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Erstes Kapitel.

Familienstamm. – Geburt. – Jugend. – Erste Entwickelung. – Universitätsjahre.


Die vorangeschickte Einleitung hat die geistige Persönlichkeit Humboldt's und deren bedeutsame, in das Gesammtleben der Geister und Völker als Civilisationsquellen hineinflutenden Lebensresultate zur übersichtlichen Anschauung bringen sollen. Wir schreiten nunmehr zu der Darstellung seines Lebens selbst, um ihn als Menschen, in den Zeit- und Raumstationen seiner Entwickelung und seiner gesellschaftlichen Lebensverhältnisse, in einem Gemälde zu portraitiren, aus dessen Gesammtausdrucke der Geist verständlich werden möge, der zur lebendigen Anschauung dieses bedeutenden Repräsentanten der Welterkenntniß und unserer nationalen Bildung führen kann.

Hervorragende Persönlichkeiten, in denen eine ganze Zeit oder Wissenschaft sich wiederspiegelt, sind nicht nur Zierden und Ehrennamen des Volkes, aus welchem sie hervorgegangen, sondern sie müssen als eigentliche Hochpunkte des nationalen Lebens anerkannt werden, in denen ebensowol Kunst, Wissenschaft oder politisches Bewußtsein ihren reinsten Ausdruck gefunden haben, wie sie auch gleichsam Quellen der Civilisation und Fortbildung ihres Volkes sind, welche sich in das Niederland des öffentlichen Lebens ergießen und durch Wissen, That und Beispiel veredelnd auf die Masse einwirken oder den fähigen Einzelnen zur Nacheiferung anregen. – Sei es der Mann des Staates, der Befreier seines Vaterlandes, sei es der Künstler, welcher durch seine Gebilde die Schönheit in das Leben einführt und die Sinne veredelt, sei es der Mann der Wissenschaft, welcher durch Auffindung des Wahren und Erweiterung des Erkenntnißkreises mitwirkt an der Entfesselung des Geistes aus Dummheit, Irrlehre, Vorurtheil und Aberglauben – sie Alle sind, durch ihre That für das Leben, auch ein geistiges Gesammteigenthum ihres Volkes geworden und jeder Einzelne hat ein Recht auf seinen Antheil an ihren für die Volksentwickelung gewonnenen Früchten der Bildung. Das Leben großer Persönlichkeiten ist für das Volk eine eben so wichtige Schule der Bildung, als Unterricht und die oft theuer erkaufte eigene Erfahrung. In einem solchen ausgezeichneten Leben vereinigen sich Wissen und That zugleich zum Vorbilde, und dieses dient dem Einen zur stillen Belehrung und sittlichen Erhebung, dem Andern zur offenen Begeisterung und gleichen Lebensrichtung.

Und ein solches Leben ist das, welches hier eine nähere Ausführung finden soll – das Leben Alexander von Humboldt's. – Es ist ein Lebensbild, dessen Anblick im großen Ganzen erquicklich ist durch die innere Harmonie, die edle, heitere Ruhe und gleichmäßige Vollendung aller Anlagen zu einem schönen Gesammtcharakter menschlicher Persönlichkeit – aber wenn wir tiefer in dieses friedliche Lebensbild eindringen und die einzelnen Momente kennen lernen, die dasselbe, bis in ein ehrwürdiges Greisenalter hinein, hervorgebildet und das Einzelne zum Ganzen vereinigt haben, dann treffen wir auf ein Leben voll unermüdlicher, angestrengtester Forschungen und gefahrvoller Unternehmungen, wir lernen erkennen, daß dieses Leben im Dienste der Wissenschaft und Fortbildung menschlicher Kenntniß ein eben so bewegtes, arbeitsames und mühevolles wie zugleich glückliches war und ist – und daß die Gunst des äußern Schicksals (das schon an der Wiege des Kindes und auf dem Wege des Knaben die dunkle Wolke der Sorge fern hielt) nicht im Stande war, die Anlagen zur höheren Arbeit einzuschläfern, sondern daß vielmehr der Jüngling freiwillig und im Drange nach Lebenserweiterung den ruhigen Genuß glücklicher Verhältnisse von sich wies, um sich in die Arbeit des Lebens zu begeben und im Dienste der Wissenschaft durch Mühe und Gefahr eigene Lebensfrüchte zu erringen und sie der Welt darzubieten.

Wer im deutschen Volke – und triebe er auch im Strome der großen Masse – hätte nicht schon den Namen Alexander von Humboldt nennen hören oder selbst ausgesprochen, da sogar fremde Nationen sich seines Namens rühmen möchten? – Jeder Gebildete, und wäre er auch der Person des berühmten Mannes oder den manchfaltigen Wegen seines geistigen Gebietes nicht unmittelbar näher gekommen, achtet ihn doch, ist stolz auf ihn, als einen berühmten Träger höheren geistigen Bewußtseins und ehrt damit Wissen und Bildung im Allgemeinen, indem er in ihm den Mann erkennt, der, wie wenige Menschen, die Grenzen des menschlichen Wissens nach so vielen Richtungen hin zu erweitern vermochte.

Das altadelige Geschlecht von Humboldt schreibt seinen Ursprung aus Hinterpommern her, wo es in früheren Zeiten Güter besaß, welche unter der Herrschaft des Fürstenthumes Camin und im Neu-Stettiner Kreise gelegen waren. Für Freunde der Heraldik geben wir hier die Beschreibung des von Humboldt'schen Familien-Wappens. – Es besteht aus goldenem Schilde, das einen, zwischen drei Sternen stehenden, grünen Baum zeigt; auf dem Helme steht zwischen zwei Adlerflügeln ein geharnischter, das Schwert in der Hand haltender Ritter, der bis zu den Schenkelschienen sichtbar ist.

