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Neuntes Kapitel.
Eine Tasse Thee

Betty Claverhouse plauderte bereits gemütlich wie immer mit der alten Frau Talbot, während John daneben saß und an einem Eckbrett schnitzte, das seiner Vollendung nahe war. Seine Mutter war sehr im Zweifel, ob es keine Sünde sei, daß John dergleichen am Sonntag betrieb. Der Sohn hatte ihr jedoch klar gemacht, daß sein Werk zum Schmuck diene, nicht zum Gebrauch, daß er nicht dafür bezahlt werde, seine Beschäftigung also auch kein Verstoß gegen das mosaische Gesetz sei.

»Nur unsere unrichtige Ausdrucksweise ist schuld daran: ich arbeite ja gar nicht, sondern bilde nur meinen Geschmack und mein ästhetisches Gefühl. Soll ich mit müßigen Händen dasitzen? Weißt du nicht, daß Müßiggang aller Laster Anfang ist?«

»Manchmal denke ich, du treibst nur Scherz, John,« sagte die alte Dame, ihn mit zärtlich zweifelnden Blicken durch die Brille anschauend.

»Frage doch Betty, sie weiß, ob ich's ernst meine,« versetzte er. »Neulich sagte ich ihr, sie wäre ein liebes, gutes Mädchen und sie hat es mir auf's Wort geglaubt; nicht wahr, Betty?«

Betty hob ihr Näschen in die Höhe und lachte.

»Das war auch am Sonntag, und ein viel schwereres Stück Arbeit als dies Eckbrett,« fuhr er fort, sein Werk mit kritischer Miene betrachtend. »Du glaubst gar nicht, Mutter, wie schwer es hält, Betty davon zu überzeugen, daß sie gut und lieb ist!«

»Ich kann nie gut genug werden, um dich dafür zu belohnen, daß du mich lieb hast,« sagte Betty mit leisem Seufzer.

»Siehst du wohl, Mutter! Wahrscheinlich bin ich gänzlich im Irrtum und Betty ist ein eigennütziges, berechnendes, zanksüchtiges Ding. Was versteht ein armer, unschuldiger Kerl wie ich von den Frauenzimmern! Betty, hast du die Abschrift fertig gemacht, wie ich dir sagte?«

»Ja, John, Wort für Wort. Was will Mr. Cowran denn aber damit anfangen?«

»Was weiß ich? Sie als Andenken an dich behalten! Er kommt mir schon lange verdächtig vor; vielleicht ist er gar ein Nebenbuhler. Aber dann wehe ihm! Wenn er es wagen sollte, dir seine Leidenschaft auf andere Weise kund zu thun als durch eine Gehaltserhöhung, so kündige ich ihm den Dienst!«

»Oho, und woher nimmst du dann Nahrung und Kleidung?«

»Das ist meine geringste Sorge. Du ahnst gar nicht, Mädchen, was für schlaue, tief angelegte Pläne ich in meinem Haupte wälze,« murmelte John mit hohler Baßstimme. »Ich stecke einfach deine Abschrift von Goldings Privatpapieren in die Tasche und mache ihm einen Besuch. Er muß mich auf der Stelle zu seinem Teilhaber annehmen, sonst lasse ich seine geheimen Notizen in jeder Zeitung des Weltteils abdrucken. Der arme Mensch! ich sehe förmlich wie er sich dreht und windet, bis er endlich einwilligt.«

In diesem Augenblick klingelte es draußen; unbekümmert um den Eindruck, den seine letzten Worte gemacht haben mochten, legte John sein Kunstwerk nieder, stapfte auf seinen langen Stelzbeinen hinaus und erschien bald wieder in Begleitung von Kitty Clive und Frank Cunliffe, die von der Winterluft ganz frisch angehaucht waren. Nach allseitiger herzlicher Begrüßung wurden die Stühle dicht ums Kaminfeuer gerückt und die gemütliche Unterhaltung begann.

»Wo habt ihr zwei denn den ganzen letzten Monat über gesteckt?« fragte Talbot. »Ihr werdet doch nicht etwa Hochzeit gehalten haben?«

»Warum sollten wir nicht, wenn ich bitten darf?« gab Cunliffe zurück.

»Erstens, weil Betty und ich euch als Brautjungfer und Brautführer brauchen, wenn wir heiraten. Ferner aber, weil wir bei der Musterehe, die wir zu führen gedenken, ein unverheiratetes Publikum haben müssen, das von uns profitieren kann.«

»Das nenne ich mir ein ideales Verhältnis,« bemerkte Kitty.

