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I.
Am gelben Main


Die Bockenheimer Pforte

Julitag! … hei, das flimmerte über der Ebene bei Frankfurt, als wäre noch nie ein Tag so hell gewesen, wie dieser werden wollte. Smaragdene Landwellen, immer inmitten zweier dunkleres Grün – so lagen die Wiesen zwischen Main und Nidda. Zu der fernen »Höhe« schwang sich weiterhin das Grünen empor und schwamm sacht ins Dunkelblau der Taunusberge über. Ein einziger heller Tupfen war in diesen ruhigen Farben … dort schimmerte die »Goldgrube«. Das sah aus, als stünde ein Recke mitten in den Wäldern, riesenhaft und den güldenen Harnisch gen Frankfurt zugekehrt. Im Westen blitzte es und sprühte, nur ganz fein und hier und da einmal; ein kaum merkliches Aufgrellen. Dort spiegelte die noch tief östlich stehende Sonne in den Fenstern der Cronberger Burg. Und kam das Geglitzer ein wenig höher, weiter hinten zum Vorschein, dann hatte sich das Morgenlicht in des felsenhoch erbauten Falkensteins Gucklöchern gefangen.

Auf dem Plan vor der Bockenheimer Pforte hatte der Geschützmeister Hanns Grysen Horne das größte »Stück« der Stadt Frankfurt auffahren lassen. Hier übte er nebst seinen Leuten das Laden, Zielen und Richten, das Wenden und Vorwärtsschieben und – für alle Fälle – auch einen eiligen Rückzug mit der »brummenden Kathrine«.

Jetzt aber dräute das Riesengeschütz mit weit offenem Maule nach dem Taunus hin … wie eine wilde Drohung denen dort, die von Sattel und Stegreif lebten, manchmal von der Höhe herab bis vor die Tore im Westen der Reichsstadt brachen und Frankfurts Rat und Frankfurts Eigen argen Schaden zufügten. Felder wurden da in klaren Nächten geplündert, die zwischen den Äckern stehenden Rebstöcke umgeworfen und das Getreide von Hufen der Rosse zertrampelt; Schafe und Hämmel, Schweine und Rinder bei hellichtem Tage aber davongetrieben. Und taten die »überhöhigen« Taunusritter das nicht vor den Frankfurter Toren, so taten sie's doch auf Frankfurter Biet – wie letzthin erst bei Bonames. Hart war das Unwesen und schaffte Ratsherren und Bürgermeistern Sorgen und schlaflose Nächte. – Nicht nur um die Ringmauer der Stadt starker zu machen, auch um einen hohen Auslug gen den ewig gefahrdrohenden Taunus zu haben, hatte der Rat beschlossen, beim Eschenheimer Tor einen Turm zu bauen. Clas Mengoz hatte um 1400 das Werk begonnen, Meister Madern Gertener brachte es zu Ende. Nun dräute der Eschenheimer Turm mit seinen fünf schlanken Spitzen wie eine mit offenen Fingern Halt gebietende Hand nach dem Gebirge hinüber. Die Ritter aber schienen das für ein Herbeiwinken zu nehmen. Und der am meisten tat so, der den Frankfurtern der schlimmsten einer – nein, der schlimmste überhaupt von allen Taunusrittern war: der Hatzicho Wolf von Hattstein. Zwischen Reifenberg und Schmitten lag das Raubnest hinter der Höhe, ihm und seinen Brüdern nebst einer Schwester gehörend. Klein und armselig wär's, sagten die, so's gesehen hatten. Dennoch wagten die Hattsteiner, der Hatzicho vor allem, den weiten Weg an den Main, durch frechen Mut ersetzend, was ihrer Feste an Mannen und Reisigen gebrach.

Da war Gilbrecht Weiße ein Ratsherr und Schöffe in Frankfurt. Dem lag der Grimm gegen den frechen Hattsteiner besonders schwer im Blute, weil er den meisten Schaden von allen erlitten. So redete er und redete im Rate immer für einen Zug übern Taunus. Aber die anderen Herren waren bedächtiger. Innere Wirren hatte die Stadt überstehen müssen, viel Geld hatte das gekostet. Und nun schon wieder ein kostspielig Kriegführen nach außen? Indes gab man dem Drängen Gilbrecht Weißes wenigstens so weit nach, daß man allerlei Anstalten traf. Auf seine Fürsprache drängte man den verdienten, aber alternden Hauptmann Bothmer beiseite, freundlichen Wortes, und setzte dafür den jungen Flink von Hasselbach ins Amt. Freilich nicht ohne Murren einer Minderzahl. Und diese Wenigen behaupteten alleweile: der Weiße suche den forschen und feinen Flink nur darum zu erhöhen, weil er ihn als willkommenen Eidam erwählt hätte.

Nun stand an diesem ersten Julitag der Geschützmeister mit seinem Rohr vor der Bockenheimer Pforte.

Hanns Grysen Horne senkte das ernste, bartlose Gesicht, drückte das linke Auge zu und sah mit dem rechten, weit offenen, den glänzenden Rücken der »brummenden Kathrine« entlang … er zielte. Ein grimmiges Lächeln lag dabei um seinen festen Mund.

