bald nachher aber durch eine feierliche Ladung nach Trianon zu einem Hofschauspiel, bei dem der Handwerkerssohn als der eigentliche Festgeber erscheint, denn auf der Liebhaberbühne des fürstlichen Schlosses wird der »Barbier von Sevilla«, in Musik gesetzt von Paësiello, aufgeführt und das mit Marie Antoinette als Rosine, dem Grafen von Artois, nachmals Karl X., als Figaro, Herrn von Vaudreuil, dem vielberufenen Günstling der Königin, als Almaviva. Der Autor, den die hohen Herrschaften in den Zwischenakten und nach Schluß der Vorstellung wiederholt ins Gespräch zogen, darf diese Auszeichnung um so mehr als Sühne des übereilten königlichen Zorngerichtes hinnehmen, als gerade vier Tage vorher, am 15. August 1785, der Großalmosenier von Frankreich, ein Kirchenfürst vom Rang und Geschlechte Louis de Rohans, durch ein Machtwort des Herrschers seiner Freiheit beraubt worden war. Niemand war dazumal so mächtig, niemand so gering in Frankreich, um vor der Willkür und dem Mißbrauch der königlichen Allgewalt gefeit zu sein. So entscheidend aber noch immer Gnade und Ungnade des Fürsten in die Geschicke der Untertanen eingriffen, die öffentliche Meinung erwies sich von Tag zu Tag unabhängiger und unbotmäßiger. Die Pariser Frondeurs hielten es von vornherein mit den Gegnern des Hofes, und die Huld der königlichen Familie, zu oft an Unwürdige verschwendet, galt längst nicht mehr als Empfehlung, nicht einmal beim gemeinen Volke. Das sollte alsbald auch Beaumarchais erfahren, trotzdem oder vielleicht gar weil er aus schweren geschäftlichen Krisen, die ihn wiederholt dem Bankbruch nahe gebracht, nun endlich als vielfacher Millionär hervorgegangen war.

Er hatte seinen Jugendtraum verwirklicht, durch Kraft und Kühnheit fast dieselbe gebietende Stellung in der Finanzwelt errungen, wie ehedem sein Meister Paris Duverney; geniale Erfinder und phantastische Projektenmacher, die Gewaltigen der Börse und die Spekulanten des Palais Royal, der Herzog von Chartres und der Kardinal Rohan nahmen seinen Rat und sein Vermögen in Anspruch. Nur hatte er leider nicht auch die Vorsicht und den Takt seines Vorbildes sich zu eigen gemacht. Während Duverney mit dem Bewußtsein seiner Machtfülle sich beschied und am liebsten in ländlicher Abgeschiedenheit die von Beaumarchais besungenen Délices de Plaisance genoß, wurde unser Held von seinem prahlerischen Naturell mißleitet; es drängte den plebejischen Emporkömmling, mit seinen Schätzen Staat zu machen. In Paris selbst, gegenüber der Bastille, gegenüber auch zugleich dem Viertel der Armen und Elenden, Faubourg St. Antoine, baute er ein Feenschloß, dessen übertriebene Pracht die Aufmerksamkeit und den Neid unberufener, den Unwillen ehrlicher Sittenrichter weckte. Die abenteuerlichsten Gerüchte über alte und neue Machenschaften Beaumarchais' wurden Tag um Tag ausgestreut, von der Bosheit verbreitet, von den Massen immer williger geglaubt. Vergebens suchte er durch Beweise geräuschvoller Wohltätigkeit die Antipathien der kleinen Leute zu besänftigen, vergebens unter den Großen dem Märchen Eingang zu verschaffen, daß er mit seiner bis dahin beispiellosen »Monumental«-Ausgabe Voltaires beispiellose Einnahmen erzielt habe, er täuschte die einen so wenig wie die anderen. Maßvolle, vornehme Naturen, wie Malesherbes, fertigten ihn als talentvollen Charlatan ab; kampflustige schadenfrohe Widersacher aber stellten den Beichtspiegel seiner Vergangenheit auf und bald gab es keinen noch so versteckten, dunklen Winkel seines Privatlebens, den pathetische Ankläger, geistsprühende Pasquillanten und der Troß der »Blättler und Mächler«, um mit Goethe zu reden, nicht grell beleuchtet hätten. In den Jahren von 1784–89 erschienen gegen Beaumarchais fast ebensoviele satirische Schriften und Verse, wie gegen die bestgehaßten Minister und fürstlichen Persönlichkeiten. Rivarol, Champcenetz und Lauraguais, mit die witzigsten Plauderkünstler jener Zeit, verfolgten ihn mit seinen eigenen Waffen. Ein Epigramm überbot das andere; Hohnreden in immer neuen, vielgestaltigen Formen, Broschüren, gerichtliche Mémoires, all das an seinem Geist, nach seinem Muster herangebildet, begleiteten ihn fortan bei jeder neuen künstlerischen oder geschäftlichen Unternehmung. Das Schlimmste aber war, daß Beaumarchais älter und bequemer wurde, daß seine polemische Schlagkraft der Jugendfrische, seine schöpferische Begabung des alten Humors ermangelte. Ratlos stand er dem jüngeren Geschlecht gegenüber, das ihn, den Überlebendigen, Jahre und Jahre vor Ausbruch der Revolution zu den Toten warf. Beaumarchais, in Wesen und Behaben ein echter Sohn der Regentschaft, verstand die neue Zeit, die neuen Männer nicht mehr, die ihm zum erstenmal gleich in der Gestalt ihres gewaltigsten Wortführers, Mirabeau, entgegentraten. Vgl. Raunié im Vorwort zum » Chansonnier historique« (I, XXIX ff.). – Vgl. Plaidoyer de Mr. Brunet pour les héritiers Beaumarchais contre les héritiers Saint-James. Paris, 1836, 22 pp. – Sur les actions de la Compagnie des Eaux de Paris, 2. éd., Londres, 1786, par le comte de Mirabeau.

Der Federkrieg, in dem die beiden so hart aneinander gerieten, betraf unlautere Börsenmanöver. Die Brüder Perrier hatten 1777 das Privilegium erhalten, mit den von ihnen zuerst in Frankreich eingeführten Dampfpumpen das Seinewasser auf das hochgelegene Reservoir von Chaillot emporheben, filtrieren und von dort aus nach allen Pariser Vierteln gelangen zu lassen. Da es den erfinderischen Unternehmern aber an den erforderlichen Geldmitteln fehlte, waren sie gezwungen, Aktionäre zu werben, unter welchen sich alsbald auch Beaumarchais einstellte. Große Vorschüsse, welche der königliche Schatz der gemeinnützigen Compagnie des Eaux de Paris leistete, und allerlei Finanzkünste, unter anderem das geschickt ausgeheckte Vorhaben, eine Brandschaden-Versicherungs-Gesellschaft mit dem ersten Unternehmen zu verknüpfen, hatten die ursprünglich mit 1200 Franken ausgegebenen Aktien Mitte der Achtzigerjahre auf 3600 Franken steigen lassen. Mirabeau, der in jener Zeit als Parteigänger der Bankhäuser von Clavière etc. wiederholt gegen die Agiotage eiferte, war auch diesmal mit einer Streitschrift zur Stelle, in der er mit all seiner Beredsamkeit gegen die Monopolisten der Wasserleitung und ihr ungemessenes Haussespiel auftrat. Für die Angegriffenen erwiderte Beaumarchais in einem Sendschreiben, das in sachlicher Beziehung dem Gründerstil jener Tage nicht zur Unehre gereicht. Er setzte klar und überzeugend auseinander, daß das neue Unternehmen wirtschaftlich eine ungemessene Entwicklung vor sich habe, denn an Wasser und Kohle werde es der Compagnie des Eaux nie fehlen; mit der wachsenden Güte und Wohlfeilheit ihrer Leistungen werde aber auch der Kreis ihrer Kunden und damit die Höhe ihrer Einnahmen, der Wert ihrer Aktien wachsen. Wenn den Baissespielern der Kurs von 3600 Franken für eine Aktie als zu hoch erschien, fiel es einer Phantasieberechnung Beaumarchais' nicht schwer, ziffermäßig die Behauptung zu vertreten, daß bei entsprechendem Fortgang des Wasserverbrauches in der Hauptstadt ein weiteres Steigen der Kurse bis auf 13 908 Livres denkbar sei. Je mehr und je besseres Wasser man zur Verfügung habe, desto mehr würden die Reichen Luxus damit treiben, wie zurzeit schon mit prächtigen Wohnungen, Wagen etc; die Bäcker würden fortan auf Brunnen- und unfiltriertes Flußwasser verzichten, Bäder und Waschungen immer mehr in Schwung kommen und dergleichen mehr. Dies zugegeben, müßten aber die Zweifler zuschanden werden, wie ihresgleichen ja schon bei anderer Gelegenheit durch die Erfahrung beschämt wurden. Als z. B. ein Jahrhundert vorher eine Spiegelfabrik gegründet wurde, ahnte niemand, daß die paar »armen Narren«, welche je einen Anteilschein mit 3000 Franken bezahlten, ihren Erben damit 500 000 Livres hinterlassen würden – so hoch stieg mittlerweile durch den ungeahnten Bedarf an Spiegeln der Wert der einzelnen Aktie. Ebenso sei es den Pächtern des Schnupftabaksmonopols nicht in den Sinn gekommen, daß ein Privilegium, das sie mit einer halben Million bezahlten, im Laufe der Zeit jährlich 28 Millionen einbringen würde. Was aber bei so leicht entbehrlichen Gegenständen wie Spiegeln und Schnupftabak sich zugetragen, das würde doppelt und dreifach bei einem so unerläßlichen Alltags- und Lebensbedürfnis sich wiederholen. So weit, wie in der treffenden Bemerkung, daß alle Neuerungen mit Ausnahme der Moden nur langsam in Frankreich zum Durchbruch kämen, und einer Reihe von anderen gescheiten Erörterungen über die Notwendigkeit und Heilsamkeit ausgiebiger Wasserversorgung großer Städte, mag man Beaumarchais ohne weiteres beistimmen. Der geschmacklose Spaß erscheint geradezu sträflich, wenn man, wie die meisten Leser jener Tage, weiß, daß derselbe Calembourg gelegentlich des skandalösen Ehescheidungsprozesses zwischen Mirabeaus Vater, dem Ami des hommes und dessen vielberufener Mutter im Umlauf war. Siehe auch Victor Hugo: Sur Mirabeau VI und Honoré de Balzac, Théorie de la démarche, Oeuvres complètes XX, 565: »Beide sind zwei gleicherweise befehdete Männer gewesen und moralisch und physisch stärkt die Verfolgung die Männer von Genie.«

Gründlich fehl griff er dagegen in der richtigen Würdigung und Schätzung seines Gegners. Er begann mit der Verdächtigung, daß Mirabeau nur ein Soldschreiber der Baissespekulanten sei, dessen Ausführungen ganz anders gelautet hätten, wenn er für die Compagnie des Eaux oder auch nur als glücklicher Besitzer von so und soviel ihrer Aktien das Wort genommen haben würde. Und neben diesen Anwürfen der Ehrlosigkeit fanden sich Wortspiele von zweifelhaftem Geschmack. Unter der Regentschaft, meint Beaumarchais, schrieb ein La Grange-Chancel die Philippiques, unter Ludwig XVI. gäbe der journalistische Anwalt der Baissespekulanten Kritiken zum besten, die man nach ihrem Urheber Mirabelles nennen dürfte. Der Scherz gefiel Beaumarchais so gut, daß er den Namen seines Gegners, qui mirabilia dixit, nochmals mißhandelte. Doppelt widerwärtig wirkte es nach dieser Polemik, wenn Mirabeau immer wieder als Mann von Mut, Talent und Beredsamkeit, zuletzt folgendermaßen angeredet wurde: »Unsere Achtung für seine Person hat wiederholt unserer wachsenden Entrüstung Einhalt geboten; wenn uns aber trotz der Mäßigung, die wir uns vorgesetzt, der eine oder der andere Ausdruck entschlüpft ist, den er mißbilligen sollte, so bitten wir ihn, uns denselben zu vergeben. Wir haben seine Ideen bekämpft, ohne seinen Stil deshalb weniger zu bewundern …«

Die Antwort, mit welcher Mirabeau die Sarkasmen, und mehr noch die Keulenschläge, mit welchen er die Lobsprüche Beaumarchais' abfertigte, offenbaren den vollen Ungestüm des Redegewaltigen: »Unaufhörlich kommt Herr von Beaumarchais darauf zurück, daß ich meine Denkschrift gegen die Perriersche Wasserleitung nur im Interesse der Baissespieler verfaßt habe. Erbärmliche Gaukler! wo ist denn das Buch, das nicht um bestimmter Zwecke willen geschrieben wurde? Die Liebe zur Wahrheit, zum Ruhme unterscheiden sich ja nur darin von der Liebe zum Gelde, daß sie seltener sind und in edleren Regungen wurzeln. Nun denn, ich weiß wohl und wiederhole es bei jedem Anlaß, wenige Menschen haben mehr Anlaß zur Verleumdung gegeben als ich; aber mein höchstes Ziel, als ich mich dem gefahrvollen Beruf eines Apostels der Wahrheit weihte, war, die langen Irrungen meiner Vergangenheit vergessen zu machen … Wo aber sind die Rechtstitel des Herrn von Beaumarchais, sich zu unserem Hofmeister aufzuwerfen, um uns Schweigen aufzuerlegen mit dem blöden Zauberwort: ›er spricht in seinem Interesse‹, ›er spricht zum Vorteil seiner Freunde‹? Und wie hat eine Gesellschaft, deren Verwaltung auf das öffentliche Vertrauen angewiesen ist, sich eines Schriftstellers bedienen können, dessen Namen und Auftreten die Wahrheit selbst in Mißkredit bringen würden? Was Sie anbelangt, mein Herr, der Sie mich durch die Verleumdung meiner Absichten und Beweggründe genötigt haben, Sie mit einer Härte zu behandeln, welche die Natur weder meinem Denken, noch meinem Fühlen zuteil werden ließ; Sie, den ich niemals herausgefordert; mit dem ein Zweikampf weder nützlich, noch ehrenvoll sein kann – machen Sie sich die bittere Lektion zunutze, die Sie mich gezwungen haben, Ihnen zu geben. Beherzigen Sie wohl, daß Unverschämtheit und Hofumtriebe nicht genügen, um denjenigen niederzuschmettern, der seine Kraft aus dem eigenen Innern schöpft; beherzigen Sie wohl, daß, wenn es Menschen gibt, deren Kränkungen man mit ihrer Eigenliebe leicht einschläfern kann und die für wenige Lobsprüche ihre Moral geduldig beschimpfen lassen, ich nicht zu diesen Menschen zähle. Die beißendste Kritik meiner Werke und Talente hätte mich kalt gelassen. Zwanzig Zeilen voll ekler Übertreibungen über meinen Stil und meine Beredsamkeit haben mir, je voller Sie mir Ihre Niedrigkeit offenbarten, desto größere Strenge Ihren tückischen Anwürfen gegenüber geboten. Nehmen Sie Ihre überwohlfeilen Lobsprüche zurück, denn ich kann sie Ihnen in keiner Beziehung heimgeben; nehmen Sie auch die kläglichen Entschuldigungen zurück, die Sie mir zuliebe vorbringen; nehmen Sie vor allem den insolenten Ausdruck der Achtung zurück, die Sie mir zu bezeugen wagen; nahen Sie mit Ihren Huldigungen Ihresgleichen, den Leuten, die keine andere Moral kennen als ihre Eitelkeit. Was mich anbelangt, der sich kein anderes Verdienst zuerkennt als das glühende Bestreben, der Gerechtigkeit und Vernunft zu dienen; der kein Talent ohne starke Überzeugung, keinen Adel ohne Rechtlichkeit, keine Tugend ohne tapferen Sinn für das Allgemeine gelten läßt; ich, der bis zum Grab seine Freunde und Feinde als Spiegel der eigenen Ehre betrachtet: ich kehre mich für immer von Ihnen, Ihren Beleidigungen und Beschimpfungen ab. Und ich beschließe diese ermüdende Polemik, deren Nachwirkung Sie noch lange verspüren werden, indem ich Ihnen selbst den wahrhaft heilsamen Rat angedeihen lasse: ›Trachten Sie fortan nur mehr, vergessen zu werden‹.«

Beaumarchais erwiderte, zur allgemeinen Verwunderung, öffentlich keine Silbe auf diese furchtbare Zornrede und sein Schweigen ermutigte eine Unzahl kleiner Leute, die nur auf das Beispiel eines Unerschrockenen gewartet hatten, um dem bis dahin für unverwundbar Gehaltenen ins Angesicht zu trotzen. Nach dem Tag von Saint-Lazare konnte man noch glauben, Beaumarchais wäre nur der Majestät des Königs gegenüber wort- und machtlos verstummt. Diesmal aber sah ganz Frankreich, daß er vor seinesgleichen, vor einem Mann der Feder von kaum minder bewegtem Vorleben duckte: ein Fuchs, der offenem Kampf mit dem Löwen gewitzigt aus dem Wege geht. Das war der Eindruck der Massen und man fragte wenig darnach, daß Beaumarchais seinen Getreuen unter vier Augen erzählte, seine Händel mit Mirabeau hätten keinen andern Grund, als daß er kurze Zeit vorher dem immer geldbedürftigen Grafen ein Darlehen mit der bequemen Wendung versagt habe: »Wollte ich Ihrem Wunsche willfahren, so würden wir uns am Verfalltage entzweien; was verschlägt es, wenn wir uns gleich heute hart reden? ich erspare dabei runde 12 000 Franken.« Mag der Vorfall auch wahr sein, Beaumarchais verkannte trotzdem Wesen und Bedeutung seines Gegners gründlich, wenn er dessen Angriffe in Wahrheit aus so niedrigen Motiven herleitete. Mirabeau, der ihm die Freundschaft mit dem Revolverjournalisten Morande als »Schmach« vorrückte, war der letzte, der durch Schweiggelder zu gewinnen oder durch Verweigerung von Vorschüssen zu Erpresserkniffen zu bestimmen war. Seine Haltung dem sinkenden Königtum gegenüber ist der beste Beweis dafür, daß er wohl ohne weiteres Geldunterstützungen annahm, niemals aber sich bezahlen oder kaufen ließ, um gegen seine Überzeugung zu sprechen oder gar zu handeln. Hier gähnt die unüberbrückbare Kluft zwischen zwei Weltanschauungen: Mirabeau, gewiß kein Mustermensch, aber auch niemals ein Tugendheuchler, dient vor allem seinem Volk und seinen Ideen; Beaumarchais dagegen, der immer seine Opferwilligkeit für das Gemeinwohl im Munde führt, denkt zunächst nur an sich und seinen Privatvorteil. Kein rechter Mann hätte ohne vollwichtige Genugtuung nach dem Geschehenen mit Mirabeau verkehren können, Beaumarchais kam ihm, wie im ersten Kapitel erzählt wurde, vier Jahre nachher auf halbem Wege entgegen. » Des colères éternelles« wären schlecht angebracht gewesen gegenüber dem Führer der Nationalversammlung, dessen Macht und Fürwort unter Umständen Millionen eintragen konnte und dessen Prophetengabe niemand überzeugender erprobt hatte als Beaumarchais. Denn Silbe für Silbe war eingetroffen, was Mirabeau vorausgesagt, der Autor des »Figaro« erholte sich nicht mehr von den Wunden, die er im Kampfe um die Eaux de Paris davongetragen. Und nur in dem Maße, als er, dem Rate seines Widersachers folgend, sich aus der Öffentlichkeit zurückzog, ward ihm nicht Ruhe und Vergessenheit – die wurden ihm zeitlebens nicht zuteil – wohl aber kurzer Waffenstillstand beschieden. S. Morning Herald, 5. Juni 1786, Nr. 1750. Die Trauung fand am 8. März 1786 statt. S. auch Fournier XLII. Jal s. v. Beaum.

Fürs erste freilich trug er kein Verlangen nach Stille und Frieden; er verstand es im Gegenteile, die Heimlichkeiten seines Familienlebens auf den offenen Markt zu tragen. Im Sommer 1786 ließ er in Pariser und Londoner Blättern ein Schreiben umlaufen, das er am Vorabend einer Reise nach Kehl an die Frau seiner Wahl gerichtet, die er jetzt erst heiratete, um seine geliebte Tochter Eugenie zu legitimieren. Vordem, so meinte der Briefsteller, habe er sie nur als Mutter seines Kindes betrachtet; von nun an müsse sie mit Ehren sein Haus vertreten; dabei möge sie jedoch ihre alte, bescheidene, anspruchslose Art bewahren, die er als seine einzige Belohnung anspreche, »damit unsere Feinde nicht den gerechtesten, am besten bedachten Akt meines Lebens tadeln können. Besuche meine Schwestern, bitte sie um ihre wahre, aufrichtige Freundschaft; ich habe ein Recht, diese Rücksicht von ihnen anzusprechen. Meine Wohltaten in diesem meinem engsten Kreise werden stets im Verhältnis zu aller Dir bezeugten Aufmerksamkeit stehen. Führe unsere Tochter zum Pfarrer von Saint Paul, der sich so feinfühlig gegen Dich benahm, als er unsere Hände ineinander legte. Bleibe immer dieselbe, die Du heute bist. Ehre den Namen, den Du trägst, es ist der eines Mannes, der Dich liebt und sich mit Freuden zeichnet als Dein Gatte Caron de Beaumarchais.«

Es konnte nicht ausbleiben, daß ein so bedenkliches Schriftstück Spötter und Sittenrichter durch Wochen und Wochen beschäftigte. Die Witzworte über »Figaro als Hochzeitsprediger« waren denn auch noch im Umlauf, als die ersten Meldungen von der nahe bevorstehenden Aufführung der Oper »Tarare«, Text von Beaumarchais, Musik von Salieri, Neugierige und Müßiggänger überraschte. Wohl wußte man schon seit Jahren, daß der Autor des »tollen Tages« kurz nach der Erstlingsvorstellung dieser Komödie ein Libretto vollendet habe, dessen Tondichtung er zunächst Gluck zudachte; wohl hatten hochgeborene Herren, Gustav III. von Schweden, der Graf von Artois, der Markgraf Karl Friedrich in Karlsruhe und viele andere an Vorlesungen des Poems durch den Verfasser sich erbaut; wohl war es Beaumarchais gelungen, schon seit 1784 so viel Lärm mit »Tarare« zu machen, daß »jedes Kind guter Eltern sich ernstlich darum bemühte, in der oder jener Gesellschaft zur Stelle zu sein, wenn der Autor sein Stück zum besten gab«, aber niemand hatte gedacht, daß der Komponist, ein Schüler und Liebling Glucks, Salieri, das Opus schon in Musik gesetzt, niemand auch wollte glauben, daß die Académie royale de musique so rasch mit den Vorbereitungen zur Aufführung fertig werden könnte und wollte. Allein Beaumarchais hatte seine Maßregeln auch diesmal mit überlegener Kenntnis der Menschen und Verhältnisse getroffen. Er lud Salieri als seinen Hausgenossen nach Paris, wo der italienische Maestro nach Tisch mit der Tochter seines Wirtes vierhändig Sonaten spielte, tagsüber komponierte, in den Nachtstunden von zehn bis zwölf aber Beaumarchais die Weisen zu seinen Worten vortrug oder vielmehr vorschlug; denn unser Held vertrat mit aller Entschiedenheit die Theorie, daß die Musik nur die Dienerin der Dichtung, daß also der Opernkomponist sich durchwegs den Wünschen und Winken des Poeten zu unterordnen habe. War die eine oder die andere Nummer fertig geworden, so stellten sich die beiden – böse Zungen behaupteten, wie savoyardische Straßenmusikanten – in den Häusern der Großen ein, um die allgemeine Aufmerksamkeit keinen Augenblick zur Ruhe kommen zu lassen. Im April und Mai (1787) sind die Proben schon im vollen Zuge und der Operndirektor Dauvergne hat nur seine liebe Not, rivalisierende Tenore zur Ruhe zu bringen und mit Beaumarchais' Anforderungen fertig zu werden. Denn obwohl man fast 100 000 Franken an die Ausstattung der Oper wendete, war der Autor unermüdlich im Ersinnen von neuen Reizmitteln für die Gaffer. So beharrte er unter anderem darauf, daß eine im Textbuch geforderte Glocke (man bedenke: in einer orientalischen Despotie!) entweder aus Antwerpen oder aus einem Museum von Bordeaux verschrieben werden müßte. Salieri, der übrigens »besaß, was Bacon die Klugheit der krummen Wege nennt«, ließ Beaumarchais auf den Proben frei gewähren. Der Musiker öffnete nie den Mund, während sein anspruchsvoller Textdichter Solisten, Chöre, Orchester und Regisseure unablässig abkanzelte. Der durchtriebene Italiener, der drei Jahre vordem seine »Danaiden« als angebliche Partitur Glucks bei der Pariser Oper einzuschmuggeln verstanden, sah sofort, daß er keinen besseren Nothelfer finden könne, als diesen Meister in der Technik der Reklame, der allerorten verkünden ließ, der Graf von Artois habe ihm versprochen, unter allen Umständen der ersten Aufführung von »Tarare« beizuwohnen. (Sollten zu der Zeit etwa noch die Notabeln tagen, so würde er die Sitzung – der Oper zu Gefallen – kurzweg aufheben.) So war alles im besten Gange. Beaumarchais sah mit hellem Vergnügen, daß sein Werk die Pariser lebhafter in Atem hielt als alle politischen Welthändel. Da ward er mit einem Male, genau so wie vor der Erstlingsvorstellung des Barbier von Sevilla in den Prozeß Goezmann, wenige Wochen vor der für anfangs Juni festgesetzten Premiere von »Tarare« in einen Skandalprozeß verwickelt, den wiederum ein Elsässer, der Bankier Kornmann, ihm aufhalste.

