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ZEHNTES KAPITEL.

BRIEFE.

Eine volle Woche hatte sich Adolar nicht mehr im Forsthause blicken lassen, dafür waren ein paar mal kurze Briefe von ihm theils an den Förster, theils an dessen Tochter eingelaufen. Diese brieflichen Mittheilungen beschäftigten sich mit der wirklich erfolgten Abreise des Barons, der sich durchaus nicht halten lassen wollte und schließlich im Zorn von Kaltenstein geschieden war. Es begleitete ihn nur sein Leibjäger, der ihm am ergebensten war und auf dessen Willfährigkeit er rechnen konnte.

Clotilde lebte zurückgezogen in ihren Zimmern und verkehrte seit der letzten Unterredung mit ihrem Gatten nur noch mit Abbé. Kasimir. Dieser war es auch, welcher seinem Verwandten eine Eröffnung machte, die Adolar in eine trübe Stimmung versetzte. Clotilde hatte den Wunsch zu erkennen gegeben, unmittelbar nach erfolgter Scheidung den Schleier zu nehmen. Sie wollte Buße thun, um die Schatten der Todten zu bannen, die immer wieder vor ihr aus dem Boden aufstiegen und sie bis zum Wahnsinn ängstigten.

Ein Gespräch unter vier Augen mit dem Sohne lehnte Clotilde mit großer Entschiedenheit ab. Der Abbé seinerseits rieth ebenfalls nicht dazu, und so gab denn Adolar die Hoffnung auf, in ein klares Verhältniß zu seiner unglücklichen Mutter zu kommen.

Mit dem barschen Vater hatten ihn sehr weltliche Angelegenheiten entzweit. Der Baron forderte von dem Sohne eine Jahresrente auf Lebenszeit, die Adolar zu bewilligen Anstand nahm, da er der Meinung war, die Einkünfte der Herrschaft Kaltenstein würden dadurch unverhältnißmäßig stark angegriffen werden. Er wünschte den Rath Liebner’s zu hören, und weil er bei hartnäckigem Beharren des Vaters auf seinem Verlangen ebenso hartnäckig darauf bestand, kam es zu einer Spaltung, die sich nur durch fremde Vermittelung schlichten ließ.

Eine andere Sorge für Adolar war die Sicherung der Existenz der hinterlassenen Tochter Sandomir Geldern’s. Zerline gab zu seiner großen Beruhigung ihre Einwilligung zu dem Plane, den schon früher der Stiftssyndlkus in Vorschlag gebracht hatte, und für welchen der Domdechant Warnkauf gewonnen worden war. Der geistliche Herr entdeckte in dem vernachlässigten Mädchen so viele einer veredelnden Bildung fähige und deshalb sorgfältigster geistiger Pflege werthe Keime, daß er die fernere Entwickelung dieser seltenen Natur freudig und hoffnungsvoll übernahm. Zerline war nicht eigentlich moralisch verdorben, sondern nur verwildert, wie eine Pflanze, die ohne Pflege aufwächst. Der Tod des Vaters brachte insofern eine Veränderung in Zerline hervor, als sie den spröden, leicht zerbröckelnden Thon ihrer bedeutenden Anlagen weicher und nachgiebiger machte. Ihr gesunder, klarer Verstand hatte längst schon erkannt, daß die Wege, welche sie mit Genehmigung und auf Antrieb ihres Vaters wandelte, weit abführten von dem strengen Recht, ja daß sie fast immer mit dem Sittengesetz, das jeder in seiner Brust trägt, in argen Widerspruch gerieth. Solange aber der Vater lebte, dem Zerline mit unverhohlener Liebe anhing, konnte sie nicht an sich und was ihr gut sein möchte, denken. Sie fand, daß ihr Vater oft irre, daß er noch öfter geradezu mit Absicht unrecht handle, aber sie wußte immer eine Menge Entschuldigungsgründe für diese Gedanken- und Unterlassungssünden anzuführen, mit denen sie auch regelmäßig ihr weites Gewissen zur Ruhe sprach. Und endlich hatte der Vater ja selbst genug leiden müssen, sodaß er sich wohl etwas erlauben durfte, um andern Glück, das andere ihm geschmälert, soviel als möglich theilzunehmen.

