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Neuntes Kapitel.

Wechselnder Aufenthalt in Berlin und Paris. – Diplomatische Sendung. – Brüderliches Zusammenleben. – Der Tod Wilhelm v. Humboldt's. – Literarische Thätigkeit. – Humboldt's Stellung zum Könige Friedrich Wilhelm IV. – Auszeichnungen. – Privatleben. – Rückblick.


Nach dem am 28. December 1829 erfolgten Wiedereintreffen Humboldt's in Berlin begann die große literarische Arbeit an dem gewaltigen Material, welches als Reiseresultat für die Veröffentlichung durch die Presse von ihm und seinen Reisegefährten vorbereitet wurde. Obgleich Humboldt seinen heimatlichen Wohnsitz in Berlin genommen hatte, so machte die Herausgabe seiner Werke über Asien doch bald einen längeren Aufenthalt in Paris erforderlich; denn dort lebten Freunde und Gelehrte, deren persönlicher Mitwirkung er für seine großen literarischen Zwecke bedurfte. So verlebte Humboldt denn abwechselnd seine Zeit in Berlin und Paris. Im Jahre 1830 wurde der europäische Friedenszustand durch die französische Revolution gewaltig erschüttert, die Völker drängten plötzlich nach neuen Zuständen, es erwachte der Sinn für politisches Leben, die polnische Nation forderte ihre Freiheit, und so wie Deutschland im Allgemeinen, so gerieth Preußen insbesondere in eine kritische Lage.

Alexander von Humboldt hatte sich im engeren Sinne niemals um Politik bekümmert; aber er, welcher die höchste persönliche Zuneigung und das unbedingte Vertrauen des Königs Friedrich Wilhelm III. besaß, er, welcher in wissenschaftlicher Sphäre zwei Nationen angehörte, indem die Franzosen ihn als Größe ihrer französischen Nationalliteratur anschaueten und für die Ehre ihres Landes reklamirten, während dasselbe von Deutschland geschah, dem er doch durch seine Geburt natürlich angehörte – er erschien in den kritischen Augenblicken, in welchen Frankreich und Preußen momentan aus den alten Verhältnissen gerückt waren, als der geeignetste Vermittler zweier Nationen, die beide auf ihn stolz waren. – Nachdem er den Kronprinzen von Preußen (nachherigen König Friedrich Wilhelm IV.) im Mai 1830 nach Warschau zu dem vom Kaiser Nikolaus persönlich eröffneten konstitutionellen Reichstage und bald darauf den König in das Bad Teplitz begleitet hatte, traf die Nachricht von dem Sturze des bourbonischen Königthums und der Thronbesteigung Louis Philipps ein; Humboldt hatte schon lange mit der Familie Orleans in einer nahen Verbindung gestanden und deshalb sendete König Friedrich Wilhelm III. Humboldt im September 1830 nach Paris mit dem diplomatischen Auftrage: Louis Philipp und die neue Dynastie zu begrüßen und mit Wissen des französischen Hofes politische Berichte nach Berlin zu senden. Er that dieses zunächst vom September 1830 bis Mai 1832 und wurde mit gleichem Vertrauen auch in den Jahren 1834-35 nach Paris gesandt, um als diplomatischer Berichterstatter am französischen Hofe mit dem Könige von Preußen zu korrespondiren, ein Auftrag, der sich in den laufenden Jahren fünfmal wiederholte, so daß Humboldt jedesmal vier bis fünf Monate lang in Paris zu weilen pflegte.

Es muß noch eingeschaltet werden, daß um die Zeit, als Humboldt sich zu seiner ersten diplomatischen Sendung nach Paris anschickte, auch sein Bruder Wilhelm vom Könige aus seiner Privatstellung (in welche ihn die Kurzsichtigkeit und heterogene Richtung, so wie die damalige unglückselige Demagogenriecherei einflußreicher Gegner gedrängt hatten) hervorgerufen wurde und durch Einführung in den Staatsrath und Verleihung des schwarzen Adlerordens eine Art »Restauration« – wie Alexander von Humboldt am Tage vor seiner Abreise nach Paris (26. September 1830) sich ausdrückte, – mit einem Worte, eine Genugthuung für frühere Verdächtigungen unter dem Staatskanzler Hardenberg erhielt. Es ist höchst wahrscheinlich, daß Alexander von Humboldt seine vertrauliche Stellung zum Könige benutzt hat, um diesen über den Bruder Wilhelm aufzuklären und ihm die »Restauration« zu vermitteln.

Von nun an lebten die Brüder, so oft Alexander aus Paris heimkehrte, ganz für einander, und ihre geistigen wie gemüthlichen Freuden flossen aus der gemeinsamen Quelle der Liebe; ihr Austausch der Lebensresultate war nunmehr ein persönlicher, unmittelbarer geworden, die weite Trennung von früher wurde nunmehr durch die innigste Gemeinschaft des Wissens und der Empfindungen nachgeholt. – Hören wir darüber, was der Biograph Wilhelm von Humboldt's (G. Schlesier) sagt: »Wilhelm hatte nun den Bruder Alexander in der Nähe; – wie viel hatten sich die zu sagen, die so lange getrennt gewesen waren und aus Gründen – die man leicht erräth – nicht einmal schriftlich ihr Herz ausschütten konnten. Die Briefe, die sie einander schrieben, waren selten und öde, wie eine Landschaft ohne Wasser und ohne Grünes – denn, wie es zu gehen pflegt, sie theilten sich am Ende selbst das nicht mit, was sie ganz ungescheut hätten sagen dürfen. – Wir wissen, wie von Jugend an ihre Studien Hand in Hand gingen, wie auch auf weit auseinander führenden Bahnen Einer des Anderen Richtung theilnehmend und mitgehend verfolgte und wie selbst in ganz entgegengesetzten Forschungen die Verwandtschaft der Naturen und die Seite, an der sie sich berührten, erkennbar blieb. – Wenn der Eine sich in die Gesetze des geistigen und geschichtlichen Lebens oder in Ueberreste verschwundener Völker und Sprachen vertiefte und in seiner Thätigkeit manchmal wie auf einen Punkt gebannt schien – der Andere indeß die physische Welt in einer größeren Ausdehnung sich unterwarf, mußten Beide doch bei der Natur des Menschengeistes, bei den Menschenstämmen, bei der Verschiedenheit der Sprachen wieder zusammentreffen. – Aber auch bei der größten Entfernung ihrer Thätigkeit konnte die gleich harmonische Bildung, ihre Denkart und Richtung, endlich selbst die Art und Schönheit ihrer Darstellungsweise die sichere Gemeinsamkeit des Ursprunges und den festen Zusammenhang ihrer Wesen bekunden. – Es darf uns daher nicht wundern, wenn man diese Brüder mit dem Namen ›deutsche Dioskuren‹ beehrte.«

