Ernst Wichert
Heinrich von Plauen
Ernst Wichert

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3. SCHLOSS UND STADT

Kapitän Halewat hatte indessen auf Ansuchen der Ritter einen Bootsmann mit ihrem Knecht auf der Jolle nach dem Schloß zurückgeschickt, um am Wassertor desselben ihre Ankunft zu melden und zugleich anzuzeigen, was ihnen begegnet war. Sie ließen den Komtur, Johann von Schönfels, bitten, sie nach dem Schloß einzuholen und zugleich für die Fortschaffung der Leiche des gefallenen Bruders zu sorgen. Von den Schiffsleuten ließ der Alte vorläufig niemand an Land; sie plauderten aber über den Bord hin mit den Neugierigen, rühmten ihre Taten und zeigten ihre Wunden. Nur die Nächsten konnten bei dem allgemeinen Lärm etwas verstehen.

Nun zeigte sich unter dem Koggentor eine rückstauende Bewegung. Die Menge wich rechts und links zur Seite aus und ließ mit ehrerbietiger Rücksicht einige Personen bis ans Schiff durch. Die Herren vom Rat – lief das Gemurmel um –, die Herren Bürgermeister – Platz, Platz da für die Herren Bürgermeister!

Voran schritt ein langer, hagerer Mann mit grauem, kurzgestutztem Bart, in braunem Mantel mit Pelzverbrämung und schlichter Samtkappe. Er führte am Arm eine junge Frau, gleich ihm hochgewachsen und schlank. Es war der Bürgermeister Konrad Letzkau und seine Tochter Anna, des Ratsherrn Bartholomäus Groß Ehefrau. Ihm zur Seite ging Arnold Hecht, zweiter Bürgermeister, ein kleiner, untersetzter Mann. Ihnen folgten auf dem Fuße einige vom Rat, darunter Tidemann Huxer, Johann Krukemann, Peter Vorrat und Johann vom Stein. Auch die Schöppen Gerd von der Beke, Wilm von Ummen und Albert Dodorp hatten sich angeschlossen. Die Bürgerwache geleitete sie und hielt den Platz rund um sie her frei.

Nun erst wurde ein Brett vom Schiff aufs Bollwerk hinabgelassen. Barthel Groß betrat dasselbe und schritt hochaufgerichtet – nicht zu rasch, seiner Amtswürde vor der Menge nicht zu schaden – auf seine Frau zu und umarmte sie. Habe ich dich wieder? sagte sie leise, sich an seine Brust schmiegend. Bist du mir gesund und heil? Ach, du blutest im Gesicht –

Ein paar Schrammen, die bald unter deiner Pflege vernarben werden, tröstete er. Wie steht's zu Hause? Sind unsere kleinen Fräulein wohlauf?

Sie bejahte es und trocknete mit ihrem Tuch die Blutstropfen von seinem Kinn. Er reichte nun seinem Schwiegervater die Hand zum Gruß, dann dessen Kumpan Arnold Hecht und dann den Herren vom Rat und von der Schöppenbank der Reihe nach. Sie schlossen um ihn einen Kreis, und er berichtete kurz, was geschehen war und welchen Fang sie gemacht hätten, unterließ auch nicht, die Namen der edlen Schiffsgäste zu nennen, deren hochherziger Tapferkeit man den Sieg verdankte.

Konrad Letzkau stieg nun aufs Schiff und schüttelte dem braven Kapitän Halewat die Hand, der ihn barhaupt an der Spitze seiner Leute empfing. Er sagte ihm einige freundliche Worte, die dem alten Manne wohl zu gefallen schienen, und wandte sich dann an die Ritter. Euch, hochwürdige Herren, sprach er sie an, kann ich heute nur für meine Person und im Namen derer vom Rat, die sich zufällig zusammenfanden, für eure treue Hilfe danken. Morgen sollt ihr von unserm Rathause aus besseren Dank erfahren. Ich höre, daß einer eurer Brüder im Kampf gefallen ist – uns allen ein schmerzlicher Verlust. Habt ihr doch aber euer Leben Gott gelobt zu guten Werken und mannhafter Tat; hoffen wir also, daß er's am Jüngsten Tage diesem edlen Ritter zu seinen Gunsten anrechnen wird, zum Schutz der Bürger sein Blut willig vergossen zu haben. Ich bitt euch, gebt mir eure Hand.

