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Achtundzwanzigstes Kapitel

Der Ball, den die unverheirateten jungen Herren gaben, sollte das Hauptfest der Saison werden, und die Vorbereitungen dazu wurden in einem Stile betrieben, als wolle man in alle Zukunft die Möglichkeit ausschließen, es zu übertrumpfen. Der junge Jervis, der die Seele des Komitees war, steckte voll neuer, vortrefflicher Ideen, griff bald rechts, bald links ein und traf Veranstaltungen, als seien die Gastgeber alle Millionäre. Das ganze indische Reich, von Kalkutta bis Bombay, schien in Kontribution gesetzt, um die Gäste würdig zu empfangen. Scharen von Kulis schafften Palmen aus niedriger gelegenen, heißeren Landstrichen herbei, Dutzende von Paharis (Bergbewohner) wurden nach Orchideen in die Wälder ausgesandt. Man ließ Wild aus dem »Terai« (sumpfige, wildreiche Landstriche am Fuße des Gebirges), Pasteten und französische Süßigkeiten aus der »Stadt der Paläste« und Fische kommen, die sich in der Bai von Bengalen des Lebens erfreut hatten. Alle Räume des Klubhauses glänzten schon in festlichem Schmucke, und selbst das Lesezimmer, worin eine Anzahl älterer Herren sich noch immer verschanzt hielt, wurde schließlich in Beschlag genommen.

»Thut mir leid, die Herren stören zu müssen!« rief ihnen Fräulein Valpy zu, die an der Spitze einer Anzahl andrer Damen in der Thür erschien, »aber wir brauchen dies Zimmer.«

Oberst Sladen starrte die Sprecherin verblüfft und mit weit offenem Munde an.

»Sie werden schon erlauben müssen, daß wir im Namen des Ausschmückungskomitees hier eindringen,« fuhr die junge kecke Person fort. »Der Sekretär hat uns das Klubhaus für zwei Tage zur alleinigen Verfügung gestellt. Wir haben carte blanche und keine Zeit zu verlieren. Jedes Gemach ist einer gewissen Abteilung von Damen überwiesen, und dies hier ist uns zugefallen,« setzte sie hinzu, indem sie sich mit der Sicherheit des rechtmäßigen Besitzers umsah. »Wenn der Raum gut gelüftet und von Tabaksrauch gesäubert ist, wird er ein recht nettes Theezimmer abgeben.«

»Sie meinen doch nicht, daß wir dies Zimmer räumen und zu einer solchen Narretei hergeben sollen?« fragte Oberst Sladen.

»Das Abendessen wird keine Narretei sein,« gab Fräulein Valpy mit einigem Nachdruck zur Antwort. »Und nun,« fügte sie, sich rund im Kreise umblickend und in ziemlich entschiedenem Tone hinzu, »nun wäre ich den Herren sehr dankbar, wenn sie sich entfernen wollten.«

»Na, da wird uns ja wohl nichts übrig bleiben, als uns ins Spielzimmer zurückzuziehen,« brummte der Oberst.

»Das wird nicht angehen,« erwiderte die junge Dame mit einer abwehrenden Bewegung. »Das Spielzimmer hat bereits seine Bestimmung. Es ist zur Damengarderobe bestimmt.«

»Und wo wird man seinen Robber spielen?« fragte der Oberst, der seine Entrüstung kaum noch zu bemeistern vermochte, mit zornerstickter Stimme.

»O, für die Kartenspieler wird's ein Zelt auch thun,« lautete die verächtliche Antwort.

»Eine hübsche Manier! Na, ich wenigstens werde zu diesem verwünschten Balle nicht kommen.«

»Das werden Sie doch,« entgegnete Fräulein Valpy, die bereits dabei war, die umherliegenden Zeitungsblätter zusammenzulegen und aufzustapeln. »Denken Sie nur an die Krebse und Garneelen, die den weiten Weg von Bombay hierher machen und sehr unglücklich sein würden, sich von Ihnen verschmäht zu sehen!«

»Ja, und an die Schönheit von Agra, ich meine Fräulein Glossop, die auch kommt, um euch alle auszustechen, ha, ha, ha!« entgegnete der Oberst giftig.

»Das sagen die Leute immer von jungen Damen, die sie noch nie gesehen haben,« gab Fräulein Valpy ruhig zur Antwort, während sie allerlei Papierschnitzel von dem Kamingesims fegte. »Ich habe Fräulein Glossop gesehen; es gibt hier in Shirani zwanzig hübschere Gesichter.«

»Das von Fräulein Valpy doch sicherlich eingeschlossen?« erwiderte er sarkastisch.

»Eine sehr liebenswürdige Voraussetzung,« entgegnete die junge Dame mit einer spöttischen Verbeugung. »Aber dies eine Mal bin ich durchaus Ihrer Ansicht.«

Oberst Sladen, der keine passende Antwort darauf zu finden vermochte, begnügte sich, einige unverständliche Brummlaute auszustoßen.