Im Jahre 1831 muß Alexander von Humboldt auch in Weimar gewesen sein und Goethe besucht haben, denn wir finden in einem Briefe von Goethe an Wilhelm v. Humboldt, datirt vom 1. December 1831, die Stelle: »Ihrem Herrn Bruder, für den ich keinen Beinamen finde, bin ich für einige Stunden offener, freundlicher Unterredung höchlich dankbar geworden. Denn obgleich seine Ansicht, die geologischen Gegenstände aufzunehmen und danach zu operiren, meinem Cerebralsysteme ganz unmöglich wird, so habe ich mit wahrem Antheil und Bewunderung gesehen, wie dasjenige, wovon ich mich nicht überzeugen kann, bei ihm folgerecht zusammenhängt und mit der ungeheuren Menge seiner Kenntnisse in Eins greift, wo es dann durch seinen unschätzbaren Charakter zusammengehalten wird.«

Schon im Jahre 1830 hatte Wilhelm von Humboldt die Rüstigkeit seines jüngeren Bruders Alexander als ein Glück angesehen und daran die Hoffnung geknüpft, daß derselbe, als Ueberlebender, Wilhelm's literarischen Nachlaß besorgen und überwachen werde, da er keine bessere Hand dafür denken konnte. – Diese Hoffnung sollte bald eine Wahrheit werden. – Nur wenige Jahre wollte das Schicksal das brüderliche Zusammenleben gestatten, durch welches in geselliger Hinsicht auch Alexander im engeren gemüthlichen Verkehre mit den Freunden und Freundinnen seines Bruders gehalten wurde, wie mit Goethe, Wolf, Frau von Varnhagen, Koreff, Cotta, Gentz u. s. w. Viele von den Freunden Wilhelm von Humboldt's waren bereits aus dem Leben abgerufen (unter Anderen: Niebuhr und Stein im Jahre 1831 – Goethe und Gentz im Jahre 1832 – Hegel und Schleiermacher –), als er im Winter von 1834-35 von Schwäche befallen wurde. Er lebte um diese Zeit auf dem Schlosse Tegel in Gesellschaft seiner ältesten unverheiratheten Tochter Karoline, der Generalin Adelheid von Hedemann (die mit ihrem Manne schon einige Jahre in der Nähe des Schwiegervaters zubrachte) und der Frau von Bülow – während Alexander in Berlin war und auf jede Nachricht vom Befinden seines Bruders unruhig wartete, da er dessen Nervenschwäche, die gebückte Körperhaltung und das Zittern am ganzen Körper für bedenklich hielt. Dieffenbach und Rust behandelten ihn ärztlich, aber eine Erkältung, die er am Geburtstage der verstorbenen Gattin über deren Grabe sich zugezogen, förderte seinen Tod – er starb am 8. April 1835 in den Armen Alexander's. – Noch während des Todeskampfes des geliebten Bruders schrieb Alexander von Humboldt einen Brief an Varnhagen, der den brüderlichen Schmerz ausdrückt Der Brief lautet: Berlin, Sonntag 6 Uhr früh, den 5. April 1835. – Sie, mein theurer Varnhagen, der Sie den Schmerz nicht fürchten und ihm sinnig in die Tiefe der Gefühle nachspüren, Sie müssen in dieser trauervollen Zeit einige Worte der Liebe, die Ihnen beide Brüder zollen, empfangen. Die Erlösung ist noch nicht erfolgt. Ich verließ ihn gestern Abend 11 Uhr und eile wieder hin. – Der gestrige Tag war weniger erschütternd. Ein halb soporöser Zustand, viel, nicht sehr unruhiger Schlaf, und bei jedem Erwachen Worte der Liebe, des Trostes, immer noch die Klarheit des großen Geistes, der Alles faßt und sondert und seinem Zustande nachspäht. Die Stimme war sehr schwach, rauh und kindlich fein, daher man ihm noch Blutegel auf den Kehlkopf setzt. Völlige Besinnung! – »Denkt recht oft an mich,« sagte er vorgestern, »doch ja mit Heiterkeit. Ich war sehr glücklich, auch heute war ein schöner Tag für mich, denn die Liebe ist das Höchste. Bald werde ich bei der Mutter sein, Einsicht haben in eine höhere Weltordnung.« – Mir bleibt keine Spur von Hoffnung. Ich glaubte nicht, daß meine alten Augen so viel Thränen hätten. Es dauert acht Tage. A. v. Humboldt. und gleich nach dem Tode richtete Alexander von Tegel aus, am 10. April, ein Schreiben an Arago in Paris, dem er nicht minder offenbart, was das überlebende Bruderherz verloren hatte Eine Stelle dieses Briefes heißt: » Je suis dans le plus profond abattement. Dans les plus grands douleurs on pense à ceux, qui nous sont les plus chèrs; je me sens un peu soulagé en Vous érivant … Je reste bien isolé. – J'espère, que j'aurai enfin le bonheur, de Vous embrasser cette année …« (»Ich befinde mich in der tiefsten Niedergeschlagenheit. In dem größten Schmerze denkt man an Diejenigen, welche uns die Theuersten sind; ich fühle mich, indem ich an Sie schreibe, etwas erleichtert. Ich bin sehr vereinsamt. – Ich hoffe, daß ich endlich dieses Jahr das Glück haben werde, Sie zu umarmen.«). – Die schönste Pflicht gegen das heilige Andenken des Bruders erfüllte Alexander seitdem durch Überwachung von dessen literarischem Nachlasse und durch eine geregelte Beförderung desselben zum öffentlichen Druck.

Alexander v. Humboldt lebte bald wieder ausschließlich den Wissenschaften, und selten verging ein Jahr, in welchem er nicht irgend einen neuen Blick in das Reich der Naturwesen geworfen oder nicht irgend einen neuen Schatz des Wissens aufgefunden hätte. Und aus dem Nachlaß seines Bruders machte er namentlich dessen ausgedehnte Forschungen über die Kawi-Sprache zum Gegenstande seiner Arbeit, denn er hatte selbst die Materialien dazu für den Bruder gesammelt und die Herausgabe dieses Werkes lag ihm deshalb zunächst am Herzen. So wurde er selbst fördernd und zugleich für Andere anregend, welche oft einen Gedanken, eine einzelne Thatsache Humboldt's weiter verfolgten, ausbildeten und zu wichtigen Ergebnissen führten. Seine asiatischen Reisewerke nahmen immer noch die Hauptthätigkeit Humboldt's in Anspruch und forderten zugleich eine ausgebreitete Correspondenz mit seinen Freunden in Rußland und Paris, sowie auch eine fortwährende Leitung der Arbeiten, die Andere für diese Zwecke lieferten.

