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27. Wie eine Konfusion zu einer Verlobung führt.

Als Hildchen am Arme des Vaters den in einen großen Saal verwandelten Theaterraum betrat, klopfte ihr Herz gewaltig; aber die Ursache ihrer Erregung war nicht der sie umbrausende Strom fremdartiger grotesker Gestalten, ihr Auge suchte nur nach einer Gestalt, wie das Auge des Schiffers im wogenden Meere nach der Leuchte sucht, die ihm den Weg zum sichern Hafen weist. Hildchen meinte Walter unter all den Masken sicher herauszufinden, doch leider war das Gedränge so groß, daß ein weiterer Ausblick unmöglich wurde. Sie wagte auch nicht den Arm des Vaters loszulassen; nur Schritt vor Schritt kamen sie vorwärts.

Die Laune Baldingers war durch Rolands Aufmerksamkeit schon auf einen höhern Ton gestimmt; hier unter diesen phantastischen Figuren wurde er bald ganz aufgeräumt. Er gefiel sich in den glänzend erleuchteten und ausgeschmückten Räumen: alles Strahlende, Bunte, Geputzte war ja nach seinem Geschmack. Wenn eine dieser Masken seinen Namen nannte, oder wenn ihm eine Bemerkung zugeflüstert wurde, lachte er laut. Das Bewußtsein, eine bekannte, angesehene Persönlichkeit zu sein, würzte seine Laune. Dagegen verstimmte ihn Hildchens Benehmen ein wenig. Wurde sie auch einmal, wie es die Maskenfreiheit gestattete, mit »Du« angesprochen, dann warf sie den Kopf zurück und nahm eine steife Haltung an.

»Na, na – nur nicht gar so vornehm, mein Fräulein!« mahnte der Papa. »Man geht auf den Maskenball, um sich zu amüsieren!«

Ach, Hildchen dachte nicht daran, vornehm zu thun; dazu war ihre Aufregung viel zu groß. »Was wird er zuerst sagen?« fragte sie sich. »Ob er wohl fremd thun wird? Ob er mich ›Hildchen‹ nennen wird?« – Jetzt, da der Augenblick des Wiedersehens vor ihr lag, war ihre Seele einzig und allein mit dem Freunde beschäftigt.

Unbemerkt waren Vater und Tochter nicht geblieben; in einer Loge des ersten Ranges saß eine Dame in Rokoko, die durch ihr Glas die vorüberschreitenden Masken sehr scharf beobachtete, und da sie mit Hildchens Toilette vertraut war, diese auch alsbald erkannte. Sie wendete sich zu dem hinter ihr sitzenden Matrosen. »Da geht Hildchen,« sagte Frau Ada; »nun geh hinüber und stelle dich vor Loge Nr. 8 auf, so kannst du sie nicht verfehlen.« Dann nahm sie das Glas wieder auf. Die Baldingers waren indessen näher gekommen.

»Was soll das heißen? Hildchen trägt ja nicht den von dir gesendeten Blumenstrauß!« rief Frau Ada enttäuscht.

»So? Nun, da kannst du ja deutlich merken, daß sie nichts von mir wissen will,« kam die phlegmatische Antwort. »Das ist ebensogut, als hätte sie mir einen Korb gegeben. Und so 'n teurer Strauß! – Aber nun rühre ich mich auch gewiß nicht und rede kein Wort mit ihr.«

»Unsinn!« versetzte Frau Ada, die ihrem Lieblingswunsche noch immer nicht entsagen mochte. »Der Diener kann die Karten verwechselt haben, oder diese unglückselige Tante hat vielleicht eine Konfusion gemacht. Daraufhin zu verzichten, wäre geradezu lächerlich.«

Baldinger hatte inzwischen mit seiner Begleiterin nicht die gemietete Loge, sondern das Foyer betreten.

»Setze dich auf diesen Diwan, Hildchen,« sagte er. »Hier kannst du auf mich warten; ich werde dir eine Schale Gefrorenes besorgen.«

»Ach du guter Papa!« – Der Vorschlag war Hildchen sehr angenehm; das langsame Umhergehen hatte sie müde und die Hitze durstig gemacht.

