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Fünfzehntes Kapitel.

»Haben Sie auch eine?« fragte Wendelin, als er zu Tisch kam, und gab Annemarie einen Brief.

»Eine Anmeldung? Ja. Aber Ihre ist doch nicht von Ferdinand? – Ach so – Nöhring. Nöhring kommt auch mit?«

»Ehrliches Staunen,« sagte Wendelin und dachte dabei: ›Ob dies Erstaunen unserem Chirurgen viel Freude machen würde?‹ Laut setzte er hinzu: »Warum sollte mich der alte Kamerad nicht mal aufsuchen. Ich werde die beiden den Fasching kosten lassen. Wenn Sie nicht etwa die Professorenbergler völlig einheimsen wollen?«

»Ja nicht!« sagte Annemarie und sah Wendelin dankbar an.

Der erwiderte den Blick forschend. »Es tut Ihnen doch nicht etwa weh, daß jemand von dort kommt? Sie sind doch fertig damit?«

Annemarie lächelte, ein wenig wehmütig, aber ganz ehrlich. »Ich bin fertig damit – aber eben deshalb – was soll ich mit ihnen anfangen?«

Nöhring und Ferdinand Rinkhart regten sich mit ihrer Fastnachtsfahrt mehr auf als die Münchner, denen sie galt. Nöhring hatte neun leidige Monate hinter sich, während deren der Philister in ihm mindestens einmal täglich auf das Zartgefühl zankte, das bei Annemaries Abreise »den Augenblick verpaßt hatte«.

Aber nun wollte er den Lohn seiner Enthaltsamkeit spüren, also reiste er mit dem Studenten nach München, wo sie am Sonnabend in der Nacht ankamen und vom alten Herrn empfangen wurden.

Ferdinand Rinkhart hatte sich eingebildet, der Zwilling müsse an der Bahn sein. – ›Wenn ich allein käme, wäre sie natürlich da,‹ dachte er und ärgerte sich über den Gefährten.

Aber Wendelin war zu prächtig, als daß ein Ärger hätte vorhalten können. Er machte die Honneurs der lustigen Isarstadt. Auf der Flucht vor einem Ausfragen über Hermann Rinkhart und Annemarie Rügemer wurde er immer witziger. Das Florenz der Medizäer, das München Ludwigs des Ersten, Richard Wagner, Ritter Possart und Seine Majestät Prinz Karneval würfelte er bunt und vielfältig durcheinander, je nachdem das Straßenbild ihm Veranlassung gab.

Beim Abschied versprach er seinen Gästen den erwachenden Sonntag zu Übermut, Kunstpurzelbäumen oder Wintereskapaden auf dem Starnbergersee. »Nur den Abend könnt ihr uns opfern. Wir haben im Schauspielhaus eine befreundete Premiere. Da müßt ihr mit und müßt euch ekstatisch gebärden.«

Die beiden Gäste erklärten eine Premiere mit persönlichen Beziehungen für angenehm aufregend und die Münchner Luft für prickelnd wie Champagner.

Auch kam Wendelin morgens beizeiten und schleppte sie durch Kirchen, Museen und Bräus, daß ihnen Hören und Sehen verging. Sie waren etwas müde, als sie eine halbe Stunde vor Mittag im Ameisenhügel eintrafen.

Da war nun endlich Annemarie. Sie stand in der Mitte des kleinen Empfangszimmers und lächelte.

Nöhring gab's einen Schlag aufs Herz: ›war sie noch schöner geworden? Oder war seine Erinnerung so untreu gewesen?‹ Ein heißes Entzücken rann ihm von dem getroffenen Herzen durch alle Adern und verwirrte ihn so, daß er nur die allernotwendigsten Worte fand.

Seine Befangenheit überlieferte ihn einem Kreuzverhör der Böhning und Onkel Käsmodels, die heute beide – die eine aus Neugier, der andere um seiner Seniorenwürde willen – früher gekommen waren. Annemarie aber saß mit Ferdinand seitab im Fenster.

»Zwilling, lieber Zwilling, hab' ich Dich endlich wieder!« waren seine ersten Worte gewesen.

