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IV.
Antwerpen

 

Antwerpen ist eine Stadt, ganz aus Einem Stück, wie ich es liebe, und darüber schwebt noch der alte Geist, der nicht leidet, daß schlechte Sucht zu modernisiren, wo es nicht hingehört, die ehrwürdig schönen Formen zu verunstalten. Es ist etwas Hehres um diese alte Stadt, die schon so vielen Glanz, so viel Leid erfahren hat bis auf die letzten Zeiten, in ewigem Wechsel von Begebenheiten. Aber die härtesten Schläge haben sie nicht gebeugt: die stolzen Kirchen schauen noch immer so königlich herab, die Schelde strömt noch immer mit so ruhiger, selbstbewußter Gewalt vorüber, daß einem ganz wohnlich wird in diesen Mauern. Es ist, als ob die Zeit hier keine Macht über einen gewinnen könnte.

Welch herrlicher Dom! So oft ich ihn gesehen, ist mir, als ob er einen immer tieferen Eindruck auf mich machte. In diesen edlen und doch so großartigen Räumen liegt etwas so Erhebendes und dabei wieder so Ueberwältigendes, daß man zur Andacht hingerissen wird. Der Gedanke an irdische Schwäche und himmlischen Beruf drängt sich so auf, daß keine unfromme Idee aufkommen kann. Hier geht die Kunst mit der Religion wahrhaft Hand in Hand und keine braucht sich der andern zu schämen. Die Religion muss etwas Hohes seyn, die einen sinnlichen Menschen wie Rubens zu einer solchen Kreuzabnahme begeistern konnte, ein Bild muß gewaltig seyn, um in diesen Räumen alle Blicke auf sich zu reißen und herab auf die Knie zu drücken, daß man nicht mehr weiß, demüthigt man sich vor dem Gegenstande oder dem Genie des Künstlers. Und wie viele so herrliche Kirchen hat Antwerpen aufzuweisen und welche Schätze von Bildern überall, obgleich das Museum natürlich den größten Reichthum davon in sich vereinigt. Ich bedauerte es nicht, daß die Ausstellung von hier fort war; neben solchen Schöpfungen muß alles Uebrige zusammenfallen. Dort hinten ist der Stuhl, auf dem Rubens gearbeitet hat. Wenn sein Geist zurückkehren und sich hier niederlassen könnte, würde er noch immer mit Stolz auf die Säle blicken, die er beinahe allein mit seinen Werken angefüllt hat und vor denen noch immer sich die Schaaren staunender Bewunderer drängen. Alles zu seiner Seite sind Geschöpfe seines Geistes, die beiden wunderbaren Portraits des Antwerper Bürgermeisters und seiner Frau, das Vollendetste, was man in dieser Art sehen kann, die vielen Heiligen- und andern Bilder. Eine fromme Wand verbirgt ihm das Gemälde, das seinen Tod vorstellt. Er fühlt die Schmerzen des Todes nicht mehr, aber so sich sterben zu sehen, wie ihn Herr van Brée auf seiner großen, langweiligen Leinwand enden läßt, würde ihm die ewige Ruhe verbittern. Es ist das einzige moderne Bild unter den alten Großen, aber es ist ein räudiges Schaaf, das ein dummes Gesicht macht und sich schämt, in solche Gesellschaft gerathen zu seyn.

Man mag wollen oder nicht, man kann nicht in Belgien seyn, ohne von Gemälden zu sprechen. Obgleich Sie das Alles schon kennen, müssen Sie mich doch noch in das Atelier Wappers begleiten, wo ich ein eben fertig gewordenes Bild sah, das allgemein viel Schönes enthält. Es stellt Ludwig XI. vor, als er schon todtmatt sich vor sein festes Schloß tragen läßt, um den müden Geist noch an den Tänzen einiger frischen Landmädchen zu reizen. Die Mädchen sind hübsch und blühend, daß sie wohl die Sinne eines nur um etwas weniges erschöpften Menschen noch erwärmen konnten. Der alte König selbst hat eine gute Haltung und viel Ausdruck. In seinen Zügen mischen sich ziemlich glücklich Frömmelei und Schurkerei, die bei ihm so lange Hand in Hand gingen. Ueber ihm etwas weiter zurück sitzt sein Minister und Historiker, Philipp von Commines, und schreibt. Den Hintergrund füllen Wachen, die sich an das Thor dieses Königlichen Zwingschlosses lehnen. Das Ganze ist, wie gesagt, hübsch gemalt, doch zu genreartig gehalten, um einen großen Eindruck hervorzubringen. Auf einer andern Leinwand war der Abschied der Anna Bolena von ihrer Familie eben erst angelegt. Die Figuren werden Lebensgröße erhalten. Es that mir leid, daß Wappers eben ein Bild abgeliefert hatte, das man für sein gelungenstes hält und das die Versuchung des heiligen Antonius darstellt. Der König hat es gekauft. Gern hätte ich noch das Atelier Keysers besucht, dieses merkwürdigen Menschen, der, noch vor wenigen Tagen Hirt, plötzlich sich als Maler offenbarte und fast durch sein erstes Bild, die Schlacht von Courtrai, sich auf den ersten Rang erhob. Er ist jetzt in Paris und denkt erst in einigen Jahren nach seinem Vaterlande zurückzukehren.

Nach der Anschauung so vieler Kunstsachen that es doppelt wohl, als ich in einem der vielen Estaminets um die Quais der Schelde einen ruhigen Platz fand, um mich nach dieser Anstrengung wieder etwas in das Gleichgewicht zu bringen, das man im Anblicke der Natur immer findet. Der Mond spiegelte sich still und heiter in dem vorbeieilenden Wasser, die Schiffe lagen so still und sicher, es herrschte eine unsägliche, aber erquickliche Ruhe über der weiten Spiegelfläche. Ich hatte am Morgen die Bassins besehen, wo Schiff an Schiff gedrängt lag und allüberall die größte Thätigkeit herrschte. Hier wurde auf-, dort abgeladen, ein Segel ausgebessert, den Wänden ein neuer, koketter Anstrich gegeben; die Flaggen wehten so lustig von den Masten herab, Matrosen in ihren rothen flanellnen Jacken sprangen hinüber und herüber, es war ein hübsches Bild. Und nun jetzt diese Stille. Ein Dampfschiff lag vor mir, das zu schlummern schien, um morgen mit erneuerten Kräften seine Reise nach London unternehmen zu können. Dort überschaukeln sich zwei kleine Taucherschiffe, deren Eigenthümer aus dem tiefen Grunde des Stromes längst verschmerzte Schätze an's Tageslicht fördern lassen. Alles vor mir ist still; nur um mich herum wandeln artige Gestalten, die den zahlreichen Gästen, die vor der Thür des Estaminets sitzen, kleine Krebse verkaufen und aus der Ferne schallt Tanzmusik herüber, die die Matrosen zu leichtfertigem Genusse ruft.

Ich will auch zur Ruhe.



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