Aber schon zur Zeit, als Preußen in den Besitz jener Landstriche gelangte, dienten Sprößlinge dieses alten Familienstammes als diplomatische Beamte und als Militärpersonen dem Markgrafen von Brandenburg und es übersiedelte die Familie aus Hinterpommern in das Magdeburgische, wo sie sich neue Besitzthümer erwarb.

Zu den Zeiten Friedrich Wilhelm des Ersten diente im Heere dieses Fürsten ein Kapitän Hans Paul von Humboldt, welcher sich mit der Tochter des preußischen Obristen und Generaladjutanten von Schweder verheiratete und drei Söhne zeugte, von denen Alexander Georg ganz besonders unser Interesse in Anspruch nimmt, da er der Vater unsers berühmten Alexanders ist. –

Freiherr Alexander Georg von Humboldt, 1720 geboren, diente lange Zeit im Finckenstein'schen Dragonerregimente, wurde, darauf Major und während der Zeit des siebenjährigen Krieges Adjutant des Herzogs Ferdinand von Braunschweig, der ihn auch oft zu mündlichen Rapporten an Friedrich den Großen absandte. – Major von Humboldt war Erbherr auf Hadersleben und Ringenwalde und nahm später noch das Schlößchen Tegel, zwischen Berlin und Spandau, drei Stunden nordwestlich von Berlin von dem königlichen Forstdepartement in Erbpacht. Tegel war ursprünglich ein Jagdschlößchen des großen Kurfürsten und noch unter Friedrich dem Großen war daselbst ein königliches Forstrevier. – Dieses Schloß ist in späteren Zeiten für die Familie wichtig geworden, und der Major fand dort schon früh den Ort, wo er sich, aus dem unruhigen Leben zurückgezogen, für das spätere Alter einrichtete, aber leider durch frühen Tod abgerufen wurde. Als nämlich der siebenjährige Krieg zu Ende war, ernannte 1765 Friedrich der Große den Major von Humboldt zu seinem Kammerherrn, zugleich wurde er zum dienstthuenden Kammerherrn bei Elisabeth, der neuvermählten Prinzessin von Preußen, bestimmt und mußte dieses Dienstes wegen in Potsdam leben. Als aber diese, keineswegs zufriedene Ehe des Prinzen von Preußen getrennt und die Prinzessin nach Stettin gebracht worden war, vertauschte auch der seines Dienstes entledigte Major von Humboldt Potsdam mit Berlin und lebte theils hier, theils auf seinem drei Stunden entfernten Schlößchen Tegel. Er hatte aber die Gunst des Prinzen keineswegs verloren, denn dieser, der nachherige König Friedrich Wilhelm II., besuchte ihn von nun an alljährlich einmal in Tegel, und es darf als eine Gewißheit betrachtet werden, daß er den Major, hätte dieser den Regierungsantritt des Prinzen erlebt, zu irgend einer bedeutenden Stelle in der Staatsverwaltung, vielleicht zur Bildung eines neuen Ministeriums, berufen haben würde.

Der Major von Humboldt hatte sich mit der Wittwe eines Baron von Holwede, einer geborenen von Colomb (Cousine der Fürstin von Blücher und Nichte des bejahrten Präsidenten von Colomb in Aurich) verwählt. Aus ihrer ersten Ehe war ein Sohn vorhanden, welcher als Offizier im Gens-d'armes-Regimente diente. Die Familie von Colomb stammt aus Burgund, wo sie namentlich durch den Aufbau großer Glashütten sich bekannt machte, mußte dann durch die Widerrufung des Edictes von Nantes auswandern und kam nach Deutschland.

Aus der Ehe des Majors mit der verwittweten Baronin von Holwede gingen zwei Söhne hervor. Der älteste, Karl Wilhelm, wurde am 22. Junius 1767 zu Potsdam geboren, als der Vater noch Kammerherr bei der Prinzessin Elisabeth von Preußen war – der jüngere Sohn: Friedrich Heinrich Alexander, derjenige, dem wir hier unsere besondere Aufmerksamkeit widmen, kam zwei Jahre später, am 14. September 1769 in Berlin zur Welt.

Das Schloß Tegel übte die ersten heimatlichen Lebenseindrücke auf beide Knaben aus; hier verlebten sie gemeinschaftlich einen großen Theil ihrer Jugendjahre und es haftete an diesem Schlosse eine geheimnißvolle Sage, eine Romantik, die schon Goethe im Faust benutzte, um gegen den Aufklärer Nicolai seine Abneigung zu erkennen zu geben.

In dem Jahre 1797 soll im Schlosse Tegel ein Geist umgegangen sein, und Nicolai hatte dagegen eine spöttelnde Vorlesung in der Berliner Akademie gehalten. Goethe, der ein Feind Nicolai's war, weil dieser den »Werther« angegriffen hatte, läßt im Faust den Nicolai, als Geist der Plattheit, die Walpurgisgeister also anfahren:

»Ihr seid noch immer da? Nein, das ist unerhört!
Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklärt!
Das Teufelspack, es fragt nach keiner Regel,
Wir sind so klug – und dennoch spukt's in Tegel

Das jetzige Schloß ist nicht mehr das alte – vielmehr eine neue Schöpfung des Erben Wilhelm, des Bruders unsers Alexander, der hier sein Leben begann und endete und in den Jahren seines Mannesalters ein neues Haus baute, das, um einen alten Thurm zu retten, von allen vier Ecken sich thurmartig erhob und einst sein Tusculum war, aber nunmehr sein Grab ist. – Das alte Schloß, wo beide Knaben ihre Jugendwelt fanden, war grau und altertümlich; der Zeitgenosse des Major von Humboldt, ein preußischer Forstrath von Burgsdorf, der seinen Amtssitz in Tegel hatte, war hier durch Anlage von Pflanzungen und Baumschulen, die damals Aufsehen machten, sehr thätig für die Verschönerung des Ortes gewesen und der neue Besitzer hatte Schloß und Vorwerk noch während dieser Zeit in Erbpacht genommen. – In einer anmuthigen Gegend, von Berlin durch einen ernsten Kiefernwald getrennt, liegt Tegel nordöstlich an einer Ausbreitung der Havel, die man Tegeler See genannt hat. Gegenüber, am andern südlichen Ufer ragen Stadt und Festung Spandau hervor und die Hügeldämme, welche den See nordwestlich begrenzen, sind reich mit Buschwerk und Waldung bewachsen, während Spaziergänge und Gartenanlagen die manchfaltigsten und schönsten Aussichten gewähren.

