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V.

Helene in Todesgefahr. Flucht nach der Insel Eimeo. Zwiegespräch des Häuptlings Tane mit dem Könige Pomare. Aufstand der Insulaner. Ein heimliches Versteck. Helene wird zur Priesterin. Ein wirklicher Priester setzt ihr Werk fort. Die ersten Christen auf Eimeo.


Nachdem der König Pomare diesen Richterspruch gefällt hatte, welcher alle Anwesenden mit Erstaunen und Unwillen erfüllte, verließ er auf den Schultern von zwei Dienern die Versammlung und begab sich in seinen Palast.

Die zurückbleibenden Insulaner erholten sich nur langsam von ihrem Erstaunen; endlich aber machte sich der Unwille, von den Priestern mit heftigen Worten angefacht, durch laute Verwünschungen Luft.

Dieses weiße Mädchen, rief einer der Priester, dem ein mitleidiger Tahitier das Leben rettete, hat den Göttern der Insel ihr Opfer entrissen; es ist recht und billig, daß sie an seiner Stelle das Leben läßt. Ist es nicht so?

Niemand in der Versammlung gab Antwort auf die Frage, denn Allen schauderte es bei dem Gedanken, den Liebling von Papeiti verstümmelt und getödtet zu sehen.

Als aber der Priester seine Hände aufhob und die Versammelten feierlich beschwor, Rache an Helenen zu nehmen, da rief ein Weib aus dem Haufen: Sie ist dem Tode verfallen! Wer sich entgegensetzt, verdient mit ihr zu sterben, denn so lange die Insel steht, ist kein so gräuliches Verbrechen gegen die Götter begangen worden.

Bei diesem Ausrufe erhoben sich einige Männer, und nahten sich Helenen, um sie zu binden.

Omana, welche diesem Auftritte mit steigender Angst zugesehen hatte, erhob sich aus der Mitte der tätowirten Jungfrauen, schlang ihre Arme um Helenens Nacken und rief: Wenn sie sterben muß, so gehe ich mit ihr in den Tod!

Tupia und seine Frau hatten sich ebenfalls dem Mädchen genähert und bereiteten ihre Arme aus, um sie vor dem Andrange ihrer Feinde zu beschützen.

Heute haben sich Recht und Sitte verkehrt, schrie der Priester wüthend. Die Götter müssen ihr Opfer haben und sollte die Insel dabei zu Grunde gehen. So möge denn das Blut von allen Vieren zur Versöhnung des erzürnten Himmels an dieser auf ewig verfluchten Stelle fließen und den entheiligten Boden tränken.

Ein gräßlicher Tumult entstand jetzt; alle Arme waren in Bewegung; die Muschelhörner und die Trommeln ertönten in den grellsten Mißklängen; Waffen blitzten in den Händen der braunen Männer und schwere Steine regneten in den Kreis, wo die Priester und die Bedrohten standen.

Wer für oder gegen Helene war, ließ sich in dem Toben nicht mehr unterscheiden, doch schien Letzteres die Mehrzahl der Versammelten zu sein. Immer dichter drängten sie auf sie zu, der Knäuel wurde unentwirrbar, schon streckte ein Mann die Hand nach ihr aus und zerrte sie zu sich heran, während er die Mordkeule erhob, um ihr Haupt zu zerschmettern.

Da rief eine gewaltige, weithin schallende Stimme: Platz da! Wer mir in den Weg tritt, den trifft mein Speer in das Herz.

Diese Stimme gehörte dem Häuptling Tane; rasch hatte er sich einen Weg durch die Menge gebahnt, schleuderte die Andrängenden zurück, breitete seine Arme zum Schutz für Helene aus und rief:

Wenn sie die Götter beleidigt hat, so werden diese ihre Rache selbst nehmen. So lange sie das nicht thun, steht sie unter meinem Schutze. He da, alle ihr, die sich meine Freunde nennen, kommt herbei, sie gegen jeden Angriff zu vertheidigen. Und ihr, die ihr bis zur heutigen Stunde das Mädchen wie ein höheres Wesen verehrt habt, wie mögt ihr plötzlich eure Gesinnung umkehren und ihr Blut verlangen? Besinnt euch, gebt dem raschen Gefühle des Hasses nicht Raum, bis die Sonne noch einmal über euerm Scheitel gestanden. Wenn die Götter sprechen, bin ich der erste, welcher seine Hand von ihr zurückzieht.

