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Achtes Kapitel.
Cunliffe's Sorgen

Am Abend nach der Entscheidung fühlte sich Cunliffe nicht aufgelegt in den Klub zu gehen; er begab sich daher ins Theater, um Kitty singen zu hören. Sie war trefflich bei Stimme, sah merkwürdig gut aus und sobald sie Frank unter den Zuschauern erspäht hatte, galt ihr Gesang ihm allein. Für den Augenblick beruhigte und tröstete ihn die Musik. Nach der Vorstellung wartete er an der Bühnentreppe, bis Kitty herauskam, gab ihr den Arm und geleitete sie durch den Schnee nach ihrer Wohnung. Unterwegs erzählte er ihr, was vorgefallen war.

Kitty hörte ihm schweigend zu, aber die gespannte Aufmerksamkeit ihres ganzen Wesens drückte mehr Teilnahme aus und gewährte ihm größeren Trost, als Worte vermocht hätten. Das war so ihre Art. Als er geendet hatte, fragte sie nur, ob der Mensch, der ihm die Börsennachricht hinterbracht, ihn absichtlich habe betrügen wollen.

»Ganz und gar nicht,« erwiderte Cunliffe, »er hat in gutem Glauben gehandelt und selbst Verluste gehabt, die er jedoch besser tragen kann. Wir haben uns beide anführen lassen, das ist das Kurze und Lange von der Geschichte.«

»Aber von wem? Wer hat euch zum Narren gehalten?«

»Das weiß niemand. Es war ein Börsenkniff. Die alte Geschichte: einer der Börsenkolosse treibt die Kurse eines Papieres und läßt sie dann wieder purzeln. Er mag weitgehende Pläne damit verfolgt haben, oder wollte er vielleicht nur ein ›Gachis‹ anrichten, wie man die Verwirrung nennt, welche daraus entsteht. Jedenfalls hat er mich aus der Welt hinausgewirbelt, in der ich bisher gelebt – und wohin? Das wissen die Götter!« –

»Zwanzigtausend Dollars hast du eingebüßt?«

»Laß gut sein; der Topf ist zerbrochen, die Milch ist ins Feuer gelaufen! – Das kommt alle Tage vor. Es geschieht mir schon recht. Kitty, was bin ich solch ein Thor und laufe mit offenen Augen in mein Verderben! – Sprechen wir von etwas anderem: du warst wundervoll heute abend.«

»Ich erwerbe mir viel Geld, Frank, und dir verdanke ich alles!«

»Mir? Habe ich dir etwa singen helfen? Du bist eine tüchtige Künstlerin und wirst deinen Weg machen. Hoffentlich kommst du nicht einmal auf den Gedanken, irgend einen Narren zu heiraten!«

Kitty lachte. – »Dafür sorgt schon meine Häßlichkeit; ich könnte es nicht, auch wenn ich wollte.«

»Häßlich, du? – Die größte New-Yorker Schönheit gefällt mir nicht so gut wie du, gerade so wie du bist. Auch siehst du schon tausendmal besser aus wie zu Anfang. Man mag gegen die Bühnenlaufbahn sagen was man will, aber für ein braves Mädchen ist sie gar nicht zu verachten. Sie gewährt ihr Beschäftigung, Unabhängigkeit und ein anregendes Leben.«

»Warum versuchst du nicht dein Glück auf den Brettern, Frank? Du würdest Erfolg haben und dich wohl dabei befinden.«

»Nein, für mich ist's damit zu spät. Von achtzehn Jahren, allenfalls noch von einundzwanzig, hätte ich's auf einen Versuch ankommen lassen, jetzt bin ich dazu verdorben. Hätte ich eine Stimme wie du, das wäre etwas anderes, aber als Schauspieler mich in hundert verschiedene Rollen hineinarbeiten – dazu bin ich zu steif und ungelenk! – Auch für meine Eitelkeit – weiß der liebe Himmel warum – wäre es ein harter Stoß, wenn die Jungens vom Klub im Parterre herumständen, um mein ›Debüt‹ zu kritisieren. Nein, auf diesem Wege komme ich nicht aus meiner Sackgasse heraus!«

»Mir scheint,« sagte Kitty nach einer kurzen Pause, »die Leute, die solches Unheil anrichten, sollten nicht ohne Strafe davonkommen!«

»Was für Leute meinst du?«

»Nun, die Börsenspekulanten, die eine künstliche Panik in Wall-Street verursachen und die Menschen um ihr Vermögen bringen.«

»Wenn jemand in die Höhle des Löwen rennt, darf er nicht erwarten, mit heiler Haut wieder herauszukommen. Wer hat es ihn denn geheißen? – Der Mann, der mein Geld eingesackt hat, macht sich für frühere Verluste bezahlt, die er erlitten haben mag. Wen's gerade trifft, der hat den Schaden. Heute mir, morgen dir – das ist so der Lauf der Welt.«