Das alte Schloß war, so lange der Major von Humboldt dort die Herrschaft führte, ein Ort der bereitwilligsten Gastfreundschaft gewesen und die heranwachsenden Knaben sahen hier in frühester Jugend nicht allein ihren Vater die Ehre des Prinzenbesuches genießen, sondern auch manchen Offizier, Staatsmann und Gelehrten einkehren und gastlich empfangen werden. So war es auch im Mai 1778, daß Goethe, welcher seinen Herzog nach Berlin zu einem großen Manöver begleitet hatte, ebenfalls um diese Zeit auf Tegel erschien, indem er eines Morgens zu Fuß von Berlin über Schönhausen nach Tegel ging, dort zu Mittag speis'te und über Charlottenburg seinen Rückweg nach Potsdam nahm. – Damals sahe er hier auf Tegel zwei muntere Knaben von zehn und acht Jahren und er ahnte nicht, in welche innige, geistige und gemüthliche Beziehung er zu beiden, namentlich zum ältesten gerathen würde.

Die Erziehung und erste Vorbildung dieser beiden Knaben fiel in eine Zeit, wo die Pädagogik neben dem Aufblühen der Sprach- und Alterthumswissenschaften zu einer Tagesfrage gehörte. Die neuen Erziehungsmethoden, für welche Rousseau damals auftrat, hatten namentlich in Preußen einen schnellen Eingang gefunden; es ging der Domherr von Rochow auf Rekahn mit ermunterndem Beispiele einer Erziehungsreform vorauf, der bekannte Gedike wirkte dafür in Berlin, Joachim Heinrich Campe, ein geborener Braunschweiger, damals Feldprediger beim Regiment des Prinzen von Preußen in Potsdam, trat den neuen Fortschritten in der Unterrichtsmethode bei. Basedow und das Philanthropin, eine Anstalt in Dessau, bildeten nach neuem Systeme des Rousseau'schen Prinzip's, Erzieher und Hofmeister aus; es wurde selbst für die höheren adligen Familien eine Ehren- und Modesache, im allgemeinen Erziehungseifer der Zeit, Hauslehrer zu nehmen, Welche das Praktische und Nützliche mit dem von Heyne in Göttingen ausgegangenen Auffrischen der alten Sprachen, namentlich der griechischen, zu verbinden wußten, und so blieb auch diesen Einflüssen der Major von Humboldt nicht fremd. Er lernte den damaligen Feldprediger des Prinz von Preußen-Regimentes zu Potsdam, Campe, als einen Mann kennen, der zur Pädagogik sich weit mehr als zur Theologie hingezogen fühlte – und nahm diesen, nachdem derselbe seit 1773 dem Regimente als Geistlicher vorgestanden hatte, im Jahre 1775 in sein Haus, um ihm die erste Erziehung seiner beiden Söhne, Wilhelm und Alexander, anzuvertrauen. – Es läßt sich denken, daß der jüngere Alexander, der etwa 6 Jahre alt gewesen sein muß, weniger von dem Einflusse Campe's erfahren hat, als der zwei Jahre ältere Wilhelm, es ist aber der nachhaltige Einfluß auf beide Brüder dennoch nicht zu verkennen, indem die Richtung Campe's sich in den Zöglingen, wenn auch in großartigeren Zügen, später wiederspiegelte. Campe, der in späterer Zeit, nächst Klopstock den bedeutendsten Ruf als Sprachtheoretiker und Kenner des deutschen Styles hatte, der sich also auch als Hauslehrer im Humboldt'schen Hause gewiß vorzugsweise auf Sprachforschung gelegt haben wird – konnte gerade dieser Campe nicht den frühen Grund in die beiden Knaben legen und den ersten Trieb wecken, der beide zeitlebens nicht verließ und auf Sprachforschung gerichtet war? – Aber noch eine andere Beziehung dieses ersten Einflusses jenes Erziehers auf das Leben seiner Zöglinge, namentlich des jüngsten, wird uns hier bedeutungsvoll. Campe, der klar eingesehen hatte, daß die bisherige, in Deutschland gültige Erziehungsmethode und Volksbildungsschule nur auf Beschäftigung des Gedächtnisses, aber nicht auf die des Verstandes abgesehen war, der sich von Anfang an gegen die maschinenmäßige Abrichtung der Jugend aussprach und darauf ausging, die Empfänglichkeit des jugendlichen Geistes und Gemüthes durch Anschauung der Welt, fremder Natur, Menschen und Sitten zu entwickeln, er, welcher den Robinson herausgab und die Kinderwelt mit phantasiereichen Bildern kühner Seefahrten und neuer Weltgegenden bereicherte – sollte dieser Mann, als erster Erzieher der Gebrüder Humboldt, nicht schon auf die Phantasie und Vorstellung seiner jungen Zöglinge gewirkt und namentlich in Alexander den Grund zu dessen mächtigem Triebe zu Entdeckungsreisen in überseeische Länder gelegt haben?