Hätte Mile nur Zeit gefunden, nachzudenken, würde sie wohl selbst zu der Ueberzeugung gekommen sein, daß sie etwas Thörichtes unternommen habe. Vielleicht war Roland gar nicht anwesend, denn Mile eine Antwort zukommen zu lassen, war nicht mehr möglich gewesen; und dann war er auch nicht der einzige große Mann in der Stadt. Gleich am Fuße der breiten Treppe sah Mile einen riesigen Portier mit mächtigem Stabe stehen, und da sie ihn in ihrer Aufregung für eine Maske hielt, stürzte sie auf ihn zu und malte in seine Hand W. R.; denn wie man sich auf einem Maskenballe Erkennungszeichen giebt, darüber hatte Hildchen sie während der letzten Tage belehrt.

»Herrjes, was wollen Sie damit? Ich bin ja der Portier,« bedeutete sie der Mann und entzog ihr etwas gewaltsam seine Hand.

Mile starrte ihn beschämt an. Dann versuchte sie sich seinen Blicken, wie dem Lachen einiger Beobachter zu entziehen. Manchmal tauchte wohl eine besonders große Gestalt aus der Menge auf; doch ehe sie den »Riesen« erreichte, war er schon wieder im Gewühl verschwunden. Die arme Mile fühlte sich sehr elend. Ihren schönen Plan sah sie scheitern, und dabei wurde sie hungrig und zum Umsinken müde. Da plötzlich vernahm sie eine Stimme, die ihr so lieblich wie eines Engels Stimme erschien.

Baldinger, der sich im furchtbarsten Gedränge wie ein »Postpaket« eingeklemmt sah und nicht ans Büffett gelangen konnte, verlor endlich die Geduld und rief ganz laut: »Eine Schale Gefrorenes für meine Tochter!« Das half. Von verschiedenen Seiten wurde folglich gerufen: »Eine Schale Gefrorenes für Kommerzienrat Baldingers Tochter!« – Und ein allgemeines Gelächter folgte.

Mile sah in der roten Nase eine Hoffnungsleuchte. Sie näherte sich dem Bruder, ohne Scheu vor seinem Zorn, und sagte leise: »August, mache kein Aufhebens – ich bin's.«

»Na, da schlag doch 'n Pferd drein!« schrie er überrascht. Dann durchzuckte ihn der Gedanke, Mile sei am Ende übergeschnappt; denn daß vernünftige Gründe sie bewogen hätten, allein ihnen auf den Maskenball zu folgen, schien ihm unmöglich. Er bezwang sich daher, nahm sie unter seinen Arm und redete ihr herzlich und beruhigend zu. »Ich bringe dich zu unsrer Hilde, und dann erzählst du mir, wie du hierhergekommen bist.«

Aber als sie das Foyer erreichten, sahen sie gerade noch, wie der himmelblaue Domino am Arme eines schwarzen Dominos im Gedränge verschwand.

»Na, Gott sei Dank!« sagte Mile und seufzte erleichtert auf. »Jetzt hat er sie.« Dann ließ sie sich erschöpft auf dem Diwan nieder.

»Was soll das heißen? Wer hat sie?« fragte Baldinger scharf.

»Wenn dir was wider den Strich geht, bist du immer gleich so schrecklich aufgeregt, August; und da habe ich die Sache in die Hand genommen« – ein triumphierendes Lächeln glitt über ihre Züge, doch wurde es von der Larve verdeckt – »und diesmal ist mir's gelungen!«

»Du hast diese Sache in deine Hand genommen?« rief Baldinger, und die Folgen einer grenzenlosen Konfusion stiegen vor seinen erschreckten Blicken auf.

»Ja,« sagte Mile und nahm, weil's ihr zu warm wurde, die lästige Larve ab. »Ich habe ihn auf den Maskenball eingeladen und ihm mein Billet geschickt. Aber etwas habe ich doch vergessen,« setzte sie kleinlaut hinzu. »Ich hatte ihm nicht gesagt, wie Hildchen angezogen sein würde; und darum bin ich ja eben hier, und nun wirst du mich freilich auslachen; 's ist mir aber jetzt ganz egal, ob du lachst, August, denn er hat unsre Hilde gefunden. Möchte nur wissen, woran er sie erkannt hat.«

»Natürlich an dem Bouquet, das er ihr geschickt hat.«

»Er hat ihr ein Bouquet geschickt? Ja, warum habt ihr mir das nicht gesagt; dann hätt' ich zu Hause bleiben können! Zum Spaß hab' ich mich nicht lächerlich gemacht. Und bekomme ich jetzt nicht bald was zu essen, werde ich auch gewiß noch ohnmächtig.«

»Wenn du nur noch kräftig genug bist, um mit mir in unsre Loge zu gehen, dort erwartet uns ein kleines Souper.«

Von dieser Hoffnung neubelebt erhob sich Mile und begab sich mit dem Bruder nach Loge Nr. 8.

