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Vom Wahrsagen aus den Händen.

Der Trieb, das Zukünftige zu wissen, ist an sich sehr unschuldig, wenn er durch Vernunft regieret wird; aber die meisten Menschen folgen diesem Triebe blindlings, auf thörigte und lächerliche Weise, und sind zufrieden, wenn ihnen nur wahrgesagt wird. Die albernsten Prophezeihungen finden oft den mehresten Beifall, und man kann nicht leichter zu Ansehen gelangen, als wenn man recht viel thörigte Dinge vorhersagt, denen es jeder Vernünftige ansieht, daß sie niemals erfolgen werden. Eine alte Zigeunerinn wird dem Abergläubischen ehrwürdig, wenn sie den prophetischen Mund öffnet, und ein Verrückter wird bewundert, wenn er wahrsagt. Es ist immer noch wahr, daß den Menschen, ob sie gleich unzählig oft schon betrogen sind, doch der Trieb bleibt, das Zukünftige zu wissen, und sie wenden alle Mittel an, die sie kennen, ihn zu befriedigen. Kaum läßt sich ein schwarzbraunes Zigeuner-Gesicht in einer weissen Haube auf der Strasse sehen, so läßt jeder seine Geschäfte liegen, und läuft demselben nach, um etwas glückliches zu hören. Die Zigeuener sind dreust genug, mit ihren Wahrsagereien sich jedem aufzudringen, und unverschämt zu sagen, daß man es bedauern werde, wenn man sie nicht hören würde. Ungeheissen stehen sie still, und rufen: »Gott grüsse dich, mein lieber Bruder! Ach was hast du für ein gutes Herz, und hast doch so viele Feinde und Neider, die immer mit dir umgehen, und dir so freundlich begegnen. Du wirst sehr alt werden, grau wirst du werden, und du wirst auch selig werden. Vergebens bietet man ihnen ein Almosen an, um weiter zu gehen, oder legt ihnen Stillschweigen auf. Wir sind auch Christenleute, antworten sie, und glauben an den Herrn Jesum; aber höre uns an, wir haben bei Generals und Obersten Gehör gefunden. Es steht dir ein groß Unglück bevor; Hüte dich vor zwei paar Schuhen! Du kannst es aber vermeiden. Höre, mein blanker Bruder! es ist nicht gut, das alle Leute alles wissen; ich kann dir hier auf der Gasse nichts sagen; komm mit mir, so will ich dir die beschreiben, denen du so viel trauest, und die doch hinter dir her sind. – Ach du hast heimliche Feinde, und dein edles Herz macht, daß sie dich hassen. Hör mich an, ich will dir alles sagen, was sie vorhaben.«

Die Zigeuner richten ihre Prophezeihungen, wie bekannt, sehr allgemein ein, so daß jeder sie auf sich anwenden kann, wer sollte nicht Feinde haben; wer es wenigstens nicht glauben, wenn ihm dieß gesagt wird? Wer sollte nicht Ursach zu haben glauben, sich, wie der Zigeuener sagt, vor zwei paar Schuhen zu hüten? Wer nicht gern glauben, daß ihm Unglück oder Glück bevorstehen, wenn es ihm prophezeihet wird? Die Zigeunernachrichten, sagt man, können doch zur Warnung dienen, und unter diesem Vorwand hört man ihr Gespräch an, und glaubt am Ende, daß es wahr seyn könne. Man hängt den dadurch erzeugten Gedanken nach, und kann ihrer oft nicht los werden; daraus entsteht denn aber Mistrauen, und aus diesem Beleidigungen und Feindschaften. Fast bei jedem Menschen liegen abergläubische Neigungen verborgen; bei dem einen mehr, bei dem andern weniger, Sehr wenige sind ganz frei davon. Der Mensch ist allzugeneigt, sich selbst zu betrügen, weil er die Umstände der Sache nicht recht untersucht. Man besinnt sich, daß das Wahrsagen einer Zigeunerinn doch einmal eingetroffen sey; und daß doch wohl etwas an der Sache seyn müsse. Jene Anrede, die sie an einen wie an den andern halten, ist so allgemein, daß der gute Mensch die Wahrheit ihres Innhalts nicht bezweifelt, und auch der schlechteste sie auf sich anwendet. Denn wo lebt einer, der nicht glauben sollte, Feinde zu haben? Die Zigeunerinn beschreibt die Feinde als solche, mit denen man umgehe, welche man kenne. Natürlich müssen es solche seyn, denn die, mit welchen wir nicht Umgang haben, die wir nicht, und die uns nicht kennen, die können auch unsre Feinde nicht seyn. Langes Leben, graue Haare, Seeligkeit, sind Dinge, die jeder gern hört, von Herzen wünscht, und daher desto leichter glaubt. Die Sache der Zigeuener ist, durch das angenehme in den Prophezeihungen ihnen schnellen Beifall zu verschaffen; denn nur selten hängen sie etwas unangenehmes an, und wenn es geschieht; so suchen sie es bald durch etwas angenehmeres wieder gut zu machen. Man weiß, daß der Tod auf den Tag und die Stunde, welche die Zigeunerinn einem dazu festsetzte, wirklich erfolgt ist; aber woher kam dieß? Klein, der leichtgläubige, hat auf Zigeunerinnen grosses Vertrauen gesetzt, und läßt sich diesem zufolge fast von jeder in die Hand sehen. Einst verkündigte ihm eine mit vieler Zuversicht den Tod. Angst befällt ihn, er zählt die Tage, und endlich bricht der schreckliche Morgen an. Was soll er anders thun, als sich zu seinem Ende zubereiten? Die zunehmende Furcht vor dem Tode fängt an seine Seele zu beschäftigen, und sich seiner ganz zu bemächtigen. Immer grösser wird die Unordnung in der Bewegung des Bluts und der Säfte; wird grösser, je näher die Sterbestunde kommt; Sie schlägt – welch ein erschütternder Eindruck – Krämpfe, Konvusionen, der Tod folgen. Klein stirbt auf jene Prophezeihung; aber ganz natürlich.