Aber nicht lange blieb Campe in dem persönlichen Verhältnisse eines Hofmeisters im Humboldt'schen Hause, wenn auch sein geistiger Einfluß ein lebenslänglich nachhaltiger gewesen war und die Bekanntschaft zwischen erstem Lehrer und einstigem Zöglinge eine dauernde und in späteren Jahren wieder näher führende blieb, da uns bekannt ist, daß Campe mit dem ältern Humboldt im Sommer 1789 von Göttingen aus eine Reise nach Paris machte. Nicht mit Gewißheit ist dagegen zu ermitteln gewesen, ob Campe schon als Hofmeister im Humboldt'schen Hause mit beiden Knaben eine Reise durch Deutschland und die Schweiz gemacht habe, was später einmal in dem Schiller'schen Kreise zu Jena behauptet worden war.

Schon im Jahre 1776 hörte die Stellung Campe's als Hofmeister der beiden Knaben auf, da er bereits einen solchen Ruf als Erzieher sich erworben hatte, daß er, nach dem Abgänge des berühmten Basedow, zum Director des Philanthropins zu Dessau berufen und mit dem Titel eines Anhalt-Dessauischen Educationsrathes geehrt wurde, eine Stelle, die er aber nur ein Jahr bekleidete, um dann in Hamburg seine berühmt gewordene Privat-Erziehungsanstalt zu stiften.

Es war nun an der Zeit, daß sich der Major von Humboldt nach einem andern Hauslehrer umsah und seine Wahl fiel zu Anfang des Jahres 1777 auf einen zwanzigjährigen Jüngling, der freilich ohne den Ruf seines Vorgängers im Erziehungswesen, aber doch bei dem Major große Erwartungen erregt hatte, die er in der That vollkommen erfüllte. Er hieß Christian Kunth, war arm und hatte sogar aus Mangel an den erforderlichen Mitteln seine akademischen Studien abbrechen müssen. Indessen besaß er ausgezeichnete Kenntnisse in der deutschen, lateinischen und französischen Literatur, in Philosophie und Geschichte, so wie überhaupt eine höhere Geistesbildung und auch eine Uebung, in vornehmen, ausgewählten Kreisen sich zu benehmen, worin er als Unterrichtgeber Eingang gefunden hatte. Auf diesem Wege lernte ihn auch der Herr von Humboldt kennen und nahm ihn, als eine damals ehrenvolle Auszeichnung und Kundgebung großen Vertrauens, als Erzieher seiner Söhne in sein angesehenes Haus. Hier traf der junge Mann seine Zöglinge in dem Alter von zehn und von acht Jahren an – und er verstand es, die von seinem Vorgänger Campe geweckten Anlagen in dem Geiste und Gemüthe seiner Pflegebefohlenen weiter zu entwickeln und zur Reife zu bringen. Er trat zu ihnen in ein inniglicheres Verhältniß, als das eines Lehrers zum Schüler, er übte auf sie eine größere Sorgfalt, als die ist, welche ein Hofmeister tut treuen Eifer durch Uebertragung eigenen Wissens auf den Geist seiner begabten und empfänglichen Schüler erfüllt – Kunth bestrebte sich vielmehr, Alles, was seine Umgebung, namentlich Berlin, an Mitteln zur Ausbildung besaß, für die Entwickelung seiner Zöglinge nützlich und fruchtbringend zu machen. Der Erfolg dieser Bemühungen befestigte nicht allein das Vertrauen der Eltern, sondern weckte in den Knaben eine reine unauslöschliche Liebe zu ihrem Führer und eine Anhänglichkeit und Zuversicht, die durch das spätere Mannesalter hindurch bis zu seinem Tode im Jahre 1829 in gleich hohem Maße fortdauerte, und wenn Alexander später auf seinen großen Entdeckungsreisen weilte, oder der ältere Bruder sich auf den Ruinen der classischen Vorwelt aufhielt, dann war es immer der treue, einstige Lehrer und spätere Freund Kunth, welcher Hab und Gut der Brüder in der Heimat mit väterlicher Gewissenhaftigkeit verwaltete.

Kunth wirkte darauf hin, in seinen Schülern den angeborenen Drang nach Universalität (Gesammtheit des Wissens) zu befriedigen und zu fördern, aber dabei stets mit Gründlichkeit zu verbinden – und wenn Campe in ihnen den Sinn für Sprachforschung und Weltkunde geweckt hatte, so machte Kunth diese Richtungen fruchtbar durch gründliches Eindringen in das Gesammtwissen. – Beide Brüder folgten bald, ihrer eigenthümlichen Natur nach, besonderen Richtungen ihrer Entwickelung, beide aber wurzelten in einem und demselben Grunde, in einer gleichen Heimat, denn während der ältere Bruder das Innere der Menschheit, die geistige Welt und ihr besonderes Element, die Sprache – zum Gegenstande seiner Lebensarbeit machte, war es im jüngeren Alexander das Aeußere der Natur- und Menschenwelt, in allen Formen ihrer Erscheinung – und während also der Aeltere für classisches Alterthum, Kunst, Philosophie und Sprache sich ausbildete, wendete sich Alexander, obgleich kränkelnd und dem gemeinsamen Unterrichte mit dem schnell sich entwickelnden älteren Wilhelm nur durch anfänglich verdoppelte Anstrengung folgend, den gesammten Naturwissenschaften zu. Beide aber, auf gleichem Boden wurzelnd, berührten und förderten sich stets in den Punkten ihrer ursprünglichen Gemeinschaft.

So wirkte Kunth auf seine jungen Zöglinge; aber auch auf ihn selbst, den Erzieher, konnte dieses Verhältniß nicht ohne mächtig fortbildenden Einfluß bleiben. Das Haus des Kammerherrn und Major von Humboldt vereinigte in sich Ansehen, Bildung, geistreichen Umgang und Einfluß. Kunth wurde, weil er das Vertrauen im höchsten Grade besaß, als ein Mitglied der Familie mit herangezogen, selbst mit Aufträgen in Besorgung von praktischen Geschäften der Familie und ihren äußeren Angelegenheiten und Interessen betraut, und so bildete sich in ihm eine Lebenspraxis aus, die ihm in späterer Zeit, wie wir bald sehen werden, für eine Anstellung im Staate empfahl.

