Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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17. VOR DEM STURM

Es war schon am Abend des dritten Tages nach seinem Ausmarsch, als der wackere Heinrich von Plauen mit seinem kleinen Heer in die Marienburg einrückte. Sein Herz war voll Trauer, als er hinaufsah zu den Zinnen und Türmen des herrlichen Hauses, die in den Strahlen der niedergehenden Sonne hellrot leuchteten, und der Schrecknisse gedachte, welche die nächsten Tage bringen mußten; aber sein Mut war ungebrochen. Sein erster Gang war nach der Marienkapelle. Dort dankte er Gott, daß er es ihm habe gelingen lassen, die Burg Marias noch vor Ankunft des Feindes zu erreichen.

Wenige Ritter fand er im Hause, meist nur die alten und gebrechlichen, die den Kriegszug nicht hatten mitmachen können, unter ihnen auch Wigand von Marburg. Dunkle Gerüchte von einer großen verlorenen Schlacht waren zu ihnen gedrungen und hatten sie in Bestürzung versetzt. Denn mit den Mitteln, die ihnen zu Gebote standen, war die Burg nicht einen Tag zu verteidigen. Nun erklärten sie sich bereit, ihre letzte Kraft daran zu setzen, den Feind von des Ordens Haupthaus abzuwehren.

Aber die Hoffnung war gering, in der kurzen Zeit, die voraussichtlich der König den Verteidigern lassen würde, auch nur die notdürftigste Ausrüstung zu besorgen. Nun zeigte sich's, wie Ulrichs von Jungingen ritterlicher Sinn nur an siegreiche Kämpfe im freien Felde gedacht, einen Rückzug aber ganz außer Rechnung gelassen hatte. Das meiste Geschütz, die besten Waffen hatte er mit sich genommen oder ins Feld nachkommen lassen; die Vorräte an Lebensmitteln reichten nur für die kleine Besatzung aus, die Wehrgänge standen leer. Als Plauen am nächsten Morgen die Burg besichtigte und sie so ganz unvorbereitet fand, beschlich ihn eine schmerzliche Ahnung, daß alles Mühen vergebens sein werde. Aber seine Begleiter merkten davon nichts; er trug den Kopf hoch und spähte mit scharfem Auge überall hinaus, wo zunächst zum Verteidigungswerke Hand anzulegen sein möchte, ob es nun mit Gottes Hilfe gelinge oder nicht.

Vor allem mußten Vorräte an Lebensmitteln und Waffen herangeschafft werden. So schickte er denn eiligst Boten nach den benachbarten Häusern und Außenhäfen des Gebiets, das sonst der Großkomtur verwaltete, und gab dorthin Befehle, Vieh und Pferde, Vorräte und Waffen, so viel man zusammenbringen könne, nach dem Haupthause zu schaffen. Bald setzten sich von allen Seiten die Zufuhren in Bewegung.

Auf dem Hofe zu Gorgke, über den der Pferdemarschall verfügte, wurden die Ställe geleert, so viel der Hochmeister zurückgelassen hatte. Auch im Karwan, von dem aus die Ackerwirtschaft betrieben wurde, fand sich ein verwendbarer Bestand. Gegenüber der Burg auf dem linken Ufer der Nogat lag der Kaldenhof, auf dem sonst der Kornmeister und Viehmeister große Bestände von Getreide und Vieh hielten.

Auch jetzt fehlte es nicht ganz daran. Von den reichen Bauern im Marienburger Werder wurde geliefert, was ihnen irgend entbehrlich war. Viele kamen mit ihrer ganzen fahrenden Habe angezogen, in der Burg Schutz zu suchen.

Auch nach Danzig schickte der rührige Komtur einen Brief an den ihm wohlbekannten Bürgermeister Konrad Letzkau, stellte des Haupthauses Not vor und bat um kräftige Unterstützung.

Der Gießmeister Ambrosius erhielt Auftrag, Tag und Nacht im Gießhause arbeiten zu lassen, damit an allerhand Geschoß kein Mangel sei. Auch sollte er die vorhandenen Bliden und Feuerstöcke in Stand setzen und in den Wallgängen unter den Zinnen an geeigneten Stellen postieren. Einiges Geschütz hatte der Komtur auch mitgebracht.

Besondere Sorge aber machte ihm die Stadt Marienburg. Sie lag zwar dicht unter dem Schloß und war mit Mauern umgeben, aber Plauen übersah leicht, daß es ihm mit seinen geringen Streitkräften unmöglich sein würde, Werke von so großem Umfange gegen eine so weit überlegene Macht zu verteidigen. Wenn der Feind aber die Stadt einnahm und sich in den Häusern festsetzte, mußte er der Burg äußerst gefährlich werden. Sie ließ sich dann auf dieser Seite auch bei heldenmutigster Verteidigung nicht halten. So entschloß er sich am ersten Tage zu einem Schritt, der sein Herz nicht wenig beschwerte und der doch unabwendbar war.

Er berief den Bürgermeister und die Ratmannen von Marienburg aufs Schloß und stellte ihnen seine Befürchtungen vor. Da scheint es besser, sagte er, ihr opfert freiwillig, was doch verloren ist. Räumt eiligst die Stadt, schafft Weib und Kind, Hausrat und Vorräte nach der Vorburg, die euch gastlich aufnehmen soll, und – werft den Feuerbrand in die Häuser, daß der Feind nur einen Haufen Asche finde. Hilft die Heilige Jungfrau dem Orden, daß er ihr Haus behaupte, so wird sie auch euch helfen, die Stadt schöner aufzubauen, und des Ordens Tresler wird eure Entschädigung nicht karg bemessen. Tut also, was die Not gebietet.

