Maurus Jókai
Schwarze Diamanten
Maurus Jókai

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Die letzte Probe

Fürst Theobald erhielt den Brief seiner einzigen Enkelin, welcher mit dem Wort: »Adieu!« schloß, gerade am Morgen seines Geburtstages.

Stets war dieser Tag ein Festtag für ihn gewesen; von Angelas zartestem Kindesalter angefangen bis zum letzten Jahre erhielt Theobald an seinem Geburtstag jedes Jahr von ihr einen Kuß.

Der heutige war ein bitterer Kuß.

Unter seinen Kleinodien bewahrt der Fürst ein Album mit schön vergoldeten Deckeln, das seine Geburtstagsandenken enthält. Da befindet sich ein vertrockneter Blumenstrauß, den ihm einst Angela als kleines Kind überreichte – das liebe Gekritzel, das sie als erste Schreibübung auf ein Stückchen Bristolpapier für ihn schrieb – und eine Perlen- und Goldstickerei, die Angela im letzten Jahre mit ihren eignen Händen anfertigte. Alles Geburtstagsandenken des Fürsten Theobald.

Zu diesen kommt jetzt der letzte Brief mit dem Wort: »Adieu!«

Das Gemüt des Fürsten war empfindlich und reizbar.

Wenn er aber auch mit kaltem Blut urteilen wollte, so mußte er sich selbst dann sagen, daß er seiner Enkelin gegenüber recht habe.

Komtesse Angela war es sich selbst und ihrem fürstlichen Hause schuldig, zu tun, was man von ihr verlangte. Wenn ihr dabei ihr Herz im Wege stünde, so könnte man sie vielleicht nicht verurteilen; doch Angela liebt niemanden. Warum macht sie aber einen Unterschied zwischen denjenigen, die sie nicht liebt?

Fürst Theobald ging aufgeregten Gemütes zu Evelines letzter Probe.

Was ihn erbitterte, brachte auch sein Blut in Wallung.

Auf das »Adieu!« kann auch er noch etwas antworten.

Als er in Evelinens Wohnung ankam, ließ ihn der Kammerdiener als Bekannten in den Salon ein, in dem die angebliche Künstlerin bisher ihre Feenproben zu halten pflegte.

Der Fürst befand sich allein im Salon.

Die blaß rosafarbenen Fenstervorhänge waren herabgelassen und in den Ecken des Salons standen Gruppen von exotischen Pflanzen. Der Duft lebender Blumen parfümierte die Luft.

In einer Ecke girrten ein paar Turteltauben, und in einem der Blumengesträuche verborgen sang eine Nachtigall ihr klagendes triumphierendes Zauberlied. Der ganze Raum glich einem Aufenthalt der Elfen in der Tiefe des Waldes.

Der Fürst setzte sich, da er niemanden vorfand, auf den Diwan und blätterte in einem Album, das auf dem Tische lag. Es war die Sammlung der Darstellungen Evelinens. Er durchblätterte es ganz, jedes Bild anschauend, und während er die verführerischen Gestalten betrachtete, sah er im Geist auch das zu Hause gelassene Album, in welchem sich die Zeichnungen und Stickereien Angelas befanden.

Erst beim letzten Bilde kehrte seine Aufmerksamkeit wieder zurück. Wie verführerisch, wie heimlich ist bei aller Idealisierung die in Nesselstoff gehüllte Gestalt.

Die Nachtigall schlug, die Tauben girrten, der Duft der Pomeranzenblüten war so betäubend. In welcher Gestalt wird diese Frau zuletzt erscheinen?

Und da schien es ihm, als ob er aus der Ferne ein längst gehörtes, längst vergessenes Lied leise summen hörte, das ihn zauberhaft berührte.

Das ist dieselbe Volksmelodie, welche einst die Amme sang, wenn sie seine Enkelin in der Wiege schaukelte. Irgendein slawisches Volkslied mit einem unbekannten Text.

Nach einigen Minuten verhallte das Lied.

Und bald darauf öffnete sich die Tür von Evelinens Toilettezimmer.

Sie kam.

Wie kam sie? In welchem verführerischen Kostüm? Mit welchem von Cytherens Zaubergürteln?

Sie hatte ein einfaches, weiß-schwarz kariertes Kreponkleid an, ihr Haar glatt gekämmt und in einen Zopf geflochten. Ein weißer, schmaler, gestickter Kragen umgab rings ihren Nacken.

Und sanft, vertrauensvoll, bescheiden näherte sie sich dem Fürsten Theobald, und als sie zu ihm hingelangt war, überreichte sie ihm eine kleine Brieftasche, in welcher auf weißem Atlas eine vor einem Grabe kniende Kindergestalt mit schwarzen Kreppfäden in zarter Stickerei abgebildet war.

