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Duldsamkeit

Duldsamkeit ist die Religion der Zukunft. Duldsamkeit beruht auf der völligen Gleichachtung des Nächsten. Ohne Duldsamkeit keine Freiheit. Es gibt wohl eine religiöse Wahrheit, aber diese ist nicht so geartet, daß sie vielgestaltige religiöse Wahrheiten ausschlösse. Der tolerante Chinese sagt: »Bruder, wie schön ist deine Religion.«

Es wird lange dauern, bevor sich aus den jahrtausendelangen Wehen der Kultur die Toleranz geboren hat. Bisher ist der einzig vollkommene Toleranzfaktor die Kunst. Die Kunst kennt nicht den Fanatiker. Die Kunst, durchaus nicht charakterlos, ist parteilos: allen Künsten voran die Musik. Sie ist unter den Künsten die universellste und die Seele aller übrigen. Die Künste verwirklichen den Frieden durchaus; nicht nur den Frieden, sondern auch die Religion. In ihnen verbindet sich das wahrhaft Humane mit dem wahrhaft Göttlichen. Also nicht: Du sollst dir kein Bild machen! Sondern: Du sollst dir Bilder machen! Nur vergiß nie, daß es Bilder sind!

Natur ist die größte Bildnerin. Was sie gebildet hat, bildet sie uns ein – Einbildung – und bildet es durch uns aus zur Kunst. Natur schafft die Vorbilder der Kunst, der Künstler und die Kunst. Sie dichtet blind, wie Homer, aber es ist, als wolle sie auf diese Art langsam, langsam sehend werden. Auch in der Natur liegt aber das zerstörende Prinzip. Nur scheint es, als suche sie in der Kunst zum Unzerstörbaren durchzudringen, um dessen Anblick und dessen Weihe zu sichern.

Die Natur schafft die Blume und schafft Esel, Ochse und Schaf, die sie stumpfsinnig auffressen. Nur der Künstler frißt sie nicht, wenn er sich ihrer durch die Kunst bemächtigt. Die Natur schafft den Vogel und den Fallensteller, den Fisch und den Fischer, das Raubtier und den Hasen, und so fort. Aber indem sie den Künstler schafft, stellt sie das parteilose Auge in den allgemeinen Krieg: diesen irdisch notwendigen Krieg, der nur mit dem Leben der Erde stirbt, dessen Formen aber immer mehr und mehr zu veredeln sind.

Bilder als Bilder, Visionen als Visionen ansehen, darauf kommt es an. Unsre Phantasie nährt sich von den Eindrücken des Tages, mehr noch von denen der Nacht. Unser wahrer Zustand wird mit der Erscheinung der Sonne gleichsam unterbrochen. Wir werden in die göttlichen Äußerlichkeiten abgelenkt. Der nächtliche Traum reicht aber ins tägliche Leben und der Tagestraum ins nächtliche. Der Tagestraum hat einen mehr dualistischen Charakter. Das Subjekt erhält ein Objekt. Der Vollblutkünstler ist mit allen Arten von Bildern und Träumen vertraut, aber der rohe und ehrgeizige Dilettant kommt in Gefahr, aus irgendeinem seiner Bilder und Träumereien, ohne Fähigkeiten dafür, eine Realität machen zu wollen. Ihm gelingt kein Kunstwerk, dafür aber das Furchtbarste, was es geben kann: der Götze.

Ist aber das Phantasiebild des Künstlerdilettanten zum Götzen geworden, so ist er selber zum Pfaffen geworden. Die Eigenliebe jedes Menschen ist so groß, daß er leicht sich und das, was er hervorbringt, anbetet. Der Dilettant, der den Götzen geformt hat, ohne die wahre Bescheidenheit des Meisters einer Kunst, betet erst sich in dem Götzen an, unterjocht alsdann, in Gestalt des Götzen, eine möglichst große Menge seiner Mitmenschen und wird endlich selbst von dem Götzen unterjocht.

Wahre Religion hat nichts mit Unterjochung und mit Götzen zu tun, sie ist synonym mit dem Wort Frieden.

Nicht die Könige, sondern die Pfaffen, die Schöpfer der Götzen, haben die Welt unterjocht. Um der Götzen der Pfaffen willen ist das meiste Blut geflossen. Wo aber Blut um religiöse Dinge fließt, so fließt es immer nur um der Götzen willen.

Götzendienst ist die ärgste und furchtbarste Greuel. In der Reihe der Unterjochungen ist diese besonders grausig, die der schlechte Künstler durch sein schlechtes, angebetetes Werk erfährt. Er besitzt sein Werk und wird noch mehr durch sein Werk besessen. Also wird der Pfaff ein Besessener.

Unter diesen Besessenen lebt, statt des ewigen Friedens, der ewige Krieg. Wer von diesem ewigen Kriege erzählen will, der versinkt in Blut. Man spricht davon, daß im rohen Heidentum nicht selten Menschen den Götzen geopfert wurden. Zweifellos war es der Fall. Die Menschenopfer der alten Ägypter, Babylonier, Juden, der alten Karthager, Inder und Germanen sind bekannt. Man glaubt, in diese Epochen wie in Zeiten überwundener Barbarei zurückblicken zu können. Aber diese Opfer sind sehr gering im Vergleich zu denen, die man indirekt den Götzen darbrachte. Was sind nicht in grausamsten Götzenkriegen, bis noch zuletzt im Dreißigjährigen Krieg, für unzählbare Menschenmassen geopfert worden! Wir haben einstweilen nicht den geringsten Grund, mit hochmütiger Genugtuung auf die Zeiten vor Christi Geburt herabzublicken.

Und auch auf die Zeiten der Christenverfolgungen von Nero bis Diokletian sollen wir nicht herabblicken. Sie sind aufgebauscht. Die schlimmsten Verfolgungen hatten Christen von Christen zu erdulden; Christen waren es, die christliche Brüder in unzählbarer Menge hinmordeten. Dagegen schrumpfen die sogenannten Christenverfolgungen des alten Rom zur Geringfügigkeit. Aber nicht nur katholische Christen haben in maßlosen Christenschlächtereien sich hervorgetan, sondern auch unter den Reformatoren floß in Strömen unschuldiges Blut. Richtet man den Blick auf diese Verhältnisse, so ist es nicht zu begreifen, wie Historiker noch immer eine Art Schuld der Gerichteten herauszutüfteln den Mut haben, statt die ungeheure schwarze Last von verbrecherischer Schuld zu sehen, die nur als finsterster Wahnwitz zu begreifen ist, der unersättlich mit Henkersschwert, Scheiterhaufen und jeder fluchwürdigen Folter gearbeitet hat. Götzendiener waren die Richter. Reißende Tiere sind barmherziger.

Die Religion der Zukunft ist Duldsamkeit!

1912.


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