Emile Gaboriau
Aktenfaszikel 113
Emile Gaboriau

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22.

Wie es Verduret richtig vorausgesehen hatte, war die Wirkung von Prospers anonymem Brief eine furchtbare.

Als Fauvel das Schreiben in die Hand bekam, fiel ihm sofort die Schrift auf. Sie war offenbar verstellt und eine böse Ahnung beschlich ihn.

Mit zitternden Händen faltete er das Blatt auseinander und blickte zuerst nach der Unterschrift.

»Ein Freund.« – Was bedeutete das?

Fauvel las und war wie vom Donner gerührt.

War es möglich! Seine Frau untreu, seine Frau Hehlerin eines Diebstahls, dessen ein Unschuldiger angeklagt worden, seine angebetete Frau, die Geliebte eines so unerhört gemeinen Menschen!

»Aber das ist ja nicht möglich!« sagte er sich, als er die erste lähmende Beklemmung abgeschüttelt hatte, »das kann ja nicht sein! Es ist eine Niedertracht, eine ehrlose Feigheit! Pfui!«

Und wütend ballte er den Brief in der Hand zusammen und warf ihn in den Kamin, in dem jedoch kein Feuer brannte.

Er wollte an die Schändlichkeit nicht mehr denken, und setzte sich zu seiner Arbeit an den Schreibtisch.

Allein die Gedanken wollten nicht gehorchen, immer wieder wanderten sie zu dem anonymen Briefe.

»Ha, wenn ich wüßte, wer der Elende ist, der es gewagt hat, diese Verleumdungen zu schreiben!«

Er erhob sich, um den Papierknäuel wieder aus der Asche zu ziehen, vielleicht gelang es ihm doch, den Schreiber aus der Schrift zu erkennen.

Er glättete das Papier, legte es vor sich auf den Schreibtisch und studierte die Schriftzüge auf das eingehendste, aber er fand keinerlei Anhaltspunkte. Nur, als er die Zeilen nochmals und abermals las, wurde sein Vertrauen wieder schwankend.

»Nein,« sagte er sich, »ich kann diese Qual nicht länger ertragen, ich will Valentine diesen Brief zeigen.«

Er stand auf und schritt zur Türe. Plötzlich aber hielt er inne.

»Wie, wenn es dennoch wahr wäre! Wenn sie mich elend betrügen würde! . . .«

Er ließ sich wieder auf seinen Sessel nieder, und versank in tiefes, schmerzliches Nachdenken.

Endlich faßte er einen Entschluß, er wollte seine Frau beobachten, wollte um jeden Preis die Wahrheit entdecken.

Schon nachmittags bot sich ihm eine günstige Gelegenheit seine Nachforschungen zu beginnen. Seine Frau fuhr mit Magda spazieren, Lucian arbeitete neben dem Bureau – er war allein.

Rasch trat er in das Zimmer Valentines und öffnete die Kommode, in der sie ihr Geschmeide verwahrte. Es fanden sich darin nur etwa zehn bis zwölf leere Schmuckkästchen, die übrigen fehlten ganz.

So hatte der anonyme Brief doch die Wahrheit berichtet! Fauvel war wie vernichtet!

»Nein, es ist nicht möglich, nicht möglich,« stöhnte er, und in seiner Herzensangst durchsuchte er auch noch die anderen Schubfächer – aber er fand nichts!

Vielleicht hatte seine Frau den Schmuck in Magdas Zimmer verwahrt!

So unwahrscheinlich diese Annahme war, so klammerte er sich doch daran wie an einen Hoffnungsanker.

Aber Valentines Schmuck fand sich nicht, Fauvel entdeckte nur, daß auch Magdas Juwelenschrein leer war.

Also auch sie wußte von der Schmach, war sogar mitschuldig!

Und nun erinnerte er sich, daß er seine Frau vor dem Balle bei Jandidier gefragt hatte, warum sie ihre Brillanten nicht trüge.

»Wozu?« hatte sie lächelnd geantwortet, »ganz Paris hatte schon zur Genüge Gelegenheit, sie zu bewundern, übrigens passen sie zu meinem Kostüm nicht.«

Und das hatte sie lächelnd gesagt und war nicht vor Scham vergangen, die Falsche, die Elende!

Und Magda, das reine unschuldige Mädchen wußte darum!

Der Gedanke war so gräßlich, daß er den unglücklichen Mann auf das tiefste erschütterte, gebrochen sank er auf einen Stuhl, Tränen traten in seine Augen und rollten langsam über die Wangen herab.