Dabei beschäftigte ihn auch die Fortsetzung der bereits früher begonnenen Schriften, sowie auch seine »kritischen Untersuchungen,« welche in französischer Sprache 1834 in 5 Bänden zu Paris erschienen. Diese »kritischen Untersuchungen über die historische Entwickelung der geographischen Kenntnisse von der neuen Welt und die Fortschritte der nautischen Astronomie im 15. und 16. Jahrhundert« erschienen im Originale französisch und wurden von J. L. Ideler in das Deutsche bearbeitet. Sie enthalten die wichtigsten Resultate dreißigjähriger Mußestunden Humboldt's und gewissermaßen die Bausteine zu einer Geschichte des Columbus, die er zu schreiben gedachte. In vier Abtheilungen redet Humboldt hier 1. über die Ursachen, welche die Entdeckung der neuen Welt vorbereitet und herbeigeführt haben; – 2. von einigen Thatsachen, die in näherer Beziehung zu Christoph Columbus und Amerigo Vespucci stehen, und von mehren Daten geographischer Entdeckungen; – 3. von den ersten Karten der neuen Welt, und von der Epoche, in welcher der Name Amerika in allgemeinen Gebrauch gekommen ist – und 4. von den Fortschritten der nautischen Astronomie und Kartenzeichnenkunst im 15. und 16. Jahrhundert. – Im Jahre 1838 veröffentlichte er in »Cotta's Vierteljahrsschrift« eine staatsökonomische Abhandlung » über die Schwankungen der Goldproduktion« – eine Anwendung seiner im Ural gemachten Forschungen; – in den Jahren 1839 und 1840 zeichnete er eine neue hypsometrische Karte (Höhenmessungen) von den Gebirgsketten und Vulkanen Centralasiens, die mit bewunderungswürdiger Genauigkeit entworfen und ausgeführt worden und der völlig umgearbeiteten Ausgabe seiner Forschungen über Asien beigegeben ist. Dieses Werk erhielt aber eine Verzögerung im Erscheinen, weil Humboldt theils kleinere Reisen, namentlich nach Paris und in andere, deutsche und außerdeutsche Hauptstädte machte, theils aber durch das ihn besonders nahe angehende Ereigniß des Todes des Königs Friedrich Wilhelm III. von Preußen vielfach zerstreut und in äußere Verhältnisse abgelenkt wurde.

Seine Stellung zu der höchsten Person des Landes blieb aber auch nach der Thronbesteigung des Königs Friedrich Wilhelm IV. eine gänzlich unveränderte, denn dieser hatte bereits als Kronprinz die nähere persönliche Beziehung zu Humboldt als ein geistig gemüthliches Bedürfniß gefühlt. Der damalige Kronprinz war zugleich ein Verehrer und Freund Wilhelm von Humboldt's gewesen, zu dem ihn sein Kunstsinn und sein Interesse an ästhetischer und gelehrter Bildung, trotz dem, daß beide Persönlichkeiten auf ganz verschiedenen politischen und religiösen Wegen wandelten, dauernd hingezogen hatten. – Alexander von Humboldt wurde alsbald des neuen Königs Vertrauter, Gesellschafter und wissenschaftlicher Rathgeber und lebte seitdem stets in der unmittelbaren Nähe des Königs, mit dem er in Berlin, Potsdam, Sanssouci u. s. w. verweilte und den er, selbst im höheren Alter noch, auf kürzeren und größeren Reisen begleitete. So hat der preußische Hof sich in der Person Humboldt's mit einem glänzenden Sterne der höchsten Intelligenz zu schmücken und zu ehren gewußt, obgleich nicht zu leugnen ist, daß diese äußere Stellung zum Hofe von Humboldt's ohnehin kostbaren Lebensjahren, die nunmehr mit Geiz verwendet werden wollten, manche Stunde den Wissenschaften und ganz insbesondere der Vollendung seines großen noch nicht beendigten Werkes entzieht.

Fortwährend beschäftigt er sich bis in die Gegenwart hinein mit der astronomisch-mathematischen Geographie, die überhaupt in keiner Zeit so bedeutende Fortschritte gemacht hatte, als eben zu Humboldt's Zeit. Er brachte dieses Gebiet der Wissenschaft durch seine eigentliche geistige Entdeckung Amerika's in eine ganz neue Bahn, indem er fortwährend für diese Arbeiten anregte und andere Befähigte ermunterte. Dadurch wurde er selbst immer vertrauter mit der Geographie Amerika's und mit der Geschichte der nautischen (schifffahrtskundigen) Astronomie des 15. und 16. Jahrhunderts. Das 15. Jahrhundert hatte durch die Enthüllung einer neuen Welt so zu sagen die Werke der Schöpfung verdoppelt und eine Menge neuer Gegenstände in das Bewußtsein der alten Welt eingeführt, die allmählich die Ansichten und Verhältnisse in Europa verändern halfen. Dieses Zeitalter hatte für Humboldt ein ganz besonderes Interesse, denn mit Amerika's Entdeckung hatte das Menschengeschlecht einen geistigen und materiellen Fortschritt gemacht; neue Wege für den Verkehr, weite Blicke in eine neue Natur waren geöffnet. Kein Anderer als gerade Humboldt eignete sich so geschickt dazu, die Geschichte jener großen und kühnen Entdeckungsreisen zu verfolgen; war er doch selbst der zweite Entdecker Amerika's, ebenfalls von Spanien aus in das offene Meer gefahren und ebenfalls in dieselben Gegenden gekommen, wo Columbus einst landete und den neuen Continent betrat. Und er, der vor mehr als vierzig Jahren schon eine »Geschichte der beiden Hälften von Amerika« schreiben wollte, dieselbe auch begonnen hatte und freilich später wieder aufgab – der also die speciellen Kenntnisse von Land- und Volksverhältnissen sich erworben und mit besonderer Vorliebe die Urkundensammlungen Amerika's und die Bibliotheken Europa's durchforscht hatte, er vermochte vorzugsweise ein Bild der kosmographischen (weltbeschreibenden) Ansichten des 15. Jahrhunderts und der astronomischen Methode damaliger Zeit zu liefern. Mit Gelehrsamkeit und Gründlichkeit wußte er denn auch ein solches Werk darzustellen; mit zahlreichen neuen Thatsachen, die sich auf die Geschichte der Erdkunde, die Urgeschichte der Menschen u. s. w. beziehen, überall die inneren Verknüpfungen zwischen den Ansichten und Vorstellungen am Schlusse des 15. Jahrhunderts und den Zeiten des Aristoteles, Eratosthenes und Strabo (trotz der Barbarei des Mittelalters) mit Gewißheit nachweisend, legte er in den oben erwähnten »kritischen Untersuchungen« die bedeutendsten Resultate nieder, die er von dem erhabenen Gesichtspunkte: überall den Fortschritt des menschlichen Geistes in seinem Zusammenhange nachzuweisen, mit bewunderungswürdiger Klarheit gewann. – Und so brachte er in die Raumentdeckung des 15. Jahrhunderts den großen leitenden Gedanken des Lebens und der Geschichte. – Er wurde aber auch ein wissenschaftlicher Vertheidiger seines Vorgängers Columbus, den bekanntlich Mit- und Nachwelt in seinen Verdiensten schmälern wollten. Humboldt's kritische Untersuchungen haben es aber über allen Zweifel gestellt, daß Columbus aus eigener Bewegung und eigenem Geiste getrieben, sein großes Entdeckungswerk begonnen, daß er Ueberlieferungen und Muthmaßungen der Vorzeit geordnet und benutzt habe, bis sie ihm zur selbständigen Anschauung und zur Triebfeder kühner Unternehmung und freien Handelns geworden seien.