Während er also rief, hatten sich ein Dutzend starke Männer von dem Haufen getrennt und traten auf Tane's Seite, so daß die Gegner keinen Angriff wagten.

Ich führe sie jetzt zu ihrer Hütte, sprach der Häuptling, und wehe dem, welcher ein Haar in ihren Locken krümmt.

Während die Menge verstummte und die Priester in lautem Wuthgeschrei sich vergebens bemühten, das Volk zum Kampfe anzustacheln, führten Tane und seine Freunde die vier Personen hinweg.

Zwölf Mann stellte er als Wache um Tupia's Hütte und entfernte sich dann.

Poma, welche Helenen's Unvorsichtigkeit mit heißen Thränen beklagte, war untröstlich, denn sie kannte ihre Landsleute zu gut, um nicht das Schlimmste zu fürchten. Helene aber bereute nicht, was sie gethan, es schmerzte sie nur, daß ihre braven Eltern und die geliebte Omana in Gefahr schwebten. Deßhalb weinte sie auch am Halse der Freunde und bat sie schluchzend um Vergebung, sie alle in Todesgefahr gebracht zu haben.

Die Nacht kam und der Schleier der Finsterniß legte sich über das Palmendach, unter welchem heute zum erstenmale alle Herzen betrübt waren. Niemand fand den Schlaf, denn in den Hütten von Papeiti ertönte noch immer lautes Geschrei; Fackeln schwebten durch die Nacht und von Zeit zu Zeit erklangen die dumpfen Töne der Muschelhörner.

Endlich trat Stille ein, aber diese Stille war nur eine trügerische; es war die Ruhe, welche dem wüthendsten Ausbruche des Sturmes vorhergeht. Schon wollten sich die Augenlider zum Schlafe niedersenken, als durch die Nacht ein Geräusch, wie von Tausenden von Füßen hörbar wurde und man hörte wie von Weitem viele Tritte näher kamen. Da kam hastigen Laufes der Häuptling Tane herangestürmt und rief mit lauter Stimme in die Hütte hinein: Die Priester haben das Volk aufgewiegelt, es schreit nach Rache und ist jetzt auf dem Wege hierher, um euch alle zu tödten! Rasch folgt mir, ohne einen Augenblick zu verlieren.

Die Bedrohten stürzten hinaus und eilten hinter Tane her, welcher sie in eine schmale Bucht des Hafens führte; dort lag unter einem überhängenden Felsen eine Piroge. Er drängte sie hinein und eilte dann raschen Schrittes hinweg.

Ihnen nach sprangen zwei Ruderer, und kaum hatten sich die Flüchtigen auf den Boden der Piroge niedergelegt, als das Fahrzeug vom Lande stieß und über die stille Wasserfläche des Hafens dahin schoß.

Niemand sprach, denn ein lautes Wort konnte sie verrathen und in die Hände des wüthenden Pöbels liefern.

Als die Piroge das offene Meer erreichte, waren die Papeitier an Tapia's Hütte angelangt. Man sah, wie sie mit Fackeln eindrangen, um ihre Opfer herauszuholen; ein lautes Gebrüll war das Zeichen, daß sie die Hütte leer gefunden hatten. Einen Augenblick später schlug die Flamme zum dürren Dache hinaus; die Pfähle und die Palmblätter loderten in die stille Nacht und die getäuschten Insulaner tanzten unter wildem Wuthgeschrei um die züngelnde Flamme.

Das Feuer erlosch bald, und nun stürzte die Rotte an den Hafen, um die Flucht zu vereiteln; aber die Piroge hatte bereits einen solchen Vorsprung gewonnen, daß die Fliehenden sich nicht mehr zu ängstigen brauchten.

Die ganze Nacht hindurch flog das leichte Fahrzeug über die Wellen des schlafenden Meeres und als die Morgenröthe anbrach, landeten sie am Ufer der kleinen Insel Eimeo, wo die Pirogenführer sie in einem versteckten Thale in Sicherheit brachten.

Kehren wir zu dem Könige Pomare zurück.

Als Tane Helene mit ihren Eltern und seiner Tochter in die Hütte geführt hatte, eilte er zum Könige zurück, welcher nachdenklich in seinem ärmlichen Palaste auf- und niederschritt.

