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XVIII.
Rückkehr

 

Delft ist auf dieser Tour die letzte Holländische Stadt, die von historischem Interesse ist. Obgleich nur klein, hat sie doch mehre große Kirchen, deren eine das Grabgewölbe des regierenden Hauses in sich schließt. Es hat sich erst kürzlich geöffnet, um eine der beßten Fürstinnen aufzunehmen, und bittere Thränen sind über demselben geweint worden. Das Denkmal, welches Wilhelm I. errichtet worden, macht einen guten Effekt. Bronzene Säulen tragen eine Decke, welche sich über der Statue Wilhelms erhebt, vor welcher das Bild der Justiz Wache zu stehen scheint. Eine einfache Urne steht dem Denkmale gegenüber; aber wem sie nicht entgangen ist, wird ihr nicht geringere Theilnahme schenken, denn sie trägt die Inschrift: Hugo Grotius.

Der Rhein, so weit er durch Niederländisches Gebiet fließt, ist der nüchternste, uninteressanteste Strom. Er sammt der Maaß bespülen nur Orte, die für den Kaufmann allein von Interesse sind. Rotterdam erhebt sich mit jedem Tage mehr zu einer ungeahnten Macht und Bedeutung, und mästet sich an dem Blute, das es Antwerpen aussaugt. Schiff drängt sich an Schiff und es herrscht eine Regsamkeit in Handel und Wandel, vor der selbst Amsterdam nachstehen muß. Aber um sich wohl hier zu fühlen, muß man selbst an diesem Gewirre betheiligt seyn, in diesem Strudel sich mit bewegen. Für jedes andere Interesse ist Alles todt und kalt, und der alte Erasmus würde wunderbar das scharfe Gesicht verziehen, wenn seine Statue plötzlich lebendig würde, und er sich so plötzlich auf den Gemüsemarkt unter schreiende Hökerinnen versetzt sähe. Er hat sein Buch in der Hand, aber es gehören wirklich die eisernen Nerven dazu, wenn man in diesem Tumulte lesen wollte.

Es ist ein Gebot, du sollst am Freitag nicht zu Wasser gehen, auf daß du nicht in die Tinte geräthst. Lord Nelson hat am Freitag kein Schiff bestiegen und ist gut dabei gefahren. Die Königin der Niederlande ist am Freitag von Rotterdam ausgelaufen und eine Stunde davon steckte sie im Sande. Es ist die erste Königin, die sitzen geblieben ist. Der Nebel sollte Schuld daran seyn, wie man denn immer nach Gründen in der Ferne sucht, wenn etwas Schlimmes geschieht und nicht an das zunächst Liegende denkt. Der Tag hatte uns ins Unglück gebracht. Ueber der ganzen Woche walten gute Engel, aber am Freitag vor dem Sabbath und dem Sonntag sind alle bösen Geister frei und fliegen durch die Luft und tollen sich aus, damit es hernach desto frommer zugehe. Darum ist auch der Freitag der Feiertag der Ungläubigen.

Am Freitag Morgen fuhren wir mit dem Dampfschiff »Königin der Niederlande« von Rotterdam ab, und um drei Uhr Nachmittags sollten wir in Nymwegen seyn und dort Diner und Nachtquartier halten, vor der Weiterreise nach Köln. Aber der Mensch denkt, und ein Anderer lenkte diesmal. Die Kajüte war voll und wir saßen gemüthlich beim Frühstück, Engländer, Holländer, Deutsche, alle Farben durcheinander. Plötzlich fangen wir an zu schwanken, einige Kaffeekannen verbeugen sich, lassen ihre Deckel fallen und dekomplimentiren auf die fließendste Weise die Schöße mehrer Damen, es gibt einen Ruck und die Tassen entfallen allen Händen, einem Engländer wird das Ei, das er eben an den Mund hält, so ins Gesicht gedrückt, daß er gelb versiegelt wird, Butter und Käse umarmen sich als zärtliche Geschwister, Messer und Gabel klingen gegeneinander, die Stühle tanzen klappernd herum, Alles ist in Aufruhr. In die Luft gesprengt, war das Wenigste, was man fürchtete. Es war aber umgekehrt, wir waren in den Grund gefahren, auf schmähliche Weise gestrandet, beinah Angesichts des Hafens, von dem wir ausgelaufen.