Niemand hatte ihn ihr entfremdet, er hielt Annemarie sein ganzes Herz hin: ›Nimm, Du bist mir eins und alles: Schwester, Liebste und Mutter!‹ sie aber stand daneben und wagte nicht zuzugreifen.

Er gab ihr die Erlebnisse seines Sommers, seine Studien, seine Pläne, er schwärmte von einem Münchener Semester – seine blauen Augen leuchteten und lachten sie an.

Wenn er den Kopf in den Nacken warf, fiel ihm die dicke blonde Welle stirnüber, die er nicht kurz scheren ließ, weil Annemarie das häßlich fand, obwohl ihn die anderen damit neckten. Er trug eine Weste, die sie ihm gestickt, und einen Binder, den sie ihm ausgewählt hatte, er schwärmte von ihren Lieblingsdichtern und Lieblingskünstlern, deren Neuigkeiten er diesen Winter lang besser verfolgt hatte, als sie selbst – er war auch in der Trennung Hand in Hand mit ihr gegangen.

Sie aber hatte ihn inzwischen kaltherzig vergessen. – Ach nein! – Während er in der Fensternische des Ameisenhügels feurig und fröhlich auf sie einsprach, fühlte sie schmerzhaft, daß es Notwehr und Selbstbetrug gewesen war, als sie nicht mehr an den Professorenberg hatte denken wollen.

Nöhrings forschende Blicke sahen, wie das schöne klare Gesicht verschlossen und traurig wurde, und er freute sich, daß »Ferdinands knabenhafte Aufdringlichkeit ihr unlieb war«.

Sie aber hörte gar nicht mehr, was ihr Zwilling redete, sie rechnete mit sich selber ab und sprach sich schuldig.

›Du zürnst ihnen ja noch – du bist ja gar nicht fertig damit, wenigstens nicht auf die rechte Art. – Wird das nun immer so bleiben, wird mich dieser Stachel immer wieder quälen und verwunden? Oder was soll ich tun?‹

Und dann hörte sie Hermann Rinkharts Stimme: Nur was wir verziehen haben, können wir überwinden.

›O die liebe, klare, friedevolle Stimme. Hatte sie ihr solange nichts zu sagen gehabt oder hatte sie solange zu fragen versäumt?

›Ich habe weder mit ihr, noch mit mir selber ernstlich zu reden versucht,‹ dachte Annemarie reuevoll, ›ich habe mich vor dem Nachdenken gefürchtet, und habe auf den Lärm des Alltags um mich her gehört, damit er mir die Stimmen in der Tiefe übertöne. Ferry bringt mir als Gastgeschenk die Erinnerung an unsere alte Gewohnheit und mit der Erinnerung den alten Willen zur Ehrlichkeit zurück.‹

Ein tiefer Glanz kam in ihren Blick, und dankbar sagte sie: »Mein guter Zwilling!«

Da stand Nöhring auf. Er wollte auch in die Fensternische, aber gleichzeitig kam Magdalene Schäftlein herein zu wortreicher Begrüßung, das Unbereitlein ließ ihren Hängezopf durch die Eßzimmertür fliegen, und Fräulein Minnas herbe deutliche Stimme sagte drüben: »Es ist angerichtet.«

Sie aßen zusammen und unternahmen dann mit der Elite der Ameisen eine Fahrt um den verschneiten Starnberger See. Und obwohl Nöhring dabei nicht Raum zu einer Aussprache fand, sah er doch tröstlich deutlich, daß Annemarie keinem anderen gehörte. – Als er sich nach kurzer Ruhepause am Abend im Schauspielhaus einfand, sagte er wohlwollend zu Wendelin: »Wenn Euer Helikon an den Hügel des Fleißes nur halbwegs hinanreicht, so will ich jeden zweiflerischen Gedanken, den ich über Dich und München gehabt habe, zehnmal bereuen.«

»Du wirst die Helikonleute nach der Vorstellung in der Pfälzischen Weinstube treffen. Nun aber hinein.«

Nöhring strich sich das kleine dunkle Bärtchen zurecht, das immer ein bißchen nach Mäusefraß aussah und ihm doch stand, dann trat er durch eine der Seitentüren ins Parkett.

