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König Balduin II. von Jerusalem

Vor dem Hospiz am Eingang der Marienkirche auf dem Tempelplatz zu Jerusalem saß der Graf von Rheinberg.

Am Tage vorher hatte die beginnende Vorregenzeit die erste Erfrischung gebracht, und der von schwerer Krankheit Genesende erquickte sich an der kühlen Luft, die ringsumher aus den tief in den Felsen eingelassenen Zisternen aufstieg.

Noch stand die Morgensonne hinter dem Ölberge, der im Osten, jenseits des Tales Josaphat, ein wenig über die hohe Stadtmauer emporragte. Aber schon blitzten ihre Strahlen in dem goldenen Kreuz auf der Kuppel des herrlichen Felsendomes, der den heiligen Bezirk mit seinem wunderbaren achteckigen Bau beherrschte und von den Kreuzfahrern für den alten salomonischen Tempel selbst gehalten wurde, obwohl er in Wirklichkeit erst wenige Jahrhunderte vor ihrer Zeit, im Jahre 691, von dem Omaijaden Abd el-Melik an der durch uralte Tradition geheiligten Stelle errichtet worden war.

Sinnend betrachtete der Graf das schöne Bauwerk, das über die zierlichen Arkaden, die es am Rande der hohen Plattform von allen acht Seiten umgaben, mit so wundersamer Erhabenheit emporragte, und gedachte alter Zeiten, als sie vor nunmehr drei Jahrzehnten nach furchtbaren Kämpfen und unendlichen Entbehrungen zuerst diesen heiligen Boden betraten. Dort, wenige Schritte neben dem goldenen Tore, das jetzt vermauert war, einst aber in das Tal Josaphat hinabführte, war die Stelle, wo er an der Seite Gottfrieds von Bouillon und noch eines anderen, an den jetzt zu denken ihm so tiefen Schmerz bereitete, als einer der ersten die Mauer erstiegen hatte. Dort bei den zwei alten Zypressen hatten sie den letzten Kampf mit den tapferen Sarazenen bestanden, die bis auf den letzten Mann die Stätte verteidigten, die ja auch ihnen nächst Mekka die heiligste war. Und durch jenes Tor dort, das Tor der Waschungen genannt, waren sie in die Stadt selbst eingedrungen, von der schon die Scharen Tankreds und Roberts von der Normandie, nachdem das Damaskus- und das Zionstor erstürmt worden waren, Besitz ergriffen hatten.

Wie anders sah das alles jetzt aus! Der Tempel selbst stand zwar bis auf das Kreuz auf der Kuppel, das an die Stelle des Halbmondes getreten war, noch ziemlich unverändert da. Wer hätte gewagt, Hand an ihn zu legen, dessen säulengetragenes Dach den Stein deckte, den Jakob gesalbt hatte? Auch die Kirche der heiligen Maria, die von den Sarazenen el-Aksâ – die »Entfernteste« – genannt wurde, hatte man bestehen lassen, denn man wußte, daß sie lange vor der mohammedanischen Eroberung den christlichen Pilgern von Kaiser Justinian erbaut worden war.

In ihrer Umgebung aber ragte jetzt der stolze Palast des Königs von Jerusalem auf, und neben ihm hatte der neugestiftete Orden der frommen Ritter ansehnliche Bauten aufgeführt, die sich nach diesem Platze in der Nähe des salomonischen Tempels Tempelritter nannten. Ein langer doppelter Kreuzgang führte von der Kirche der heiligen Maria zu ihrem Pallas, der mit seinen Arkaden hart am Abhange des Moriafelsens sich erhob, und unter sich die gewaltigen Gewölbe barg, die noch aus der Zeit der alten jüdischen Könige stammten.

Vor dem Pallas aber, vom Königsschlosse bis dicht neben den Eingang der Marienkirche sich erstreckend, standen die Hospize, in denen die dienenden Brüder des neuen Ordens viele hundert Pilger aufnehmen und zahlreiche Kranke pflegen konnten.

Auch in der Stadt selbst waren ganze elende Stadtviertel verschwunden, um den stattlichen Bauten frommer christlicher Brüderschaften Platz zu machen.

Überall sah man mit dem Kreuz gekrönte Türme über die Häuser aufragen, und namentlich lenkten neben der ehrwürdigen Kuppel der heiligen Grabeskirche, dort, wo heute der schlanke Turm der deutschen Erlöserkirche das Stadtbild verschönt, die hohen Bauwerke der Hospitalbrüder zum heiligen Johannes das Auge auf sich, die kurz zuvor aus ihrer Brüderschaft nach dem Vorbilde der Templer auch einen mächtigen Ritterorden, den der Johanniter, gebildet hatten.

Und wie in der Stadt Jerusalem selbst, so offenbarte sich im ganzen Lande die segensreiche Macht des christlichen Königreiches, das damals unter Balduin II. den Punkt seiner höchsten, leider aber nur so kurzen Blüte erreicht hatte.

Von Tarsus in Cilicien und Edessa, dem heutigen Ursa, in Mesopotamien bis hinab gen Gazza und dem peträischen Arabien reichten seine Grenzen, und viele von den umwohnenden sarazenischen Fürsten waren ihm tributpflichtig.

»Und bei aller dieser Macht muß dein armes Kind in Gefangenschaft der Ungläubigen schmachten?« dachte der Graf. »Trotz aller dieser königlichen Herrlichkeit durften die Sarazenen es wagen, dir vor den Augen die Tochter zu stehlen und an diesen Raub die schimpflichsten Anerbietungen zu knüpfen?«

Wie eine schmerzliche Wunde brannte ihm der Brief auf der Brust, den der Kalif vor einigen Tagen an ihn hatte gelangen lassen und der in gleißnerischen Worten dieselben Forderungen enthielt, mit denen der Wesir bei Mechthildis noch immer kein Glück gehabt hatte.