Im Frühjahr 1787 erschien nämlich ein über sieben Bogen starkes Mémoire sur une question d'adultère, de séduction et de diffamation pour le Sieur Kornmann contre la Dame Kornmann son épouse; le sieur Daudet de Jossan; le sieur Pierre Augustin Caron de Beaumarchais et M. Le Noir, conseiller d'état et ancien lieutenant général de police, das eine ungeheure Aufregung in ganz Frankreich hervorrief und in den nächsten Jahren in nahezu 100 000 Exemplaren in Europa und Amerika verbreitet wurde.

In diesem phrasenreichen Pamphlet stellte sich Kornmann als Märtyrer der Polizeigewaltigen, als Opfer des Despotismus und nichtswürdiger Ränkeschmiede vom Schlage Beaumarchais' dar, die es darauf angelegt hätten, seine häusliche, moralische und geschäftliche Existenz zugrunde zu richten. Anno 1774, so berichtete Kornmann, habe er eine Baseler Patrizierstochter, namens Faesch, geheiratet. In dem ersten Jahrfünft sei die mit Kindern gesegnete Ehe auch eine glückliche gewesen, bis zu dem Augenblick, in dem ein sicherer Daudet de Jossan sein Familienglück unwiederbringlich zerstört habe. Dieser Mensch (Daudet) sei in jungen Jahren wegen allerlei Gaunerstreichen gefänglich eingezogen, hernach aber trotzdem der Günstling des mit Recht verrufenen Kriegsministers Prince de Montbarey gewesen, dessen Protektion er die Ernennung zum Vizedirektor des Straßburger Magistrats zu danken gehabt. Da nun Kornmann gleichfalls Straßburger Würdenträger gewesen, habe er sich für verpflichtet gehalten, Daudet auf die wenngleich sehr bedingte Empfehlung des Kolmarer Präfekten gastlich bei sich aufzunehmen. Frau Kornmann meinte zwar anfangs, Daudet könne ihr niemals gefährlich werden, denn – sie habe eine unüberwindliche Abneigung gegen seine rötlichblonde Haarfarbe. Alsbald aber habe der galante Schelm Macht über Geist und Herz von Madame gewonnen, und nach der Heimkehr von einer Badereise nach Spa wollte der Bankier zum erstenmal erfahren haben, daß seine Gattin sich sträflich gegen ihre Pflicht vergangen. Gütliche Vorstellungen halfen nur für den Augenblick, Madame Kornmann trug in Straßburg, Basel und Paris ihre Schande offen zur Schau. Nachdem der beleidigte Gatte sich lange in Geduld gefaßt, verbot er Daudet endlich nach stürmischen Auftritten sein Haus. Aber der Unfriede wuchs infolgedessen nur immer mehr. Madame Kornmann beschimpfte ihren Mann an offener Tafel und vor dem Gesinde; das Liebespaar bedrohte – immer nach seinen Angaben – selbst sein Leben. Da wandte er sich in seiner Not an den Polizeileutnant Le Noir, der ihm den Rat gab, seine Frau durch eine lettre de cachet dingfest machen zu lassen. Der edelmütige Gatte wollte noch eine Weile diesem Äußersten widerstrebt haben, doch willigte er ein, seine Frau polizeilich überwachen zu lassen, und alsbald erfuhr man, daß Daudet mit der Geliebten alltäglich entweder in seinem Hause oder im Bois de Boulogne etc. Zusammenkünfte und ihre Diamanten unter betrügerischen Vorspiegelungen an sich gebracht habe. Nur um seine Frau von diesem unwürdigen Galan zu scheiden, habe Kornmann endlich dem Vorschlage Le Noirs zugestimmt. Er erwirkte einen Haftbrief und überließ dem Polizeileutnant die Wahl des Ortes, an den seine Frau gebracht werden sollte; nur bat er, sie als Protestantin nicht in ein Kloster zu schicken. Mit aller Vorsicht – denn die Welt sollte von dem Zwischenfall nichts erfahren – sei nun Frau Kornmann zu den Dames Douai, Nouvelle France, gebracht worden. Dort habe sie im ersten Schmerz reumütig ihren Fehltritt, que le Sieur Daudet étoit l'auteur de sa grossesse, bekannt. Trotzdem hoffte Kornmann noch, bei seinen versöhnlichen Gesinnungen und der Selbsteinkehr seiner Frau, auf ein neues, besseres Zusammenleben mit ihr … Bei diesen Erwartungen hatte er jedoch weder mit der Verschmitztheit Daudets, noch mit den Ränken Beaumarchais', am wenigsten aber mit der verliebten Natur des Polizeileutnants gerechnet. In Le Noir war nämlich bei mehreren amtlichen Begegnungen mit Madame Kornmann eine lebhafte Neigung für die schöne Sünderin erwacht, so daß er sich ganz auf die Seite Daudets und seiner Helfershelfer schlug, als dieselben sich anschickten, Madame Kornmann aus ihrer Haft zu befreien. Daudet berief zuerst den Bruder der Gefangenen von seiner deutschen Universität nach Paris. Als aber die Bemühungen des Göttinger Studenten erfolglos blieben, wandte Daudet sich an einflußreichere Gönner, insbesondere an das fürstliche Ehepaar von Nassau-Siegen und deren alten Freund Beaumarchais. Geffroy, Gustave III et la cour de France II, 181. Ségur, Mém. I, 55. 62–63 ff. Loménie II, 274 ff. Duc de Lévis, Souvenirs et Portraits. Paris, 1813, 185–191.

An der Tafel des Prinzen von Nassau-Siegen bestürmten Ende Oktober 1781 alle Anwesenden, insbesondere aber die Hausfrau, den Autor des »Figaro«, sich der armen Madame Kornmann anzunehmen. Die Ärmste sei durch die Tyrannei ihres Mannes genötigt, ihrer Entbindung in einer für Närrinnen und verworfene Dirnen bestimmten Maison de Force entgegenzusehen etc. etc. Und als Beaumarchais trotz aufrichtigem Mitleid mit dem Mißgeschick der Kornmann noch zauderte, ließ ihn Daudet Einsicht in die Briefe nehmen, die Herr Kornmann an ihn, den Verführer, zu einer Zeit gerichtet, in welcher sein Gönner, Montbarey, noch Kriegsminister war. Bei der Lektüre stieg Beaumarchais das Blut zu Kopfe. Er glaubte die ganze Niederträchtigkeit Kornmanns zu durchschauen, der – solange Montbarey im Amte und damit Daudet vielvermögend war – aus Geschäftsinteressen das Liebesverhältnis zwischen seiner Frau und Daudet nicht bloß hinnahm, sondern sogar förderte, nach dem Sturz des Ministers aber den gefallenen Günstling kurzweg verabschiedete und die Mitgift seiner Frau, an 420 000 Livres, durchbrachte. Nach diesen Aufschlüssen erbot sich Beaumarchais mit feurigen Worten der Entrüstung, der Ritter der Unglücklichen zu sein, und er löste sein Versprechen unverzüglich ein. Auf der Stelle schrieb er dem Anwalt Kornmanns, Maître Turpin, einen Brief im dringendsten, gebieterischesten Ton, des Inhalts, er nehme Frau Kornmann fortan unter seinen Schutz; er habe soeben vernommen, daß man sich erlaubt habe, sie kraft eines königlichen Befehls in Gewahrsam zu bringen; dieser Befehl mißfalle ihm und wenn Herr Kornmann nicht gutwillig auf die von ihm (Beaumarchais) zugunsten Madame's vorgeschriebenen Bedingungen eingehen wolle, würde er seinen Einfluß und seine Feder einsetzen, um ihn zugrunde zu richten. Der Polizeileutnant nahm diese ihm sofort hinterbrachte Meldung verlegen auf und gab Kornmann zu verstehen, daß Beaumarchais ein höchst gefährlicher Widersacher sei; am besten, so meint Le Noir, wäre es, wenn der Bankier die Sache auf sich beruhen lassen und sich mit Madame benehmen wolle. Was das Kind anlange, möge der betrogene Gatte ruhig sein: er (der Polizeileutnant) werde es verschwinden lassen, wie er in ähnlichen Fällen schon an die zweihundert habe verschwinden lassen. Auf die Bitte Kornmanns, wenigstens Daudet dingfest zu machen, einen überwiesenen Gauner, der unablässig gegen ihn wühle, lautet der Bescheid des Polizeigewaltigen, »solche Strenge passe nicht mehr in die Zeitläufte; wenn man in Paris alle Männer festsetzen wollte, die mit den Frauen anderer leben, müßte man drei Viertel aller Einwohner einsperren«.

Indessen brachte Madame Kornmann bei dem Baseler Gericht (als dem Tribunal ihres Trauungsortes) die Scheidungsklage gegen ihren Gatten ein, und Ende Dezember 1781 hatte Beaumarchais glücklich die Unterschrift des Königs für die Erlaubnis ausgewirkt, Madame Kornmann aus ihrem bisherigen Gewahrsam in das Haus eines Geburtshelfers überführen zu dürfen. Während Beaumarchais seine Handlung als Akt idealer Humanität pries und mit Stolz erzählte, wie er selbst der trotz der Winterkälte nur mit einem leichten Mäntelchen bekleideten, frierenden Dulderin in ihrem Kerker als Befreier erschien, beschwerte sich Kornmann nicht allein über dieses Eingreifen als das eines Mannes, der persönlich weder das Recht noch den Beruf hatte, Frau Kornmann ihrem Gatten in Paris oder ihrer Familie in Basel zu entziehen; er beschuldigte ihn weiter, im Einverständnis mit Le Noir die Mutter ihren Kindern, die Frau ihren Pflichten entfremdet und in der schlechtesten Gesellschaft von Paris zügelloser Sittenverderbnis preisgegeben zu haben.

Und als ob es an diesem Rachewerk nicht genug sei, habe es sich Beaumarchais angelegen sein lassen, Kornmanns kaufmännischen Kredit zu untergraben. Letzterer sei nämlich mit fast einer halben Million an dem Unternehmen der Ablösung der weitläuftigen, in der Stadt belegenen Gebäude und Gründe des Blindenhospitals beteiligt gewesen; durch Ränke und Angebereien habe ihn Beaumarchais jedoch um das Vertrauen des Großalmoseniers von Frankreich und anderer maßgebender Persönlichkeiten gebracht, er habe ihn geflissentlich zum Bankrott getrieben, vor dessen Schande ihn nur ein durch die königliche Gnade erteiltes Moratorium zu bewahren vermochte. Und das einzig und allein deshalb, weil der Anschlag mißglückt war, Kornmann durch den Einfluß des Kardinals Rohan zu einem gütlichen Vergleich mit seiner Frau zu bewegen.

Beaumarchais, der den elsässischen Bankier zum ersten Male, ohne ihn persönlich zu kennen, im Vorzimmer des Polizeileutnants getroffen und verächtlich vom Kopf bis zu den Füßen gemessen, sah ihn ein zweites Mal in der Kanzlei ihres gemeinsamen Notars Momet, um die Bedingungen zur Schlichtung des ehelichen Zwistes zu beraten. Bei dem letzteren Anlaß tat Beaumarchais aber dermaßen erbost, daß ihm Kornmann bedeutete, er stehe zu seiner Verfügung. Im übrigen bitte er ihn, sofort das Zimmer zu verlassen, eine Aufforderung, der Beaumarchais erst nachkam, nachdem er mit höchster Zuversicht gedroht habe: Merken Sie sich! Beaumarchais wird Sie vernichten. Fortan sei er (Kornmann) in seinem Kredit, seiner Ehre, ja in seinem Leben unaufhörlich gefährdet gewesen: man habe versucht, ihn zu vergiften. Als er Miene machte, mit einer Ehebruchsklage alle Machenschaften niederzuschlagen, habe Le Noir versucht, ihn einzuschüchtern, und zwingen wollen, Madame Kornmann mit ihrem unehelichen Kind wieder in sein Haus aufzunehmen. Als der Bankier trotzdem bei seinem Sinn beharrte und auch neue, vom Polizeileutnant angebahnte Versöhnungsversuche fehlschlugen, wollte er endlich dem Recht freien Lauf lassen. Die Dinge waren soweit gediehen, da wurde Kornmann auf dem Heimweg in seine einsame Wohnung an der Schwelle seines abgelegenen Hauses von einem Vermummten an der Kehle gefaßt. Der Unbekannte drückte eine Pistole los: nur durch einen Zufall sei der Schuß nicht in die Stirn, sondern durch den hohen englischen Hut des Angefallenen gegangen. Der Mörder floh, Kornmann aber wankte, halbtot vor Schrecken und Aufregung, in seine Wohnung und sank daselbst in die Arme seines einzigen treuen Freundes, Bergasse.

Dieser frühere Erzieher der Kinder Kornmanns, von Geburt ein Lyoner, ehedem ein fanatischer Parteigänger Mesmers, zur Stunde ein Gesinnungsgenosse d'Esprémésnils, trat dem Verfolgten mit seinem vollen, insbesondere literarischen Können zur Seite. Und in diesen schwülen Zeiten traf dieser pathetische, als Redner nicht unbegabte Schwarmgeist die Sympathien der Leser. Denn weit mehr, als das gewiß aufregende Sittenbild, das Bergasse Es ist das Geringste, daß Bergasse sich in eine Reihe mit Burke, Fox und Sheridan stellt: seine Schriften verstießen so wenig gegen die guten Sitten, heißt es ein andermal, wie das Evangelium gegen den Glauben; er verherrlicht sich selbst unablässig als Ausbund von Tugend, Edelmut und Tapferkeit. Richtig hat Brissot ( Mém. 402–404) diesen von den Frauen als »Dalailama« verhätschelten Gecken in seiner maßlosen Einbildung und Eigensucht gekennzeichnet. Über die Tätigkeit Bergasses während der Revolution und über seine Beziehungen zu Madame Krüdener vgl. Gaillard, Nicolas Bergasse, Lyon 1862. – Von Bergasse soll der Urentwurf des Traité de la Sainte-Alliance herrühren. Boigne, Mémoires, 1907, II, 101. – Bergasse Nicolas (1750–1822). Introduction par Etienne Lamy. Paris 1910. – Cordier erwähnt nicht Mémoires particuliers extraits de la correspondance d'un voyageur avec feu Monsieur de Beaumarchais sur la Pologne, la Lithuanie, la Russie blanche etc. Publiés par M. D…t. Hambourg et se trouve à Paris 1807. Der Verfasser behauptet sehr unglaubwürdig, mit Beaumarchais einen die Handelsbeziehungen des Ostens betreffenden Briefwechsel unterhalten zu haben und ergeht sich in Beschuldigungen des Prinzen von N… (Nassau-Siegen). Nach Barbier wäre der Verfasser Mehée de la Touche, nach Michauds Biogr. univ. einer der bedenklichsten Spione. aufrollte, machten seine Reflexionen Eindruck. Der Mut, mit welchem er die Schäden und die Willkür der Polizeiverwaltung angriff, offenbart sich gleich in der Vorrede, in welcher er die zensurwidrige Veröffentlichung des Mémoires mit Worten rechtfertigt, die fast wie Verse aus Wilhelm Tell gemuten: »Niemand« – so schreibt Bergasse – »achtet die Gesetze mehr als ich; wenn aber übermütige Gewalten sie außer Kraft setzen, dann muß die preisgegebene Unschuld sich über die Gesetze hinwegsetzen und im Namen der Natur die Stimme erheben.« Und in derselben Tonart, in der er der Tyrannenmacht ihre Grenzen vorhält, holt Bergasse die ewigen Rechte der Familie herunter, die droben hangen unveräußerlich. Er spricht mit vielen, großen Worten die einfache Wahrheit aus, daß der Verfall der Freiheit mit dem Verfall von Zucht und Sitte parallel laufe; daß der Ehebruch als Krebsschaden in den gesellschaftlichen Zuständen fortfresse; daß Genuß- und Selbstsucht alle alten Tugenden, Rechtlichkeit und Zuverlässigkeit, Treuherzigkeit und Freimütigkeit vernichtet haben. Diese moralischen Betrachtungen schlugen damals ein und alle satirischen Antworten, alle persönlichen Ausfälle, die Beaumarchais gegen Kornmann als Kuppler der eigenen Frau vorbrachte, wurden nicht beachtet. Man griff dagegen desto gieriger die förmlichen Bannflüche auf, welche der neue Bußprediger gegen die Mitschuldigen des Verführers Daudet, die »Räuberbande«, den »Abschaum der Nation«, gegen Beaumarchais insbesondere schleuderte, der allgemein verrufen durch seine tiefe Immoralität, die Verderbtheit in ein System gebracht und das menschliche Herz nur deshalb studiert habe, um sich alle Schwächen und Niederträchtigkeiten zunutze zu machen.

Beaumarchais antwortete zunächst mit einem fliegenden Blatt, in dem er verhieß, ehebaldigst auf alle Anschuldigungen von zwei Wütenden zu erwidern, welche ihren Angriff nur deshalb gerade auf diesen Zeitpunkt verspürten, weil sie hofften, dadurch – die Aufführung seines »Tarare« unmöglich zu machen. Er gönne ihnen, trotz der Verlegenheit, welche der Operndirektion aus seinem Entschluß erwachsen, diesen Eintagserfolg, denn das Publikum könne ihm nicht verdenken, daß er in seiner schweren Prüfung sein Werk so lange zurückziehe, bis er selbst volle Rechenschaft gelegt. Man unterhalte sich nur wenig bei einer Schöpfung, deren Urheber man mißachte, und die Verteidigung seiner Ehre müsse allem anderen vorangehen. Und er machte Ernst mit seiner Drohung. Er begab sich zu dem obersten Theaterchef, Minister Breteuil, mit der Bitte, die Aufführung zu verschieben. Der entgegnete jedoch nur ein (wie Laharpe meint, niemals treffender angewandtes) Wort: » Tarare«! Tarare (der Name des Helden ist Hamiltons Fleur d'Épine entlehnt) hat auch die Bedeutung von »Larifari!« »Possen!« Siehe Littré s. v. Tarare. Anfangs Juni sollte die Oper ihre erste Aufführung erleben; vorher aber gaben noch die letzten Proben Anlaß zu skandalösen Auftritten. Einmal bemerkt Beaumarchais im Zuschauerraume den Sohn eines seiner erbittertsten Gegner. Wie ein Wahnsinniger stürzt er auf den jungen Aubertin los mit dem Ausruf: »Welch ein Strolch hat sich hier eingeschlichen? Will er meine Oper noch vor der ersten Aufführung in Verruf bringen?« Ein andermal bei einer Probe gegen Eintrittsgeld zischten die Zuhörer den letzten Akt aus. Beaumarchais steht mit eins in seiner Loge auf und sagt, zum Publikum gewendet: »Meine Herren! Sie haben den letzten Akt ausgepfiffen, und Sie haben recht daran getan! Ich kann Ihnen aber versprechen, daß Sie bei der Aufführung mit meiner Umarbeitung zufrieden sein werden.« Die Zuschauer antworteten mit einer Beifallssalve. Bei der nächsten Probe aber wurden, obgleich Tausende eingegangen waren, alle Theatergäste ohne Ausnahme abgewiesen, sie erhielten an der Kasse ihr Eintrittsgeld zurückbezahlt. Jullien, La cour et l'opéra sous Louis XVI. Paris, Didier, 1878, S. 214–276. – Siehe Préface, Théâtre compl. IV, 32, vgl. auch Préface zur » folle journée«, Théâtre compl. III, 13 i. f. Der eigentliche Titel wäre nach Beaumarchais' Ansicht gewesen: le libre arbitre ou le pouvoir de la vertu. – Vgl. Goethe, Anm. zu Rameaus Neffe: Musik und Rameau. Ferner das bereits oben angef. Buch von Jullien. Und Jansen: Rousseau als Musiker. G. Reimer, 1884.

So waren die Erwartungen aufs höchste gestiegen, als endlich am 8. Juni 1785 »Tarare« seinen Einzug in die Oper hielt. Der Andrang war so groß, daß zum ersten Male, wie die Theaterchronik verbucht, vor der Türe der Oper Schranken gezogen werden mußten. Die Brüder des Königs wohnten der Vorstellung bei. Es fehlte nicht an Beifall. Zum Schluß wurden die Autoren stürmisch hervorgerufen; doch nur Salieri erschien vor der Rampe, während Beaumarchais sich hartnäckig weigerte, sich dem Publikum zu zeigen. Allein obwohl das Werk in zehn Monaten 33 Aufführungen erlebte und 121,717 Livres einbrachte und obgleich es durch merkwürdige, weiterhin noch zu besprechende Wechselfälle bis zum Jahre 1825 hunderteinunddreißigmal gespielt wurde, durfte Bergasse doch triumphierend verkünden: »Als Autor einer trefflichen Oper hätte man Herrn Beaumarchais all seine Verbrechen rasch verziehen und ich verhehlte mir nicht, daß inmitten täglich sich erneuernder Beifallsstürme die Stimme des von ihm so grausam angefeindeten Familienvaters sich nicht mehr Gehör verschafft hätte. Zum Glück für mich fand man allgemein, daß das Textbuch zu »Tarare« schlecht sei.« Schon zuvor hatte Kornmann Beaumarchais' törichten Ausfall, seine Feinde hätten mit ihrem Pamphlet nur die Aufführung seiner Oper stören wollen, mit der Wendung abgefertigt: »Ich führe nichts im Schilde gegen ›Tarare‹, dessen Existenz mir bei meiner stillen Lebensweise völlig unbekannt war« und Bergasse bemerkt dazu in der Fußnote: »Übrigens darf man nur von der Ausstattung und der Partitur der Oper »Tarare« reden, denn es ist unmöglich, ein lächerlicheres, in einer gemeineren, barbarischeren Sprache verfaßtes Libretto zu ersinnen.«

So schlimm ist es selbstverständlich nicht um das Textbuch zu ›Tarare‹ bestellt. Wenn Beaumarchais in der Widmungsepistel an Salieri aber sagt: »Mit Ihrem Beistand durfte ich den Franzosen das Theater der Griechen vorführen, wie ich es stets im Geiste vor mir sah« – so darf man diese mit der vollen Überlegenheit der Unwissenheit vorgetragene Behauptung noch weniger ernst nehmen. Die Handlung von Tarare verkehrt das Figaromotiv ins Tragische. Ein allmächtiger Tyrann, Atar, will seinem treuesten Diener, dem tapferen Tarare, der sich vom gemeinen Soldaten zu dem gefeiertsten Heerführer des Volkes emporkämpfte, sein Weib Astasia streitig machen. Der Despot wird in seinen Plänen durch die Ränke des Obersten seiner Verschnittenen, Calpigi, immerfort gestört und als er zu guter Letzt Tarare und seine Frau hinrichten lassen will, empören sich die Truppen. Der Tyrann will dem Edelmut Tarares nicht sein Leben danken und stirbt durch eigene Hand. Tarare aber besteigt an seiner Statt den Thron. Die tragischen und komischen Zwischenspiele (die letzteren besorgt, außer Calpigi, die »kokette und intrigante« neapolitanische Sängerin Spinette, Gemahlin des – chef des eunuques) erheben sich nicht über das Herkommen; die Verse Beaumarchais', der doch sonst in Romanzen den Volkston, nach Schlegels Zeugnis, trifft wie kaum ein anderer Franzose seiner Zeit, sind rauh und geschmacklos.

