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SIEBENTES KAPITEL.

BARON VON KALTENSTEIN AN GELDERN’S LEICHE.

Die Blutthat im Park von Kaltenstein ward bald ruchbar in der Umgegend. Höchst wahrscheinlich würde der alte Baron in gar übeln Leumund gekommen sein, wäre er, wie allbekannt, an diesem Tage nicht erst gegen Sonnenuntergang von der Jagd zurückgekehrt. Er hatte ungewöhnlich Glück gehabt und befand sich, so trüb er sich beim Ausgange am Morgen zeigte, bei der Heimkehr in bester Stimmung. Da überbrachte man ihm die Kunde von der Ermordung Geldern’s!

Es kostete dem Baron Ueberwindung, dem Todten gegenüberzutreten. Vier Augenpaare richteten sich so fest, so hart und kalt auf ihn, daß er seiner ganzen Manneskraft bedurfte, um diese inquisitorischen Blicke ruhig zu ertragen. Aber er zuckte nicht unter diesen stummen Fragen, ja es gelang ihm sogar, den Ausdruck seiner Mienen vollkommen zu beherrschen.

Man hatte den Leichnam Geldern’s in die Trinkhalle geschafft. Hier lag er auf untergebreiteten Polstern fast auf derselben Stelle, wo ihn vor mehreren Monaten die Kugel des bis zur Wildheit gereizten Schwagers niedergestreckt hatte.

Geraume Zeit betrachtete Baron von Kaltenstein den Todten, um dessen eingesunkene Lippe noch ein Zug von Spott und Hohn spielte. Daß diese Lippen sich dem Edelmann gegenüber nicht mehr öffnen, daß sie nie wieder einen vergiftenden Strom schonungsloser Schmähungen und Enthüllungen über ihn und Clotilde ausgießen konnten, das war für den Baron ein Genuß, den er vor jedermann geheim hielt. Trug er auch eine ernste, traurige Miene zur Schau, im Herzen jubelte er, daß die Hand eines dritten ihn von diesem furchtbaren Quälgeist, der ihm als Satan in Menschengestalt entgegentrat, befreit hatte.

Nachdem er die Züge Geldern’s so lange betrachtet hatte, als wolle er sie seinem Gedächtniß für immer einprägen, wandte er sich mit der Frage an den Stiftssyndikus:

»Hat man nichts entdeckt, was uns auf die Spur des Thäters führen könnte?«

»Außer einigen Fußtapfen im Sande hat der Mörder Ihres Schwagers kein Zeichen seiner Anwesenheit zurückgelassen,« versetzte Liebner. »Dennoch kann über die Person desselben kein Zweifel obwalten.«

»Das verstehe ich nicht,« sprach der Baron beunruhigt.

»Für uns, die wir den Unglücklichen noch vor seinem raschen Hingange sprachen, ist es sehr verständlich,« entgegnete der Stiftssyndikus. »Geldern erkannte seinen Mörder!«

»Von Person und Namen?« sprach der Baron, indem er eine eisige Kälte seine Gebeine durchrieseln fühlte.

Der Stiftssyndikus bejahte.

»Ist es nöthig, daß ich Ihnen die Person noch genauer bezeichne?« setzte er hinzu.

»Später ... wenn wir allein sind,« versetzte abwehrend der Edelmann. »Weiß Clotilde um den unseligen Vorfall?«

»Die Frau Baronin war von den Fenstern ihrer Zimmer aus entfernte Zeugin der That. Sie vereinigte ihre Stimme mit dem Hülferufen der Tochter des Ermordeten.«

»Zerline war zugegen?«

Adolar gab dem Vater Bescheid auf diese Frage. Der Baron hörte den Sohn mit derselben Ruhe an wie den Stiftssyndikus. Darauf wendete er sich an den Abbé, der, vertieft in die Anschauung des Todten, dem Anscheine nach der bisherigen Unterhaltung ebenso theilnahmlos zugehört hatte wie Joseph am Ort, der am obern Ende der Tafel in einem Lehnstuhle saß und sein Auge unverwandt auf den Baron gerichtet hielt.