Schon daß man es wagte, derartige Zumutungen an ihn zu stellen, empörte den Grafen, der trotz mancher Schwächen in seinem Charakter im Punkte der Ehre von unerschütterlicher Festigkeit war. Er war entrüstet, obwohl ihm anderseits die Gewißheit über das Schicksal seiner Tochter einige Beruhigung gewährte.

Er wußte nun doch wenigstens, welche Schritte er zu ihrer Befreiung zu unternehmen hatte, und erwartete mit Ungeduld die Heimkehr des Königs, der heute in Jerusalem zurückerwartet wurde, nachdem der Feldzug gegen Buzi, den Sultan von Damaskus, durch glückliche Verhandlungen unnötig geworden war.

Diese Sorgen um die Tochter hatten die Genesung des Grafen oft in bedenklicher Weise aufgehalten, und die Tempelbrüder vermieden es deshalb nach Möglichkeit, den Kranken allein zu lassen.

Auch jetzt gesellte sich bald einer von ihnen zu ihm, ein freundlicher Alter, der über die Verfassung seines Schützlings nicht lange im Zweifel war, und sich redlich bemühte, ihn durch allerhand Geplauder auf andere Gedanken zu bringen.

Aber der Graf schien heute auf nichts eingehen zu wollen, so daß der Alte schließlich anfing, ihm deshalb Vorwürfe zu machen.

»Was bangt Ihr Euch um Euer Kind mehr, als nötig ist, und versäumt darüber die eigene Genesung?« sagte er. »Der Kalif ist ein ungläubiger Heide und ein schlimmer Feind unserer heiligen Kirche, den Gott für seine Frevel strafen wird. Aber er ist ebenso klug als verworfen und wird sich hüten, Eurer Tochter auch nur ein Haar zu krümmen. Er weiß, welch ein kostbares Pfand er an ihr hat, und wird sie Euch unversehrt zurückgeben, wenn das Ziel, das er vorhat, erreicht ist. – Hat nicht auch des Königs eigene Tochter, die schöne Melisende, jahrelang als Geisel in der Haft des schrecklichen Balak von Aleppo schmachten müssen, als es galt, ihren Vater zu lösen, der fern, jenseits des Euphrat, zu Chortbert gefangen saß? – Aber wie Melisende wird auch Eure Tochter glücklich heimkehren und den Vater schelten, der sich unnötig um sie in Sorge verzehrt hat.«

»Du hast gut reden, ehrwürdiger Bruder,« antwortete der Graf kopfschüttelnd. »Du weißt nicht, wie einem Mann zu Mute ist, dem nichts geblieben ist auf dieser Welt als sein einziges Kind. – Nach langem, mühevollem Leben nichts als dieses eine Erinnerungspfand eines kurzen Glückes!«

»Ich habe freilich nie mein Herz an irdische Dinge gehängt. – Meine Seele lebt allein von dem Manna, das mein Herr Jesus mir spendet, und das kann niemand mir rauben,« sagte der Bruder. »Aber deshalb weiß ich doch, daß es meine Pflicht ist, die irdische Hülle zu erhalten, ohne die ich meinem Herrn nicht dienen kann, solange es ihm gefällt. Und wenn das schon die Pflicht eines armen Bruders ist, um wie viel mehr sollte es die Eure sein, den der Herr zum Wächter seines Reiches auserwählt hat. – Aber ich will nicht mit Euch rechten und Euch das Herz noch schwerer machen. Lasset uns doch von etwas anderem reden. – Seht nur, wie das Volk dort hereindrängt! – Gewiß wird nun auch der König nicht lange mehr auf sich warten lassen.«

In der Tat strömte jetzt durch die sieben Tore, die vom Tempelplatze aus in die Stadt führten und wohl von den Wächtern eben geöffnet worden sein mochten, eine bunte Menge herein. Viele von den Männern trugen Palmenwedel, und die Frauen hatten sich mit Blumen geschmückt, um den heimkehrenden König zu begrüßen, der sich nicht nur bei der christlichen Bevölkerung wegen seiner hohen, ehrfurchtgebietenden Erscheinung, seiner Rittertugenden und seines edlen, milden Wesens im Verkehr mit den Höchsten und Niedrigsten allgemeiner Beliebtheit erfreute.

Am Anfang der großen, breitstufigen Felsentreppe, die zu der Plattform des eigentlichen Tempelgebietes emporführte, war eine Schranke gezogen, und auch nach dem Tore der Waschungen hinaus wurde von den Prügelknechten, die das Volk in Ordnung zu halten hatten, eine Gasse für den Patriarchen und die anderen hohen Würdenträger der Kirche frei gemacht.

Diese erschienen dann auch bald darauf in feierlichem Zuge. Voran, neben dem von einem Mönche getragenen Bilde des Gekreuzigten und der Fahne der heiligen Jungfrau, eine Schar von Räucherbecken schwingenden Chorknaben. Dann die niederen und höheren Geistlichen, die Priester vom heiligen Grabe, die Bischöfe von Bethlehem, Joppe, Lydda, Ramla und Jericho, die Erzbischöfe von Hebron und von Sichem, und endlich unter einem goldstrotzenden Baldachin der Patriarch Arnulf selbst, ein vielgefürchteter, streitbarer Herr.