»Aber warum sollst du darunter leiden, daß der Mann früher einmal sein Geld an andere verloren hat; du hast ihm keinen Schaden zugefügt, mit welchem Recht darf er also dich berauben?«

»Das mag alles schön und gut sein, aber in der Welt, und besonders in Wall-Street herrschen andere Grundsätze. Wer sich hat rupfen lassen, rupft bei Gelegenheit die andern wieder, mögen sie ihm Schaden zugefügt haben oder nicht.«

»Das ist eine schmähliche Ungerechtigkeit und ohne allen Sinn und Verstand. Wer aus Erfahrung weiß, wie es thut, wenn einem übel mitgespielt wird, der kann andern gegenüber nicht mit der gleichen Unbilligkeit verfahren. Giebt dir jemand einen Schlag, so begreife ich wohl, daß du ihn zurückgiebst, aber nicht, daß du jemand anders dafür schlägst.«

»Sehr richtig bemerkt!« lachte Frank, »aber an solche Vernunftschlüsse kehrt man sich nicht in der wirklichen Welt! Mache dir übrigens keine Sorge um mich, Kitty. Ich besitze noch fünftausend Dollars, mit denen kann ich bei gehöriger Einschränkung fünf Jahre reichen. Außer dir weiß niemand, wie mir's ergangen ist. Was kann sich in fünf Jahren nicht alles ereignen? – Ein Onkel aus Kalifornien kann plötzlich auftauchen, oder sonst ein Glücksstern. – Aber hier sind wir an deiner Wohnung; ich wollte, es wäre Sonntag und wir könnten zu Talbots gehen!«

»Wäre ich doch im stande etwas für dich zu thun!« sagte Kitty, ihm die Hand reichend.

»Singe mir nur von Zeit zu Zeit etwas vor, mehr begehre ich nicht,« entgegnete er, und sie trennten sich.

In den nächsten Wochen war Frank Cunliffe eifrig mit Plänen für seine Zukunft beschäftigt. Seine fünftausend Dollars standen zu zehn Prozent als Hypothek auf einem Grundstück. Es soll ja Leute geben, die verstehen mit fünfhundert Dollars jährlich anständig auszukommen, aber Cunliffe gehörte nicht zu diesen Glücklichen. Die Theaterkritiken brachten ihm etwa dreihundert Dollars ein. Er mußte sich durchaus noch eine Jahreseinnahme von achthundert bis tausend Dollars verschaffen, um sich durchzubringen. New-York zu verlassen und sich in einem Landstädtchen zu vergraben, kam ihm nicht einmal in den Sinn – es wäre sein Tod gewesen! Doch auch das Leben in New-York hatte keinen Reiz für ihn, wenn er sich genötigt sah, aus dem Klub auszutreten. Und doch machten die für diese Gesellschaft zu zahlenden Beiträge ein schreckliches Loch in seine Kasse. Der Divisor war zu groß für den Dividendus. – Er wälzte das Problem wieder und wieder in seinem Haupte, obgleich er wußte, daß die Lösung ein Ding der Unmöglichkeit war. Sein Mut begann zu sinken. Er dachte an Kitty's Worte, daß der Mann, der ihn in's Verderben gelockt, von Rechts wegen nicht ungestraft davonkommen dürfe. Er wußte, oder glaubte zu wissen, wer Schuld an seinem Mißgeschick war, aber es durfte schwer halten, den Mann zur Rechenschaft zu ziehen. Wie, wenn man ihn zu bestimmen suchte, die zwanzigtausend Dollars zurückzuerstatten? – Cunliffe sah sich im Geiste geradeswegs in das Bureau des großen Kapitalisten treten, seinen Fall darlegen und sich einen Wechsel in der Höhe des Betrages von ihm ausbitten. Was waren zwanzigtausend Dollars für einen Mann wie Golding? Warum sollte er ihm nicht den Wechsel einhändigen, ihm seinen Segen geben, verbunden mit einer Abschiedsermahnung sich nie wieder in Börsenspekulationen einzulassen? Cunliffe mußte hell auflachen, bei dem bloßen Gedanken an einen solchen Schritt.

Längere Zeit war er nicht in der Stimmung, den Freundeskreis bei Talbot aufzusuchen. Endlich jedoch schrieb er an Kitty, er werde sie am folgenden Sonntagabend abholen. Bei seiner Ankunft wartete sie schon auf ihn; sie hatten einander seit jenem Gespräch nicht wiedergesehen.

