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15.
Nachwirkungen.

Eines Morgens hatte Karl über Benommenheit des Kopfes zu klagen, obgleich er sich den Abend zuvor nicht nur vollkommen wohl, sondern sogar in außerordentlich heiterer Stimmung befunden hatte. In der Nacht waren aber höchst merkwürdige Wunder und Zeichen geschehen. Pumpenhäuser fühlten eine Erhitzung, als durchströmte sie statt des Wassers die Gluth geistiger Getränke, und warfen ihre Kappen ab. Küfen und Fässer rollten polternd durch die Straßen. Auf Klingelzügen wurden ganze Sonaten gespielt, Ladenschilder vertauscht, und dem Mohren über der Eingangsthür eines Kolonialwaarengeschäfts die schönsten, roth und grün angestrichenen Federn aus seinem Kopfputze ausgedreht. Ja, eine lose Dachrinne hatte nichts dawider, vollends abgelöst und an den Röhrbrunnen gelegt zu werden, um dessen lauteren Quell nach dem Kellerhals einer Schenke zu leiten, welche in dem Rufe stand, stark zu »taufen«. Als endlich der Wächter kam, um dem Unfug zu steuern, wurde ihm »ganz gemüthlich« Spieß und Horn weggenommen und allerhand Possen mit diesen ehrwürdigen Attributen seines Amtes getrieben. Endlich wollte der gute Mann wild werden – sein bellender Spitz war es längst – da versuchte Karl, den an sich nicht unerklärlichen Zorn des Priesters der Nacht poetisch in allgemeine Menschenliebe aufzulösen, indem er sich mit ausgebreiteten Armen vor ihn hin stellte und recitirte: »seid umschlungen Millionen!« Hermann unterbrach den Freund mit der Frage, ob er »diesen Kuß der ganzen Welt« auf die Menschheit im abstrakten Sinne oder individuell auf den gegenwärtigen concreten Nachtwächter bezogen wissen wollte. Derselbe scheine zwar lange nicht rasirt zu sein, soviel sich beim Licht der ewigen Sterne erkennen lasse, und Tabak zu – kauen. Doch hoffte er, der Biedermann rauche auch und würde einige Cigarren nicht verschmähen. Die praktische Spende verfehlte für den Augenblick ihre Wirkung nicht; ob sie aber die Sache ganz todt gemacht hatte, blieb ungewiß. –

Das Haupt auf die Hand gestützt, sann Karl nun eben darüber nach, ob all das tolle Zeug nicht blos ein wüster Traum gewesen sei. Er würde dies entschieden angenommen haben, hätte er nicht den fatalen Kopfschmerz und im Halse eine gewisse brennende Trockenheit gefühlt, die das Verlangen erregte nach einer in der frühen Stunde ungewöhnlichen Erfrischung. Er glaubte die angenehme Säure von Neptuns bläulichem Liebling in marinirtem Zustande würde seinem Bedürfniß am meisten entsprechen, und war im Begriff diesen Wunsch seiner Wirthin zu erkennen zu geben, als Jemand anklopfte. Auf ein nicht sehr freundliches »Herein« stellte sich ihm der Diener des verhöhnten Gesetzes, der Pedell, vor. Er brachte gegen Entrichtung der billigen Citationsgebühr eines »Kassenmännchen«, – wie man die kleine Münze im Werth von zwei und einem halben Groschen am Rhein nannte – Karl eine Einladung auf das Universitätsgericht.

Der Herr Richter, galt zumal im Vergleich mit seinem Vorgänger im Amte für »sehr human«. Er sah der jugendlichen Ausgelassenheit, solange nicht Andere dadurch verletzt wurden, gerne durch die Finger, oder belegte entschuldbare Vergehen, die offenkundig vorlagen, nur mit milder Strafe, und der Angeklagte hatte allemal einen Stein im Brett bei ihm, wenn er wußte, der junge Mann sei fleißig. Inwiefern Karl diese Empfehlung zu Statten kam, konnte er selbst gewiß am besten beurtheilen, und nächst ihm vielleicht der Lehrer der Rechte, dem er persönlich empfohlen. Unlängst begegnete er ihm am dritten Orte nicht ohne einige Verlegenheit. Der Professor machte ihm freundliche Vorwürfe, daß er sich gar nicht mehr sehen ließ. »Kommen Sie nur, wenn Ihre Arbeit auch noch nicht sehr weit vorgerückt.« Zur Einführung in das Quellenstudium hatte er Karl gerathen, verschiedene Schriftsteller zu lesen mit besonderer Prüfung aller Stellen, die Bezug hatten auf die römische Rechtsgeschichte. Es waren nicht lauter juristische Schriften, auch keineswegs nur klassische Autoren – der Komment gehörte jedoch nicht dazu, sonst wäre der Studiosus juris utriusque nicht so lange weggeblieben. Und so behielt es immer etwas Unbehagliches, sich mit dem Herrn Universitätsrichter über die Abenteuer der wunderbaren Nacht in der förmlichen Weise eines Verhörs zu unterhalten. Es half aber nichts, Karl mußte schon seine Schüchternheit überwinden. Und es half nichts, er mußte sich auch überwinden und Folge leisten, als nach einiger Zeit der Pedell wieder bei ihm vorsprach mit dem Donnerworte, welches der Studentenscherz ruchlos travestirte: »stehe auf, nimm dein Bett und wandele!« Denn jene einsamen Räume mit Gittern vor den Fenstern, hoch oben unter dem Giebeldach des Akademiegebäudes, verlangten von dem unfreiwilligen Gaste, daß er sich die Betten selbst mitbrachte.