Seine Leute standen um ihn herum. Einige stolz und bolzengerade, andere machten den Rücken krumm und zielten mit. Die bolzengeraden Männer sahen mit glänzenden Blicken auf das schwere Geschütz, die gebückten hatten die Fäuste geballt. Allen aber merkte man an, wie sie ihre »brummende Kathrine« liebten.

Der Geschützmeister befahl mit hallender Stimme etwas.

Da sprangen alle eifrig herzu und rückten und drängten mit Hüsta und Hupp an der Kanone, bis das weite Maul des Rohrs nach einer andern Richtung biß, gleichsam, als wolle es jetzt endlich seine grollende Stimme hinhallen, wenn ihm der dicke Dampf aus dem Schlund gefahren wäre. Und wieder stopften sie eine gewaltige Steinkugel – Klosser geheißen – in die erzene Gurgel, daß der unmäßige Rachen ertönte und ein zufriedenes Klingen von sich gab.

Hanns Grysen bückte sich aufs neu, abermals das Zielen übend, mit der rechten Hand dazu winkend, damit die Männer den schweren Koloß ein wenig mehr nach links bewegen sollten. Wär's nun Ernst gewesen, so hätte das Ungetüm geradeswegs nach der fern sichtbaren, mit ihrem Schieferdach in der Morgensonne blinkenden Bockenheimer Warte speien müssen.

Zwei Reiter näherten sich dem Geschütz.

Der ältere war ein in reichen Samt gekleideter, starker Mann; der kostbare Stoff war mit feinem Rauchwerk verbrämt. Der Herr saß sehr stolz und reckenhaft auf einem hartknochigen schwarzen Gaul, dem silbergrau wie der Schweif und lang die Haare an den Flechsen hingen. Dieser Reiter war der Ratsherr Gilbrecht Weiße. Der Jüngere trug sein farbenreiches Kleid mit edelm Anstand, sah zierlicher und feiner aus und ritt einen schlanken Braunfuchs. Das Roß mit dem hellkupferig blanken Fell und dem langwehenden güldfarbenen Schweif paßte gut zu seinem Herrn: es trug der Stadt Frankfurt neuen Hauptmann Flink von Hasselbach. Das war ein Rheinländer mit gar leichtem Blute und nicht minder leichtem Herzen, sonst aber ein ehrenfester Mann und von gutem Adel, sprach gern ein bißchen viel – wenigstens mehr als die Frankfurter liebten –, sah mit den offenen Augen manchmal lustiger nach einem hübschen Mädchengesicht als ernst nach seinem verantwortungsreichen Dienste und hatte sich die Herzen der ledigen Frankfurterinnen rascher erobert wie die Gunst des Rates der Reichsstadt.

Nun hielten die Berittenen bei der »brummenden Kathrine«.

»Übt sich's, Hanns?« erkundigte sich der Hasselbach aus dem Sattel herab, und der Geschützmeister richtete sich auf, mit dem klugen, klaren Blick der Arckaleymannen den Hauptmann ansehend.

»Es tut's, Herr!« antwortete er und zog den vom Bücken verschobenen Waffenrock zurecht. Dann tätschelte er dem Geschütz den Rücken, gleich einem braven Reitersmann, wenn er seinen Gaul liebkost. »Es tut's – und wenn sie erst vor des unruhigen Hatzicho Wolf von Hattstein Mauern ihre donnernde Weise brummt, wird sich's zeigen.«

Flink von Hasselbach fuhr sich an die Ohren und strich die ihm vom Wind vorgewehten Blondhaare zurück, lachend und mit frohem Gesicht. Als der Geschützmeister des Hattsteiners erwähnt, hatten des Hauptmanns Augen nach dem Taunus hinübergeleuchtet … mit einem Glanz, als wüßte er dort Gott weiß was Freudiges.

Der Hellfuchs warf den güldfarbenen Schweif und schnaubte mit bullerndem Maule durch die Nüstern. Jetzt schlug er gar mit dem rechten Vorderhuf den Staub vom Erdreich und nickte mutig glänzenden Auges mit dem Kopf ein paarmal so heftig, daß das Metall am Zaumwerk klirrte und klang.

»Höia!« machte der Hasselbach, dem Tier den Hals patschend. »Er mag nicht mehr stehen, will er sagen. Ist's Euch genehm, Herr Gilbrecht, so reiten wir fürbaß.«

Der Ratsherr warf einen zufriedenen und zugleich achtungsvollen Blick auf das Geschütz. Auch in Gilbrecht Weißes Augen war ein Glänzen: die Hoffnung auf Vergeltung an dem überkühnen Hatzicho Wolf von Hattstein hinterm Taunus.

»Wär's nicht genug für den Morgen?« meinte, er und deutete auf die »brummende Kathrine«.

Der Hauptmann stimmte ihm bei und wies den Geschützmeister an, mit dem Stück in die Stadt zurückzukehren.