Da kehrten sie heim mit gesenkten Köpfen und traurigen Gesichtern. Aber sie sahen wohl ein, daß der Komtur recht hätte und zum Besten riet. So berief denn der Bürgermeister in diesem besonderen Falle nicht nur die Älterleute, sondern die gesamte Bürgerschaft vor das Rathaus und machte sie bekannt mit des Komturs Befehl. Es war ein großes Jammern und Wehklagen am Anfang in allen Häusern, aber bald überzeugten sich die Frauen, daß nur hinter den Mauern der Burg für ihre Kinder Sicherheit zu finden sei, und begannen Leinenzeug und Betten, Kleider und Geschirre in Kisten zu verpacken und durch die Männer aufs Schloß tragen oder mit ihren Ackerwagen abfahren zu lassen; erst wurde das Wertvollste ausgewählt und geborgen, dann – da der Feind länger als erwartet ausblieb – kam auch der größere Hausrat an die Reihe. Die Speicher wurden geleert, auch das Vieh fand in der Vorburg ein Unterkommen. Ununterbrochen Tag und Nacht bewegte sich ein Zug von lasttragenden Menschen und bepackten Fuhrwerken von den Stadttoren über den Burggraben. Nur die kahlen Wände der meist von Holz erbauten Häuser blieben stehen.

Von den Männern hatte jeder seinen Harnisch; so viele ihrer waren, so viele Verteidiger gewann die Burg.

Aber auch anderer Zuzug blieb nicht ganz aus. Manche kleine Schar hatte sich aus der Tannenberger Schlacht gerettet oder auf den Landstraßen gesammelt, Ritter und Knechte, Hauptleute und Söldner. Sie suchten dem Feinde nordwärts zu entkommen, und ein Teil von ihnen fand den Weg zur Marienburg, während ein anderer nach Elbing und Danzig verschlagen wurde. Mit Freuden wurden sie von Plauen empfangen, so traurig auch ihr Aussehen war. Da zog Herr Nikolaus von Kottewitz heran mit seiner Horde Kriegsgesellen, und darunter waren viele wackere Männer von Adel: Petzsche von Redern und der Ritter von Schwebisdorf mit vierundzwanzig Spießen, Herr Polke von Kittlitz mit neun, die Gebrüder Roland und Heinz von Schellendorf mit siebzehn, Friedrich und Hans von der Heide mit fünfzehn Spießen, und so viele andere mit mehr oder minder Spießen. Auch kam ein Ritter von Eulenburg mit sechsunddreißig Spießen, und der edle Wenzel von Dohna hatte eine große Zahl von Soldhauptleuten mit ihren Rotten zusammengebracht und herangeführt. Von Schlochau her sprengten Hans und Friedrich von Schlieffen mit ihren Fähnlein nach dem Haupthause zur Hilfe. Zuletzt kamen noch Meißner Ritter, die auch in der Schlacht gewesen waren, und boten ihre Dienste an. Wer nennt die Namen aller dieser tapferen Führer? Jeder Mann tat seine Pflicht.

So freudig aber auch der Komtur jeden neuen Streiter begrüßte, der ihm ein tapferes Herz und eine starke Hand entgegenbrachte, keinen empfing er mit so froher Empfindung als seinen Vetter aus der älteren Linie, der auch, wie er, Heinrich hieß. Er kam aus Deutschland und hatte dem Meister einige Fähnlein zuführen wollen, traf aber zu spät zur Schlacht ein und gesellte sich nun seinem Vetter in der Marienburg zu. Bei ihm war auch ein Bruder des Komturs und ebenfalls mit ihm gleichen Namens, ein Deutschordensritter. Er war wohl acht Jahre jünger als der Komtur, ein streitlustiger, entschlossener, derb zufahrender, leicht zorniger und stolzer Herr, von dem noch viel die Rede sein soll. Der Komtur liebte ihn brüderlich und schenkte ihm großes Vertrauen; er wußte, daß er sich auf ihn in der Not verlassen könne wie auf sich selbst. Es hatte in den Konventen, denen er zugeordnet, stets viel Klagen über seine Gewalttätigkeit und sein herrisches Wesen gegeben. Ein so unbequemer Kumpan er aber deshalb auch im Frieden sein mochte, jetzt, in schwerer Notlage, hatte er gerade die Eigenschaften, die ein Führer über eine Horde zusammengerafften, rasch verwilderten Volkes gebrauchte. Schon bei den Zurüstungen zur Verteidigung fand Plauen an ihm eine feste Stütze.

Während dieses hastigen, unruhigen Treibens der ersten Tage brachte glücklich Hans von der Buche den ihm anvertrauten Schatz in die Marienburg ein. Er atmete leichter auf, als er mit Waltrudis über die Zugbrücke und durch das hochgewölbte Tor ritt. Gott sei gelobt, sagte er, wir sind am Ziel, und Euch ist unterwegs nichts Übles widerfahren! Ich habe mein Wort gelöst.

Ihr aber bringt eine Wunde mit, antwortete sie. Warum stelltet Ihr Euch auch den Strolchen zur Wehr, statt zu entfliehen, wie ich tat?

Sie hätten Euch eingeholt, versicherte er, und dann mit uns beiden leichtes Spiel gehabt. Aber die Schramme ist nicht der Rede wert.

Das Tor war gänzlich verfahren; sie mußten eine Weile warten, bis sie in den Hof konnten. Ängstlich sah das schöne Mädchen zu, wie Männer und Weiber einander überhasteten, ihre Habe zu bergen, und führte das Pferd ganz dicht an die Mauer, um nicht im Wege zu sein. Sobald eine Lücke entstand, faßte der Junker ihren Zügel und zog sie hindurch.

Da waren sie nun im Burghof, aber niemand wollte ihnen eine erbetene Auskunft geben oder sie zurechtweisen. Hatte doch ein jeder mit sich selbst genug zu tun. Hans lenkte von dem Wagenzuge, der nach der Vorburg ging, seitwärts ab und suchte nach dem Hochschlosse eine Stelle auf, an der wenig Verkehr war. Ich muß Euch für kurze Zeit verlassen, Fräulein, sagte er besorgt, dem Herrn Komtur unsere Ankunft zu melden. Bleibt solange hier mit den Pferden und gebt keine Antwort, wenn man Euch anreden sollte, damit man das Weib nicht an der Stimme erkennt. Ich eile, wie ich kann.

Er durfte wohl annehmen, daß die Gestalt sie nicht verraten werde. Waltrudis hatte das Haar fest zusammengeflochten und einen großen Klapphut darüber gedeckt. Wenn sie den Kopf senkte, schützte er auch das Gesicht. Um die Schulter trug sie einen weiten Reitermantel, der die weibliche Kleidung völlig verbarg. Man konnte sie für einen jungen Burschen halten, der die Pferde seines Herrn zu hüten die Aufgabe hätte.