Nachdem Humboldt in dem Jahre 1840 » Akademische Abhandlungen über seine Besteigung des Chimborazo und über die mittlere Höhe des Continents« – sowie ein » kritisches Memoire über einige wichtige Positionen von Guyana« für den Druck vollendet und seine frühere, im Jahre 1828 unterbrochene, vorbereitende Arbeit, unter dem Titel: » Kosmos« eine allgemeine, physische Weltbeschreibung zu liefern, wiederum neu und von einem noch umfassenderen Standpunkte, als damals aufgenommen hatte, und während er außerdem mit der Herausgabe der nachgelassenen Werke seines Bruders Wilhelm beschäftigt, und endlich noch als Mitglied in der akademischen Commission zur Publikation der Werke Friedrichs des Großen thätig war – rief ihn im Januar 1842 der König auf einige Zeit von diesen Arbeiten ab zu einer Erholungs- und Ehrenreise, indem Friedrich Wilhelm IV. ihm die Auszeichnung der Begleitung auf der königlichen Reise nach England, zur Taufe des Prinzen von Wales, zu Theil werden lassen wollte. – Genoß Humboldt auf dieser Reise die Ehre, von seinem Könige ausgezeichnet und vom englischen Hofe mit Achtung empfangen zu werden, so verherrlichte er aber auch die Reise des Königs gerade durch seine Persönlichkeit, und die Intelligenz Englands huldigte ihm überall, wo er sich blicken ließ.

Eine neue königliche Auszeichnung erhielt A. v. Humboldt Ende Mai des Jahres 1842, als am 102ten Jahrestage der Thronbesteigung Friedrichs des Großen. – Um diese Zeit nämlich stiftete Friedrich Wilhelm IV. eine Friedensklasse zu dem vom großen Friedrich eigentlich nur für Auszeichnung im Kriege Unter Friedrich dem Großen erhielten nur fünf, nicht dem Militärstande angehörende Personen diesen Orden, nämlich Voltaire, Maupertuis, Algarotti, der Minister v. Marschall und ein Landrath v. Eckwricht in Schlesien. – Nach 1815 wurde er von Friedrich Wilhelm III. fast gar nicht mehr verliehen, weil es im Frieden an Gelegenheit zu militärischer Auszeichnung fehlte, und der letzte Empfänger war der Erzherzog Friedrich v. Oesterreich, für seine Waffenthat bei Acre 1841. bestimmten Orden pour le mérite, welcher nunmehr auch die größten Gelehrten und Künstler der Welt schmücken und für sie ein Zeichen der königlichen Anerkennung werden sollte. Dreißig Ritter erhielten die Stimmfähigkeit zur Wahl derjenigen Personen deutscher Nation, welche sie für die Auszeichnung mit diesem Orden würdig erklärten, und es war die Bestimmung getroffen, daß nur dreißig deutsche Gelehrte und Künstler überhaupt die Gesammtzahl bilden und sich ergänzen sollten. – Außer diesen dreißig deutschen Männern sollte der Orden aber auch berühmten Ausländern verliehen werden. – Alexander von Humboldt, als der größte lebende Gelehrte, der in seiner Person die Kenntnisse einer ganzen Akademie vereinigt, wurde zum Kanzler dieses Ordens ernannt.

Wir haben in diesem biographischen Lebensbilde überhaupt wenig von den persönlichen Auszeichnungen Humboldt's geredet, da es sich im Grunde jeder Leser selbst sagen konnte, daß ein solcher Mann, auf dem höchsten Gipfel wissenschaftlichen Ruhmes und in den innigsten Beziehungen zu den Fürsten aller Länder stehend, nicht in den äußeren Zeichen der Anerkennung und Verdienste leer ausgehen werde. – Und in der That empfing er nicht nur die zahlreichsten Ehrenbezeigungen von Fürsten und gelehrten Corporationen, sondern er erhielt sie zum Theil schon sehr früh im Leben. Seiner Erhebung zum Königl. Preuß. wirklichen Geheimenrathe mit dem Titel: Excellenz haben wir bereits Erwähnung gethan und wir fügen noch im Allgemeinen hinzu, daß nicht nur alle bedeutenden Akademien der Wissenschaften und Künste, sowie alle angesehenen gelehrten Vereine der Welt eine große Ehre darin suchten, Humboldt zu ihrem Mitgliede zu erwählen, sondern daß sich auch die Fürsten aller Länder beeiferten, ihm den Tribut ihrer Hochachtung und zugleich damit der Wissenschaft eine Anerkennung zu zollen, indem sie ihm ihre höchsten Orden verliehen. Aber gerade bei Humboldt denkt man an alle solche Aeußerlichkeiten am wenigsten, da der Glanz seines Geistes und Ruhms alle Ordenssterne überstrahlt, die man überhaupt nur selten auf seiner Brust sieht.

Humboldt lebt jetzt an denjenigen Orten, wo sich sein königlicher Freund befindet. Im Jahre 1845 machte er noch einmal einen kurzen Ausflug nach Dänemark, und vom Oktober 1847-1848 weilte er wieder in Paris; dann aber lebte er in seiner Heimat fast ununterbrochen und begleitete nur seinen königlichen Freund noch in nahe Bäder. Im Jahre 1850 beging die Akademie der Wissenschaften in Berlin, deren Mitglied Humboldt am 4. August 1800 wurde, sein fünfzigjähriges akademisches Jubiläum, bei welcher Gelegenheit man sein Brustbild in Marmor im Saale der Akademie feierlich aufzustellen beschloß, wenn einst das allgemeine menschliche Loos ihn den Augen der Zeitgenossen entrückt haben würde. – In Berlin, Potsdam, in allen königlichen Schlössern ist ihm eine Wohnung offen, und kein Tag verging ihm in Wohlsein, wo er nicht mit dem Könige verkehrte. Trotz seines neunundachtzigsten Jahres arbeitet er noch unermüdlich in den Stunden, welche ihm das Leben am Hofe frei läßt; er ist rührig und pünktlich in seiner ungeheuren Correspondenz und beantwortet mit einer liebenswürdigen Bescheidenheit auch die Briefe minder angesehener Gelehrten. – Die Einwohner Berlin's und Potsdam's kennen ihn alle persönlich, sie erzeigen ihm Ehrerbietung gleich dem Könige selbst. Mit sicherm bedächtigen Schritte, etwas vorgebeugtem gedankenvollen Haupte, dessen Antlitz wohlwollend, voll würdigen Ausdrucks und edler Milde entweder niederschaut, oder Kunst und Achtung der Vorübergehenden liebreich und höflich erwiedert; in einfacher, schmuckloser Kleidung, zuweilen eine Brochüre in den auf dem Rücken ruhenden Händen tragend – so wandelt er häufig durch Berlin's oder Potsdam's Straßen und Promenaden allein und anspruchslos, ein schönes Bild einer vollen, unter der Schwere zahlreicher goldner Saatkörner sich neigenden Aehre; aber wo er sich sehen läßt, da empfängt er die Beweise allgemeiner Ehrerbietung, der Begegnende weicht oft scheu aus, in Besorgniß, den Gefeierten in seinen Gedanken zu stören, der gewöhnliche Mann selbst blickt ihm andächtig nach und sagt zu dem Andern: »dort geht Humboldt.« – Und wer mit ihm jemals geredet hat, der vergißt den Eindruck seiner leichten und klaren, natürlichen und ungezwungenen Unterhaltungsweise nicht wieder, denn in Allem, was er spricht, leuchten Tiefe und Gründlichkeit, Klarheit und sicheres Wissen hervor, nirgends wird man bei ihm an deutschen Gelehrtenstolz, steife Pedanterie und Abgemessenheit so vieler deutscher Forscher erinnert. – Humboldt ist in der großen Welt gebildet, seine Umgangssitte ist eine edle, offene, französische, freie und elastische; er, der mit allen Nationen verkehrt, hat von allen die edelsten Formen des Lebens harmonisch in sich vereinigt.

