Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Angela wird Iwan zu eigen.

Aber unter allen Dank- und Begrüßungsschreiben, die Iwan erhielt, war das interessanteste dasjenige, das ihm Gräfin Angela Bondaváry eigenhändig schrieb.

Die Gräfin sagte ihm aufrichtig alles, was seit ihrer letzten Begegnung vorgefallen war; daß sie den Marquis Salista geheiratet habe und unglücklich gewesen sei; daß ihr Großvater, Fürst Theobald, auf Salistas Antrag unter Kuratel gestellt worden sei, was zur Folge hatte, daß das ganze große Vermögen der Familie Bondaháry in Konkurs kam. Sie habe Tage der Not gehabt und erfahren müssen, was Entbehren sei. Auch das ausbedungene Einkommen, das Gräfin Theudelinde von der Bonoavárer Herrschaft beziehen sollte, sei ausgeblieben. Die Gräfinnen mußten ihren Haushalt einschränken.

Die unglückliche Lage habe ihnen viele frühere Freunde in ihrer wahren Gestalt gezeigt – unter andern auch Salista selbst. Er sei nach Mexiko gegangen, um dort als Oberst zu dienen.

Da sei Iwans Rettungswerk gekommen.

Dieses habe zunächst den Fürsten Waldemar von seinem Triumphwagen herabgeschleudert.

Dann habe es den Wert der Million wiederhergestellt, die Fürst Theobald in Bondavárer Aktien angelegt hatte.

Hiernach söhnte sich Fürst Theobald mit seiner Enkelin aus.

Er sei aus den Klauen seiner Gläubiger befreit und seine Verhältnisse werden geordnet sein.

Gräfin Theudelinde bekomme wieder ihr ausgebliebenes Pachtgeld.

Die zur Vernichtung verurteilt gewesene große Familie sei gerettet und lebe wieder.

Und ihr Leben verdankte sie einem bescheidenen Gelehrten, den ...

Hier unterbrach Gräfin Angela das Schreiben.

Aber nach der Unterzeichnung folgte eine Nachschrift.

Diese bestand aus den Worten: »Schicken Sie mir eine Antwort auf diesen Brief. Ich bitte nur um eine Zeile. Schreiben Sie mir nur: Ich vergebe Ihnen.«

Iwan antwortete ihr sogleich.

Er drückte ihr seinen Dank dafür aus, daß sie sich seiner erinnerte. Aber es falle ihm durchaus nichts ein, was er ihr verzeihen müßte. Im Gegenteil, er erinnere sich mit innigem Dankgefühl an alle die Freundlichkeiten, mit welchen ihn die Gräfin überhäuft habe.

Der Brief war mit dem Bestreben, höflich und kalt zu sein, abgefaßt.

Darauf aber kam ein neues Schreiben der Gräfin Angela an.

»Fragen Sie nicht, was ich gegen Sie verbrochen habe oder nicht,« so lautete der Brief, »genug, wenn ich es weiß. Nicht Sie machen mir Vorwürfe, aber mein Gewissen. Für dieses brauche ich Beruhigung. Antworten Sie mir aufrichtig. Können Sie mir je vergeben? Ich hätte Sie nicht so behandeln sollen, wie ich es getan habe.«

Iwan antwortete der Gräfin abermals.

Diesmal schrieb er einen längeren Brief.

Er gestand ihr Geheimnisse, machte ihr Geständnisse, die nie jemand von ihm gehört hatte. Die Gräfin sollte sich beruhigen und ihm glauben, daß sie ihn niemals beleidigt habe. Die Gräfin stehe in seinen Augen jetzt ebenso hoch, wie vom ersten Augenblick angefangen.

Hierauf bekam er von Angela einen dritten Brief.

»Mein Herr! Schreiben Sie mir diese Zeile auf ein Papier:

Angela Bondaváry, ich verzeihe Ihnen von Herzen. Schreiben Sie mir dies, wenn Sie können; sonst nichts.«

Iwan schrieb ihr dann diese Zeile und sonst nichts.

* * *

Eines Abends blieb vor Iwans Wohnung eine Reisekutsche nebst einem andern Wagen stehen. Iwan wohnte damals bereits im Direktionsgebäude des Aktienbergwerks, parterre.