Junker Hans fand sich nur mühsam in der weitläufigen Burg zurecht. Da er nach dem Komtur fragte, mußte man ihn wohl beachten; aber man schickte ihn hierhin und dorthin, bis er endlich in einem Wehrgange des rechten Schlosses den Gesuchten in einem Haufen von allerhand Kriegsvolk stehen sah, seine Befehle austeilend und Berichte entgegennehmend.

Er wartete eine Weile außerhalb des Kreises, in der Hoffnung, daß Plauen ihn bemerken und heranrufen werde. Das geschah aber nicht, obgleich dessen Blick öfters über ihn hinglitt. Endlich faßte er sich ein Herz, drängte sich durch die Schar und grüßte. Rief ich Euch? herrschte der Komtur ihn an. Ihr seht, daß ich beschäftigt bin.

Gestattet nur, gnädiger Herr, daß ich Euch melde –

Wißt Ihr etwas vom Feinde?

Nein, gnädiger Herr.

Das andere hat Zeit.

Aber wohin befehlt Ihr –?

Wartet! Der Komtur wandte sich von ihm ab und seinen Begleitern zu. Die Beratung hatte ihren Fortgang. Es handelte sich darum, auf welche Weise die Stadt am besten in Brand zu setzen sei ohne Gefahr für das Schloß. Man trat an die dreieckigen Lichtöffnungen in der Mauer und erörterte die Vorschläge eines älteren Mannes, der dem Komtur stets zur Seite blieb.

Es war der Gießmeister Ambrosius.

Hans von der Buche stand wie auf Kohlen, wagte aber nicht, sich zu entfernen, zu leicht konnte der Augenblick versäumt werden, in dem ihm der Komtur seine Anweisungen zu erteilen geneigt war. Endlich löste sich der Kreis; die einzelnen gingen rechts und links zu den ihnen aufgetragenen Geschäften. Nun sprach der Komtur abseits einige Worte heimlich mit dem Gießmeister und schritt dann eilig am Junker vorüber. Er sprach kein Wort, wies aber mit der Hand auf jenen.

Ambrosius trat heran und nannte seinen Namen. Er sei bereit, das junge Fräulein bei sich aufzunehmen, obschon ihm der Besuch in dieser schweren Zeit nicht gerade gelegen komme. Auch hat da meine Frau ein Wörtlein mitzureden, fügte er bedenklich hinzu.

Sie wird das Fräulein nicht abweisen, bemerkte Hans zuversichtlich. Aber folgt mir schnell, lieber Herr. Waltrudis ist ohne Schutz und sicher schon vor Angst vergangen bei diesem langen Warten. Hoffentlich ist ihr nichts Übles begegnet.

Seine Besorgnis war sehr begründet.

Längere Zeit hatte man den Menschen mit den beiden Pferden ganz unbeachtet gelassen. Dann aber fand sich auf dem Platze ein Mann ein, der offenbar durch kein dringendes Geschäft in Anspruch genommen war, sondern Muße hatte, bald hier und bald dort den Zuschauer abzugeben. Sein Aussehen war wenig vertrauenerweckend; die Kleidung, die er trug, mußte aus der Garderobe verschiedener Herren zusammengelesen sein. Auf dem Kopfe saß ein Hut, dessen Krempe an der einen Seite aufgenommen und mit einem Kreuz von Blei befestigt war, das auf geistlichen Ursprung deutete. Zu der abgeschabten Schlitzhose paßte nicht das nach polnischer Art zugeschnittene Wams, und der an mehr als einer Stelle durchlöcherte braune Mantel wieder konnte einmal einem ehrsamen Bürger gehört haben, der sich genau nach Meister Winrichs Kleiderordnung richtete. Ein schwarzer Bart verdeckte den größten Teil des häßlichen Gesichts; das eine Auge schielte stark.

Diesem Strolch mußte der Reiter mit den beiden Pferden wohl aufgefallen sein. Nachdem er ihn eine Weile beobachtet und umgangen hatte, näherte er sich dann auf Zickzackwegen, musterte die Tiere und ihr Geschirr und suchte bald auch ein Gespräch anzuknüpfen. Von woher seid Ihr, fragte er, und auf wen wartet Ihr?

Es folgte darauf keine Antwort.

Er wiederholte die Frage in polnischer Sprache mit nicht besserem Erfolg.

Seid Ihr taub oder stumm, junger Herr, rief er nun zudringlicher, oder haltet Ihr mich für einen Narren? Ich denke, eine Frage ist einer Antwort wert!

Dabei bückte er sich und war bemüht, dem Reiter unter den Hut zu sehen. Ein verdammt junges Bürschchen, sprach er vor sich hin; wahrscheinlich von einem Gutshofe in der Nachbarschaft. Wer gehört aber zu dem zweiten Pferde? Er klopfte den Hals des Tieres. Ihr seid weit geritten, und die Wege sind staubig. Dem Gaul wäre ein Platz an der Krippe lieber als hier auf dem Hofe, wo zwischen den Steinen nicht einmal ein magerer Grashalm aufkommt. Hübsches Geschirr! Die Kinnkette ist sauber gearbeitet, und die Schnallen scheinen von Silber zu sein. Seht einmal die zierliche Rosette oben am Stirnriemen! Und wenn ich nicht blind bin – wahrhaftig, da sitzt eine Eidechse drauf! Ei, ei, Junker, seid Ihr von da zu Hause, wo diese Tierchen so hoch angesehen sind, daß man sie in allerhand Metall formt und als Zierat trägt? Ich wette, Ihr habt einen Siegelring auf dem Finger, in den das gleiche Zeichen eingeschnitten ist. Reicht mir einmal Eure Hand zum Gruß.

Dabei schob er sich zwischen die beiden Pferde und griff zu. Waltrudis aber zog schnell den Arm fort und wandte sich zur Seite.

Habt keine Furcht, ich verrate Euch nicht, fuhr der Aufdringliche fort, bald die polnische Sprache gebrauchend, bald die deutsche radebrechend. Ich kenne einen Herrn, der im Kulmer Land viele gute Freunde hat, und dem diene ich seit langer Zeit. Den Eidechsen wär's freilich jetzt mehr zu raten, ihre Schlupflöcher aufzusuchen, als sich auf den Höfen der Ordenshäuser herumzutreiben. Unter dem Volk, das sich von Tannenberg hierher geflüchtet hat, habe ich einige gute Bekannte; die erzählen merkwürdige Dinge: Herr Nikolaus von Renys und andere aus dem Bunde sollen ihre Banner unterdrückt haben, als die Not am höchsten gestiegen war. Sie mögen sich in acht nehmen, wenn der Orden wieder zu Kräften kommt. Ihr wart wohl gar selbst in der Schlacht, Junker?