Dann erhob sie ihre tränennassen Augen zu ihm und stammelte mit halberstickter, bebender Stimme: »Mein Herr! nehmen Sie heute zu Ihrem Geburtstag dieses Andenken von mir. Der Himmel möge Sie lange erhalten.«

In dieser Szene war so viel Wahrheit oder bis zur Täuschung treue Verstellung, daß Fürst Theobald selbstvergessen anstatt »Madame!« ausrief: »Mein Kind!«

Die junge Dame warf sich bei diesem Wort dem Fürsten Theobald schluchzend an die Brust und flehte, indem ihren Augen Tränen entstürzten: »O Herr! ziehen Sie dieses Wort nicht zurück! Es gibt kein verzweifelteres Geschöpf, als ich bin!«

Fürst Theobald legte der Schluchzenden die Hand auf den Kopf und küßte sie auf die Stirn.

»Also seien Sie meine Tochter. Blicken Sie auf zu mir, Eveline. Lächeln Sie mich an. Sie sind noch ein Kind, also seien Sie für mich ein Kind. Ich werde Ihr Vater, nein! Ihr Großvater sein. Die Väter lieben zuweilen ihre Kinder nicht, aber die Großväter lieben ihre Enkel immer. Sie werden meine kleine Enkelin sein. Sie werden lustig plaudern, wenn ich ernst bin, Sie werden mir vorlesen, wenn ich nicht schlafen kann, Sie werden sich nach meinem Befinden erkundigen, wenn ich krank bin. Sie werden meine Geschenke annehmen, für mich Ihr Haus offen halten, mich an Ihrem Tische sitzen lassen. Sie werden mich anhören, wenn ich über irgend etwas zu klagen habe und werden mir es mitteilen, wenn Sie etwas drückt. Meine schlimmen Launen werden Sie mich nicht entgelten lassen und werden meine Gunst suchen. Ich werde Sie ebenso behandeln. Sie werden die Herrin aller derjenigen sein, deren Herr ich bin. Sie werden dort glänzen, wo ich mich an Ihrem Glanz erfreuen will. Und Sie werden mir in allem gehorchen.«

Eveline antwortete auf alles dieses mit einem stummen Handkuß. »Gefällt Ihnen das, was ich gesagt habe? Freuen Sie sich darüber?« fragte der Fürst.

Hierauf antwortete Eveline mit fröhlichem Gelächter; sie sprang auf, tanzte, war außer sich und stürzte wieder zum Fürsten hin, seine Hand mit Küssen bedeckend.

»O mein lieber, mein teurer Großpapa!«

Der Fürst warf sich aufs Sofa und lachte bitter.

Eveline hielt erschrocken in ihrem kindlichen Hüpfen inne. Eine entsetzliche Disharmonie lag in diesem Gelächter.

»Das galt nicht Ihnen, meine Liebe, nicht Ihnen. Kommen Sie her und setzen Sie sich zu mir, meine schöne Enkeltochter.«

(Dieses Gelächter war die Antwort auf das »Adieu«.)

Der Fürst streichelte Evelinen zärtlich das Haar.

»Und jetzt werde ich ernste Worte zu Ihnen sprechen. Merken Sie wohl auf, denn was ich sage, wird für Sie Befehl sein. In unserer Familie befiehlt nur einer, die übrigen gehorchen.«

Wie viel Schmeichelei lag in dem Wort: »in unserer Familie.«

»Sie werden sofort in mein Palais in der Maximilianstraße übersiedeln und dann niemanden empfangen, als den ich Ihnen gestatte. Daß Herr Kaulman zu dieser Verfügung seine Einwilligung gebe, das zu erwirken wird meine Sorge sein. Von nun an werden Sie nicht einmal mit Herrn Kaulman in Berührung zu kommen brauchen, wenn nicht geschäftliche Angelegenheiten es erfordern. Bedauern Sie es, daß Sie die Freundschaft des Herrn Kaulman verlieren?«

»Man kann nicht verlieren, was nicht ist.«

»Ich werde Ihnen ein Engagement bei der Oper erwirken. Sie müssen eine Stellung haben, die Ihnen ein Recht gibt, in der Welt zu erscheinen. Der Titel des Schauspielers ist ein Königsmantel, er hat auch in den Salons Zutritt. Was den Erfolg betrifft, so seien Sie unbesorgt. Sie haben ein schönes Talent. Studieren Sie und Sie können es weit bringen. Erwerben Sie sich Ruhm. Sie können dann von Ihrer Kunst leben, auch wenn ich einmal nicht mehr bin.«

»Wenn ich nur auf der Bühne nicht so viel Angst hätte.«

»Sie werden sich schon an die Bühne gewöhnen. Sie werden erfahren, daß jedermann beim Theater in dem Maße geachtet wird, als er sich selbst achtet. Wer sich in Kleingeld ausgibt, der ist für jedermann wohlfeil. Nehmen Sie nicht jedermanns Huldigungen an. Wenn Sie für jemanden Freundschaft empfinden, so sagen Sie mir es aufrichtig, damit ich Ihnen sagen könne, was ich von ihm halte.«

