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IX.

Die Lichtreiterchen und ihre unsichtbaren Knappen

Aldebaran saß weit später an einem leuchtenden Sommertage mit Else in der schönen schattigen Laube, die dem Walde zu geöffnet war und aus deren weinlaubumrankten Zeltwänden schöne Herbstblumen ihre bunten Kelche herabhängen ließen. Er sah still sinnend auf seine kleine Freundin, die ihr Köpfchen stützte und den Waldweg entlang spähte, auf dem sie ihren Vater von seinem Rundgang um die Forstreviere zurückerwartete. Nicht lange, da bog in der Tat dort, wo die tiefsandige Wagenspur sich in der Ferne nach links zur größeren Heerstraße wendet, jemand um die Tannen. Es war aber nicht der Förster, sondern ein großer, hochaufgerichteter Mann, in langem braunen Reisemantel.

Die schwere Hülle konnte trotz gefaltetem Schulterkragen doch nicht die hehre Figur des Wanderers verbergen. Der trug den weichen, breiten Schlapphut neben einer Reitgerte in der Hand und ließ die frischen Winde mit seinem gelichteten, aber noch gewellten Haar spielen. Schon aus ziemlicher Entfernung leuchtete darunter eine hochgewölbte Stirn. Der Herannahende trug Stulpstiefel, oben weiß umrandet und mit Sporen versehen. Else fiel es auf, wie stolz und gewichtig des Mannes Gang war. Als Aldebaran den Heranschreitenden erblickte, sagte er schnell zu Else: »Heute erhalten wir ganz erlauchten Besuch. Dort kommt ein Liebling der Götter. Wir wollen ihn überraschen. Sing' mir, während er daherschreitet, ein kleines Lied genau nach! Es wird dem alten Liedermacher gewißlich wohltun.« Else ahmte sein leises Lied getreulich nach und über den Waldweg, sanft untertönt durch den Rückprall der Laute von der dunklen Tannenwand, klang es dem Fremden entgegen:

»Sah ein Knab' ein Röslein stehn,
Röslein auf der Heiden.«

Der Daherschreitende hob den Kopf, öffnete weit die großen, prüfenden Augen, ging eiliger und stand mit deutlicher, innerer Bewegung vor Else. Still legte er ihr die Hand aufs Köpfchen, während sie, Aldebarans Strophen zu Ende singend, aufstand. Ein unwillkürlich tieferes Knixchen als sonst – dann gab sie dem adelvornehmen Herrn die freundlich dargebotene Rechte. Nun sah sie erst wie groß, wie schön, wie sonnenhaft des Besuchers Augen waren, über denen sich in mächtigem Bogen geschwungene Brauen legten wie ernste Torwölbungen über Tempeleingängen. Alt, aber recht alt mußte der Mann schon sein, denn sein hochgerichtetes Haar schien in der Nähe fast weiß und viele Schattenlinien lagen wie Schlepptau-Furchen des Leids, doch fein gezogen, um Auge, Mund und Kinn. Er sprach zuerst:

»Grüß dich Gott, artiges Kind! Aber sag' zuvor, wie kommst du zu dem Liede, das mir hier entgegensprudelte wie ein heimatliches Bächlein und von Jugendzeiten murmelt?«

Else antwortete auf Aldebarans Schelmenblick: »Ach! Das Liedchen' – Ich kenne es schon lange – ich fand es wohl in Wald und Feld; die Glockenblumen klingen's an und Vöglein singen es nach – und ich habe es wohl von den Vöglein gelernt.«

Da schmunzelte der Greis und auf die Schalkhaftigkeit der Kleinen eingehend, rief er fröhlich: »Ganz recht, so hab' ich es wohl auch einst gefunden!«

»Jetzt aber singen wir's auch in der Schule!« meinte Else aus sich heraus, die Aldebarans fromme List vor diesem Blick aus Königsaugen ein wenig mildern wollte. »So, so,« meinte der Fremde. »Aber sage, mein Kind, bist du das Wunderelselein, von dem man jetzt so viel in deutschen Landen spricht, das Rätsel aller Neunmalweisen, ein Orakel im Pommernland und – in so lieblicher Gestalt?«

»Ach! Die Leute reden so viel,« sagte Else, während sich Aldebaran, sehr neugierig, was sich jetzt begeben würde, auf den Tisch setzte.