Nun begrüßte er die beiden Junker, nicht so feierlich, aber mit herzlichen Worten. Euren Vater, Herrn Arnd von der Buche, den wackeren Eidechsenritter, kenne ich gar wohl, sagte er zu Hans, und sein Sohn wäre auch ohnedies meinem Hause allezeit willkommen gewesen. Aber es freut mich, daß ihr euch so noch ein besonderes Recht auf unsere Liebe erworben habt. Und Ihr, Junker, wandte er sich zu Heinz, habt an diesem frohen Siege nicht den kleinsten Teil, wie ich vernehme. Das soll Euch unvergessen sein, solange ich lebe. Ich hoffe, wir werden uns in nächster Zeit noch besser kennenlernen. Folgt mir jetzt in eure Quartiere.

Darauf sprach er mit lauterer Stimme, daß es auf dem ganzen Schiff und auch unten auf dem Bollwerk hörbar war: Die Schiffskinder, die in diesem ehrenhaften Kampf ihr Leben gelassen haben, sollen auf Stadtkosten feierlich zur Erde bestattet werden. Die Leiber der gefallenen Räuber sind dem Nachrichter zu übergeben, daß er sie an der Richtstätte in die Grube werfe. Die Gefangenen werden wir morgen dem Rat vorführen lassen zum ersten Verhör; für diese Nacht sind sie in Ketten zu legen und im Turme aufzubewahren. Sie sind niedergeworfen auf einem Danziger Schiff, das ist also auf Danziger Grund und Boden: die Stadt Danzig hat deshalb das Gericht über sie, und sie sollen ihrer Strafe nicht entgehen.

Damit verließ er das Schiff, während die Menge in ein jubelndes Hoch ausbrach, in das drüben die Schiffsleute und Speicherarbeiter einstimmten.

Die beiden Freunde folgten, nachdem sie sich vom Kapitän verabschiedet hatten. Barthel Groß, Frau Anna am Arm führend, trat sogleich auf sie zu und sagte: Ihr dürft mir's nicht abschlagen, werte Herren, meine Gäste zu sein, solange es euch gefällt, in unserer Stadt zu verweilen. Meine Hausfrau will's nicht leiden, daß ihr fremde Herberge nehmt.

Das bestätigte Frau Anna und fügte auch ihrerseits noch eine freundliche Bitte hinzu. Hans von der Buche ließ sich gern bereden, Heinz aber bat höflich, ihn zu entschuldigen. Er sei von seinem edlen Herrn, dem Vogt zu Plauen, an die Brüder vom Deutschen Orden gewiesen und müsse sich zu ihren Schlössern halten. Morgen in der Frühe aber gedenke er nach der Stadt zu kommen und werde an seines Freundes Herberge nicht vorübergehen. Das mußte man wohl gelten lassen.

Es war inzwischen ganz dunkel geworden. Eben, als man aufbrechen wollte, bewegte sich durch das Koggentor ein feierlicher Zug heran. Sechs Knechte vom Ordenshause trugen eine schwarze Bahre; sechs andere, Fackeln tragend, folgten nach, voran aber schritt der Hauskomtur mit vier Priesterbrüdern in langen, weißen Gewändern. Zu ihnen gesellten sich die beiden Ritter, die Leiche des dritten wurde vom Schiff herabgetragen, auf die Bahre gelegt und mit einem weißen, schwarz bekreuzten Mantel zugedeckt. Der Hauskomtur nahm Schwert und Helm in Empfang. Dann leuchteten die Fackelträger voran in die Stadt hinein. Heinz wechselte einige Worte mit dem Hauskomtur und schloß sich auf sein Geheiß dem Zuge an.

Unter dem Läuten eines Glöckchens, das einer der Priesterbrüder trug, bewegte er sich in langsamem Schritt über den Langen Markt, am Rathause und dann, rechts in enge Gäßchen einbiegend, an der Marienkirche vorbei, dem Damme zu, der geradeaus nach dem Haustor führte. Dieser war durch das Sumpfland geschüttet worden, um eine Verbindung mit dem Schlosse zu haben, jetzt aber längst auf beiden Seiten mit stattlichen Häusern besetzt, aus deren kleinen Fensteröffnungen nun überall Neugierige hinausschauten. Das Haustor in der Stadtmauer wurde vom Wächter geöffnet und gleich wieder geschlossen. Über den Graben hin gelangte man in die zur Altstadt Danzig gehörige Burgstraße, passierte eine Palisadenbefestigung, die sich weiterhin der Mauer der Rechtstadt anschloß, durchschritt das Hakelwerk mit seinen niedrigen Fischerhäuschen und machte vor dem Haupttor der Burg halt. Hier kamen über die Brücke die Konventsbrüder, den Komtur Johann von Schönfels an der Spitze, ihnen entgegen und geleiteten die Leiche über den von Fackeln erhellten, viereckigen Burghof nach der Kapelle. Dort wurde die Leiche, während die Glocken läuteten, am Altar niedergesetzt. Die Priesterbrüder stimmten einen getragenen Gesang an, und jeder sprach kniend ein Gebet.