Heute hast du die Brücke zwischen dir und deinem Volke abgebrochen, sprach der Häuptling finster, als er eintrat.

Wahr, wahr, antwortete der König; der Schlag hat gezündet. Doch du hast selbst gesehen, daß diese Götter, deren Macht ich niemals traute, nicht im Stande waren, ihre eigene Ehre zu retten.

Da sie es unterließen, antwortete der Häuptling, so hättest du für sie eintreten sollen.

Wenn sie meines Schutzes bedürfen, entgegnete der König lächelnd, so ist es schlecht um sie bestellt. Erinnere dich, Tane, wie ich oft gesprochen von diesen hölzernen Göttern, die weder Leben noch Bewegung haben, die niemals ein Zeichen ihres Daseins kund thun und dennoch die besten Bissen verzehren sollen, welche die Insel hervorbringt. Diese Priester, sie handeln mit Lug und Trug, ich aber will Wahrheit, und wenn ich diese bei unsern Göttern nicht finden kann, so muß ich sie bei andern suchen.

Wahrheit, antwortete der Häuptling, das ist das schlimme Wort, welches der fremde Mann gelehrt hat, den du einst am Gestade getroffen; es wird dir am Ende die Krone kosten. Ich wünschte, du hättest diesen sonderbaren Fremden niemals gesehen, sondern wärest in den Fußstapfen deiner Väter geblieben. Hörst du, wie deine Unterthanen brüllen? Die Priester werden sie bis zur äußersten Wuth aufstacheln, bis sie sich wie ein verheerender Strom über deine Schwelle wälzen und –

Tane, unterbrach ihn der König, wenn sie kommen, wirst du mit den Deinigen nicht zu mir stehen?

Ich werde es, antwortete der Häuptling; mein letzter Blutstropfen gehört Dir, aber ich habe dich gewarnt. Vielleicht ist es noch Zeit, sie zu beschwichtigen und dem ausbrechenden Unheile vorzubeugen. Willst du, daß ich hingehe und versöhnliche Botschaft von dir bringe?

Nein, antwortete der König. Ihre erste Forderung würde der Tod jenes heldenmüthigen Mädchens und deiner eigenen Tochter sein. So theuer will ich den Aufschub nicht erkaufen; denn ein Aufschub würde es doch nur sein und der Schlag wird über Kurz oder Lang dennoch fallen. Geh, bringe die beiden Mädchen in Sicherheit, dann kehre an meine Seite zurück.

Als die Papeitier die Hütte Tupia's verbrannt und den Hafen durchsucht hatten, sammelten sie sich unter Anführung der Priester und eilten auf den Palast des Königs zu. Hier stießen sie auf Widerstand, denn Tane hatte seine Freunde und Untergebenen bewaffnet und in einer dreifachen Reihe um den Palast aufgestellt.

Pomare, schrie der Priester, welcher in der Versammlung die Keule geschwungen hatte, tritt auf deine Schwelle und beruhige die Götter.

Der König trat bewaffnet vor die Thüre und fragte: Was wollen meine Unterthanen in der Nacht von mir? Ist der Tag nicht lang genug, um die Geschäfte des Landes abzumachen.

Der Tag, antwortete der Priester, hat sich vor Scham und Entrüstung in seinen Mantel gehüllt; die Nacht aber fordert Rechenschaft über die Unbill, die im Lichte der Sonne an den Heiligen verübt worden.

Was wollt ihr von mir? fragte der König.

Gieb uns das weiße Mädchen und seine Anhänger, sprach der Priester; ihr Blut soll die Sühne für das begangene Verbrechen sein.

Halte deine unwürdige Zunge im Zaum, rief der König im höchsten Zorne. Wenn den Göttern jemals eine Unbill geschehen, so hast du am geringsten Recht, für ihre Versöhnung zu schreien, denn du hebst deine Hand gegen den König auf.

Der Priester wandte sich um und rief seinen Begleitern zu: Ihr seht es selbst, daß er von einem Zauber umstrickt ist, der uns Allen Elend und Verderben bringt. Im Namen der Götter sage ich mich und euch los von ihm und befreie die Erde von einem Ungeheuer, daß uns zu verschlingen droht.

Mit diesen Worten erhob er die Keule, um sie gegen die Stirn des Königs zu schleudern; aber seine Hand sank schlaff herab, denn der Häuptling Taue war herbeigesprungen und hatte einen schweren Schlag auf seine Rechte geführt.