Auch darauf erfolgte keine Antwort. Das geängstigte Mädchen suchte das Pferd am Zügel herumzuziehen, um ihm den Rücken zuwenden zu können. Das gelang aber nicht, denn er hatte mit der rechten Hand das Stirnhaar des Tieres erfaßt und klopfte mit der linken dessen Hals. Ah! sagte er, Euer eigenes Zaumzeug ist, wie ich sehe, von anderer Art! Das kommt aus der Schirrkammer eines Komturstalls, nach der Zeichnung zu schließen. Aber für einen Ordensritter seid Ihr zu jung. Habt Ihr an jemand hier im Schlosse eine Bestellung? Ich will Euch gern Auskunft geben. Lohnt mir's nach Gefallen.

Waltrudis meinte nun zu wissen, daß sie's mit einem Bettler zu tun habe. Sie hoffte ihn loszuwerden, wenn sie ein Stück Geld opferte, griff deshalb in ihr Gürteltäschchen und warf ihm eine kleine Silbermünze zu. Er fing sie mit der Hand auf und steckte sie lachend ein. Ich hielt Euch für einen Junker, rief er, und nun erkenne ich unter dem Mantel ein Jungfräulein! Ja, ja, es hilft Euch nichts, daß Ihr Euer hübsches Gesicht unter der Hutkrempe versteckt – ich weiß, was ich weiß!

Geht und laßt mich in Frieden, bat das Mädchen, vor Beängstigung dem Weinen nahe. Ich brauche Eure Dienste nicht.

Könnt Ihr also doch sprechen? höhnte der Strolch, ohne sich von der Stelle zu rühren. Weist mich nicht so schnöde ab, schönes Fräulein: die Zeiten sind nicht danach, gute Dienste geringzuachten, von wem sie auch angeboten werden. Wenn Ihr einen Freund habt unter den Ordensherren und ihm hierher nachreitet, kann Euch ein verschwiegener Bursche zum Botenlaufen sehr nützlich werden. Vertraut Euch mir an. Er trat ihr ganz nahe und schielte grinsend zu ihr hinauf.

Unverschämter! rief sie und stieß ihn mit dem Arm fort. Ihr wißt nicht, mit wem Ihr sprecht.

Er lachte. Ganz recht, das weiß ich nicht, kann mir's aber ungefähr denken, Oh, die Kreuzherren haben den besten Geschmack! Ein Bruder natürlich, oder ein Vetter! Es hat nicht den mindesten Grund, daß Ihr auch so vermummt seid und hier an der Mauer wartet – ha, ha, ha, nicht den mindesten Grund! Ich rate Euch nochmals: vertraut mir. Wenn Ihr eine volle Börse habt, und daran zweifle ich nicht, so können wir gute Freunde werden.

Entfernt Euch auf der Stelle, befahl das Mädchen, oder ich rufe jene Leute an, mir zu helfen!

Er warf den Kopf auf. Das werdet Ihr bleibenlassen. Ich denke, es ist Euch darum zu tun, daß man Euch nicht erkennt. Klüger tut Ihr schon, wenn Ihr mein Schweigen erkauft. Die Zeiten sind schlecht, und ein ehrlicher Kerl muß zusehen, wie er sich etwas verdient.

Sie warf ihm noch einige größere Münzen hin und schaute ängstlich um, ob ihr Begleiter noch immer nicht zurückkehre. Der Strolch dankte, indem er den Hut abzog, und machte sich nun wieder an dem anderen Pferde zu schaffen. Nehmt mich zu Eurem Reitknecht an, sagte er, ich will Euch den Gaul führen. Er zog an dem Zügel, den sie in der Hand hielt.

Sie sah voraus, daß er mit dem Pferde das Weite suchen werde, wenn sie es ihm freigebe, hielt daher den Zaum fest und schlug ihn mit der Gerte auf die Hand. Nun brauchte er Gewalt. Sie widersetzte sich aber und rief laut: Hilfe, Hilfe!

Zum Glück schritten in diesem Augenblick die beiden Männer durch das Tor und auf die Stelle zu. Sobald der Strolch ihre Absicht merkte, ließ er den Zügel fahren und schlüpfte eiligst fort. Er fand in der nächsten Mauernische ein gutes Versteck, von dem aus er weiter beobachten konnte. Ich muß wissen, wo sie bleibt, zischelte er vor sich hin, das ist sicher ein seltenes Wildbret, dem man auf der Spur bleiben muß.

Indessen war der Junker von der Buche mit dem Gießmeister Ambrosius herangetreten und hatte sich besorgt erkundigt, was es gebe. Er wollte dem frechen Menschen nacheilen, aber sein Begleiter meinte, es treibe sich viel schlechtes Volk herum, und er könnte sich leicht unangenehme Händel auf den Hals ziehen. Die Hauptsache ist, daß wir das Fräulein unter Dach bringen, schloß er.

So führte er sie denn nun nach der Vorburg und in seine dortige Wohnung. In einiger Entfernung und immer auf der Hut, von ihnen nicht bemerkt zu werden, folgte der Strolch bis dahin. Dann verschwand er unter dem Kriegsvolk.

Die Gießmeisterin, eine ältliche Frau mit strengen Zügen und neugierig gespitzter Nase, schien die unerwartete Einquartierung keineswegs ganz nach ihrem Sinne zu finden. Das Fräulein mit dem goldenen Haar, das nach Entfernung des Hutes wellig über die Schulter fiel, wollte ihr nicht recht geheuer erscheinen. Ihr Mann wiederholte immer, daß der Herr Komtur sie bitten lasse, seine junge Verwandte zu beherbergen, aber sie wiegte den Kopf und sagte nur: so – so und ei – ei! sah dabei auch den Junker prüfend an. Nun bat Waltrudis selbst um ein bescheidenes Plätzchen für ein Nachtlager, und die weiche, liebliche Stimme schien auch wirklich zum Herzen zu gehen. Für die nächste Nacht werde man ja schon sehen, wie man sich einrichte, meinte sie. Und dann wiegte sie wieder den Kopf. Der Herr Komtur also hat das Fräulein hierher kommen lassen – so, so! Und der Junker hat das Fräulein begleitet – ei, ei! Und da war unser bescheidenes Haus dem gnädigen Herrn für seine Verwandte nicht zu schlecht – so, so, so!