Ein harter Schlag traf aber bald die Familie von Humboldt, in welcher Kunth seit 1777 Erzieher war. – Im Januar 1779 starb der Major und die beiden Söhne wurden vaterlos. Um so mehr wirkte jetzt der mütterliche Einfluß und neben dem edlen Vertrauen, welches die nunmehr verwitwete Majorin dem Hauslehrer Kunth erwies und ihn fast in väterliche Rechte über die Knaben einsetzte, war es zugleich die hohe Gesinnung der Frau, welche das ganze Familienleben wohlthuend beherrschte und die Kinder, deren Fortbildung ihr treu am Herzen lag, zu einer begeisterten Liebe zu ihr anfeuerte.

Um diese Zeit war ein neuer geistiger Einfluß in das Leben der Knaben gekommen. Seit dem Jahre 1776 lebte in Spandau ein Physikus, der auch bald Kreisphysikus des Havellandes wurde und eine bedeutende Praxis hatte. Dieser Mann war Niemand anders, als der Doctor Ernst Ludwig Heim, der später so berühmt gewordene Berliner Arzt und Universitätslehrer. Vielleicht mochte die Erkrankung des Major von Humboldt seine nähere Bekanntschaft in der Familie vermittelt haben, wir wissen, daß er als Arzt der Familie Humboldt und der Familie des Oberforstmeisters von Burgsdorf, welcher als königlicher Beamter in Tegel wohnen mußte, oft von Spandau aus das benachbarte Dorf und Schloß besuchte und es auch gewesen war, welcher dem Oberforstmeister mancherlei neue Kenntnisse von ausländischen Bäumen und Zucht fremder Hölzer mitgetheilt und für die an Ort und Stelle angelegte Baumschule nützlich gemacht hatte. Sein öfterer Besuch bei der Familie Humboldt schreibt sich eigentlich erst aus dem Jahre 1780 her, wo er auch in eine nähere, freundschaftliche Verbindung mit Kunth, dem Erzieher im Hause, trat. Diese Besuche, welche Heim gewöhnlich zu Pferde machte und die ihn an den Mittagstisch der Frau Majorin führten, erhielten namentlich im folgenden Jahre eine Bedeutung für uns, daß Heim nach Tisch die beiden Knaben Wilhelm und Alexander in den Anfangsgründen der Botanik unterrichtete und ihnen die 24 Klassen des Linné'schen Pflanzensystems erklärte. Und merkwürdig bleibt eine Aeußerung Heim's aus jener Zeit, daß nämlich der ältere Knabe diesen Unterricht sehr leicht gefaßt und die botanischen Namen gleich behalten habe, während der 11jährige Alexander sehr schwer im Begreifen gewesen sei, eine Erscheinung, die sich auch anderweit und später mehrfach herausgestellt und sogar Mutter und Hofmeister eine Zeit lang besorgt gemacht hatte, daß sich Alexander »wol gar nicht zum Studiren eigene.«

Mit dem Physikus Heim machten beide Brüder auch kleine Excursionen in die Umgegend und es ist bekannt, daß 1783 am 19. Mai, an dem Friedrich der Große alljährlich seine Truppen in Spandau musterte und die ganze Bevölkerung dieser Gegend auf dem Platze zu finden war, auch Heim mit den »Tegel'schen Freunden« – Kunth und seinen beiden Zöglingen – die Revue mitmachte. Heim war 1783 schon in Berlin wohnhaft und mußte deßhalb seine Freunde aus Tegel abgeholt oder sie schon in Berlin gefunden haben.

Um diese Zeit nämlich wurden auch die Brüder mit ihrem Erzieher nach Berlin geschickt, um durch die dort vorhandenen Mittel den Unterricht weiter auszudehnen. – Wilhelm, der Aeltere, trieb vornehmlich die alten Sprachen und da er, wie sein Bruder, keine der dortigen Schulen besuchte, so wurden Hauslehrer genommen, welche Kunth wählte und die ihn in den speziellen Fächern ergänzen sollten. Im Allgemeinen hatte Alexander die Lectionsstunden mit seinem zwei Jahre älteren Bruder gemeinschaftlich, doch wurde auf seine Theilnahme weniger ernstlich Rücksicht genommen, weil er körperlich schwächer als Wilhelm war und, da das Lernen ihm schwer wurde und es ihm erst im spätern Knabenalter »plötzlich licht im Kopfe« geworden sein soll, so hatte er eine weit größere Anstrengung als sein Bruder nöthig, um mit diesem im gleichen Fortschritte der gemeinsamen Erziehung zu bleiben. In der That war Alexander körperlich leidend und fast immer kränkelnd (selbst noch in seinen Universitätsjahren), und es lag in der Natur der Sache, daß Kunth weniger scharf auf dessen Unterrichtsgang hielt, zumal man immer noch den Zweifel an seinen Fähigkeiten nicht verloren hatte, wenn man sie mit den raschen Fortschritten Wilhelms verglich. Alexander leitete seine Kränklichkeit in späteren Jünglingsjahren von einem Uebermaße verdorbener Säfte her, die sich von Zeit zu Zeit anhäuften, indessen versichern seine damaligen Freunde, unter Anderen Forster, daß Alexanders Körper nur in Folge zu großer, früher Thätigkeit des Geistes leidend geworden und diese Ueberanstrengung wieder in dem Streben begründet gewesen sei, in der Entwickelung und den Kenntnissen seinem ältern Bruder es gleich zu thun.