Und nun wollen wir uns nach Hildchen umsehen.

Hildchen saß auf dem Diwan und wartete auf den Vater mit dem Gefrorenen, aber auch auf den Freund. Der etwas erhöhte Platz war zum Anschauen der Ballgesellschaft sehr geeignet, die reizendsten und die wunderlichsten Gestalten gingen an ihr vorüber; Hildchen aber dachte doch immer nur: Wann wird er nur kommen! Und endlich, da kam er! Sie erkannte ihn schon von weitem an der hohen Gestalt und an dem mächtigen blonden Barte, der von der Larve nicht bedeckt wurde.

»Ob er mich erkennen wird?« fragte sie sich. Sie erhob den Strauß, als wollte sie daran riechen; aber sie wußte kaum, was sie that. Ihre Aufregung war sehr groß.

Richtig, er hatte sie bemerkt: zuerst den Strauß und dann das Mädchen. Nun stand er vor ihr. Sie streckte ihm die Hand entgegen, und er schrieb H. B. hinein.

Bild: Fritz Bergen

Sie streckte ihm die Hand entgegen, und er schrieb H. B. hinein …

Hildchen erhob sich und sagte mit etwas bebender Stimme: »Ich war leicht zu erkennen an den Blumen, nicht wahr? Sie aber habe ich schon von weitem erkannt, Walter.«

»Es ist der glücklichste Zufall, daß wir uns hier getroffen haben,« antwortete ihr eine tiefe, bewegte Männerstimme. »Aber nein, ich will dieses Zusammentreffen nicht einen Zufall nennen. Ich wußte ja, daß ich Sie hier finden würde, Hildchen … aber darf ich Sie noch Hildchen nennen?«

»Ja, sonst müßte ich Herr Direktor sagen, das würde mir recht schwer fallen.«

»Ich danke Ihnen, Hildchen; diese Erlaubnis macht mich sehr glücklich. – Wissen Sie, daß mich Tante Mile auf den Maskenball eingeladen hat?«

»Tante Mile? Nein, davon habe ich keine Ahnung. Aber ich hoffte, Sie hier zu treffen, weil Sie mir einen Strauß von Veilchen und Maiglöckchen, den alten Geburtstagsstrauß, gesendet haben.«

Walter hatte nicht darum gebeten, und doch lag Hildchens Hand auf seinem Arme, und beide schritten, dem Strome folgend, durch die Foyers. Hildchen hatte wahrhaftig vergessen, auf des Vaters Rückkehr zu warten. Es machte sich alles wie von selbst. Ein Gefühl glückseliger Ruhe und Sicherheit war über das junge Mädchen gekommen: an seiner Seite war der Platz, an den sie gehörte. Daß sich ein Bedenken zwischen sie drängen könne, fiel ihr gar nicht ein. Auch nicht der leiseste Zweifel stieg in ihrem Herzen auf; aber eine Frage konnte Hildchen doch nicht unterdrücken.

»Wußten Sie denn nicht, Walter, daß ich schon seit länger als einer Woche zurück bin? Oder hatten Sie wirklich gar keine Zeit, einmal hereinzukommen?«

»Ach, Hildchen,« entgegnete er mit einem tiefen Ausatmen, »das war eine schwere Zeit. Ich kann's noch kaum fassen, daß ich von all der Qual erlöst bin! Denn erst heute nachmittag habe ich erfahren, daß ich mich in einer ganz falschen Auffassung verstrickt hatte. Noch habe ich das Gleichgewicht meiner Seele nicht wiedergefunden; es ist so wunderbar, aus quälenden Zweifeln zu völliger Klarheit und Seligkeit erwacht zu sein!«

»Aber was kann Sie so geängstigt haben, Walter?« – Und leiser setzte Hildchen hinzu: »Konnten Sie glauben, daß ich meinen Jugendfreund vergessen würde?«

»Nein, Hildchen, so groß ist meine Schuld doch nicht. – Ach, wie viele unnötige Qualen bereiten sich die Menschen durch falsche Bedenklichkeit, anstatt das Leben im vollen Vertrauen zu einander zu genießen! Ich war ein solcher Thor. Seit Jahren bin ich nicht mehr so recht gesund und fröhlich gewesen. Schwere Sorgen – ja ich muß gestehen – selbstbereiteter Kummer lastete andauernd auf mir. Aber heute – Gott segne Tante Miles Konfusion! …«