Er war wenig beliebt, hatte aber sein Ansehen durch eine kühne Tat gesichert, als er vor sechs Jahren, während des Königs Gefangenschaft, unter dem Zeichen des heiligen Kreuzes, gemeinsam mit dem Abt von [Cluny] und dem Bischof von Bethlehem, eine kleine Kriegerschar so begeisterte, daß diese bei Azotum die Joppe belagernden Ägypter in einer kühnen Feldschlacht besiegte und dadurch Jerusalem vor den Ungläubigen errettete.

Um dieser Tat willen sah man es ihm nach, daß er, auf des Königs Macht eifersüchtig, diesem mancherlei Hindernisse in den Weg legte, und als er jetzt auf dem Platze erschien, warf das Volk sich ehrfurchtsvoll vor ihm auf die Knie nieder.

Aber ohne die Knieenden zu beachten, schritt der Kirchenfürst weiter, und erst vor dem Tempel machte der Zug halt, um in umgekehrter Ordnung die Hallen des Gotteshauses zu betreten, wo nun vor dem marmornen Altar, der auf dem heiligen Felsen von Gottfried von Bouillon errichtet worden war, ein feierliches Hochamt abgehalten wurde.

Endlich verkündeten Fanfaren vom Ölberge her das Herannahen des Königs, und nun ließ sich der Graf, dessen Ungeduld auf das höchste gestiegen war, nach einem Platz auf der Mauer über dem Tal Josaphat führen, von wo aus er die Ankommenden sehen konnte.

Von Bethanien aus führt am Westabhang des Ölberges hin eine alte Straße nach dem Tal Josaphat hinab, auf der einst auch Jesus Christus seinen Einzug in Jerusalem gehalten hatte. Auf ihr blitzten jetzt, soweit das Auge reichte, die Rüstungen und Waffen in der Morgensonne. Bis hinauf zur Höhe, wo der Weg nach Bethanien umbiegt, nichts als Helme und Lanzen.

Als erster ritt der König, trotz seiner Jahre in vollem Eisenpanzer, an seiner Seite Fulko von Anjou, der Gatte seiner ältesten Tochter Melisende, der wenige Jahre darauf sein Nachfolger auf dem Throne von Jerusalem werden sollte.

Dicht hinter ihnen folgte Fürst Boemund II. von Antiochien, ein Sohn Boemunds des Normannen, der mit der zweiten Tochter des Königs, Elise, vermählt war, und danach kamen an der Spitze der Barone, der unmittelbaren Vasallen des Reiches, die, wie der Rheinberger Graf in Petra, in ihren Gebieten selbstständig alle Hoheitsrechte ausübten, die beiden Meister der Ritterorden, Hugo von Payens, der Templer, und Raimund Dupuis, der Johanniter. Der eine in weißem Mantel und rotem Kreuz, das Weiß die eigene Unschuld und die Milde für die Christen, das Rot hingegen den blutigen Märtyrertod und die Feindschaft gegen die Ungläubigen bedeutend. Der andere in einem Mantel von schwarzer Farbe mit einem weißen Kreuz, dessen acht Spitzen das Sinnbild der acht ritterlichen Tugenden bezeichnen sollten.

In unübersehbarem Zuge reihten sich nun die übrigen Ritter an, die Templer und Johanniter, die Lehensträger der Barone und deren Aftervasallen, die keine eigenen Wappen und Farben führten, und die vielen edlen Herren aus Deutschland, England, Frankreich und Italien, die, ohne dem Könige von Jerusalem lehenspflichtig zu sein, vorübergehend im heiligen Lande weilten, um ihrem frommen Drange nach ritterlicher Betätigung im Kampf gegen die Ungläubigen Genüge zu tun.

Es waren an die zweitausend Ritter, die an jenem Tage den Heerbann König Balduins bildeten, und die Zahl der Knappen und Reisigen war so groß, daß die Stadt sie bei weitem nicht in ihren Mauern fassen konnte, und daß an die Dreißigtausend auf dem Ölberge und den benachbarten Höhen ein Lager beziehen mußten, um dort abzuwarten, ob der König sie zu einem neuen Feldzuge führen oder sie mit ihren Herren nach Hause schicken würde.

Sobald der König den Garten Gethsemane erreicht hatte, stieg er vom Pferde, und alle Ritter folgten seinem Beispiel; denn es ziemte sich nicht, den Pfad, den der Herr selbst einst gewandelt, anders denn als demütiger Pilger zu betreten.

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Der König, gefolgt von seinen Vasallen und Kriegern.

Langsam, in unaufhörlichem Gebet, schritt er dann zur Stadt hinan und begab sich durch das Tor des heiligen Stephanus, an dem Bethesdateich vorüber, nach dem Tempelplatz, wo ihn der Patriarch erwartete, um ihn unter jubelnden Zurufen der Volksmenge nach dem Gotteshause zu geleiten.

Nur die beiden Fürsten, die Barone und die Ordensmeister folgten ihm auf diesem Gange, während die Ritter auf dem Tempelplatze zum Gebet niederknieten.

Nachdem die Messe beendet war, verkündeten die Herolde, daß der König nach Verlauf einer Stunde in seinem Schlosse Hof halten werde und daß alle geistlichen und weltlichen Würdenträger, alle Paladine, Barone und Edlen feierlich dazu geladen seien. Am Nachmittage sollte dann ein großes Turnier auf dem Berge Scopus die Festlichkeiten des Tages beschließen.

Die Ritter zerstreuten sich nun, um die Hospize und Herbergen in der Stadt aufzusuchen und sich zu den Feierlichkeiten in würdiger Weise vorzubereiten.