Alles lief auf's Deck, um sich von der furchtbaren Wahrheit zu überzeugen. Ach und noch ahnete niemand, welches Unglück an diesem Stoße lag. Das Schiff war aufgelaufen, aber wir liefen noch viel schlimmer an. Oben wurde aus allen Kräften gearbeitet, um der Königin unter die Arme zu greifen und ihren Faux Pas zu vertauschen. Man ließ die Räder zurücklaufen, um sie wieder in das Fahrwasser zu bringen, man stieß eine Maststange in den Flußgrund, und spannte alle Hände an das obere Ende, um durch diesen Nothhebel das Fahrzeug aufzurichten. Aber es fruchtete nichts, es legte sich auf die Seite und versagte den Gehorsam. Die Maaßstange wurde in das Wasser gehalten, um die Tiefe zu untersuchen, man rief sechs, gleich darauf zwei und ein halb, endlich zwei Fuß, und das schämt sich nicht, die Maas vorzustellen. Breit und flach, wie ein Damenroman. Die Ebbe war in ihrer vollen Kraft! Immer mehr fiel das Wasser und ein Sandhügel nach dem andern tauchte auf, wie von unsichtbaren Maulwürfen aufgeschüttet. Immer weiter breitete sich die trockene Fläche aus, eine kleine Wüste Sahara, die Krähen schlugen schon ihr Quartier auf und krächzten uns spottend an, wir waren eingeschlossen, abgesperrt.

»Und wie lange kann das dauern?« bestürmte Alles den Kapitain.

»Bis die Fluth hoch ist.«

»Und wann kommt die Fluth?«

»Nachmittag zwischen vier und fünf Uhr,« antwortete er ruhig.

Und jetzt war es Morgens acht. Von acht bis vier, acht lange Stunden, eine Ewigkeit.

»Und wann kommen wir nach Nymwegen?«

»Die Nacht um zwei Uhr.«

Und nichts zu essen! Kein Diner, kein Souper. Es war ein furchtbarer Moment, und die langen Gesichter wurden noch länger.

Und das Aergste war, daß der Kapitain und alle seine Leute Holländer waren. Ein Franzose hätte den ganzen Tag über geflucht, gedonnert, gezankt, Lärm gemacht, und das hätte doch in etwas die Zeit vertrieben, aber die Holländer, nachdem sie gethan, was zu thun war, setzten sich still und gleichmüthig hin, als ob eben nichts geschehn war und riethen, man möge das Weitere in Geduld abwarten. Ihr Phlegma war zum Verzweifeln, besonders für Leute, die Eile hatten. An ein anderweitiges Fortkommen war überdies nicht zu denken, da eine Postverbindung nicht existirte. Man sah wüthende Mienen und entsetzlich viel Genever trinken. Aber allmählig legte sich auch das. Man kann nicht immer trinken, und die Stirn runzeln wird man auch endlich müde. Jeder begriff, daß er suchen müsse, sich aufs Beste in seine Lage zu schicken. Eine Zeitlang beschäftigte es noch, das Wasser immer tiefer fallen, das Land immer höher steigen zu sehen, so daß auf der einen Seite der Kiel ganz nackt und bloß wurde. Die Schifferleute holten ihre Besen heraus und fingen an, ihr Haus zu scheuern und zu putzen, was immer ein Vergnügen für Holländer ist. Einige Passagiere holten ihre Pfeifen und umhüllten sich mit Dampf, da der im Schornstein ausgegangen war. Frauen strickten und zählten die Schiffe auf dem Wasser. Ich stieg mit einigen Andern in ein Boot und ließ mich an's Land rudern. Wir gingen spazieren, herunter, herauf, und als wir wieder unser Schiff erblickten, war es Mittag geworden, aber die arme Königin hatte ihr Haupt noch mehr sinken lassen, die Wimpel hingen so schwermüthig am Maste herunter und wir konnten fast trocknen Fußes zu ihr gehen.