»Wo sitzt Fräulein Annemarie?«

»Zu Hause. Ihr sollt sie morgen um zehn abholen. Sie will euch die Schönheitsgalerie zeigen.«

Nöhring spürte einen heftigen Ärger, er fühlte sich überlistet.

Wenn er das gewußt hätte – und er hätte sich's denken können – dann würde er jetzt im Ameisenhügel sitzen, und die friedlichen Abendstunden würden ihm bescheren, was einzig er von seiner Reise verlangte. Statt dessen mußte er diesen gleichgültigen Münchner Übermut anhören.

Es war ja hübsch, es war sogar fein; und das ärgerte Nöhring erst recht, denn nun konnte er nicht einmal mit Anstand schelten.

»Warum klatschest Du nicht, Du Ungeheuer?« fragte Wendelin am Schluß des ersten Aktes. »Wir brauchen Dich zwar nicht, da die übrigen Einsicht zeigen. Aber ich habe Dich zum Klatschen mitgebracht, Nörkelchen, und hoffe, Du wirst mich nicht blamieren.«

Als der dicke Fritz nach dem zweiten Akt herausgerufen wurde, half Nöhring wirklich mit, nach dem dritten tat er's sogar gern.

Jedenfalls machte ihm das Klatschen mehr Freude, als Fritzchen das Herauskommen. Der fühlte sich unmenschlich verlegen.

»Kinder, so dastehen und auf eine tobsüchtige Menge runtergucken, ganz allein als einziger gegen alle – scheußlich beklemmendes Gefühl: was wollen die eigentlich? – Man kommt sich blamiert, verulkt, überschätzt vor. Bis man sich endlich sagt: richtig! Die armen Teufel haben so lange stillsitzen müssen – Bewegung aber macht Freude.«

»Fritzchen, Fritzchen, lüge nicht,« sagte William Weibezahn und setzte dem Sieger in der Tür der Pfälzischen Weinstube eine lorbeerumkränzte Narrenkappe aufs Haupt.

Auch Morsach schüttelte ihm jetzt noch einmal ganz besonders die Hand. »Tobsüchtig, das Wort ist gut. Aber wissen Sie, für mich hat's einen eigenen Reiz die Menschen tobsüchtig zu machen, einerlei ob hundertweise oder einzeln.«

»Und wenn sie es sind?« fragte Kathinka Birk, die langsam an ihm vorbeiging.

»Dann lach' ich sie aus,« war die trockene Antwort.

Ein Schatten flog über das bewegliche Gesicht, ein ganz ehrlicher Schatten, dem sie nicht hatte wehren können, und Morsach bemerkte ihn nicht einmal: er war vergnügt, er mußte tollen, denn Fritzchens Narrenkappe gefiel ihm. Und das Bewußtsein seiner eigenen Kraft ließ ihn das genießen wie einen belebenden Trank.

Lachend blieb er vor der Böhning stehen, die mit Wustrau flüsterte. »Ihnen ist heute wohl,« sagte er lächelnd. »Es tut so gut, wenn ein Freund Erfolg hat.«

Sie fühlten sich beide erkannt und geärgert, denn sie litten die Schmerzen der ewig Unterlegenen, deren Seele keine Flügel hat.

Wustrau wehrte sich, seine Stimme klang noch etwas dürrer als sonst, und er richtete den Zeigefinger anklagend gegen Morsachs gelbseidene Weste: »Sie, mein Herr Virtuose, sollten bei Erfolgen anderer ganz klein und ganz still sein. Und ich – ich kenne unsere sinnreichen Volksmärchen und weiß, daß es zumeist die Esel sind, die Gold werfen.«

»Jaja – ich bin ein Faulkragen und Sie, Wustrau, sind unbedingt ein Adler, – denn Tauben haben keine Galle.«

Inzwischen bewegte sich der fidelverlegene Dichter langsam durch die Glückwünschenden nach seinem bekränzten Platz.