»Tante Mile hat eine Konfusion gemacht?«

»Ja, eine höchst glückliche und gesegnete Konfusion. Anstatt eines Briefes erhielt ich heute zwei Briefe von ihr. Ich konnte anfangs nicht klug daraus werden und merkte erst am Schluß des zweiten Briefes, daß er für Konsul Steinbach bestimmt war. Als mir das Versehen aber klar wurde, verstand ich zugleich, was Tante Mile mit diesem Briefe sagen wollte; ich las aus ihm, daß ich mich durch einen falschen Stolz, eine falsche Bescheidenheit beinahe um alles Glück gebracht hätte.«

»Alles das klingt sehr wunderbar, und ich kann Sie nicht verstehen, Walter.«

»Ja, Hildchen, die richtige Erklärung meiner Zweifel und Bedenklichkeiten kann ich doch eigentlich nur Ihrem Herrn Vater mitteilen.«

Als Roland ihres Vaters erwähnte, fiel Hildchen ein, daß sie den Platz verlassen hatte, wo dieser sie treffen wollte, und da sie sich jetzt ganz in der Nähe der von Baldinger gemieteten Loge befanden, schlug Hildchen vor, dort einzutreten.

In der Loge nun fanden sie eine ganze Gesellschaft. Zum Glück ging Hildchens Erstaunen, Tante Mile so unerwartet hier zu sehen, noch hinter der schützenden Larve vorüber, und als sie diese abnahm, weil auch die übrigen schon demaskiert waren, hatte das kluge Mädchen Mile und die Einladung Walters in Zusammenhang gebracht, sodaß weder Frau Ada, noch ihr Gatte und Bruder merkten, daß hier ein sehr unverhofftes Wiedersehen stattfand.

Sobald sie von den lästigen, schwarzen Halblarven befreit waren, schauten sich Hildchen und Walter zum erstenmal seit ihrer langen Trennung von Angesicht zu Angesicht. Die Freude und Glückseligkeit, die aus ihren Augen strahlte, übten auf die verschiedenen Personen eine ganz verschiedene Wirkung aus.

Während sich der Kommerzienrat vergnügt das junge Paar anguckte, dachte Mile mit gefalteten Händen: Gott sei Dank! diesmal hab' ich's richtig angestellt! und vergaß darüber alles erlittene Ungemach. Frau Ada aber merkte, daß ihr Plan unwiderruflich gescheitert sei, und Artur flüsterte ihr zu: »Diesmal habe ich recht behalten.«

Die Holborns fühlten, daß sie im Kreise dieser glücklichen Menschen nur störten, und empfahlen sich. Tante Mile aber erklärte: »Kinder, ehe ihr von mir einen Aufschluß verlangt, gebt mir was zu essen, sonst erlebt ihr eine Ohnmacht, und die würde in diesem Augenblick sehr unangenehm sein.«

Der Ohnmacht wurde durch ein schon vorbereitetes feines Souper aufs beste vorgebeugt. Als nun aber Tante Mile jede Spur einer Schwäche überwunden hatte, fiel ihr auf einmal ein, daß die arme Röse noch immer in der kalten Droschke ihrer Rückkehr harrte.

Roland erbot sich sofort, die Angelegenheit in Ordnung zu bringen, und merkwürdigerweise fand der Kommerzienrat, daß er seinen jungen Freund dabei begleiten müsse.

Als beide Herren nach einiger Zeit zurückkamen, sahen sie aus wie zwei Menschen, die völlig einig sind, weil jeder Schatten eines Zweifels, der sich störend zwischen sie drängte, durch Vertrauen besiegt worden ist.

Da Tante Mile inzwischen sehr müde geworden war und das junge Paar zum Tanzen in dem Gewühl keine Neigung bezeigte, beschloß man den Heimweg anzutreten. Der Wagen erwartete sie zwar noch nicht; doch Fritz hatte sich schon eingefunden, und da der Mond schien und die Entfernung vom Hause nur gering war, schlug Baldinger vor, den Weg zu Fuß zurückzulegen.

Roland ließ es sich natürlich nicht nehmen, Hildchen warm einzuhüllen; auf dem Heimwege hoffte er alsdann, alles, wovon sein Herz übervoll war, auszusprechen. Jetzt nachdem er dem Vater seine Zweifel wie seine Liebe gestanden hatte, glaubte er dazu ein Recht zu haben.

