de Laclos, Choderlos
Gefährliche Liebschaften
de Laclos, Choderlos

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Hundertundzweiunddreissigster Brief

Die Marquise von Merteuil an den Vicomte von Valmont.

Gott sei Dank, Vicomte, dieses Mal bin ich zufriedener mit Ihnen als das letztemal; jetzt aber plaudern wir auch wie zwei gute Freunde miteinander, und ich hoffe Sie zu überzeugen, daß für Sie wie für mich das Abkommen, das Sie zu wünschen scheinen, eine ausgemachte Dummheit wäre.

Haben Sie noch nicht bemerkt, daß das Vergnügen, das zwar in Wirklichkeit die einzige bewegende Kraft zwei Leute verschiedenen Geschlechtes zusammenzubringen ist, doch nicht genügt, um eine Verbindung zwischen ihnen herzustellen? Und daß ihm die zusammentreibende Begierde vorausgeht, ihm aber auch ebenso der voneinander stoßende Ekel folgt? Das ist ein Naturgesetz, das allein die Liebe abändern kann; und hat man denn Liebe, wenn man möchte? Man braucht aber doch immer welche; und da wäre man wirklich arg genarrt, hätte man nicht bemerkt, daß es glücklicherweise genügt, wenn sie auf einer Seite da ist. Die Schwierigkeit ist dadurch zur Hälfte geringer geworden, und selbst ohne daß dadurch viel verloren worden wäre. Denn der eine genießt das Glück zu lieben, der andere das zu gefallen, das ja allerdings etwas weniger lebhaft ist, dem sich aber das Vergnügen, jemanden zu täuschen, beigesellt, was wieder das Gleichgewicht herstellt; und so kommt alles in Ordnung.

Nun sagen Sie mir, Vicomte, wer von uns beiden wird es übernehmen, den andern zu täuschen? Sie kennen doch die Geschichte von den beiden Spitzbuben, die sich beim Spiele erkannten: »Wir können uns nichts tun,« sagten sie zueinander, »zahlen wir jeder das halbe Kartengeld«, und sie gaben die Partie auf. Folgen wir diesem Beispiel der Vorsicht, lieber Vicomte, und verlieren wir zusammen nicht die Zeit, die wir so gut anderswo verwenden können, nicht wahr?

Um Ihnen zu beweisen, daß mich hierin Ihr Interesse ebenso sehr bestimmt wie das meine, und daß ich weder aus Verstimmung noch aus Kaprize handele, verweigere ich Ihnen den zwischen uns vereinbarten Lohn nicht. Ich bin mir äußerst klar darüber, daß wir uns für eine einzige Nacht reichlich genügen werden, und ich zweifle sogar nicht einmal daran, daß wir sie genügend schön verleben werden, um sie nur mit Bedauern enden zu sehen. Wir dürfen nur nicht vergessen, daß dieses Bedauern für das Glück nötig ist; wie dann auch unsere Selbsttäuschung sein wird, wir wollen von ihr doch nicht glauben, daß sie von Dauer sein könnte.

Ich halte was ich versprach, und das, bevor Sie noch Ihren Verpflichtungen mir gegenüber nachgekommen wären. Denn ich sollte ja den ersten Brief der himmlischen Spröden erhalten; aber ob Sie nun noch an ihr hängen, oder ob Sie die Bedingungen eines Paktes vergessen haben, der Sie vielleicht weniger interessiert, als Sie mich glauben machen wollen, – ich habe nichts erhalten, absolut nichts. Ich täusche mich nicht, wenn ich annehme, daß die zärtliche Betschwester viel schreibt; was sonst sollte sie denn tun, wenn sie allein ist? Sie hat doch sicher nicht den guten Einfall, sich zu zerstreuen. Ich hätte demnach, wenn ich wollte, Ihnen ein paar kleine Vorwürfe zu machen, aber ich schweige, als Entschädigung für das bißchen schlechte Laune, das ich vielleicht im letzten Briefe gezeigt habe.

Jetzt, Vicomte, bleibt mir nur noch eine kleine Bitte, die ich ebenso für Sie wie für mich stelle: daß Sie nämlich den Augenblick noch etwas hinausschieben, den ich vielleicht ebenso sehr ersehne wie Sie, aber für den mir der Zeitpunkt bis zu meiner Rückkehr in die Stadt zu verschieben gut scheint. Einerseits hätten wir hier die nötige Freiheit nicht; und andererseits wäre es für mich etwas riskant; denn es bedürfte nur eines bißchen Eifersucht, um mir diesen traurigen Belleroche wieder fester zu attachieren, und er hängt doch nur noch an einem Faden. Er steht schon Kopf, um mich noch lieben zu können; dermaßen, daß ich jetzt ebensoviel Vorsicht wie Bosheit in die Liebkosungen lege, mit denen ich ihn überhäufe. Aber gleichzeitig sehen Sie, daß ich Ihnen da kein Opfer zu bringen hätte! Eine gegenseitige Untreue wird einen viel mächtigeren Reiz verschaffen.

Wissen Sie, manchmal bedaure ich, daß wir jetzt zu solchen Auskunftsmitteln greifen müssen! In der Zeit, da wir uns noch liebten, denn ich glaube, Liebe war es, da war ich glücklich; und Sie, Vicomte? ... Aber warum sich noch mit einem Glück beschäftigen, das nicht wiederkommen kann? Nein, was Sie auch sagen mögen, eine Wiederkehr ist unmöglich. Erstens würde ich Opfer verlangen, die Sie sicher weder bringen könnten noch wollten, und die ich vielleicht auch nicht verdiene; und dann, wie soll ich Sie festhalten? O nein, lieber nicht daran denken! und trotz dem Vergnügen, das mir im Augenblick der Brief an Sie macht, will ich Sie doch lieber schnell verlassen. Adieu!

Schloß . . ., den 6. November 17..


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