In seinem höheren Alter suchte er noch gern die Lehrbänke der Jugend auf, um hier, wie er in guter Laune den Studenten zu sagen pflegte, nachzuholen, was er in der Jugend versäumt habe. So war er im Wintersemester 1834-1835 Morgens 9 Uhr im Auditorium Nro. VIII. zu finden, wo Boekh um diese Stunde griechische Literaturgeschichte und Alterthümer vortrug. Da saß Humboldt auf der vierten oder fünften Bank in der Nähe des Fensters, zog aus einer unscheinbaren Mappe etwas Papier und schrieb nach. Hier hatte er einmal den komischen Vorfall, beim Zuspätkommen von den Studenten, welche ihn irrthümlich für einen andern hielten, ausgescharrt zu werden. Es war nämlich ein Student im Collegium, der sich später als staatsmännischer oppositioneller Schriftsteller einen Namen gemacht hatte, ziemlich dumm aussah und deshalb den Spitznamen »Moscherosch«, zu deutsch: Kalbskopf, erhalten hatte. Da er meist zu spät kam, so war es Gewohnheit geworden, ihn jedesmal mit heftigem Fußscharren zu empfangen. Einst kam Humboldt zu spät, zur Zeit, wo Moscherosch zu erscheinen pflegte; ohne von den Heften aufzublicken, scharrten alle Studenten und waren nicht wenig erschrocken, als sie Humboldt still lächelnd und geräuschlos auf seinen Platz eilen sahen. Die Studenten betrachteten mit einem Stolze, der sich bei ihnen in Vertraulichkeit zu kleiden pflegt, den alten, vergnügten Mann mit weißem Kopfe und im braunen langen Rocke für ihres Gleichen und Humboldt suchte diese Stimmung nicht zu stören. – Auch das Collegium Ritter's über allgemeine Erdkunde besuchte er selbst bei dem schlechtesten Wetter und es ereignete sich dann wol, daß ihn Karl Ritter bei geognostisch-physikalischen Fragen citirte, alle Studenten den greisen Zuhörer anlächelten und sich durch dessen Nähe gehoben und in ein gemeinschaftliches Streben mit ihm versetzt fühlten.

An einem erhabenen Menschen hat jeder kleine Zug Bedeutung und interessirt die Welt. Erfahren wir denn, wie Humboldt in seinem schönen Alter lebt und seine Tage eintheilt. Seit langer Zeit bewohnt er in Berlin in einer entlegenen stillen Stadtgegend, in der Oranienburger Straße, ein einfaches Haus, das dem Banquier Alexander Mendelssohn mit dessen Familie er seit Jahren befreundet ist, angehört. Dieses Haus ist ihm lieb geworden, und als er es einst verlassen sollte, kaufte es Mendelssohn und sicherte damit auf Lebenszeit seinem Miether die behagliche Wohnung. In seinem Kammerdiener Seifert besitzt er seit beinahe 40 Jahren einen treuen Pfleger, der schon mit ihm die asiatischen Steppen durchwanderte und alle seine Gewohnheiten kennt. Selbst den Fremden erinnert diese spezifisch preußisch-militärische Erscheinung an Treue und Hingebung. – Wenn man Zutritt zu Humboldt erlangt, dann führt Seifert den Fremden zunächst aus einem, mit ausgestopften Vögeln, Fischen und Seethieren, mit physikalischen Instrumenten und meist landschaftlichen Gemälden decorirten Wartezimmer in die Bibliothek, durch welche man in jenes Empfangszimmer tritt, welches durch das Hildebrandt'sche Bild in seiner Einrichtung dem Publikum bekannt geworden ist. Nichts erinnert hier an gelehrte Unordnung, trotz der Karten, Bücher, Mappen und Globen, die auf den Tischen sich befinden. Aus einem Privatcabinet hervortretend, pflegt Humboldt hier seine Besucher mit liebenswürdiger Freundlichkeit zu empfangen, indem er sie in den Sopha weiset und in seinem entfernter stehenden Sessel am Schreibtische Platz nimmt. Dann ist er bereit zu hören, zum Reden anzuregen und selbst das Wort zu ergreifen. Ihn zu hören ist der Wunsch jedes Kommenden; mit aufmunterndem Lächeln giebt er dem Befangenen Muth zur Anrede. – Seine Gestalt ist nur von mittlerer Größe, seine Füße und Hände sind klein und von vornehmer Bildung, sein Haupt mit der hohen, breiten Stirn ist von silberweißem Haar umflossen; seine blauen Augen sind lebendig, ausdrucksvoll und jugendlich; um seinen Mund spielt ein eigenthümliches Lächeln, halb wohlwollend, halb sarkastisch, als unwillkürlicher Ausdruck her Feinheit und geistigen Ueberlegenheit. Er geht mit ziemlich schnellen, ungleichen Schritten, mit etwas gesenktem Kopfe; im Sitzen erscheint er gebückt und sieht während des Sprechens auf den Boden nieder oder schlägt anregend lächelnd den Blick empor, um eine Antwort zu erwarten. Ein unaussprechliches Wohlwollen leuchtet aus seinem Antlitze, wenn er den Fremden als einen Mann von Geist erkennt. Er ist dann in der Unterhaltung offen und witzig, urtheilt aber immer mit feiner Rücksicht und ist Meister des Wortes. Er ist vieler Sprachen mächtig; der Engländer lobt dessen reines, anmuthiges Englisch, der Franzose das elegante Französisch. Vor dreißig Jahren stand er im Sommer regelmäßig um 4 Uhr Morgens auf und nahm schon um 8 Uhr Besuche an; noch vor acht Jahren sägte er gelegentlich, daß er genöthigt sei, den größeren Theil seiner literarischen Arbeiten zu einer Zeit auszuführen, wo Andere schlafen, da er die gewöhnlichen Arbeitsstunden meist beim Könige zubringe; er könne aber mit 4 Stunden Schlaf erfahrungsmäßig recht gut fertig werden. Gegenwärtig hat das 89. Jahr seine Rechte gefordert. Humboldt steht Morgens 8½ Uhr auf, liest beim Frühstück die eingelaufenen Briefe und pflegt die meisten gleich zu beantworten; dann kleidet er sich mit Hülfe seines Kammerdieners an, um die angemeldeten Visiten anzunehmen oder selbst Besuche zu machen. Um 2 Uhr pflegt er wieder im Hause zu sein und um 3 Uhr nach der königlichen Tafel zu fahren, wo er für gewöhnlich speist, wenn er sich nicht selbst in einer befreundeten Familie, meist bei dem Banquier Mendelssohn, als Tischgast anmeldet. – Um 7 Uhr Abends kehrt er nach Hause zurück, wo er bis 9 Uhr lesend oder schreibend zubringt. Jetzt fährt er wiederum an den Hof oder geht in eine Gesellschaft, von wo er erst gegen 12 Uhr Mitternacht heimzukehren pflegt. Nun, in nächtiger Stille, beginnt der mit wunderbaren Kräften ausgerüstete Greis seine eigentliche gelehrte Thätigkeit an seinen großen Werken, und erst 3 Uhr Morgens, wenn im Sommer schon der helle Tag ihn begrüßt, gönnt er sich die kurze Ruhe für den vom Geiste mächtig beherrschten Körper.