Nachdem der König den Tempel verlassen hatte, wandte auch er sich seinem Palaste zu, richtete aber seinen Weg so ein, daß er dicht am Volke vorüberkam, und nun brach ein ungeheurer Jubel los, sobald er sich den Schranken näherte.

»Heil König Balduin! Heil unserem guten König!« schallte es vieltausendstimmig immer und immer wieder über den sonst so stillen Platz hin; die Männer warfen ihm ihre Palmenwedel, die Frauen ihm ihre Blumen zu Füßen, und die Prügelknechte hatten Mühe genug, die begeisterte Menge im Zaum zu halten.

Der König aber wurde nicht müde zu danken, nickte manchem freundlich zu und reichte auch wohl diesem und jenem mit leutseligen Worten die Hand; denn es waren viele darunter, die er persönlich kannte; alte Kriegsgeführten, die, nachdem sie für das Waffenhandwerk untauglich geworden waren, sich in der Stadt niedergelassen hatten und nun einem bürgerlichen Berufe nachgingen.

Dann schritt er unter immer neuen Heilrufen weiter. Als er aber in die Nähe des Palastes gekommen war, bemerkte er den Rheinberger Grafen, der sich, nachdem der König bei Gethsemane vom Pferde gestiegen war, wieder nach seinem Sitz vor dem Templerhospiz hatte führen lassen. Sofort ging er, ihm schon von weitem freundlich zunickend, auf ihn zu.

Der Graf wollte sich erheben. Aber schon war der König herbeigeeilt, drückte ihn sanft in die Kissen zurück und sagte, ihm die Hand reichend: »Seht Ihr, Graf, es ist, als gönnte uns das Schicksal keinen Kriegsruhm ohne Euch. Als wir damals ohne Euch gegen Balak von Aleppo auszogen, brachte es uns üblen Lohn, und diesmal sind wir gar nicht einmal dazu gekommen, das Schwert locker zu machen. Ihr habt also nichts versäumt, und wir hoffen, daß Ihr die Zeit wohl genützt und ebenfalls Euren Frieden mit dem bösen Feinde geschlossen habt, der sich an Euch machen wollte.«

»Ich danke Euch, Herr!« antwortete der Graf. »Aber der böse Feind, der mir zu schaffen macht, sitzt wo anders, als Ihr meint.«

»Ah! Ich verstehe!« sagte der König lachend. »Sah man wohl je einen zärtlicheren Vater? Hätten wir geahnt, daß Euch die Trennung so schwer fallen würde, wir hätten Euch wohl nicht gehindert, dem Drange Eures Herzens zu folgen. Aber beruhigt Euch. Das Versäumte soll bald nachgeholt werden. Unsere erste Aufgabe soll sein, die ägyptische Finsternis im Herzen unseres treuesten Freundes zu bannen und die schöne Mechthildis dem besorgtesten aller Väter zurückzugeben. Die Gelegenheit, dem Übermute des Kalifen einen sicheren Zaum anzulegen, war nie günstiger als jetzt, und wir hoffen wohl, Euch mit Gottes Hilfe versprechen zu können, daß Euer Töchterlein selbst Euch den Willkommen bieten wird, wenn Ihr, genesen, in Eure Burg zu Petra wieder einziehet.«

»Ich danke Euch, Herr!« sagte der Graf mit glückstrahlendem Gesicht, indem er dem Könige die Hand küßte, der sich nun verabschiedete und gleich darauf von dem ihn mit Ungeduld erwartenden Kämmerer in das Schloß geführt wurde.

»Nun, seht Ihr wohl, Herr Graf,« meinte der Bruder Templer, nachdem der König von dannen gegangen war, »wer Gott und einem so guten Könige dient, der hat sein Haus wohl bestellt.«

Aber der Graf antwortete nicht. In innigem Gebet schaute er still vor sich hin, und manches Tränlein rollte über seine durchfurchten Wangen in den grauen Bart hinab.

Er dachte an Mechthildis, aber auch an den, der ausgezogen war, sie zu suchen, und von dem noch immer keine Kunde eingetroffen war. Würde er sie jemals wiedersehen? – Er hoffte es nun, da der König selbst sich ihrer annehmen wollte.

Hätte er freilich geahnt, in wie furchtbarer Lage sich in diesem Augenblicke der schwarze Junker befand, er wäre wohl weniger zuversichtlich gewesen.

* * *

In dem großen Prunksaal, der, auf vierzig Säulen ruhend, das ganze Untergeschoß des Palastes einnahm und unmittelbar vom Tempelplatze aus durch eine breite Treppe betreten wurde, hielt König Balduin II. Hof.

Die schlichte Krone auf dem Haupte, das breite Reichsschwert in der Rechten, saß er an der westlichen Schmalseite des Saales auf erhöhtem Throne. Rechts neben ihm stand Graf Fulko von Anjou, Szepter und Reichsapfel tragend, mit seiner Gemahlin Melisende. Links hielt, an der Seite Elises, Fürst Boemund von Antiochien die Reichsfahne.

Hinter ihnen standen, ebenfalls auf erhöhtem Platze und das Gesicht dem Saale zugekehrt, die Barone. Unmittelbar vor dem Thronsessel des Königs, aber um eine Stufe tiefer, waren drei weitere Sitze hergerichtet. Der mittlere für den Patriarchen, die beiden anderen für die Erzbischöfe.

Aber der mittlere blieb, wie fast immer, wenn der König Hof hielt, leer; denn der stolze Arnulf schätzte es unter seiner Würde, zu Füßen des Königs zu sitzen, den er selbst gesalbt hatte, und dem er die höchste Gerwalt im heiligen Lande nur deshalb zugestehen mußte, weil die Barone einem geistlichen Oberhaupt sich nicht fügen wollten.