»Ich weiß es nicht, was sie an mir haben; ich weiß nur eines, daß das Wenige, was ich ihnen zu ihrem Erstaunen sage, mir einfach scheint und gar nicht von mir kommt. Es denkt wohl etwas an meiner Statt in mir und ich schnurre es ganz unwillkürlich herunter und es kommt mir dann alles glasklar und sonnenhell vor.«

»Also dann, kleine Gedankenspinnerin, hör' mich an! Die Zeit drängt. Meine Pferde halten auf der Chaussee mit meinen Kurieren; ich muß in kurzer Frist zurück in die Heimat – eine alte oder eine neue.« Er lächelte wehmütig. »Ich habe, bewegt und beunruhigt von den sonderbaren Berichten über das nordische Wunder im Forsthause, mich auf den Weg gemacht. Auch treibt mich eine Ahndung an. Jetzt, wo die letzten Strahlen des himmlischen Lichtes mit sehr Beglücktem und Hochgeklommenen schon wie zum Willkomm goldene Hände reichen, wo ich fühle, daß das Leben und sein wunderlicher Strom langsam verrinnen, habe ich mich entschlossen, nichts unversucht zu lassen, über eins Auskunft zu erlangen, das mich mein reiches Leben hindurch ganz ergriffen hat zu Leid und Freud'. Das ist des Lichtes und der Farben sonnenfrohes, schattentrübes Wechselspiel. Wohl nirgends habe ich der Natur so tief ins Auge geschaut – aber man will es mir nicht glauben, was ich der sich ewig Offenbarenden und ewig sich Verhüllenden abgelauscht und entrissen habe. Nun es zum letzten Aufstieg geht, möchte ich es herzlich gerne wissen. Du hast viele Wunder getan, Gelehrte verwirrt, in Dunkelheit Tappende erleuchtet kraft deiner Sehergabe – so hat mich eine Sehnsucht mächtig hergetrieben – ich komme, ein lebensmatter, aber wahrheitstrunkener Mann, zu dir; sag' mir, wenn du es ahnst, was ist es um Licht und Farbe?«

Da sprang Aldebaran auf und führte Else zur Bank. Auch der Besucher nahm Platz. Dreimal strich Aldebaran über Elses Stirn. Da sank sie halb im Schlaf hinten über; ihr wundersam schönes Köpfchen wurde gehalten vom Gitter der Laube und war umrankt mit Weinlaub und Windenblättern. Erstaunt über ihre plötzliche Veränderung, fast erschreckt sah der Gast auf sie. Da sprach mit geisterhafter, fernher tönender Stimme Aldebaran durch des Kindes Mund:

»Meister von Weimar! Es ist kein Ding im Himmel und auf Erden, gewaltig oder winzig, dem nicht eines Tages sein Prophet erstünde, der ihm nicht die letzten Masken seiner geheimen Bestimmung herunterzöge. Unter vielen ward dir der Ruf des Lichtes und der Farben. Vor allen warst du erwählt, mit deinem Sängermunde der Farben Lebens- und Leidenslied zu singen, ja den Roman des Lichtes zu schreiben. Auch andere vor dir, so der große Brite, dein Gegner noch nach seinem Tode, der englische Weise der Zahl und der Linien, Gemeint ist Newton. war berufen, aber nicht auserwählt – er fand das Alphabet, du aber setztest das Lied. Es wird dich freuen, was ich dir sage, es wird dich glücklich machen, aber frohlocke nicht, du mußt diesen Blick in Zukünftiges, allen noch Verschlossenes, den ich dich tun lasse, teuer bezahlen, denn du wirst Nachgebornen es überlassen müssen, deine verachtete Lehre erst in Jahrhunderten wieder aufzubauen. Es ergeht dir wie so oft den Vorausgeeilten: eben weil sie besser steigen, stehen sie bald allein auf Bergeshöhen. Aber die Glocken, die ein Offenbarer läutet, klingen doch einst nieder ins Tal und wecken die Schläfer!