»An Ihnen, ehrwürdiger Herr, dürfte es jetzt sein,« sprach er, »zu bestimmen, wann und auf welche Weise dieser beklagenswerthe Todte beerdigt werden soll. Ich weiß, daß er in der katholischen Religion erzogen worden ist, was man so im allgemeinen Erziehung nennt. Wie weit sein Glaube reichte, ist mir, da ich sehr lange seines unterhaltenden Umgangs entbehren mußte, weniger bekannt. Auf meinen, das heißt auf meines Sohnes Besitzungen haben wir keinen katholischen Kirchhof.«

»Ich habe mir bereits erlaubt, Herr Baron,« erwiderte Abbé Kasimir, »einen Brief an den hochwürdigen Herrn Domdechanten Warnkauf in Mariendorf zu richten. Dieser hochgeschätzte Geistliche wird, da ich bezeugen kann, daß Lieutenant Geldern mit dem Willen, bußfertig und reuevoll vor Gott zu treten, starb, keinen Anstand nehmen, die sterbliche Hülle des Verewigten in geweihte Erde bestatten zu lassen.«

Der Baron reichte dem Abbé aus Freude über diese bereitwillig übernommene Vermittelung dankend die Hand.

»Lassen wir jetzt den Todten, der ja ausgelitten hat, ruhen,« nahm er abermals das Wort. »Ich ersuche die Herren, mich nach dem Park zu geleiten, damit ich den Schauplatz der That noch vor Einbruch der Nacht in Augenschein nehmen kann. Was sonst etwa in dieser Angelegenheit zu thun sein möchte, dürfen wir wohl vertrauensvoll unserm rechtsgelehrten Freunde überlassen.«

Der Abbé ergriff den Arm des Barons, diesem schlossen sich der Stiftssyndikus mit Adolar, ein leises Gespräch miteinander führend, an, und zuletzt, eine ziemliche Strecke hinter den übrigen zurückbleibend, kam Joseph am Ort.

Der Baron fand alle Angaben des Stiftssyndikus bestätigt, was eine Menge in ihm aufsteigender Zweifel beseitigte. Da es schon zu dämmern begann, hielt man sich nicht lange bei dem Tempel auf. Während der Rückkehr zum Schlosse wechselte aber der Abbé den Begleiter. Er gesellte sich zu Adolar und überließ Joseph am Ort den Platz an der Seite des Barons.

»Wir kennen uns noch so wenig,« redete der Inspector jetzt den Edelmann an, »daß wir uns für ganz Fremde halten könnten, hätte ein glücklicher Zufall uns nicht vor kurzem zu nahen Verwandten gemacht. Die Mittheilungen des Herrn Abbé, die tiefeingehenden Erläuterungen des gelehrten Herrn Stiftssyndikus ... «

»Sehr wohl, Herr am Ort,« unterbrach den Sprechenden der Baron, »ich habe, Gott sei Dank, ein ziemlich gutes Gedächtniß. Ich bedauere nur, daß Sie gerade zu einer für freundliche Unterhaltung so wenig sich eignenden Stunde mich und meine Familie mit Ihrem angenehmen Besuche beehren.«

»Ich werde mir erlauben, später, in glücklichern Tagen, meiner verehrten Cousine mich vorzustellen,« erwiderte Joseph am Ort. »Daß die arme Dame immer so leidend ist, betrübt mich. Ich hörte, sie befinde sich in der Besserung, und nun kommt dieser schreckliche Schlag dazwischen, der ja von neuem die schwachen Nerven der Leidenden angreifen muß! ... Wie furchtbar hat doch das Schicksal in der Familie gehaust, der ja auch ich mit angehöre! ... Wenn Sandomir Geldern sich nicht irrte, so erkannte er die Person des Mörders, den ich leider ebenfalls kenne! ... «

»Sie? ... Sie kennen ihn?«

»Da ich zugleich seinen Wohnort anzugeben weiß, möchte ich seine Verfolgung bevorworten.«

Der Baron schritt schweigend neben dem Inspector fort, dann blieb er plötzlich stehen und sagte:

»Mein Schwager bildete sich häufig Dinge ein, die gar nicht existirten, und in Bezug auf Neigung und Abneigung gegen Persönlichkeiten war er so wetterwendisch, daß er oft nicht wußte, ob er jemand lieben oder hassen sollte. Er machte das immer abhängig von dem Vortheil, den er dabei für sich selbst herauskommen sah. Wer weiß, ob nicht auch in den letzten Stunden seines Lebens ...«

»Eine blos fingirte Person,« fiel Joseph am Ort ein, »ist Nicanor im Winkel nicht. Sie wissen das selbst, Herr Baron! Da Sie ein so gutes Gedächtniß besitzen, können Sie unmöglich die Unterredung vergessen haben, welche Sie im Hochsommer unfern meiner Wohnung mit dem Genannten hatten.«

Gebückten Hauptes schritt der Baron neben dem Inspector fort.

»Und was folgern Sie daraus?« sagte er, als dieser eine Pause machte.

»Nichts, Herr Baron! Ich weiß nur, in welchen Beziehungen Nicanor im Winkel vor längern Jahren zu Ihnen und ... zu dem Ermordeten stand.«

»Sie können recht haben,« versetzte Herr von Kaltenstein, »und ich begreife vollkommen, wohin Ihre Andeutungen zielen. Wie nun aber, Herr am Ort? Wer gibt uns das Recht, auf die Aussage eines Sterbenden jemand unter Erhebung einer so schweren Beschuldigung verhaften zu lassen? Im ganzen Schlosse lebt niemand, welcher den Mörder des armen Geldern sah, man hörte nur den Widerhall des Schusses ... «

»Eine Person im Schlosse hat den Mörder gesehen!« sprach Joseph am Ort mit Nachdruck.

»Und diese ist?«

Der Inspector legte seinen Mund an das Ohr des Barons. »Ihre Gattin!« sagte er ruhig. »Nach der Aufhebung ihres Bruders ließ sie den Herrn Abbé zu sich rufen, und diesem hat sie erzählt, was sie mit eigenen Augen sah.«

»Die arme Frau!« erwiderte betrübt der Baron. »Was mag sie bei diesem Anblick gelitten haben! ... Ja freilich, wenn es so ist, dann allerdings ... Aber es wird eine langwierige Untersuchung geben, und, augenblicklich zweifle ich noch, daß sich überhaupt der Thatbestand wird feststellen lassen. Indeß bitt’ ich als Freund, besprechen Sie sich mit dem Herrn Stiftssyndikus. Der Mann ist gewandt, und was er vorschlägt, dürfen wir getrost für das Beste erachten.«

Joseph am Ort wurde durch die Kühle des Barons in einige Verlegenheit gesetzt. Er hatte mit Bestimmtheit erwartet, daß seine beziehungsreichen Fingerzeige ihn aufregen würden, und nun forderte derselbe Mann, von dem er überzeugt war, der Tod Geldern’s komme ihm mehr als gelegen, ihn auf, den muthmaßlichen Mörder zu verfolgen! Ohne nochmalige Berathung mit dem Stiftssyndikus durfte und konnte Joseph am Ort nicht weiter gehen, doch hoffte er, daß ersterer ihm beipflichten und das etwa Nöthige ungesäumt anordnen werde. Bestärkt in dieser Annahme ward der Inspector noch durch die Ungeduld Liebner’s, der zum Aufbruche trieb.

»Sie könnten mich begleiten, Herr am Ort,« sagte er zu diesem. »Nach Hause kommen Sie vor Mitternacht doch kaum, und wir haben noch mancherlei miteinander durchzusprechen. Am besten wär’ es, Sie ließen Ihr Gebirgscarriol einstweilen hier, stiegen mit in meinen Wagen, und morgen holte Ihr Fuhrmann Sie aus meiner Behausung wieder ab. Der Umweg über das Kloster beträgt wenig mehr und ist weit fahrbarer als der, welcher am Crucifix vorüberführt.«

Joseph am Ort nahm diesen Vorschlag an. Der Baron geleitete beide Herren an den Wagen und empfahl sich ihnen mit lächelnder Miene.


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