Ein Wuthgebrüll erscholl in den Reihen der Papeitier. Der Häuptling aber erhob seine Streitaxt, zerschmetterte dem Priester das Gehirn und schleuderte die Waffe dann über die Köpfe der Unzufriedenen dem ärgsten Schreier gegen die Stirne.

Freunde, rief er mit lauter Stimme, schaart euch um euern König!

Das Wort war kaum verklungen, als der Kampf begann. Schallend fielen die Keulen nieder, zischend fuhren die Streitäxte durch die Luft, ein Hagel von Steinen regnete auf den königlichen Palast nieder, Bald erloschen die Fackeln und die Dunkelheit ließ den Freund vom Feinde nicht unterscheiden. Aber der Kampf wüthete hin und her bis zum nächsten Morgen, wo sich der königliche Palast rings umher mit Leichen umgeben fand.

Pomare hatte den Sieg erkämpft, aber damit war der Krieg noch nicht beendigt. Die Geschlagenen verbreiteten sich mit wüstem Geschrei über die ganze Insel, erklärten die Götter in Gefahr und forderten die Gläubigen auf, sich mit ihnen zu verbinden, um den König Pomare zu züchtigen und einen Andern auf den Thron zu setzen

Viele der tahitischen Häuptlinge, welche entweder fest an der alten Götterlehre hielten oder sich für wirkliche und vermeinte Kränkungen zu rächen hatten, folgten dem Kriegsrufe und zogen mit ihren Untergebenen Papeiti zu.

Aber auch der König hatte seine Anhänger, an deren Spitze der Häuptling Tane stand, gesammelt. So kam es zu einem vernichtenden Kampfe, welcher die ganze Insel mit Blut überschwemmte.

Wir aber wollen diesem furchtbaren Gemetzel nicht folgen, sondern nach der Insel Eimeo zurückkehren.

Das Thal, wo Helene mit ihren Pflegeeltern und der guten Omana wohnte, lag ziemlich hoch in dem zerrissenen und vielzerklüfteten Gebirge. Die Natur hatte es mit einem Bollwerke von fast senkrechten Felsenmauern umstellt, die sich in der äußersten Höhe durch ihre wunderbar geformten Zacken wie ein übereinandergethürmtes Gewirre von Festungswerken ausnahmen.

Nur ein einziger Zugang führte in diese natürliche Burg und es wäre nicht schwer gefallen, auch diesen mit Felsstücken zu verschließen und so das Asyl, welches vielleicht nur wenigen Einwohnern von Eimeo bekannt war, gänzlich unzugänglich zu machen.

An Lebensmitteln fehlte es nicht, denn alles, was die Natur der pflanzen- und früchtereichen Insel bietet, war auf diesem Raume in verschwenderischer Fülle zusammengedrängt. Zu dem sorgten glänzende Blumen für Gesicht, Auge und Geruch, buntgefiederte Vögel für das Ohr, und die Felsenmauern, welche wie eine ungeheure Wand zum Himmel aufstiegen, waren mit einem so dichten Teppich von Grün und Blumen bedeckt, daß man von Morgen bis zur Nacht wie in einen schwebenden Garten hineinschaute.

Anfangs kam das Gefühl der Behaglichkeit nicht in ihren Herzen auf, weil sie fürchteten, von ihren Feinden entdeckt zu werden. Als aber Tage vergingen, ohne daß sich etwas Verdächtiges gezeigt hatte, kam allgemach die Ruhe und die Zufriedenheit über sie. Nur Omana war zuweilen traurig, weil sie fern von ihrem Vater weilen mußte und keine Nachricht von ihm erhielt.

Das Gespräch führte natürlich häufig auf die letzten Vorfälle, wobei Poma sich nicht enthalten konnte, des verwegenen Fremdlings, welcher die Götter Tahiti's so frevelhaft zerschlagen, in zürnenden Worten zu gedenken.

Helene hatte während ihres Aufenthaltes auf der Insel niemals Gelegenheit gehabt, sich in der Kenntniß ihrer Religion weiter auszubilden, aber was sie von ihrem Vater gehört, stand unvergeßlich in ihrem Gedächtnisse. All die schönen Geschichten, welche er ihr an stillen Abenden zu erzählen pflegte, wenn sie auf seinen Knien saß, wurden in diesem schönen Thale und unter den guten Menschen wieder lebendig in ihrer Seele und sie zog im Stillen einen Vergleich zwischen der Allmacht, Weisheit und Güte ihres Schöpfers und diesen ohnmächtigen Holzbildern, denen selbst das Leben und das Bewußtsein mangelte.