Von Löffler, dem spätern Gothaischen Consistorialrathe, damals Feldprediger des Berliner Gensd'armen-Regiments, der bereits ein freisinniges Buch über Kirchenväter und den Neu-Platonismus herausgegeben hatte, empfingen sie Unterricht im Griechischen und nach ihm setzte diesen Lehrzweig ein gewisser Fischer, vom grauen Kloster in Berlin, fort, der eigentlich nur als Mathematiker bekannt war, aber doch im Stillen bedeutende Kenntnisse im Griechischen besaß. Das Talent für alles Sprachliche, was sich hier schon im älteren Bruder bekundete, leitete, neben den classischen, auch bald auf den Unterricht in neueren Sprachen hin, während jetzt schon bei Alexander die Neigung für das Naturstudium erwachte und auf seinen Wunsch der junge Willdenow ihn in der Botanik, insbesondere über Kryptogamen (Moose, Flechten, Pilze u. ähnl.) und Gräser, welche den Schüler vorzugsweise fesselten, unterrichtete. Kunth strebte immer mehr dahin, durch Privatvorträge im Wissenschaftlichen seine Zöglinge, die nunmehr zu Jünglingen herangewachsen waren, auf eine würdige Weise in das künftige akademische Leben einzuführen; er engagirte Männer, wie die Aesthetiker und populären Philosophen Engel, Klein, den Statistiker und Publizisten Dohm u. A., welche beiden Brüdern ausführliche Collegia über Philosophie, Rechts- und Staatswissenschaft hielten und namentlich vermochte Dohm – der nämlich Arbeiter im Departement des Auswärtigen war – tieferen Einfluß auf sie zu gewinnen. Der Minister von Schulenburg verlangte von ihm, eine Reihe statistisch-politischer Vorlesungen bei einem jungen Grafen von Arnim zu halten und auf den Wunsch der Majorin von Humboldt nahmen auch deren Söhne an diesen Privatvorlesungen, welche in Form von Universitätscollegien im Herbst 1785 ihren Anfang nahmen und bis zum Juni des folgenden Jahres dauerten, Antheil. Diese nach einem besonderen Entwurfe mühsam ausgearbeiteten Vorträge führten Dohm in ein Verhältniß zu den Gebrüdern Humboldt, welches noch im späteren Mannesalter Beweise der gegenseitigen Zuneigung offenbarte.

Jetzt aber entwickelte sich schon die persönliche Eigenthümlichkeit im Charakter der beiden Brüder. Es war die Zeit, wo der früher erschienene »Werther« von Goethe in seiner Einwirkung auf die sentimentale Empfindlichkeit des Volkes eine neue Nahrung in dem hochfliegenden Enthusiasmus des Schiller'schen Don Carlos gefunden hatte; die ganze gebildete Welt schwärmte in Gefühlen, in Idealen, und es gehörte die Sentimentalität zu dem guten Tone der höheren Gesellschaft, namentlich der Jugend. Besonders verfiel der ältere Wilhelm dieser Richtung, die durch den Umgang desselben vermehrt wurde, da er durch seine Gespielen und Genossen im Tanzunterricht insbesondere mit weiblichen Persönlichkeiten in nähere Bekanntschaft trat, die durch ihren späteren geistigen Schwung bekundet haben, wie sie schon in der Jugend einen empfindelnden Eindruck auf eine dafür empfängliche Jünglingsnatur machen mußten. Hierher gehören Fräulein von Briest (später an von Rochow, dann an von Fouqué verheiratet), ferner die bekannte Rahel, dann Henriette Herz, eben so schön als geistreich, mit welcher Wilhelm sogar in ein geschwisterlich vertrautes Verhältniß gerieth. Diese Sentimentalität des ältern Bruders, die denselben noch auf der Universität charakterisirte und seinem späteren Leben den schwärmerischen Zug zurückließ, eine Sentimentalität, welche, mit Geist verbunden, namentlich in den Berliner israelitischen Kreisen sich als ein Nachhall der Mendelssohn'schen Zeit kund gab, fand in dem körperlich leidenden Alexander weniger Empfänglichkeit, und obgleich die Empfindelei der Gefühle selbst seinen Hofmeister Kunth ansteckte, so trat doch in ihm die beobachtende Richtung des Geistes heraus und er beschäftigte sich jetzt schon mit der Natur, für deren Erscheinungsformen er einen offenen Sinn bekunde; denn während Wilhelm zum Beispiel den ästhetischen Bestrebungen der Zeit, namentlich denen Schiller's und Goethe's nachging, forschte Alexander den naturwissenschaftlichen Arbeiten Goethe's nach und suchte dessen Wissen für die Erkenntniß der Naturerscheinungen anwendbar zu machen.

So verlebten beide Brüder gemeinschaftlich eine anregende, glückliche Zeit ihrer frühesten Entwickelung als Jünglinge, theils in der von Bildungsmitteln so reichen Hauptstadt, theils unter dem heimatlichen Einflüsse und Schutze einer geliebten Mutter auf dem Familiensitze Tegel, und ihre Abstammung von einer der bedeutendsten Geschlechter wie ihr eigenes Streben öffnete ihnen leicht die reichsten Quellen. Von diesem Gesichtspunkte aus sind beide Humboldts begünstigte Kinder des Glückes, denn sie haben niemals die irdische Sorge, das Schmachten des nach Wissenschaftsmitteln strebenden Geistes und dessen Ringen nach Gelegenheit zur Anwendung des Errungenen kennen lernen, was manchen armen, oder aus unscheinbarer Familie stammenden, talentvollen Jüngling niederbeugt oder gänzlich lähmt. Einen Eindruck, der ihr ganzes Leben hindurch nachhaltig in beiden Brüdern blieb, können wir auch hier in dieser Zeit begründet finden, nämlich die preußische Vaterlandsliebe. Vor ihrer Kindheit stand, wie ein hehres Bild der Heimat, die Person Friedrichs des Großen und mit ihm die Ideenreformation und der Siegesruhm Preußens. Friedrich starb am 17. August 1786; ein Jahr nachher, im Herbst 1787, standen beide Brüder im Begriffe, Berlin zu verlassen und eine Universität zu beziehen; durch ihre Entfernung von der Hauptstadt wurden sie bewahrt, unmittelbare Zeugen der beginnenden Schwäche, inneren Staatsauflösung und sittlichen Verderbniß zu werden, welche mit jener platten Verstandes-Aufklärungssucht Hand in Hand ging, deren Verbreitung über Berlin die Nachfolger des Buchhändlers Nicolai sich angelegen sein ließen. Es war ein trockener Lebensboden in der Heimat, dessen Einfluß glücklicher Weise beide Brüder nicht berührte.