Der Hauskomtur übergab Heinz einem von den älteren Brüdern. Derselbe führte ihn in eine Schlafzelle hinauf, in der zwei Betten standen, und sagte ihm, daß er für die Nacht sein Gast sei. Er wolle sich beim Kellermeister auch noch um eine Kanne Wein bemühen, aber der Junker versicherte, nur der Ruhe bedürftig zu sein. Seine zum Glück nur leichten Wunden kühlte er selbst mit Wasser. Dann warf er sich auf den Strohsack in der Bettstelle, deckte sich mit dem wollenen Mantel zu, der darübergebreitet war, und schlief bald fest ein.

Er wachte erst auf, als die Sonne schon über die hohen Dächer schien. Auf dem Tische in der Fensternische stand für ihn ein Krug Bier und eine zinnerne Schüssel mit Brot, Butter, Käse und Rauchfleisch. Er ließ sich's gut schmecken.

Bald kam auch sein Wirt, der zur Tertie um neun Uhr in der Kirche gewesen war, wie es die Ordensregel vorschrieb. Es geht nicht allzu streng bei uns zu, versicherte er, sich bei dem Mahl beteiligend. Wir wechseln in den Gezeiten ab, und ein alter Mann wie ich mag die Prime um sechs Uhr früh allenfalls verschlafen. Man hat mir auch, wie Ihr sehet, ein weiches Federbett über dem Strohsack gestattet, und mittags, wenn Ihr bei uns zu Gast bleiben wollt, werdet Ihr an der Firmarietafel manchen sitzen finden, der nicht gerade krank ist. Der Komtur hält selbst nicht viel von klösterlicher Zucht und läßt seinem Leibe nichts abgehen. Da darf er's dann auch nicht zu genau nehmen, wenn die Brüder ein wenig von der Regel abweichen. Das Leben hier im Hause ist doch schon kümmerlich genug, und mit den Jahren trägt sich die Last des Gelübdes immer schwerer. Dafür freilich sind wir die Herren im Lande, ob der einzelne schon kein Eigengut haben soll. Auch das ist allerdings nicht gerade wörtlich zu nehmen, setzte er lächelnd hinzu. Er öffnete einen kleinen Wandschrank und zeigte einige silberne Becher und sonstiges Silberzeug vor. Das habe ich zum Geschenk erhalten, als ich Pfleger in Lauenburg war, und im Marstall steht mein eigen Pferd, das ich von dort mitgebracht habe. Der Futtermeister gibt ihm den Hafer wie den anderen.

Da der alte Herr so redselig war, durfte Heinz sich wohl erlauben, ihn ein wenig über seine jetzige Umgebung auszufragen.

Wir haben hier im Hause zu Danzig drei Konvente, teilte der Alte mit, jeden zu acht Ritter- und vier Priesterbrüdern. Vollzählig sind sie selten, und zur Zeit hat der Herr Hochmeister einen Teil nach der Marienburg einberufen, bei den Kriegsrüstungen zu helfen. Auch sonst wohnen nicht alle im Hause selbst: der eine ist Pfleger zu Lauenburg, der andere Pfleger zu Mirchau; ein Waldmeister hat sein Quartier zu Zulmin, von wo wir auch unsern Honig beziehen, und ein Fischmeister zu Putzig, der sorgt dafür, daß wir in den Fasten wenigstens stets frische Fische zur Kost haben. Viel Vieh, und Ackerwirtschaft gibt's bei diesem Hause auf den Vorwerken nicht zu beaufsichtigen, wenn ich den Hof zu Zippelow ausnehme, der vor einigen Jahren an die Stelle des alten Danziger Viehhofs getreten ist. Doch mögen wohl außer den Konventspferden vierzig oder fünfzig Hauspferde auf den schönen Wiesen an der Weichsel ihre reichliche Nahrung finden. Wichtig ist des Mündemeisters Amt, und wer von den Brüdern sonst zur Aufsicht über Schiffahrt und Handel gesetzt ist, mag sich über zuwenig Arbeit nicht zu beschweren haben. Denn die Danziger – ich meine die von der Rechtstadt – haben krause Köpfe, und es geschieht ihnen selten etwas zu Dank. Am liebsten möchten sie wohl selbst die Herren sein.