»Fanny,« fuhr die junge Dame, zu ihrer Schwester gewendet, fort, »hilf du Frau Glover und Frau Bell; und du, Abdar,« befahl sie der eingeborenen Dienerin, »trage alle Stühle auf die Veranda und rufe die Kulis, damit sie die Tische hinausschaffen.«

So war das Rauchzimmer erstürmt und seinen rechtmäßigen Inhabern durch einen kecken Handstreich respektloser Frauen entrissen. Man hatte die Herren der Schöpfung ohne weiteres hinausgetrieben und zerstreut; denn es bestätigte sich, daß sie keine Stätte mehr im Klubhause fanden. Der Feind hatte bereits alle Räume mit Beschlag belegt. Die älteren Damen hatten die Einrichtung des Speisezimmers übernommen und – eine ganz neue Sitte – unter anderm auch so viele kleine Tische zu vier Personen aufgestellt, als man nur immer in Shirani auftreiben konnte. Die Gastgeber waren nicht schüchtern gewesen, hatten alles, was sie brauchen konnten, Armstühle, Teppiche, Gardinen und so weiter, zusammengeborgt, Rookwood besonders war durch Mutter Brandes Schützling so ziemlich ausgeplündert worden; nur Frau Langrishe hatte sich, um keinen Präcedenzfall zu schaffen, mit Entschiedenheit geweigert, auch nur einen Stuhl oder Leuchter herzugeben, war aber gütig genug, ihre Nichte nicht zurückzuhalten, die sich bei dieser Gelegenheit zu jeder Arbeit geschickt und willig erwies und eine Menge netter Einfälle hatte. Sie und Toby Joy führten den Vorsitz bei der Ausschmückung der langen Veranden, verteilten die Fächer, Palmen und Sofas, hingen die Lampen, Fahnen und Draperieen auf und schufen eine Menge reizender kleiner Winkel, Nischen und Plätzchen, worin sich lauschig und behaglich sitzen ließ. Das vergnügte Lachen der beiden drang bis in den Ballsaal, wo eine andre Schar fleißiger Hände, zum Teil auf Leitern stehend, mit Hammer und Nägeln beschäftigt war, Laubgewinde aufzuhängen und die Wände stellenweise mit weißem Musselin zu bekleiden. Jede dieser Abteilungen hatte ihre spezielle Oberleitung: aber man handelte nach gemeinsamem Geschmack und in freundschaftlichem Wetteifer mit den Nachbarn. Eine Gruppe besuchte die andre, um ihre Meinung abzugeben, sich gegenseitig zu ermutigen und zu unterstützen, und die meisten der jungen Leute erklärten die Vorbereitungen für amüsanter, als das Resultat, das heißt als den Ball selbst.

Honor, Frau Sladen und ein weiteres halbes Dutzend junger Mädchen und junger Männer hatten ihren Wirkungskreis in den Empfangsräumen und Spielzelten gefunden. Honor und Jervis benutzten zufällig denselben Hammer und denselben Nagelkasten, und wie der Lebensgang eines jeden Menschen Momente aufzuweisen hat, wo sein Dasein voller und schöner dahinzufließen scheint als sonst, so war auch den beiden jungen Leuten nie ein Zeitabschnitt befriedigender und genußreicher vorgekommen, als der gegenwärtige.

Fräulein Valpy, die mutige Erstürmerin des Rauchzimmers, ruhte ein wenig von ihren Thaten aus, wartete auf das Frühstück, das soeben für die Gesellschaft auf der hinteren Veranda aufgetragen wurde, und ließ ihre Luchsaugen umherschweifen. Lieutenant Skeggs, ein junger Mann, der sein Dasein an und für sich schon für eine That hielt und müßig durch die Räume schlenderte, gesellte sich zu ihr.

Allerdings hatte er etwas Furcht vor der jungen Dame und ihrer scharfen Zunge, die gelegentlich selbst durch die Rhinoceroshaut seiner Selbstschätzung hindurchdrang; aber man hatte schon an verschiedenen Stellen seine Hilfe abgelehnt, die allerdings hauptsächlich darin bestanden hatte, Nagelpakete hinunter auf den Fußboden zu werfen und den fleißigen Arbeitern im Wege herumzustehen, und er wußte nun nicht recht, wo er seine schätzbare Person unterbringen sollte.

»Wird 'ne schneidige Geschichte!« bemerkte er mit dem Lachen eines Schulknaben. »Manche arbeiten ja wie die Neger!«

»Freut mich, daß Sie die Arbeit andrer so hoch schätzen,« entgegnete Fräulein Valpy ernsthaft.