Gleich sprangen die Leute nach den grasenden zwölf klobigen Brabanter Gäulen, dem Gespanne des Rohrs; in Kriegsläuften war die doppelte Zahl Rösser vorgesehen. Andere der Männer rollten die Steinkugeln nach dem beigegebenen Wagen, vor den sie vier leichtere Tiere schirrten.

Hanns Grysen Horne, der alles leitete, verneigte sich ehrerbietig vor den beiden Reitern und ging zu seinem Gaul, während der Ratsherr und der Hauptmann davontrabten.

Unterwegs schien dem Hasselbach etwas einzufallen. »Gewährt Urlaub!« bat er, wendete den Fuchsen und sprengte einige Sätze zurück, indem er nach dem Geschützmeister rief. Der hatte sich mittlerweile auf einen derben Schimmel mit braunen Flecken auf den Hinterkeulen geschwungen. Nun trieb er den Hengst dem Hasselbach entgegen. Als die Tiere nebeneinander hielten, legte der vornehme Reiter die in einem goldbestickten Wildlederhandschuh steckende Rechte sacht auf Hanns Grysens Arm; er bog sich vertraulich zu dem Alten hinüber. »Grüße mir fein die schwarze Merla, Hanns, und bestelle, daß ich wohl auf den Nachmittag ins Haus käme.« Mit lächelnden Lippen sagte er das leise, richtete sich wieder auf und strich mit keckem Gesicht die blonden Strähnen hinter die Ohren. Darauf riß er den Gaul herum und flitzte hinter dem Ratsherrn her.

Den Kopf sorgenvoll geneigt, einen verbittert grämlichen Zug um den Mund und mit düster gerunzelten Brauen – so trottete der Geschützmeister seinen Leuten zu. Nachdenklich saß er im Sattel. Die gute Laune war ihm verflogen. Nun schalt er mit den Knechten, und es war ihm nichts recht zu machen. Ja, als der eine – Gürg Putzmirslicht hießen sie ihn, auch den »scheppen Gürg« – als dieser durch eine falsche Schwenkung mit dem hintersten Rösserpaar an der Deichsel das Geschütz fast zum Umstürzen brachte, ritt der Meister heran und fuhr dem Unachtsamm mit der Faust hinter die Löffel.

Der scheppe Gürg – ein gewaltiger Kerl, der um seines Hinkebeins willen den garstigen Namen trug, mit seinen Riesenkräften aber gut zur Bedienung des gewaltigsten Stücks der Stadt Frankfurt taugte – der scheppe Gürg nahm den Hieb gelassen hin, ohne zu mucksen. Aus seinen schmalschlitzigen Augen unter der flachen Stirn streifte ein fast trauriger Blick nach Hanns. Dann griff der Stückknecht die Zügel des Stangensattelgauls auf und bewegte lautlos die Lippen. Mit seltsam ergebenem Gesicht saß er auf dem Reittier … so wie einer, der duldet, weil er um eines guten Zweckes willen auch noch mehr als eine verdiente Züchtigung aushalten würde.

Mit Gepolter und schnaubenden Rössern führte weit dort der Geschützmeister die »brummende Kathrine« heimwärts.– Die Übungen waren beendet; es wurde leer auf dem weiten Plan.