Es ist nichts Verfängliches dabei, Alte, zischelte der Gießmeister ihr zu, auf den Plauen kann man sich verlassen. Räume dem Fräulein das Turmstübchen ein und besorge vor allen Dingen etwas zu essen. Sie haben einen weiten Ritt gemacht und sind hungrig.

Wie du meinst, lieber Ambrosius, antwortete sie nicht gerade leise, wie du meinst. Ich bin gern jedermann gefällig, auch dem Herrn Komtur, ob ich ihn schon nicht kenne und ein solches Ansinnen etwas wundersam finde. Ich fürchte nur, es wird Gerede geben. Aber du bist der Hausherr und weißt, was du tust. Ich füge mich. Was soll man denn aber den Leuten sagen?

Daß wir eine Verwandte zu uns genommen haben, die vor den Polen geflohen ist. Es wäre dem Herrn Komtur lieb, wenn es unter diesem Vorwand geschehen könnte.

Eine Verwandte … Ach, und wir sind aus Nürnberg, und unsere Verwandtschaft ist doch wohl auch dort zu suchen … und vor den Polen geflohen, ja, das mag wahr sein! Nun, unmöglich ist's ja auch gerade nicht, daß eine Verwandte uns hat besuchen wollen und daß der böse Krieg sie unterwegs überrascht hat. Man kann's ja sagen, und wenn wir dem Herrn Komtur eine Freundlichkeit erweisen, und es kann in allen Ehren –

Also es bleibt dabei, schloß der Gießmeister ab. Hüte du nur deinen Mund, so werden auch die Leute nichts zu reden haben. Und nun weise dem Gast das Quartier an und decke den Tisch.

Waltrudis ließ sich durch die Unterhaltung des Junkers nicht abziehen: sie horchte ängstlich auf das Gespräch der Eheleute. Wenn ich Euch lästig falle, gute Frau … sagte sie schüchtern und brach gleich wieder ab. Was sollte sie auch hinzufügen? Ach Gott, fuhr sie in anderem Tone fort, wohin könnte ich mich wenden? Ich bin eine Waise, und der einzige, der mir durch Blutsverwandtschaft nahestand – mein Bruder –, ist in der Schlacht gefallen. Ganz allein stehe ich in der Welt, auf die Mildtätigkeit guter Menschen angewiesen!

Die Tränen liefen ihr über die Wangen. Hans von der Buche ergriff ihre Hand und rief: Aber vergeßt den Freund nicht! Der hat's mit mir zu tun, der Euch auch nur mit einem unfreundlichen Worte kränkt. Ich bleibe in der Marienburg und will schon aufpassen.

Sie schenkte ihm einen dankbaren Blick recht aus Herzensgrund. Der Gießmeisterin entging er nicht. Ei, ei, bemerkte sie, das ist ja recht ritterlich gesprochen und kann dem schönen Fräulein wohl gefallen. Vielleicht findet Ihr Gelegenheit zu guten Diensten, Junker, wenn auch nicht in meinem Hause. Denn das sage ich ein für allemal: das Hin- und herlaufen leide ich nicht, und wenn wir auch einen Gast aufnehmen, so halten wir doch keine Herberge. Sie streichelte Waltrudis die Backe. Nun, härmt Euch nicht; es ist nicht so schlimm gemeint. Eine Waise – so, so! Ja, es gibt viel Unglück in der Welt, aber der liebe Gott kleidet ja auch die Lilien auf dem Felde, wir wollen ihm vertrauen. Kommt also in Gottes Namen. Sie ging, mit dem Schlüsselbunde rasselnd, voran, die schmale Stiege zum Turm hinauf, und Waltrudis folgte mit dem geringen Gepäck, das vom Sattel abgebunden war.

Wir wollen nun zusehen, wo wir den Pferden ein Unterkommen schaffen, riet Ambrosius. Unterwegs sagte er: Laßt Euch durch meine Alte nicht schrecken. Sie muß immer den Mund voll Worte nehmen, sonst ist ihr beklommen; was da aber heraussprudelt, kommt nicht sonderlich aus der Tiefe. Ich bin's gewohnt, sie ihren Strich reden zu lassen, und dann tut sie allemal, was ich will. Dem Fräulein wird's an nichts fehlen, dafür kenne ich sie, und daß sie Euch nicht die Tür weist, wenn Ihr von Zeit zu Zeit ehrsam anklopft, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Es ist nur, daß sie für alle Fälle ihr Gewissen beruhigt. –

Wenige Tage darauf ging die Stadt Marienburg in Flammen auf. Es waren Pechkränze in die Holzhäuser geworfen und angezündet. Rasch griff das Feuer um sich; der Wind trieb Rauch und Funken vom Schlosse ab. Bald war der ganze ummauerte Raum ein Flammenmeer. In den Wallgängen und hinter den Zinnen auf den Dächern standen die Bürger und sahen traurig der Vernichtung zu. Jeder konnte ja von der Höhe aus sein Haus erkennen und darauf warten, bis das Sparrenwerk prasselte und der Schornstein zusammenbrach.

Hoch aus den wogenden Flammen ragte die Kirche und das Rathaus vor. Beide waren fest aus Backsteinen erbaut und trotzten der Glut. Nur die Dächer brannten teilweise nieder. Auch die Stadtmauern blieben stehen, aber von den Torflügeln hielt nur das Eisenwerk stand. Den Tag über und die ganze Nacht durch brannte die Stadt. Die Hitze auf dem Parchan neben der St.-Annen-Kapelle wurde so groß, daß die dort aufgestellte Feuerwache ihre Kleider mit Wasser netzen mußte. Weithin über das flache Land wurde der Brandgeruch vom Winde fortgetragen.