»Schon gut, Kinder, danke schön, Kinder! – Ich sag's ja – ich wäre unbedingt ein Höhenmensch geworden, wenn das Kraxeln weniger Mühe machte. Aber es kostet Atem, und deshalb wollen wir nun pausieren, bis wir wieder Geld brauchen.«

»Bravo, Fritzchen! Ich dachte schon, Du müßtest ausziehen. Aber Du kannst wohnen bleiben; Du bist echt.«

»Den Teufel werd' ich ausziehen,« rief Fritzchen lachend und trank sein erstes Glas Forster Riesling aus, »schon um der vier Stiegen willen nicht. Ohne die würde ich zu dick. Fett aber erwürgt die Phantasie. Dick und phantasielos sind Synonyma.«

Worauf Josepha fröhlich sagte: »Ich werde mich diesen Sommer auf die Lorbeerzucht legen.«

Ferdinand Rinkhart hörte staunend zu, wie es durcheinander schwirrte. Das ging weit über die Erfahrungen seiner beiden Couleursemester. Die Worte, die an sein Ohr schlugen, deuchten ihm Flügelgeschöpfe – sie flatterten und erfreuten. Oder Pfeile und Flitzen – sie schwirrten und trafen. Und seinen Augen wurde ein gleiches Fest bereitet: Waren ihm schon einmal soviel reizvolle Menschenkinder auf so engem Raum begegnet? Soviel frische phantastische Jugend, soviel prächtige Charakterköpfe, soviel mittelalterliche Frauen, bei denen man die Jahre vergaß?

Er konnte die Personen noch nicht genau unterscheiden, aber alles hatte Reiz und Farbe und Melodie und war doch nur Hintergrund für die Hauptperson des bewegten Bildes: für die Blondine, in deren Anmut sich sein Blick verfing, an deren Wesen seine Gedanken herumrätselten.

Tausenderlei kam ihm dabei in den Sinn, die widerspruchvollsten Dinge: Das Schweigen im Walde und Rautendelein auf dem Brunnenrand, die Lilith der Walpurgisnacht und Kundri in Klingsors Zauberschloß, Hennebergs verlockendes Glück und Schwinds barmherzige Wartburgheilige.

Er sah den Sonnenflecken, der unter windbewegtem Laub über den Rasen huscht, und den Mondenstrahl, der die Höhle des Lindwurms erhellt. Er träumte von Elfentanz auf feuchten Wiesen und sah, wie sich wirbelnder Wüstensand zu einer königlichen Riesengestalt ballte, deren Saum schwerfüßige Karawanen und leichtberittene Araberschwärme zu Boden streifte, während das Haupt mit stolzem Lachen der feurigen Sonne der Mittagszone die Lippen zum Kusse bot.

Und dann hörte er auf einmal – so deutlich, daß er suchend den Kopf wandte, ob da nicht irgendwo ein Klavier stehe – Chopins Trauermarsch.

Eine wundervolle Schwermut überkam ihn, eine Sehnsucht, die ihm unstillbar schien, und eine Hoffnung, die nicht umzubringen war, – bis der Mittelsatz kam und ihn gleichsam verdoppelte, denn im Geleite dieser schmelzenden Töne meinte er seinem eigenen Sarge zu folgen.

Ein lächerlicher Text, den sie in studentischem Übermut dieser Melodie unterlegten, hatte ihn gequält und verletzt, als sie Hermann Rinkhart damit zu Grabe geleiteten; heute fiel er ihm nicht ein. Angesichts der seltsamen Schönheit überkam ihn eine so süße Todesschwelgerei, daß er sich verrückt und beseligt zugleich vorkam.

Endlich bemerkte Kathinka den bewundernden Jüngling und sah sich Wendelins Gast genauer an. Ihre Verstimmung schwand, sie lächelte in Ferdinand Rinkharts Augen hinein, und vor diesem Lächeln zerstoben die Bilder, und die Klänge des Trauermarsches verhallten. Nun war Ferdinand wieder der fröhliche Student, der frische Junge, dem es nicht fehlen konnte. Er drängte sich zu dem »famosen blonden Mädel«, ließ sich vorstellen und »schnitt ihr die Kur«.

Mangolds Paradiesvogel ließ sich des Studenten naiv feurige Bewunderung behagen. Von Zeit zu Zeit blickte sie zu Morsach hinüber: Siehst Du es auch?

Endlich bemerkte er's, neigte sich über den Tisch und fragte den Studenten: »Sie sind Fräulein Rügemers Bruder?«

– Annemarie. – Ferdinand Rinkhart wachte auf und sah den Frager verwirrt an.