Der Ratsherr hatte den Kopf seines starkknochigen Gauls dem fernen Taunus zugewendet. Versonnenen Gesichts blickte Herr Gilbrecht auf die Höhe. Ringsum war es ruhig; nur der Morgenwind summte kaum hörbar übers Gras. Einmal sang eine Kirchenglocke nahe dem Tor ihren frommen Ruf … vom andern Ende der Stadt her trug ein zweites Geläute seinen feierlichen Klang. Über den Feldern kletterte eine Lerche an ihren Trillern ins Blau. Friede lag über dem Gelände vor den Toren Frankfurts … Unfried aber war in Gilbrecht Weißes Seele. Es wurmte ihn, daß sich der Rat so schwer entschloß, auf ihn zu hören. Vorbereitungen wohl – das bewies die »brummende Kathrine« –, aber immer nur Vorbereitungen, kein Vorhaben! – Und doch war dem Hattsteiner eine derbe Lehre vonnöten, wenn Ruhe werden sollte vor der Stadt. Nicht aus Habgier und um sich selbst vor Verlusten zu schützen, dachte der Ratsherr dem frechen Taunusritter die Fehde zu – rein aus Sorge um die verängstigten Bürger wollte er einen Zug übern Taunus. Wohl war auch ein wenig der Zorn des beleidigten Vaters dabei, weil des Hattsteiners Bruder Philipp – der älteste der Hattsteinschen Ganerben – Frene Weiße an der Nase herumgeführt, nachdem er ihr den Kopf gründlich warm gemacht … vor fünf Jahren, damals als Philipp von Hattstein in Frankfurt geweilt, wie die Stadt einen Bündnisvertrag mit den Hattsteinern neu schließen und einen Vertrag aus dem Jahre 1389 zu Recht gestanden haben wollte, um Frieden vor der Hattsteiner Taten zu finden. Die Liebesgeschichte Frenes? … nun, sie war halb vergessen, ruhte aber doch nie völlig, weil das jetzt sechsundzwanzigjährige Mädchen seit jenen fünf Jahren zu früh mit dem Verblühen begonnen. Schwer wuchtete das widerfahrene Leid noch heute still auf ihr, und sie fand kaum noch ein Lächeln. Der Ernst schien auf ihrem Gesichte erstarrt und wie eingefroren und hatte die reine, starke Schönheit ihrer Züge fast schon ein wenig ältlich gemacht. Glücklicherweise begann sich das zu mildern, seit der Flink von Hasselbach nach Frankfurt gekommen. Herr Gilbrecht hatte ihn der Stadt als Hauptmann empfohlen, weil der Erzbischof von Mainz den Hasselbach über alle Maßen gerühmt, dabei bedauernd, daß er dem hellen Kopf und begabten Söldnerführer nicht die rechte Stellung anweisen könne, weil es zuviel Pflichten gegen Ältere gab. Der betagte Stadthauptmann Bothmer war bequem und zaghaft geworden. Ein kluger Mann gewiß, und hatte sich wacker allerorten geschlagen … nun aber harmonierte er zu sehr mit dem Rate … und der Rat wollte von einem Zug über den Taunus nichts wissen. Der Hattsteiner hielt Freundschaft mit dem Cronberger, der ihm denn vor drei Jahren auch wider Frankfurt beigestanden. Der Cronberger hatte seines Vaters Triumph über Frankfurt seit der großen Schlacht von Anno 1389 noch nicht verlernt … das Banner der Reichsstadt mürbte in seinem Schlosse. Des Königsteiners war man auch nie so ganz sicher, weil Adel wohl zu Adel hielt. Diese beiden Ritter hatte man also im Rücken, lag man vor dem Hattstein. Der Reifenberger, dem Hattsteiner verwandt, konnte von der Seite kommen. Solchen Erwägungen stimmte der behäbige Bothmer bei. Vielleicht war da das jüngere Blut des Flink von Hasselbach eifriger!

Der Hauptmann hatte seinen Fuchsen einen weiten Bogen galoppieren lassen. Nun kam er an des Ratsherrn Seite.

»Was hattet Ihr noch mit dem Geschützmeister zu reden?« fragte Herr Gilbrecht ohne den Hals zu wenden.

Eine harsche Röte brannte über des Hasselbach junges, hübsches Gesicht. Er mochte das fühlen, denn er drückte sein Tier mit den Knien, daß es ein oder zwei Schritte zurücktrat. So kam der Reiter hinter den Rücken des auf seinem schwarzen, ruhigen Gaul schwarz und ruhig ragenden Ratsherrn.

»Nichts weiter, als daß er mit dem Blindladen der Steinkugeln beim Üben sparen soll … es könnte dem gefräßigen Hals des Stücks schaden!« sagte Flink leichthin und gedachte dabei der schwarzen Merla, Hanns Grysen Hornes Pflegetochter. Und weil er die glühende Röte auf seinen Wangen nicht mehr fühlte, gab er dem Hellfuchs Wadendruck. Das Tier wich vorwärts und stand nun Kopf bei Kopf mit Herrn Gilbrechts grobem Schwarzen, adlig und fein mit ranken Gliedern – wie sein Herr. Und der derbe Rappe mit den langen Haaren an den Fersen sah aus, als gehöre er zu seines Reiters bürgerlich gröberer Gestalt.

Der Ratsherr hob die Hand – der schwergoldene Ring seines Amtes gleißte auf dem Zeigefinger –, und Herrn Gilbrechts Arm wies nach dem Geflimmer der Scheiben auf der Cronberger Burg. »Über kurz oder lang führt Euch der Weg dort vorbei, Herr Hauptmann!« kündete er. »Es mag mit dem Hattsteiner nicht länger währen, so bringe ich den Rat doch dazu, daß all der getane Landschade in schwerer Fehde vergolten wird.« Er reckte das Kinn vor. Zorn kam ihm aus den Augen; Haß war nicht minder dabei. »Was litt ich schon von dem grimmen Wolf! … daheim und außer dem Hause. Und jetzt wieder: zwei Knechte erschlug mir der Sperber aus dem Raubnest hinter der Höhe. Um den Karren mit Wein war's auch getan. Die Rösser zog ich nicht in Betracht – sie gehörten dem Fuhrmann, und der war kein Frankfurter.«

»Sagte man nicht, der ältere Hattsteiner Philipp hätte das gewagt? … wie man auch raunt, der gerade hätte es zum Spott auf Euer Eigen abgesehen, seit er in Frankfurt war, um ob einer Bündnispflicht zu verhandeln?« warf Hasselbach ein. Gleich darauf bereute er das Wort, denn leichenfahle Blässe überzog Gilbrechts Antlitz, und seine Stirn glänzte marmorn unter dem haltenden Goldnetz des weit zurückgeschobenen Baretts.