Was trotzdem dem Werk eine geschichtliche und kunstgeschichtliche Bedeutung sichert, das ist außer der von Beaumarchais in einem Sendschreiben an die Abonnenten der Oper vorgebrachten Theorie des Musikdramas der revolutionäre Grundgedanke, der, vom Vorspiel angefangen, durch das ganze Stück geht. Ein Prolog im Chaos vergegenwärtigt uns, wie die Natur mit ihrem Geliebten, dem Genius des Feuers, die im Raum verlorenen Atome zu Menschen formt und, nur durch das Recht der Geburt, den einen zum Sklaven macht, den anderen zum unumschränkten Gebieter über Millionen setzt. Der Irrtum eines Moments – so predigt der Genius des Feuers – kann also bei der Wahl eines Königs ein Jahrhundert unglücklich machen. Die Schatten der Ungeborenen beschwören die wohltätige Gottheit in Versen, denen Beaumarchais späterhin nachrühmte, sie hätten die Erklärung der Menschenrechte vorweggenommen, überhaupt keinen Unterschied der Stände gelten zu lassen. Aber es ist zu spät. Schon hat die Natur Atar zum Beherrscher von Ormus, Tarare nur zum Soldaten gekürt.

Vierzig Jahre sind verstrichen, als der Vorhang zum zweiten Male emporrauscht. Am Königshofe sehen wir Atar, von verzehrendem Neide gegen Tarare erfüllt, im Bunde mit dem Hohenpriester bestrebt, das Volk zu täuschen und zu knechten. Und in einem Monolog offenbart der Priester seine geheimsten Gedanken in den Worten: Wenn die Könige zittern, herrschen die Priester und die Tiara vergrößert ihre Rechte. Kraftstellen der Art waren, obwohl sich Beaumarchais während der Revolution auf dieses politische Glaubensbekenntnis wiederholt mit besonderem Stolze berief, nichts Neues nach Voltaire und seinen Leuten. Er hob aber nachdrücklich hervor, daß er in den Schlußversen der Oper einen neuen, weltbewegenden Gedanken ausgesprochen habe. Als nämlich die Tücke des Oberpriesters an der Einfalt eines Knaben zuschanden geworden, der beim Orakel als Heerführer statt des ihm zugeflüsterten Namens von Altamore, dem Sohn des obersten Brahmanen, Tarare als gottgesandten Helden ausruft; als endlich auch Atars Schreckensherrschaft zu Fall kommt, erscheinen wie in den Apotheosen der Jahrmarktstheater nach Blitz und Donner auf dem Sonnenwagen wieder die Natur und der Feuergeist, um eine Wahrheit zu offenbaren, die alsbald in Flammenschrift auf den Wolkenschleiern aufleuchtet:

Mortel, qui que tu sois, prince, brame ou soldat,
Homme, ta grandeur sur la terre
N'appartient point à ton état,
Elle est toute à ton caractère.

Für seine eigene Person hat Beaumarchais dieses Programm leider nicht beherzigt, wie es sich denn allzuoft wiederholt, daß er in Kunst und Leben das Echte und Rechte ahnt und beiläufig andeutet, nicht aber verfolgt und betätigt. So ergeht es ihm auch mit Theorie und Praxis der Operntexte. Seine Erörterungen über das Musikdrama sind neuerdings vielfach, mit großer Übertreibung, als geniale Prophezeiungen der Heilslehren von Berlioz und Richard Wagner gepriesen worden; interessant und selbständig berühren seine Ausführungen immerhin, selbst nach und trotz Rameau, Gluck und Rousseau.

Wie kommt es, so fragt der Autor von Tarare, daß er, sonst ein leidenschaftlicher Musikfreund, sich in der Oper immer langweilt, wie vor ihm schon Voltaire und La Bruyère? Einzig und allein deshalb, weil zuviel Musik im Theater gemacht wird, weil, nach Glucks derben Worten, die Oper vor Musik stinkt ( puzza di musica). Während die wahre Reihenfolge der in der Oper verbundenen Künste fordert, daß in erster Reihe Handlung und Dichtung, in zweiter die Musik, in letzter der Tanz käme, hat durch eine seltsame Umkehrung der Dinge das Beiwerk den Vorrang erobert. Man interessiert sich zuerst für Ballett und Ausstattung, erst hernach für die Musik und so gut wie gar nicht für das Textbuch. Daran trage nicht das Publikum Schuld, sondern das Ungeschick der Poeten und Tondichter, man verstehe die Worte nicht, weil die Weisen ihnen nicht angepaßt seien. So wende sich das Publikum vom leeren Singsang ab und halte sich an die Augenweide. Es wäre aber schlimm um das von Beaumarchais überschwenglich verherrlichte 18. Jahrhundert bestellt, wenn bei dem allgemeinen Bestreben, die großen und nützlichen, wie die kleinen und vergänglichen Dinge dieser Welt zu verbessern und zu veredeln, just die Oper zu kurz käme. Deshalb habe er es sich angelegen sein lassen, zum Zeitvertreib eine neue Doktrin der Oper zu erdenken und zu verwirklichen. Wie der eine jage, der andere trinke, so habe er zu seiner Unterhaltung ein bescheidenes Textbuch geschrieben. Allerdings hält man ein Poem der Art für die leichtfertigste aller Zerstreuungen, vielleicht deshalb, weil (und hier schreibt nach meinem Dafürhalten Beaumarchais unbewußt das treffendste Wort über das Wesen der französischen Musik) »unsere Nation, plus chansonnière que musicienne«, dem pathetischen, sentimentalen Madrigalstil die epigrammatische Musik des Vaudeville vorzieht. Das kann und wird aber anders werden von dem Augenblick, in welchem der Komponist sich gleichsam als der Übersetzer der Worte des Dichters ansieht, der als beeidigter Dolmetsch dessen Gedanken und Gefühle nur in einer reicheren, doch mit voller Treue dem Poeten sich anschmiegenden Tonsprache wiedergibt. Dann werden sich auch die richtigen Autoren finden und dem Musiker Textbücher zur Stelle schaffen, die nach Beaumarchais weder rein tragisch, noch rein komisch und nicht streng historisch sein sollen. Ein Mittelding zwischen Märchen und Geschichte, am besten also halbbarbarische Zustände, wie sie in den Despotien des Orients, in dem aufregenden, an lustigen und hochtragischen Wechselfällen reichen Leben des Serails mit seinen Palastrevolutionen und zügellosem Spiel der Leidenschaften sich offenbaren, wird der Textdichter wählen, das Ganze aber mit einer philosophischen Idee durchdringen. Und nun setzt Beaumarchais als sein beredtester Sachwalter auseinander, daß er in »Tarare« – dessen Fabel dem Märchen Sadak et Kalasrade aus dem Cabinet des Fées entlehnt war – all diese Vorbedingungen erfüllt und in Salieri den idealen Tonsetzer gefunden habe, der seinen Absichten treulich gefolgt sei.

Ein paar gesunde Grundwahrheiten spricht Beaumarchais in diesem vielfach überschätzten Manifest aus. Unrichtig erscheint es jedoch, den von ihm vorgeschriebenen Stoffkreis als Vorahnung der aus der deutschen Götter- und Heldensage geschöpften Opern Richard Wagners zu betrachten. Der Dichterkomponist des »Lohengrin« ist der glückliche Testamentsvollstrecker der romantischen Schule, nicht der Nachfolger Beaumarchais' und ebenso töricht dünkt es uns, Tarare mit den Werken von Berlioz in Beziehung zu bringen. Die kindlichen Anschauungen Beaumarchais' über Instrumentation und Orchester stimmen schlecht zu der gewaltigen Aufgabe, die ihnen der geniale Kolorist der Damnation de Faust in seinen Tongemälden zugeteilt hat. Und wenn Beaumarchais als Motto seines Werkes selbstgefällig das ovidische Wort wählt: » Barbarus at ego sum quia non intelligor illis«, sieht er zum Schlusse doch wohl selbst, daß er seine dilettantischen Gedanken so beiläufig und leichtfertig vorgetragen hat, daß er nach einer Entschuldigung sucht: »Als ich diese Einleitung schrieb, durfte ich mich in glücklicher Sorglosigkeit wiegen; meine Ohren waren noch verschont von dem Getobe tausend Rasender. Meine Abhandlung wäre in ganz anderem Tone, wenn ich sie heute zu Papier bringen sollte.«

Das darf man Beaumarchais aufs Wort glauben, wenn man seine Erwiderungen auf die Streitschriften von Kornmann, Bergasse und Genossen durchsieht. Der ehedem so streitbare, witzige Mann folgt diesmal unfreiwillig dem Rat seiner Freunde, sich nur streng und sachlich zu halten, er schreibt ohne Saft und Kraft. Blitzt gelegentlich auch der alte Geist und Humor auf, der Leser jener wie unserer Tage fühlt, daß der Autor unbeschadet aller Künste die Fühlung mit seinem Publikum verloren hat. Er verteidigt sich ungeschickt; er verdächtigt am unrechten Ort; er verkennt die Hauptfrage: ja, er bittet wiederholt um Mitleid. Gleich im ersten Mémoire bricht er in den Wehruf aus: »Grausame, leichtfertige Athenienser, die Ihr Euch wie die Kinder von dem erstbesten Strolch fangen lasset. Allzeit seid Ihr ungerecht bis zur Grausamkeit gegen mich! Werdet Ihr denn allzeit leichtgläubig mit der Tagesmeinung gehen und das gerechte Urteil immer wieder auf morgen verschieben?« Was er sonst noch vorbringt, ist der Versuch, aktenmäßig Kornmanns Schurkerei zu erhärten, vor allem aber die Sympathien der Frauenwelt zu gewinnen und die Sache von Frau Kornmann als die ihres ganzen Geschlechtes hinzustellen. Er bekennt sich zwar zu dem Glauben, daß, wenn eine Unglückliche einen schlechten Kerl heiratet, die Bedauernswerte bei ihrem Mann aushalten muß, wie es das Schicksal des Armen, dem man seine Augen ausgestochen, bleibt, blind zu sein. Zu dieser Lebensweisheit stimmt es aber schlecht, wenn er Kornmann einen Tartüffe und Holophernes schilt und erzählt, er habe einen Mann einmal fast totgeschlagen, der sich auf offener Straße an seinem schwangeren Weibe vergriff; stimmt es ebensowenig, wenn er seine enthusiastische unbedingte Parteinahme für die Frauen mit dem Bekenntnis erklären will: »Entsetzliche Männer haben mein Leben verbittert; ein paar gutherzige Frauen haben dessen Wonnen ausgemacht. Niemals kann ich eine Frau weinen sehen, ohne daß es mir das Herz zusammenschnürt, denn ach! sie sind von den Gesetzen und Männern gleicherweise mißhandelt. Ich habe eine Tochter, die mir über alles teuer ist: sie wird eines Tages Frau werden; aber ich möchte augenblicklich sterben, wenn sie nicht glücklich werden sollte! Ja, ich fühle es, ich möchte den Mann erdrosseln, der sie unglücklich machen würde …« Und wenn Beaumarchais hinzufügte, er schütte in diesem Erguß sein Herz aus, so lautete die Meinung des Publikums, es bekümmere sich nicht um seine Gefühle. Man wollte von dem bouffon des Prozesses Goezmann anderes als Klagen und sentimentale Beteuerungen hören, um so mehr, als die Gegner nicht müde wurden, zu behaupten und teilweise auch zu beweisen, daß der empfindsame Redner sehr unlautere Kunstgriffe und persönliche Verfolgungen ins Werk setzte. Einmal ließ er Kornmann und Bergasse in den ihm zu Gebote stehenden Blättern, insbesondere dem Courrier de l'Europe, auf das giftigste angreifen; dann lud er sie wiederum als Verleumder vor Gericht und sprengte überall aus, er werde nicht ruhen, bis er seine Widersacher auf die Galeere gebracht. Endlich aber verleumdete er Bergasse als Revolverjournalisten, dessen Mémoire er schon seit Monaten gekannt und nur nicht preiswürdig genug befunden habe, um es zu kaufen. Auch diesmal hatte Beaumarchais, durch das Erlebnis mit Mirabeau nicht gewitzigt, nicht bedacht, daß er den Widersacher durch solche Anwürfe nicht allein aufs äußerste reize, sondern auch, wenn er den Beweis seiner Anklage schuldig bliebe, beim Publikum in Vorteil bringe.

Bergasse fiel es denn auch nicht schwer, dieser Unwahrheit gegenüber zu erhärten, daß er niemals Beaumarchais' Bekanntschaft gesucht; daß im Gegenteil die Schwester seines Widersachers, Julie, sich ernstlich bemüht habe, noch vor dem Erscheinen seiner Broschüre ihn mit ihrem Bruder in Beziehung zu bringen und zu versöhnen, und daß er dieses Entgegenkommen kühl und vorsichtig begrüßt habe, so kühl, daß die gereizte Dame ihm einen geharnischten Absagebrief zugeschickt habe, der den style de famille nicht verleugnete. Für seine Ehrenhaftigkeit vermochte er aber ein Zeugnis des dazumal in Paris abgöttisch verehrten Rates d'Espremèsnil beizubringen, der mit ebensoviel Lobsprüchen für den tadellosen Charakter Kornmanns zur Hand war, als mit sehr bedenklichen Enthüllungen über den Polizeileutnant und dem Ausdruck unumwundener Geringschätzung für Beaumarchais. Weiter aber bewies Bergasse, daß Beaumarchais Kornmann durch willkürlich und abgerissen mitgeteilte Briefstellen wohl als Kuppler verdächtigt, durch seine Schikanen jedoch ihm jede Einsicht in die Originale verwehrt habe. Auf die Beschuldigung der Habsucht antwortete Bergasse mit einem Ausbruch tiefster Entrüstung, mit der berühmt gewordenen Invektive: Beaumarchais schwitze Verbrechen aus ( il sue le crime). Und so widerlich uns heute alle schwülstigen Brandschriften dieses possenhaft eitlen Menschen berühren, in einer Beziehung hat er durchwegs recht, daß Beaumarchais mit verbotenen Waffen Krieg führte. Es genügte ihm nicht, das Leben seiner Gegner auszuspionieren, sie vor Gerichten von fragwürdiger Zuständigkeit peinlich zu verklagen, er hetzte auch immer neue, mächtige Persönlichkeiten gegen sie auf, so insbesondere den Prinzen von Nassau-Siegen, den er aus der Krim herbeisprengte mit der Botschaft, Bergasse-Kornmann hätten in ihren Schriften gewagt, seine Ehre und die seiner Frau anzutasten. Dieser seltsame Don Quixote war, abgesehen von seiner gesellschaftlichen Stellung, als kühner Degen so allgemein gefürchtet, daß es Beaumarchais mit der Berufung dieses seines fürstlichen Freundes offenbar auf eine Einschüchterung abgesehen hatte.

War doch der Prinz von Nassau-Siegen einer der erstaunlichsten Abenteurer in dem an Abenteurern überreichen 18. Jahrhundert. In Frankreich als Prinz anerkannt, widerfuhr ihm ein Gleiches nicht in Deutschland, wo seine Legitimität angezweifelt wurde. Seiner Tapferkeit kam nur seine Schuldenlast gleich. Als Mündel des Kriegsministers von Castries fiel es ihm leicht, 1776 seinen Gläubigern dadurch zu entfliehen, daß er mit Bougainville die Reise um die Welt antrat. Nach seiner Rückkehr machte er großes Haus, empfing die Ökonomisten und Beaumarchais bei sich, Ratgeber, die ihm die abenteuerlichsten Spekulationen zur Bestreitung seines Aufwandes anempfahlen. Dank Maurepas ließ er sich von Frankreich als König von Juida, einem recht unbekannten Ort an der Küste von Afrika, anerkennen und Beaumarchais war gleich zur Stelle, als es galt, die zur Beförderung des neuen Souveräns erforderlichen Schiffe zu liefern; hatte der König dem Prinzen doch urkundlich die unbeschränkte Ermächtigung erteilt, in Frankreich Truppen zu werben, Offizierspatente zu verleihen und dergleichen mehr. Unverzüglich hatte Nassau einen Großkanzler, Großmarschall und Großschatzmeister ernannt und an der Tür seines Wohnhauses anschlagen lassen, daß der König von Juida an den und den Tagen zu den und den Stunden Audienzen geben würde. Die Befehlshaberstelle in seiner Legion war für 50 000, die Kompagnie für 10 000 Franken feil. Aber obwohl sich für diese Phantasieposten Käufer fanden, reichte diese Brandschatzung der französischen Titelsucht für Nassaus maßlose Bedürfnisse nicht aus, und das um so weniger, als er mit einer ebenso verschwenderischen geschiedenen Frau, einer Polin, in wilder Ehe lebte, die trotz aller Vermittlungsversuche Beaumarchais' beim – Erzbischof von Paris nicht den Segen der Kirche erlangen sollte. Wer dieser Frau nur irgendwie zu nahe trat, rührte an den Ehrenpunkt Nassaus, und dieser tapfere Haudegen, überall dabei, wo es in Europa, Asien oder Afrika Krieg gab, verließ sogleich die Fahnen Katharinas von Rußland, als Beaumarchais ihm schrieb, Bergasse habe in einem seiner Pamphlete der Fürstin Beziehungen zu Daudet vorgeworfen.

Bei allen sonstigen Schwächen Bergasses war ihm jedoch persönlicher Mut nicht abzusprechen. Er wiederholte auf die Klagen von Nassau-Siegen bei Hofe und vor Gericht dem Publikum gegenüber mit allem Nachdruck, es sei eine Schande für das fürstliche Paar, ein Zeugnis der Verderbtheit ihres Umganges und Geschmackes, daß sie einem Schelm und Verführer wie Daudet hilfreiche Hand geleistet. Übrigens aber hätte er nicht an Liebeshändel zwischen der Fürstin und dem Geliebten von Frau Kornmann gedacht, denn just die Klage auf Ehebruch wäre ja der Beweis gewesen, daß die Bankiersgattin mit Daudet zärtlichen Umgang pflege, es wäre mithin – allerdings kein zwingender Schluß in dem Paris jener Zeit – widersinnig gewesen, anzunehmen, daß die Prinzessin Frau Kornmann unter ihren Schutz genommen, wenn sie dieselbe als Nebenbuhlerin gefürchtet hätte.

Und noch stärkere Proben von Mannesmut und Unerschrockenheit sollte Bergasse zum besten geben. Als die erste Zusammenkunft der Notabeln ohne Ergebnis blieb und in den folgenden Wirren das Parlament wiederum durch einen Gewaltstreich des Königtums verbannt und zertrümmert werden sollte, da erhob Bergasse als Rächer des gebeugten Rechts die Stimme und führte mehr als Anwalt der Nation, denn als Verteidiger Kornmanns und seiner eigenen bedrohten Freiheit die Sache der Verfassung, die Sache einer konstitutionellen Monarchie nach englischem Zuschnitt. Man horchte auf seine Verlästerungen der Polizeiwirtschaft Le Noirs und der allzeit gefälligen Diener der Mächtigen vom Schlage Beaumarchais' mit doppeltem Genuß, seit er auch die Frage der öffentlichen Moral, der Reform der Gesetzgebung, die Aufhebung aller unwürdigen Zensur erörterte, kurz all das mit Worten forderte, was die Revolution später mit Taten durchsetzte. Niemand stieß sich an seiner Ruhmredigkeit, seiner prahlerischen Selbstgefälligkeit, seiner egoistischen Selbstüberhebung, alle Rechtschaffenen stimmten seinen politischen, freimütigen Auseinandersetzungen von Herzen zu. Alle Wissenden verglichen seine Stellung in den Jahren 1788–89 der Stellung Beaumarchais' im Prozeß Goezmann. Die Autorität kehrte sich gegen ihn, aber eine unbegrenzte Popularität lohnte ihm seine aufopfernde und nicht durchwegs von persönlichen Motiven eingegebene Haltung in den Stürmen jener Jahre.

Diese große Seite der Frage übersah Beaumarchais vollständig; meinte mit kleinlicher Silbenstecherei und Rechthaberei jenen aufgeregten Menschen und Zeiten beizukommen. Warf ihm Bergasse vor, daß er während der parlamentslosen Zeit seine Feder dem Ministerium zur Verfügung gestellt, so veröffentlichte Beaumarchais die Mémoires, die er nach der Thronbesteigung Ludwigs XVI. auf den Wunsch der Minister als Parteigänger Contis für die Wiederberufung der Parlamente entworfen. Aber nur wenige hatten Lust und Geduld, diese trockenen Archivalien zu prüfen und Bergasse machte sich den boshaften Spaß, die Rechtfertigung Beaumarchais' wortwörtlich unter den Beilagen seines nächsten Pamphletes abzudrucken, mit dem höhnisch-mitleidigen Zusatz, er höre allgemein, daß das Mémoire seines Gegners so gut wie gar nicht gelesen wäre. Unablässig aber hänselte er Beaumarchais mit der Aufforderung, doch endlich mit seinem langverheißenen Hauptmémoire hervorzutreten. Und in der Tat, unbegreiflich scheint es, daß der sonst so streitbare Mann alle Schmähschriften über sich ergehen ließ, ohne zu erwidern. Vermutlich wollte er damit erst kurz vor der Urteilsfällung hervortreten. War das aber seine Absicht, so war sie verfehlt. Denn in der Zwischenzeit hielt Bergasse vor Gericht ein Plaidoyer um das andere, apostrophierte geradezu den König als obersten Hüter des Rechtes, widmete Ludwig XVI. seine Mémoires mit pomphaften Anrufungen, brachte immer neue Enthüllungen über die Niedertracht der Gegner, über ihre tiefen Ränke, ihre unglaublichen erfolgreichen Kniffe, selbst Kornmanns eigenen Advokaten, Fournel, zum Abfall und Verrat zu vermögen. Und endlich bekannte sich gar der nachmals als Journalist der Revolutionszeit vielberufene Gorsas als Herausgeber der Jugendbriefe Beaumarchais', die ihm bei Mit- und Nachwelt unwiederbringlichen Schaden zufügten (s. S. 26–29).

Nun endlich, am 30. März 1789, zwei Tage vor dem Urteilsspruch tritt Beaumarchais mit einem » Dernier exposé des faits« hervor, das nicht ohne Bitterkeit der Leidenschaftlichkeit gedenkt, mit der das Volk »Brot und Libelle und fast ausschließlich Libelle gegen ihn gefordert und verschlungen habe«. Kornmann fertigt er mit dem Gesetzesvorschlag ab, fortan sollten nur diejenigen Männer wegen Ehebruchs auf Scheidung klagen können, die ihre Mitgift zu Gerichtshanden erlegen. Sachlich bringt er nicht viel Neues vor. Was er über seine Haltung in der Frage des Blindeninstitutes erzählt, erklärt schärfer, als Bergasse und Kornmann dies zu tun vermöchten, die Rachsucht des elsässischen Bankiers, denn ohne Frage bezeugen die Briefe, welche Beaumarchais gegen Kornmann an den Herzog von Chartres, Rohan, den Minister Amelot und Le Noir richtete, daß er ohne persönlichen und sachlichen Anlaß, halb zum Schabernack, halb aus Schadenfreude Kornmanns Kredit und Geschäftsübung denunzierte. Er hat den Bankerott seines Feindes vielleicht nicht allein verschuldet, sicher aber wie einen persönlichen Triumph mit heraufgeführt und ausgebeutet. Was sonst noch erzählt wird, daß ein diebischer, von Beaumarchais davongejagter Portier Michelin ihm mit Erpressungen gedroht habe; daß die Volkswut dermaßen gegen ihn aufgestachelt wurde, daß ihn der Pöbel in seinem Garten beschimpfte, ein kostbares Kunstwerk in einer Nische seines Palastes zerstörte und Maueranschläge veröffentlichte, worin er als Kornwucherer denunziert wurde, kommt nicht weiter in Betracht dem offenen Geständnis gegenüber, daß er als Minderjähriger die Briefe an Madame Franquet geschrieben. Er war gerichtet nach diesen Enthüllungen und niemand hörte weiter auf ihn, wenn er Bergasse als den Tartüffe von Orgon-Kornmann, dann wieder als » furie« angriff und gelegentlich entdeckte, der Name seines elsässischen Gegners beginne mit demselben (?) Buchstaben, welcher in Rom überwiesenen Verleumdern ( calumniator) als Brandmal eingedrückt wurde, oder wenn er behauptete, Bergasse habe ihm nie vergeben, daß er gegen den Mesmerismus Partei ergriffen.