Licht – Meister, jauchze auf – ist Einheit! Weiß ist sein Strahl und es ist nicht wahr, was jener Engländer glaubte, es sei zusammengesetzt aus den Farben, die er im Regenbogen und in dem Winkelglas in ihnen verborgen zu finden glaubte. Farben sind gedämpfte Schatten, getrübtes Licht; aber höre: sie sind gar nicht an den Dingen selbst, sie sind in unseren Menschenaugen und in denen der Tiere, sogar in jedem einzelnen etwas anderes als in seines Nachbars Augen. Was die Dinge färbt, ist eine Bewegung, die sich durch die Sonnenwirkung an ihnen vollzieht und die sich auf die kleine Wunderkammer unter unserer Stirn fortpflanzt, um eben den Eindruck des Gefärbten zu machen. Licht und Farbe sind also Eindringlinge, die mit Geisterfingern an das Tor unserer Gedanken klopfen, daß wir sie erkennen und uns umsichtig benehmen in diesem sonst so rätselhaften Irrgarten des Lebens. Du sagst es ja selbst, sie geben allem Form und Inhalt, Sinn und wechselndes Bedeuten. Es entspricht also unseren inneren Bewegungen, dem, was wir Farbe nennen, ein äußeres Bewegen, das nicht Farbe ist, sondern nur ein Wogen und Wallen des unsichtbaren, ätherischen Meeres, dessen Gespensterfluten alles durchwogen: unser weiches Auge mit seiner Lichtharfe nicht minder als den Kristall und den härtesten Felsen; Wolle sowie Stahl, Feuer, Gas und Luft nicht weniger wie den leeren Raum des Himmels oder die tiefsten Adern der Erde. Dies Allgegenwärtige, ja Allmächtige ist der Gott aller Erscheinungen, auch des Lichtes: er hebt und regt sich – und es leuchtet, es fließt vor und zurück – und es tönt. Bewegung ist alles; sie ist der geheime Sinn aller gegenständlichen Dinge.

Unendlich ist die Möglichkeit rasender Ätherbewegung, vorwärts, kreisend, zuckend, pendelnd, rollend, strichelnd, spiralig: soviel Bewegungsformen, so viel Erscheinungen: Licht ist Ätherwellenschlag im unschaubaren Meer des Alls: ein unaufhörlich Wogen winzigster Fluten auf und ab, so schnell, daß, während eine Wasserwelle uns in Sekunden über den Fuß rollt, eine einzige Ätherwelle dieses Meeres den Raum von vielen, vielen Tausenden von Meilen durchzischt und schier alles durchrinnt!

Und nun, Meister von Weimar, laß dir ein Märchen erzählen und gib gut acht, daß du es nie vergißt, denn es ist zugleich Märchen und wahr, wie alle Märchen eine Wahrheit sagen, wenn auch in Masken und Verkleidungen. Dazwischen will ich es dir selber deuten, frag' auch, wo du mich nicht verstehen solltest, denn ich spreche manchmal den Blick auf dir völlig Unbekanntes oder Zukünftiges gerichtet. – –