Was die Eisenstäbe nicht zu hindern vermochten, war der freie Blick über das Rheinthal nach den sieben Bergen, die in ihrem blauen Duft mit anmuthigem Schwunge auf- und absteigender Linien die Landschaft beschlossen, so wie nach der Stadt zu auf den Garten einer Mädchenpension. Ein sehr erschwerender Umstand für zwei junge Eingekerkerte, die geständig, Stecknadeln, Strickgarn, ein Nachthäubchen, ein paar Strumpfbänder und einige andere Artikel gekauft zu haben, in denen Studentenwechsel in der Regel nicht angelegt zu werden pflegen. Das war kein Verbrechen nach gemeinem Strafrecht, nach rheinischem Landesgesetz auch nicht. Allein die Herren genossen den Vorzug des eximirten akademischen Gerichtsstandes und waren in jedem Laden immer mit denselben beiden hübschen jungen Mädchen zusammengetroffen, ohne um ihre Begleitung ersucht zu sein. Ferner standen sie in dringendem Verdacht, Anstifter eines Aufzuges zu sein, der sich mindestens um einige Monate im Datum von Fastnacht verrechnet. Und doch bildete der auffallende Zug nur die unmittelbare Fortsetzung eines andern Zuges, der diesem nicht unähnlich. Freilich die hier an der Spitze Stehenden und Gehenden hätten in keinem Falle, und wären sie auf dem Kopf gegangen, dafür »brummen« müssen auf dem Carcer ... es waren die Vorsteherinnen, die ihr Mädcheninstitut spazieren führten.

Karl kannte die Herren bisher noch nicht und fand sie angenehmer, wie man glauben sollte ohne andere Proben ihrer Liebenswürdigkeit, als die Heldenthaten, denen er das Glück ihrer Bekanntschaft dankte.

Auch sonst war das Leben da oben das übelste noch nicht. Das Essen ließ man sich aus dem Speisehause holen; die dienstbereiten »Wichsiers« trugen die Platmenage hin und her, und selbst der Aelteste der dienenden Brüderschaft scheute nicht vor der Unbequemlichkeit zurück, stets die vielen hohen Treppen hinauf keuchen zu müssen. Es war derselbe, von dem die Schwarz-blau-weißen mit Stolz behaupteten, er trüge ihre Farben; denn er hatte schwarze Zähne, eine blaue Nase und weiße Haare. Außerdem verstand sich die Frau Pedellin vortrefflich auf Eierkuchenbacken, und für trinkbare Stoffe wurde in der Art gesorgt, daß nach der strengen Carcerordnung nur solche Besuche Zulaß erhielten, welche sich am Schiebfensterchen der verschlossenen und verriegelten Thüre vorher genügend über ihre loyalen Gesinnungen ausweisen konnten durch ein Fläschchen ... »aber guten!«

Hatten die Herren Besuch und Zerstreuung, so verfielen sie doch nicht auf solche Sachen, wie den einen Abend, wo Niemand zu ihnen kam. Als der Kerkermeister von einem Gange in die Stadt zurückkehrte, fand er die ganze Gesellschaft spurlos verschwunden – dabei Schloß, Riegel, Fenstergitter, Alles in Ordnung, nur die Treppe zum Dachboden war aus Versehen unverschlossen. »Aha, sie werden den Mondschein genießen wollen – das ist so schlimm noch nicht, aber es darf nicht sein!« Also hinauf, so müde der Mann ist – nun denke man sich aber seinen Schrecken: richtig, sie genossen den Mondschein – nur waren sie nicht auf der Gallerie des Daches geblieben, sie waren übergestiegen, und sie waren nicht nur übergestiegen, sie ritten auf dem Dache, und sie ritten nicht nur auf dem Dach, sie waren schon ein ganz nettes Stück geritten.