Humboldt hat keine eigene Familie begründet; er widmet seine Liebe den Söhnen und Töchtern seines Bruders und dem Andenken der verstorbenen Eltern derselben. Sein Geburtstag, der 14. September, ist jedesmal auf dem Schlosse Tegel, wo Frau von Bülow, seine Nichte, wohnt, ein Familienfest, wo dann seine Freunde sich sammeln und Liebe, Wissenschaft und Kunst ihm herzliche und heitere Huldigungen darbringen. – Seine Handschrift in lateinischen Buchstaben ist klein, unleserlich, oft seinen besten Freunden eine Hieroglyphenschrift; die Buchstaben sind unsicher, schwankend, mit manchen eigenthümlichen Zügen versehen, die Zeilen verlassen die gerade Linie und ziehen sich fast diagonal über das Blatt Papier; von seinen Reisen her hat er die Gewohnheit, auf einer Mappe auf den Knieen zu schreiben und eine von der Feuchtigkeit auf dem Orinoco herrührende Schwäche im rechten Arme erschwert ihm die Deutlichkeit und Gradlinigkeit seines Schreibens.

So lebt Humboldt gegenwärtig, in einer fast gleichförmigen Ordnung, die Tage seines Alters mit jugendlicher Kraft und Geistesthat. Ein ansehnlicher Gehalt vom Könige, so wie der buchhändlerische Ehrensold seiner Schriften, geben ihm mehr materielle Mittel, als er bei seiner einfachen Lebensweise gebraucht, aber was er erübrigt, das widmet er der Wissenschaft und der Wohlthätigkeit. – In letzter Zeit leidet er häufiger an Unpäßlichkeiten, aber so oft die Kunde seines Unwohlseins laut wird, nimmt die gesammte gebildete Welt den lebhaftesten Antheil daran; die Zeitungen geben Bülletins und Fürsten und Fürstinnen erkundigen sich telegraphisch oder persönlich nach seinem Befinden. Obgleich mit Königen befreundet, im Glanze der Monarchie unmittelbar lebend, selbst Hofmann und von der Gunst der Fürstenhöfe verherrlicht, ist er dennoch immer ein freisinniger Mann, ein Freund staatlicher Freiheit, ein gesinnungstüchtiger Vertreter jeder freien Entwickelung des Wahren, Schönen und Rechten geblieben. Niemals nahm er an engherzigen oder verfinsternden Bestrebungen Theil, welche ihn oft unmittelbar umgaben; er hatte entweder bei rechter Gelegenheit ein sarkastisches Wort bereit, um seine wahre Ueberzeugung kund zu geben, oder er sprach sich offen und frei aus. Als man ihm sagte, daß die Zeitung einer zeitweise herrschenden orthodoxen Partei seinen Kosmos ein »Erbauungsbuch« genannt habe, erwiderte er mit sarkastischem Lächeln: »Das kann mir jetzt nützlich sein« – und es gehen mehrere solcher Aeußerungen von Mund zu Mund, welche seiner lichtvollen Ueberzeugung, die er oft und öffentlich ausgesprochen oder niedergeschrieben hat, Ehre machen. So sprach er einst: » Vollkommenes Gedeihen und Freiheit sind unzertrennliche Ideen auch in der Natur! – Aeußere Mittel des Zwanges, kunstreiche Staatsverfassungen, eine lange Gewohnheit der Knechtschaft konnten freilich einigen, konnten das vereinzelte Dasein der Völker aufheben, aber das Gefühl von der Gemeinschaft und Einheit des ganzen Menschengeschlechts, von der Berechtigung aller Theile desselben, hat einen edlerer Ursprung.« – Und bei einer anderen Gelegenheit sagte er: »Eine großartige, physische Weltanschauung bedarf nicht bloß der reichen Fülle der Beobachtungen, als Grundlage der Verallgemeinerung der Idee; sie bedarf auch der vorbereitenden Kräftigung der Gemüther, um in den ewigen Kämpfen zwischen Wissen und Glauben nicht vor den drohenden Gestalten zurückzuschrecken, die bis in die neuere Zeit an den Eingängen zu gewissen Regionen der Erfahrungswissenschaft auftreten und diese Eingänge zu versperren trachten. Man darf nicht trennen, was der Entwickelungsgang der Menschheit gleichmäßig belebt hat, nämlich: das Gefühl der Berechtigung zur individuellen Freiheit und das lange unbefriedigte Streben nach Entdeckungen.« – Und wieder an einer anderen Stelle seiner Schriften treffen wir auf folgenden Ausspruch: »Es liegt nicht in der Bestimmung des menschlichen Geschlechts, eine Verfinsterung zu erleiden, die gleichmäßig das ganze Geschlecht ergriffe; ein anhaltendes Prinzip nährt den ewigen Lebensprozeß der fortschreitenden Vernunft.« – Diese aus Humboldt's Werken gezogenen Sätze werden völlig genügen, um den großen Forscher der Natur, wie es auch nicht anders erwartet werden konnte, als einen freien, unbefangenen Mann zu bewähren.