Auf den Türmen standen Wächter, um die Annäherung des Feindes zu erspähen und sogleich zu melden. Vorher aber kündeten sie ein frohes Ereignis: durch den Werder zog von Nordwest her ein Fähnlein streitbarer Männer in blankem Harnisch heran. Das konnten nicht Polen sein. Bald meldete denn auch der Hauptmann am Brückenkopf fünfhundert Danziger Schiffskinder, die von der Stadt zur Hilfe geschickt waren. Konrad Letzkau hatte es im Rat durchgesetzt, daß man das Haupthaus nicht im Stiche lasse, so viele Unzufriedene auch dagegen sprachen. Das war Plauens letzte Freude. Ich will's dem Bürgermeister gedenken, sagte er, dem Hauptmann die Hand schüttelnd und die kräftigen, wohlbewaffneten Knechte mit freundlichem Blicke musternd. Diese Fünfhundert sind in der Not so viel Tausende wert.

Es war nun auf weiteren Zuzug nicht mehr zu rechnen. Plauen ließ deshalb die Pfahlbrücke über die Nogat von Grund aus zerstören, damit sie dem Feinde nicht dienen konnte; denn den Brückenkopf drüben mit Erfolg zu verteidigen, durfte er nicht hoffen. So war nun die Burg von der einen Seite durch die Brandstätte, von der andern durch den breiten Strom gedeckt und abgesperrt.

Eins aber blieb noch zu tun. In diesen Tagen der Not und Bedrängnis hatte Heinrich von Plauen, unbekümmert um seine Vollmacht, Befehle erteilt, und willig war ihm Gehorsam geleistet worden. Nun aber waren die dringendsten Vorbereitungen zur Verteidigung getroffen, und die Besatzung mußte wissen, wer befugt sei, in der Burg zu gebieten. Auch war es seinem geraden Sinne zuwider, sich länger, als die Not dazu zwang, ein Amt anzumaßen. Deshalb berief er nun die wenigen Ordensritter, die um ihn waren, nach dem kleinen Remter über des Hochmeisters Wohnung zu einem Kapitel, mit ihnen zu beraten nach Vorschriften der Ordensstatuten.

Ihr habt erfahren, liebe Brüder, sagte er, und leider ist daran kein Zweifel, daß Herr Ulrich von Jungingen, unseres Ordens Meister, ritterlich in der Schlacht gefallen ist. Nach unserem Gesetz soll der Orden bis zur neuen Wahl nicht ohne Haupt bleiben; vielmehr ist verordnet, daß die Brüder zusammentreten und einen Statthalter wählen, der vollmächtig sei, das verwaiste Amt zu verwalten, und dem sowohl die Brüder als das Land Gehorsam schuldig wie dem Meister selbst. Nach altem löblichem Brauch hat das Kapitel stets in solchem Falle den Großkomtur oder einen anderen von den obersten Gebietigern berufen, die Meisterwahl vorzubereiten. Aber alle sind den Heldentod gestorben in der Schlacht bis auf Werner von Tettingen, und der liegt in unserem Hause zu Elbing krank, wie mir gemeldet worden, und kann nicht zu uns. Hier aber, in der Marienburg, muß des Ordens Statthalter seinen Sitz haben, denn hier hat er den Feind zu empfangen, und nur hier kann über die Geschicke des Landes beschlossen werden. Auch eine andere Aufgabe wird ihm diesmal als sonst. An die Wahl des neuen Meisters ist nicht zu denken, bevor das Land vom Feinde befreit, der Deutschmeister mit seinen vornehmsten Brüdern aus dem Reiche, der Landmeister aus Livland angelangt sind. Marias Burg zu verteidigen, das Land zu befreien, ist des Statthalters nächste Pflicht. Deshalb braucht der Orden einen tapferen, umsichtigen Kriegsmann an der Spitze, auf den Verlaß ist in der Not. Auf einen Mann solchen Schlages lenkt eure Wahl, und fraget nicht, ob er von hohem oder geringem Adel, ein Sachse, Bayer oder Schwabe sei, noch auch welche Ämter und Würden er vorher geführt hat. Kennt ihr einen einfachen Ritter, dem ihr volles Vertrauen schenkt, daß er am tapfersten und klügsten Gott und der Jungfrau Maria dienen werde, dem gebt eure Stimmen, und ich will der erste sein, der ihm unverbrüchlichen Gehorsam schwört bis zu des Meisters Wahl. Gott erleuchte euch!

Er setzte sich nieder und stützte den Kopf in die Hand, abzuwarten, bis sie sich schlüssig gemacht hätten. Leise sprachen sie miteinander, und ein Wort schien reihum zu gehen, dem alle zustimmten. Da stand Wigand von Marburg auf und sprach: Was bedarf es langen Rates und feierlicher Wahl? Kann doch nur von einem unter uns die Rede sein. Wenn diese Burg dem Orden zu erhalten und durch sie das Land zu retten ist, so dankt sie nur dem edlen Komtur von Schwetz ihre Erhaltung. Was Ihr getan habt in diesen Tagen, das gibt Euch bessere Vollmacht, an die Spitze zu treten, als unser Kapitel. Ihr habt Euch bewährt als einen tapferen, umsichtigen Kriegsmann, und wir vertrauen Euch von ganzem Herzen wie keinem andern. Darum sei Heinrich von Plauen unser Gebieter bis zu des neuen Meisters Wahl.

Dem stimmten alle Ritter mit lautem Zuruf bei; der Komtur aber winkte mit der Hand und gebot Ruhe. Bedenket das wohl, sagte er ernst. Was ich getan habe, hätte jeder andere an meiner Stelle auch getan, und wenn es mir im Zwange der Not gelang, die äußerste Gefahr abzuwenden, so war ich doch nur ein Werkzeug in der Hand Gottes, und ihm gebührt die Ehre. Nicht deshalb achtet auf mich und hebt mich auf den Schild. Wisset ihr einen Besseren, so wählt den. Auch als Dienender werde ich meine Schuldigkeit tun.

Die Ritter ließen sich nicht beirren; ihre Wahl stand schon fest. Wir wissen keinen Besseren, riefen sie wie aus einem Munde; Heinrich von Plauen sei des Ordens Statthalter! Wigand von Marburg aber trat vor und sagte: Lasset uns nach der Ordnung verfahren, liebe Brüder, damit man in den anderen Häusern unsere Wahl nicht schelte. Nenne jeder nach der Reihe den Mann, den er zum Vertreter des Hochmeisters setzen will, und ich werde die Stimmen sammeln.