Eines Tages, da sie eben von ihrem Mahle aufgestanden waren und an den Bach gingen, um Krebse und Fische zu fangen, fiel ihr die Geschichte vom reichen Fischfange des Petrus ein. Tupia und Poma standen im Bache und die beiden Mädchen saßen noch auf dem erhöhten Ufer.

Omana, sprach Helene, wenn wir ein solches Glück hätten, wie der heilige Petrus, dann würden wir in einem Schlage mehr Fische bekommen, als wir in langer Zeit essen könnten.

Es ist ein hervorragender Zug der Tahitier, daß die geringste Mühe ihnen Beschwerde macht. Je mehr die Natur für sie gesorgt hat, desto weniger wollen sie thun, um ihr zu Hilfe zu kommen. Die beiden Gatten, welche eine leichte Art des Fischfanges erwähnen hörten, erhoben die Köpfe und lauschten der Erzählung.

Helene wußte dieselbe so schön und anmuthig vorzutragen, daß sie ganz entzückt wurden und sich zu den Mädchen auf das Ufer setzten. Als sie geendigt hatte, klatschten sie vor Vergnügen in die Hände und meinten, das sei die schönste Geschichte, welche sie jemals gehört hätten.

Helene ahnte nicht, welch einen tiefen Eindruck sie auf ihre Zuhörer gemacht hatte, noch viel weniger, daß sie in diesem Augenblicke das Werkzeug wurde, durch dessen Hand der Allmächtige den ersten Samen des Christenthums in ihren Herzen ausstreute. Es verging jetzt kein Tag, wo sie nicht eine ihrer anmuthigen Geschichten erzählen mußte. Je wunderbarer sie waren, desto tiefer fühlten sich die einfachen Naturkinder ergriffen. Sie hörten mit offenem Munde und zurückgehaltenem Athem; zumal da Helene unbewußter Weise im Anfange nur diejenigen auswählte, die ihrem Charakter am besten zusagten. Die wunderbare Brodvermehrung, die Hochzeit zu Kana, die Erweckung des Lazarus und des Jünglings von Naim kamen nicht mehr aus ihren Gedanken.

Ueber das Wesen Gottes konnte Helene mit ihren beschränkten Kenntnissen nur geringe Auskunft geben, aber es genügte Omana und den Pflegeeltern, daß dieser Gott ein wirklicher und lebendiger sei, der seine Hände über die ganze Menschheit ausstreckt und auch den Aermsten mit warmer Liebe umfasse.

Tupia fühlte zum erstenmale in seinem Leben, daß er nicht allein für sich, Poma und Helene auf der Welt war; er begriff, daß das Gute, welches er thue, ihm selbst Segen bringe, weil es von Gott gesehen werde.

Poma und Omana waren überaus glücklich, daß sie nach dem Tode wieder mit Helene zusammentreffen würden und sie niemals zu verlieren brauchten.

Sie waren der Gesinnung nach bereits Christen, als sie sich noch unter der Herrschaft des tahiti'schen Gottes Oro glaubten. Helene hatte mit der Zeit Alles erzählt, was sie wußte; aber ihre Hörer waren immer noch nicht befriedigt, sie wollten mehr wissen.

Sie hätten indessen wohl noch lange ihren Wissens- und Glaubensdrang zurückhalten müssen, wäre ihnen nicht ein glückliches Ereigniß zu Hülfe gekommen.

Eines Tages, als die Sonne eben über dem Thale aufgegangen war, hörte Tupia draußen ein heftiges Geräusch. Neugierig wagte er sich durch den Eingang aus seinem Thale und gewahrte nicht weit von sich einen Einwohner von Eimeo, welcher einen weißen Mann verfolgte.

Bald nachher hörte er zwischen dem Guavagesträuche einen lauten Schrei; eine Weile war es darauf stille, dann stürzte die braune, athletische Gestalt wieder hervor. Sein Tapamantel war mit Blut befleckt und seine Augen rollten wie glühende Kohlen.