Heinz bat, ihn zu rechter Zeit zum Komtur zu führen, damit er ihm nach Gebühr aufwarte. Es sei gerade die günstige Stunde, meinte der Alte, da man bald zum gemeinsamen Essen nach dem Konventsremter gehe. Er führte ihn sogleich die nach dem Burghofe hin offene Galerie entlang bis zu des Komturs Gemach. Der Hauskomtur übernahm es dort, ihn zu melden. Er fand Johann von Schönfels in einem Zimmer, dessen Wände mit bunten Teppichen behängt waren, die ihm ein recht wohnliches Ansehen gaben. Er saß in einem Lehnstuhl mit hoher, zierlich geschnitzter Lehne von braunem Eichenholz, über die ein leichtes Lederkissen für den Rücken befestigt war. Er trug einen Schlafrock von weicher Wolle und warme Halbstiefel an den Füßen, die auf einer kleinen Bank bequem ruhten. Die Finger der schmalen Hand waren mit Ringen besteckt, und er ließ sie langsam durch den schön gelockten Bart gleiten, während er mit dem Ellenbogen das Buch zurückschob, in dem er eben gelesen hatte, und dem Gaste vornehm zuwinkte. Es war nicht das Bild, das Heinz sich in der Ferne von einem Deutschordensritter im Preußenlande gemacht hatte.

Der Komtur erkundigte sich freundlich nach dem edlen Vogt von Plauen, einem entfernten Verwandten, lobte ihn wegen seiner tapferen und erfolgreichen Beteiligung beim Kampfe gegen die Seeräuber, fragte nach einzelnen Umständen desselben und ließ sich namentlich genau beschreiben, wie der Ordensbruder den Tod gefunden hatte. Dieses Blut will gesühnt sein, wandte er sich in demselben, etwas schläfrigen Tone, mit dem er seine Fragen gestellt hatte, an den Hauskomtur, der hinter seinem Stuhle stehengeblieben war. Ich hoffe, der Danziger Rat wird nicht vergessen, daß der Kampf ein gemeinsamer gewesen ist, und daß bei dem Gericht über die Besiegten auch wir mitzusitzen haben. Sie maßen sich in letzter Zeit auch da gern sonderliche Rechte an.

Dann entließ er den Junker mit der gnädigen Versicherung, daß es ihm lieb sein werde, wenn er sich im Hause recht lange von der weiten Reise erhole. Übrigens wolle er ihn, wenn er sich in der Stadt zu vergnügen gedenke, an die Mahlzeiten nicht binden, auch dem Torwächter Weisung geben, daß er ihn nach Sonnenuntergang einlasse. Nur bleibt mir nicht über das Nachtamt hinaus fort, schloß er, indem er lächelnd mit dem Finger drohte, damit wir nicht in üblen Ruf kommen.

An der Tür draußen empfing ihn wieder der alte Ritter, dem es augenscheinlich lieb war, sich in der Gesellschaft des jungen Menschen seiner eintönigen Beschäftigungsweise für ein paar Stunden entziehen zu können. Er führte ihn in den Kapitelsaal neben der Kirche, in das Speisezimmer, in die Rüstkammer, stellte ihn den zufällig begegnenden Brüdern vor, begleitete ihn dann in den Burghof hinab, durch das Tor nach der Vorburg, einem weiten, von Mauern eingefaßten Raume, der die Wirtschaftsgebäude, Ställe und Werkstätten des Ordenshauses in sich aufnahm. Der Marstall mit seinen kräftigen Pferden wurde besichtigt, der Schnitzmeister besucht, der eben mit Anfertigung von Armbrüsten beschäftigt war, die nach der Marienburg abgehen sollten. Eben war ein Boot mit Seefischen, Dorschen und Flundern, angelangt, die der Fischmeister von Putzig zu des Tisches Notdurft vom jüngsten Fange schickte. Sie wurden in Körben vom Flusse nach dem Hofe getragen und dort verteilt; die besten Stücke wählten die Köche für die Rittertafel aus, ein Teil wurde zum Dörren und Räuchern bestimmt. Am großen Speicher hielten mehrere Wagen, jeder mit vier Arbeitspferden bespannt. An der Winde wurden Säcke mit Getreide herabgelassen. Sie fahren zur Mühle, sagte der Führer, und bringen Mehl zurück. Schon seit Wochen ist man geschäftig, große Vorräte anzusammeln und die Weichsel hinaufzubefördern. Der Herr Hochmeister braucht viel zum Unterhalt der Söldner, die zum Kriege gegen Polen geworben sind, dazu müssen alle Häuser steuern. Wenn es Euch Vergnügen macht, zeige ich Euch die großen Mühlenwerke. Wartet eine Weile, ich hole mir den Dispens, den Schloßgraben überschreiten zu dürfen.