Der Portier wechselte einige Worte mit der Person, die in der Kutsche saß und überbrachte dann Iwan zwei Visitenkarten.

Iwan las überrascht die Namen: »Gräfin Theudelinde Bondaváry.« – »Gräfin Angela Bondaváry.«

Er fand es eigentümlich, daß auf der Visitenkarte der letzteren nicht auch der Name ihres Gatten beigefügt war.

Iwan sagte dem Portier, er möge die Damen hereinführen, er sei bereit sie zu empfangen.

Was mögen sie von ihm wollen? Welcher peinlichen Versuchung werden sie sein Herz unterziehen? Er hat sie doch niemals beleidigt. Er war immer wohlwollend gegen sie und hat ihnen stets Gutes getan. Warum lassen sie ihn nicht in Ruhe?

Die Tür ging auf, und Iwan sah bloß eine Dame eintreten.

Sie war ganz in Trauer, auch ihr Gesicht war in einen dichten Schleier gehüllt, so daß der sich anschmiegende Krepon ihre Züge wie die einer Statue verhüllte.

Es war Gräfin Theudelinde.

Sie hatte einen langen Reisemantel mit doppeltem Kragen an, auch dieser war glanzlos, schwarz; sie eilte zu Iwan hin und reichte ihm die Fingerspitzen ihrer schwarzbekleideten Hand, die dieser an seine Lippen zog.

»Seien Sie mir gegrüßt!« flüsterte die verschleierte Gestalt.

»Wo ist die Marquise?« fragte Iwan beklommen.

»Sie wird gleich dasein. Aber es wird schwer sein, sie herein zu bringen.«

Iwan führte die Dame zum Sofa und bat sie Platz zu nehmen.

»Gehen Sie ihr nicht entgegen!« sprach die Gräfin; »sie wird sich schon von selbst herfinden. Sie werden sie freundlich empfangen, nicht wahr?«

»O, Gräfin!«

»Keine Phrasen!« fiel ihm die Dame ins Wort; »wir sind nicht gekommen, um uns gegenseitig Schönheiten zu sagen, Höflichkeiten auszutauschen. Wir kommen mit einer strengen Forderung. Die Antwort ist einfach: oui ou non, Angela will hier bleiben.«

»Hier?« sprach Iwan betroffen.

»Ja, hier! Erschrecken Sie nur, hier, in Ihrer Nähe. Sie will ewig hier bleiben, mit Ihnen wohnen, Sie niemals verlassen. Das wünscht sie und sie hat ein Recht dazu.«

Iwan staunte immer mehr.

Draußen auf dem Flur näherten sich die schweren Tritte mehrerer Männer. Dann ging die Türe wieder auf und vier Grubenburschen trugen einen metallenen Sarg herein, indessen Mitte ein weißer Kranz aus getriebenem Silber angebracht war. Der Kranz umgab das Wappen der Bondavárys, und unter demselben stand in goldener Lapidarschrift: »Angela Bondaváry.«

Sie hoben den Sarg auf den großen Eichentisch.

Iwan stand starr wie eine Bildsäule, die Augen auf den Kranz und den Namen geheftet.

Theudelinde stand auf und faßte Iwan an der Hand.

»Hier ist Gräfin Angela Bondaváry und bittet von Ihnen, als dem Herrn von Bondavár, in der Familiengruft des Schlosses ihrer Ahnen einen kleinen Platz, eine kleine Ruhestätte, wo sie den Bräutigam aller Frauen, die ausgerungen haben, unsern Herrn Jesus Christus erwarten können.«

»Wie ist das möglich?« stammelte Iwan gerührt.

»Wie es möglich ist? Sehr leicht. Werfen Sie eine Rose ins Feuer und fragen Sie nach zwei Augenblicken, wie sie zu Asche werden konnte. Ich hatte eben noch ihr Lachen gehört. Sie war sehr heiter. Man hatte sie geärgert, sie aber lachte darüber. Dann kam sie dem Ofen zu nahe. Im nächsten Augenblick hörte ich sie aufschreien und sie stand in Flammen vor mir.«

»Sie ist verbrannt!« rief Iwan, die Hände zusammenschlagend und zu seinem Gesicht erhebend.