Zwei unerwartete Hindernisse aber stellten sich seinem Vorhaben entgegen. Das eine hatte die Gestalt von Fritz angenommen. Fritz, leider kein hell sehender Diener, hielt sich immer dicht hinter dem jungen Paare. Das zweite Hindernis aber war Hildchens ärmelloser Mantel, in den sie sich so fest eingewickelt hatte, daß auch nicht ein Fingerchen zum Vorschein kam.

Nun bildete sich aber Roland ein, daß er nur reden könne, wenn Hildchens Hand, wie vorhin im Theater, auf seinem Arme ruhte, und da sie ihm diese Gunst nicht zu gewähren vermochte, versank er plötzlich in Schweigen.

Baldinger, die Schwester am Arme, marschierte voran; aber so oft er sich auch umblickte, stets mußte er sehen, daß Roland und Hildchen stumm nebeneinander schritten. Er war ein Mann der That und verlangte, ein so gut begonnenes Werk müsse nun auch ohne weiteres Zögern vollendet werden. Also beschloß er einzugreifen.

»Fritz,« rief er, »lauf voraus und sieh zu, daß wir das Haus offen und die Lichter angezündet finden!« – Dann sich zu Mile wendend, sagte er: »Du mußt mir doch noch einmal erzählen, wie du auf die Idee gekommen bist, den Roland einzuladen, und was du für 'ne Konfusion mit dem Briefe an Steinbach gemacht hast; aber sprich ein bißchen laut, mir ist's, als hörte ich heut abend nicht ganz gut.«

Erkannte nun Roland die wohlmeinende Absicht des Kommerzienrats, oder hatte er sich überlegt, daß er sich, nachdem Fritz beseitigt war, in einem so wichtigen Augenblick nicht an dem Schnitte eines Mantels stoßen dürfe – kurz, ohne irgend welche Einleitung bückte er sich zu seiner Begleiterin und fragte mit etwas bedeckter Stimme: »Hildchen, willst du meine Frau werden?«

Sofort erfolgte unter der Kapuze an seiner Seite die Gegenfrage: »Muß ich das noch ausdrücklich versichern, Walter?«

»Ja, denn an ein so großes Glück kann ich nur glauben, wenn ich's aus deinem Munde höre.«

Da machten sich aus der Umhüllung zwei Arme frei und eine liebe Stimme bekannte: »Ja, ich will deine Frau werden.«

Baldinger hatte von Miles Bericht, obwohl sie möglichst laut erzählte, nur wenige Worte verstanden; seine Gedanken weilten bei seinem Kinde – seinen Kindern, und ganz verstohlen guckte er sich wieder einmal nach ihnen um.

Da sah er denn eine Umarmung, und sehr befriedigt von dem Anblick wandte er sich an seine Schwester: »Sieh dich mal um, Mile; aber schrei nicht gleich auf. Was du da siehst, hast du zu stande gebracht. Wer weiß, ob ohne deine Konfusion Walter jemals gesprochen hätte.«

»Morgen haben wir Verlobung,« erklärte Fritz der Jungfer, die schlaftrunken aus Hildchens Zimmer trat.

»Ach, lassen Sie mich mit Ihren Späßen in Ruhe; ich kann nicht mehr aus den Augen sehen,« meinte die Jungfer ärgerlich.

»Na, ich habe aber doch gesehen, daß sie sich küßten.«

Da war der Schlaf wie fortgeblasen. »Wen hat sie geküßt?« forschte die Jungfer mit klaren Augen.

»Und der Herr Kommerzienrat hat auch gesagt: ›Gute Nacht, mein Sohn!‹«

»Aber, so antworten Sie doch, Fritzchen: wen hat denn unser Fräulein geküßt?«

»Unsern Herrn Direktor Roland,« antwortete Fritz mit Selbstbewußtsein.

»Ach, gehen Sie! Nur den Direktor? Na, wenn unser Fräulein nur gewollt hätte, die hätte auch einen Grafen kriegen können; Roland ist doch kein Name.«

»Na, da haben Sie wieder mal recht: 'nen Namen kriegt Fräulein Hildchen nicht, aber einen Mann, einen ausgezeichneten Mann; ich kenne doch unsern Direktor, ich bin ja von den Werken.«

Bild: Fritz Bergen

Meine jungen Leserinnen wünschen oft die weitern Schicksale der ihnen bekannt und vertraut gewordenen Personen kennen zu lernen. Ich hoffe diesmal ihre Neugierde befriedigen zu können. In »Helenens Tagebuch« werden sie einige ihrer alten Freunde wiederfinden. Wir nehmen deshalb von diesen nicht für immer Abschied, sondern rufen ihnen zu: Auf Wiedersehen!

 


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