Der Alte kam bald wieder und führte seinen jungen Freund durch eine schmale Pforte nach dem Mühlgraben hinaus und auf dem Damm desselben entlang der Stadt zu.

Rechts traten die Häuserreihen der offenen Jungstadt ziemlich nahe heran, boten aber nichts Sehenswertes. Auf einer Insel im Mühlgraben – der Alte nannte sie »das Schild« – trockneten die Fischer vom Hakelwerk ihre Netze an hohen Stangen. Sie schritten auf das St-Brigitten-Kloster zu, das mit seinen verschiedenen Baulichkeiten einen breiten Raum einnahm. »Marienborn« nannte es der Alte und erzählte, daß es aus einem Reuerinnenhospital entstanden sei und daß ihm vor wenigen Jahren erst auch ein Bruderkloster angeschlossen wurde. Es sind noch nicht zwanzig Jahre, sagte er, daß die Stifterin des Ordens kanonisiert wurde. Seitdem ist der Brigittenorden sehr beliebt geworden, und von Watstena, dem Mutterkloster, aus sorgt man für immer neue Gründungen. Es ist einmal etwas Neues, daß Mönche und Nonnen zusammenhausen. Geht's dabei ehrbar zu, so ist's Gott um so wohlgefälliger. Viel Freude hat schwerlich der Herr Hochmeister an diesen kirchlichen Pflanzstätten, die der Weisung fremder Oberen folgen. Wir Deutschordensritter sind selbst halb geistlich und mögen uns gern ohne Rom behelfen, soviel es immer geht. Zuviel Besitz in der Toten Hand tut auch dem Lande nicht gut, und an Kirchen, in denen die Gläubigen beten können, fehlt's ja nicht. Seht dort, fast nur über die Straße hin, St. Katharinen, die Pfarrkirche der Altstadt, ein schöner alter Bau, vielleicht noch aus der Zeit, als die pommerellischen Herzöge hier regierten. Dahinter auf der Insel steht unsere Mühle.

Das Klappern der Räder verriet sie schon in einiger Entfernung. Ein so großes Werk hatte der Junker noch nicht gesehen. Viele Menschen waren dabei beschäftigt, und der Mühlenmeister hielt auf gute Ordnung. Auch sonst gab es in den engen Gassen rundumher, die auf den Mühlengraben ausliefen, viel reges gewerbliches Leben. Gerber, Tuchscherer und Färber wohnten dort, das Wasser zu nützen; auch war hier und dort ein Treibrad angebracht, das dem Inhaber die Kraft eines Pferdes ersetzen mochte. An Reinlichkeit und an frischer Luft ließ aber dieser Stadtteil viel zu wünschen; Heinz, der an Wald und Feld gewöhnt war, fühlte sich recht beklommen darin. Wie kann man nur hier tagaus, tagein leben? fragte er. Erst weiter hinauf trafen sie auf die breitere Pfefferstraße, die zum Heiligenleichnamshospital führte. Sie bogen aber links ab in die Schmiedestraße und näherten sich so dem Graben und der Mauer der Rechtstadt. Am Breiten Tor verabschiedete sich der Ritter. Er möge nur den Mauergang entlang gehen, riet er, am Glockentor vorbei bis zum Langgassentor, von dort sei leicht der Lange Markt zu finden, und dann werde jedes Kind ihm das Haus des Ratsherrn Bartholomäus Groß zeigen können.