»Nimm einen Augenblick Platz, indes ich mich fertig mache,« sagte sie, ihn mit warmem Händedruck begrüßend, und legte die Zeitung beiseite, die sie gerade gelesen. »Laß einmal sehen, wie du dreinschaust, ob lustig oder traurig? – Du bist bleich und mager und siehst sorgenvoll aus, du armer Junge!«

»Oh, noch nage ich nicht am Hungertuche,« entgegnete Cunliffe in dem gezwungenen scherzhaften Tone, den er neuerdings angenommen. »Meine Bekannten laden mich noch zu Tische ein, da sie nicht wissen, daß ich arm bin wie eine Kirchenmaus.«

»Hast du deinen Beitrag für den Klub bezahlt?«

»Er ist erst im Januar fällig und einen, auch zwei Monate kann ich die Bezahlung hinausschieben, aus angeblicher Vergeßlichkeit. Bis dahin kann ich vielleicht jemand berauben oder umbringen, um meiner Verpflichtung nachzukommen.«

»Weißt du, Frank,« sagte sie, ihn gedankenvoll anblickend, »ich habe ein Vorgefühl, als würde bald ein Umschwung in deinen Verhältnissen eintreten, ein Glücksfall, der dir das Verlorene wiedergiebt. Der kalifornische Onkel, über den du neulich scherztest, wird vielleicht zur Wahrheit werden! Dein Mißgeschick hat dich ja völlig unverdient betroffen.«

»Das Glück soll sich nur auf die Beine machen, um mich noch vor der nächsten Quartalzahlung einzuholen. Es ist hohe Zeit! – Aber keine dummen Späße mehr – die Sache ist bitterer Ernst! Auch ich habe Vorgefühle gehabt, vielleicht verwirkliche ich sie. Das wird die Zukunft lehren. – Komm' jetzt, mache dich fertig; Talbots erwarten uns. Wenn diese guten Leute wüßten, daß sie einen Bettler an ihrem Tische nähren, glaubst du, daß sie mich zum Haus hinauswürfen?«

Kitty seufzte. – »Mich wundert's nicht, Frank, wenn du den Glauben an die Menschen verlierst. An John Talbot brauchst du aber nicht zu zweifeln, er bleibt dir treu. Auch hast du noch andere Freunde, die für dich durch Feuer und Wasser gingen.«

Sie verschwand ins Nebenzimmer, um sich anzukleiden, während Cunliffe die Zeitung zur Hand nahm. Als sie bald darauf in Hut und Mantel hereintrat, hatte er Gleichmut und gute Laune wiedergewonnen. In Kitty's Wesen fiel ihm erst jetzt, nun er nicht mehr ausschließlich mit sich selbst beschäftigt war, eine innere Erregtheit auf, die er früher nie bemerkt hatte. Ihre grauen Augen funkelten in ungewohntem Glanz.

»Wie gut dir der Hut steht, Kitty« sagte Frank, »du bist ja förmlich zur Schönheit geworden; ich bin ganz stolz, mich mit dir auf der Straße sehen zu lassen. Ueber kurz oder lang kommt gewiß einer und stiehlt dich mir weg.«

»Macht dich Zufall oder Absicht zum Propheten?«

»Wie meinst du das?«

»Was du sagst, paßt so genau zu dem, was ich dir eben erzählen wollte: es hat sich wirklich endlich ein Verehrer für mich gefunden!«

»Das überrascht mich gar nicht; ich zitterte schon lange davor. Wer ist es? Ich bringe ihn auf der Stelle um!«

»Ihn umbringen, weil ich ihm gefalle! Das wäre doch zu grausam!«

»Du weißt schon, wie ich's meine! – Der unverschämte junge Gelbschnabel! Ich hoffe, du hast ihn recht abfahren lassen.«

»Das würde mir schwerlich einfallen,« lachte Kitty, »er ist ein ganz anderer Mann als du dir denkst.«

»Wohl gar eine anziehende Persönlichkeit? Das fehlte nur noch!«

»Es ist ein sehr angenehmer, feingebildeter Herr, früherer Militär – General Stuart Weymouth.«

»Ein General a. D.! Also ist er schon über die erste Jugend hinaus?«

»Ich schätze ihn etwa auf fünfundfünfzig.«

»So? – Ist er reich?«

»Ich habe ihn nicht gefragt, glaube aber kaum. Er ist im Kriege verwundet worden, auf Halbsold gesetzt und lebt in einem Kosthaus auf dem Irving-Platz.«

»Ein narbenvoller Krieger also! Wohl ein schöner Mann?«

»Er ist groß, von soldatischem Anstand, hat dunkle Augen und einen schwarzen Bart. Er ist etwas exzentrisch, steht, wie er sagt, ganz allein in der Welt und hat wenig Bekannte. Vor Jahren soll er aber eine große Rolle gespielt und mit einer Menge bedeutender Leute in Verbindung gestanden haben. Auch mit Mr. Golding war er bekannt. Der Börsenkönig hat ihm ein Jahresgehalt von fünfzigtausend Dollars geboten, wenn er als Präsident an die Spitze einer Aktiengesellschaft treten wollte, er brauchte nur seinen Namen dazu herzugeben. Das übrige erzähle ich dir ein andermal. Hier sind wir an Talbots Wohnung.«


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