Außer der allmählichen Vollendung seines »Kosmos« hat Humboldt noch die Pietät erfüllen müssen, die sämmtlichen Werke seines Freundes Arago, der ihm, gleich so vielen Anderen (und wie vor einem Jahre auch seine nahen Freunde Leopold von Buch und Bildhauer Rauch) durch den Tod entrissen wurde, mit einem Vorworte zu begleiten. Leider mußte er dabei die unangenehme Erfahrung machen, daß in diese Vorrede Worte in Paris eingeschwärzt wurden, die sich auf Arago's Nichte, eine Madame Laugier und Arago's Schwester, verheirathete Madame Mathieu bezogen, und die Humboldt, auch wenn er am Todtenbette seines Freundes gesessen hätte, nie geschrieben haben würde. Er beklagt sich deshalb in einem Briefe vom 24. März 1854 an Mathieu über die ihm untergeschobenen Worte und bricht am Schlusse in die gerechte Klage aus: » Me voilà tristement payé de mon zèle et de ma bonne volonté!« – (Da hat man mich für meinen Eifer und guten Willen traurig bezahlt!)

Mehr Freude hat Humboldt an der Pietät, welche ihm von seinen deutschen Landsleuten gezollt wird. Jede Versammlung deutscher Aerzte und Naturforscher pflegt ihn entweder feierlich einzuladen oder in neueren Zeiten durch telegraphische Depeschen ihm einen heiteren, herzlichen Gruß zuzusenden, worauf er dann jedesmal schnell und mit warmem Gefühle dankt. Als im August 1858 die Jubelfeier der Universität Jena begangen werden sollte, antwortete Humboldt auf die vom Prorektor der Hochschule an ihn ergangene Einladung durch ein Schreiben, welches wir hier nicht fehlen lassen möchten; es lautet: »Ew. Magnificenz haben in Ihrem Namen und in dem Namen des hochverehrten Senates der Großherzoglich, Herzoglich Sächsischen Gesammt-Universität mich mit einer so ausdrucksvollen und freundlichen Einladung als Ehrengast zu dem herrlichen, ächt protestantischen Jubelfeste am 15. August beglückt, daß, so wenig ich mir mit der Hoffnung in meinem 89. Lebensjahre schmeicheln durfte, die Vorschrift der Aerzte, keine Ortsveränderung zu unternehmen, vielleicht überschreiten zu dürfen, ich dennoch habe anstehen wollen, meinen tiefgefühlten Dank schon darzubieten. Meine Wünsche sind nicht erfüllt worden. Nicht meine Arbeitsamkeit, nicht mein Antheil an dem freien, öffentlichen, geistigen Leben Deutschlands, wol aber meine körperlichen Kräfte sind in beschleunigter Abnahme. Ich werde gerade da zurückgehalten, wo mich die liebsten, anregendsten Erinnerungen und die innigsten Dankbarkeitsgefühle hinziehen. Verehrungsvoll und mich freundschaftlichst Ihrer Wohlgewogenheit empfehlend, Ew. Magnificenz ganz ergebenster Kollege Alexander v. Humboldt.«

Aber nicht nur aus den Kreisen gelehrter Korporationen empfing Humboldt öffentliche Zeichen der Huldigung; auch viele Privatpersonen benutzten irgend eine Gelegenheit, ihm auf eine sinnige oder zarte Weise den freiwilligen Tribut der Anerkennung zu zollen. Entweder waren es Einsendungen werthvoller Naturgegenstände oder Geschenke anderer Art oder feine Aufmerksamkeiten in Hinsicht seiner Wünsche, Annehmlichkeiten und Gewohnheiten. Unter den unzähligen Gegenständen dieser Art erwähnen wir nur des neueren, an seinem 89. Geburtstage ihm zugekommenen Geschenks der Akademiker, Gebrüder Henschel in Breslau, ein Gemälde, ihn darstellend als Lehrer unter seinen berühmten Schülern und Freunden (darunter sein Bruder Wilhelm, Leopold v. Buch, Schloßhauptmann v. Buch, Lichtenstein, Chamisso, Ritter, Erdmann, Enke und Ideler); – eine Gabe, von einer poetischen, Goethe entlehnten Widmung begleitetet. Auch erfahren wir aus den Zeitungen, daß die Nicaragua-Societät zur Verbindung des atlantischen Oceans mit dem stillen Meere Schritte gethan hat, um Humboldt zu ihrem Ehren-Präsidenten zu ernennen.

In der bedeutenden Stellung, welche Humboldt in der ganzen Welt einnimmt, und wo alle Regierungen in der Unterstützung seiner Bestrebungen dem Geiste der Wissenschaft zu huldigen bereit sind, war es auch nur ihm möglich, die Erde mit einem Gürtel magnetischer Observatorien zu umgeben, wie es wirklich auf seine Anregung geschehen ist. Die weitere Förderung seiner Beobachtungen über die Abweichungen der Magnetnadel wurde für die Regierungen eine Ehrensache, und es genügte sein Antrieb, um über den ganzen mittleren Gürtel des Alterdlandes, von Peking bis Lissabon, eine Reihe von Stationen magnetischer Observatorien zu errichten, die seit 1840 erweitert und über die südliche Halbkugel der Erde bis zu den äußersten Grenzen des südlichen Polarkreises fortgeführt wurde.

Zwei Nationen, die deutsche und die französische, rühmen sich, an Humboldt einen klassischen Schriftsteller zu besitzen; denn in beiden Volkssprachen war er gleich groß in der erhabenen Einfachheit und Bildsamkeit seiner schriftlichen Darstellung. – Alle seine Schriftwerke zeichnen sich, obgleich darin oft Gegenstände behandelt sind, welche an sich trocken und durch strenge Aufzählung selbstredender Thatsachen wenig für eine schöne Form der Darstellung geeignet erscheinen, dennoch im Allgemeinen durch einen Styl aus, welcher in seiner Einfachheit und ungesuchten Wortstellung ebenso leicht, fließend und klar bezeichnend, als auch, wo es der Stoff gestattet, lebendig, anschaulich und erhaben ist. – Er wurde als ein Mann reiner Erfahrung, der nur die Thatsachen sucht, der Gründer einer neuen naturwissenschaftlichen Schule, die, im Gegensatze zu der früheren Spekulation und philosophischen Deutung der Natur, sich die exakte nennt und sich auf mathematische Grundsätze stützt. Deshalb haben alle seine wissenschaftlichen Darstellungen den Charakter der Sicherheit und bündigen Beweisführung, seine Naturschilderungen gleichen, ohne viele Worte zu gebrauchen, lebenswahren Landschaftsgemälden voll Naturtreue und Unmittelbarkeit der Eindrücke, und diese gewinnen noch dadurch an Reiz und Interesse, daß sie durchgehends mit geistreichen Auffassungen der Natur und ihrer großen Erscheinungen abwechseln, während dem erzählenden Theile seiner Reiseerlebnisse oft eine witzige, launige, selbst bis zum Humor gesteigerte Frische der Ansicht und des Urtheils eingewebt ist, und seine einfachen Bilder von Scenen aus dem Natur- und Volksleben oft eine poetische Erhabenheit erreichen. – Er beklagt selbst, daß es zu den Leiden der Gegenwart gehört, daß ein unseliger Hang zu inhaltloser, poetischer Prosa, zu der Leere sogenannter gemütlicher Ergüsse, gleichzeitig in vielen Ländern verdienstvolle Reisende und naturhistorische Schriftsteller ergriffen hat und Verirrungen dieser Art um so unerfreulicher sind, wenn der Styl, aus Mangel literarischer Ausbildung, vorzüglich aber aus Abwesenheit aller inneren Anregung, in rhetorische Schwülstigkeit und trübe Sentimentalität ausartet.