Auf dem Decke war noch Alles in derselben Lage. Der Kapitain sah den Steuermann an, der Steuermann sah den Kapitain an. Der Kapitain machte den Mund auf. »As het u belieft, myn heer?« fragte der Steuermann, aber der Kapitain gähnte nur und der Steuermann gähnte theilnehmend mit. Eine Pfeife nach der andern wurde gestopft, aber der Dampf verzog sich in blauen Dunst und brachte uns nicht weiter. Selbst einige Militairs waren von der allgemeinen Mattigkeit angesteckt und konnten nur mit Mühe sich eines leisen, ärgerlichen Gott verdamm! entledigen. So fuhr Schiff an Schiff an uns vorüber, mit und ohne Dampf, es rauschte hin und es rauschte her, und die Leute liefen auf die Verdecke, um das gestrandete Schiff zu sehen, aber

In ihrem Busen klopfte kein menschliches Herz.

Sie schwenkten die Mützen und lachten und gafften uns an, und zogen weiter und den steckengebliebenen Kameraden half keiner aus. Jungens aus Rotterdam kamen sogar herangerudert und kletterten auf die Sandbank und machten uns zum Kinderspott. Und ach, wir verdienten es, denn mit einem derben Rucke hätte uns der Steuermann retten und aus der gefährlichen Richtung bringen können, aber er hat ihn nicht gethan und uns geopfert. Denn war es minder als Mord? Es schlug ein Uhr, zwei Uhr, drei Uhr, und immer bleicher, abgespannter wurden die Gesichter, immer verlangender die Blicke, es fing sich an zu rühren unter der Menschheit, denn

Leer war's und öd' in jedem Magen,
Und Stimmen werden laut, die herrisch riefen.

Noch hielt Alles an sich; noch waren die Schranken nicht gebrochen, mit denen jede Rücksicht fällt und den Menschen nichts mehr heilig ist. Man verlangte gelassen nach dem Oekonomen, dem Hofmeister, wie sie ihn in Holland nennen. Aber die Königin hatte keinen Hof, und ihr Hofmeister nichts zu essen. Nichts! Und wie ein Blitz fiel das furchtbare Wort in das Pulver der Gemüther und krachend riß das letzte Tau der Geduld und des Anstandes, und wie Felsstücke flogen die Zornesworte gegen Kapitain und Oekonomen, von denen sie machtlos abprallten. Sie zuckten die Achseln und schwiegen. Und der ärgste Sturm muß sich austoben, die ärgste Wuth sich legen, wenn sie keinen Gegner findet, denn mit dem Nichts

Kämpfen Götter selbst vergebens.

Und die Hoffnungen der Menschen stimmen sich schnell herab. Die höchsten Forderungen drückt das Schicksal bald zu der kleinsten platt, wenn es mit seinem eisernen Hammer auf unsere Träume schlägt. Wer noch eben sich goldene Tempel baut, freut sich der Strohhütte, wenn die Zeit ihn mürbe gemacht. Immer mehr schrumpfte alles Begehren zusammen und wie glücklich waren wir, als es jetzt hieß: Brod und Butter ist da. Stimme des Trostes, frohlockend wurde sie begrüßt. Es war Manna in der Wüste. Die Table d'hôte, der Wein war verschwunden, die Freuden der Tafel, das war alles hin, aber wir hatten Brod und wie wurde hineingebissen, wie wurde es mit Liebe an verwöhnte Lippen gehalten, wie eifrig arbeiteten die schönsten Zähne daran. Noch heut Morgen wurde man schief angesehen, wenn man fürchtete, unser Stillstand könne bis Mittag dauern, jetzt war es Nachmittag, und man war schon glücklich, wenn man nicht die Unmöglichkeit abstritt, daß das Schiff überhaupt loskommen werde.

Und endlich kam die Fluth, die langersehnte, wieder zurück. Das Wasser stieg, die Sandbänke wurden schneller überspühlt, als sie trocken gelegt worden waren, denn es geht im Wasser anders, als im Leben, worin die Fluth des Glückes schneller fällt, als steigt. In den Statuen des Kapitains und seiner Gehülfen war nun Leben. Der Hebebaum wurde wieder bemannt und mit angespannter Kraft gegen das Schiff gedrückt, um es aus dem Sande aufzurichten, in den es immer tiefer seither versunken war. Der Dampf zischte wieder auf, keuchend stieg die Maschine auf und ab, aber nichts rückte sich. Man mußte die Gesellschaft sehen, wie sie erwartungsvoll da stand und nach jedem Baume am Ufer blickte, um daran zu erkennen, ob es der Königin gefällig wäre, aus ihrer Trägheit zu erwachen. Endlich, ein Ruf: Sie geht! Schon erscholl ein freudiges Hurrah! Aber es war nichts,

Und Alles sank in trübe Schwermuth wieder.