Das blutige Ende Geldern’s, das Zerline, seit sie mit dem Vater Wohnung auf Kaltenstein genommen hatte und sich hier durch Adolar geschützt wußte, nicht für möglich hielt, erfüllte sie mit wahrhaftem Entsetzen. Womöglich noch tiefer war der Eindruck, welchen der häufig in Irrsinn übergehende Zustand ihrer Tante auf Zerline machte. Clotilde schloß sich freilich gegen die Tochter ihres Bruders, deren überlegene Schlauheit und einschmeichelnd verführerisches Wesen sie gleich sehr fürchtete, völlig ab, das hinderte aber die leichtfertige, immer heitere Nichte der Baronin, die auf diese ihre letztere Eigenschaft sehr großes Gewicht legte und diese ganz gehörig zur Geltung zubringen wußte, nicht, von allem, was in den strengbewachten Zimmern ihrer stolzen, von Erscheinungen und Schatten aller Art gepeinigten Tante vorging, sich ausführliche Kenntniß zu verschaffen. An der blutigen Leiche des ihr so plötzlich entrissenen Vaters eröffnete sich der bis in die verborgensten Falten ihres Herzens erschütterten Zerline die Zukunft. Als werde der Schleier, der bisher vor ihrem Auge wie eine undurchdringliche Binde gelegen hatte, von ihrem warnenden Schutzengel gehoben, so lag das Kommende vor ihr, überstrahlt von furchtbarem Lichte. Was sie in jenen Augenblicken entsetzten Verzückens gesehen zu haben vermeinte, erfuhr niemand, sie war aber von diesem nur secundenlang dauernden Gesicht so tief ergriffen, daß sich sofort eine völlige Wandelung ihres Innern allen, die sie kannten, zu erkennen gab.

Der allzu laute Schmerz, welchen Zerline unmittelbar nach ihres Vaters Tode offen zur Schau trug, erfüllte Adolar mit Bangen. Er glaubte seine Cousine genugsam zu kennen, um sich zu ihr einer raschen That im Schmerz wildester Aufregung versehen zu müssen. Um so leichter fühlte er sich, als er gewahrte, wie die laut Klagende alsbald stiller ward, sich ernst zusammenfaßte und gleichsam einen ganz andern Menschen anzuziehen schien. Dennoch war er über Zerline’s nächste Zukunft erst beruhigt, als der Domdechant von dem trauernden Mädchen freiwillig die Zusage erhalten hatte, sie würde gern zu ihrer geistigen Genesung, wie sie sich selbst ausdrückte, in seiner Behausung und unter seiner geistigen Führung verweilen.

Adolar durfte nunmehr wieder an sich selbst denken. Durch keinen dritten beeinflußt, war er eigenster Herr seines Handelns. Die Differenz mit seinem vielleicht schon weit entfernten Vater hatte der Stiftssyndikus ausgeglichen. Die leidende Mutter wußte er unter der Obhut des Abbé in guten Händen. Sein Herz zog ihn ohnehin nicht zu Clotilde, obwohl ihn nicht selten Stunden überraschten, in der ein unsagbares Weh die Saiten seiner Seele durchzitterte. Gerade solche Stunden leiteten Adolar’s Gedanken auf Hildegarde. Er fühlte sich der Tochter Frei’s in dem Zwiespalt näher gerückt, der aus seiner durch die Verhältnisse entstandenen Erkaltung gegen Vater und Mutter sich erzeugt hatte. Ganz Aehnliches litt Hildegarde oder sie hatte es leidend und kämpfend überwunden. Hier wie dort war aus Misverständnissen, aus unzeitigen Verheimlichungen ein Zustand hervorgegangen, der unter allen Umständen zu Irrungen führen mußte. Selbst das Verbrechen konnte dieser fortgesetzten Geistesangst entsteigen. Und lagen die Zeichen nicht erkennbar vor seinen Augen, die zu einer furchtbar überführenden Anklage gegen seinen Vater sich doch noch verwandeln konnten, wenn auch kein Lebender als Blutzeuge persönlich gegen ihn auftrat?