Annemarie! – Er fühlte einen frischen Hauch durch die zigarettendunstige Weinstube wehen. Es war nur ein Augenblick, aber er weckte Sehnsucht.

Morsach wiederholte seine Frage.

»Gewissermaßen,« stotterte Ferdinand Rinkhart.

»Und Sie wollen hier weiter studieren?«

»Unbedingt!« – Der Hauch war verflogen. – »Ostern siedle ich vom Norden nach dem Süden über. Man darf nicht einseitig werden.«

»Bravo! Aber Sie sind doch ein strebsamer junger Mann, Sie wollen doch arbeiten in München?«

Der Student bestätigte das mit feurigem Eifer. Er fühlte all seine Lebenskräfte verdoppelt, er hätte morgen ins Examen steigen mögen, so weise, kenntnisreich und reifgeworden fühlte er sich im Kreise der Narrenkappen.

Morsach machte ein Mephistogesicht. »Max Grube!« schrie die Böhning, als er Ferdinand über den Tisch weg die Hand schüttelte und im Biedermannston sagte: »Aber da sind Sie hier äußerst am richtigen Platzl. Und müssen auf den Helikon ziehn.«

»Morsach!«

»Nicht daß dort alle fleißig wären – drum eben empfehl' ich's ja. Ich zum Beispiel bin des Gegensatzes wegen zu den Ameisen gezogen. Die sind alle betriebsam, und wenn ich soviel Fleiß um mich sehe, werde ich meiner göttlichen Faulheit froh. Auf dem Helikon käm' ich mir zu alltäglich vor, denn faul sind ihrer dort mehr. Aber im Kontrast, junger Herr, liegt die Würze des Lebens, und deshalb rat' ich Ihnen ernstlich zum Helikon.«

Ferdinand Rinkhart lachte, wie er als Fuchs über die Bierreden seiner Chargierten gelacht hatte: halb voll Bewunderung, halb voll Freude darüber, daß er das in kurzer Frist mindestens ebensogut können werde.

Und das mit dem Helikon leuchtete ihm ein, weil es seinen Wünschen entgegen kam. Lebhaft sprach er das aus.

Morsachs übermütiges Gesicht wurde plötzlich ernst. Seine wandelbaren Augen sahen nachdenklich von dem Jüngling zu der Schönheit, die ihn so feurig machte. Er war älter als sie und schien ihm doch ein hilfloses Kind neben ihr. In einem ganz anderen Tone fuhr er fort: »Ja – München ist ein bunter Garten, und Jugend will nicht auf dürren Straßen wandern. Aber alte romantische Gärten haben ihre Gespensterwinkel und Spukgestalten, gegen die man am Tor ein Schutz- und Zaubersprüchlein ausgehändigt bekommt. Unseres heißt: Liebe beglückt, Schönheit entzückt, Koketterie macht verrückt.«

»Es lebe die Schönheit,« rief Ferdinand Rinkhart und hob sein Glas Kathinka Birk entgegen. Er war mit seiner Fastnachtsreise zufrieden.

Nöhring aber kam auch am nächsten Morgen in der Schönheitsgalerie nicht auf seine Rechnung, es liefen zu viele mit von hüben und drüben. Und so blieb es; er verlebte fröhliche Tage, die ihm das Blut schneller durch die Adern trieben und die Gedanken beweglicher machten, als er aber heimfuhr, fühlte er eine große Enttäuschung.

Das einzige Mal, wo es ihm geglückt war, allein und ernsthaft mit Annemarie zu reden, sprach sie nur von Lida, beinahe geflissentlich von Lida. Und sie fragte nach ihr mit soviel Wärme und Anteil, daß er ganz unwillkürlich ebenso hatte antworten müssen.

Darüber wurde Annemarie hell und heiter, und es schwand etwas zwischen ihnen, was sie Nöhring gewissermaßen verschleiert hatte.

Als er's erlebte, machte es ihn froh, jetzt in der Erinnerung bedrückte es ihn. Was ging ihn Lida Rinkhart an, wenn er neben Annemarie Rügemer stand?


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