Doch faßte sich der Ratsherr und tat, als hätte er den letzten Teil von Flinks Bemerkung nicht vernommen. »Dem Haman Echtgerber warf er alle Rebstöcke um – dem Adam Wetterauer führte er zehn Säue fort und schlug den Rest tot, weil er ihn nicht von dannen treiben konnte – dem Geschützmeister und Stückgießer Eblin Lauthern aus Mainz nahm er die für Frankfurt bestellte Daressenbüchse hinter Griesheim auf frankfurtischem Gebiet ab – bei Bonames verbrannte er ein Haus und steckte Frankfurt zum Hohne nachträglich den Fehdebrief auf den Misthaufen!« zählte Herr Gilbrecht an den Fingern auf. »Himmelschreiende Taten!« Er verstummte. Seine Augen ruhten nachdenklich auf einer Staubsäule. Die längste Zeit über hatte er das Wirbeln beobachtet. In der Richtung der Ginnheimer Höhe war die Wolke aufgequollen; nun entfernte sie sich und wurde hinter der sinkenden Bodenwelle niedriger. Ein feiner Schleier blieb zurück …

»Was mag dort sein?« suchte der Ratsherr zu ergründen und wies nach dem weißlichgrauen Blusten.

»Die Sonne brennt glühheiß, da stauben die Wege. Wird wohl eine Hammelherde sein … als wir zur Übung vors Tor kamen, trieb ein Schäfer aus«, antwortete der Hauptmann, nachdem er den hellen, scharfen Blick in der Richtung gehalten hatte.

Gilbrecht Weiße meinte zwar ärgerlich, wo der Narr von einem Hirten wohl bei Ginnheim mit seinen Tieren hin wolle; er vergaß jedoch die Sache, als seine Augen abermals das Scheibengeflirr der Cronberger Burg auffingen.

»Ja, was ich sagen wollte«, hob er von neuem an. »Wenn's also den Zug über die Höhe gilt, so weiß ich schon heut' eine, die sich hart ängsten wird.«

Flink biß sich auf die Unterlippe. »Gedenket Ihr denn den Weg gen Hattstein mitzureiten?« wendete er ein und stellte sich erstaunt; aber man hörte der zagen Stimme an: er wußte sehr wohl, wen sein Gönner mit der sich Ängstenden meinte. »Erspart der ehrsamen Frau Barbara halt den Kummer, indem Ihr Kampf und Fahrt fern bliebt.« In heimlicher Sorge hingen seine Blicke an des Ratsherrn stolz entschlossenem Antlitz.

Herr Gilbrecht drehte den Kopf ein wenig – nur ganz gering. Aus dem Augenwinkel bloß musterte er seinen Begleiter. Ein karges Lächeln siegte über den Trutz seines Gesichtes. »Müßt' ich wirklich sagen, daß ich meine Tochter Frene meinte?«

Der Hasselbach senkte das Kinn und schlug die Augen verlegen nieder. Er ordnete an den Steigbügeln und brachte den Fuchsen in ein Getänzel, um sich durch das Kurbettieren des Gauls zunächst eine Antwort zu ersparen.

»Um wessen Sicherheit sollte sich Frene Weiße bangen als um die Eure?« ergänzte der Ratsherr. »Oder hättet Ihr das übersehen? Müßte ich, der Vater, erst den Hinweis geben? Das täte mir wahrhaftig leid, denn ich mache ungern den Freiwerber für mein stolzes Mädchen!« Fast ein wenig hart hatte er gesprochen; nun schlug er mit der flachen Hand durch die Luft, als scheuche er einen ihm unliebsamen Gedanken. »Ah bah!« machte er heiter. »Gekicher und Gelache – Getuschel und Geflüster – sie sind bei uns an der Tagesordnung, sobald Ihr ins Haus gekommen.«

»Das trügt auch nicht«, gab der Hasselbach zu und begann in hellem Eifer zu reden. »Es verbindet mich mit dem ehrbaren Fräulein Frene eine herzliche Freundschaft.« Und da ihn bedünken wollte, er habe für den Augenblick das letzte Wort ein wenig zu stark betont – eine unwillige Bewegung, die Gilbrechts Rappe schwerlich von selbst gemacht hatte, brachte ihn darauf – so meinte er noch sagen zu müssen: »Sollte mehr draus werden, müßte es die Zeit bringen!«

Jetzt setzte der Ratsherr seinen Gaul in Trott und schlug die Richtung nach der Ginnheimer Höhe ein. Das war, als zöge es ihn der dort nun untergetauchten Staubwolke nach.