Es fliegen Millionen Lichtreiterchen auf feurigen Pferden aus der Sonne großem Stall unaufhörlich, unerschöpflich. Es sind Boten des Alls, der Gottesgedanken, Allerweltswirker, Kämpfer, Sieger, Staaten-, Stern- und Lebensgründer – sind blonde Göttersöhne, Feinde der Finsternis, Freudenfürsten, Todbringer der Dunkelheiten, tragen aber auch Vernichtung in ihren allzuhellen Köchern. Sie reiten vom Tor der Sonne in die Fensterchen aller Dinge, in alle Lücken, alle Spalten, in Tier-, Pflanzen- und Lichtaugen. Siehst du sie in einer Reihe herankommen wie eine Kavalkade Heller Kürassiere mit silber- und goldgeschmückten Panzerschilden auf der Brust, so wirkt das wie ein Strahl, ein leuchtender, ein zündender auf dein Auge, da in seinen Labyrinthen überall kleine offene Brücken, die sie passieren können, zum Schloß deiner Gedanken führen. Kommen zu viel Reiterchen und allzu direkt in dein Auge, so stauen sich die Anstürmenden auf den Schloßbrücken, der Brückenwächter zieht die Ketten hoch und du fühlst dich geblendet und betäubt. – Nun denke dir, Meister, eine solche Schwadron Lichtreiterchen käme über eine glatte Flache geritten, etwa eine gefrorene Wiese. In vollkommener Paradestellung galoppiert sie heran, und wir wollen uns so stellen, daß wir sie schräg von vorne heransprengen sehen. Sie schießen auf dem Eise dahin und sind bald an dem ein wenig höheren Sandufer. – Ah! Was geschieht? Das Sandufer ist nicht so glatt wie das Eis und da die Luftreiterchen links kleine Ponys und rechts immer größere Pferdchen reiten, die auf dem rechten äußersten Flügel sogar wahre Riesenpferde sind, so kommt eine ganz natürliche Verschiebung zustande. Die uns zugewandten Pferdchen werden in ihrem Galopp stärker gehemmt als die großen auf der anderen Seite: folglich macht die ganze Front eine Schwenkung, und nun sehen wir die ganze Linie schräg von der Seite. Wie wunderbar! Jetzt ist die Linie nicht mehr hellweiß vom Glanz der Kürasse aus Silbergold, sondern wir sehen die schräge Linie rot, orange, gelb, grün, blau, indigo, violett. Das kommt daher, weil all die kleinen Lichtreiterchen in Gruppen unter den seitlich offenen Kürassen von rot bis blau verschieden gefärbte Wämse haben, die bei den in gerader Front anreitenden kleinen Dragonern von den Lichtkürassen verdeckt werden. Die Lichtreiterchen sind eben nur von vorne Panzerreiter, seitlich sind sie Dragoner! Solche Wegschwenkungen machen die Reiterchen vor jedem Hindernis, sie biegen ab, manchmal so, daß die farbigen Flanken sichtbar werden, manchmal so, daß die Front weiß leuchtet. Sie wenden sich etwas beim Ritt durch die Luft, so wie sie durch Eis oder Wasser reiten oder durch Regentropfen, Glaskanten, Muschelschuppen oder andere, Hecken gleichen Hindernisse, die sie zwingen, aus der Richtung zu biegen und einmal buchstäblich ›Farbe‹ zu bekennen.«

»Mein Kind!« fragte hier der atemlos lauschende Fremde, »ich verstehe dich wohl: du meinst die Brechung des Lichtes in den Gegenständen. Aber du sagst: Die Reiterchen hätten, wenn auch nur seitliche, Eigenfarbe! Das sagt ja der alte Engländer auch – so hätte ich unrecht?«

»Laß es mich nur erst so darstellen, es ist ein bißchen anders. Die Lichtreiterchen sind eigentlich kleine Chamäleons, sie ärgern sich grün und gelb, blau und rot, wenn sie auf Hindernisse treffen, sie bekommen die Farben erst, wenn sie gehemmt werden; aber laß uns erst ruhig die Fehler des alten Griesgram-Rechners mitmachen, wir kommen ihm desto sicherer auf die Sprünge! – Wenn nun also die Reiterchen gegen eine Fläche mit größerer Dichte ansprengen, so kann es ihnen passieren, daß sie gleichsam tief in den Sand geraten, ein bißchen verschwinden und etwas später in gewohnter Eile wieder zurückreiten. Das tun sie gleichfalls, wenn sie von glatten spiegelnden Flächen abgewiesen werden, als seien alle Tore geschlossen, sie reiten dann in gleicher Schwenkung, wie sie herangeritten kamen, nach der anderen Seite auch wieder heraus.«

»Reflektiert!« murmelte nickend der Alte von Weimar.