Da nannten sie alle den Komtur von Schwetz, und Ritter Wigand verbeugte sich vor ihm und sagte: Die Brüder sind einstimmig des Willens, daß Ihr Statthalter seid, und bitten Euch, die Wahl anzunehmen zu Ehren Gottes und der Heiligen Jungfrau.

Plauen stand auf und erhob die rechte Hand und sprach mit lauter Stimme: Wohlan, ich bin bereit zu folgen, da ich gerufen ward, und ich schwöre zu Gott, meines Amtes allezeit zu walten mit redlichem Sinn und gottesfürchtigem Herzen nach des Ordens Regeln, so gut ich's vermag, und ohne Weigern mein Amt niederzulegen in die Hände dessen, der zum Hochmeister wird erkoren werden. Amen! Dann sah er mit festem Blick im Kreise umher von dem einen zum andern, und fuhr fort: Ihr aber gelobet mir, daß ihr mir mit Rat und Tat treu zur Seite stehen und mir in allem gehorsamen wollet wie eurem obersten Gebietiger, der an des Meisters Statt steht.

Alle erhoben sie die Hände und sprachen ernst: Das geloben wir! Der Komtur sagte darauf nochmals amen!

Dann schritt er dem Kapitel voran nach der Kirche im rechten Schloß, und alle, denen der Zug begegnete und die auf den Zuruf herbeieilten, schlossen sich an: Ritter und Knechte, Hauptleute und Söldner, Bürger und Bauern sowie das Hofgesinde. Vom Altar ward die Wahl des Statthalters verkündet, und die Priesterbrüder hielten darauf ein Hochamt ab. Die Versammelten aber beteten inbrünstig, daß Gott ihnen helfen wolle in der Not.

Plauen trat sofort sein Amt an. Er berief alle Führer mit ihren Scharen zu einer Musterung. Alles in allem wurden nicht voll fünftausend streitbare Männer gezählt. Der Statthalter teilte sie in drei Haufen: mit zweitausend Mann wollte er selbst die Verteidigung der oberen Burg übernehmen: zweitausend andere stellte er unter den Oberbefehl eines Ordensritters, den er als tapfer und zuverlässig kannte, zur Bewachung des mittleren Hauses; den Rest, meist nur Bürger der Stadt Marienburg und Bauern aus dem Werder, übergab er seinem edlen Vetter Heinrich zur Deckung der Vorburg; er konnte überzeugt sein, daß sie dieselbe aufs tapferste verteidigen würden, da sie dort zugleich für Weib, Kind und Habe kämpften. Unter dieses Führers Befehl stellte sich auch Hans von der Buche, um Waltrudis nahe zu bleiben, und erhielt die Aufsicht über zwei Türme und einen Teil der Mauer auf der Flußseite.

Dann kam durch einen der zur Kundschaft ausgesandten Boten die Nachricht, daß König Wladislaus Jagello in Stuhm, zwei Meilen von Marienburg, angelangt sei und dort sein Hauptquartier genommen habe. Bald – es war am zehnten Tage nach der Tannenberger Schlacht – sah man auch deutlich vom hohen Wachtturm aus von verschiedenen Seiten her dichte Reiterscharen der Polen und Litauer wie Heuschreckenschwärme über das flache Feld heranziehen. In einiger Entfernung von der Burg lagerten sie. Es folgten ihnen mächtige Haufen Fußvolks, lange Züge von Wagen und Schlachtvieh, Wurfmaschinen, Sturmdächer, das bei Tannenberg erbeutete Geschütz. In weitem Kreise besetzten sie alle Gehöfte, überall blitzten die Waffen. Wie mit einem eisernen Ringe schienen sie die Burg umspannen zu wollen, und wie des Zuzugs gar kein Ende war und nun die vordersten Massen vorrückten, da schlug auch manchem tapferen Manne der Besatzung ängstlich das Herz, wenn er an die kleine Zahl der Verteidiger dachte und des siegreichen Feindes Übermacht vor Augen sah.

Der König hatte kaum auf ernstlichen Widerstand gerechnet, überall vor ihm her hatten sich Burgen und Städte ergeben, die Landesbischöfe sich beeilt, ihm zu huldigen; er meinte nur mit seinem mächtigen Heere vor der Marienburg erscheinen zu dürfen, um der sofortigen Übergabe gewiß zu sein. Darin täuschte er sich. Die Vorhut fand die Brücke abgebrochen, die Stadt niedergebrannt und rings um die Burg glühende Aschenhaufen, die keine schnelle Annäherung gestatteten. Auf den Mauern aber und hinter den Zinnen standen Männer im Harnisch, aus den niedrigen Bogenöffnungen der Wehrgänge blickten drohend die Eisenköpfe der Kanonen, überall waren die Tore fest geschlossen, die Fallbrücken aufgezogen: man mußte sich auf einen unerfreulichen Empfang gefaßt machen und fürs erste unverrichtetersache abziehen.

Da nun der König und der Großfürst merkten, daß die Burg zur Gegenwehr gerüstet sei, beschlossen sie, eine feierliche Aufforderung zur Übergabe zu erlassen. Der Schreiber Sbigneus mußte einen Brief ausfertigen. Polnische und litauische Edle wurden mit einer kleinen Schar nach der Marienburg geschickt. Ein Trompeter ritt voran; hinten nach aber wurde die Leiche des Hochmeisters in einem schlichten Sarge getragen.

Der Trompeter blies. Von der Mauer wurde ihm geantwortet. Bald erschien dort Plauen und fragte nach der Herren Begehr. Sie zeigten auf den Brief und den Sarg und winkten den Burgleuten, hinauszutreten zur Verhandlung.