An seines Wohltäters Seite bleibend, sprach Flink nun von dem Danke, den er dem einflußreichen Manne schulde. Er versicherte, daß er der Fürsprache täglich gedenke, die ihm – dem armen Adeligen – das gut besoldete und ehrenreiche Amt eines Stadthauptmanns eingetragen. Er schilderte, wie ihm wohl zumute wäre, daß ihn der angesehene Herr so ins Haus ziehe, ihm Heim und Statt bietend nach schwerem Dienste; wie er, Flink, alles daran setze, sich durch Umsicht und Klugheit des Fürspruchs würdig zu erweisen, und wie er in seiner Eigenschaft als Führer der Frankfurter Söldner völlig aufgehe. Andererseits wisse er die Ehre zu werten, gleich einem Sohne in Gilbrechts Hause Zutritt zu haben … daß es wahr und wahrhaftig schöne Stunden wären, die er darin zubringe … und daß ihm die Freundschaft mit Frene über alles ginge. – Lobe er sich und sein Verhalten als Mann wie als Soldat, so geschähe es wirklich nicht in eitelm Stolze, sondern weil er seinem Fürsprech weisen wolle: wie er dankbar stets und in Treuen eingedenk bleibe der großen, edeln, ihm erwiesenen Beihilfe. – Er merkte nicht, daß er Gilbrecht Weißes Art arg verkannte, wenn er so viele Worte machte. – Nun fuhr er fort: ängste sich nun gar noch Frene Weiße um seines, eines Kriegsmannes Leben und Sicherheit, so wäre das fast des Gütigen zuviel …

Der Ratsherr unterbrach den Wortfluß, so still und innerlich nicht unzufrieden er auch der teils höfisch und teils zierlich gesetzten Rede zugehört … sie enthielt ja doch auch ein Blinkern vom zukünftigen Glück der Tochter. Gilbrecht wies in die Ferne. Dort kam in eiligem Laufe ein Mensch, brach manchmal zusammen und fuhr mit dem Ärmel übers Gesicht als trockne er den Schweiß, richtete sich wieder auf und rannte wie gehetzt dem Tor zu.

»Was ist mit dem dort?« verwunderte sich Herr Gilbrecht und gab dem Rappen die Sporen. Der Gaul warf die langhaarigen Flechsen, daß die Erdschollen aufwirbelten. Der Fuchs Flinks folgte ihm in anmutigem Galopp.

Als der rennende Mensch die Reiter auf sich zukommen sah, ließ er sich erschöpft zur Erde fallen und wartete.

Bald tänzelten die Gäule vor dem Niedergebrochenen.

Der Hasselbach sah einen Mann vor sich, der eine kurze Jacke trug mit leicht erkennbaren Blutspuren. Außerordentlich dichtes, stark geringeltes Rothaar von kupferig metallenem Glanze hing dem jungen Menschen wirr ins erhitzte Gesicht. Über der Stirn seitwärts aber war die Röte seines Schopfes vom Blute dunkler gefärbt. Eifrig rann der Lebenssaft am Hals hinab und netzte das zwilchene Hemd. Nun hatte sich der Mann auf die Knie erhoben, die Arme vorwärts gereckt und dazu etwas Undeutliches gerufen.

Aufs höchste erstaunt, blickte der Ratsherr zu dem Klagenden nieder. »Meiner Treu – bist du nicht der Schäfer Geckir?« rief er aus.

Aber der Hirt gab keinen Bescheid. Er fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht, wischte das Blut aus den Augen und gellte: »Hatzicho der Wolf – Hatzicho der Wolf …!«

Herr Gilbrecht warf einen Blick in die Runde. Die Gegend war völlig einsam – über der Ginnheimer Höhe blaßte noch ein letztes Mal die Staubwolke auf. Eine Ahnung überkam ihn. »Meinst du den Hattsteiner, Mensch?« schrie er auf.

Und nun begann der Schäfer Geckir zu klagen und jammerte um seine fünfzig Schafe; sie waren doch nur seiner Obhut anvertraut gewesen, und er fürchtete nicht nur die Strafe, sondern auch für die armen Tiere. Schluchzend barg er das Gesicht im Ärmel, seine Tränen mischten sich mit seinem Blute. Erst als ihm Herr Gilbrecht gütlich zuredete, entschloß er sich zu einem zusammenhängenden Bericht: der Ratsherr Keseler, der Eigner der Herde, hatte ihn geheißen gen Ginnheim zu treiben. Reiter kamen über die Fahrstraße daher – ihrer zwölf oder vierzehn. Während er sie begucken wollte, hatten sie ihn plötzlich umringt. Einer bog sich sofort aus dem Sattel und fällte mit einem einzigen Schwerthieb den Hund – hierbei begann Geckir wieder zu weinen –, die andern aber kreisten die Herde ein und zogen mit ihr davon. Der Mann aber, der den Hund getötet hatte, rief: »Schier dich zum Frankfurter Rat und bestell' ihm, die Leute auf dem Hattstein ließen für den reichlichen Hammelbraten danken!« – Nun berichtete Geckir weiter, wie er in Verzweiflung nach dem Zaum dieses Reiters gegriffen, und wie der ihm mit der breiten Klinge einen Schlag aufs Haupt versetzt, um gleich darauf seinem Fähnlein nachzuhatzen.

»Hatzicho der Wolf …!« gellte der junge Mensch noch einmal auf, nachdem er geendet; nun sank er bitterlich weinend ins Gras.

Herr Gilbrecht trieb seinen Gaul an, als möchte er den Dieben nacheilen. Doch besann er sich. Sein Gesicht war jetzt wachsbleich geworden. Die Lippen bebten ihm. Er wendete sich zu Flink von Hasselbach.

