Thomas von Kempen
Nachfolge Christi
Thomas von Kempen

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Zweiundvierzigstes Kapitel.

Wahren Frieden findest du bei den Menschen nicht / du mußt ihn also auch nicht bei ihnen suchen.

Mein Sohn / wenn dein Frieden auf irgendeinem Menschen beruht und davon abhängt / daß er denkt wie du und immer um dich ist / so wird dein Friede sehr wandelbar / und dein Herz bald uneins mit sich selber sein. Wenn du aber überall den Rückweg zur Wahrheit / die immer dieselbe bleibt und ewig lebt / dir offen hältst / so wirst du nicht sonderlich betrübt werden / wenngleich dein Freund dich verläßt oder von der Seite dir wegstirbt. Die Liebe zu deinem Freund soll eigentlich in mir ihre Wurzel haben / und jeder / den du für gut hältst und vorzüglich lieb hast / soll dir um meinetwillen vorzüglich lieb sein. Denn ohne mich hat der Bund der Freundschaft keine Gültigkeit und keinen Bestand / und alle Liebe / deren Band nicht ich knüpfte / ist weder wahr noch rein. So solltest du aller Anhänglichkeit an geliebte Menschen abgestorben sein / daß du / insofern es auf dich ankommt / Mut genug hättest / allen Umgang mit Menschen zu entbehren. Um soviel näher kommt der Mensch seinem Gott / je weiter er von allem irdischen Trost sich entfernt. Er steigt auch um soviel höher aufwärts zu Gott / je tiefer er zuvor abwärts in sich gestiegen / je geringer er in seinem Auge geworden ist.

Wer aber sich selbst etwas Gutes zuschreibt / der richtet eine Scheidewand auf zwischen sich und der Gnade Gottes / daß sie nicht zu ihm herein kann; denn die Gnade des heiligen Geistes sucht zu ihrer Herberge immer nur ein demütiges Herz. Könntest du dich selbst vollkommen vernichten / könntest du von aller Liebe zu irgendeinem Geschöpf dich leer machen / so müßte ich meine Gnadenfülle in dich einströmen und die leere Stätte in dir ausfüllen lassen. Sobald du aber auf die Geschöpfe abwärts schaust / wird der Anblick des Schöpfers dir genommen. So lerne denn / in allen Dingen um deines Schöpfers willen dich zu überwinden / dann wird dir in deiner Seele eine neue Tür zur göttlichen Erkenntnis aufgehen. Was immer man wider die heilige Ordnung der Liebe achtet und liebt / es sei so gering wie es wolle / das schlägt auf dem Weg zum höchsten Gut uns weit zurück und befleckt uns.


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