Gemeinschaftlich, wie die erste Vorbildung, traten beide Brüder auch ihr akademisches Leben an. Die Universität zu Frankfurt an der Oder, welche damals einen großen, vaterländischen Ruf hatte, wurde zunächst für die fernere Ausbildung und namentlich zum Beginne der Berufsstudien gewählt. Im Jahre 1787 zu Michaelis reisten sie mit ihrem Erzieher und nunmehrigen Freunde Kunth dahin ab. – Wilhelm hatte sich der Rechtswissenschaft, Alexander aber, seiner immer entschiedener hervortretenden Richtung gemäß, den Kameralwissenschaften gewidmet, da ihm die Staatswirthschaftslehre für seine naturwissenschaftlichen Neigungen am Nächsten lag. Ihr ehemaliger Lehrer zu Berlin, Löffler, welcher inzwischen hier in Frankfurt Professor geworden war, nahm die beiden Brüder nebst Kunth in sein Haus auf, und während Jeder derselben den begonnenen Fachwissenschaften oblag, trieben sie gemeinschaftlich ihre philosophischen, sprachlichen und auch naturwissenschaftlichen Studien fort; denn auch an letzteren nahm Wilhelm aus besonderem Interesse, wenn auch von einem andern Gesichtspunkte aus, Antheil.

Die Wahl der Universität Frankfurt hatte wol vorzüglich ihren Grund in der Mutter, welche ihre Söhne in der Nähe behalten und nicht so schnell aus den Augen verlieren wollte; deswegen gab Kant, der berühmte Philosoph seiner Zeit, welcher in Königsberg docirte, bei der Universitätswahl weniger den Ausschlag bei der Majorin von Humboldt. Es lag aber zugleich im Hintergründe des mütterlichen Planes die Absicht, ihre Söhne zunächst nur zur Vorbereitung auf den künftigen Staatsdienst nach Frankfurt zu schicken, dann aber, zur höheren Ausbildung diejenige Hochschule folgen zu lassen, welche damals den allgemeinsten Ruf besaß, nämlich Göttingen, – da Leipzig und Halle schon von ihrer Ruhmeshöhe herabgesunken waren und Jena seine Glanzperiode erst in einer späteren Zeit erreichte.

In Frankfurt wurde der hier von 1786-88 studirende Graf Dohna ein näherer Freund der Gebrüder Humboldt, der aber, seiner vorzugsweise classischen Nebenstudien wegen, namentlich den älteren Bruder an sich fesselte, der, nebst Rhediger, mächtig auf ihn einwirkte und auch mit ihm wieder in Göttingen zusammentraf.

Für Alexander, welcher nur bis zu Ostern 1788 in Frankfurt blieb, dann den nächsten Sommer und Winter in Berlin verweilte, um Fabriktechnik kennen zu lernen, mit Willdenow Botanik zu treiben und sich, wie er selbst erklärte, mit der griechischen Sprache ernsthafter zu beschäftigen, konnte gewiß nichts erwünschter sein, als die im Frühjahr 1789 stattfindende Uebersiedelung nach Göttingen, denn hier glänzte eine Größe in denjenigen wissenschaftlichen Gebieten, für welche er immer mehr den natürlichen Sinn in sich verspürte – hier lebte und lehrte Blumenbach, der berühmte Naturforscher, der alle Reiche des Naturlebens nach Formen und Wesen mit leuchtendem Geiste überschaute und ordnete, hier wirkten die Naturhistoriker Beckmann, Lichtenberg und Link, hier lebte Heyne, der Lehrer und Wiederbeleber der Alterthumswissenschaft, es wirkte hier Eichhorn als Geschichtslehrer.

Alterthumswissenschaft und Geschichte waren die Gebiete, auf denen sich beide Brüder wieder gemeinschaftlich betätigten; die classische Vorzeit mit ihren philologischen und Kunst-Studien fesselte Beide; die Geschichte mit ihren philosophischen Anschauungen zog Wilhelm dahin, wo Alexander die Erd- und Völkerkunde auf geschichtlichem Boden sammelte – und während Wilhelm sich mit classischer Literatur und den Schriften des Philosophen Kant vertrauter machte, gab sich Alexander der belehrenden und persönlichen Einwirkung Blumenbach's hin, aber beide Brüder fanden wieder ihren gemeinschaftlichen Mittelpunkt in dem näheren und befreundeten Umgänge des Professors Heyne, der die jungen Männer schätzen lernte und den größten Einfluß auf ihre ferneren Studien ausübte. Hier unternahm Alexander den ersten Versuch einer literarischen Arbeit, deren Gegenstand »die Weberei der Griechen« dem Einflusse des fleißigen Besuches des Heyne'schen Seminars entsprungen war; wie wir aus des ältern Bruders Briefwechsel erfahren, hatte Alexander dieses Manuscript. im Jahre 1794 an F. A. Wolf zur Durchsicht gesandt, aber es ist niemals in Druck erschienen.

