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10.
Der beste Spielgefährte.

Ein wahrer kleiner Wundermann ist es. Er giebt den Mädchen die Puppe in den Arm, und sie ist ein Kind. Er steckt den Knaben die Elle oder Vaters alten Spazierstock zwischen die Beine, und sie galoppiren auf muthigem Schlachtroß einher: er schirrt vier Stühle an, mit zusammengebettelten Endchen Bindfaden, setzt sich auf einen fünften Stuhl, trampelt mit den Füßchen auf der Fußbank und kutschirt so sein stattliches Viergespann. Er baut Häuser von Karten – Tempel, Brücken, Burgen und Schlösser von kleinen Holzklötzchen. Ein paar kurz bei den Köpfen abgerissene Blumen, eine Hand voll Buchsbaumsträußchen und Tannenzweiglein – mehr braucht er nicht zur Anlage von Gärten, Parks und Alleen, und so erzielt er überall mit den einfachsten Mitteln die erstaunlichsten Wirkungen. Das Allererstaunlichste freilich leistet er in sinnreicher Verwendung desjenigen Materials, das in der Welt der Großen unter dem bescheidenen Namen »Sand« für den Inbegriff der Unfruchtbarkeit und dürren Prosa gilt.

Der wunderbare kleine Kamerad gräbt Fuchsbaue und Brunnen im Sande, verfertigt Bienenkörbe und macht Backöfen von Sand, wirft Festungswälle mit Sand auf und Grabhügel, die sich über ruhmvoll gefallenen Bleisoldaten wölben. Ein wenig Sand, vielleicht nicht mehr als die frisch gefüllte Schale unter der Kommode hergiebt, wandelt er zur Wüste um, die das Kameel des Noahkastens durchzieht, von Sand schüttet er Getreidehaufen und umrändert sie zierlich, wie es die Kinder auf den Speicherschüttungen gesehen, Sand verbackt er zu Kuchen und Puddings, die tadellos glatt aus den Schüsselchen und Näpfchen hervorgehen, Sand läßt er als Wasserfalle über alte Heftdeckel rinnen, kurz – Sand ist der gefügige Stoff, aus dem er alles mögliche Feste und Flüssige nachbildet, und wenn er genug mit Sand gespielt hat und die kleinen Hände säubert von den anhaftenden Körnchen, indem er sie geschäftig abstreicht, so ist das auch noch ein Vergnügen.

Und wie, von seinem heitern Zauber berührt, das Kleinste zum Größten, das Todte lebendig wird, werden auch die Kinder nach freiestem Belieben von ihm verwandelt. Viel bedient er sich des kleinen Wörtchens »Muß«, das allenthalben einen machtvoll zwingenden Klang hat, aber es vollzieht sich nicht immer so leicht wie im Kinderspiel, wenn es heißt: »Du mußt krank sein, und ich muß der Doctor sein.« Wer eben noch Vater, gnädiger Herr, strenger Lehrer – muß sich jetzt selbst »ein Paar in die Hand zählen lassen« mit dem Stöckchen, muß Stiefel putzen, Holz klein machen, Wasser tragen – oder auch krähen, bellen, miauen, brummen und brüllen. Denn nun ist er wieder Schüler, Diener, Arbeitsmann oder Haushahn, Hofhund, Katze, Löwe oder Kuh – oder er tischt seinen Freunden das Vesperbrod in ganz neuer Weise auf: es wird in kleine Stückchen gebrochen und auf den Stuhl oder die Bank gelegt; sie dürfen aber nicht mit den Händen zugreifen – ein rechtes Pferd frißt aus der Krippe gleich mit dem Maul.

Nicht weniger Meister ist der kleine Tausendkünstler in Spielen, die dem Gange der Zeit folgen und ihre jedesmaligen Hauptereignisse darstellen. Viel zu regen Sinnes, um sich damit zu begnügen. Bedeutungsvolles, das an ihm vorüberging, nur in Erinnerungen thatloser Muße festzuhalten, setzt er Alles, was er sah und erlebte, nachschaffend, frisch weg in Scene. Nach einer Hochzeit vermählt er sich gleichfalls, und müßte er, in Ermangelung einer passenderen Partie, der eigenen Schwester die Hand reichen, er tauft en miniature, als glücklicher Puppenvater, nach jeder Taufe großen Stils, und jeder Todesfall in der Nachbarschaft veranlaßt ihn zu thränenreichem Begräbnißspiel. Durchziehen Truppen den Ort, so beruft auch er sofort seine Reserven ein und setzt sein Heer auf Kriegsfuß. Ließen sich Seiltänzer sehen, so spannt er die Wäschleine als Schlappseil über den Hof oder geht balancirend auf Promenadengeländern; auf seinen Steckenpferden producirt er sämmtliche im Circus bewunderte Kunststücke, reitet in der Bahn mit Hindernissen die ganze Woche nach dem Wettrennen und ersticht sich allabendlich mit einem Holzspane, als verzweifelnder, gestürzter Operntyrann, nachdem er zum ersten Mal das Theater besucht. Von naturtreuer Nachahmung zu frei künstlerischem Erzeugen ist aber nur ein Schritt, und so sehen wir ihn denn bald danach selbstständige Schauspiele schreiben und aufführen, mit zahlreichem Personale, das unter seinen Freunden angeworben, oder von Papierpuppen hergestellt wird. –

Wo dieser beste, erfindungsreichste, nie um Unterhaltungsmittel verlegene Gefährte sich einfindet, da ist mit ihm Freude, Lust und Leben, und wäre es in der armseligsten Hütte, in der schwermüthigen Umgebung eines Kirchhofes, wo aus Gräbern verwaiste Kinder spielen, um deren Thun und Treiben sich keine Seele kümmert. Er bringt Freude, Lust und Leben und weckt im Spiele der Kleinen Fähigkeiten, Geist, Gemüth und Charakter oft glücklicher, als die mit besten Zeugnissen versehene, theuer besoldete Gouvernante. Doch kann er nicht beständig bei den Kindern weilen, er hat noch andere wichtigere Dinge zu verrichten. Es ist viel Nachfrage nach ihm in der großen Welt, zumal in der Zunft der Künstler und Poeten, die behaupten, ohne seinen Beistand nicht die geringste Kleinigkeit machen zu können, und daß es ihnen gehe, wie den Kindern, denen nach seinem Scheiden der lichteste Maitag plötzlich reizlos, die Rose ohne Duft, der virtuoseste Piepvogel nicht bei Stimme, das brennende Ziegelroth des Malkastens matt, das Märchen vom Pfefferkuchhaus langweilig, und ein Sandhaufen nichts als ein – Sandhaufen. Aber er kehrt wieder, und hat er ein Kind recht lieb, so bleibt er dem Liebling hold bis in ferne, späte Zeiten, und wenn der Freund der Jugend bei dem längst seiner Gesellschaft Entwachsenen gelegentlich einmal vorspricht, gleich ist dann auch die Jugend selbst wieder da, jene unvergängliche Jugend, die in der nämlichen Gegend wohnt, wie der beste Spielgefährte.

Wer sich nun lange nicht des Glückes, ihn bei sich zu sehen, erfreut, dem rathen wir dringend, sobald er Urlaub bekommen kann, ihn in seinem schönen Heimathlande aufzusuchen. Gewiß, es wird Jedem da gefallen. Man reist ja jetzt so leicht, und den Weg dorthin zeigt uns – jedes Kind.

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