Theodor Wolff
Spaziergänge
Theodor Wolff

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Corrida patriotica

(Madrid)

Madrid hatte gestern seinen großen Tag. Zwölf berühmte Torreadores erlegten in der mit Blumen und Bannern geschmückten Arena zwölf auserlesene Stiere zur Ehre des Vaterlandes, zu Ehren der spanischen Soldaten, die bei Manila und anderswo gegen die Amerikaner kämpften. Man nannte das die »Corrida patriotica« das »patriotische Stiergefecht«. Und in der Festzeitung stand unter den Bildern der zwölf Torreadores zu lesen:

»Das Vaterland liegt danieder
In sehr großen Schmerzen,
Und die tapferen Stierkämpfer setzen
Zu seiner Ehre ihr Leben aufs Spiel . . .«

Es ist sehr bedauerlich, es sagen zu müssen, aber dieses höfliche, mit manchen guten Eigenschaften ausgestattete Volk ist wirklich in einen sehr bedenklichen Zustand geistiger Vertrottelung geraten. Besonders in Madrid scheint es heute nur noch Stiere und Stierkämpfer zu geben. Man macht auf die Dauer nicht ungestraft ein Rindvieh zu seinem Nationalheiligen.

132 Die patriotische Corrida wäre nun ebenso widerwärtig wie jede nichtpatriotische gewesen, hätte nicht der Gedanke an die armen Burschen, welche im fernen Ozean ihr Leben etwas weniger theatralisch, dafür aber etwas gründlicher aufs Spiel setzen als ein zierlicher Torreador, der Sache noch den besonderen Beigeschmack gegeben. Es ist wahr, daß die spanischen Zuschauer sich bei derlei Gedanken nicht aufhielten. Nicht die jungen Soldaten dort unten waren die Helden, sondern der Torreador Guerritta in seinen grünen Seidenhöschen und der Torreador Mazzantini in seinen violetten. Und wer fragte danach, ob die spanische Flotte nicht in eine Falle ginge, wenn es nur Guerritta gelang, den Stier mit einem einzigen Stoße zu erlegen!

Die ganze Stadt war in Bewegung, und wer keinen Platz in der Arena gefunden hatte, stand wenigstens in den Straßen, durch welche die Wagen zum Stierzirkus führen. Alle Zuschauerinnen hatten weiße Spitzenmantillen über den Kopf gelegt und gelbe und rote Blumen ins Haar gesteckt. Hier und da sah man auch Mantillen aus gelben und roten Pompons. Und auf der Sonnenseite unzählige kleine gelb und rot gestreifte Fächer.

In das eintönige Programm der großen Stier- und Pferdeschlächterei war durch die Mitwirkung zweier portugiesischen »caballeros in arena« eine gewisse Abwechslung gebracht. Diese zwei Portugiesen, in mittelalterlicher Tracht und mit großen Federhüten, ritten nicht, wie die spanischen Picadores, alte, armselige Klepper, sondern prächtige, mutige Pferde. Sie suchen den Stier mit der Lanze zu treffen und dann samt dem 133 Pferde zu entkommen, während der Picador bekanntlich absichtlich seine Mähre im Stich läßt. Der ältere, schon graubärtige Portugiese ritt mit großer Gewandtheit und verfehlte seinen Stier nur äußerst selten. Der jüngere umritt die Bestie ängstlich in weiten Bogen, traf sie nicht ein einziges Mal, entging ihr schließlich nur mit genauer Not und wurde ausgezischt. Diese portugiesische Art des Stierkampfes ist um etliche Grade weniger ekelhaft und dafür spannender als die spanische.

In den kurzen Pausen warfen die spitzenbehängten Damen aus den oberen Logen Blumen auf das Publikum der unteren Sitzreihen, was sehr großen Jubel und einige kleine Balgereien verursachte. Patriotische Manifestationen gab es nicht. Die Torreadores, welche nach dem herrschenden Brauch vor jeder Schlachterei mit erhobenen Armen und erhabenen Worten den Stier dem Tode weihen, flochten einige patriotische Phrasen in ihre pathetische Ansprache. Das war aber auch alles.

Während unten in der Arena gerade ein erboster Stier unter dem tosenden Jauchzen der Zuschauer seine Hörner in den Bauch einer aufstöhnenden Schindmähre bohrte und ihr die blutigen Eingeweide herausriß, suchte ich, um die Anwandlung von Übelkeit zu überwinden, an andere Dinge zu denken und sagte, zu meinem spanischen Nachbarn gewendet: »Und die armen Soldaten –!« Er sah mich mit glänzenden Augen an, nickte verständnisinnig und entgegnete: »Nicht wahr? – wenn sie das sehen könnten!« 134

 


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