Artur Landsberger
Mensch und Richter
Artur Landsberger

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XXV.

Richard Krüger hatte sich nach dem Besuch des Rechtsanwaltes eine ganze Reihe von Verteidigungsmaßnahmen zurechtgelegt, war aber immer wieder daran gescheitert, daß der Tatbestand gar keinen Zweifel an seiner Schuld zuließ.

Als Frau Krüger und Hilde Gugenzeil die Treppen zum Untersuchungsgefängnis hinaufstiegen, blieb Frau Elsa plötzlich stehen, faßte sich ans Herz und sagte:

»Ich glaube, ich kann nicht.«

»Was ist dir?« fragte Hilde besorgt – und merkte gar nicht, daß sie zum ersten Male ›du‹ zu Frau Elsa sagte. Die sah sie lächelnd an und erwiderte:

»Das tat gut – jetzt ist mir schon wieder besser.« Dann griff sie nach Hildes Hand und sagte:

»Ich glaube, es ist besser, wenn du allein zu ihm gehst.«

»Wird es dich zu sehr erregen?«

»Sag ihm, ich glaub an ihn und bin ganz sicher, daß er es nicht war.«

Da sie die Erlaubnis zum Besuch nachgesucht und erhalten hatten, brauchten sie nicht lange zu warten. Ein Gefängnisbeamter rief ihre Namen auf – und Frau Elsa, die erschrocken zusammenfuhr, sagte zu Hilde:

»Geh du! – und sei gut zu ihm.«

Hilde wurde zu ihm geführt. Als sie ihm gegenüberstand, sah er sie an und sagte:

»Das ist gut von Ihnen, Fräulein Hilde.«

»Sie haben mich erkannt. Habe ich mich denn nicht verändert?«

»Wie eine Dame sehen Sie aus.«

»Das ist ja gut. Ich dachte, ich bin es.«

»Natürlich – nur, wenn man Sie immer als Mädchen vor sich sah . . .«

»Haben Sie – ach, Unsinn! Sagen wir du zueinander wie früher.«

»Ob ich das kann? Und gerade jetzt – in der Lage. Aber Sie wollten mich etwas fragen.«

»Das weiß ich längst nicht mehr. Sie sind ein Mann geworden.«

»Nun sagen Sie schon wieder Sie zu mir.«

»Also, Richard, ich wollte sagen, daß wir sämtlich von deiner Unschuld überzeugt sind.«

»Wie ist das möglich bei dem Tatbestand?«

»Darüber denke ich nicht nach. Wer dich kennt, weiß, daß du dazu gar nicht imstande bist.«

»Aber wer kennt mich denn – außer Mutter?«

»Ich – und ich werde nicht dulden, daß man dich verurteilt.«

»Und wenn man es doch tut?«

»Damit darfst du gar nicht rechnen.«

»Ich rechne damit.«

»Dann . . . ja, dann ändert das auch nichts an dir!«

»Für die Welt bin ich dann erledigt.«

»Bei einem Künstler vergißt man auch das.«

»Man soll es nicht vergessen. Ich will es nicht. Ich werde sie daran erinnern – bis es mir gelungen ist, meine Unschuld nachzuweisen.«

»Darüber kann man krank werden.«

»Du würdest mir also raten, mit dem Makel weiterzuleben?«

»Wenn du vor dir selbst rein dastehst – und vor deiner Mutter und vor mir.«

»Das genügt mir. Du hast recht. Wenn du und die Mutter – warum kommt sie nicht selbst und sagt es mir?«

»Sie ist da – aber sie wollte, daß ich erst allein mit dir spreche.«

»Und deine Eltern – wissen sie, daß du bei mir bist?«

»Mutter weiß es.«

»Und sie hat es dir erlaubt? – Ich habe die Menschen nicht für so gut gehalten.«

»Gibt dir das Mut?«

»Daß du zu mir hältst, Hilde . . .« er tat plötzlich einen Schritt zurück und sagte:

»Bitte, zieh die Handschuhe aus.«

Hilde, die dachte, er wolle ihre Hände küssen, überlegte, ob sie ihm nicht an den Hals fliegen und einen Kuß auf den Mund drücken sollte. – Was zieht mich nur zu dem Jungen, dachte sie. Und als Richard seine Bitte wiederholte, sagte sie:

»Was hast du davon? Liebst du schöne Hände?«

»Ja – ich liebe sie.«

Und als Hilde die grauen Schweden von den Händen gezogen hatte und ihm beide Hände dicht vors Gesicht hielt, griff er danach und drückte sie an den Mund.