Das lange Zwiegespräch Adolar’s mit Hildegarde auf der Heimfahrt von Geldern’s Bestattung klang fort und fort in seiner Seele nach. Noch immer litt das schöne Mädchen, aber sie litt, indem sie sich in Geduld faßte. Das war eine Errungenschaft ihres Aufenthalts auf Hammerburg und der Bildung ihres Herzens, die sie bei der Gräfin von Serbillon sich angeeignet hatte. Adolar mußte sich gestehen, daß Hildegarde außerordentlich gewonnen habe, daß sie viel edler, viel weiblicher geworden sei, und je tiefer sich ihm diese Ueberzeugung einprägte, desto stärker ward die Sehnsucht in ihm, Hildegarde recht nahe zu sein, das Glück ihres Umgangs, aus dem er für sich selbst mehr Bildung des Geistes und Herzens zu gewinnen hoffte, recht oft zu genießen.

Um diesen Wunsch sich verwirklichen zu sehen, mußte zuvor mehr als ein Hinderniß entfernt werden, was sich keineswegs leicht bewerkstelligen ließ. Es konnte ihm, dem Gebieter und Herrn von Kaltenstein, allerdings niemand wehren, das Forsthaus so oft zu besuchen, als es ihm beliebte, ein häufiges Erscheinen in diesem würde aber sehr bald die übelsten Nachreden erzeugt und Hildegarde in aller Augen tief herabgesetzt haben. Der bloße Gedanke an die Möglichkeit eines solchen, auf hohle Voraussetzungen sich stützenden Verdachts machte Adolar erbeben; denn erkannte die schrecklichen Folgen sowohl eingebildeten wie gerechtfertigten Argwohns! War doch Hildegarde nur durch ein Wunder von dem Makel gereinigt worden, mit welchem ihre Flucht aus der Dechanei sie befleckt haben würde, wäre es nicht gelungen, gerade diesen übereilten Schritt vor der Menge geheim zu halten. Sodann scheuchte den jungen Baron auch Kathrine von der Schwelle des Forsthauses, und selbst Andreas, der nie heiter war und stets wie schuldbelastet einherging, konnte für Adolar keine lockende Persönlichkeit sein, die ein oftmaliges Einsprechen im Forsthause vor der Welt rechtfertigte.

So uneinig mit sich selbst und keines bestimmten Entschlusses fähig, traf ihn ein Brief aus Hammerburg. Das Schreiben war an den Abbé adressirt, enthielt aber auch Inlagen für Adolar, den Stiftssyndikus und Hildegarde.

Adolar frohlockte still im Herzen. Den Brief der Gräfin von Serbillon Hildegarde persönlich zu überreichen, durfte er sich erlauben. Es ließ sich erwarten, daß Hildegarde ihm manches Wissenswerthe aus demselben mittheilen werde. Daran knüpfte sich dann wieder ein freier Gedankenaustausch, und beides zusammen konnte Stunden wegnehmen.

Still hoffend legte der junge Edelmann das Schreiben der Gräfin beiseite, um den an ihn selbst gerichteten Brief zu lesen. Er trug die Handschrift des Fürsten Bulabicki, war aber nicht mit dessen Wappen versiegelt. Unter der Adresse standen, von fremder Hand geschrieben, die Worte: »Dem Unterzeichneten zur Besorgung übergeben. Oberst Malachowsky.«