»Einen solchen Diamant haben Sie noch nicht verbrennen sehen!«

»War denn niemand in der Nähe, der ihr zu Hilfe geeilt wäre?«

»Ob niemand in der Nähe war?« rief die Dame. »Wer ist denn dieser niemand? Fuhren Sie nicht von Ihrem Lager empor, nach Mitternacht um ein Uhr, als Sie rufen hörten: Hilf mir, Iwan! Haben Sie nicht diesen Namen rufen hören? Haben Sie nicht die in Flammen gehüllte Erscheinung laufen sehen? Einen Engel mit der Hölle am Leibe! Wo waren Sie damals, als Sie herbeispringen sollten, die Flammen ihrer brennenden Kleider mit einem Teppich, mit Ihren Armen, Ihren Händen zu ersticken und sie mit Gewalt aus der Hand des Todes zu reißen? Sie sind dieser niemand! Jetzt ist auch die andre da und sagt: Jetzt bin auch ich schon niemand, laß uns ein Paar sein.«

Ein namenloses Weh preßte Iwan das Herz wie mit eisernen Klammern zusammen.

»Zwei Tage hat sie gelitten, übermenschliche Pein ausgestanden,« sagte Theudelinde. »Wenn ich daran denke, erfaßt mich Wahnsinn, und ich denke immer daran. Bis zu ihrem letzten Augenblick war sie bei Besinnung und sprach – nein! wozu sollen Sie wissen, wovon sie sprach? In der letzten Stunde bat sie um einen Bleistift und schrieb Ihnen etwas. Es ist hier in diesem Brief. Erbrechen Sie ihn nicht, lesen Sie ihn solange nicht, als ich hier bin, ich würde Ihnen ohnedies über nichts Aufklärung geben. Wenn Sie etwas zu fragen haben, so fragen Sie es sie selbst.

Hier ist der Schlüssel zum metallenen Sarg. Ich übergebe ihn Ihnen.«

Iwans Hand zuckte mit einer Bewegung des Schreckens vor diesem Geschenk zurück.

»Nun, warum erschrecken Sie? Warum fürchten Sie sich, den Sarg zu öffnen? Schaudern Sie davor nicht zurück. Der Körper ist einbalsamiert, und das Gesicht ist von der Flamme nicht berührt worden. Sie werden sehen, daß sie noch lächelt.«

Iwan tat sich Zwang an, öffnete das Schloß, hob den Sargdeckel auf und sah das Gesicht der Toten an.

Es lächelte nicht mehr, es war kalt und ruhig wie damals, als er die Ohnmächtige in der Waldlichtung mit dem Kopf auf einen bemoosten Baumstamm legte.

So ruhig lag sie da auf dem weißen Atlaskissen, daß Iwan glaubte, sie würde, wenn er sie jetzt anredete, auf einen Augenblick die Augen öffnen, um stolz zu sagen: »Ich brauche nichts!« und dann weiter zu verwesen.

So schön war auch jetzt noch dieses Marmorantlitz mit seinen unbeweglichen Augenbrauen, und Iwan brachte es über sich, dieses Gesicht nicht mit einem Kuß zu berühren, so wie er sich auch damals dessen enthielt! Aber vielleicht wäre man ihm damals dafür ebensowenig gram gewesen, wie man es jetzt wäre.

Wie damals mit der Busennadel, verschloß er das schöne Geheimnis jetzt mit dem Sargdeckel. Im Leben wie im Tode war es ihm nicht beschieden, es zu enträtseln.

»Behalten Sie den Schlüssel!« sprach Theudelinde; »der Schlüssel, der Sarg und der Schatz darin, alles gehört Ihnen. Das ist so verordnet. Sie sind der Herr der Gruft. Ihre Pflicht ist es, sie zur ewigen Ruhe zu bringen, jetzt können Sie vor ihr nicht entfliehen.«

Theudelinde sah durch den Schleier in Iwans brennendes Auge, und dieser sah wieder ihr ins Auge.