Gerade ihm ist jenes Talent besonders eigen, die Erhabenheit der Naturscenen durch eine, aller rhetorischen Ausschmückung entbehrende, unmittelbare Naturtreue wiederzugeben, mögen diese Reflexbilder nun den ruhigen oder stürmischen Ocean, die Savanen Mittelamerika's, die tropischen Urwälder, die Einöden. und Schluchten der peruanischen und mexikanischen Gebirgsketten, oder die von aller Vegetation entblößten Schneegipfel und hohen Vulkankrater darstellen. Wo er einen einzelnen Gegenstand, irgend eine Erscheinung, eine Entdeckung beschreibt, da behält er stets den Ueberblick der Natur im großen Ganzen vor Augen, kurz und treffend weiß er, ohne auch nur im Entferntesten in dichterische Ausschmückung oder Uebertreibung auszuarten, die Bewunderung für das Naturleben rege zu erhalten, mag er eine majestätische oder schauerliche Landschaft oder ein Mineral, eine Pflanze, ein Bildungsgesetz darstellen. Eben durch diese unverfälschte Treue der Reproduktion, der reinen Wiedergabe der Objecte, wie sie die Natur ihm vorgeführt hat und wie Geist und Gemüth davon normal, ohne krankhafte Sentimentalität oder subjektive Eigenheiten, berührt worden sind, fesselt Humboldt den Leser und führt ihn zu einer Anschauung der Tropenländer, daß man sich gern der Täuschung hingiebt, als hätte man diese Naturbilder selbst gesehen und nicht sie nur aus schriftlicher Schilderung kennen gelernt.

In der Darstellung seiner Reise nach den amerikanischen Aequinoktialgegenden trat er mit einer Methode der Darstellung auf, die, wenn auch durchaus nicht neu, doch gerade von ihm mit besonders glücklicher Wirkung angewandt und im hohen Grade kunstgerecht ausgebildet wurde. Diese Methode, welche seitdem manchen Nachahmer gefunden hat, besteht nämlich darin, daß er in der Erzählung seiner Wanderungen und Reiseereignisse häufig Unterbrechungen eintreten läßt, um über das Gesehene und Erlebte weitere Betrachtungen anzustellen und dem Leser erst Mittheilungen in allgemeinen Umrissen und im Hinblicke auf die Natur im Großen, über die vorläufig ermittelten Resultate seiner eigenen Untersuchungen zu machen und den Leser so – gewissermaßen auf Ruhepunkten der Reise – erst über das Bisherige aufzuklären und für das Verständniß des Künftigen vorzubereiten. Dadurch verlieren solche Reisedarstellungen, besonders wenn sie sich, wie gewöhnlich, an die persönlichen Ereignisse und Angelegenheiten des Reisenden anknüpfen, das Einseitige, Subjektive, namentlich aber das Eintönige, welches dann nur einen kurzen Schritt vom Langweiligen entfernt ist. – Humboldt liebt es nicht, seine Persönlichkeit in den Vordergrund zu stellen, er hat vielmehr immer den Zweck, der Erzählung, in welcher er selbst mit agirt, den Charakter des Wissenschaftlichen aufzudrücken, und als ganz besonders muß hervorgehoben werden, daß er immer deutlich zu erkennen giebt und unterscheiden läßt, was seine eigenen Früchte der Beobachtungen sind und was er aus fremden Quellen entlehnt oder zur Hülfe seiner Erklärungen herbeigerufen hat. Dieser Charakter seiner Darstellung ist ganz übereinstimmend mit seiner Anspruchslosigkeit und wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit, die eben so scharf seine Thatsachen, sein Eigenthum sondert und ordnet, um Alles an den rechten Ort zu stellen, als auch die Wissensschätze Anderer respektirt und ein offenes Darlehen benutzt, wo durch beiderseitigen Austausch für die objektive Wissenschaft Nutzen geschafft zu werden vermag. – Wenn Humboldt schreibt, dann – dies merkt man beim Lesen seiner Werke auf jeder Seite – drängt sich seinem glücklichen Gedächtnisse ein so ungeheures Material von Wissen auf, daß er so zu sagen immer vergleichend, citirend, berichtigend, bestätigend oder widerlegend denkt. Das gesammte Wissen ist allgegenwärtig vor seinem Geiste aufgeschlagen, während er vielleicht eine einzelne Thatsache seiner Erfahrung mittheilen will. Daher kommt es denn, daß seine Schriften, namentlich die eigentlich wissenschaftlich darstellenden, weniger erzählenden, neben dem fortlaufenden Texte seiner Hand, mit einem reichen, aus allen Wissenschaften und Zeitperioden gesammelten Anhange von Anmerkungen, Citaten, Vergleichen und Quellenangaben verbunden sind, der oft die Stärke des eigentlich darstellenden Textes übersteigt und sich an diesen wie eine werthvolle Perlenschnur an den zusammenhaltenden Faden anreiht. Und gerade aus diesen Anmerkungen lernt man die beispiellose Universalität, Belesenheit und Vergegenwärtigung seines Wissens bewundern.

Humboldt hat aber auch bei Abfassung seiner weltbekannten Werke einen klugen Takt zu beobachten gewußt. Er schrieb seine Werke ursprünglich in französischer Sprache, dem Mittheilungsmittel der gesammten civilisirten Welt, und machte es dadurch möglich, daß sie allen Nationen verständlich und mit großer Schnelligkeit bekannt und in die entferntesten Länder verbreitet wurden. Dadurch aber auch wurde die große Wirkung, welche seine Schriften auf das größere gebildete Publikum ausübten, sogleich eine allgemeine, in allen Nationen gleichzeitig erfolgreiche, nämlich indem sie den entschiedensten Einfluß auf eine schnelle Entwickelung des allgemein erwachenden Sinnes für Naturforschung und vergleichende Studien ausübten und das Interesse für Humboldt's Anschauungs- und Behandlungsweise der Naturerscheinungen mehr und mehr erweckten. – Seine Schriften sind auch vielfach in andere Sprachen übersetzt worden, wie zum Beispiel von Wimmer in das Deutsche, von Williams und Macgillioray in das Englische; einzelne Werke wurden unter Humboldt's Leitung in das Deutsche übertragen, z. B. seine asiatischen Reiseresultate von Mahlmann; andere wieder in Auszügen oder populären Bearbeitungen den Sprachen verschiedener Nationen einverleibt. – Ein in seiner Anlage großartiges, zur Zeit noch nicht vollendetes Werk, gleichsam ein Testament sechzigjähriger wissenschaftlicher Lebensarbeit, hat Humboldt in den letzten Jahren herauszugeben begonnen, eine Art von Vermächtniß an die Welt, dem wir in einem folgenden Kapitel unsere besondere Aufmerksamkeit widmen müssen.


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