Ein Blick seitwärts, bevor er ins Tor eintrat, überzeugte Heinz, daß die Stadt an dieser Stelle eine doppelte Befestigung hatte. Die Danziger haben sich gut vorgesehen, dachte er bei sich.

Die geräumige und mit Sprengsteinen gut gepflasterte Langgasse zeigte auf beiden Seiten ohne Unterbrechung eine Reihe von hochgiebeligen Bürgerhäusern, die meisten bis oben hin von Ziegelsteinen aufgeführt, manche darunter nicht ohne zierlichen Schmuck von schwarz, grün oder blau glasierten Gesimsen und leistenartigen Verzierungen der roten Mauer, mit Erkern und kleinen Türmchen versehen. Eine Türeinfassung von grauem Sandstein mit mancherlei wunderlichen Figuren und Zeichen fehlte den stattlicheren nicht. Fast jedes Haus hatte neben der Tür nach der Straße hinaus einen Windfang, einen Vorbau nämlich, in dem sich der Handwerkerladen oder die kaufmännische Schreibstube befand. Die Fensteröffnungen waren überall sehr klein, nur im ersten Stock etwas geräumiger, nach dem Giebel hin bloße Luftluken für die Vorratsböden. Selbst jetzt, wo die Sonne am blauen Himmel schien und die Straße hell beleuchtete, machten die massiven Mauern keinen freundlichen Eindruck. Der Blick stieg gern an dem schlanken Rathausturm hinauf, der über das Gewirr der Straßen und Gassen und über alle höchsten Spitzdächer hinweg hoch in die freie Luft aufstieg.

An der Ecke, die das Rathaus mit seinem prächtig verzierten Giebel einnahm und hinter der sich die Langgasse zum Markt erweiterte, gab's gerade einen großen Menschenauflauf. Die Menge drängte sich nach der hohen Treppe hin, auf der die Herren vom Rate standen, sämtlich in Feiertagskleidern, das Schwert an der Seite und mit goldenen Ketten behängt. Den Stufen zunächst stand der Bürgermeister Konrad Letzkau, hoch aufgerichtet in würdiger Haltung, neben ihm sein Kumpan Arnold Hecht, gleichfalls bemüht, die Würde des Amtes äußerlich herauszustellen, aber trotz seiner Körperfülle beweglicher als er. Heinz fragte, was es da gebe. Die Herren haben zu Rat gesessen, hieß es, und lassen sich nun die gefangenen Seeräuber vorführen. Nun reckten sich auch alle Hälse, denn die Trompeter und Pfeifer auf dem Podest des nahen Artushofes stimmten ein kriegerisches Stück an, Stadtknechte in Harnisch und mit langen Piken bahnten eine Gasse, und die Seeräuber, sämtlich in schweren Ketten, folgten paarweise, nur ihr Hauptmann ging mitten im Zuge allein. Die Bürgerwache gab ihnen das Geleit. Als der Zug unter der Rathaustreppe hielt, ertönte ein tausendstimmiges Hurra der schaulustigen Menge.

Heinz hatte sich mit seinen breiten kräftigen Schultern einen Weg bis nahe an die Treppe gebahnt, wo er Hans von der Buche stehen sah, dem wahrscheinlich sein Gastfreund gleich anfangs einen guten Platz verschafft hatte. Der Junker winkte ihm, und so ließ man ihn bis zu ihm durch. Er konnte von hier aus deutlich jede Person erkennen und auch hören, was gesprochen wurde. Er glaubte zu bemerken, daß Letzkau zusammenzuckte, als er des Hauptmanns der Bande ansichtig wurde, der mit einem frechen Blick zu ihm aufschaute. Auch wurde er bleich im Gesicht und führte die Finger der rechten Hand nach der Stirn, als hätte er über etwas nachzusinnen. Er faßte sich aber gleich wieder, trat zwei Stufen hinab und sagte mit lauter Stimme: Ihr seid Marquard Stenebreeker, ich kenne Euch!

Der Name schien einen ganz eigenen Klang zu haben, denn sowohl unter den Magistratspersonen auf der Treppe als unter den Zuschauern entstand eine lebhafte Bewegung, und auf allen Gesichtern war freudige Überraschung zu lesen. Ich hoffe, Ihr habt mich noch nicht vergessen, Herr Konrad Letzkau, antwortete der Rotbart mit grinsendem Lachen. Es ist noch nicht so gar lange her, seit Ihr mir an der Turmpforte des Schlosses Warberg die Hand drücktet und einen Dienst versprachet. Es könnte leicht die Zeit gekommen sein, das Pfand zu lösen.