Wenn einer von ihnen sich nur eine Träne ins Auge hätte stehlen lassen, so wären sie beide in heftiges Weinen ausgebrochen. Aber beide wollten zeigen, wie schrecklich stark der Mensch sein kann! Selbst seinen Augen kann er gebieten.

»Uebernehmen Sie diese Pflicht?« fragte die Gräfin.

Iwan nickte stumm mit dem Kopf.

»Dann werden Sie allein sie bestatten, denn lebend gehe ich in die Bondavárer Familiengruft nicht hinein. Sie wissen warum.«

Beide schwiegen einige Augenblicke.

Dann sprach Theudelinde wieder: »Keinen Geistlichen! Ich will keinen Geistlichen sehen! Verflucht sei auch der, der mich aus dieser Höhle herausgelockt hat. Ich würde sonst auch jetzt noch glauben, daß ich jede Nacht mit den Geistern meiner Ahnen konvertiere; ich wäre nicht in die große Welt gegangen, Unglück zu suchen; Angela wäre nicht zu mir gekommen, mein Bruder Theobald wäre nicht zum Gespötte der Welt geworden, man hätte nicht die Hölle unter dem Schloß Bondavár bloßgelegt, ich hätte Sie niemals kennen gelernt, es wäre alles nicht geschehen, was geschehen ist! – Ich will keinen Geistlichen mehr sehen, ich will keinen Gesang hören!«

Nach einer Pause fuhr sie fort: »Uebrigens, warum sollen Sie es nicht erfahren? Angela ist in den letzten Tagen zum protestantischen Glauben übergetreten, um sich von ihrem Mann trennen zu können. Sie sind auch Protestant, nicht wahr? Aber was geht das Sie an? Ein Geistlicher ist nicht notwendig. Man bringt den Sarg in aller Stille bis zur Familiengruft, und dort scheide ich von Ihnen, denn ich gehe nicht hinein. Sie werden ein Gebet für sie sprechen – wenn Sie beten können; ich kann es nicht. Dort trennen wir uns, Adieu. Sie stellen den Sarg auf seinen Platz, und ich kehre dorthin zurück, wo niemand auf mich wartet.«

Iwan rief die vier Grubenburschen zurück, diese hoben den Sarg wieder auf ihre Schultern und trugen ihn über den Hausflur durch die rückwärtige Tür auf den Parkweg.

Der Park trennte das Schloß vom Direktionsgebäude.

Indem sie auf den gewundenen Wegen des Parks dahinschritten, streuten die Bäume ihre gelb gewordenen Blätter auf den Sarg und die Meisen im Gezweig sangen das Totenlied dazu.

Iwan ging unbedeckten Hauptes hinter dem Sarg, und hinter ihm wieder schritt Gräfin Theudelinde einher.

Als sie zum Eingang der Gruft gelangten, ließ Iwan den Sarg auf die Erde stellen, beugte sich zu diesem nieder und stand lange so da.

Vielleicht betete er.

Gott hört es, wenn man auch nicht laut zu ihm spricht. Er hört es auch, wenn man nichts sagt und nur fühlt.

Theudelinde beugte sich zu Iwan nieder und drückte ihm durch den Schleier einen Kuß auf die Stirn.

»Ich danke Ihnen, daß Sie sie unbedeckten Hauptes bis hierher begleitet haben. Jetzt ist sie schon die Ihrige.«

Hiermit eilte sie über die gewundenen Wege des Parks zurück, als ob sie fürchtete, daß Iwan ihr zurückgeben werde, was sie ihm gebracht hatte.

Iwan ließ den Sarg in die Familiengruft der Bondavárys hinabtragen und auf seine traurige Stätte niederstellen und entließ sodann die Leute.

Er blieb noch zurück und nahm beim Licht der letzten Wachskerze den Brief heraus, in den die Sterbende ihre letzten Worte für ihn geschrieben.

Diese letzten Worte waren: »Auf wen werde ich im Licht der Aurora borealis warten?«

Iwan seufzte tief: »Wer wird auf mich warten im Licht der Aurora borealis?

* * *

Als er aus dem Gruftgewölbe zum Direktionsgebäude zurückkehrte, war von der Reisekutsche der Gräfin Theudelinde und vom Totenwagen nichts mehr zu sehen.


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