Die Erzbischöfe dagegen waren erschienen und mit ihnen die Bischöfe und eine große Zahl von Äbten und Priestern. Auch die beiden Meister und die Komture der Templer und Johanniter hatten hier ihren Platz, während die große Zahl der Ritter den übrigen Teil des Saales füllte. Er war heute zu klein, um sie alle aufzunehmen, und viele, die sich etwas spät eingefunden hatten, mußten draußen auf der Treppe verbleiben.

Nachdem die Fanfaren verklungen waren und die Herolde Ruhe und Aufmerksamkeit geboten hatten, erhob sich der König, und nun riefen alle im Saale »Heil!« und stießen zum Zeichen der Huldigung mit den Schwertern auf den Boden oder schlugen mit ihnen gegen ihre Schilde, daß die Säulen erzitterten.

Der König verneigte sich dreimal und hub nun an, seinen Dank für die Hilfe abzustatten, die ihm in treuer Pflichterfüllung von allen Lehensträgern des Reiches gewährt worden sei und es ermöglicht habe, zum Heil der Christenheit und zum Segen des Landes, ohne Schwertstreich einen der gefährlichsten Feinde des Reiches zum Frieden zu zwingen.

Von so stattlicher Heeresmacht erschreckt, habe der Sultan von Damaskus nicht nur alle geraubten Grenzgebiete herausgegeben, sondern sich auch zur Zahlung einer ansehnlichen Entschädigung und zur Entrichtung eines bedeutenden Tributes verpflichtet. Zur Sicherung dieses Vertrages habe er seinen ältesten Sohn und zwei seiner Brüder als Geiseln gestellt, die der Fürst von Antiochien in seine Obhut genommen habe und wohl verwahren werde.

Aber trotz dieser augenblicklichen Erfolge solle man in dem Eifer, der Sache Christi und des Königreiches zu dienen, nicht nachlassen; denn die Tücke der Ungläubigen sei groß, und erst kürzlich habe das hinterlistige Vorgehen des ägyptischen Kalifen gezeigt, wessen man sich trotz aller Friedensversicherungen von ihnen zu versehen habe.

Er kam nun auf die Entführung der edlen Mechthildis zu sprechen und ersuchte die Vasallen, ihm behilflich zu sein, für diese Schandtat Genugtuung zu verlangen und vor allem die Dame so bald als möglich aus ihrer unwürdigen Gefangenschaft zu befreien.

Die Barone und Ritter antworteten mit lauten Zurufen, und der jugendliche Fürst von Antiochien forderte den König auf, die Gelegenheit, daß der ganze Heerbann versammelt sei, zu einem Kriegszuge zu benutzen und den Ägyptern ein für allemal das Handwerk zu legen.

Hiervon aber wollte der König, der ebenso vorsichtig als tapfer war und sein Herrscheramt viel zu ernst nahm, um sein Land unnötigerweise in zweifelhafte Abenteuer zu verwickeln, nichts wissen. Um ganz Ägypten zu erobern, meinte er, sei man nicht stark genug. Das aber, was man zur Sicherung der eigenen Grenzen von diesem Lande brauche, die Küstenstädte und die festen Plätze des steinigen Arabien, habe man bereits gewonnen, und es sei viel ratsamer, den so mühsam errungenen Besitz zu befestigen, als neuem nachzujagen, den man schließlich doch nicht würde behaupten können. Er schlage deshalb vor, den Heerbann der nördlich von Jerusalem liegenden Reichshälfte in die Heimat zu entlassen, den der südlichen aber noch beisammen zu halten, und in Joppe und Gazza Fahrzeuge bereit zu stellen, um ihn nötigenfalls sofort nach Ägypten einschiffen zu können. Zunächst aber sollte eine größere Gesandtschaft nach Kairo gehen, um auf dem Wege friedlicher Verhandlungen, aber immer mit dem bereitstehenden Heere als Rückhalt, den Übermut des Kalifen zu brechen und ihn zu ausreichender Genugtuung zu veranlassen.

Dieser Vorschlag fand den Beifall aller Geistlichen und aller verständigeren Ritter und wurde, nachdem einige Heißsporne niedergestimmt worden waren, angenommen.

Nur machte Boemund, der am längsten und eifrigsten für den sofortigen Krieg gesprochen hatte, die Bedingung, daß er selbst mit der Führung dieser Gesandtschaft betraut werde, und daß man ihm dabei vollkommen freie Hand lassen solle, die Angelegenheit nach seiner Meinung zu Ende zu führen.

Da er der mächtigste Lehensträger und dem Könige eigentlich mehr durch Bande des Blutes, denn durch Lehensverträge verpflichtet war, mußte man ihm diese Bedingungen auch zugestehen, und so übertrug ihm denn der König in aller Form das schwierige Amt mit der Verbindlichkeit, schon am nächsten Tage aufzubrechen, da eben eine venezianische Flotte auf der Reede von Joppe vor Anker liege, deren Führer sich gewiß bereit finden lassen werde, die Gesandtschaft nach Alexandrien zu bringen und ihr, auch als Verbindungsglied mit dem Heere, gleichzeitig den Rücken zu decken.

»Als Vater mögen wir sehr hart erscheinen, daß wir diese Bedingung stellen und Euch so schnell wieder von Eurer jungen Gemahlin trennen, die Euch eben erst mehrere Wochen lang hat entbehren müssen,« schloß der König, seiner Tochter die Hand reichend. »Aber als Fürst gebietet es uns unsere Pflicht, Eurem Wunsche zu willfahren und Euch ziehen zu lassen, und wir hoffen, daß unsere Tochter uns deshalb nicht tadeln werde.«

Diese galante Wendung erregte in hohem Grade den Beifall der ganzen Ritterschaft, und wieder erdröhnte der Saal von Heilrufen und Schwertergeklirr.