Die Räder standen wieder still und mit ihnen unsere Hoffnungen. Darum trockenes Brod gegessen, und doch nicht weiter! Aber die Räder flogen wieder umher und mit verdoppelter Kraft. Die Damen flüchteten nach dem Ende des Schiffes; es hatte ihnen jemand die Furcht eingejagt, der Kessel könne springen und sie wollten wenigstens weit vom Schusse seyn. Aber jetzt rührt es sich wirklich. Alles athmete wieder auf. Das Schiff reckt sich, wie ein Riese, der aus dem Schlafe erwacht, die Leute zogen immer fester an, das Vordertheil wurde leichter gemacht und das Gepäck nach hinten untergebracht, der Steuermann griff in sein Rad, das Schiff gehorchte wieder dem Drucke, jetzt erhebt es sich und es geht, es geht wirklich. Die Untiefe liegt hinter uns und wir sind im Fahrwasser. Aller Zorn, aller Aerger war vergessen, man wünschte sich Glück! und der Kapitain bekam sogar freundliche Blicke. War doch wieder Leben hineingekommen in den gewaltigen Körper. Und er ging vorwärts, dem ersehnten Ziele zu.

Aber es war noch ein weiter Weg und noch eine lange Zeit. Die Sonne ging unter, ein prächtiger Feuerballen, die Sterne fingen an an zu flimmern, es wurde recht herbstlich kühl auf dem dunklen Decke und es war dort Niemandes Bleiben. Es drängte hinunter in die Kajütten, aber

Da unten war's fürchterlich.

Gedrängt in kleinem Raume saßen die armen Opfer in dicker schwüler Luft. Selbst die Seufzer konnten darüber nicht zu Athem kommen. Es war zum Ersticken. Und da war kein Juste Milieu. Vor Hitze oder vor Frost leiden,

Dazwischen keine Hülfe.

Oben die Nacht zu hausen, mit dem fröstelnden Körper, der nur noch die Erinnerung an eine gestrige Mahlzeit hatte, ein leeres, hohles Schattenbild – es war nicht auszuhalten. Also herunter in die heiße Hölle. Dem Jonas im Bauche seines Fisches war behaglich dagegen. Er war doch allein, und konnte sich ausstrecken nach Belieben. Endlich gegen Mitternacht wurde es, wenn auch nicht kühler, doch leerer. Ein Theil der Passagiere war ausgestiegen in Gorkum und Thiel. Man konnte sich legen. In dem Gedanken schon war Balsam. Aber es war alles Täuschung an diesem Tage, und überall ritzten Dornen unter den Rosen. Die Bänke waren so schmal, daß man sich nur mit Mühe zurecht legen konnte. Dann wieder fehlte ein Kissen und das Blut stieg zum Kopf. Man stand auf, rollte seine Mäntel zusammen und legte das müde Haupt darauf. Aber kaum hatte der Schlummer sich gemeldet, so stieß jemand gegen das Kissen, der Kopf schob sich zur Seite, der übrige Körper gab der Richtung nach, und man lag auf der Erde. Theurer Versuch. Die Ermüdung führt den Schlaf nochmals herbei. Da fällt ein anderer und reißt einen Haufen von Feldstühlen um, die lärmend durch die Stube rasseln, daß alles erschrocken auffährt, voll Angst, die Königin möge unwillig geworden und im Dunkeln noch einmal aufgefahren seyn.

Jetzt war es vorbei. Vier Uhr Morgens war es und Nymwegen da. Noch ein Paar Stunden und es ging weiter dem lieben Deutschland zu. Und in der frohen Hoffnung dehnten sich die verkrammten Glieder, öffneten sich die müden Augen wieder, und alles Trübsal war vergessen.

Aber die Moral nicht: Geh nicht zu Wasser an einem Freitag, denn es geschieht ein Unglück.



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