»Jawohl – nur trübt eines diese Idealität – nämlich die Nase der künftigen Frau Talbot; denn eine Stumpfnase kann unmöglich ideal sein. Indessen hat ein berühmter Chirurg, den ich deswegen zu Rate zog, mich versichert, man könne einen Längsschnitt durch den Nasenrücken machen, einen Teil des Gewebes entfernen, einen Silberknorpel einfügen und so die Stumpfnase in eine Adlernase verwandeln. Der Gedanke gewährt mir große Beruhigung.«

»Aber John,« warf seine Mutter ein, »das wäre ja ganz barbarisch; dazu könntest du dich doch nie entschließen! Wir müssen zufrieden sein, wie uns der liebe Gott geschaffen hat. Er weiß was am besten ist!«

»Der Schöpfer ist nicht verantwortlich für die Form von Betty's Nase, Mutter; die Welt ist schuld daran, die sie zu viel herumgestoßen hat; aber wenn Betty meine Frau wird, kommt sie in bessere Verhältnisse und dann muß sie auch eine andere Nase haben.«

»Laß meine Nase in Frieden,« rief Betty entrüstet, »wer weiß, ob es ihr in der Ehe so wohl ergehen wird wie bisher.«

»Habe ich dir nicht gesagt, daß ich im Begriff stehe, Mr. Golding's Teilhaber zu werden!« entgegnete John mit Würde, »glaubst du, daß er unverbesserliche Stumpfnasen in seiner Nähe duldet?«

»Mr. Golding's Teilhaber?« rief Cunliffe, »was redest du für Zeug!«

»Er spricht lauter Unsinn,« sagte Betty, »ich habe eine Abschrift von Mr. Golding's geheimen Notizen gemacht, da – –«

»Betty, du willst wohl die Unterhaltung ganz an dich reißen?« unterbrach sie Talbot, »wie wäre es, wenn du den Thee in die Kanne thätest zur Förderung unseres häuslichen Behagens? Geh' und sieh, ob das Wasser kocht!«

»Ich will dir helfen, Betty,« sagte Kitty Clive sich erhebend, »ich weiß eine neue Methode, Thee zu machen, ein Geheimnis der Mandarinen; da du bald Hausfrau wirst, will ich's dich lehren.« Die beiden Mädchen verließen das Zimmer.

»Ich wußte gar nicht, daß Cowran noch mit Golding in Geschäftsverbindung steht,« sagte Cunliffe; »hat eine Versöhnung zwischen ihnen stattgefunden?«

»Nicht daß ich wüßte,« entgegnete Talbot. »Dies ist eine alte Geschichte, noch aus der Zeit, ehe sie sich entzweiten.«

»Ja so, wahrscheinlich Privaturkunden, die ihr noch in Verwahrung hattet. Denkt Cowran sie gegen Golding zu benutzen?«

»Mir scheint, er will sie zurückschicken und hat die Abschrift nur zu seiner persönlichen Befriedigung oder für einen Fall der Notwehr fertigen lassen. Mich geht's nichts an, aber hübsch wäre es, wenn Cowran die Papiere zurückschickte, das hieße so viel als: ich könnte dir leicht Gleiches mit Gleichem vergelten, betrachte das aber unter meiner Würde.«

»Der Inhalt der Papiere ist also verfänglich?«

»In gewisser Beziehung ja, natürlich nicht vor dem Strafgericht. Aber Golding muß wünschen sie geheim zu halten, wie der General im Kriege seine strategischen Aufzeichnungen. Kommt der Feind dahinter, so ist alles verraten.«

»Was ist denn dieser Golding eigentlich für ein Mensch?«

»Der reine Währwolf – aber man kann nicht umhin, ihn zu bewundern. Das nenn' ich einen Geschäftsmann! Jeden Dollar von seinen zweihundert Millionen macht er lebendig. In seiner Arbeitsbude duldet er weder Staub noch Spreu. Mit mathematischer Genauigkeit berechnet er seine Unternehmungen – das Wagnis, die Durchführung der Idee, ist ihm die Hauptsache dabei. Um seine Pläne zu verwirklichen, wäre er im stande eine ganze Stadt auszuhungern, die Bewohner ihres Broterwerbs zu berauben; doch glaube ich, daß im Großen und Ganzen sein Thun und Treiben der Kultur eher förderlich ist. Man kann ihn nicht mit demselben Maße messen wie andere Leute; er ist in seiner Art ein Genie. Bei ihm folgt auch, ehe man sichs versieht, wie in der Natur auf den alles zerstörenden Winter der Frühling, der Sommer, der Herbst. Meiner Meinung nach muß ein großartig angelegter Geist stets mehr Gutes als Böses wirken, selbst wenn es nicht in seiner Absicht liegt.«

»Ein böser Geist ist er für manchen armen Teufel,« meinte Cunliffe. »Wäre ich an Cowran's Stelle, ich ließe mich etwas von meiner Würde herab, das weiß ich!«

»Warum solltest du ein schlechterer Kerl sein als du jetzt bist, wenn du in einer anderen Haut stecktest,« erwiderte Talbot, gähnte laut und strich sich mit der Hand über sein langes blasses Gesicht. »Ich bin ganz schläfrig, weil die Mädchen mit ihrem Mandarinenthee immer noch nicht kommen. Hollah, Betty!«

»Hier sind wir schon,« rief die junge Dame. Sie erschien gerade in der Zimmerthür, ein Theebrett mit Tassen und Kannen tragend, während Kitty ihr mit den Kuchen und gerösteten Brotschnitten folgte. »Solchen Thee habt ihr noch nie getrunken. Kitty muß wirklich ein verkleideter Chinese sein.«

»Man hat mir gesagt, daß ein hübscher Mandarin alle Tage an der Theatertreppe auf sie wartet,« bemerkte Talbot.