Das Gericht sprach wohl, nach einer glänzenden, mehrstündigen Rede des Generalprokurators, Kornmann und Bergasse schuldig. Allein einmal galt es, mit diesem Rechtsspruch das alte Polizeiregiment Le Noirs zu decken und zu rächen, und zweitens verurteilte man die Angeklagten nur zu kleinen Geldstrafen, mit dem Verbot, künftighin Pamphlete dieser Art zu schreiben, zugleich wurde aber auch die Vernichtung der ehrenrührigen Mémoires von Beaumarchais ausgesprochen. Unser Held empfand nach diesem fragwürdigen Sieg die Notwendigkeit, sich ein wenig von der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Elegisch oder weise schreibt er in seinem letzten Mémoire: »Diese Streitigkeiten vermögen den Frieden meines häuslichen Herdes nicht zu stören. Beglückt durch meine reizende Tochter, glücklich mit meinen alten Freunden, verlange ich nichts mehr von der Welt. Nachdem ich all meine strengen Pflichten als Sohn, Gatte, Vater, Freund, als Mensch und braver Bürger erfüllt habe, hat mir dieser entsetzliche Prozeß zum mindesten ein Gutes beschieden, er hat mich gelehrt, meinen Kreis einzuengen, meine wahren Freunde von den falschen zu sondern.«

Und ein behagliches Sorgenfrei hatte Beaumarchais seit Jahr und Tag, größtenteils nach seinen eigenen phantastischen Plänen, erbauen lassen. Unbekümmert um Sonntagsruhe ließ er zum Verdruß des Pfarrers seines Sprengels unablässig schanzen. Schon zu Beginn des Prozesses warf ihm Bergasse vor, daß er mit gutgespielter Sorglosigkeit einen Palast aufführen lasse. Noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts erhob sich der stolze Bau, der mit seiner architektonischen und Gartenpracht Duverneys Lustsitz übertraf und von den Neugierigen, Parisern und Fremden, als Sehenswürdigkeit besucht wurde. Die luxuriös ausgestatteten Prunkgemächer glichen wahren Kunstsammlungen; Beaumarchais' reich bemalter Schreibtisch allein soll 30 000 Franken gekostet haben. Im Garten waren Lauben und Rasenplätze mit Büsten seiner Lieben geschmückt. Dort und da stellte sich der Hausherr auch mit Sinnsprüchen und Denkversen ein: Amor wurde poetisch verherrlicht, ebenso Plato, Paris Duverney, Voltaire. Ein kuppelförmiges Lusthaus auf der Höhe des Gartens trug auf dem Knauf eine Erdkugel, deren Pol eine goldene Feder durchbohrte. All diese Anlagen waren so prächtig, daß Napoleon sie kurzweg eine folie nannte. Privatmänner, auch wenn sie Millionäre waren, hatten nach der Ansicht des Imperators kein Recht, ihr Hauswesen auf fürstlichem Fuß einzurichten. Fürs erste aber freute sich Beaumarchais seines behaglichen Ruhesitzes, lud seine Nächsten oft und gerne zu sich, gab Feste zu Ehren seiner geliebten Tochter Eugenie, die er in fröhlichen »gallischen Rundgesängen« hochleben ließ. Der Rasen scheint ihm frischer begrünt, die Blütenpracht farbenbunter, da sein Herzenskind aus dem Kloster heimkehrt; sie soll Königin im Hause, freie Herrin ihrer Wahl sein, was verschlägt weiter das Vermögen des künftigen Bräutigams? Mag er Richter, Mann der Feder, Soldat sein, hat er nur Geist, Charakter, hellen Verstand, dann soll er in seinem Haus willkommen sein.

Nicht allzulange sollte Beaumarchais sich dieses Stillebens erfreuen. Vor seinem Park, als dem nächsten und besten Aussichtsort, standen Theaterdamen, unter ihnen die erste Darstellerin der Suzanne, Frl. Contat, als Zuschauerinnen des Bastillesturmes, den sie neugierig, wie ein Stiergefecht oder ein verhängnisvoll endendes Feuerwerk, betrachteten. Und vom ersten Tag der Revolution an hat Beaumarchais sich und sein Haus gegen Anfechtungen ernstester Art zu schützen. Sein Unverstand erleichtert der Gehässigkeit ihr dunkles Werk. Nur mit Müh und Not rettet er Leib und Leben; jahrelang irrt und darbt er in der Verbannung. Als er heimkehrt, ist der größte Teil seiner Habe verloren. Nach seinem Tode müssen seine Angehörigen ungezählte Prozesse ausfechten, die, wie die Geister der Hunnenschlacht, die Leiche des Gefallenen umkreisen; seine Erben müssen den heute längst verschwundenen Feenpalast verlassen, den Sainte-Beuve noch sah und anfangs der dreißiger Jahre auch ein deutscher Wanderer heimsuchte, Ludwig Börne:

»Als ich« – so heißt es im 101. Brief aus Paris – »gestern über den Boulevard Saint-Antoine, der jetzt Boulevard Beaumarchais heißt, spazieren ging, sah ich mir genau drei Häuser an, die nicht weit voneinander liegen. In diesen Häusern wohnten einst berühmte Menschen. Jetzt wird in allen drei gemeine Krämerei getrieben. In dem ersten Haus hat Cagliostro gewohnt. Das andere Haus gehörte einst der Ninon de l'Enclos. Das dritte Haus war das von Beaumarchais. Dieses suchte ich eigentlich auf, die anderen sah ich nur im Vorübergehen. Ich hatte eine Wallfahrt dahin gelobt, als ich einige Tage vorher im Théâtre français Figaros Hochzeit gesehen. Das Haus liegt oder lag vielmehr am Ende des Boulevards und am Eingang der Vorstadt St. Antoine, sehr bezeichnend als Grenze zwischen Monarchie und Republik, wie Beaumarchais selbst eine war. Das Haus, der Garten, einst zu den Merkwürdigkeiten von Paris gehörend, die jeder Fremde zu sehen eilte, sind verschwunden. Nur die Gartenmauern stehen noch, hoch, mit Fratzenmäulern zum Abfluß des Wassers versehen; es scheint, der Garten lag auf einer Terrasse. Auch noch ein Lusthäuschen hat sich erhalten, von launischer Bauart, einen reichen Besitzer verratend. Ich trat in den geräumigen Hof. Dieser umschließt jetzt ein neues Gebäude, zur Salzniederlage bestimmt. Salz – Beaumarchais – es ist ein Erbe, das seiner nicht ganz unwürdig ist. Beaumarchais gehörte zum Salze seiner Zeit.«

18. »Die schuldige Mutter« und die » Six Époques«

Nun erfindet man Lügen auf mich und will mich verklagen;
Doch ich verfechte mein Recht – – – – – – – – – – –
– – – – – – – reis' umher durch Länder und Reiche,
Suche die Schätze zu schaffen und sollt' ich mein Leben verlieren.

Reineke Fuchs: Neunter Gesang.

Beaumarchais' Haltung während der Revolutionsstürme erscheint mir immer wieder als die Lösung der nicht bloß als Schulfrage von Monarchisten und Republikanern erörterten Kontroverse, wie wohl Voltaire die ungeheure Umwälzung ausgenommen, wenn er sie überhaupt überlebt hätte? Ich meine, weder mit unbedingter Begeisterung, noch mit ungemessenem Haß; er würde sich mit den gegebenen neuen Verhältnissen abgefunden und die neuen Gewalthaber ebenso eifrig umschmeichelt haben, wie zuvor die Pompadour, Choiseul, Maupeou, Turgot, kurz jeden, der ihm in seinen literarischen und finanziellen Unternehmungen von Vorteil werden konnte. Der Enthusiasmus, der zu Beginn der Bewegung alle weltbürgerlich Gesinnten, selbst außerhalb Frankreichs erfaßte, war Beaumarchais' Sache nicht. So nahm er auch die Greuel und Frevel der Schreckenszeit nicht mit der pathetischen Entrüstung eines Schiller auf. Von Anfang an haftete der Fluch des Reichtums, das Verhängnis der Verleumdung auf ihm. Alte Neider, die Getreuen Kornmanns und die Gläubigen Bergasses, streuten aus, daß Beaumarchais. in seinen weitläufigen Kellereien Getreide aufgespeichert, um Kornwucher zu treiben; daß geheime Gänge aus seinem Palast nach der Bastille führten; daß er dem vom Pöbel bald darauf ermordeten Flesselles 12 000 Flinten versprochen habe; daß er es mit den großen Staatsverrätern halte; daß man sein Haus deshalb plündern und nachher in Brand stecken solle etc. Die Aufregung wuchs dermaßen, daß der ehemalige Polizeileutnant Le Noir floh, er war seines Lebens in Paris nicht mehr sicher. Auch die Freunde Beaumarchais' drangen in ihn, Paris oder doch wenigstens seinen Palast zu verlassen; er folgte ihren Ratschlägen nicht, er tat seine Bürgerpflicht. Als er am Tag des Bastillensturmes mit anderen Kommissaren an einer Sitzung teilnahm, um die neue Steuereinhebung vorzubereiten, stürzte ein Bote mit der Meldung ins Zimmer, an die 2000 hätten seinen Garten gestürmt und seien drauf und dran, auch sein Haus zu plündern. Beaumarchais blieb, rasch gefaßt, vorerst im sicheren Kreise der Schätzungskommission. Und seine Kaltblütigkeit machte damals solchen Eindruck auf die Bürgerwehr, daß sofort an die 400 Mann ausrückten und Ordnung schafften. Allerdings hielt es Beaumarchais für geboten, durch eine ausgiebige Spende, 12 000 Livres, die hungernden Arbeiter von Saint-Antoine zu beschwichtigen und den Wachen in seinem Viertel doppelte Löhnung anzuweisen. Zugleich bat er die Gemeindebehörde, sein Haus zu untersuchen und öffentlich zu bestätigen, daß weder Waffen noch Brot in seinen Speichern und Kellern zu finden seien. Er hatte seine liebe Not, seinen Willen durchzusetzen, denn seine weitläufigen Geschäftsbureaux waren im Holländischen Hof, der Rue du Temple, sein Palast aber in der Vorstadt gelegen und die Gemeindevertretungen wollten am wenigsten ihm zu Gefallen einander ins Gehege kommen. Endlich erhielt er sein Wohlverhaltungszeugnis, das er sogleich durch Maueranschlag bekannt geben ließ. In der ersten Freude widmete er 1200 Franken zu dem Zweck, alljährlich am Tage des Bastillensturmes ein Liebespaar aus dem Volke trauen zu lassen. Seine Vielgeschäftigkeit und Gewandtheit empfahl ihn zum Wahlmann und Gemeinderat. Doch gerade diese volkstümliche Auszeichnung brachte ihm neue Verdrießlichkeiten. Neue Pamphlete liefen gegen ihn um. Ein wohlmeinender Gemeinderat teilte ihm mit, daß ein Herr Morel erklärt habe, er wolle schlechterdings nicht mit ihm in derselben Kommission sitzen. Und als Beaumarchais Morel zur Rede stellte, hatte das nur die Folge, daß ein dritter, ihm unbekannter Kollege in offener Sitzung die Beschwerde erhob, Beaumarchais suche die Gemeindevertreter durch Herausforderung zum Zweikampf einzuschüchtern und dergleichen mehr. Die bösen Zungen waren so geschäftig, daß der Gemeindeausschuß trotz Beaumarchais' Einsprache beschloß, er habe sich so lange von den Verhandlungen fernzuhalten, bis er sich von allen Anklagen gereinigt habe. Nun verlangte unser Held nichts sehnlicher, als sich verteidigen zu dürfen. Aber 14 Tage oder, wie er in alter Liebhaberei berechnet, 21 600 Minuten, vergingen, ohne daß man ihm irgendwie Gehör gab. Endlich ließ er eine gedruckte Schutzschrift: Requête à la Commune erscheinen, in welcher er alte und neue Rechtstitel für sich geltend machte.

Er biete jedem Tausende, der ihm beweisen wolle und könne, daß er andere Gewehre als Jagdflinten habe, daß er es mit Flesselles oder den Aristokraten halte. Und nun rollte er das Bild seines Lebens und seiner Verdienste auf, er schilderte alle Prozesse, in die er (stets ohne sein Verschulden!) verstrickt wurde; er gedachte seiner Beziehungen zu Conti, seiner Haltung den Amerikanern und den Parlamenten gegenüber; er berief sich darauf, daß er seit einem Jahrzehnt in voller Ungnade bei Hofe sei; er will im Hohenpriester des »Tarare« den Staatsminister Kardinal Brienne angegriffen und in seinen Versen die Elemente der Menschenrechte vorherverkündet haben, wie er zuvor im »Tollen Tag« den Großen die Wahrheit gesagt; er rühmt seine Bemühungen für die Sache der Protestanten und er erzählt, wie er den in spanischem Inquisitionskerker gefangenen Juden Pereira als in Bordeaux geborenen Franzosen mit dem Einsatz seines ganzen Einflusses bei den Ministern und dem Aufgebot ansehnlicher eigener Geldmittel befreit habe. Er antwortet auf die immer wiederkehrenden Anwürfe, daß er die Amerikaner als Lieferant betrogen habe, mit einer Apostrophe Lafayettes, dem er bei seinen Heldentaten in der neuen Welt mit all seinen Kräften beigestanden (in Privatbriefen versicherte Beaumarchais, er habe den Marquis aus den Händen der Wucherer befreit, die er seinerzeit in Philadelphia-Jerusalem wiedergefunden). Ein Drittel seines Vermögens sei im Besitz der Armen und seiner Schuldner; er heischt von seinen Mitbürgern nur Gerechtigkeit; denn in dieser schrecklichen Anarchie, während des entsetzlichen Überganges von dem Gesetz, das man zerstört hat, zu dem Gesetz, das erst geschaffen werden soll, weiß er nicht, bei wem er seine Klage anbringen soll; er beschwört seine Genossen im Gemeinderate, Sieyès' bitteres Wort zu beherzigen: wie wollt Ihr frei sein, wenn Ihr nicht gerecht sein könnt? So vielen beweglichen Worten reiht er als Beweismittel Drohbriefe an, die er erhalten; dieselben sind auf die Rückseite von Todesanzeigen geschrieben, Kernflüche, in welchen ihm angekündigt wird, er werde der Volkswut zum Opfer fallen, er solle einer fürchterlicheren Hinrichtung gewärtig sein als gemeinen Aufhenkens am Laternenpfahl.

Endlich beraumt ihm die Kommune eine Frist zur Vernehmung an. Sowie man ihn zu Wort kommen läßt, hat er bei seiner Zungen- und Schlagfertigkeit gewonnene Sache. Anderthalb Stunden spricht er aus dem Stegreif, vorläufig mit dem glänzendsten Erfolg, denn einmütig nehmen ihn die Gemeindeausschüsse wieder in ihrer Mitte auf. Es war die einzige öffentliche Stelle, die ihm überhaupt zufiel. Er hielt sich auch, wie Gudin mit Nachdruck hervorhebt, von allen Klubs und Versammlungen fern, vielleicht nur, weil man von ihm in diesen Kreisen und Zeitläuften nicht viel wissen mochte.

Ein theatralischer Zug seines Wesens trieb ihn aber immer wieder zu neuen öffentlichen Kundgebungen, und der Festkalender der neuen Staatsordnung gab ihm Anlaß zu zahlreichen Anregungen und Veranstaltungen: nichts naheliegender und einträglicher, als »Tarare«, den neuen Verhältnissen angepaßt, mit einem Schlußakt, der Krönung eines konstitutionellen Königs, aufzutischen. Salieri, dessen Oper damals gerade, allerdings im Text gehörig umgearbeitet, unter dem Titel »Axur« als Festspiel am Hofe Kaiser Josephs gegeben wurde, war von Beaumarchais leicht für sein Vorhaben zu gewinnen. In einem enthusiastischen Brief schildert er ihm die allgemeine Freude, die am Vorabend des ersten Jahrestages der Zerstörung der Bastille von den Montmorencys bis zu dem letzten Kohlenträger alle erfaßt hat. Ebenso voll eingelebt in die neuen Zustände gibt er sich dem Maire von Paris, Bailly, gegenüber, dem er, Pierre Augustin Garen cy-devant Beaumarchais, ein Prachtexemplar des Couronnement de Tarare zueignet, am Tag der ersten Aufführung dieses Nachspiels, das gar kein dichterisches, immerhin aber kulturgeschichtliches Interesse darbietet. Unter den Klängen eines Festmarsches ziehen in dieser Krönung von Beaumarchais' Gnaden Soldaten vorauf; vier Mitglieder der Volksvertretung, ein Soldat, ein Priester, ein Bürger und ein Bauer, folgen mit dem Altar der Freiheit; andere tragen das Buch des Gesetzes, andere Zepter und Richtschwert. Tarare erläßt sogleich neue Gesetze: er hebt den Zölibat auf und führt Scheidungsfreiheit ein; alle Negersklaven werden frei erklärt u. dgl. m. Der Erfolg war durchschlagend. Die Einnahme – es ist das erste, was Beaumarchais Salieri meldet – betrug 6540 Livres, während bei anderen Opern höchstens 5–600 eingingen. Catalogue d'autographes (Collection L. de Loménie). Paris, Charavay, 1883, Nr. 12. Brief Beaumarchais' an Bailly 27. Juli 1789. – Sainte-Beuve (VI, 257. 258) hält diese Auslobungen ( Requête 71–73) für Züge des Parvenütums in Beaumarchais: allein Beaumarchais beruft sich auf den Grafen von Parois als sein Urbild. – Motion faite par P. A. Caron de Beaumarchais pour aller au devant du convoi de Voltaire (9. Mai 1791).

Und einen pomphaften Aufzug auf offener Straße will er im Mai des nächsten Jahres ins Werk setzen, als Voltaires sterbliche Hülle von Romilly nach Paris überführt werden soll. In einem Flugblatt veröffentlicht Beaumarchais die Anträge, welche er in der Gesellschaft der Dramatiker gestellt hat. Er gedenkt aller Gefahren, die er für Voltaire bestanden, aller Verdienste, die er um ihn erworben; alle Verluste, die er bei der Kehler Ausgabe erlitten, bedauere er nicht. »Konnte ich ihm doch alles zu Gefallen tun, was er von mir erwartete. Als er mich kurze Zeit vor seinem Tode in Paris umarmte, sagte er mir unter Tränen: Mein Freund! Meine einzige Hoffnung ist auf Sie gesetzt, Worte, die ich erst dann vollständig begriff, als die Aufgabe an mich herantrat, die Oeuvres complètes drucken und in Frankreich verbreiten zu lassen.« So hält er sich für vollberechtigt, vorzuschlagen, daß bei der feierlichen Übertragung der Leiche in das Pantheon die – Kehler Ausgabe, siebzig Bände stark, dem versammelten Volke vor Augen geführt werde; daß sechs Mitglieder der Société des auteurs dramatiques die Leiche aus Romilly abholen und alle dem Sarg in Paris voranschreiten etc. etc.

Und er begnügte sich nicht damit, den Festzug auf das Theater und das Theater auf die offene Straße zu verlegen. Er wollte, allerdings ohne selbst damit hervorzutreten, das alte Vorhaben, die Tyrannei der Comédie française durch Konkurrenzbühnen zu brechen, verwirklichen. Die neue Theaterfreiheit gab ihm Anlaß, ein neues Schauspielhaus zu begründen und zu unterhalten, denn obgleich er offiziell in Abrede stellte, daß er ein eigenes Theater besitze und den Untergang der Comédie française herbeiführen wolle, wissen wir heute aktenmäßig aus seinen eigenen Kassa- und Haushaltungsbüchern, daß er das Théâtre du Marais durchwegs von Leuten seiner Wahl leiten, mit Darstellern und Stücken seiner Wahl arbeiten ließ. Auf dieser Bühne, die mit Pirons Métromanie eröffnet wurde, brachte Beaumarchais »Eugenie«, »Die beiden Freunde«, den »Barbier« und seinen den tollen Jahren angepaßten »Tollen Tag« zur Aufführung. Vgl. Beaumarchais' Brief an den Moniteur 1791, Nr. 343 vom 9. Dez. Die Geschichte des Théâtre du Marais au XVIIIe siècle hat F. de Marescot in einem Artikel der (rasch verschwundenen) Revue: Le théâtre, Paris, Dezember 1874, Librairie de l'Echo de la Sorbonne, S. 14–18, gegeben.

Eine neue Szene, in der Beaumarchais am 22. Januar 1792 in höhnischen Wechselreden zwischen Figaro, Bridoison und Bartolo die jüngste Pariser Modenarrheit, ein in 25 000 Stücken auf den Markt geworfenes, » Émigrette« getauftes Roulettespiel hechelte, wurde von verständnislosen Theatergängern und böswilligen Kritikern mißliebig aufgenommen. Die Chronique de Paris warf sich zum Anwalt Beaumarchais' auf, der gute Gründe gehabt habe, sich gegen die Frevler zu wenden, die mit bewaffneter Hand das Vaterland beständig bedrohen und nur von Galgen und Henkern sprächen. Beaumarchais dankt (in einem bei der Durchforschung der Pariser Zeitungen jener Tage von dem Historiker Aulard aufgefundenen Briefe) den Herausgebern der Chronique de Paris für ihre Parteinahme: Ankläger und Verteidiger – so fährt er fort – wüßten nicht, worum es sich gehandelt habe. Der Sachverhalt sei folgender. Er habe es satt gehabt, überall, wo vier Leute von gesundem Menschenverstand über ernste Dinge reden, unversehens einen fünften sein Spielchen mit der Roulette » Émigrette« treiben zu sehen. »Eine neue Manie, die uns Franzosen den Anschein der Nichtigkeit gibt, eine Manie, über die man in allen Breitegraden von Straßburg bis Petersburg sich lustig macht. Ich aber, der keine wie immer gearteten Albernheiten sieht, ohne mich für berechtigt zu halten, als dramatischer Autor (und wer sagt Auteur, sagt zugleich Oseur) Alarm zu schlagen, war der Ansicht, daß mein Recht zu Wagestücken sich auch auf Angriffe gegen diese jetzige Dummheit erstrecke. Da nun der Autor in Figaros Hochzeit einen ernsthaften Bridoison auftreten ließ, der beiläufig einen Emigrette-Roulette-Spieler vorstellen könnte, glaubte ich mich seiner bedienen zu dürfen, um tändelnd die Torheit und Lächerlichkeit dieser ewigen » roulerie« zum besten zu haben.« In seiner (von Beaumarchais in der Chronique de Paris wortwörtlich mitgeteilten) »Einlage« glaubt er, mit allem schuldigen Respekt vor anderen, ihn begeifernden Blättern weder »grausam« noch »trivial« gewesen zu sein, sondern seinen zerstreuten Mitbürgern bloß leicht angedeutet zu haben, daß diese unbarmherzigen » Rouliers« sie zur Fabel von Europa machen: »was soll man von einem Volke sagen, das seine Zeit mit »Emigrette«-Spielereien vertut, während Verfassungsfragen auf dem Spiele stehen? Bei der Aufführung haben auf das erste Wort von » Émigrette« ein paar gereizte »Rouleurs« die Tragweite dieser Neckerei geahnt. Inde irae. Gemurre, Oho-Rufe und wüstes Geschrei brachten die Schauspieler in Verwirrung, die rasch im neuen Text abbrachen; man wußte somit gar nicht, was sie eigentlich hätten sagen sollen; ein Grund mehr, daß man mich des Mangels an Bürgersinn, der Grausamkeit und Einfältigkeit zeiht. Weiterhin: Rumor in (den Kramläden des) Palais-Royal: der Anschlag, mein Stück zu unterbrechen, wenn ich nochmals die Verwegenheit haben sollte, von der »Émigrette Aulard sind die Mitteilungen über die Émigrette und S. 458 über das angebliche Ministerprojekt zu danken. Über Beaumarchais' Waffenlieferung denkt er sehr skeptisch.« zu reden. Ein Roulettespieler sagte sogar ernsthaft zu den andern: »I–i–ich (Beaumarchais parodiert diesen Phantasiegegner als stammelnden Bridoison) sehe, um was es sich handelt. Während er das Emigrettespiel einen Augenblick in Mißkredit bringt, wird der Preis des Spieles überall fa…a…allen. Der Autor wird dann alle Roulettespiele kau…au…fen, um sie uns dann wieder zu verkaufen, so teuer er nur will: denn be…kanntlich wuchert er mit Waffen und Waren aller Art. – Die erschrockenen Schauspieler baten mich nach diesem Lärmen, die vier Worte über die Émigrette zu opfern. Ich habe ihnen das lächelnd gestattet.«

Die Nutzanwendung, die Beaumarchais aus dem Zwischenfall zieht, lautet: »Als ich das Stück schrieb, wollten seinerzeit alle Tröpfe, die ich kritisierte, alles kurz und klein schlagen. Damals aber glaubte ein einzelner nicht das Recht zu haben, unsere Schauspiele derart zu stören, wenn er seine Schwächen im Leuchtspiegel des Theaters erblickte. Soll man denn nur bedeutungslose Dinge machen? oder« – fragt er diesmal als ahnungsloser Prophet kommender theatralischer und wirklicher Greuelszenen – »unsere Schauspielhäuser zur Arena von Gladiatorenkämpfen werden sehen?«

Die Zeiten hatten sich gewandelt. Nur hatte nicht, wie 1784 bei der Uraufführung der » folle journée«, der Dichter des »Figaro« das erste Wort und die jauchzende Zustimmung der atemlos lauschenden Aristokraten und Bürgerschaft; jetzt regten sich die ersten Anzeichen jener furchtbaren Abende des Théâtre de la révolution, an denen Plebejer und Jakobiner gegen Dramatiker und Darsteller Faustrecht gebrauchten, wie sie während der Schreckenszeit doppelt und dreifach außerhalb der Bühnen Standrecht übten gegen Verdächtige und Geächtete ohne Unterschied des Standes, des Ansehens und der Person.