»Nein, Herr!« sprach Eveline warm, »ich fühle nur für Sie Anhänglichkeit.«

»Na, na, Eveline! Wozu in einem so sentimentalen Moment Gelöbnisse machen, die man bald vergißt! Sie sind noch ein Kind, vergessen Sie nie, daß wir Großvater und Enkelin sind. Von Kaulman sprechen wir nicht, das ist ein nichtswürdiger Spekulant. Er hat mit Ihnen seinen Zweck erreicht. Wonach er trachtete, das bekommt er. Dafür aber hat er Ihnen einen Namen gegeben, den kann er Ihnen nicht wieder wegnehmen. Sie werden in der Welt schon erfahren, welch ein unendlich großer Schatz für eine Frau der Name eines Gatten ist – gleichviel ob sie damit glänzen oder ihre Schande damit bedecken will. Für eine Frau, die von einem Manne den Namen bekommen hat, gibt es keine zehn Gebote. Das wird man Ihnen schon erklären.«

»Ich werde es nicht lernen.«

»Versprechen Sie nicht etwas, was ich von Ihnen nicht verlange, denn sonst werde ich fürchten, daß Sie das nicht halten, um was ich Sie wirklich gebeten habe. Eins bedinge ich mir von Ihnen aus. Einen einzigen Menschen dürfen Sie nie empfangen, Sie dürfen keinen Brief von ihm erbrechen, kein Geschenk von ihm annehmen, keinen Kranz, der von ihm kommt, von der Erde aufheben, noch seinen Applaus bemerken. Ein einziger Mensch existiert für Sie nicht. Sie sollen ihn ebensowenig bemerken, als ob er die Tarnkappe trüge, und dieser Mensch ist Fürst Waldemar.«

»O Herr! ich hasse diesen Menschen, ich verabscheue ihn, ich schaudere vor ihm.«

»Ich liebe es, diesen Ausbruch des Abscheus von Ihnen zu hören. Aber dieser Mensch ist reich und ein schöner Mann und schwärmt wahnsinnig für Sie. Schließlich schmeichelt es den Frauen immer, wenn sie wissen, daß jemand für sie schwärmt. Es können zwingende Umstände eintreten. Der Reichtum ist ein großer Verführer und die Armut eine große Kupplerin. Es wird eine Zeit kommen, wo ich nicht mehr sein werde. Ich will aber, daß Sie selbst dann, wenn ich schon Staub bin, von Waldemar nichts annehmen und ihm nicht die geringste Gunst gewähren.«

»Ich schwöre es Ihnen bei dem, was mir das Heiligste ist, bei dem Andenken meiner Mutter!«

»So gestatten Sie mir Ihre Stirne zu küssen. Jetzt gehe ich zu Kaulman und mache mit ihm die Sache ab. Ich danke Ihnen dafür, daß Sie sich meines Geburtstags erinnerten. Es könnten ja auch andere wissen, an welchem Tag ich geboren bin, sie brauchten nur ein Konversationslexikon aufzuschlagen, um darin meinen Namen und meine Biographie zu suchen. Mit der kleinen gestickten Brieftasche haben Sie mich sehr reich gemacht. Ich bin mit sehr verstörtem Gemüt hergekommen, und gehe mit sehr ruhigem Herzen von hier fort. Ich werde Ihnen dafür dankbar sein. Gott mit Ihnen, liebe Eveline!«

* * *

Einige Tage später zog Eveline in das in der Maximiliangasse befindliche Palais, wo Theobald Bondaváry sie mit fürstlichem Glanz umgab.

Die Welt glaubte, sie sei die Maitresse des Fürsten; der Fürst lebte in der Illusion, daß sie seine Enkelin sei; Eveline aber glaubte, sie erfülle ihre Pflicht als Gattin, wenn sie tut, was ihr Herr und Gemahl ihr befohlen hat.

* * *

Zu derselben Zeit erhielt das Köhlengrubenkonsortium die Zustimmung des Fürsten Theobald Bondaváry zu dem mit der Gräfin Theudelinde abgeschlossenen Vertrag.

Und so war die Bondavárer Herrschaft unter den Füßen beider Eigentümer weggezogen!

Komtesse Angela aber hätte die Herrschaft für sich und ihre Familie retten können, wenn sie Iwan Berend gefolgt hätte.

* * *

Aber warum war Komtesse Angela so hartnäckig?

Kann jemand sie entschuldigen, daß sie, so launenhaft, gegen ihren Großvater so schonungslos ist, daß sie sich in diesem Trotz gefällt?

Ist dies eine Torheit? Und läßt diese Torheit sich rechtfertigen?

Sagen wir ein Wort zu ihrer Verteidigung.

Jener Fürst Sondershain, welchem Fürst Theobald seine Enkelin so gern zur Frau gegeben hätte, ist derselbe Waldemar, von welchem schon so oft die Rede gewesen ist.

Und Komtesse Angela wußte alles, was die Welt von dem ihr zugedachten Bräutigam sprach.

Konnte sie anders handeln? Konnte sie das tun, was Iwan ihr riet? Mögen die Frauen darüber urteilen, die Männer haben kein Recht dazu.


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