»Nehmt Euch aus, wenn ich den Adel von heute ein Gesindel schelte!« brachte er heiser hervor. »Ihr seht's am Beispiel, daß die Bezeichnung wenigstens den Adel in den Taunusbergen trifft … und wär's auch nur zum Teil …«, schränkte er ein. »Hammeldiebe! … und dazu kommen sie gewappnet bei hellem Himmel vor die Stadt? Fürwahr, edle Tapferkeit!« Mit grimmigem Blick sah er nach den fünf Spitzen des Eschenheimer Turms: dort war kein Zeichen und kein Merk, daß Gefahr gedroht. »Mir scheint der Wächter dort oben verschläft die Morgensonne? Vergelt's Gott den Herren im Rat, daß sie ihm dazu ein so stolzes Nestlein bauen ließen!« Ein spottendes Gelächter kam ihm aus dem wutverzerrten Munde. »Fünfzig Hammel! … freilich, zu meinem vorgestern geraubten Wein durfte ihnen der Braten nicht fehlen – den schlemmenden Hattsteinern, die von törichter Ratsmannen Geduld und frommer Bürger Dummheit nicht nur das Wohlleben, nein, auch den Hohn erbeuten, den sie uns mit derlei Taten ins Gesicht speien.« Er redete sich in Zorn und ballte die Fäuste überm Sattelknopf. »Doch diesmal will ich den bedächtigen Rat Frankfurts aufrütteln … und müßte ich's mit Faustschlägen an die Tore des Römers tun!« Er knirschte mit den Zähnen, seine Augen blitzten nach der Ringmauer zurück, auf seinen Schläfen lagen die Adern wie blaue Striemen. Dann wendete er den Kopf und sah nach dem Taunus hinüber. »Diesmal trifft's, Hatzicho Wolf von Hattstein, und diesmal trifft's in Leben und Mark!!« Mit geballten Händen, weit von sich gereckten Armen, drohte er ins Land hinaus und saß wie ein erzener Mensch in seinem Sattel.

Der Hasselbach war mittlerweile abgestiegen. Gutmütig richtete er den in die Erde schluchzenden Hirten auf und besah die Wunde. Es war nur ein breiter Prellschlag, den der dicke rote Haarwust des Schäfers gedämpft zu haben schien. Aber das Blut floß reichlich.

Herr Gilbrecht ritt etwas näher heran und starrte verbissen in das bleiche, erschöpfte und blutüberronnene Gesicht Geckirs. »Kennst du den Hattsteiner?« forschte er.

Der rote Geckir verneinte. Und nachdem er noch ein paar verworrene Worte hervorgestoßen, begann er sich zu beruhigen.

Nun sprach der Ratsherr mit Hasselbach: es ließe sich denn jetzt nicht feststellen, ob der Hatzicho selbst oder einer seiner Brüder den Hirten bei Leib und Leben angegriffen hätte. Zu vermuten stünde aber, daß es der Wolf von Hattstein gewesen – wenigstens nach dem frechen Gruße an Frankfurts Rat.

»Euch, meinem Schutzkind, winkt die erste Ehr' in einem Kampfe für der Stadt Recht und Rache!« schloß er. »Ich zweifle nicht, daß Ihr die Gelegenheit nützen und meiner Fürsprache Ruhm schaffen werdet.« Und indes ein lichter Schein über seine Lider zuckte, setzte er hinzu: »Sprach ich vorhin davon, daß sich meine Frene bangen wird, wenn Ihr nach der Höhe reitet, so möchte ich jetzt sagen, daß sich Frene Weiße freuen wird, kehrt Ihr als der Stadt siegreicher Hauptmann wieder.« Er heftete einen tiefen Blick auf des Hasselbach todernst gewordenes Gesicht. »Im Vertrauen darauf, daß diesem neuesten Landschaden des Hattsteiners, wie seinen vorher ruhmlosen Taten reichliche Vergeltung zugemessen wird – Klaus Keseler ist sowohl mein Freund, wie von gewichtiger Stimme im Rate, wird mir auch beistehen, wo sich's um seine fünfzig Schafe handelt – in diesem Vertrauen rechne ich darauf, daß aus den Trümmern des Hattsteins meines Kindes Glück mit dem Euern zugleich erblüht.« Er dämpfte die Stimme, väterlich gütig und in großem Wohlwollen weiterredend: »Wollte Gott, Ihr begriffet besser, was in meinem Hause umgeht, … und nähmet die Worte wahr, mit denen Ihr vorhin rühmtet, daß Ihr wie ein Sohn unter meinem Dach willkommen seid.«

Diesmal hatte Flink eifrig nach der Wunde Geckirs zu sehen, um die Verlegenheit zu verbergen … schrecklich – er durfte dem Manne nicht zu widersprechen wagen, der stets von neuem mit bald deutlichen, bald versteckten Worten auf die Ledigkeit seiner Tochter hinwies … er durfte es zunächst nicht aus Dankbarkeit … und dann verbot ihm sein gutmütiges Herz, jetzt schon den Gütigen zu enttäuschen … Es war wohl noch an der Zeit, wenn Gilbrecht Weiße auf dem Ernste seiner Hoffnungen bestand! tröstete sich der leichte Sinn des Rheinländers, der immer mit dem Glauben an den glückbringenden Zufall rechnete – glückbringender Zufall hatte ihn ja auch in den Dienst der Reichsstadt geweht.