So weit waren die Dinge noch nicht gediehen, als endlich (26. Juni 1792) das Schlußstück der Figaro-Trilogie »Die schuldige Mutter« zur Aufführung kam. Der Schauplatz des Stückes ist – Paris und die Reise nach Frankreich hat dem Lebensbund Rosinens und Almavivas noch schlechter bekommen, als die zwischen dem »Barbier von Sevilla« und der »Hochzeit des Figaro« vollzogene Übersiedelung von Sevilla nach dem Lustsitz des Grafen, Aguas frescas. Nach den Erlebnissen der » folle journée« ist Almaviva als Gouverneur nach den spanischen Kolonien gegangen. Während seiner Abwesenheit hat die Gräfin einer feurigen Liebeswerbung Cherubins nicht widerstehen können. Der Graf anerkennt ihren Sohn wohl vor der Welt, nicht aber Rosinen gegenüber als sein Kind. Die einst so zärtlich füreinander schwärmenden Liebesleute sind einander vollkommen entfremdet, und einer der schlimmsten Theaterbösewichter, ein Tartuffe de probité – Bégearss! so kindlich rächte sich Beaumarchais an Bergasse! – hat teuflische Pläne ausgeheckt, um sein Glück auf den Ruin der beiden zu begründen. Als Offizier hat dieser Irländer dem tödlich verwundeten Cherubin auf dem Schlachtfeld die Augen zugedrückt; der Sterbende hat Bégearß eine letzte Botschaft an die Geliebte aufgetragen und damit das Geheimnis Rosinens enthüllt. Bégearß drängt sich nun in das Vertrauen der Gräfin; zugleich aber weiß er durch tückische Machenschaften Almaviva die volle, bisher nur geahnte Wahrheit zu offenbaren. Sein Plan, als er die beiden nach Paris lockte, war höchst verwickelt. Einmal hoffte er solcherart Almaviva in Madrid durch aufgefangene und gefälschte Briefschaften bei Hofe unmöglich zu machen; weiter aber den Grafen zu der in Frankreich neuerdings gestatteten Scheidung zu bestimmen; endlich ein junges, schönes Kind, Florestine, das als Pflegetochter im Hause Almavivas lebt und mit Leon eines Herzens und eines Sinnes ist, zu heiraten. Bégearß weiß nämlich den beiden jungen Leuten einzureden, daß sie – Geschwister sind (Florestine ist die uneheliche Tochter Almavivas) und all seine Anschläge sind dem Gelingen nahe. Er hat Almavivas Vermögen und Ehre, die schöne unglückliche Braut und die Geschicke Leons und der Gräfin in seiner Gewalt, als mit eins Figaro, der treffliche Minierer, die volle Niedertracht dieses Tartuffe des mœurs auskundschaftet und beweist, Bégearß sei ein Höllenhund, ein Tugendgleißner, der Gatte einer ehrlos verlassenen Irin, ein Angeber, Falschspieler, Betrüger, steckbrieflich verfolgter Verbrecher, dem der gräfliche Haushofmeister im letzten Augenblick mit soviel Tatkraft als moralischer Entrüstung Geld und Braut abjagt. Der Schurke muß in ohnmächtigem Grimme das Haus des Grafen verlassen. Almaviva und Rosine legen versöhnt die Hände ihrer beiden unehelichen, nach Beaumarchais' Ansicht durch keinerlei impedimentum affinitatis gehinderten Kinder als Brautleute ineinander.

Der Dramenschmied der »Eugénie« ist hier zum alltäglichen Melodramatiker herabgesunken. Der abgefeimte » traître«, diese stehende Maske des neueren Verbrecher- und Boulevardstückes hat in Bégearß – Figaro gibt ihm die herkömmlichen Ehrennamen serpent, basilisque etc. – seinen Stammvater gefunden; Figaro ist ein sehr sittlicher, aber höchst witzloser Moralist geworden; Almaviva, Rosine und Susanne sind nicht wiederzuerkennen. L. F. Huber, der deutsche Bearbeiter der »Schuldigen Mutter«, urteilte allerdings milder; er verglich das Stück mit Kotzebues »Menschenhaß und Reue«. Heute spricht Sainte-Beuve jedem Stimmfähigen aus dem Herzen mit der Bemerkung, wenn man von Beaumarchais' Theater redet, sollte man immer nur den »Barbier« und den »Tollen Tag« im Auge behalten; das andere sei in künstlerischer Beziehung nicht der Rede wert. Für den Historiker freilich ist die eine und die andere Einzelheit für die Zeitgeschichte jener Tage von Interesse. So der Kultus, der mit Washington getrieben wird (die Büste des amerikanischen Helden durfte auf deutschen Bühnen so wenig stehen bleiben wie die Klub-Tiraden Leons etc.). Vgl. L. F. Hubers Verdeutschung: »Tartuffe der Zweite oder die schuldige Mutter« (Leipzig, 1795), Vorwort und Zensur-Änderungen.

Für den Biographen ist auch diesmal das Vorwort von besonderem Werte. Der Autor will in drei aufeinander folgenden Aufführungen den Familienroman des Hauses Almaviva auf die Bühne gebracht wissen. Nachdem wir am ersten Abend an der stürmischen Jugend des Grafen uns ergötzt haben, die beiläufig unser aller Jugend gleicht, und am zweiten Abend die Fehler seines Mannesalters lustig dargestellt sehen, die wiederum nur allzuoft die unsrigen sind, sollen wir uns am dritten davon überzeugen, daß jeder Mensch, der nicht geradezu als verderbtes Scheusal auf die Welt gekommen, zuletzt, in dem Maße als die Leidenschaften schwinden, seine gute Urnatur zum Durchbruch kommen läßt, vor allem, wenn er das Glück genossen, Vater zu sein. Beaumarchais spricht hier pro domo, er denkt an seine Tochter Eugenie und an sein Selbstporträt. Daß nach den Angriffen von Bergasse ein ungestillter Drang nach Vergeltung in ihm tobte, dürfen wir ihm ohne weiteres glauben. Er gesteht das nicht ausdrücklich zu, aber die erneuten Hinweise auf Orgon-Tartuffe sprechen deutlich genug. Grundfalsch ist es dagegen, wenn er behauptet, die beiden ersten spanischen Komödien (Barbier und Figaros Hochzeit) seien nur geschrieben worden, um die Mère coupable vorzubereiten. Vgl. die Briefe Beaumarchais' an Madame Houret, nach den Originalen im British Museum, teilweise bei Fournier 768–770.

Erstaunlicherweise war übrigens die Mère coupable nahe daran, wie der »Barbier« und »Die Hochzeit des Figaro« in eine Oper umgewandelt zu werden. Grétry bat Beaumarchais, einige Szenen zu reimen: »ich bürge Ihnen dafür, daß man, wenn Sie meinem Verlangen entsprechen, eines Tages ebensoviel vom Grimm des Grafen Almavivas, wie vom Zorn des Achilles reden wird. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß Musik niemals besser am Platz ist und mehr Wirkung macht als wenn sie selten ist.« Wenn Beaumarchais seinem Stücke zwölf bis fünfzehn entscheidende Musiknummern der verschiedensten Gattungen beigeben lassen wolle, würde die Mère coupable mindestens hundert Aufführungen in ununterbrochener Folge erleben und Grétry Kompositionen zu einem seiner würdigen Meisterwerke schaffen. Es blieb bei der Anregung.

Beaumarchais selbst mahnte zu milder Würdigung seiner Absichten: er habe, wie Diderot von Richardson rühmte, der Maler des menschlichen Herzens sein wollen. Sollte dieser Versuch trotzdem schwach oder verfehlt sein, so beschwört er seine Mitbürger, ihn zu kritisieren, ohne ihn persönlich zu beleidigen. »Als ich meine anderen Stücke schrieb, beschimpfte man mich, weil ich es gewagt, Figaro auf die Bretter zu bringen, den Ihr seitdem lieb gewonnen. Ich war damals jung und lachte zu all den Angriffen. Wenn man alt und älter wird, umdüstert sich aber unser Geist und Charakter. Ich kann nicht dagegen an, ich lache nicht mehr, wenn ein Schelm oder Schurke mich selbst statt meiner Werke anfeindet …«

Man begreift die wachsende Sorge und Verstimmung Beaumarchais'. Manuel, der Prokurator der Republik, beschuldigte ihn öffentlich, seiner Steuerpflicht nicht zu genügen, und obwohl der Angegriffene in einem ungemein höhnischen, mit persönlichen Sarkasmen überwürzten offenen Sendschreiben sich darauf berief, seit Ausbruch der Revolution über 100 000 Franken an Steuern, Spenden und Liebesgaben aufgewendet zu haben, wuchs die Gehässigkeit der Massen immer mehr gegen ihn und sein Besitztum. Die größte Gefahr bereitete ihm aber sein eigener Dämon. Eine Handelsoperation brachte ihn ins Gefängnis und dem Tode nahe. In einer weitwendigen Geschichte »der neun peinlichsten Monate seines Lebens« hat er fast wie in einem Tagebuch ausgezeichnet, wie er und andere Unheil und Verbannung auf ihn herabbeschworen haben. Arch. des affaires étrang. Hollande 583. Pièces just. XXVI. Œuvres V, 410 N. 1.

Anfangs März 1792 sprach ein Brüsseler Buchhändler, Mr. de la Haye, der mit Beaumarchais als Herausgeber Voltaires in Geschäftsbeziehung gestanden, bei ihm vor mit der Bitte, ihm 60–200 000 Flinten für die republikanischen Heere abzunehmen. Denn »obwohl ich,« so versichert unser Held, »nach allen Lebensmühen mir eine kleine Erholungspause bis zum Tode gönnen wollte und infolgedessen seit Jahren alle Projekte und Anträge abwies, kamen nach altem Brauch doch alle in mein ehemaliges Arbeits- und jetziges Ruhestübchen.« So prüfte der Rastlose »Vorschläge zur Hebung des Verkehrs auf der Landenge von Suez«; »Memoires zur Anpflanzung von Rhabarber«; »Projekte für eine neue Seinebrücke in nächster Nähe des Beaumarchaisschen Palastes«; »Anleihen für den nachmaligen Herzog von Orleans«; »Finanzpläne und Staatslotterien«; »die Ausbeutung von Torfstichen als Brennmaterial«; »die praktische Verwertung des Luftballons«. Allen geldbedürftigen Erfindern, allen darbenden Glücksrittern galt Beaumarchais als Nothelfer. So spielte er in den siebziger und achtziger Jahren des 18. Säkulums beiläufig dieselbe Rolle, wie im neunzehnten ein ihm vielfach verwandter Zeitungsindustrieller, dessen phantastische Stellung als vermeintlicher Allerweltsretter Alphonse Daudet in der reizenden Skizze » Les 100 000 Francs de Mr. de Girardin« vergegenwärtigt hat.

Beaumarchais will anfangs den Antrag, Flinten zu kaufen, abgewiesen haben. Gudin gab ihm auch den weisen Rat, daß man in Kriegs- und Revolutionszeiten mit allem eher, als mit Brot und Waffen Handel treiben solle. Andere Freunde, allen voran vermutlich sein ehemaliges Alter ego in Kehl, De La Hogue, trieben ihn jedoch an, sich dieser in Belgien eingelagerten Flinten zu bemächtigen, die dem Brüsseler Buchhändler als Gnadengeschenk Leopolds II. für seine kaisertreue Haltung während der letzten Unruhen zugefallen waren. Beaumarchais gab endlich nach und verhandelte mit dem Kriegsminister de Graves (er erzählte später, daß er in neun Monaten mit vierzehn Ministern zu schaffen gehabt) und nach weitwendigen Mäkeleien einigte sich Beaumarchais endlich mit dem Buchhändler dahin, daß dieser die Gewehre niemals einem Feind Frankreichs verkaufen dürfe, während unser Held nur gegen ein starkes Reugeld von dem Vertrag zurücktreten könne. Mit dem Minister aber kam er dahin überein, daß er bei richtiger Lieferung für je ein Gewehr 30 Franken in Assignaten erhalten würde. Das Ministerium gab ihm eine vorläufige Deckung von 500 000 Franken in Assignaten. Beaumarchais erlegte dagegen als Sicherstellung 750 000 Franken in Genfer Leibrenten an die Staatskasse. Und De La Hogue ging als sein Vollmachtträger, zugleich auch mit Depeschen des Ministers Dumouriez, nach Holland. Von Anfang an aber wollte Beaumarchais durch die Habsucht der Unterbeamten des Ministeriums in all seinen Plänen gehemmt worden sein. Als De La Hogue, brennend vor Diensteifer, denn man hatte dem ehemaligen Kriegskommissar eine militärische Auszeichnung verheißen, in Brüssel ankam, waren die dortigen Behörden bereits, wie Beaumarchais behauptet, durch neidische Konkurrenten und habsüchtige Ministerialbeamte, von allem benachrichtigt. Der bisher neutrale Staat erhob Schwierigkeiten gegen die Ausfuhr der Waffen, und als am 20. April, eine Woche nach Abschluß des Vertrages zwischen Beaumarchais und dem Ministerium, der Krieg zwischen den Niederlanden und Frankreich ausbrach, hoben endlose Verdrießlichkeiten an. Noch vor Beginn der Feindseligkeiten hatte die Admiralität von Middelburg – aus Dienstfertigkeit gegen den kaiserlichen Gesandten Graf Buol – erklärt, sie würde die Ausfuhr der Flinten nur unter der Bedingung gestatten, daß De La Hogue, bezw. Beaumarchais, den dreifachen Wert der Waffen als Kaution dafür erlege, daß diese Waffen nicht nach Frankreich gingen. Beaumarchais hörte kaum von dem Zwischenfall, als er auch schon die Admiralität mit einem großen Mémoire heimsuchte und die Pariser Minister Dumouriez, de Graves etc. in einem Tage mit fünf Briefen, Eingaben etc. bestürmte. Aber obwohl er zweimal im Tag den meilenweiten Weg vom Faubourg St. Antoine bis zum Quai d'Orsay macht, kann er die Minister fast nie zu Gesicht bekommen. Er beschwört Dumouriez, doch nicht zu den alten Gewohnheiten von Versailles zurückzukehren und durch Saumseligkeit die wichtigsten Angelegenheiten hinauszuschieben: vergebens. Die neuen Gewalthaber sind buchstäblich die »Viertags-Machthaber«, von welchen Figaro spricht. Die Zusagen, die sie geben, werden von ihren Nachfolgern nicht gehalten, die Aufträge von ihren Unterbeamten durch Chikanen hinausgeschoben oder gar nicht eingelöst. Als Beaumarchais anfangs Juni bei Dumouriez Audienz nehmen will, hört er, daß dieser Minister das Kriegsamt verlassen hat. »Ich will in die Bureaus gehen: alle Türen stehen offen, aber niemand ist in den weitläufigen Gemächern zu sehen. Unwillkürlich rufe ich in einer Bewegung, die ich nicht schildern kann: »Armes Frankreich! armes Frankreich!«

Am 17. Juli 1792 behauptete Camille Desmoulins in einer Versammlung sogar, daß an Stelle Dumouriez' Lajard zum Kriegsminister und als Nachfolger Rolands – Beaumarchais zum Minister des Innern von Ludwig XVI. ernannt worden sei. Eine Ausstreuung, die Beaumarchais' alter publizistischer Gegner Gorsas am 18. Juni 1792 in seinem Courrier mit bösartigen Zusätzen weiter trug. In Beaumarchais' Briefen und Schriften findet sich kein Wort für oder gegen die Richtigkeit dieses Geredes. Ein aktenmäßiger Beweis, daß Ludwig XVI. Beaumarchais auch nur als Eintags- oder Verlegenheits-Kandidaten auf eine seiner letzten Ministerlisten gesetzt, geschweige seine Ernennung vollzogen hat, liegt nicht vor. Gewiß ist nur, daß einem Todfeind Beaumarchais' das Gerücht Gelegenheit zu dem Ausfall gab: der Monarch will uns amüsieren, bevor er einen Hauptstreich führt. Minister des Innern soll Figaro, Barbier von Sevilla, der Senior aller Schelme werden. So ging mit halben Wahrheiten und ganzen Lügen die Hetze gegen ihn weiter.

In denselben Tagen denunziert ihn der Exkapuziner Chabot bei der Nationalversammlung, er habe 70 000 Flinten in Brabant gekauft und in Paris an einem »verdächtigen Orte« versteckt. Beaumarchais läßt sofort eine bissige Abfertigung drucken, in welcher er meint, Chabot müsse das Versteck der Flinten sicher kennen, da es »verdächtig« sei; er möge es sogleich bekannt geben, sonst sei der Kapuziner selbst verdächtiger als das Versteck. Im übrigen teilt er den wahren Sachverhalt mit und erklärt, er habe allerdings Flinten an einem sicheren Ort geborgen, das wären aber alles in allem nur zwei Stücke, und die lägen in dem Zimmer des Kriegsministers als Musterstücke. Diesmal hatte Beaumarchais noch die Lacher auf seiner Seite, und persönliche Gefahren ergaben sich fürs erste nicht aus dem Zwischenfall. Zunächst gestalten sich die Verhältnisse scheinbar sogar günstiger für Beaumarchais. De La Hogue kommt aus den Niederlanden nach Paris zurück, um der Regierung als vertrauter Kurier des Gesandten zu berichten, daß in den Niederlanden eine Fälscherbande Assignaten in Umlauf setze. Zugleich berichtet er, daß die feindlichen Mächte Beaumarchais jeden Preis für seine Gewehre bezahlen, andernfalls aber alles ins Werk setzen wollen, um die Ausfuhr der Waffen nach Frankreich zu verhindern. Die neuen Minister Chambonas und Lajard geben zu, daß der erste Vertrag zwischen Beaumarchais und dem Staate durch vis major aufgehoben sei. Sie wetteifern mit dem dreieinigen, diplomatischen, militärischen und Zwölferausschuß in mündlichen und schriftlichen Lobeserhebungen seines Patriotismus. Hat doch Beaumarchais ein Anerbieten von 12 fl. in Randdukaten für je eine Flinte mit dem Bedeuten abgelehnt, er wolle den Feinden des Vaterlandes keine Hilfe leisten. Ein neuer Vertrag kommt zustande. Dabei läßt sich Beaumarchais bestimmen, gegen eine Barzahlung von 200 000 Livres mit dem Rest seiner Forderung bis nach Ende des Krieges zu warten. Man verheißt ihm auch eine 15%ige Verzinsung seines Guthabens. Als er aber nach der allseitigen Unterzeichnung des neuen Vertrages die Einlösung der 200 000 Livres verlangt, überrumpelte ihn der Artillerieoffizier Vauchelle, einer der findigsten Unterhändler, die ihm je begegnet waren, mit einem Pfändungsgesuch auf 80 000 Franken, das ein sicherer Provins als angeblicher Gläubiger des Buchhändlers La Haye auf Beaumarchais' Forderung und Kautionsleistung eingebracht habe, und Beaumarchais war, wie der weltunkundige Sohn des Vicar of Wakefield von einem Roßtäuscher, um sein Geld geprellt. Alsbald geht es aber nicht bloß an sein Vermögen, sondern an Freiheit und Leben. In den furchtbaren Augusttagen wird im Faubourg St. Antoine die Losung laut, wie sollen wir uns verteidigen, wenn wir nur Piken haben? Beaumarchais hat 60 000 Gewehre in seinen Kellern. Auf! durchsuchen wir sein Haus und stecken wir es in Brand, wenn er schuldig ist!

Am 8. August erfuhr Beaumarchais von einem zuverlässigen Gewährsmann, dreißig Banditen hätten vor, in einer der nächsten Nächte ein paar Kerle in der Tracht von Nationalgardisten oder Föderierten zu ihm zu schicken. Wenn er auf deren Geheiß sein Haus öffnen würde, beabsichtigten die Bursche, statt nach verbotenen Waffen zu forschen, eine Rotte von Pikenmännern einzulassen, das Gesinde zu knebeln und von ihm Rechenschaft über 800 000 Franken Assignaten zu verlangen, die er angeblich aus dem Staatsschatz erhalten. Ein Brief, den der Geängstigte sogleich an den neuen Maire Pétion richtete, blieb unbeantwortet. Nachts gegen 11 Uhr rückte ein Volkshaufen heran, wie Beaumarchais, rasch von seiner ungemessenen Verherrlichung der Frauenwelt zurückgekommen, bemerkte, »aufgestachelt von den Megären der Canaille«. Wieder hatte das Gerücht Glauben gefunden, daß er in seinen Souterrains Waffen verborgen halte. Beaumarchais öffnete sämtliche Schränke, Laden, Zimmer und Kabinette; dann floh er durch den Garten. Der Ruf ertönt: »Er gibt Fersengeld!« und darauf machen sich die Weiber, tausendmal grausamer als die Männer, an seine Verfolgung. »Hätte ich keinen Vorsprung gehabt, sie hätten mich zerrissen. Und doch hatte ich nur durch Schwäche gefehlt, anstatt kaltblütig auf meinem Posten zu bleiben, wie ich selbst mir das vorgenommen. Liebes Kind! im Augenblick der größten Gefahr rät mir der richtige Instinkt, was ich vor allem zu tun habe. Diese Geistesgegenwart, meine gute, teure Tochter, muß man unablässig auf die Probe stellen und üben, um ihrer nötigenfalls vollkommen gewiß zu sein. Ja, vielleicht habe ich diesem Studium unbewußt die Fähigkeit zu danken gehabt, Lustspielpläne zu entwerfen, die nur meiner Unterhaltung dienten, während ich bei ernsten, allzuoft sich wiederholenden Anlässen dieser Selbstsicherheit meine Erhaltung zu danken gehabt habe.«

Während Beaumarchais sich solchen Betrachtungen überließ, durchforschten an die Dreißigtausend sieben Stunden lang jedes Winkelchen in seinem Hause vom Dachboden bis zum Keller. Sie fanden nichts Verdächtiges und nahmen nicht die kleinste Kleinigkeit mit sich fort. Nicht ein Glas Wein, nicht ein Lichtstümpfchen fehlte; Uhr und Stecher, Hausrat und Geschmeide blieb unangetastet. Eine Frau, die eine Nelke im Garten abriß, wurde mit ein paar Dutzend Maulschellen bedacht. Überstrenge hatten sie, so kleinen Fehls halber, kurzweg in den Teich werfen wollen. Bei seiner Heimkehr fand Beaumarchais eine mit Hunderten von Unterschriften seiner unerbetenen Gäste bedeckte Erklärung, des Inhalts, daß nichts Verdächtiges bei ihm vorgefunden wurde. Beaumarchais ließ das Zeugnis sofort mit der Versicherung herzlichsten Dankes drucken und sann über das seltsame Gemisch von Verblendung und Gerechtigkeit, Stolz und Unselbständigkeit im Volke nach, das es inmitten der gröbsten Ordnungswidrigkeiten als Demütigung ansehen würde, eines Diebstahls bezichtigt zu werden. So gut auch alles abgelaufen, übernachten wollte fürs erste Beaumarchais nicht zu Hause. Er besorgte einen neuerlichen, minder harmlosen Besuch der ungebetenen Gäste, die alle Heimlichkeiten seiner Wohnung erspäht haben. Kaum hatte er sich jedoch bei einem Freunde in der stillsten Straße des stillsten Pariser Viertels (Marais) zur Ruhe begeben, als er jählings vom Diener geweckt wurde mit dem Schreckensruf: »der Pöbel rückt in Rotten an, um Sie hier zu suchen; man ist drauf und dran, die Türen aufzubrechen; man muß Sie daheim verraten haben.« Zitternd stieg Beaumarchais in die Küche hinab. Dort suchte und fand er ein Versteck in einem großen Speiseschrank. Von hier aus sah er Blusen- und Pikenmänner hereinströmen, während auf der Gasse die Weiber heulten und Flüche ausstießen. Stundenlang hörte er Schritte über der Küche, immer wieder sah er flackernden Lichtschein auf den Gängen, Treppen und an den Fenstern, und endlich – er hielt sein letztes Stündlein für gekommen – nach vier Stunden Hangen und Bangen eilte der Bediente, ein Licht in der Rechten, nur mit einem Hemde bekleidet, auf ihn zu: »Kommen Sie, man verlangt nach Ihnen …« »Du willst mich also ausliefern? Wer verlangt nach mir?« »Herr Gudin, Ihr Kassier« (der Bruder des Literators). Halbtot vor Schrecken sah Beaumarchais im nächsten Augenblick Gudin in der Uniform des Nationalgardisten vor sich. Eine Minute witterte er selbst bei ihm Verrat. Bald aber hörte er, daß Gudin sich zufällig einer Patrouille der Bürgerwehr anschloß, die das Haus von Beaumarchais' Gastfreund abstreifen wollte. Gudins Begleiter war ein harmloser Limonadier, Gobé, der just gegenüber von Beaumarchais wirtete … So kam unser Held bei diesem tragikomischen Abenteuer mit dem bloßen Schrecken davon, während andere Pfahlbürger des Marais, durch den nächtlichen Überfall erschreckt, über Gartenmauern das Weite suchten, ein Unternehmen, das einer mit einem Beinbruch bezahlte …

Wenige Tage nachher traf Beaumarchais beim Nachhausekommen einen gewissen Larcher, der ihn als Abgesandter eines Herrn Constantini fragt, wieviel er ihnen dafür zahlen wolle, wenn sie die 60 000 Flinten nach Frankreich schmuggeln? Da Beaumarchais sich besinnt, läßt ihm Larcher ein Schreiben Constantinis zurück, in dem er für sich und seine Gesellschafter Halbpart von Beaumarchais' Gewinnst verlangt, andernfalls würde man das Verhalten des Herrn Beaumarchais in volles Licht rücken. Unser Held weist die dreiste Erpressung in einem höhnischen Brief ab. Während er aber die Minister und die Nationalversammlung mit immer neuen Denkschriften und Bitten heimsucht, Maßregeln aufzuheben, die seit dem Amtsantritt des Ministers Le Brun immer unbegreiflicher seine Bemühungen durchkreuzen, wird er am 23. August, um 5 Uhr früh, ins Gefängnis abgeführt und in seinem Hause allerorten das Gerichtssiegel angelegt. Larcher, Constantini und ihre Helfershelfer haben im Palais Royal und im Bürgermeisteramte die Lüge ausgesprengt, Beaumarchais habe 60 000, ihm zum vorhinein bezahlte Gewehre an die Feinde Frankreichs ausgeliefert.