»Aber meine Herren! um Gottes und aller Heiligen willen, was machen Sie?«

»Wir machen nur einen kleinen Cursus in der höheren Reitkunst.« Dabei rutschten die Herren immer weiter: »Trab, Trab!« der Vorderste blies ein Signal auf der hohlen Hand.

»Das werde ich anzeigen, da muß man sich ja schlagrührend ärgern. Jetzt kehren Sie aber auf der Stelle um.«

»Sie haben gut reden, Herr Pedell – das ist nicht so leicht – probiren Sie es mal, zwischen Himmel und Erde sich herumzudrehen wie die Windmühle auf ihrem Bock, wo man nichts Festes unter dem Leibe hat, wie eine Forstpfanne und zwei Biberschwänze. Das Reiterlein ist noch am besten daran, sein Jahr abgedient hat er, aber der König ist ein guter Mann: die langen Beine und die lederbeschlagenen Hosen läßt er ihm. Ja, das Reiterlein kann voltigiren – wir aber nicht. Ich habe noch in meinem Leben keinen Zaum in der Hand gehabt, als bei einer Droschkenspritze. Da ist das so gefährlich nicht. Der Schimmel hat nur eine einzige Stelle am ganzen Bauchfell, wo er noch kitzelig ist, und man muß ein famoser Schläger sein, um den Punkt auf's Haar zu treffen – sonst bringt ihn kein Gott und kein Hanf aus dem Dribbel. Beim Braunen ist die Kunst weniger, ihn zum Stehen zu kriegen, denn er ist stetisch, es kommt darauf an, ihn mit List zum Durchgehen zu reizen, aber so daß er nach vorne durchgeht, nicht rückwärts; das Luder ist im Stande und zoppt und zoppt unaufhaltsam durch den Rinnstein, über den Bürgersteg, in die Hausthüren, Parterrefenster und Ladenscheiben bis in das Geschäft, die gute Stube und die Töpfe auf dem Küchenherde. Und wer so glücklich, nur noch den Rappen im Stall zu finden, der wird wohlthun, gleich von Hause aus eine Bohnenstange mitzunehmen und ein Wisch Heu an die Spitze zu binden, das er ihm beständig vor die Nase hält, oder er muß gefaßt sein, es geht ihm wie »dem Schlanken«; der hatte schwer geladen und ist auch so schon nicht der Leichteste; einspännig war er ausgefahren und kam zweispännig zurück, fünf Minuten vor dem Thor mußte er noch Vorspann nehmen von einer Kuh.«

»Aber Herr Studiosus, was halten Sie mir Vortrag über die alten Gäule? Wollen Sie etwa nicht eher vom Dache herunter, als bis ich Sie da mit 'ner Droschke oder einem Gig abholen komme?«

»Nein, das nicht. Haben Sie nur die Güte, erst Krummstroh schütten, Bettsäcke und Matratzen auf die Straße legen zu lassen – nicht um meinetwegen, mir liegt nicht so viel an einem Hals und Genick mehr oder weniger, aber wenn einer von uns herunterstürzt und sich caput fällt – da kommen Sie in Teufels Kochofen. Das ist's – warum passen Sie nicht besser auf!«

Zuletzt gelang es denn doch, die Flüchtlinge wieder einzufangen, und noch lange erhielt sich in sprichwörtlicher Kraft die »Pauke«, mit der sie begrüßt wurden, als alle wieder festen Fußes auf der Gallerie standen: »Meine Herren, ich sehe Ihnen schon, weiß Gott! genug durch die Finger, Erlaubtes und nicht Erlaubtes – und nach diesem machen Sie doch wieder Jux!«

So fiel auch in die drei Tage, Abende und Nächte Carcer manch Heller Strahl unverwüstlicher Jugendlaune und jenes Muthwillens, für den in späteren Jahren selbst den einst Ausgelassensten Verständniß und Sinn – ja man könnte wol sagen, der »Unsinn« – gänzlich abhanden zu kommen pflegt. Und wollte Karl aufrichtig sein, so mußte er auch jetzt schon bekennen, was ihm nicht undeutlich eine innere Stimme zu verstehen gab: der beste Spaß dabei war doch, daß man es auch einmal mitgemacht. Bevor der Gefangene nun, wieder befreit, herzlich froh von dannen zog, schrieb er seinen Namen an die Wand, wo sich so viele bereits verewigt hatten – mit Hinzusetzung des Anlasses, der ihn um diese Erfahrung reicher gemacht, in elegantem Latein: » ob ulcum nocturnum«.

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