Der Bürgermeister blickte zur Erde und antwortete nicht darauf. Arnold Hecht nahm aber für ihn das Wort. Das ist ein Fang, ihr Herren, wandte er sich an die hinter ihm Stehenden, dessen wir nicht vermutet waren. Marquard Stenebreeker, der gefürchtete Hauptmann der Vitalienbrüder, ist in unserer Hand. Nun werden wir wohl Ruhe haben zur See für lange Zeit.

Wieder erscholl ein Jubelruf, der kein Ende nehmen wollte.

Letzkau gebot mit der Hand Schweigen. Er wandte sich an einen der Ratsherren, dessen langer weißer Bart bis fast zum goldgestickten Gürtel hinabhing. Herr Johann von Xanten, redete er ihn an, Schulze dieser Rechtstadt Danzig, ich übergebe Euch und Euren Genossen von der Schöppenbank diese Missetäter. Sitzt über sie zu Gericht und verfügt, was Rechtens ist. – Dann schritt er durch die Reihen der Magistratspersonen und entzog sich unter der Tür des Rathauses den Blicken der Menge. Der Richter aber trat vor und befahl den Bütteln, die Gefangenen in gerichtlichen Gewahrsam zu bringen. Auf einen Wink Hechts stießen die Bläser wieder in ihre Trompeten, und der Zug setzte sich nach dem Langen Tor in Bewegung, über dem sich die Gefängnisse befanden. Xanten besprach in der Halle mit den anwesenden Schöppen, wann sie das Beiding über die Seeräuber hegen wollten, und gab dem Gerichtsboten Auftrag, die Abwesenden auf Montag in die Gerichtslaube zu verbotten.

Die Menge verlief sich nun. Herr Barthel Groß, den sein Amt nicht weiter band, begrüßte Heinz von Waldstein und lud ihn zum Mittagessen in seines Schwiegervaters Haus ein, wo zu Ehren des wackeren Kapitäns Halewat und seiner tapferen Schiffsgäste die Tafel gedeckt sei. Vorher aber, fügte er hinzu, sprecht bei mir an, daß ich Euch meiner lieben Hausfrau zuführe. Ich hoffe, Herr Hans von der Buche wird ihr das Zeugnis geben, daß sie ihre Pflicht kennt.

Der Junker bestätigte mit reichlichen Lobspenden, daß er in seinem väterlichen Hause nicht sorglicher hätte aufgenommen werden können. Die drei Männer hatten nur wenige Schritte über den Markt zu gehen. In dem weiten, mit Steinfliesen ausgelegten Hausflur, in dem Ballen und Kisten lagerten, fing der Schreiber den Kaufmann ab und bat ihn, auf einige Schreiben sein Siegel zu drücken, die mit den Waren zu Kahn in einer Stunde nach Thorn abgehen müßten. Groß öffnete eine Tasche in seinem breiten Gürtel, holte einen Siegelring vor, in den seine Hausmarke, zwei ineinandergreifende Dreiecke, eingraviert war und drückte sie in das Papier unter der Schrift. Dasselbe Zeichen war auf einige der Warenballen und Kisten mit schwarzer Farbe aufgemalt.

Das Geschäft hielt sie nur kurze Zeit auf. Eine Treppe hoch in der großen Stube mit schwerer Balkendecke und getäfeltem Fußboden empfing sie Frau Anna Groß mit ihren beiden Töchterchen. Sie hatte sich schon geputzt, da sie auch zur Tafel geladen war, und sah recht schön und vornehm aus in ihrem langen stahlgrauen Kleide mit breiter Goldborte auf der linken Seite herunter und mit der hohen, einem spitzen Fürstenhut ähnlichen Haube von rotem Samt und Goldstoff auf dem braunen Haar. Sie begrüßte Heinz, indem sie ihm die Hand reichte, und sagte zu den kleinen Mädchen, die sich scheu hinter sie zurückzogen: Sehet nur, das ist der Junker Heinz, der den Hauptmann der Seeräuber niedergeworfen hat. Ist's denn wahr, daß es der Marquard Stenebreeker ist? wandte sie sich an ihren Mann und setzte auf seine bejahende Antwort ein kräftiges »Gottlob!«

Dann gingen sie gesamt nach dem Hause des Bürgermeisters hinüber.


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