Als der Kommissar ihm nach neunstündiger Haft in einem summarischen Verhör Larcher als seinen Ankläger nennt, bittet Beaumarchais nur, die Briefschaften dieses Erpressers und seiner Sippschaft herbeischaffen zu lassen. Die Anwesenden erklären sich damit einverstanden. Er muß jedoch im Abbaye-Gefängnis übernachten. Am nächsten Tage sind die Leute auf der Mairie des Lobes voll über seine Bürgertugend und voll Entrüstung über Larchers Niedertracht, die aus seinen Papieren hervorgehe. Schon darf er sich für befreit ansehen; da erscheint unversehens »ein kleiner Mann mit schwarzem Haar, krummer Nase und einer scheußlichen Physiognomie, spricht leise mit dem Präsidenten« und – die paar Worte des »großen, gerechten, kurz des gütigen Marat« haben zur Folge, daß die Herren unter einem nichtigen Vorwand sich entfernen und Beaumarchais volle 32 Stunden in der Amtsstube eingesperrt lassen. Als ein mitleidiger Unterbeamter ihn endlich heimschickt, geschieht das nur unter Bewachung von zwei Gendarmen, die sein Haus nicht mehr verlassen.

Am nächsten Tage – wir schreiben Ende August, und keine halbe Woche später spielen sich die Septembermorde ab! – wurde Beaumarchais neuerdings in das Abteigefängnis abgeführt. 192 zum voraus dem Tode geweihte Personen waren da in 18 engen Zellen untergebracht. Eine Stunde nach seiner Ankunft im Kerker wurde Beaumarchais zum Beschließer geführt, um einen von dem Gemeindeamt gestatteten Besuch zu empfangen. Sein Besucher war kein anderer als Larcher, der neuerdings den Handel mit den Flinten zur Sprache brachte. Beaumarchais antwortete kurzab: »Ich mache keine Geschäfte im Kerker. Sagen Sie das den Ministern!« Unverhüllt spricht er aus, daß all diese Nichtswürdigkeiten von Le Brun ausgehen, der bei den Flintenlieferungen selbst ein schönes Stück Geld zu verdienen und jeden Widerstrebenden im wahren Sinne des Wortes ans Messer zu liefern gewillt war. Die Gefangenen in der Abtei gaben sich indessen keiner Täuschung hin. Als Beaumarchais ihnen den Vorfall erzählte, bemerkte er, daß er allein erstaunt war über diese Nichtswürdigkeit. Einer meinte: »Die Feinde haben Longwy genommen; wenn sie sich Verduns bemächtigen, wird Schrecken in die Massen fahren und man wird den Anlaß benutzen, uns hier zu ermorden.« Man könnte denken, daß diese späterhin buchstäblich erfüllten Prophezeiungen unseren Helden nachdenklich gestimmt hätten. Nichts irriger als diese Voraussetzung! Der Torwart steckt Beaumarchais ein Zettelchen zu, des Inhalts, daß ein Genosse Larchers den neuen Haftbefehl gegen ihn ausgewirkt. Der Autor ungezählter Mémoires bittet seine Leidensgefährten nur um die Gunst, ihn ungestört in einer Ecke auf den Knieen ein – »kräftiges Mémoire an den Wohlfahrtsausschuß schreiben zu lassen«. Der eine leiht ihm Papier; der junge Montmorin setzt sich auf den Fußboden und hält Beaumarchais ein Portefeuille als Schreibpult hin; Lally-Tolendal plaudert während dem ruhig mit einem Abbé; der 82jährige Schatzmeister des Armenamtes betet laut und inbrünstig zum Himmel und Beaumarchais – schreibt seine Eingabe zu Ende, die vielleicht trotziger gehalten war, als das den Zeitläuften entsprach. Am nächsten Tag, 21. August, philosophieren die Gefangenen in früher Morgenstunde miteinander. Mit eins ruft der Kerkermeister: »Man sucht Sie, Herr von Beaumarchais!« »Wer das, mein Freund?« »Herr Manuel mit einigen Gemeinderäten.« Damit verläßt uns der Beschließer. Wir sehen einander eine Weile an. Endlich sagt ein Gefangener: »Ist Manuel nicht Ihr Feind?« »Ach«, erwidere ich, »wir haben uns niemals gesehen; doch ist das ein trauriger Anfang von böser Vorbedeutung. Ist mein Stündlein gekommen?« Alle senken die Augen, und ich folge meinem Ruf. Als ich beim Torwart eintrete, frage ich: »Wer unter Ihnen, meine Herren, ist Manuel?« »Ich bin es,« sagt einer, vortretend. »Mein Herr, wir haben, ohne einander zu kennen, einen Federkrieg wegen meiner Steuerleistung geführt (s. S. 455). Und doch habe ich nicht bloß meine Abgaben stets voll und pünktlich bezahlt, sondern auch die vieler anderer beglichen, die dazu nicht die Mittel hatten. Meine Sache muß wohl sehr ernst geworden sein, wenn der Gemeindesyndikus von Paris seine Amtspflichten im Stiche läßt, um sich mit mir zu beschäftigen?« »Mein Herr,« lautet die Erwiderung, »weit entfernt, sie im Stiche zu lassen, bin ich nur meiner Amtspflichten wegen hier: denn ist die erste Pflicht eines öffentlichen Beamten nicht, einen unschuldig Verfolgten aus dem Kerker zu befreien? Ihr Angeber ist ein überwiesener Lump; er ist aus der Kommune verjagt, ich glaube sogar im Gefängnis. Man erteilt Ihnen Vollmacht, ihn und seine Sippschaft gerichtlich zu belangen. Nur um Sie unsere öffentlichen Händel vergessen zu lassen, habe ich es mir ausgebeten, hieher zu kommen und Sie enthaften zu dürfen. Verlassen Sie sofort diese Räume.«

Beaumarchais stürzt wortlos in die Arme seines Retters und – Nebenbuhlers: denn beide waren die Galans einer Madame Houret de la Marinaie, von der späterhin noch ein Wort gesagt werden soll. Und nur ihrem zärtlichen Fürwort hat Beaumarchais das Eingreifen Manuels und damit sein Leben zu danken – denn die Septembermorde sind unzertrennlich mit dem Andenken des Abteigefängnisses verknüpft – wie zuvor nur die Eifersucht die gereizte Polemik der beiden aus so geringfügigem Anlaß verschuldet hatte. Beaumarchais hatte aber kaum den Kerker im Rücken, als er schnurstracks in das – Auswärtige Amt zu Le Brun fuhr.

Dürfen wir Beaumarchais glauben, so überraschte den Minister der unerwartete Anblick des verwildert aussehenden Gefangenen nicht wenig. Le Brun antwortete nur unsicher und stammelnd auf die Fragen des Freigelassenen. Im übrigen aber befolgte er nach wie vor die Taktik des Hinhaltens. Am 2. September geht Beaumarchais auf ein paar Stunden über Land. Mit einem Male hört er die Sturmglocke läuten. Die Septembermetzeleien beginnen. Ein Freund beherbergt ihn. Am nächsten Morgen erfahren beide, daß seines Bleibens nicht länger hier ist. Man sucht ihn auch hier und trachtet ihm nach dem Leben. Er wandert querfeldein, meidet alle gebahnten Wege; endlich nachts findet er nach dreistündigem Marsch eine Unterkunft bei Bauersleuten. Von und bei ihnen hört er alle Einzelheiten über die Schlächtereien in Paris. Und das erste, was er aufatmend ins Werk setzt, ist – an Le Brun einen neuen, dringenden Brief zu schreiben mit der Drohung, er werde erforderlichenfalls seine Beschwerden vor die Nationalversammlung bringen. Le Brun läßt ihm unter dem Eindruck dieser Nachricht durch Beaumarchais' eigenen Botenläufer eine Audienz zusagen. Der hartnäckige Mahner nimmt sie an, nur bittet er, nachts, nicht morgens, vorsprechen zu dürfen, da sein Leben in Paris bedroht sei. Fünf Meilen legt er zu Fuß zurück. Als er sich um 9 Uhr nachts im Ministerium meldet, sagt der Türhüter, er solle um 11 Uhr kommen. Todmüde wartet Beaumarchais die Stunde ab, in einem seltsamen Versteck, inmitten der hochaufgeschichteten Ziegelhaufen und Bruchsteine eines nahen Bauplatzes. Als er zur anberaumten Zeit wieder beim Minister vorspricht, heißt es, derselbe sei zu Bette. Und so wird Beaumarchais von einem Tag auf den andern vertröstet, man läßt ihn valeter.

Just diese abschätzige Behandlung steigerte seine Halsstarrigkeit. Endlich treibt er die Kühnheit so weit, mit Gefahr seines Kopfes sich in einen Ministerrat einzudrängen. Der zuerst Eintretende ist Clavière, aus der Zeit der Eaux de Paris sein erklärter Widersacher. Die beiden tauschen anfangs freundliche Reden, die aber alsbald gereizter werden. Am nächsten Tag wird Beaumarchais in den vollzähligen Ministerrat beschieden. Trotzdem ihn niemand zu reden heißt, beginnt er zu sprechen. Am anderen Tischende sitzt Danton, der ihn sofort mit Einwendungen unterbricht. »Da ich fast gar nichts höre« – Beaumarchais ertaubte in seinen letzten Lebensjahren – »stehe ich auf, trete dicht an den Minister und halte nach meiner Gewohnheit die Hand an mein Ohr. Clavière macht hinter meinem Rücken spöttische Gebärden. Da ich mich umwende, entstellt das Lachen Tisiphones dies himmlische Gesicht; er fand es sehr belustigend, daß ich schlecht hörte. Das ganze Auditorium war seiner Meinung: man lachte hell auf. Ich aber hatte geschworen, an mich zu halten …« Alle Mäßigung fruchtete jedoch nichts. Die Minister wollten Beaumarchais schlechterdings keinen Geldzuschuß bewilligen. Einige verlassen lärmend das Beratungszimmer; Roland sagt im Vorsaal: »Diese Flinten Beaumarchais' werden nicht vor Ende des Krieges da sein.« Anlaß genug für Beaumarchais, unter dem Vorwand, es sei eine neue Ächtung gegen ihn im Zuge, sich gradweg an den Waffenausschuß zu wenden. Der ladet ihn vor und läßt ihm nach einem dreistündigen Vortrag die glänzendste Anerkennung seiner Leistungen zuteil werden; er habe, so meinen sie, den Dank des Vaterlandes für sein Wirken verdient. Der Ausschuß sprach zugleich Le Brun den Wunsch aus, er möge Beaumarchais alle Mittel an die Hand geben, um selbst in Holland die Flinten frei zu machen.

Beaumarchais verlangt dazu zweierlei, Geld und Pässe für sich und De La Hogue. Wieder beginnt dasselbe Gaukelspiel Le Bruns. Der Bittsteller hört, daß der Ministerrat beschlossen, ihm keinen Sou zu geben. Es war eine entschiedene Sache, Constantini nach Holland zu schicken. Der Vielgeärgerte erfuhr, daß dieser alte Konkurrent mit den Ministern abgemacht, ihnen 60 000 Flinten in den Niederlanden aufzutreiben; dabei von keinem anderen Gedanken geleitet, als Beaumarchais seine Flinten für 7 Gulden abzunehmen und hernach mit 12 Gulden weiter zu verkaufen. Nun hält er es für unerläßlich, selbst abzureisen, obwohl er keinen Heller in barem, sondern von Le Brun nur einen Brief an den Gesandten in den Niederlanden mitbekommt, angeblich des Inhalts, er möge Beaumarchais alle erforderlichen Geldmittel aus den Verlagsgeldern des Amtes im Betrag von 700 000 Gulden (unter Verantwortung des Ministers) geben. Mit Müh' und Not bringt Beaumarchais 30 000 Franken aus Eigenem auf, mit welchen er die Fahrt nach dem Haag antritt. Die Personbeschreibung des von Le Brun, Danton, Servan und Clavière unterfertigten Passes vergegenwärtigt uns den Sechzigjährigen als beleibt, mit braunen Augen und Augenbrauen, wohlgeformter Nase, spärlichen, kastanienbraunen Haaren, großem Mund, hochgewachsen (5'5''). Der jugendfrische Galan, der in den Fünfzigerjahren durch seine Schönheit die Versailler Frauenwelt bezaubert hatte, machte mit zunehmenden Jahren mehr und mehr den Eindruck eines pensionierten Offiziers. Offenbar trat mit dem Alter die Ähnlichkeit mit seinem Vater, dem ehemaligen Dragoner, stärker hervor. Arnault, Souvenirs d'un sexagénaire. I, 128–130. – Mes incripcions. Journal intime de Restif de la Bretonne. Paris, 1889. (Index unter Beaumarchais.)

Sein Weg führt ihn (30. September) zunächst nach England. In London entlehnt er bei Geschäftsfreunden 10 000 Pfund Sterling und segelt dann bei ungewöhnlich stürmischer See nach dem Haag. Sechs Tage währt die Überfahrt. Als er dem französischen Geschäftsträger den Brief Le Bruns übergibt, erfährt er sogleich, daß die angekündigten Geldzuschüsse des Ministers nicht vorhanden seien; wohl aber hört er, daß Constantini dem Botschafter eine Vermittlung angesonnen, um Beaumarchais zu einem Nachlaß von einem Gulden für je eine Flinte zu bestimmen. Und merkwürdig bleibt, daß Beaumarchais, sonst doch kein so besonders heikler Geschäftsmann, immer wieder darauf zurückkommt, daß diese Angelegenheit längst aufgehört, für ihn eine Sache des Erwerbes zu sein. Er hat es sich in den Kopf gesetzt, den Ministern, dem Trium-Rapinat, wie er sie gelegentlich nennt, ihre Machenschaften mit Constantini zu verderben. Nul brigandage ne se fera dessus. Den ganzen Monat Oktober verbringt er, ohne auf zahlreiche Briefe Antwort zu erhalten. Im November sendet er dem Minister mit neuen Bitten neue Nachrichten über die Zustände in den Niederlanden. Er konnte es nie lassen, den Leuten in Amt und Würden, ob sie nun Choiseul, Maurepas, Vergennes, Necker, Calonne, Dumouriez oder Le Brun hießen, ungebeten Wahrnehmungen und Ratschläge mitzuteilen. Endlich am 9. November schreibt ihm Le Brun, obwohl er sich als Minister des Auswärtigen seit längerer Zeit nicht mehr um Waffenankäufe bekümmere, teile er ihm mit, daß die zu Frage stehenden Gewehre nicht zu gebrauchen seien. Sie hätten während der Wirren in den Niederlanden den Freischaren gedient, seien schlecht und überzahlt. Die Grundsätze der neuen Minister gestatteten ihnen nicht, sich gleich den früheren anführen zu lassen. Beaumarchais schreibt einen seiner impertinentesten Briefe zurück. Die Antwort erteilt an Le Bruns Stelle der Kriegsminister Pache oder vielmehr dessen Sekretär (Hassenfratz), an den Beaumarchais seinen Kassier geschickt hatte. Dieser, Gudins Bruder, berichtet über diese Verhandlungen nicht ohne Laune:

»Mein Kriegssekretär sah so wild aus, daß ich, um mich zu vergewissern, ob ich nicht am Ende fehlgegangen, vor allem fragte, ob ich die Ehre habe, Herrn Hassenfratz gegenüberzustehen? Mit hohlem Blick, geröteten Wangen und geballter Faust blieb er eine Weile wortlos stehen; dann schrie er mich wütend an: ›Du hast nicht die Ehre! Ich bin kein Herr! Ich heiße Hassenfratz.‹ Etwas betreten durch einen so ungewohnten Empfang, fasse ich mich rasch und erwidere kaltblütig: ›Verzeihung, Bürger, wenn ich dich schlecht begrüßt habe. Bedenke jedoch, daß wir Leute aus dem Anfang des Jahrhunderts uns nicht im Nu an die groteske Sprache seines Endes gewöhnen. Da du dich übrigens duzen lassen willst, frage ich dich kurzweg: wie steht's mit der Beaumarchais so lange versprochenen »Zahlung«?‹ ›Die Sache, von der du sprichst,‹ entgegnet Hassenfratz, ›ist dieselbe, die ich grade mit strengem Blick prüfe. Beaumarchais hat Lajard betrogen, der sich wie ein Dummkopf von Beaumarchais hat hinters Licht führen lassen und das in einem Handel, den ich zunichte machen will: ich werde den ersten und zweiten Vertrag drucken lassen, damit die Öffentlichkeit zugleich den Mann und seine Sache richtig beurteilen kann.‹ Und auf eine bescheidene Einwendung des Kassiers Gudin herrscht ihn Hassenfratz mit den Worten an: ›Wir brauchen keine Waffen, wir haben viel zu viel; er mag mit seinen Waffen tun, was ihm beliebt.‹ ›Ist das Ihr letztes Wort?‹ ›Für dich hab' ich kein anderes.‹«

Beaumarchais macht sich natürlich rechtschaffen lustig über Hassenfratz, den früheren Heizer eines Chemikers; er behauptet, daß der wunderliche Heilige von Haus aus Le Lièvre hieß, später aber, um einen minder alltäglichen Namen zu haben, denselben ins Deutsche übersetzte, wo »Hassenfratz« so viel wie » aimant le lièvre« bedeute. (Die unrichtige Verwelschung mahnt zur Vorsicht auch in betreff der sonstigen Angaben Beaumarchais'. Hassenfratz war noch im Jahr IV der Republik Professor am polytechnischen Institut und nicht ohne Gelehrsamkeit; er war ursprünglich Schreiner und bildete sich ohne fremden Unterricht fort. Später wurde er geächtet. Er fand auch da noch als »rechtschaffener, humaner Mann« Schutzredner.) Moniteur vom 29. Nov. 1792. S. auch Décret d'Accusation vom 28. Dezbr. 1792. Oeuvres V, 419–420. – Meine Angaben über Hassenfratz beruhen auf »Fragmente aus Paris im IV. Jahr der französischen Republik« von Dr. F. J. Lorenz Meyer, Hamburg, 1798 und einem Flugblatt: Quelques vérités sur un proscrit (H., qui mieux connu doit cesser de l'être).

Bald vergeht Beaumarchais aber das Lachen, denn anfangs Dezember liest er in der Gazette de la Haye, daß man neuerdings in seinem Palast Haussuchung gehalten, diemal wegen seines »Hochverrates«; er gehöre nämlich zur infamen Clique der Verschwörer und unterhielte einen Briefwechsel mit Ludwig XVI. So absurd diese Beschuldigungen auch sind, die Briefe seiner Pariser Freunde bestätigen sie alle. Mehr noch, sie beschwören ihn, einstimmig, sogleich Holland zu verlassen, denn er könne dort jeden Augenblick von Emissären der Schreckensmänner aufgegriffen und unterwegs ermordet werden. Widerwillig folgt Beaumarchais ihren Mahnungen und fährt nach London. Gleich nach seiner Ankunft richtet er einen offenen Brief an seine Familie, in welchem er Einsprache dagegen erhebt, daß der Nationalkonvent auf die Anzeige Lecointres die Aufhebung des Vertrages in betreff der Flinten und zugleich seine Versetzung in den Anklagestand ausgesprochen habe. Ebenso entschieden weist er die Zumutung zurück, Ludwig XVI. jemals für oder gegen die Revolution geschrieben zu haben. Es ist allerdings stark, wenn er hinzufügt: »Anathema über mich und meine Güter, das Fallbeil über mich selbst, wenn ich während der letzten 18 Jahre eine Zeile an den König gerichtet habe.« Dieser Brief wird von seinen Feinden als urkundlicher Beweis seiner Flucht aus dem Vaterlande angesehen; der Ruf, ›er ist ein Emigrant‹, wird von allen Seiten laut; zu allem Überfluß lassen ihn seine englischen Geschäftsfreunde auf die Nachricht von der Beschlagnahme seines Vermögens in die Schuldhaft von Queens Bench abführen. Er aber richtet aus dem Londoner Gefängnis an den Justizminister die Bitte, ihm Sichergeleite zu gewähren, damit er sich vor dem Konvent rechtfertigen könne. Lecointre befürwortet diese Bitte; der Justizminister gibt Beaumarchais bekannt, daß der Konvent geruht, für 60 Tage die Anklage zu sistieren. »60 Tage!« ruft Beaumarchais jubelnd: »ich brauche keine sechzig Stunden, um mich reinzuwaschen«. Bevor er sich jedoch auf die Reise macht, bringt er seine umfängliche Verteidigungsschrift größtenteils in London (bis 8. Februar 1791) zu Papier, und in der ersten Märzwoche vollendet er in Paris die Six epoques, eines seiner weitläufigsten und am wenigsten gelesenen Mémoires.