»Geraten sie aber gleichsam in Flugsand oder lehmigen Grund, in dem sie stecken bleiben, so versinken viele von ihnen, und nun kommt meist nur eine bestimmte Art von Pferdchengröße aus den angerittenen Flächen, Dingen, Gegenständen heraus. So reiten sie z. B. in vollem Galopp alle gegen eine Rose an, aber der Palast der Rose ist so merkwürdig in seinem inneren Gefüge gebaut, daß alle Reiterchen mit blauen, grünen, violettenen und orangenen Wamsen in die Kellerluken des Rosengelasses hineinfallen: Türen schlagen zu und die farbigen Reiterchen sind gefangen. Nur die roten Reiter können sich retten; sie passen nicht in die Kellerluken und Drahtgitter vor den Türen und Fensterchen der Rosenburg; stolpern wohl, aber sie wenden eiligst zur Flucht – auch in unser Auge – und so erscheinen uns Rosen rot. Genau so ist's mit den gelben, bei denen gerade die gelben Lichtdragoner davonlaufen können und alle andern in die Fallen passend sinken: ebenso ist es mit jedem gefärbten Ding, ob es ein Stein ist oder ein Teppich; jede Eigenfarbe sagt uns: soundso viel Lichtreiterchen schmachten im Kerker, nur die eine Art – also eine der farbigen Gruppe – ist gerettet und flieht ins Sonnenhafte.

Ist aber das Hindernis, gegen welches unsere Reiterchen anreiten, sehr vielmaschig und flach, dünnsplitterig und weniger hemmend, als Unordnung schaffend, so kommen die Reiterchen nach der Passage alle leicht durcheinander, sie mischen sich, zerstreuen sich: so ist es namentlich bei ganz dünnen Scheibchen, wie bei Seifenblasen; bei aufeinanderliegenden Gläsern; wenn Öle dünn auf dem Wasser schweben – genug, wenn die Reiterchen zweimal oder mehrere Male hintereinander ein Hindernis passieren und nicht Zeit haben, sich ordentlich zu gruppieren. Dann kommt es wohl, daß sie sich gegenseitig aus dem Sattel heben und dunkle Stellen zwischen sich lassen, wo sonst die durcheinandergewürfelten Reiterchen farbenberauscht ihre Wämse zeigen.«

»Interferenz« flüsterte der Alte.

»Dann gibt es Lösungen, in denen gerade die Reiterchen, welche von der Flüssigkeit abgefangen worden sind, wie kleine Brandstifter wirken. Sie stecken die Kammern, in denen sie gefesselt werden, gerade mit der ihnen eigenen Wamsfarbe in Brand. So können die Gefangenen ihre Zellen je nach der Art ihrer Entzündbarkeit bald grün, bald blau oder anderswie illuminieren und bengalisch beleuchten. Das ist natürlich nur auf der Seite zu sehen, wo die Fensterchen offen sind, nach der anderen Seite behält das Gefangenenhaus seine eigene Farbe. So ist Erdöl (Petroleum) für gewöhnlich gelblichhell, wenn aber ein Lichtstrahl es durchreitet, so entzünden einige blaue Reiterchen ihren Käfig mit blauen Fackeln so lange, wie sie in ihm festgehalten werden; die übrigen Reiter der Kavalkade kommen mit hellen Brustpanzern heraus, wie sie hineingesprengt sind.«

»Fluoreszenz –« bestätigte leise der Lauschende.