Die Zigeunerinn biegt die Hand auf alle Art zusammen, wenn sie wahrsagen will, beobachtet den, den sie vor sich hat, sagt etwas und merkt darauf, wie es ihm gefällt. »Deine Lebenslinie hat eine Wittwe; deine Liebste ist beständig, und du wirst diese Nacht von ihr träumen. Du bist noch ein Junggesell; aber du wirst es nicht lange mehr bleiben. Du bist einer gewissen Person angenehmer als du wohl denkst. Ach Herr, deine muthwilligen Blicke verursachen dem Herzen einer schönen jungen Frau viel Pein; »du hast deinen lächelnden Mund nicht vergebens.«

Man muß das Gesindel beobachten, wenn sie im Hause sind, und sich in acht nehmen, daß sie die Taschen und Kammern nicht leeren; denn darinn sind sie ihrer Kunst gewisser, als in dem Prophezeihen.

Die vorgegebene Kunst, aus der Hand, den Erhebungen und Linien derselben, den Charakter, die Schicksale, die Art des Todes und dergleichen vorherzusagen, heißt Chiromantie. Die Richtung der Linien in den Händen hängt von der Behandlung der Kinder in der zartesten Jugend ab. Je zeitiger die Kinder zum freien Gebrauch ihrer Glieder gelassen werden; desto weniger und kleiner sind die Linien; Werden diese lange eingepreßt, so werden sie auch stark und lang, und werden ihrer viele; und nach dem die Hände so oder anders eingewickelt werden, nach dem richten sich die Linien. In spätern Jahren hängt die Richtung derselben von den verschiedenen Verrichtungen der Hände ab. Nach dem ein Mensch viele oder wenige, grobe oder leichte Arbeit verrichtet, nach dem werden die Linien lang oder kurz, stark oder schwach, oder ihre ganze Richtung wird verändert. Ein Grobschmidt sagt U., muß andere Linien in seine Hände bekommen, als ein Stadtschreiber. Es giebt Leute, deren Linien in den Händen ganz blaß und fast weiß aussehen, und die sind die gesundesten; und andere, deren Linien schön roth sind, sind die kränklichsten. Hieraus erhellt, daß die Kunst, aus den Händen etwas zu sagen, Thorheit ist; und die Worte Hiob am 37. v. 7 die man hieher gezogen hat, sagen nichts anders als daß die Menschen und alles ihr Thun von Gott abhängt. Der Chiromantist sagt, und der Abergläubische glaubt, daß man alles, was der Mensch je gethan und noch thue, aus seinen Händen lesen könne; Würde nicht die Chiromantie grossen Nutzen in Gerichten haben? Aber sie wird von allen Verständigen mit Recht als eine Kunst ohne Grund verworfen.


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