Nachdem somit der Hauptpunkt des Hoftages seine Erledigung gefunden hatte, wollte der König schon das Zeichen zum Abtreten geben lassen, als einer von den Komturen des Templerordens, Gottfried von St. Aldemar, einer von den neun Rittern, die im Jahre 1118 die Anregung zur Stiftung des Ordens gegeben hatten, vor den Stufen des Thrones niederkniete und sich Gehör erbat.

»Erlauchter Herr und König!« begann der Komtur, nachdem ihm das Wort erteilt worden war und er sich erhoben hatte. »Erlaube einem treuen Diener, eine Angelegenheit hier zur Sprache zu bringen, die vielleicht nicht geeignet erscheint, die Freude dieses schönen Tages zu erhöhen, deren Erledigung aber umsoweniger Aufschub gestattet, als sie in engem Zusammenhange mit der ägyptischen Gesandtschaft steht. Sie betrifft überdies das Wohl und Wehe und die Ehre eines edlen und hochverdienten Ritters. – Hier vor dem Throne des Königs stehe ich und richte im Angesichte der versammelten Bischöfe, Fürsten und Vasallen dieses Reiches die Frage an Ritter Guiscard von Rouen, ob er an dieser Stelle die furchtbare Anklage aufrecht erhalten will, mit der er Hermann von Camp, einen Mann, für dessen Treue hundert Ritter hier im Saale ihr Schwert als Bürgschaft eingesetzt haben würden, aus der Reihe der Ritterbürtigen und der Ehrenmänner ausgestoßen hat? – Will und kann er's, so möge er auftreten und sie hier wiederholen.«

Guiscard, der sich in der ersten Reihe, nahe bei Melisende aufhielt, in deren Gunst er sich durch sein Lautenspiel und die Gabe angenehmer Unterhaltung einzuschmeicheln verstanden hatte, erbleichte. Aber in der allgemeinen Aufregung, die den Worten des Templers folgte, bemerkte es niemand, und bald erstand ihm ein mächtiger Anwalt in dem ihm geneigten Grafen Fulco.

»Verzeihet, Herr Ritter,« nahm der Graf, dem diese Bloßstellung des Günstlings seiner Frau peinlich war, das Wort, nachdem er sich zuvor leise mit seiner Gemahlin verständigt und den König um Erlaubnis gebeten hatte, dem Komtur antworten zu dürfen. »Verzeihet, aber Euer Anliegen ist in der Tat wenig geeignet, heute und an dieser Stelle vorgebracht zu werden. – Der Ritter von Camp ist ein Lehensträger des Grafen von Rheinberg, der Euch wenig Dank dafür wissen würde, wenn Ihr ihm das Recht schmälern wolltet, über seine Vasallen allein und ohne königliche Genehmigung zu Gericht zu sitzen. – Der Graf hat als Lehensherr und unbeschränkter Richter nach reiflicher Erwägung seinen Spruch gefällt, und mit diesem hätte der König sich nur dann zu beschäftigen, wenn der Verurteilte selbst Verwahrung dagegen eingelegt hätte.«

»Der Verurteilte sitzt in Ägypten gefangen und hat keine Ahnung von dem, was in seiner Abwesenheit geschehen ist, und daß ein leichtfertig gefälltes Urteil ihn um Ehre und Namen gebracht hat!« entgegnete der Templer.

»Hütet Eure Zunge, Herr Ritter!« rief jetzt Guiscard von Rouen, der inzwischen die Fassung wiedergewonnen hatte und sich unter dem Schutze Fulcos und Melisendes vollkommen sicher fühlte. »Der Graf dürfte Euch sonst üble Antwort dafür wissen, daß Ihr sein Urteil leichtfertig zu nennen wagt. – Hermann von Camp ist ein Verräter. – Das habe ich bezeugt, und vier Knechte haben es beschworen!«

»Man behauptet aber, daß sie es beschworen haben, weil Ihr sie dazu verleitet habt! Vielleicht besinnet Ihr Euch anders, Guiscard von Rouen, wenn ich Euch sage, daß einer von ihnen vor drei Tagen im Hospiz der Templer gestorben ist und in der Todesstunde gebeichtet hat, er habe, von Eurem Golde und Euren Drohungen bewogen, einen Meineid geschworen, und Hermann von Camp sei auf Euer Antreiben hin vom Kalifen in Kairo als Geisel zurückbehalten worden!«

Diese Worte erweckten eine so gewaltige Aufregung, daß Minuten vergingen, ehe es den Herolden gelang, die Ruhe wieder herzustellen und zu verkünden, daß der König selbst in dieser Sache das Wort zu nehmen wünsche.

Endlich verstummte das Getöse, und nun hieß der König Guiscard von Rouen vorzutreten und sagte: »Es ist ein furchtbarer Verdacht, Herr Ritter, der aus so gewichtigem Munde gegen Euch ausgesprochen wurde; denn ein Mann, der fähig wäre, einem anderen heimtückisch die Ehre abzuschneiden, wäre eine solche Schmach für die gesamte Ritterschaft, daß niemand mehr würde die Sporen tragen wollen, wenn einen solchen Schurken nicht die härteste Strafe träfe. – Deshalb zögert nicht zu sagen, was Ihr dagegen vorzubringen habt!«

»Bevor ich auf die nichtswürdige Verleumdung eingehe, die hier ein böswilliger Gegner, von dem ich nicht einmal weiß, wodurch ich mir seine Feindschaft zugezogen habe, gegen mich zu wiederholen wagte, will ich nur bemerken, Herr, daß ich ein freier Ritter bin, der niemandes Lehen trägt und keinem hier Rede zu stehen hat, außer seinem Gotte,« antwortete der Normanne mit frecher Stirn.