Tupia ließ ihn vorübergehen und wagte sich dann in das Guavagesträuch, um nachzusehen, was vorgefallen. Wenige Schritte führten ihn zu dem weißen Manne, welcher sich ächzend in seinem Blute wand. Helenens kindliche Lehren hatten ihm schon so viel Christenthum beigebracht, daß er keinen Augenblick zweifelte, was er zu thun habe.

Vorsichtig lud er den Schwerverwundeten auf seine Schultern und trug ihn in das Versteck. Die Frauen erhoben bei dem Anblicke des blutenden Mannes ein lautes Wehgeschrei; Tupia bat sie, zu schweigen und erzählte in kurzen Worten, was vorgefallen war.

Alle waren überrascht, in dem weißen Manne den Jüngling zu erkennen, welcher beim Feste der Tätowirten die tahiti'schen Götter zerschlagen hatte; aber die Angst und die Sorge um sein Leben beschäftigte sie so vollauf, daß jedes andere Gefühl in den Hintergrund trat.

Poma's Zorn war längst verraucht; sie war jetzt am eifrigsten bemüht, ihm beizustehen. Tupia legte ihn nahe am Bache unter den schattigen Zweigen eines Brodbaumes nieder und sprach: Poma, wasche und verbinde ihn! Ich will den Eingang zumauern, denn es ist wahrscheinlich, daß seine Feinde zurückkehren. Wenn sie ihn finden, dann werden sie ihn sicher tödten.

Alle Hände waren nun vollauf beschäftigt, so daß sie selbst die Sorge für den Leib vergaßen. Dafür hatten sie aber auch am Nachmittage die Freude, ihr Asyl verschlossen und den Fremden in's Leben zurückgekehrt zu sehen.

Von Wunden bedeckt war er freilich schwach und kaum im Stande, Auskunft über den Mordanfall zu geben; so viel aber verstand Helene doch heraus, daß er ein christlicher Priester und nach Tahiti gekommen sei, daselbst das Evangelium zu predigen. Nach seinem ersten Auftreten auf der Insel hatte er sich vor den Verfolgungen der Tahitier flüchten müssen und war nach Eimeo gekommen, um hier sein Werk zu beginnen.

Wenn die Freude Helenens schon groß war, unter den braunen Leuten unvermutheter Weise einen Weißen zu finden, so steigerte sie sich noch dadurch daß sie ihn als einen Priester des Herrn erkannte. Nun hatte sie wenigstens nicht umsonst zu den Herzen ihrer drei Freunde gesprochen; der Priester konnte ihr Werk fortsetzen und zu einem glücklichen Ende bringen.

Der überaus heitere Himmel, die gesunde Luft, die Ruhe, welche überall herrschte und die Sorge der Frauen, das Alles trug dazu bei, daß der junge, lebenskräftige Priester schneller von seiner Wunde genas, als man voraussetzen durfte.

Als er zum erstenmale am Arme Tupia's einen Gang unter den Brodbäumen machte, klagte er darüber, daß er in seiner Wirksamkeit gehemmt worden sei, ehe der ausgestreute Samen Zeit gehabt habe, Wurzel zu schlagen.

Tupia suchte ihn auf seine Weise zu trösten, indem er ihm versprach, bei erster Gelegenheit auf seinen feigen Mörder mit der Streitaxt einzudringen und ihn zu erschlagen.

Mein Freund, antwortete der Priester, thätest du das, so würde ich dir keinen Dank dafür wissen, sondern dich fliehen und deine That verabscheuen.

Hat er dir nicht auch nachdem Leben getrachtet? fragte Tupia verwundert.

Wohl that er das, entgegnete der Priester; ich wollte ihm das Heil bringen und er suchte meinen Tod. Er ist also mein Feind; aber mein Glaube lehrt mich, meine Feinde zu lieben und denen Gutes zu thun, die mich hassen.

Helene hatte dem guten Tupia manches Beispiel der Nächstenliebe erzählt, und er hatte das rührend und schön gefunden, aber die Feindesliebe im Allgemeinen kam ihm nicht allein neu, sondern auch so abgeschmackt vor, daß er den Priester verwundert anschaute.

Du verstehst mich nicht, sagte dieser; aber du würdest mich vollständig begreifen, wenn du die Lehren des Christenthums känntest. Noch mehr, du würdest dann kein größeres Vergnügen kennen, als deinen Feinden Gutes zu thun.