Von trüben Ahnungen ergriffen, riß Adolar das Schreiben auf. Bulabicki hatte die letzten Stunden vor dem entscheidenden Kampfe, welcher die Hauptstadt Polens den stürmenden Russen wieder überlieferte, benutzt, um dem Freunde noch einmal sein übervolles Herz auszuschütten. Bald heiter bis zum Uebermuth, bald traurig und völlig entmuthigt, schilderte Bulabicki dem Freunde seine Erlebnisse, seit er von Hammerburg geschieden war. Des Frohen hatte der Sarmate eigentlich sehr wenig mitzutheilen, da er aber im eigentlichsten Sinne des Wortes ein leichtblütiger Augenblicksmensch war, der sich nur auf Momente verstimmen ließ, so enthielt das Schreiben doch manches Ergötzliche, sodaß es Adolar sogar bis zum Lachen reizte. Unter anderm war auch von der Gräfin Plater die Rede, mit welcher der Fürst eines Tages eine nur kurz dauernde Unterredung hatte. Diese Begegnung gab ihm wieder Veranlassung, den Freund an den Maskenball im Volksgarten zu erinnern, wo Adolar die ›süße Flamme‹ das Herz entzündete. Diese leitete die Gedanken des Fürsten wieder auf Adolar’s Jugendgespielin Hildegarde, die ihm den Aufenthalt auf Hammerburg unvergeßlich machte. »Wie schade,« rief er abermals aus, »daß ich nicht mit dir tauschen kann! Ich wüßte zwar nicht recht, was ich mit dieser glotzäugigen Schönen anfangen sollte, daß ich aber nicht von ihr lassen könnte, wenn ich in ihrer Nähe leben müßte, ist mir sehr klar. Ich vermaledeie dich, wenn du nicht alles aufbietest, dies schöne Kind der Welt, um dessen unsterbliches Theil Engel und Dämonen schon gekämpft haben müssen, als es noch in der Wiege lag, glücklich zu machen! Wie du das anfängst, ist deine Sorge! Ich habe leider Unerquicklicheres zu thun und fürchte sehr, es wird mir nicht gelingen. Zu jeder Stunde sind wir eines Angriffs gewärtig, und ich stehe hier in den äußersten Verschanzungen Pragas! ... « Bulabicki fügte noch mancherlei anderes hinzu, das für Adolar von geringem Interesse war. Ganz zuletzt gedachte er noch des uralten Wertschinsky mit der Bemerkung: »wenn der Mann ehrlich und glaubwürdig ist, dann bekommt Abbé Kasimir viel zu thun. Ich möchte wohl die Augen sehen, die der fromme Mann mit dem noch immer nicht völlig vergeistlichten Herzen bei den Mittheilungen Malachowsky machen wird!«

Bulabicki hatte nicht Zeit gefunden, den Brief zu schließen. Der Kanonendonner vor Praga rief ihn auf seinen Posten. Er übergab das Schreiben an Malachowsky zur Beförderung, falls er Unglück habe, ohne diesem nähere Instructionen zu ertheilen.

Der Fürst kehrte nicht zurück. Beim Sturm auf Praga war er gefallen. Man fand seine Leiche unter einer Menge Todter von vielen Bajonnetstichen durchbohrt. In einer Nachschrift hatte Oberst Malachowsky diese letztern Angaben über den Ausgang der polnischen Insurrection dem Schreiben des gefallenen Fürsten angefügt und als dann dasselbe an den Grafen von Serbillon zur Weiterbeförderung expedirt.

Den Fall Warschaus kannte Adolar bereits. Ihn hatte diese erschütternde Nachricht am Todestage Geldern’s, ja fast in dem Augenblicke erreicht, als seinen Onkel die Kugel des nie ermittelten Mörders durchbohrte.

Obwohl Adolar den Verlust Bulabicki’s als Freund aufrichtig beklagte, machte das schmerzliche Gefühl doch sehr bald der frohen Hoffnung Platz, die sich für ihn an eine längere Unterhaltung mit Hildegarde knüpfte. Ehe er jedoch nach dem Forsthause aufbrach, sprach er noch seinen Verwandten, den Abbé Kasimir, um von diesem zu hören, ob der Graf oder die Gräfin von Serbillon dem Priester ebenfalls das Ende des Fürsten gemeldet habe.

Dieser war von allem unterrichtet.

»Bringen Sie dem Fräulein im Forsthause meinen Segen,« sagte er, die breiten Lider niederschlagend, als Adolar ihm sein Vorhaben mittheilte. »Ich vergesse nie, die jugendliche Seele, die, wie wir alle, dem Irrthum unterworfen war und bleiben dürfte, wenn sie nicht die Heiligen behüten, in mein Gebet mit einzuschließen!«

Adolar versprach, den Auftrag seines Cousins auszurichten, nahm sich aber vor, denselben absichtlich zu vergessen. Sich über die Kraft des Gebets mit dem Abbé in eine Diskussion einzulassen, fühlte er sich nicht gedrungen. Mit einer kurzen Frage, welche dem Befinden seiner Mutter galt und die Abbé Kasimir fast mit denselben Worten beantwortete, deren er sich immer bediente, verließ er das Zimmer des Priesters, nahm die Briefe zu sich und ritt in raschem Trabe nach dem Forsthause.


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