So fiel nun die Zugbrücke, und der Statthalter erschien mit stattlichem Gefolge schwerbewaffneter Männer auf derselben. Der Anführer der Polen trat in stolzer Haltung vor und nahm das Wort. König Wladislaus Jagello, sagte er, König von Polen und Großfürst von Litauen, unser großmächtiger Herr, entbietet dem Befehlshaber dieser Burg, wer er auch sei, gnädigen Gruß zuvor. Es hat Gott gefallen, ihm bei Tannenberg Sieg zu geben über das Ordensheer und seine Feinde gänzlich zu vernichten. Burgen und Städte sind in seiner Hand. Das Land beugt sich seinem Willen. Durch uns sendet er euch des erschlagenen Hochmeisters Leichnam, damit ihr nicht zweifelt, daß der Orden ohne Oberhaupt sei, und ihn mit allen Ehren beisetzet in der Gruft seiner würdigen Vorgänger. Denn der König ist ein christlicher Herr und will nicht Rache nehmen am toten Feinde, dessen ritterliche Tapferkeit er nach Gebühr würdigt. Empfangt also diesen Sarg. Empfanget aber auch diesen Brief, der euch des Königs Milde und Barmherzigkeit kundgibt. Er will unnötiges Blutvergießen vermeiden und niemand strafen für die Beleidigungen eures Ordens, wenn ihr freiwillig die Waffen niederlegt und ihm die Tore der Marienburg öffnet. Schaut euch um! Ein gewaltiges Heer rückt gegen euch an, und wir wissen, daß ihr nur ein kleines Häuflein seid, das nicht wenige Tage Widerstand leisten kann. Es wäre Tollheit, ihn zu versuchen. Daher ergebt euch des Königs Gnade. Wenn ihr aber eurem gnädigen Herrn den Einzug weigert, so wisset, daß er sofort eure Mauern berennen und eure Tore mit Gewalt öffnen wird, und daß keiner von denen, die gegen ihn die Waffen erheben, lebendig diesen Platz verlassen soll. Das hat er auf die heilige Hostie geschworen. Geht nun hierüber zu Rat und gebt mir zu eurem Besten eine gefällige Antwort.

Plauen hatte diese lange Rede angehört, ohne mit den Wimpern zu zucken. Auf sein Schwert gestützt, mit gesenktem Haupte stand er da, seine grauen Augen starrten auf den Sarg. In derselben Stellung antwortete er mit ruhiger, klarer Stimme, daß seine Rede weithin auf der Mauer zu vernehmen war: Es bedarf keines Ratschlagens unter uns, denn wir waren schon einig, ehe ihr kamt. Wir beugen uns in Demut Gottes Willen; aber wir hoffen: ob er uns schon hat strafen wollen wegen unseres Ungehorsams und unserer Sünden, daß er doch nicht für immer seine Hand von denen werde abgewendet haben, die er züchtigte, daß sie ihn besser erkennten. Und so antwortet Bruder Heinrich von Plauen, des Deutschen Ordens gewählter Statthalter, dem König, eurem Herrn: Wir danken ihm mit aufrichtigem Herzen für des teuren Hochmeisters entseelten Leib und werden seiner Huld gedenken, wenn wir ihn zur Ruhe bestatten. Bei seinen Wunden aber sei's geschworen, daß wir diese Burg der Heiligen Jungfrau Maria nicht übergeben ohne ernsten Kampf, und daß wir sie verteidigen wollen mit starkem Arm und ritterlichen Waffen, bis uns keine Hoffnung bleibt. Will dann der König Rache nehmen an denen, die ihre und des Landes Ehre wahrten, so müssen wir's dulden. Er aber wird dem Strafgericht Gottes nicht entgehen. Das sagt dem Könige und seinem Vetter Witowd, um den der Orden einen besseren Dank verdient hätte.

Seine Begleiter nahmen den Sarg auf und trugen ihn in den Burghof. Die Brücke rasselte zu, und mit lauten Flüchen und Drohungen ritten die Boten nach dem Lager zurück. Zornig gab Jagello den Befehl zum Angriff.

In der Burg aber war viel Jammern und Wehklagen, als nun der Deckel des Sarges gehoben wurde und der nackte Leib des Mannes dalag, der einst ein mächtiger Herrscher gewesen war, und den jeder nur in kostbarer Kleidung oder in strahlenden Waffen gesehen hatte. Plauen band seinen weißen Mantel von der Schulter und deckte ihn über die Leiche, daß nur der Kopf und ein Teil der Brust mit den Wundmalen sichtbar blieb. So stand der Sarg eine Stunde lang allem Volk zur Schau; zwei Priesterbrüder beteten an demselben.

Indessen wurde die Gruft der St.-Annen-Kapelle zur Aufnahme des teuren Toten vorbereitet. Von Fackelträgern begleitet erschienen die Brüder, deckten den Sarg zu und trugen ihn nach der Kirche. Dort führten zu beiden Seiten zwei Eingänge zur Kapelle hinab, jeder mit einer kleinen Vorhalle versehen, deren Wände mit Blätterwerk, Laubgewinden und Darstellungen aus der Heiligen Geschichte reich verziert waren. Durch die eine der beiden Türen von dunkelschwarzem Kalkstein wurde der Sarg hinter den Fackelträgern und singenden Priesterbrüdern in die schmucklose, düstere Kapelle getragen und in die geöffnete Gruft hinabgelassen. Als die Steinplatte übergedeckt war, knieten alle Leidtragenden nieder und beteten für die Seele des Erschlagenen, während über ihnen in der Kirche die tiefen Töne der Orgel langsam und feierlich verhallten.

Es war das letzte Friedenswerk. Am andern Tage schon dröhnten die Geschütze, die jenseits des Flusses und hinter den Stadtmauern von den Belagerern in Eile aufgepflanzt waren. Die Kugeln taten anfangs aus der Entfernung wenig Schaden. Aber den Litauern gelang es bald, eine Furt durch den jetzt im Hochsommer flachen Nogatstrom zu entdecken und das mittlere Schloß zu bedrängen, während die Polen einen Teil des erbeuteten Geschützes auf den Turm der Stadtkirche schafften und von da aus ein wirksames Bewerfen der Burg mit Kugeln begannen. Die Besatzung wurde zu Ausfällen genötigt und trieb jedesmal den Feind mit blutigen Köpfen zurück. Aber unerschöpflich schien der Zufluß der Belagerer: an die Stelle von hundert Gefallenen traten tausend neue, noch unermüdete Streiter.

Tag und Nacht lagen in der Kirche die Priesterbrüder vor den Altären auf den Knien und flehten die Schutzpatronin des Ordens um Beistand in der Not an. Aber auch sie schien zu zürnen oder noch schwerere Prüfungen verhängen zu wollen.

Auf Entsatz der Burg war nicht zu hoffen. Heinrich von Plauen stand ganz auf sich allein.


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