In der Form eines offenen Briefes an seinen Angeber Lecointre gibt er alle Beweise und Erörterungen, samt und sonders dazu bestimmt, aus seinem Angeber seinen Anwalt zu machen. An diese Redewendung hat vermutlich Gudin gedacht, als er in seinem ›Avertissement‹ das ungeheuerliche Gleichnis gebraucht: »von Tigern angegriffen, sucht er sie wegen ihres Blutdurstes schamrot zu machen.« Überschwänglichkeit den Six époques gegenüber ist so wenig am Platze, wie unbedingte Verwerfung. Auch sie sind mit der éloquence du moment geschrieben, wenngleich sie da und dort zu ihrem Schaden die Richtigkeit des Voltaireschen Wortes zu Ehren bringen: le secret d'ennuyer c'est de tout dire. Unersetzlich als biographisches Dokument, gewähren sie ab und zu auch literarisch wertvolle Ausbeute. Wie treffend charakterisiert er sich gleich am Eingang, da er von sich sagt: »Ich bringe mich niemals in Sicherheit, so lang ich mich irgendwie verteidigen kann«; wie tollkühn rückt er den violences bureaucratiques an den Leib; wie munter fertigt er die Anklage Lecointres ab, daß er das Parlament von Paris und die ganze Magistratur, alle Minister und alle Ausschüsse gekauft habe. Und welches Verschulden habe ihm all diese Gehässigkeiten bereitet? Nur das Vergehen, einen hübschen Garten zu besitzen. Wie gewinnend tritt er dann Lecointre gegenüber: »Der alte Lamothe Houdart trat eines Abends, da er die Oper verließ, einem jungen Mann auf den Fuß; der Fant hatte nichts Eiligeres zu tun, als dem Greis eine Ohrfeige zu geben. ›Ach, mein Herr, wie betrübt werden Sie sein, wenn Sie erfahren, daß ich blind bin!‹ Das Wort genügt, damit der junge Mann Lamothe allsogleich zu Füßen fällt und ihn um Verzeihung für seine Rohheit bittet. Ich will Lamothes Beispiel folgen: Ich will Ihnen und ganz Frankreich beweisen, welchen Greis Sie gekränkt haben!«

Und nun rollt er das Bild aller Geschehnisse auf. Bei der Schilderung dieser ereignisreichen Tage, in welcher die Minister, wie in einer Zauberlaterne, vorüberhuschen, vergißt er nicht, unablässig seiner Tochter zu gedenken, die ihm gewiß, wie die junge Sombreuil ihrem Vater, ins Gefängnis folgen wird. Am bemerkenswertesten sind aber die, man weiß nicht ob mutigen oder sorglosen, Stellen, in welchen er die politischen und Verwaltungszustände jener Zeit beredet. Obwohl er weiß, daß jeder Verräter am Vaterlande eine so ehrvergessene Handlung mit seinem Kopfe bezahlen muß, ist er ohne Ahnung von den Gefahren, die ihm allzu unumwundene Äußerungen über die Herren des Augenblicks zu bereiten vermögen. Was er gegen Le Brun und dessen Genossen vorbringt, mag noch aus persönlichem Unmut erklärt werden, aber der Frondeur gegen das alte, regt sich auch gegen das neue Regiment. »Wie? alle Mißbräuche alter Republiken sollen wir bei der Geburt der unsrigen erleiden? Mag mein Gut, mein Leben zugrunde gehen, bevor ich so insolentem Despotismus mich beuge! Eine Nation ist nur dann wahrhaft frei, wenn sie dem Recht sich beugt.« Ein Thema, das er in den Schlußworten der Six époques erweitert und vertieft behandelt: »Ich wurde unter dem ancien régime mit Plackereien heimgesucht, die Minister ärgerten mich, aber all das war nur Kinderspiel im Vergleich mit den Greueln des jetzigen. O mein unglückliches, in Tränen aufgelöstes Vaterland! Was wird es dir fruchten, Bastillen zerstört zu haben, wenn auf ihren Trümmern Räuber Freudentänze anheben und uns hernach ermorden! Wahre Freunde der Freiheit! wißt, daß ihre ersten Henker Zügellosigkeit und Anarchie sind.« Friede und Gesetz wünscht er herbei, und mit einem selbstgedichteten salvam fac gentem schließt er: »Beschirm, o Herr, die Franzosen vor sich selbst, dann werden sie keine Feinde mehr zu fürchten haben.« Starhembergs Brief an Thugut nach einer freundlichen Mitteilung von Dr. Hans Schlitter aus dem Wiener Staatsarchiv.

Es war ein Wunder, bemerkt Sainte-Beuve mit Recht, daß er bei solchen so kräftig geäußerten Gesinnungen das Haupt auf den Schultern behielt. Zunächst bewährte er sogar seine Erfahrung, daß er in allen ihn berührenden Händeln Sieger blieb, sowie er sich Gehör verschaffen konnte. Lecointre zog seine Klage zurück. Beaumarchais machte neuerdings Ende Juni 1793 Jagd auf die 60 000 Flinten und bevollmächtigte seine Frau in der Zwischenzeit, ihn »aktiv und passiv zu vertreten«. Zu beidem sollte nur zu rasch Gelegenheit kommen. Die Holländer hätten unter den geänderten Verhältnissen nach Beaumarchais' Ansicht über kurz oder lang die Flinten, als französisches Kriegsgut, mit Beschlag belegen müssen; zur Verhütung dieses Unfalls bediente er sich einer seiner herkömmlichen Spiegelfechtereien. Er übertrug das Eigentum der Gewehre einem Engländer durch einen Scheinverkauf. Inzwischen erhielt er aber die von der Regierung verheißenen Gelder nirgends. Ein Baseler Bankier, an den er gewiesen war, hatte weder Briefe noch Aufträge für ihn. Er zählte nur mehr auf die eigene Tatkraft und suchte in London selbst Geldmittel. Just da er dort ankam, traf die Nachricht ein, der Konvent habe Pitt für einen Feind des Menschengeschlechts erklärt. Infolgedessen erhielt Beaumarchais, den man allgemein für einen französischen Emissär ansah, den Auftrag, London binnen drei Tagen zu verlassen. Graf Starhemberg, der österreichische Botschafter in London, setzte, wie er dem Minister Thugut am 23. August 1793 meldete, bei der englischen Regierung durch, »diesen Menschen, der sich seit der französischen Revolution in so gefährlicher Weise bemerkbar gemacht habe, auf der Stelle Landes zu verweisen«. Ein Verlangen, das »leicht« gewährt wurde. Da er dem Befehl nicht nachkam, wurde er festgesetzt. Indessen machte sein Londoner Geschäftsfreund Ernst aus dem Scheinkauf, die Gewehre seien für Frankreich trotz all seiner Bemühung verloren, und nun wurde Beaumarchais neuerdings geächtet, seine Frau, seine Tochter und Schwester Julie wurden in das Gefängnis von Port – – – Libre, wie jetzt Port Royal hieß, abgeführt. Und für Beaumarchais begannen traurige Jahre der Verbannung. Sein einziger Trost konnte sein, daß er sich selbst in Sicherheit gebracht, denn schwerlich wäre er in seiner Heimat mit dem Leben davongekommen in Zeitläuften, in welchen, nach Gudins treffender Bemerkung, die Vernunft selbst für Frankreich »gewissermaßen eine Emigrierte war«. Oeuvres VII. Brief an Eugénie 104–109. Brief an Pitt. (Katalog der Kollektion Loménie Nr. 13). Brief an den Wohlfahrtsausschuß, abgedruckt bei Loménie II, 495–498. Brief an den am. Kongreß ibid. 196. 61 Briefe (aus den Jahren 1787–1798) verzeichnet der Amateur d'autographes, Oktober 1862, 299.

19. Verbannung, Heimkehr und Ende

Forcé de parcourir la route où je suis
entré sans le savoir, comme j'en sortirai sans
le vouloir … j'ai tout fait, tout vu, tout usé.

Figaro: La folle journée V. 3.

Blieb die Heimat Beaumarchais also »als Verräter gegen die Republik« für geraume Zeit verschlossen, so galt er den Emigrierten in der Fremde gleichwohl als Jakobiner. Wohin ihn sein Weg auch führte, er begegnete mehr feindseligen, als wohlgestimmten Leidensgefährten. Von Basel nach London, aus England nach Deutschland trieb ihn das Schicksal. In Hamburg fand er wohl in Talleyrand und dem Abbé Louis verständnisinnige Seelen, aber auch sein alter Todfeind Rivarol war dort zur Stelle. Zudem mangelte es ihm an Geldmitteln. So blieb ihm nichts übrig, als sich so gut als möglich zu bescheiden. Er zog sich in die Nähe von Lübeck, ins Holsteinische.

Aus einer Dachkammer richtete er verzweifelte Briefe, bald an Weib und Kind, die gefangen sitzen und von deren Schicksal er nichts weiß, bald an Pitt, dem er große Staatsgeheimnisse anvertrauen will; bald nach alter Gewohnheit an die Regierung Frankreichs, in Denkschriften, in welchen er als ungebetener Ratgeber Vorschläge z. B. in betreff der Begnadigung der bei Quibéron gefangenen Königstreuen macht, bald an die amerikanische Regierung mit dem Wehruf: Date obolum Belisario! Aber all seine Geschäftigkeit kommt ihm so wenig zugute, wie den Seinigen.

Seine Frau muß sich sogar öffentlich von ihm, dem fälschlich als Emigranten Ausgerufenen, lossagen, seine Schwester die öden Prunkzimmer seines gefährdeten Palastes hüten im Kampfe mit harter Lebenssorge; denn die Assignatennot hat alle Nahrungsmittel dermaßen verteuert, daß ein Pfund Brot 45 Franken, ein Pfund Fleisch 28 Franken, ein Pfund Öl 100 Franken kostet. 20 000 Franken Papiergeld sind in Wirklichkeit nicht mehr wert als 6–7 Louis in blanker Münze.

Am schmerzlichsten scheint Beaumarchais aber durch den unwiderruflichen Entschluß seiner Tochter betroffen worden zu sein, nicht den Gatten seiner Wahl zu nehmen. Er hatte ihr als Gemahl Raimond de Verninac zugedacht, einen Diplomaten, der als Gesandter des Direktoriums späterhin nach Konstantinopel ging. Während seines Exils erhielt der zärtliche Vater jedoch einen Brief Eugeniens, dessen Wortlaut er selbst dem abgewiesenen Freier in den folgenden Mitteilungen bekannt gab: »Die schweren Kümmernisse, die mein Kind, sowohl um Ihretwillen, Freund Verninac, als um meinetwillen in den gefährlichen Jahren der Entwicklung erlitten, haben sie beinahe dem Tode nahegebracht. Ihr junges Herz ist gebeugt; was sie mir schreibt Die Mitteilung dieser interessanten Briefschaften danken wir Etienne Charavay, Amateur d'autographes, 1865. (16. November S. 282–284.), ist ernst und düster; in ihrem Stil findet man nichts von der natürlichen Lebhaftigkeit ihrer Jugend. Endlich, mein armer Freund, hat sie mir auf meine unumwundene Frage nach ihren Herzensgefühlen einen langen Brief geschickt, den ich Ihnen im Auszug wiedergebe: ›Nach gewissenhafter Prüfung meines Innern, mein guter Vater, muß ich Dir rückhaltlos mitteilen, es ist nicht mehr in meiner Macht, meine frühere Verlobung aufrechtzuerhalten. Meine Beziehungen zu Herrn Verninac müssen gelöst werden. Wie wollte er gegen mich eine Zusage geltend machen, an der mein totes Herz keinen Anteil mehr hat? Das meinige wurde zu tief verletzt, um jemals wieder genesen zu können. Mein Entschluß, ihn nie zum Gatten zu nehmen, ist unwiderruflich, und wenn Du mir meine Freiheit trotzdem nicht geben wolltest, würde ich gern unvermählt bleiben und Dir mein Leben weihen, überglücklich, ohne Trennung mit Dir vereint zu bleiben. ›Wenn Eugenie mich nicht mehr liebt‹ – so schreibt er Dir – ›muß ich mich zurückziehen.‹ Versichere ihn, daß er, wiewohl ich ihn als aufrichtigen Freund unserer Familie betrachten will, vergebens versuchen würde, sich zu entschuldigen ( disculper). Er kann das vielleicht Dir gegenüber, mir gegenüber ist das undenkbar. Es ist mir als Mädchen unmöglich, Dir auseinanderzusetzen, was mich zu dieser Überzeugung gebracht und wie ein Dolchstoß mein Herz getroffen hat. Ich anerkenne die Überlegenheit seines Geistes und lasse mit Freuden seinem Verdienst Gerechtigkeit widerfahren, das allein ihn auf eine der ersten Stellen der Republik erhoben hat. Aber der heftige Schmerz, den unser Streit mir verursacht hat, bestimmte mich zu ernster Selbsteinkehr, ich sah, daß unsere Charaktere nicht sonderlich zusammenstimmen. Zudem erfordert es sein schöner Beruf, ein Wanderleben zu führen; er wird in fremde Länder gehen. Ich aber liebe nur das Land, welches mein Vater bewohnen wird. Dieser letzte Grund fällt fast ebenso schwer ins Gewicht, wie alle anderen …« In der Autographensammlung Goethes (jetzt: Goethe-Schiller-Archiv Weimar) ist ein interessanter Brief Beaumarchais' an Reinhart, datiert ce juin 1796 ( je n'ai pas d'almanach français: offenbar für den republikanischen Kalender), in dem er von seinem Glück spricht, nach Frankreich heimkehren zu dürfen. – Die kgl. Bibliothek in Berlin besitzt aus der Sammlung von Radowitz einen Brief Beaumarchais' an Raimond (Berninac?) 30 prairial, an 5.

Wir kennen nur das Ende dieses Romans. So trostlos die Worte Eugeniens auch klangen, in ihrem Herzen war Frühling: sie liebte einen früheren Adjutanten La Fayettes, De la Rue, der sich auch der Sympathien von Frau und Schwester Beaumarchais erfreute und nur auf die Einwilligung des Vaters harrte, um Eugenie heimzuführen, obwohl alle Güter des Verbannten unter Sequester standen: » la mère, la fille, la tante ainsi que moi vivent de chats et rats«.

Als endlich nach dem Sturz der Schreckensmänner Beaumarchais am 17. Messidor von der Emigrantenliste gestrichen wird und (5. Juli 1796) heimkehren darf, läßt er sofort Eugenie vor den Traualtar treten. Er selbst muß ein gleiches tun, um die Form Rechtens geschiedene Ehe des Geächteten mit seiner eigenen Frau wieder zu bekräftigen. Gudin, der genau so wie Beaumarchais – allerdings in Frankreich – die schlimmste Zeit »unter der Erde« verbracht, sucht den alten Freund sogleich heim: »Wir umarmten einander, nicht wie zwei Schiffbrüchige, die sich nach glücklicher Rettung wieder begegnen, sondern wie zwei Scheintote, die nach einer unverhofften Auferstehung ihren Gräbern entstiegen.«

Was Beaumarchais in den weiteren drei, seinen letzten Lebensjahren noch schrieb und tat, hat nur mehr biographisches Interesse. Er schlug sich mit den Pariser Ministerien und dem amerikanischen Kongreß, mit alten und neuen Gläubigern herum, nur, wie er behauptete, damit seiner Tochter dort eine spärliche Nachlese beschieden sei, wo er gehofft, daß sie eine reiche Ernte halten würde. Er betrieb und erlebte erfolgreiche Neuszenierungen von »Tarare« in der Oper und der »Schuldigen Mutter« in der Comédie Française (das Marais-Theater war in der Zwischenzeit, wie so viel anderes Größere, zugrunde gegangen). Der Autor erschien diesmal selbst vor der Rampe, um sich zu verneigen. L'empereur l'avait constamment repoussé en dépit de tout son esprit lors de son consulat, à cause de sa mauvaise réputation et de sa grande immoralité. Las Cases V, 10. – Der Briefwechsel mit Talleyrand, La Nouvelle Revue XXXVII, 1885, mitgeteilt von Louis Farges.

Er fühlte, daß neue Zeiten und neue Bräuche im Anzug waren, mit welchen er sich nicht schlecht abfand; er schwärmte für die Heldentaten Napoleons, der aber von seinen Huldigungen in Versen, wie von seinen Denkschriften in Prosa nicht viel wissen wollte. Er stellte sich gern bei großen Gasttafeln ein, von welchen er erstaunt die Wahrnehmung heimbrachte, daß fortan nur mehr persönliches Verdienst die Ladungen begründe, nicht, wie bisher, Stand, Rang und Geburt. Er erlebte noch den Schmerz, seine Schwester Julie sterben und die Freude, Eugenie als Mutter zu sehen.

Immer stiller wurde es um den früher so Lärmumtobten. Es litt ihn auch nicht in seiner Einsamkeit. Bald nachdem Talleyrand Minister des Äußern geworden, schlug er ihm am 7. Oktober 1797 vor, ihn als Vertreter der Republik nach Amerika gehen zu lassen. Er sei wohl schwerhörig. Allein der Abgesandte eines mächtigen Freistaates habe nicht Not, leise mit sich reden zu lassen. Zudem kenne – Talleyrand ausgenommen – kein anderer Franzose genauer die wechselseitigen Bedürfnisse Frankreichs und der Vereinigten Staaten. Amerika schulde ihm zu großem Teil seine Freiheit. Er würde mit Ehren und Achtung aufgenommen werden. Er strebe nach keinem Ehrenposten, würde sich auch ohne Titel bemühen, dem Vaterland jenseits des Weltmeeres zu dienen, und es nicht als Kränkung ansehen, wenn Talleyrand sein patriotisches Anerbieten nicht annehmen würde. Nur eines ruft er ihm ins Gedächtnis: in den vier Jahren seiner Verbannung seien mindestens sieben Achtel seines Vermögens verloren gegangen. Talleyrand wüßte, welche bedeutenden Geldansprüche er noch an Amerika zu stellen habe. Er könne seine Reise in die Vereinigten Staaten nicht länger aufschieben; die ganze Zukunft seiner Familie hinge davon ab. Sollte man deshalb glauben, daß er mit seinen 66 Jahren sich zuviel zutraue mit dem Gedanken einer amtlichen Sendung nach Amerika, so möge man ihm zum mindesten als Kaufmann und Republikaner einen einfachen Reisepaß ausstellen. Eine Bitte, die Talleyrand rundweg abschlug mit dem Bescheid: Ce passeport ne peut pas être accordé.

Auch diese Enttäuschung beugte Beaumarchais' Mut nicht auf die Dauer. Wieder und wieder trat er auf den offenen Markt, die Zeitungskanzel. Ein paar Briefe hat er in jenen Tagen an Dichtergenossen als Mentor und Patriarch geschrieben; die meisten Episteln aus jener Zeit sind aber Weckrufe. Einmal erhebt er Einspruch gegen die Verwahrlosung des Grabes von Turenne; ein andermal gibt er Parallelen zwischen Voltaire und Christus zum besten, die sich weniger durch Geist und Geschmack, als durch wundersame Anekdötchen von der letzten Ölung des Alten von Ferney hervortun.

Nur ein Briefwechsel hielt ihn noch lebhafter in Bewegung: es war das ein leidenschaftlicher Streit über Unaussprechliches mit Madame Houret de la Marinaie (s. S. 465). Er hatte diese Frau Ende der Achtzigerjahre dermaßen vergöttert, daß er eines ihrer Pantöffelchen, in Gold nachgebildet, auf seinem Schreibtische stehen hatte, um es vor Beginn wichtiger Arbeiten zu küssen. Seine Liebesbriefe bezeichnen sie als Brandstifterin: »Unselige Frau,« schreibt der Sechziger, »ich liebe Sie, liebe, wie ich noch nie geliebt, fühle, was ich noch nie gefühlt. Sind Sie denn schöner, geistvoller, als alles, was ich bis auf den heutigen Tag gesehen?« Immer höher schlugen die Flammen dieser letzten Leidenschaft Beaumarchais' empor, immer maßloser wurde seine Sprache der Ungetreuen gegenüber. Sie scheint ihn nicht bloß um Manuels willen verraten zu haben, sie brachte auch Geschichten über ihn unter die Leute, die er mit ebensoviel Heftigkeit als Zynismus in Episteln, welche das British Museum aufbewahrt, beredete. Ich kann nur, gleich allen anderen, welche diese Papiere gesehen, wiederholen, daß sie schlechterdings nicht, nicht einmal andeutungsweise, mitzuteilen sind; für die advokatische Natur des Mannes geben aber auch sie volles Zeugnis. Beaumarchais trägt die Technik seiner Mémoires selbst in die Erörterung seiner – der Ausdruck ist von Madame Houret – »Tiberiaden«. – – Moniteur, 2 prairial, an VII, No. 242.

Am 30. Floréal, an VII de la république, meldete der Moniteur kurz, daß der »dramatische Dichter« Pierre Augustin Caron de Beaumarchais tags zuvor gestorben sei. In der Nacht vom 17.–18. Mai 1799 hatte ein Schlagfluß dem Leben des 67jährigen ein jähes Ende bereitet. Seine Kraft wie seine Gesundheit ließ nichts von der Katastrophe ahnen. Er war kurz vorher noch mit Bittschriften an die Minister beschäftigt gewesen, ihn als diplomatischen Sendboten nach Amerika zu schicken; eine Arbeit über den Rastatter Gesandtenmord hatte ihn gleichfalls in Anspruch genommen. Noch den Tag vor seinem Tode war er mit Gudin und einem andern Freunde sehr fröhlich im Kreise seiner Familie gewesen. Hinderte ihn auch seine sich unablässig verschlimmernde Schwerhörigkeit, mit den andern zu plaudern, so unterhielt er sie doch durch heitere Geschichten aus seiner Kindheit und den goldenen Jahren der Monarchie. Um 10 Uhr verließ Gudin das Haus; gegen 11 Uhr umarmte Beaumarchais seine Frau zum letzten Male und empfahl ihr Vorsicht für ihre Gesundheit, da sie etwas unpäßlich war. Er legt sich zu Bett mit dem Auftrag, ihn früh zu wecken; dann schläft er ein, um nie wieder zu erwachen. Man trifft ihn unverändert, wie er sich zu Bett begeben. Die Ärzte erklären, ein Blutschlag habe ihn getötet; schmerzlos, in einer schweren Betäubung sei er aus dem Leben geschieden. Er hatte stets gewünscht, also, ohne Ahnung des Endes, aus der Welt zu gehen; sein Wille war erfüllt, fast zu gut, denn trotz allen Einspruchs erhielt sich bis auf den heutigen Tag das Gerücht, daß Beaumarchais selbst Hand an sich gelegt. So lang er lebte, schlug er Verleumdungen kräftig nieder: nun mußte der stille Mann eine der fragwürdigsten Fabeln wehrlos über sein Andenken ergehen lassen.

Die Familie war wie zermalmt durch den unerwarteten Trauerfall. Man verbarg fürs erste Eugenien, die guter Hoffnung war, die Wahrheit. Erst langsam bereitete man sie auf das Furchtbare vor, denn sie hing mit allen Kräften ihrer Seele an ihrem Vater. In einem der stillsten Bosketts seines Gartens, dem letzten Ruheplätzchen, das er selbst bei Lebzeiten für sich ausgewählt, wurde er ins Grab gebettet. Gudin hatte ein paar Worte des Nachrufs vorbereitet, aber der Wackere war unfähig, selbst zu sprechen. So las an seiner Statt Collin d'Harleville den Abschiedsgruß, der ruhigste und friedfertigste Poet jener Zeit widmete einem der ruhelosesten und streitbarsten aller Männer der Feder das letzte Lebewohl. Nur wenige Jahre blieb die sterbliche Hülle Beaumarchais' hier bestattet; das Haus mußte veräußert, die Gartengründe aufgeteilt und verbaut, der Leichnam auf den Père-La-Chaise übertragen werden. Paul Albert, La ittérature française au XVIIIe siècle. Paris, Hachette, 1876, 450. 451. Über die Beaumarchais-Büste der Comédie von Couriger, der einzigen, die nach dem Zeugnis der Tochter bei Lebzeiten des Dichters modelliert wurde, vgl. Edmond Got, Gazette des Beaux-Arts 1886. II. 127 ff.