»Sie gefallen dir? Ich habe sie sehr gepflegt.«

»Sie gefallen mir, weil an keinem Finger ein Ring Dr. Blochs steckt.«

»Wie kommst du darauf?«

»Versteh mich nicht falsch. Ich weiß, daß ich keinen Anspruch und kein Recht auf dich habe.«

»Wie sonderbar du sprichst.«

»Auch wenn ich frei komme, werde ich nie den Versuch machen. Du verstehst mich schon. Deine Eltern haben andere Absichten mit dir. Und du sicherlich auch.«

»Spielst du auf den Rechtsanwalt an?«

»Er oder ein anderer – jedenfalls einer, der in eure Kreise gehört.«

»Das spricht nicht gerade von Selbstvertrauen.«

»Liebe Hilde, du bist ein guter Mensch – und ich tue dir leid. Deshalb bist du hier und tust damit schon mehr, als es für deinen Ruf nützlich ist.«

»Daß du so auf meinen guten Ruf bedacht bist.«

»Da du nun aber mal bei mir bist und mir helfen willst, so bitte ich dich, verlobe dich nicht mit diesem Anwalt, bevor mein Prozeß erledigt ist.«

»Du bist ja sonderbar.«

»Nicht etwa, weil ich mir einbilde, dich zu erobern.«

»Das hast du mir nun oft genug gesagt.«

»Sondern weil ich ganz anders für mich kämpfe, wenn ich . . .«

»Du bist ein großes Kind, Richard! Ich verspreche dir das natürlich. Und darüber hinaus verrate ich dir, daß im Augenblick gar keine Aussicht für mich besteht, zu heiraten oder gar, mich zu verlieben.«

»Du könntest einen Mann heiraten, den du nicht liebst?«

»Vorstellen könnte ich mir das schon. Das Ideal wäre es freilich nicht.«

»Warum würdest du es tun?«

»Wenn meine Eltern es sich sehr wünschen und der Mann gefällt mir und ich kann ihn achten – dann könnte ich mir vorstellen, daß ich ihn heirate.«

»Du hast noch nie geliebt?«

»Werde nur nicht dramatisch. Ich habe – jetzt kann ich es dir verraten – als Kind dich geliebt und immer gedacht, so einen Mann zu heiraten, der einem den ganzen Tag über Musik macht, muß herrlich sein. Ich mag dich noch immer – aber von der vielen Musik verspreche ich mir nicht mehr ganz so viel wie damals.«

»Ich würde die Musik an den Nagel hängen.«

»Wann – tätest du das?«

Eine Pause entstand. Dann sagte Richard:

»Wenn ich dir damit einen Gefallen täte.«

»Vorläufig gibt es ja Wichtigeres zu tun. Wie denkst du dir eigentlich den Verlauf des Prozesses? Wenn du es nicht warst – und du warst es nicht –, dann muß dieser Belgier doch ein Verbrecher sein.«

»Wieso?«

»Weil er dann die Tat, die du begangen hast, fingiert hat.«

»Das hat er.«

»Wozu? Vermutlich doch, um eine andere Tat dadurch zu verdecken.«

»Aber was kann das sein?«

»Darüber hätte ich an deiner Stelle doch mal nachgedacht.«

»Du hast recht.«

»Ihr habt euch doch stundenlang unterhalten. Da mußt du doch einen Eindruck von ihm bekommen haben.«

»Ich hielt ihn für einen feinen Mann.«

»Ist dir gar nichts Besonderes an ihm aufgefallen?«

»Nein.«

»Hat er sich nicht bemüht, mit dir allein im Abteil zu bleiben?«

»Jeder sucht sich ein leeres Abteil aus.«

»Gewiß. Aber man kann das zu seinen Ungunsten auslegen, wenn er sonst noch etwas Auffälliges getan hat.«

»Das hat er aber nicht.«

»So? – Ich finde, daß der Polizeibericht, durch den du angeblich so stark belastet, wenn nicht gar überführt bist, auch für den Belgier etwas Verdächtiges enthält.«

»Nanu?«

»Glaubst du, daß ein bekannter und erfahrener Juwelenhändler einem fremden Manne, mit dem er allein im Coupé sitzt, auf die Nase binden wird, daß er für eine halbe Million Schmuck bei sich führt?«

»Du hast recht. Das wird er nicht tun.«

»Entweder tat er es, um einen Überfall zu provozieren – oder er verband eine noch raffiniertere Absicht damit.«

»Welche meinst du?«

»Das weiß ich nicht. Aber du hast ja hier Ruhe und Zeit genug, darüber nachzudenken.« – Sie gab ihm die Hand und verabschiedete sich. – »So! das war es, was ich dir sagen wollte – und außerdem, daß du auf mich rechnen kannst.«

Ehe Richard noch etwas erwidern konnte, war sie verschwunden – und er blieb, mit ihrem Bild vor Augen, allein zurück. Er dachte gar nicht an seine Verteidigung und an das, was sie ihm aufgetragen hatte – er summte vor sich hin und empfing den Wärter, der ihm das Essen brachte, mit den Worten:

»Jetzt kann mir nichts mehr passieren.«

»Wieso denn nicht?«

»Haben Sie das Mädchen gesehen, das mich besucht hat?«

»Die Dame, meinen Sie?«

»Mein guter Engel.«

»Daß alle Verbrecher doch so abergläubisch sind«, dachte der Wärter und schüttelte den Kopf.

 


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