Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Zehntes Kapitel.

Abdallah stand in einer weiten leeren Gegend, die schwache Mondstrahlen durch finstre Wolken nur mit einer einschleiernden Dämmerung erhellten. Ein schneidender Regen wehte ihn an, über das einsame Gefilde wehte traurig ein lauter Wind. Wie ein verschüttetes Grab fiel es hinter ihm zu.

Unbekannte Wesen schauerten ihm vorüber und entflohen eiligst, Gestalten gingen vorbei und schienen ihn mit mitleidigem Erstaunen zu betrachten, er war in eine Welt von Ungeheuern eingesperrt und ging mit wankenden Schritten durch ihre Einwohner, ein unbekannter Fremdling.

Wohin soll ich mich retten? rief er. Welche Schrecken stehn noch im Hinterhalt und lauern auf ihre Beute? Welche Schauder sollen noch in dem Mark meiner Gebeine wühlen? Meine Wünsche reichen zur Welt nicht zurück, die Gedanken, die ich von dort mitnahm, sind an dem gräßlichem Thor angehalten, Grausen umgiebt mich, alle meine Gefühle zerschmelzen in Schaudern, meine Gedanken werden Wahnsinn. In eine ungeheure Wüste hinausgestoßen, begrüßen mich nur die Ungeheuer der Nacht. – Ueber welche Steppen 150 soll mein Fuß itzt wandeln? Wie Gefilde der Nichterschaffung streckt es sich vor mir aus, wo noch das wilde Chaos ungeordnet liegt und die Zeit nicht in die Tiefe hinabsieht, wo alle trägen Elemente im Todtenschlafe liegen und Leben und Verwesung sich umarmt, wie eine Gegend, die den schaffenden Ruf der Allmacht nicht hörte, aufgespart, um eine Hölle hier aufzubauen.

Er ging über eine große Haide, von einer schweren Bangigkeit gedrückt, von jedem Trost feindselig zurückgestoßen, von jedem erquickenden Gedanken abgewiesen. Endlich hörte er aus der Ferne einen Gesang, wie von Stimmen gesungen, die in krampfhaften Zuckungen und Todesschmerzen den letzten Schrei ausbrüllen; es glich dem Gerassel eines Wagens, der zerschmettert von Felsen stürzt, dem Schreien des Wassersturzes, der auf Klippen zerspringt:

Wir sind des großen Hauses
Gewaltge Wächter. –
Das Thor ist Verzweiflung,
Der Eingang Wahnsinn,
Jammergeschrei,
Schaudergebrüll
Sind die jauchzenden
Wonnegesänge,
Die aus der Wohnung
Dem Fremdling tönen. –
Ewig! Ewig!
Sieht der Gequälte
Marterzermalmte
Mit schwerem Aechzen
Nach der letzten Quaal. 151
Aber sie kömmt nicht,
Aber sie naht nicht,
Nimmergesättigt
Knirscht der grausame Zahn
An ihren Gebeinen. –

Ein wilder Klang ertönte zu der gräßlichen Melodie des Gesanges. Abdallah kam näher. –

Zwei riesengroße nackte Gerippe standen vor dem Eingang eines engen Felsenweges, der sich in geschlängelten Krümmungen wand. Sie standen gebleicht und zitterten mit den wankenden Häuptern; nach der Melodie des Gesanges schlugen sie mit Todtenbeinen klingend gegeneinander, ihr weißer Schädel nickte fürchterlich, einzelne dunkle Haare schweiften flatternd durch die dämmernde Finsterniß und seufzten in dem feuchten Nachtwind; mit den leeren Augenhöhlen starrten sie in die Wüstniß hinaus und aus den grinsenden nackten Gebissen drängte sich der zerschmetterte Gesang hervor.

Abdallah fühlte sich von einem kalten Wahnsinn angefaßt und ging in einer dumpfen Gleichgültigkeit den entsetzlichen Gestalten entgegen. –

Vatermörder!
Auf des Vaters Leichnam
Tritt in das Heiligthum der Schauder! –

so brüllte es ihm aus den Wächtern des Felsenwegs entgegen, er kam ihnen näher.

Vor dem Eingang lag der Leichnam seines Vaters gewälzt, blaß, mit geschwollenem Gesicht und fürchterlich aufgerissenen Augen. – Er schritt über den Leichnam ohne Besinnung hinweg und der Gesang fuhr ihm knirschend nach; wüthend und geängstigt, von tausend 152 Foltermartern verfolgt, rannte er wie ein Rasender durch den Felsenweg: er war kühn durch die Gestalten hindurchgeschritten, und fuhr itzt selbst vor dieser Erinnerung bleich und zitternd zurück. Aus der Ferne hörte er den Gesang und das Klingen der Todtengebeine, er stürzte mit Verzweiflungseil durch die Krümmungen des Pfades, die schrecklichen Gerippe folgten ihm, er hörte ihren Vernichtungsgesang und stürzte brüllend weiter. –

Plötzlich stand er still. Die Felsen verliefen sich in einen spitzen schroffen Winkel, er hörte das Nahen der Gespenster, schon sahe er ihre Schädel über die Felsen her blinken, – stumm, ohne Gefühle stand er da, eine Distel, die sich von der Felsenwand beugte, schoß in seinem dämmernden Auge zum Baum empor, alles wankte zitternd hin und her, – er sank zur Erde, nannte den Namen Omar und drehte den Zauberring. 153

 


 


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