Nachdem der Hirt auf Befragen erklärt hatte, daß er sich zu einem Ritt nach der Stadt kräftig genug fühle, nahm ihn der Ratsherr vor sich auf den schweren Gaul. Er wollte den jetzt nicht mehr nur von Haaren, nein, auch von Blut roten Geckir zum »Älteren« bringen – zum ersten Bürgermeister; vielleicht, daß der Anblick den ganzen Rat fügsam machte zur Fehde wider den Hattsteiner. Das dachte Herr Gilbrecht und ritt dem Bockenheimer Tor zu. Nach mancherlei Näherem fragte er den Schäfer aus; mit tröstlichen Worten beruhigte er ihn, der bei der Schilderung von seines Hundes Tod wiederum in bitterliche Tränen ausbrach.

»Zähre tüchtig vor dem Bürgermeister – stell' ihm die Sache tausendmal trauriger vor als sie war. Der Hattsteiner soll dir ein ander Hündlein kaufen müssen. Und irre ich nicht, so zahlt er's mit eigenem Blute!« ermahnte Herr Gilbrecht und drohte zugleich in finstern Gedanken.

Flink von Hasselbach blieb ein wenig zurück. In tiefem Grübeln ließ er den Hellfuchs den Hufen des Rappen folgen. Der schwarze Gaul trug an der doppelten Last scheinbar nicht schwerer als am gewichtigen Gilbrecht Weiße allein.

Und der Hauptmann dachte an Hanns Grysen Hornes, des Geschützmeisters, dunkelhaarige Merla. Ein Vergleich dieses Mädchens mit Frene Weiße, des Ratsherrn Kind, fiel zuungunsten der Patriziertochter aus. Frene war sehr groß, hatte blonde, volle und doch glanzlose Haare – wie anders war da Merlas schwarzes, seidiges Gewirr. Frene trug ihre etwas hoch geratene Gestalt stets ein wenig bedrückt geneigt – so, als laste etwas auf ihr. Gewiß, ihr Antlitz war schön … aber es hatte jene Schönheit starrer Menschen, die mit dem tiefen Ernst in ihren Zügen immer aussehen, als fühlten sie sich andern überlegen. Ihre Wangen waren vielleicht ein bißchen zu hager, wenn auch blütenweiß … der Mund mit den wie in stetem Kummer eingepreßten Lippen war edel geschnitten … aber der Mißmut um diesen Mund gab doch der Regelmäßigkeit und dem Stolz ihres Gesichtes etwas Altjüngferliches. Merla aber hatte volle Wangen, einen purpurnen Mund mit blanken Zähnen, die sie gern beim Lachen zeigte – hatte braune Augen und eine runde Brust. Sie lachte gerne, hell und froh – Frene aber fand selten ein Lachen, selbst für die feinsten Witze, und wenn sie lachte, war's nur ein seltsames Geckern, kurz und häßlich. Die eine so warm wie die Sonne überm Sommertaunus – die andere so frostig wie ein zu früher Lenz der Höhe.

Trug sich der Mann da vorne mit Plänen für die Tochter, so galt es fürsichtig sein, daß Widerspruch nicht wie Ablehnung, Ablehnung nicht wie Undank aussah! dachte Flink. Er legte die Hand auf die Brust: da drinnen war das begehrende Herz … Merla. Er wischte die vorgewehten blonden Strähnen von der Stirn: dahinter murmelte der einsichtsvollere Verstand … Frene. Ein tiefer Seufzer – dann rückte der Reiter die feine, zierliche Gestalt im Sattel zurecht. Sie ritten durch das Tor. Des Rosses Hufe klapperten auf den Steinen – eilig abwechselnd: Merla … Merla – Frene … Frene!

Verärgert gab der Hauptmann dem Tier die Sporen zu kosten. Der Hellfuchs erschrak über die unverdiente Strafe und wieherte zornig; er schlug einen leichten Galopp an und drehte sich um sich selbst. So verwischte sich das gleichmäßige Getrappel, und auf der hinter dem Tor ungepflasterten Straße klangen die Hufe nicht mehr – der abmahnende und zuredende Klang der beiden Mädchennamen blieb verstummt. In leichtem Trab suchte Flink den Ratsherrn einzuholen, nachdem sich der Hellfuchs endlich über den erschreckenden Sporenriß beruhigt.

Herr Gilbrecht Weiße mit dem blutenden Schäfer vor sich erregte Aufsehen und war von Menschen umstaunt und umdrängt. Da beugte er sich aus dem Sattel und rief ein Wort in die Menge.

»Hatzicho – Hatzicho!« gellten die Männer und Weiber als hetzten sie ein Wild. –


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