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Erstes Kapitel.
Kirche und § 218

Man weiß, daß einige Kirchen und deren Lehren jede Zerstörung menschlicher Lebenskeime verdammen. Ich könnte hierüber mit dem einen Satz hinweggehen: »Es möge diesen Kirchen überlassen sein und bleiben, so auf ihre Anhänger einzuwirken, daß diese (von der betreffenden Kirche verurteilten) Eingriffe unterlassen werden. Es soll den Lehrern der Kirche auch unbenommen sein, in Wort und Schrift für ihre Gedankengänge einzutreten, und ich bin der letzte, der es als Laie wagen würde, mich in einen theologischen Streit mit ihnen einzulassen. Ich würde dies für unfruchtbar halten. Theologische Gründe werden aber auch für die Hüter der Staatsinteressen niemals ausschlaggebende Wirkung haben, da der moderne Staat über jeder Moral, auch der Kirchenmoral, steht. Er darf ungestraft Taten begehen, die den Lehren des Christentums widersprechen und den einzelnen ohne weiteres vor den Strafrichter bringen würden. Er darf enteignen, sich seinen verbrieften Verpflichtungen entziehen, töten und ähnliches mehr. Er ist gewohnt, bei all seinen Maßnahmen sich die Unterstützung der Kirche verschaffen zu können. Der Staat, der während des Friedens jeden, der tötet, bestraft, hat z. B. immer noch im Kriege Geistliche gefunden, die die Waffen segneten, die töten sollten, obgleich im Wort Gottes das Tötungsverbot klar und eindeutig genug ausgesprochen ist. Ich zweifle daher keinen Moment daran, daß die Kirchen, die eine oder andere vielleicht nach einigem Zaudern, in der Frage der Schwangerschaftsunterbrechung sich in den Dienst der Gedankengänge stellen werden, die der Staat eines Tages als die richtigen bezeichnet. Die Theologie kann dies auch leicht tun. Im Urquell aller Lehren, in der Bibel – weder im Alten noch im Neuen Testament –, findet sich ein Verbot der Abtreibung. Lediglich 2. Sam. 5,6 fand ich etwas vom »Abtreiben«. Dort steht geschrieben: »Die Blinden werden Dich abtreiben.« Ich vermag dies aber nicht auf die Schwangerschaftsunterbrechung zu beziehen, dagegen erscheint es mir eher auf manches Gerichtsverfahren zu passen, das gegen Ärzte wegen Abtreibung angestrengt wird und zu deren Untergang führt. Man könnte mir einwerfen, daß man in alttestamentarischen Zeiten mit Abtreibungen noch nicht zu rechnen hatte. (Sehr brauchbare Abtreibeinstrumente waren übrigens auch bei den vorgeschichtlichen Funden 2000 v. Chr. in Ägypten und denen der Inka-Kultur vertreten.) Wir wissen aber bestimmt: Als Jesus über die Erde ging, hatte der innere Zerfall der römischen Kultur schon begonnen, die strengen Sitten hatten sich gelockert, und zum Instrumentarium des römischen Arztes dieser Zeit gehörte eine ganze Anzahl zur Abtreibung bestimmter Werkzeuge: das wissen wir z. B. aus den Funden in Pompeji. Christus oder seine Jünger hätten zu einer so wichtigen Frage sicherlich einmal in einer ihrer vielen Reden und Briefe Stellung genommen, wenn sie es für angezeigt gehalten hätten. Sie taten dies nicht, wohl aber sprach Jesus in seiner herrlichen Bergpredigt: »Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!«

Es ist mir immer schwer verständlich gewesen, wenn ein Theologe, der nicht gerade starrer Dogmatiker war, eine schroffe Haltung in dieser Frage einnahm. Ich glaube, nach dem Gesagten können wir darauf verzichten, weiter zu untersuchen, welchen Standpunkt die Kirche einnimmt und ob er berechtigt ist oder nicht. Ich möchte die Kirche bitten – ohne anmaßend oder spöttisch sein zu wollen –, an das Wort Gottes im Propheten Jesaias (49,24 und 25) zu denken. Mit den Worten: »Kann man dem Riesen den Raub nehmen? Oder kann man dem Gerechten seine Gefangenen losmachen?« schildert er die Schwierigkeit in bezug auf das Recht, sein Volk aus der Notlage zu befreien ... Ich entnehme diese Ausführung dem Buch von Zündel »Jesus«. Wahrlich, auch unser Volk und seine Frauen sind ein Raub des Riesen Staat, wenn sie über menschliches Vermögen hinaus gezwungen werden, zu gebären. Unsere Aufgabe muß es sein, dem »Gerechten«, dem Staat, der immer recht hat, klar zu machen, daß sein Recht zum Unrecht geworden ist.


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