»Wenn Ihr ein Ritter seid, so habt Ihr jeden zur Rede zu stellen, der Eurer Ehre zu nahe tritt!« sagte der König scharf. »Also lasset uns hören, was Ihr dem edlen Komtur zu entgegnen habt.«

»Ich habe ihm zu entgegnen, daß es gar bequem ist, einen Toten zum Zeugen anzuführen, und daß ein solches Verfahren wohl eher den Tadel der Leichtfertigkeit verdient, als das des Grafen, den er in dessen Abwesenheit zu schmähen für gut fand. – Wer sagt Euch denn, ob der Sterbende die Wahrheit gesprochen, oder ob er sich nicht vielmehr schon in einem Zustande befand, wo die Gedanken sich verwirren? – Warum bringt Ihr denn nicht die drei anderen Knechte zur Stelle, die ihre Aussage ebenfalls beschwuren und gewiß noch am Leben sind? – Wer endlich bürgt denn dafür, daß der, dem der Sterbende gebeichtet haben soll, nicht in böser Absicht das Gehörte entstellte? Denn viel Glauben verdient der wahrlich nicht, der das Beichtgeheimnis bricht und es dazu benutzt, Ränke zu schmieden!«

»Von der Pflicht des Beichtgeheimnisses hat mich der Sterbende auf seinen ausdrücklichen Wunsch entbunden,« unterbrach ihn der Templer, »denn ich selbst war es, dem er im Zustande vollkommener Klarheit die Beichte ablegte, und bei der Wichtigkeit der Sache, und wiederum auf ausdrücklichen Wunsch des Sterbenden, habe ich zwei geweihte Brüder dabei zugezogen, die alles gehört haben, wie ich es sagte, und bereit sind, es Euch zu bestätigen, wenn anders Ihr es wagen solltet, mich offen der Lüge zu zeihen.«

»Ich zeihe niemanden der Lüge als den Knecht!« rief Guiscard unsicher.

»Aber der ist tot, und es ist, wie Ihr selbst sagtet, recht bequem, einen Toten zum Zeugen anzurufen oder falschen Zeugnisses zu beschuldigen,« entgegnete der Templer.

»Aber die anderen drei leben noch! – Bringt mir die anderen drei, oder niemand hat ein Recht, an meinen Worten zu zweifeln! Hier steht Zeugnis wider Zeugnis, wer will in dieser Sache entscheiden?«

»Gott!« sagte mit feierlicher Stimme der König, das Schwert aus der Scheide ziehend. »Gott wird entscheiden! – Machet Euch bereit, für Euer Wort und Eure Ehre zu streiten, Ritter Guiscard von Rouen. – Am Nachmittage nach dem ersten Lanzenstechen wird Euch der Herold in die Schranke rufen. – Zwar wird Euch bekannt sein, daß der edle Komtur selbst nicht in der Lage ist, Euch gegenüberzutreten, da ihm die strengen Regeln seines Ordens verbieten, das Schwert gegen jemand anderes zu ziehen, als gegen Ungläubige und Feinde der Christenheit. – Aber ich zweifle nicht, daß sich jemand in diesem edlen Kreise finden wird, der an seiner Stelle für Hermann von Camp mit Euch zu kämpfen bereit ist. – Seid Ihr's zufrieden?«

Der Normanne zögerte. Ein Kampf auf Tod und Leben war für ihn nicht viel besser als ein Todesurteil; denn von jeher hatte er seinen Ritterberuf mehr darin erblickt, die Laute zu handhaben als das Schwert, und bei seiner Geschmeidigkeit und Verschlagenheit, mit der er überall durchzuschlüpfen wußte, war es ihm selbst im heiligen Lande bisher noch immer gelungen, ernsthaften Händeln aus dem Wege zu gehen.

Auch diesmal hatte er gehofft, mit seiner Zunge und seiner Unverschämtheit durchzukommen. Da er aber wohl merkte, daß der König ihn durchschaut hatte, und daß auch Melisende ihn bereits mit unwilligen Blicken beobachtete, blieb ihm nichts übrig, als sich wenigstens den Anschein der Tapferkeit zu geben und auf des Königs Vorschlag einzugehen.

»Ich bin's zufrieden!« sagte er also endlich, so fest und trotzig, als es ihm nur irgend gelingen wollte, dachte dabei aber im stillen, daß bis zum Nachmittage noch eine lange Frist wäre, und daß es ihm bis dahin doch noch gelingen werde, sich auf irgend eine Weise dem Kampfe mit dem unbekannten Gegner zu entziehen.

Der König, der nicht mehr im Zweifel darüber war, wes Geistes Kind er hier vor sich hatte, und daß es galt, ein unerhörtes Unrecht an einem wackeren Manne aufzudecken und wieder gut zu machen, maß ihn noch einmal mit ungnädigen Blicken, flüsterte seinem Wappenmeister, der herangetreten war, um ihm das Schwert abzunehmen, mit einer Kopfbewegung gegen Guiscard etwas zu, verneigte sich gegen die Ritter, die ihm nun abermals ihre Huldigung darbrachten, und verließ den Saal, gefolgt von seinen beiden Töchtern und deren fürstlichen Gatten.