Hier erhielt Alexander von Humboldt aber eine neue, nachhaltige Anregung durch die Bekanntschaft und die sich schnell entwickelnde freundschaftliche Verbindung mit Georg Forster, dem Schwiegersöhne des Professors Heyne. Dieser Mann hatte früher den berühmten Kapitän Cook auf dessen zweiter Reise um die Welt als Naturforscher begleitet; wie viele Anknüpfungspunkte mußte dieser Mann in der Seele Alexanders finden, dessen Phantasie noch von den Bildern einer überseeischen, fernen Welt gefüllt war, die einst Campe, der Verfasser des Robinson, in ihm geweckt hatte; wie mußte der Drang nach Anschauung fabelhafter Gegenden, nach kühnen Seefahrten und neuen Entdeckungen in ihm sich regen, wenn Forster von seiner Weltreise erzählte? – So wurde Forster die erste bedeutungsreiche, vom geheimnißvollen Schimmer einer transatlantischen Wett umgebene Gestalt, welche sich mit dem jugendlichen Alexander von Humboldt enger verband, ein Mann von Kühnheit und Produktivität des Geistes, voll heiligen Ringens nach Freiheit, der in seinem angeborenen Freiheitssinne, den die früheren Reisen in eine neue Welt reich genährt hatten, sich in den deutschen Zopfverhältnissen nicht heimisch fühlte und namentlich ein erklärter Gegner der Berliner Aufklärungssucht seiner Zeit war. Schon von der ersten Erziehung her war das preußische Kamaschenthum von den Brüdern Humboldt ferne geblieben; sie hatten früh, von den Einflüssen einer freiern Denkart in der anregenden Nähe eines geistreichen Königs gebildet, wahre Vaterlandsgesinnung eingesogen – mußte jetzt Forster's freie Anschauung, sein freimüthiger Sinn und seine kernhafte, vorurtheilsfreie Art zu denken, nicht von nachhaltigem Einflusse auf die jungen Freunde werden und namentlich in Alexander's Charakter jenen Zug des Bürgerthums befestigten und entwickeln, der ihn zeitlebens so hoch geziert hat? Georg Forster lebte während des Sommers 1789 mit seiner Frau bei dem Schwiegervater Heyne in Göttingen, und erst im Herbste dieses Jahres ging er in seine neue Stellung nach Mainz, wo er Hofrath und Bibliothekar der damals dort befindlichen Universität wurde. Daß er auch auf den älteren Wilhelm einen tiefen Eindruck gemacht hatte, läßt sich, wüßte man keine andere Thatsachen aus dessen späterem Leben, schon daraus schließen, daß er bald nach Forster's Uebersiedelung nach Mainz auf einer Rheinreise bei ihm einkehrte und vier glückliche Tage dort verlebte.

Beide Brüder suchten und würdigten Forster's Freundschaft und traten auch zu seiner Frau, einem hochgebildeten und geistvollen wie gemüthsreichen Wesen Forster, mit den Verhältnissen des deutschen Reiches zerfallen, trat beim Ausbruche der französischen Revolution begeistert für deren Idee auf, wurde in ihren Strudel hineingerissen, mußte landesflüchtig werden und starb im Auslande. Seine Frau heirathete später den Schriftsteller Huber. Wilhelm von Humboldt nannte sie einst die erste aller Frauen und schätzte sie zeitlebens hoch. – in ein zartes, inniges Seelenverhältnis. Weniger als sein Bruder Wilhelm, genoß Alexander von Humboldt den intimeren Umgang mit dem, im Jahre 1840 zu Hannover als Ober-Medicinalrath gestorbenen, Johann Stieglitz, den sie schon von Berlin aus kannten, wo er den jüdischen Kreisen Mendelssohns, Marcus Herz' etc. nahe gekommen war und viele philosophische Studien getrieben hatte. Daß auch er, wie berichtet wird, an der damaligen Sentimentalität jener Kreise Theil genommen habe, ist auffällig, da sein späterer Biograph mit großer Lebenswahrheit von ihm sagt, daß er nur Verstandesmensch gewesen sei und alle Gemüthsregungen zum Zwecke schärfster Berechnung aller Verhältnisse und Lagen beherrscht und verborgen und er sich niemals »vergessen« habe. – Die innigere Freundschaft zu Wilhelm von Humboldt hatte ihren natürlichsten Grund wol darin, daß Stieglitz ihn in Göttingen beim Baden in der Leine aus der Gefahr des Ertrinkens gerettet hatte. –

Nach Verlauf von einem Jahre, in dem Alexander ununterbrochen sich den naturwissenschaftlichen, archäologischen und philologischen Studien unter dem persönlichen Einflusse berühmter Lehrer gewidmet, Wilhelm aber manche Ausflüge und Reisen zwischendurch gemacht hatte, wie unter anderen nach Hannover, wo er mit Friedr. Jacobi, Rehberg, Frau von Wangenheim, Brandes und Zimmermann zusammentraf, war nun die Zeit gekommen, daß beide Brüder die Universität verlassen sollten. Kunth hatte sie hierher nicht mehr begleitet, er war in den Staatsdienst eingetreten, lebte aber noch und zwar bis zum Tode der Majorin von Humboldt, neun Jahre lang als Haus- und Tischgenosse derselben in deren Hause, wo ihr unbedingtes Vertrauen ihn auch ferner mit der Verwaltung ihrer Familienangelegenheiten beauftragt hatte.

Beide Brüder waren aber jetzt bereits so weit für das Leben reif geworden, daß ihr eigenthümlicher Geist sich individuell deutlich aussprach; Alexander nämlich besaß den geistigen Trieb, große, allgemeine Gebiete in überschauender Auffassung zu durcheilen, während Wilhelm sich gern mit einem engeren Gebiete länger begnügte und im tiefen Eingehen in dasselbe sich zeitweise auf engem Raume so zu sagen ansiedelte, um dann später ein anderes Feld auf ähnliche Weise zu durchforschen.


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