Bald aber übermannte ihn wieder der Zorn, und alles in ihm schrie nach Rache.

Doch nach einiger Überlegung sah er ein, daß das Fehlen des Schmuckes noch keinen vollgültigen Beweis für die Treulosigkeit seiner Frau bilde, er mußte sich also noch andere verschaffen.

Vorerst gab er dem Kammerdiener den Befehl, alle einlangenden Briefe ihm zu überbringen, dann sandte er an einen Geschäftsfreund in Saint-Remy ein Telegramm, in welchem er um genaue Mitteilungen über die Familie Lagors, namentlich über den Sohn Raoul, erbat. Schließlich gehorchte er auch noch dem letzten Rat des anonymen Briefes und begab sich auf die Polizei, um über Clameran Erkundigungen einzuziehen.

Aber die Polizei ist mit ihren Geheimnissen nicht freigebig. Fauvel wurde sehr höflich nach dem Zweck seiner Erkundigungen gefragt, und da er diesen nicht angeben wollte, ebenso höflich abgewiesen.

Als er wieder nach Hause kam, war das Antworttelegramm aus Saint-Remy schon eingetroffen, es lautete:

»Die Familie Lagors ist vollständig mittellos, ein Sohn Raoul ist hier unbekannt, Frau von Lagors hat nur Töchter.«

Fauvel war über diese Enthüllung fast rasend vor Schmerz und Wut. So viel Frechheit und Schamlosigkeit hätte er nicht einmal der verworfensten Person zugetraut! Und seine eigene Frau, die er wie eine Heilige verehrt hatte, wagte es, ihren Geliebten auf diese Weise in sein ehrbares Haus einzuschmuggeln; und er, in seiner dummen Vertrauensseligkeit, hatte die Hand des Schurken gedrückt, ihm gar Geld geborgt!

»Wie werden sie sich über mich lustig gemacht haben,« sagte er sich, knirschend vor Zorn.

Und, um das Maß voll zu machen, fiel ihm nun ein, daß Raoul der Freund seiner Söhne war!

Seiner Söhne! Waren es überhaupt die seinigen? Wenn Valentine ihn jetzt, nach mehr denn zwanzigjähriger Ehe betrog, konnte er da überhaupt an ihre Treue glauben?

»Rache, Rache!« schrie alles in ihm, aber er mußte sich noch bezwingen, der Augenblick würde wohl kommen.

Am nächsten Morgen überbrachte ihm der Kammerdiener, wie befohlen, die ganze Post. Hastig überflog er die Aufschriften, und richtig fand er einen an seine Frau gerichteten Brief mit dem Poststempel Besinet.

Vorsichtig öffnete er den Verschluß und las:

»Liebe Tante!

Ich muß dich dringend heute noch sprechen und bitte dich, bestimmt zu kommen, mündlich werde ich dir die Gründe sagen, warum ich nicht bei dir erscheinen kann.

Dein ganz ergebener Raoul.«

»Nun hab' ich sie!« rief Fauvel und in seinen Augen blitzte es unheimlich.

Er öffnete eine Lade seines Schreibtisches, nahm einen Revolver heraus und sah die Ladung nach.

Dann faltete er den Verräterbrief wieder, schob ihn in den Umschlag und trug ihn hinaus in das Vorzimmer, wo er ihn auf die silberne Platte, die für die Briefe bestimmt war, mit den übrigen Briefschaften legte.

Seine Abwesenheit war nicht von langer Dauer gewesen, aber sie hatte Nina, die nach der Weisung Verdurets Fauvel nicht aus den Augen gelassen, genügt, um ins Zimmer zu schlüpfen und die Kugeln aus dem Revolver zu nehmen.

»Damit ist die erste Gefahr wenigstens abgewendet,« sagte sie sich, »das übrige ist Herrn Verdurets Sache.«

Dann eilte sie hinab, ließ sich Cavaillon herausrufen und bat ihn, schleunigst in den »Erzengel« zu gehen und den Freund von dem Vorgefallenen zu verständigen.

Eine Stunde später ließ Frau Fauvel anspannen und fuhr aus.

Und der Bankier ließ rasch einen Mietwagen holen und folgte seiner Frau.

»O Gott,« dachte Nina, »wenn Herr Verduret nur nicht zu spät kommt, sonst sind Frau Fauvel und Raoul verloren!«


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