Als Melisende an dem Normannen vorüberkam, hielt sie einen Augenblick inne, wandte sich zu ihm und sagte, ihn mit scharfen Blicken ansehend: »Ich hoffe, Ihr werdet für eine gute Sache fechten, Herr Ritter?«

Aber der Dame gegenüber hatte Guiscard sofort seine Sicherheit wiedergewonnen; und sich mit schmelzendem Lächeln vor ihr verneigend, antwortete er im Tone der gekränkten Unschuld: »Wenn Ihr daran zweifeltet, erhabene Fürstin, so wollte ich eher selbst mein tapferes Schwert zerbrechen, als mich dem Urteil Gottes unterwerfen, der mein Recht unzweifelhaft an den Tag bringen wird.«

»Nun, so nehmet dies als Zeichen meines Vertrauens. Möge es Euch im Kampfe Segen bringen!«

Damit reichte sie ihm nach der Turniersitte jener Tage einen Ring, den er mit einem zierlichen Handkusse in Empfang nahm, und folgte ihrem königlichen Vater.

Aber das kostbare Amulett schien doch nicht hinreichend zu sein, um den Kampfesmut des Ritters zu begeistern; denn nachdem er die Tür des kleinen Gemaches hinter sich geschlossen hatte, das ihm im Obergeschoß des Palastes eingeräumt worden war, machte er sich, wie jeder andere Ritter wohl getan haben würde, keineswegs daran, sein Schwert zu prüfen oder seine Rüstung zu richten, sondern ließ sich seufzend auf der Fensterbank nieder und begann darüber nachzusinnen, wie er dem drohenden Zusammenbruch seiner Ritterherrlichkeit und vielleicht sogar seines Daseins vorbeugen könne.

Das Nächstliegende schien ihm zu sein, irgend eine Krankheit zu heucheln, einen Fluß, der durch die Aufregungen wohl verursacht sein konnte, oder ein Fieber, das um diese Jahreszeit in Jerusalem so manchen plötzlich überkam. Dann aber verwarf er diesen Vorwand, der schließlich die Entscheidung nur hinausschieben, nicht aber überhaupt verhindern würde, und sah sich nach einem gründlicheren Hilfsmittel um. – Sich aus dem Staube zu machen, das war das einzige, was ihn sicher und für immer aus dieser Verlegenheit ziehen konnte, die schließlich doch einmal zu schlimmem Ende kommen mußte. Die Wahrheit mit Hermann von Camp mußte ja doch einmal offenbar werden, und dann war er im heiligen Lande sowieso unmöglich. Da war es doch besser, beizeiten von dannen zu gehen und sich irgendwo anders, im Abendlande, einen Unterschlupf zu suchen. Als einem aus dem heiligen Lande heimkehrenden Kreuzritter würde es ihm nirgends fehlen, und er würde schon wissen, sein Heldentum im Kampf mit den Ungläubigen in das rechte Licht zu setzen.

Ja, fort, so bald als möglich. Das war die einzige Rettung. In dem Volksgewühl würde es nicht schwer halten, unauffällig aus Jerusalem hinauszugelangen, und vor Joppe lagen venezianische und genuesische Schiffe genug, die ihn mit über das Meer nehmen würden. Bei diesen Gedanken hatte der leichtfertige Normanne bald alle Sorgen vergessen, und schon wollte er seine Siebensachen zusammenpacken und sich zum Aufbruch rüsten, als des Königs Wappenmeister ins Zimmer trat.

»Was wollt Ihr hier?« rief Guiscard ärgerlich.

»Euch behilflich sein, Ritter, und Euch die Grillen vertreiben helfen. Man hat so manchmal welche, wenn man den Meister Hein hat ans Fenster klopfen hören, und Euch wird's nicht besser ergehen als anderen Christenmenschen. Aber seid unbesorgt; ich weiß manch lustiges Stücklein, das Euch über die paar Stunden schon hinweghelfen wird,« antwortete der biedere Alte, sich's dem Ritter gegenüber auf der Fensterbank bequem machend; denn sein vorsichtiger Herr hatte ihm streng befohlen, dem unsicheren Gottesstreiter nicht von der Seite zu weichen, damit es ihm nicht etwa einfallen sollte, den judäischen Staub von seinen Füßen zu schütteln, ohne vorher bei der Frau Wirtin Justitia die Rechnung beglichen zu haben.

Nun wußte Herr Guiscard von Rouen, daß er in der Falle saß, und sein ganzes Streben war jetzt darauf gerichtet, so viel als möglich gute Miene zum bösen Spiel zu machen; denn wie alle Streber und feigen Glücksritter besaß er eine merkwürdige Fertigkeit darin, sich selbst mit der Hoffnung zu belügen, daß schließlich doch ein günstiger Zufall noch alles zum Guten wenden werde. Er ließ also Wein herbeibringen, und da der Wappenmeister als geborener Rheinländer es in der Tat meisterlich verstand, die bösen Geister des Unbehagens zu bannen und aus dem Rebenblut alle möglichen lustigen Kobolde hervorzulocken, so saßen die beiden bald in heiterster Unterhaltung beieinander und hielten, namentlich als dem verschmitzten Ritter beim Trinken ein ganz neuer rettender Einfall gekommen war, ihre Lachmuskeln unausgesetzt in so kräftiger Bewegung, daß der Junker Puy de Chaumont, ein jugendlicher Gefolgsmann des Fürsten Boemund, der das Nachbargemach bewohnte und sich mit großer Sorgfalt zum Turnier rüstete, oft den Kopf schüttelte und dachte: »Das muß ja ein seltsamer Ritter sein, der sich also zum Gotteskampf vorbereitet!«

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