Ludwig Tieck
Abdallah
Ludwig Tieck

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Fünftes Kapitel.

In einer entfernten Gegend des Waldes, wo die Bäume am meisten verwachsen waren, wo das dichteste Dunkel sich unter den verschränkten Zweigen herabsenkte und man kaum von der fernen Landstraße zuweilen ein dumpfes Getöse hörte; dort stand unter Büschen versteckt ein kleines ländliches Haus, das Selim sich vor vielen Jahren hatte erbauen lassen, um hier auf der Jagd einen einsamen, unbekannten und stillen Ruheplatz zu finden. Nur Omar, Selim und sein Sohn kannten diesen Aufenthalt, kein Weg führte zu dieser Wohnung, nur ein Fußsteig, der sich in hundert Krümmungen wand und den kein Fremder auffinden konnte. Seit vielen Jahren war diese Wohnung unbesucht geblieben, selbst Selim fand itzt den Weg dahin nur mit Mühe. Büsche und hohes Gras hatten den kleinen 116 Fußsteig verschlungen, sie mußten sich durch junge Bäume drängen, die in einander gewachsen waren, sie verloren oft den Pfad und fanden ihn nur mühsam wieder, erst mit der Finsterniß kamen sie an die Hütte. –

Alles war verwildert, das Dach mit Moos bedeckt und vom Regen durchlöchert, durch die Fenster hatten sich junge Gesträuche gedrängt und Epheu schlängelte sich in grünen Labyrinthen die Wände hinan, Heimchen nisteten in ihren Schlupfwinkeln und ziepten einsam durch die Stille der Nacht und das Rauschen des Waldes; Eulen hatten sich auf den benachbarten Bäumen niedergelassen und heulten nach dem Hause hinüber. Der Aufenthalt begrüßte sie traurig und verfallen, wie ein kranker Freund, der auf dem Sterbebette Abschied nimmt.

Sie traten in das Zimmer und der ermattete Selim ließ sich sogleich auf ein kleines Ruhebett nieder. – In der Nähe rieselte eine Quelle vom Berge herab und Abdallah schöpfte aus dem frischen Wasser einen Trank für seinen entkräfteten Vater. – Ich bin erquickt, sprach dieser, – o daß ich dich noch übrig habe, daß das Schicksal dich nicht von meiner Seite genommen hat, das ist ein Glück, dessen Größe ich mit inniger Dankbarkeit verehre.

Abdallah verband von neuem die Wunde Selims und bat dann seinen Vater, ihm zu sagen, woher dieses Unglück so plötzlich auf ihn eingestürmt sei, was es veranlaßt habe und womit sein Vater den Zorn Ali's so heftig aufgereizt habe. – Diese Wunde, sagte Selim, die mir plötzlich so tödtlich geschlagen wurde, ist mir selber unbegreiflich, schon seit lange wälze ich alle meine Gedanken umher, dieses Räthsel zu verstehen, 117 alle meine Freunde und Sklaven lasse ich in Gedanken vorübergehn, aber auf kein einziges Gesicht steht der Name Verräther. – Der Himmel selber wirft sich mir entgegen und drängt den Strom gegen seine Quelle zurück. – Dann erzählte er ihm die Entstehung der Verschwörung gegen Ali's Leben und nannte ihm alle Ursachen, die sie veranlaßt hatten. – Ich wollte das Land glücklich machen, so schloß er, aber der Ewige will, daß sein Elend noch ferner dauere, er zürnt auf mich, daß ich seinen weisen Rathschlüssen habe vorgreifen wollen und an seine Stelle treten. Der Sterbliche muß nur der Hand folgen die ihn leitet, nicht aber mit Vorwitz den geheimen Plan der Gottheit zu übersehen glauben, sein Frevel bestraft sich selbst. – Der Tyrann herrscht und ich beseufze hier verlassen mein Unglück, ohne Rath und Hülfe, ohne Freund, – o wenn nur Omar zurückkäme, auf ihm und seiner Weisheit ruht itzt meine letzte Hoffnung: aber wenn er auch zurückkömmt, kann er das, was geschehen ist, ungeschehen machen? Er kann nichts als trösten, und Trost ohne Hülfe ist kein Trost für mich, – meinen Freunden wird endlich kein Dienst übrig bleiben, als mich in mein Grab zu legen.

Es war im Zimmer dunkel geworden und Selim fühlte einige Thränen heiß über seine Wangen fließen, er schämte sich seiner Schwäche und nur die Finsterniß, die die Zähren seinem Sohne verbarg, tröstete ihn etwas über seine Unmännlichkeit. Abdallah ergriff die Hand seines Vaters und drückte sie ohne zu sprechen an seine brennenden Lippen, Selim umarmte ihn schweigend und eine wehmüthige Stille war um ihren Schmerz ausgegossen. – Durch die Fenster dämmerte ein irrer Schein der Sterne und eine Fledermaus schlug mit 118 rauschendem Flügel an die äußern Wände. Selim sahe mit starren Augen nach dem matten Sterngeflimmer, das sich durch die grünen Gebüsche brach, vom Wege und seiner Wunde müde schloß sich endlich das gespannte Auge und er versank in einen sanften Schlummer. Abdallah stand in tiefen Gedanken neben seinem Vater und schien auf das Athemholen Selims zu horchen.



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