Tupia schüttelte mit dem Kopfe, denn er hielt eine solche Lehre für lächerlich und war durchaus nicht begierig, weiter in dieselbe einzudringen.

Wo aber fünf Menschen so enge bei einander und von der ganzen Welt abgeschlossen wohnen, da ist es kaum möglich, daß der Eine von den Ideen des Andern nichts annehme, um so mehr, wenn sich eine Person darunter befindet, die es sich zum Lebensberufe gemacht hat, die Uebrigen zu belehren.

Wir brauchen uns also nicht zu verwundern, daß wir die kleine Gesellschaft täglich zu den Füßen des Priesters sitzen sehen, der ihnen von Jesus Christus und den Helden des Evangeliums erzählt.

Da er Manches sagte, was sie schon aus Helenens Munde gehört hatten, so wurden sie immer geneigter, auch das Neue anzunehmen, und bald kam die Zeit, wo sie die Stunde nicht mehr erwarten konnten, welche für den christlichen Unterricht bestimmt war.

Helene begriff natürlich schneller, als die Uebrigen, aber das rechte Verständniß des Christenthums ging auch ihr erst jetzt auf. Sie ergriff es mit der ganzen Gluth ihres warmen Herzens und sah dem Tage, wo ihre Freunde die Taufe erhalten sollten, mit einer fast unstillbaren Sehnsucht entgegen.

Dieser Tag kam endlich. Der Priester führte sie am Morgen bei Sonnenaufgang aus der Hütte an eine Stelle des Baches, die an beiden Ufern mit duftigen Blumen besetzt war. Hier, wo das Wasser wie in einer bunten Vase ruhte, sollte die heilige Handlung im Angesichte des Himmels vor sich gehen. Helenens Augen glänzten vor stillem Entzücken, denn daß die liebe Omana und die guten Pflegeeltern jetzt in die Gemeinschaft der Christen ausgenommen werden sollten, schien ihr das größte Glück, welches sie jemals erleben könnte. Mit einer wahren Inbrunst kniete sie zwischen den Blumen und betete für die drei glücklichen Menschen, die es längst erkannt hatten, daß die Götter der Südsee ein leerer Schatten seien, und daß die Lehren der Priester weder für das Diesseits noch für das Jenseits Befriedigung gewährten.

Als die Taufe vorüber war und Helene unter Freudenthränen Omana und ihre Eltern umarmt hatte, sprach der Priester: Tupia, du hast uns durch deine Mauer von der Welt abgeschlossen und bis heute war deine Vorsicht gut, denn sie hat es mir ermöglicht, in stiller Abgeschiedenheit die ersten Christen auf Eimeo in das Bad der heiligen Taufe zu führen; jetzt aber ist deine Mauer unnütz, denn sie schließt uns von den Menschen ab, die wir doch suchen sollen, um ihnen die Wahrheiten des Evangeliums zu predigen.

Hast du vergessen, antwortete Tupia, daß der wilde Bexore nach deinem Blute dürstet? Geben wir den Eingang frei, so wird er dich vielleicht finden und abermals seine Hände in dein Blut tauchen.

Bexore, antwortete der Priester, ist der mächtigste Häuptling auf Eimeo; wenn er selbst seine Hände nicht mit Blut beflecken will, so genügt sein bloßes Wort, um hunderte von Insulanern auf mich zu hetzen. Dennoch muß ich mit ihm zusammentreffen und ihm die Lehre des Heiles bringen. Alle seine Untertanen schauen auf ihn; was er thut, ist gut und nachahmungswürdig. Begreifst du also, daß ich ihn sprechen und bekehren muß, damit auch seine Leute zum Christenthume übergehen? Gehe ich in diesem Unternehmen zu Grunde, so sterbe ich in Ausübung meiner Pflicht und kann getrost den Weg in die Ewigkeit antreten.

Tupia hatte noch viele Einwendungen zu machen, aber Vater Eustach, mit welchem Namen der Priester belegt wurde, wußte dieselben so erfolgreich zu entkräften, daß er sich endlich fügte und noch am nämlichen Tage die Mauer entfernte, welche sich in der kurzen Zeit bereits so dicht mit blühenden Schlingpflanzen von Außen und Innen bekleidet hatte, daß ihre künstliche Aufrichtung kaum zu bemerken war.


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