»Ganz falsch,« rief Cunliffe dazwischen, »es ist ein amerikanischer General, Stuart Weymouth mit Namen; ein stattlicher hübscher Mann in mittleren Jahren mit schwarzem Bart und dunkeln Augen. Er lebt als einsiedlerischer Sonderling, aber Kitty's Stimme hat ihn aus seiner Höhle gelockt. Vor Zeiten hat er fünfzigtausend Dollars ausgeschlagen, die ihm Golding geben wollte, um unter seinem Namen eine Aktiengesellschaft vom Stapel zu lassen. So weit habe ich die Geschichte bis jetzt gehört; erzähle uns das übrige, Kitty, wie hat er deine Bekanntschaft gemacht?«

»Auf ganz gewöhnlichem Wege; er suchte den Direktor auf, um sich durch ihn mir vorstellen zu lassen. Der Direktor fragte, ob ich etwas dagegen hätte, ich sagte nein, und ich empfing den General im Garderobezimmer. Er war vor sechs Wochen zufällig ins Theater gekommen. Die Musik, sagte er, sei die einzige Freude, die er noch auf der Welt habe. Gewöhnlich besuche er die Vorstellungen und Konzerte in der Musikakademie und der großen Oper, in kleinere Theater gehe er selten. Nachdem er mich aber einmal gehört hat, versäumt er keinen Abend, an dem ich auftrete. Im Klange meiner Stimme, meint er, liege für ihn ein gewisser Reiz, den er noch in keiner andern gefunden. Er fürchtete, es werde ihn sein Lebenlang gereuen, wenn er nicht die Gelegenheit ergreife, meine Bekanntschaft zu machen, da nach seiner Ueberzeugung mein Wesen auf ihn eine ähnliche Anziehungskraft üben müsse, wie meine Stimme. Er war auch so freundlich hinzuzufügen, daß ihn seine Ahnung nicht betrogen habe, und bat mich, ihn von nun an als meinen treuen, aufrichtigen Freund zu betrachten.«

»Wie hochherzig,« bemerkte Talbot.

»Aber du sagst uns nicht alles,« rief Frank Cunliffe. »Er hat dir vorgeschlagen, seine Frau Generalin zu werden, nicht wahr?«

»Wenn dem so wäre,« entgegnete Kitty ruhig, »so braucht doch niemand darum zu wissen. Er ist ein Ehrenmann und mir fällt nicht ein, mich über ihn lustig zu machen.«

»Ich besinne mich,« sagte Talbot, »Golding hat damals von ihm gesprochen. Er besaß großen Einfluß in geselligen und politischen Kreisen. Aber es muß ihm etwas zugestoßen sein, denn er verschwand plötzlich von der Bildfläche; wahrscheinlich glauben die meisten, er sei gestorben. Jetzt würde sein Name vermutlich nicht mehr fünfzigtausend Dollars jährlich einbringen.«

»Vielleicht hat er noch eine alte Rechnung mit Golding ins reine zu bringen,« bemerkte Cunliffe.

»Davon weiß ich nichts,« gab Talbot zurück; Kitty aber bemerkte:

»Wenn du meinst, der General habe etwas Nachteiliges über Golding gewußt und dieser ihn mit den fünfzigtausend Dollars bestechen wollen, so bist du sicherlich im Irrtum. Nachdem er die Summe ausgeschlagen, brauchte er nicht zu schweigen. Daß er nichts an die Oeffentlichkeit brachte, ist ein klarer Beweis, daß es nichts zu veröffentlichen gab.«

»Hat er viel von Golding gesprochen?« fragte Cunliffe.

»Nur wenig, aber freundschaftlich. Er sagte, vielleicht werde er die Bekanntschaft erneuern.«

»Die Sache ist sehr rätselhaft,« meinte Cunliffe.

»Solche geheimnisvolle Menschen sind nicht nach meinem Geschmack,« bemerkte Miß Betty Claverhouse, »ich habe die Leute lieber, die man durch und durch kennt, wie – – John zum Beispiel!«

»Du glaubst mich zu ergründen, thörichtes Mädchen?« deklamierte ihr Liebhaber, »ich bin ein tiefer Schlund! Fülle mich schnell mit einem neuen Theeaufguß!«

Nun kam wieder ein lustigerer Ton in die Unterhaltung, doch ist dieselbe in ihrem weitern Verlauf für unsere Geschichte ohne Bedeutung.


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