»Andere Stoffe aber, wie z. B. deine Erlkönig-Weiden, Meister, das sind noch sonderbarere Käfige für die Lichtreiterchen. Die fangen sie des Tages ein in dem dunklen Keller und lassen sie erst beim Eintritt der Nacht in die oberen Etagen, wo sie in der Dunkelheit ihre Fackeln anstecken, und die leuchten nach, obwohl die Kavalkade schon lange vorbeigeritten ist.«

»Das wären gar artige Ausdeutungen,« sagte der Alte, »von dem, was die Gelehrten ›Interferenz‹, ›Fluoreszenz‹ und ›Phosphorleuchten‹ genannt haben und wovon ich selbst einige gar schöne Fälle erlebt habe. Also das liebliche Glühwürmchen, wie das Wesen, welches das Meerleuchten macht, bezieht sein Wunderlicht von deinen Reiterchen: sie werden gefangen gehalten und müssen nächtige Arbeiter sein. Das ist ein liebliches Bild. Auch für die Farbenringe der Eisblumen, Mond- und Sonnenhöfe – kann ich mir nun ganz gut die Verwirrung der mehrmals auf kurzer Strecke aus Reih' und Glied gebrachten Hindernisreiter vorstellen mit ihren Jockeijacken und Kürassierpanzern!«

»Ganz recht« sagte Else; »überhaupt haben die Reiterchen nach einmaliger Passage von einem Hindernis etwas von ihrer Panzerhelle eingebüßt, weil es immer einige Nachzügler gibt, und manchmal, namentlich in Schlössern von Kristall, verlassen sie, selbst wenn sie frei passieren, die offenen Tore in einer ganz anderen Marschroute, wie sie ankamen, wodurch sie eine senkrechte Schwenkung zu machen gezwungen sind. Die Wissenschaft nennt solche Reiterchen ›polarisierte Strahlen‹. In fein geschliffenen Kristallen, wie beim Diamanten, kann es wohl passieren, daß die Reiterchen fast ganz zurückgehalten werden und hier ein oft magisches Feuerwerk entfalten, weil immer alle gleichsam in blitzender Paradestellung verharren! Das ist totale Brechung!

Jetzt aber mußt du nicht glauben, daß die Gefangenen untätig sind. Im Gegenteil, sie steigen sofort vom Pferdchen und fangen an, in den kleinen Gefängnissen wie Sklaven zu rumoren, dann zu dienen und schließlich nützlich zu arbeiten. Sie schicken sich drein und machen Gefangenenarbeit. Um ihren Aufenthalt in ihren Zellen ganz zu verstehen, muß ich nun aber etwas nachholen, was ich zu sagen vergessen habe – aber aus guten Gründen.

Alle Lichtreiterchen haben unsichtbare Knappen bei sich, Heizer, Erwärmer, Karrenschieber, Packer usw., die alle in der Front neben den Roten reiten, nennen wir sie einmal die ›Ultraroten‹, und ebenso unsichtbare Feuerwerker, Sprenger, Bohrer, Bergwerker, Sieder und Schmelzer, neben den Violetten, das sind die ›ultravioletten‹ Lichtreiterchen. Beide ›Unsichtbaren‹ sind nur in ihrer Hauptmasse an den Frontenden wie unsichtbare Strahlenbündel, sonst aber auch allen andern beigesellt und sitzen ihnen hinten auf. Diese ›Unsichtbaren‹ sind nun die eigentlichen Erlöser der Lichtreiterchen, die sich nie ohne ihre Wärmeknappen und chemischen Pioniere in die Welt hinauswagen. Sie wühlen, bohren, brauen, schmelzen, bis in veränderter Form doch die Lichtreiterchen dem Himmel wiedergegeben werden und in ihr Sonnenparadies zurückkehren können.

Jetzt ist mein Märchen beinahe aus, Meister von Weimar, jetzt kann die Deutung beginnen,« sagte Else.

»Nun frage!«


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