Kein Denkmal schmückt die Familiengruft der Beaumarchais und De la Rue. Nur die Geburts- und Sterbetage der Verewigten sind auf den mächtigen, flachen Steinplatten verzeichnet, welche das Grabgewölbe bedecken, die Geschichte eines ganzen Geschlechtes erscheint in einem trockenen Kalendarium zusammengedrängt. Nur in einem dunkeln Seitengang der Comédie Française ist eine Büste Beaumarchais' mehr versteckt als zur Schau gestellt und selbst das Anrecht auf dies bescheidene Winkelchen ist ihm streitig gemacht worden. In die Börsenhalle oder in die Polizeipräfektur, bestenfalls in die Advokatenkammer will ein neuerer Kritiker seine Bildsäule verweisen. Und sogar bei der Enthüllung seiner Pariser Bildsäule am 16. Mai 1897 hat ein Festredner auf die »Schatten« in seinem Lebenslauf hingedeutet: »› de l'intrigue et de l'argent, te voilà dans ta sphère‹ dit Suzanne à Figaro: il répond: ce n'est pas la honte qui me retient.« Sonntag, 16. Mai 1897 wurde Rue Saint Antoine eine von der Stadt Paris gewidmete, vom Bildhauer Clausade geschaffene Statue Beaumarchais' enthüllt. Eingehenden Bericht über diese Inauguration de la statue de Beaumarchais gibt das Bulletin municipal officiel de la ville de Paris vom 17. Mai 1897. Zuerst sprach der Sekretär des Pariser Gemeinderates, John Labusquière, nach ihm der Gemeinderat Hervieu, der die S. 481 wiederholten Wendungen gebrauchte, endlich Eugène Lintilhac; in panegyrischem Übereifer entschlüpfte dem letzteren in einer Beaumarchais in den Mund gelegten Apostrophe u. a. der Satz: ma fameuse pantalonnade de Vienne par exemple où je mystifiai finalement des Allemands brutaux. Von solchen Mißgriffen hielten sich die beiden anderen Redner frei. Ruhig und in der Hauptsache richtig erklärte der Sekretär des Gemeinderates Labusquière: »Weder dem Frischgeadelten, noch dem Finanzmann, noch dem geheimen Agenten, noch dem Widersacher des mysteriösen Chevalier d'Eon ist dieses Denkmal errichtet worden, sondern dem ruhmreichen Pariser Kind, dem Vater Figaros, dem hochstehenden Schriftsteller, dem Rächer der Unterdrückten, dem Helfer eines für seine nationale Unabhängigkeit kämpfenden Volkes, dem Vorläufer der französischen Revolution.«

So überstrenges Totengericht gedenken wir nicht zu halten. Seinen tiefen Grund hat es aber, daß die besten Biographen Beaumarchais', Sainte-Beuve und Loménie, die Summe dieser wechselreichen Existenz in moralistischen Betrachtungen ziehen, wie ja Beaumarchais selbst am Ausgang seines Daseins die Frage aufwirft: » Qu'étais-je donc?« Als er die Generalbeichte Rousseaus, die Confessions, liest, beschäftigt ihn das Problem, ob Jean Jacques in Wahrheit ein Tugendschwärmer oder nur ein Prahlhans gewesen? Er kann es schlechterdings nicht fassen, daß der Bürger von Genf die Fehler und Sünden seiner Jugend so offen einbekennt. Beaumarchais freilich, dem »indiskretesten«, zugleich aber selbstgefälligsten aller Menschen, wäre es nie beigekommen, sich den Zeitgenossen und Nachlebenden anders als im Strahlenkranze des untadeligen Bürgers und Sohnes, des großen Patrioten und Weltmannes zu vergegenwärtigen. Und da er trotzdem bei seinem scharfen Instinkte für die öffentliche Meinung klar sieht, daß ihm, unbeschadet seines Reichtums und literarischen Ruhms die Achtung seiner Landsleute fehlt, sucht er die Ursachen dieses Phänomens nicht etwa im eigenen Innern, sondern in der Gehässigkeit der andern; die Musiker hätten ihn verabscheut, weil er als Unberufener alle Instrumente gemeistert; die Poeten, weil er, der Uhrmacher, um die Wette mit ihnen Verse gemacht. Inde irae. Die Kaufleute hätten den Eindringling gern den Advokaten, die Advokaten den Verlegern, die Reeder den Diplomaten zugeschoben, sie alle aber ihn nur aus Zunftgeist verfolgt, ihn, den Tausendkünstler, der sein geschmeicheltes Selbstporträt in immer neuen Wiederholungen, im Barbier und in den Mémoires, im letzten Monolog Figaros und in einem Selbstgespräch kurz vor seinem Tode verfestigt hat: »Ich war nur ich selbst allein. Und das bin ich geblieben: frei im Kerker, heiter in den größten Gefahren, allen Stürmen Trotz bietend, die Geschäfte mit der Rechten, Krieg mit der Linken führend, niemals im Heerbanne irgend einer literarischen, politischen oder mystischen Coterie, war ich niemandes Höfling und deshalb von allen zurückgestoßen …« Vgl. sein Urteil über Jean Jacques. Loménie, Pièces just. II, 587.

Es ist die schönste Rolle, die er sich also wiederum zuteilt: die des überlegenen, von allen unabhängigen und deshalb von allen angefeindeten Genius, der auf jedem Gebiete geistigen und praktischen Wirkens durch herrliche Naturgaben die Fachmänner überflügelt, beschämt und herausfordert. » Il manquera toujours à la mémoire de Beaumarchais cette fleur d'estime que ne remplacent ni la renommée, ni la popularité, ni la gloire et qui s'appelle tout simplement la considération«. Jules Sandeau, Begrüßungsrede Loménies in der Académie fr. Paris, Didier, 1874. S. 70. – Ähnlich hatte schon 1811 einer der frühesten Beaumarchais-Artikel in der Biographie Michaud geschlossen: il eut de l'éclat sans considération. [Esménard.]

So panegyrisch beantwortet Beaumarchais' » Qu'étais-je donc?« außer ihm nur noch der getreue Gudin. Die anderen Kenner seines Wesens und Waltens umschreiben mit der Frage nach seiner Moral eigentlich nur die nach seiner Immoralität. Sie untersuchen, was die Zeit an ihm verschuldet und verdorben; sie berühren das große Problem: ob sein glänzendes Talent den Mangel jeder starken Gesinnung wettmachen kann? ob es in dieser versinkenden Welt des ancien régime, in welcher »jede Klasse der Gesellschaft die andere auffressen will«, wirklich keine andere Wahl gibt, als die Weltflucht und den Menschenhaß Rousseaus oder die Verschlagenheit und die Ränke Figaros? Rameaus Neffe. – Sainte-Beuve, Franklin, C. L. VII, 149. – Bibl. des Mém. IV, Besenval. Notice S. 21.

Die Antwort hat Beaumarchais selbst gegeben in dem immer wiederholten Kernspruch aus Tarare: »Nicht durch die Geburt, nicht durch seinen Stand, nur durch seinen Charakter wird jeder eine auf Erden bedingt und bestimmt.« Sein Naturell trieb ihn, der Menschen durch List und Habsucht Herr zu werden und mit allen Kniffen und Schlichen Reinekes durch die Welt zu gehen. Denn so beengt und bedrängt auch das Dasein des Kleinbürgers in jenen Tagen war, Beaumarchais hätte sich aus dem Glasverschlag der Uhrmacherwerkstatt, dank seiner künstlerischen Begabung, dank seinem Geist, Witz und Talent, gleich dem Maurergehilfen Sedaine und dem Wandermusikanten Grétry, zum verehrten und reichen Liebling der Nation emporarbeiten können. Ihn lockten aber andere Lebenswege: die Pfade des Glücksritters. Ja, einer der gründlichsten Kenner jener Zeit hat diesen verhängnisvollen Zug Beaumarchais' mit furchtbarer Verdammung getroffen, als er das Wort sprach: Beaumarchais und Madame Du Barry werden vielleicht die beiden Persönlichkeiten sein, die in den Augen der Nachwelt ihr Jahrhundert am besten kennzeichnen. Und in der Tat, selbst in diesem Jahrhundert der Abenteurer, neben dem diplomatischen Glückskind Alberoni, dem Finanzschwindler Law, dem Mystagogen Cagliostro, dem Eintagskönig Neuhoff von Corsika, dem Liebesaventurier Casanova und den hundert und aberhundert Gauklern und Strebern, die in Frankreich und an anderen Höfen Mißbrauch mit ihren Talenten trieben, gibt es nur einen Lebenslauf, der noch märchenhafter bewegt ist als der Beaumarchais' – das Glück und Ende des Abenteurers des Schwertes, das Emporkommen Napoleons. Wer nach sonstigen Parallelen für Beaumarchais' phantastische Geschicke aussieht, muß bei den Frauen Halt machen, der Pompadour und der Du Barry, welche die Geißel und Rache zugleich der geknechteten Massen waren. Die Schüler meisterten bald ihre Lehrer, die Launen plebejischer Favoritinnen waren unter Ludwig XV. unumstößliches Staatsgesetz und nicht umsonst ruft der Lakai Frontin im Schlußwort des Turcaret triumphierend aus: »Nun bricht mein Reich an!« Denn so willig die Crispins, Frontins und Figaros den Lüsten der Almavivas als gefällige Diener sich erwiesen, mehr und mehr wurden sie aus Vertrauten Kritiker, Ankläger und Richter. Mit gutem Grund bemerkt denn auch Michelet: »Die Geschichte der Diener ist ein Hauptstück in der Historie dieses Jahrhunderts: von Crozat, dem Lakaienkönig Louisianas, führt sie über Jean Jacques, der auch Lakai war, zu Figaro«. Lakai war der Königsmörder Damiens; Lakaien und Zofen beherrschten ihre hochadeligen Gebieter; Herzoge antichambrierten bei den Kammerdienern des Kardinals Fleury; Ludwigsritter buhlten um die Gunst der Lakaien der Pompadour. Es ist denn auch kein Zufall, daß von den zwei großen Moralisten des 18. Jahrhunderts der ältere, der Herzog von Saint-Simon, die Geschichte der königlichen Beichtväter, der jüngere, Duclos, die Geschichte der königlichen Kammerdiener geschrieben. Der natürliche Anspruch auf die gleiche Stellung in Staat und Kirche, Heer und Gesellschaft war den Plebejern versagt: nichts begreiflicher, als daß gewissenlose, leichtfertige Kinder aus dem Volke, wie die Pompadour, die Du Barry und Beaumarchais, Glanz und Machtfülle, unbekümmert um den Preis, den sie dafür zahlten, auf Schleichwegen suchten und fanden. Nur die wenigsten Bürgersmädchen und -Söhne konnten und – zur Ehre des dritten Standes sei es gesagt – wollten solchem Beispiel folgen: als geduldige Zuschauer der »Schmach, die Unwert schweigendem Verdienst erweist«, als stumme Zuhörer aller pathetischen und launigen Lakaienreden harrten und hofften sie, bis die Zeit erfüllt war. À propos du Casanova bemerkt Sainte-Beuve über diese Verwandtschaft des Dichters mit seiner Hauptgestalt (Portraits contemporains II. 511): Gil Blas et Figaro sont les admirables types de ce personnage, qui vit d'action plutôt que de conviction. Dans la réalité Grammont, Law, Marsigli, Bellisle, Bonneval, Beaumarchais, lui même, Dumouriez etc … s'en rapprochent plus ou moins par quelques traits. – Barbey d'Aurevilly sagt in seiner bemerkenswerten Beaumarchais-Studie: L'intrigant fit tort à l'homme de génie (Portraits politiques et littéraires, Paris, 1898).

An dieser Eroberung der Menschenrechte, an diesem Werk der Befreiung hat Beaumarchais wenig Anteil. Ihm war es allzeit nur um sich und seinen persönlichen Vorteil zu tun: die patriotischen Sorgen des Marquis d'Argenson, die volksfreundlichen Regungen Rousseaus hatten in seinem Innern keinen Raum. Er fühlte sich wohl unter dem ancien régime, dessen Mißwirtschaft ihm den reichsten Anlaß zur Betätigung seiner Reinekestreiche bot. Nur wenn Dreistigkeit oder fremde Niedertracht ihn in die Enge treiben, nutzt er Zeit und Stimmung aus und wird Gelegenheitsredner und -Dichter, wie er selbst allzeit ein Gelegenheitsmensch gewesen. Der Staatsstreich Maupeous ist ihm so gleichgültig, wie die Herrschaft der Almavivas: seine Angriffe sind nicht ein Ausbruch des Unwillens, sondern Eingebungen einer raschen Zunge, seines angeborenen Instinktes, den Geschmack der Leser und Hörer zu treffen. Das muß festgehalten werden bei jedem sachlichen Vergleich seiner Streitschriften mit den polemischen Meisterwerken Rousseaus und Pascals; wo diese tieffühlenden Naturen mit voller, persönlicher Überzeugung sich selbst gefährden, um die heilige Sache, dieser des Glaubens, der andere des Volkes zu vertreten, setzt Beaumarchais nur zum Heil der eigenen Person mit der éloquence du moment ein, die ihm allerdings in jeder heikeln Lage seines Daseins so sicher zu Gebote steht, wie einem geübten Schauspieler die Vergegenwärtigung jedes innerlich ihm noch so fremden Affektes. Er versucht sich literarisch in der Maske des pathetischen und scherzhaften, naiven und sentimentalen Redners, wie er auch im Leben jede Verkleidungsrolle versucht – allerdings nicht mit dem gleichen Erfolg der Durchführung; denn es ist ein weiter Weg von den plumpen Spiegelfechtereien des Abbé Arpajon de St. Foix und des betrogenen Betrügers Monsieur de Ronac bis zu dem großartigen Versteckensspiel von Rodrigue Hortalez & Cie., einem Mummenschanz, der auf einem so bedeutsamen Blatt der Weltgeschichte, wie dem amerikanischen Freiheitskrieg, dauernd verbucht bleibt. So gestaltet er mehr als einmal seine Lebensführung wie die Motive eines verwickelten Intriguen- oder eines roh gezimmerten Rührstückes, während er umgekehrt sein eigenes Abenteurertreiben in seinen Komödien zum besten gibt. Dichtung und Wahrheit. Elftes Buch. Loepersche Ausgabe, 32–35.

Verdarb seine bedenkliche Weltweisheit solcherart aber auch oft seine Kunstübung und spielte ihm seine Phantasie wiederholt im Alltag Streiche: der Frische und Originalität seines Dichtens ist der märchenhafte Reichtum seiner Erlebnisse von unendlichem Nutzen gewesen. Der Autor Beaumarchais hat nicht umsonst Schicksale durchgemacht, die in ihrem jähen Glückswechsel die meistbewegten Lebensläufe romanischer Humoristen, des Kriegsgefangenen Cervantes, des in den fernen Osten und Norden verschlagenen Regnard und die legendarisch verklärten Eulenspiegeleien Rabelais' erreichen und überbieten. Aus diesem unerschöpflichen Quell eigener Erinnerungen, aus den tausend und abertausend ihn umdrängenden Charaktergestalten von Feinden und Freunden hat der Lustspieldichter die Figuren seiner Komödien, der Satiriker die Zerrbilder seiner Mémoires geholt und dabei brachte der Sohn des Volkes ein Element in die Literatur seiner Zeit, das sie bei ihrer übermäßigen, greisenhaften Verstandeskultur fast gänzlich verloren hatte: Diderot, Beaumarchais et Bernardin de St. Pierre: c'est le grand legs du dix-huitième siècle au dix-neuvième. Goncourt: Idées et sensations. Charpentier, 1877, 183.jugendliche Unmittelbarkeit und Ursprünglichkeit.

Wenn Goethe das »bejahrte und vornehme« Wesen des literarischen Zeitalters Voltaires durch volkstümliche, bisher noch nicht entbundene Kräfte aufgefrischt sehen mochte, so war durch das Auftreten Rousseaus, Diderots, Bernardin de St. Pierres und Beaumarchais' diesem Wunsche teilweise Genüge geschehen. Die demagogische Beredsamkeit des Genfers, die Improvisationsgabe des Autors von Rameaus Neffe, die neuen Welten, welche der Dichter von Paul und Virginie den Landschaftern eroberte, gelten den Künstlern Jung-Frankreichs im Verein mit Beaumarchais' Werken als das Vermächtnis des 18. Jahrhunderts an das 19. Während aber die Romantiker längst Bernardin de St. Pierre als Koloristen überholt haben, wie empfindsame und naturalistische Erzähler weit über Rousseau und Diderot hinausgegangen sind, ist Beaumarchais' Lustspieltechnik von Scribe und seinen Leuten nur äußerlich nachgeahmt und weiter entwickelt worden. Der aristophanische Zug des »Tollen Tages« ist bei keinem Nachgeborenen wieder anzutreffen, so wenig die quellfrische Heiterkeit seines »Barbier« bei einem neueren Franzosen zu erfragen wäre. So mag dem Manne Beaumarchais viel vergeben werden, als einem großen Wohltäter der Menschheit, einem der seltensten aller Künstler, einem echten Humoristen.

Und nirgends wird ihm williger Ablaß zugestanden werden, als bei uns, wo der Tondichter der »Hochzeit des Figaro« längst sein Unsterbliches in eine reine Welt des Wohllauts emporgehoben und Goethe das Wunder vollbracht hat, seinen Namen zum Sinnbild männlich kräftiger Ritterlichkeit zu erhöhen. Der Dichter des »Faust«, der das Andenken dieses schmachvollen Betrügers ( turpissimus nebulo) zum Inbegriff alles Großen, Gedankengewaltigen reingeläutert hat, beschied uns auch, statt des aventurier français, einen Beaumarchais voll Nerv und Feuer, voll Edelsinn und Heldenkraft, der solange leben wird, wie die deutsche Literatur.

Quellen und Anmerkungen

Quellen

A. Handschriftliche

Alcala de Henares = Papeles de Estado. Correspondencia reservada con Grimaldi sobre soccorer las colonias Inglesas. 1776.

Archives des affaires étrangères = Archiv des auswärtigen Amtes (Paris). Espagne (1764). Angleterre (1774–1785). Hollande (1792). Hambourg (1795).

Archives nationales = Pariser Nationalarchiv (Parlement de Paris X2 B. 1338. 1400. Prozeß Goezmann).

Comédie Française = Beaumarchais-Papiere des Archivs der Comédie Française; sieben Bände, welche Eduard Fournier im Jahre 1863 bei einem Londoner Antiquar (Soho-Square) entdeckte und für die Maison de Molière ankaufte. Vgl. die Briefe Fourniers und die Nomenklatur der von ihm zustande gebrachten Papiere im Théâtre complet de Beaumarchais (Edition d'Heylli-Marescot, Paris, 1879, II 205–220).

Egerton Manuscripts = Beaumarchais-Papiere des British Museum. (Vgl. List of additions to the manuscripts in the British Museum in the years MDCCCXXXVI-XL. London 1843.)

Hardy= Journal des événements tels qu'ils parviennent à ma connaissance par Hardy. Paris. Bibliothèque nationale. Supplément français 6680–82.

Karlsruher Archiv= Beaumarchais-Papiere des großherzogl. badischen Landesarchivs. 4 Faszikel (1779–91).

Loménie (Charles de) = Beaumarchais-Papiere, welche mir der Sohn des Beaumarchais-Biographen Louis de Loménie freundlichst zur Einsicht überlassen hat.

Ring = Friedrich Dominik Ring. Aufzeichnungen zur Geschichte Badens unter Karl Friedrich. (Auszug aus Rings Handschriften auf der Freiburger Universitäts-Bibliothek, seit 1901 im Karlsruher großherzoglich badischen Landesarchiv.)

Wiener Staatsarchiv = Beaumarchais-Papiere des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (1774).

B. Druckwerke

Arneth = Beaumarchais und Sonnenfels. Von Alfred Ritter von Arneth. Wien, Braumüller, 1868.

Aulard = Beaumarchais pendant la révolution. Alphonse Aulard. Études et leçons sur la révolution française. VIe série. Paris, Alcan, 1910.

Bibliothèque des mémoires = Bibliothèque des mémoires relatifs à l'histoire de France pendant le 18e siècle, Ed. Barrière, Paris Didot, Tome I – XXXII.

Bonnefon = Beaumarchais. Par Paul Bonnefon. Paris. Aux bureaux de l'Artiste 1887.

Cherbuliez = Une biographie allemande de Beaumarchais. G. Valbert (Victor Cherbuliez). Revue des deux mondes. 1er février 1886.

Cordier = Bibliographie des oeuvres de Beaumarchais par Henri Cordier. Paris, A. Quantin, 1883. (Ungenaue und unselbständige Wiedergabe der damaligen Kataloge des British Museum und der Pariser Nationalbibliothek s. v. Beaumarchais.)

Doniol = Histoire de la participation de la France à l'établissement des états-unis d'Amérique. Correspondance diplomatique et documents. Par Henri Doniol. Paris, Imprimerie nationale A. Picard, éditeur. VI vol. 1885–1890.

Fournier = Oeuvres complètes de Beaumarchais. Nouvelle édition augmentée de quatre pièces de théâtre et de documents divers inédits avec une introduction par M. Edouard Fournier, Paris, Laplace, Sanchez et Cie. 1876. [Einstweilen die vollständigste Ausgabe.]

Gaillardet = Mémoires sur la Chevalière d'Eon d'après des documents authentiques suivis de douze lettres inédites de Beaumarchais. Par Frédéric Gaillardet. Paris, Dentu, o. J. (1867).

Gudin = Histoire de Beaumarchais par Gudin de la Brenellerie. Mémoires inédits publiés sur les manuscrits originaux par Maurice Tourneux. Paris, Plon, 1888.

Hailays = Beaumarchais par André Hailays (Les grands écrivains français). Paris, Hachette, 1897.

Larroumet = Beaumarchais. L'homme et l'oeuvre (Études d'histoire et de critique dramatiques). Par Gustave Larroumet. Paris, Hachette 1899.

Lescure = Étude sur Beaumarchais. Prix d'éloquence. Paris, 1887.

Lintilhac = Beaumarchais et ses oeuvres. Par E. Lintilhac. Paris, Hachette 1887.

Loménie = Beaumarchais et son temps. Par Louis de Loménie. Troisième édition, Paris, Michel Lévy frères, 2 vol. 1873.

Oeuvres = Oeuvres complètes de Pierre Augustin Caron de Beaumarchais, 7 Bände, Paris, Léopold Collin, 1809. (Die Ausgabe ist, dank den Einleitungen und Anmerkungen Gudins, noch immer empfehlenswert.)

Sainte Beuve, C. L. = Sainte Beuve, Causeries du Lundi, 15 Bände, Paris, Garnier frères, Troisième édition.

Sainte Beuve, N. L. = Sainte Beuve, Nouveaux Lundis, 13 Bände, Paris, Michel Lévy, 1879. (Cinquieme édition revue.)

Théatre complet = Théatre complet de Beaumarchais, Réimpression des éditions princeps avec les variantes des manuscrits originaux publiées pour la première fois par Georges d'Heylli et F. de Marescot, Paris, Librairie des Bibliophiles, 4 Bände 1871. (Vorderhand als Materialsammlung für den Beaumarchais-Forscher unentbehrlich; besondere Vorzüge sind der Edition jedoch nicht nachzurühmen.)

Eine annähernd vollständige, geschweige eine kritische Ausgabe der sämtlichen Werke und Briefe Beaumarchais' ist bisher nicht erschienen. Jahraus, jahrein verzeichnen die Kataloge der Autographenhändler wichtige Korrespondenzen des Autors der Folie journée, der mindestens ebensoviel, wenn auch nicht entfernt so mustergültige Briefe geschrieben hat, wie Voltaire. Nicht alle diese Briefschaften würden eine Veröffentlichung lohnen. Eine Auswahl der bisher im Privatbesitz zerstreuten Papiere, eine chronologisch angeordnete Ausgabe der belangreichsten von Aulard, Bonnefon, Doniol, Gudin, Lintilhac, Loménie und anderen mitgeteilten, sowie der in den oben erwähnten und sonstigen Archiven erhaltenen Schriften Beaumarchais', endlich die unverkürzte Mitteilung der Verhörs- und Konfrontations-Protokolle, kurz der Originalakten im Prozeß Goezmann lag ursprünglich in meiner Absicht, deren Ausführung hoffentlich mit der Zeit verwirklicht werden kann. Die gedruckten Kataloge der Pariser Bibliothèque nationale und des British Museum verzeichnen unter »Beaumarchais« ihre Bestände an Gesamt- und Einzelausgaben seiner Schriften.

Mannigfaltige, dankenswerte Förderung ist dieser zweiten Auflage namentlich durch die Leitung des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchives (Hofrat von Károlyi und Sektionsrat Schlitter); durch den Direktor des Karlsruher Landesarchives (Herrn Geheimrat Obser); durch den Abteilungsvorstand der Königl. Berliner Bibliothek, Herrn Geheimrat Ippel; durch den Direktor des Goethe-Schiller-Archives, Herrn Geheimrat Suphan; durch das Mitglied der Académie française, Joseph Bertrand; durch die Direktion des Archives von Simancas und durch meine Freunde Regierungsrat Glossy (Wien) und Professor Alfred Stern (Zürich) zugute gekommen.

C. Anmerkungen

Als Fußnoten ingearbeitet. joe_ebc für Gutenberg