»Ja natürlich! Selbstverständlich!« entgegnete er, seinen keimenden Schnurrbart wohlgefällig streichend. »Bin nur neugierig, wer von den Damen morgen den Vogel abschießen wird. Welches junge Mädchen halten Sie für das schönste in Shirani, Fräulein Valpy? Ich meinesteils glaube, daß die kleine Paske die hübscheste ist. Hat so was Pikantes! Plaudere und tanze gern mit ihr; würde aber lange, einsame Spaziergänge mit ihr vermeiden; glaube, sie ist eine von den gefährlichen jungen Frauenzimmern, die 'nem harmlosen jungen Menschen im Handumdrehen 'nen Antrag machen und einen vom Flecke weg heiraten könnten!«

»Daß Lalla Paske nach Ihrem Geschmacke ist, konnte ich mir denken,« gab Fräulein Valpy in geringschätzigem Tone zur Antwort. »Meiner Meinung nach ist sie aber nicht in einem Atem mit mancher andern, zum Beispiel mit Fräulein Gordon, zu nennen. Was für schöne Augen diese hat!«

»Ja, Fräulein Gordon mit ihrer Geige und ihrer schönen Gestalt ist schwer zu schlagen; aber mir ist sie zu steif, zu statuarisch, eine junge Dame, die den Frauen mehr gefällt, als den Männern. Ehrlich gestanden, ich fürchte mich 'n bißchen vor ihr.«

»Armer, schüchterner junger Krieger!« spottete sein Gegenüber.

»Aber nun sagen Sie mir auch, Fräulein Valpy, wen Sie für den schönsten jungen Mann in Shirani halten. Sie haben einen so feinen, schneidigen Geschmack,« fuhr der kleine Geck fort, indem er die flachsblonden Wimpern senkte und dabei kicherte wie ein Mädchen.

»Die Anwesenden natürlich ausgenommen?« versetzte die Gefragte mit einem spöttischen Seitenblicke.

Er nickte zustimmend.

»Nun, wenn Sie wollen, den jungen Jervis,« lautete die ohne Bedenken gegebene Antwort.

»Ah ... oh! Wirklich?«

»Ja, ich finde ihn sehr hübsch. Freilich ist er keine Schönheit im Räuber- und Banditenstil, mit dickem Schnurrbart, kühn gebogener Nase und kecken, blitzenden Augen; aber er sieht vornehm aus, und die Form seines Kopfes, der Schnitt seiner Züge, der Ausdruck seiner Augen entsprechen meinen Vorstellungen von einem modernen Helden, nur daß er eine sehr altmodische Eigenschaft hat. Ist Ihnen noch nicht aufgefallen, daß er schüchtern ist?«

»Schüchtern? Jervis schüchtern? Ha, ha, ha!« rief der blonde Lieutenant lachend.

»Wenigstens im Verkehr mit Damen zeigt er sich schüchtern.«

»Na, im Verkehr mit Männern ist er's nicht. Kein Gedanke dran! Gestern abend im Klub machte ein gemeiner Bengel 'ne gemeine Bemerkung, und da war's nicht etwa einer von unsern kratzbürstigen alten Graubärten, der ihm heimleuchtete, sondern Jervis, und der gab's ihm aus dem ff. 'n schneidiger Kerl, auf Ehre, und geschmeidig und unermüdlich wie 'ne Katze. Sollten ihn mal laufen und springen sehen.«

»Also ein wahres Wundertier!«

»Spotten Sie nur, Fräulein Valpy! Ah, da kommt Fräulein Gordon! – Nun, mein gnädiges Fräulein, sind Sie mit Ihrer großen Spiegeldraperie fertig?« fuhr er, zu Honor gewendet, fort, die sich dem Platze, wo die beiden saßen, genähert hatte.

»Nein, aber ich könnte längst fertig sein, wenn nicht einige Marodeure aus dem Ballsaale herübergekommen wären und mir gegen alles Recht und Gesetz Hammer und Nägel, sowie mehrere meiner besten Phulkaries Phulkari, gestickter Rock oder Umhang, wie die Weiber der eingeborenen ländlichen Bevölkerung zu tragen pflegen. (Anmerk. d. Uebers.) entführt hätten. Was sagen Sie dazu, Fräulein Valpy?«

»Ich nenne das gemeinen Diebstahl,« gab Toby Joy, der sich zu der Gruppe gesellt hatte, voll tugendhafter Entrüstung zur Antwort, obwohl er selbst zu den frechsten Räubern gehörte. »Aber da kommt Jervis mit sehr wichtigem Gesicht daher, was mag er uns zu verkündigen haben?« setzte er dann hinzu, um das Gesprächsthema zu wechseln. »Frühstück! Frühstück! Frühstück! Daran erkennt man den Neuling. Wäre er länger hier, so würde er rufen: Tiffin! Tiffin! Tiffin!«

»Meine Damen und Herren!« begann Jervis mit einer tiefen Verbeugung, »das Frühstück steht bereit; aber Frau Lloyd läßt Ihnen sagen, daß Sie zum Arbeiten und nicht zum Vergnügen hier sind, und sie Ihnen deshalb nur zwanzig Minuten Zeit zur Stärkung und Erfrischung gewähren kann.«

»Sagen Sie Frau Lloyd, daß ich an dem Achtstundentag festhalte und keine Minute länger arbeite,« rief Toby Joy lachend, indem er Lalla Paske den Arm bot und mit ihr den andern voran durch den Tanzsaal walzte.


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