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Sechzehntes Kapitel.

Das Hinzutreten der Reformation.

Es liegt außer der Sache, auf die Reformation selbst einzugehen. Wenn sich das Nothwendige des im Gange der Welt Verwirklichten beklagen ließe, so würde wohl jeder Freund des deutschen Vaterlandes die Glaubensspaltung beklagen, durch welche das stärkste Band für nationale Einheit den Deutschen zerrissen wurde. Es lag im Willen der Vorsehung, daß Deutschland durch diese schmerzliche Scheidung hindurch gehen sollte, gewiß zu um so Höherem in einer Zukunft, die noch weit vor uns liegt.

Herbeigeführt wurde die Reformation durch Schuld der Kirche.

Weil das Christenthum von Haus aus göttlich war, ist es auch von Anfang an katholisch gewesen, das heißt im wörtlichen Sinne, »eine für alle Menschen gleiche Religion.« Den Hirten auf dem Felde war zuerst das neue Heil verkündet, den Armen von Christus vor Allen das Evangelium gepredigt worden. – Das war die größte Zeit des Pabstthums, da es von der öffentlichen Meinung getragen ward, weil es wirklich war, wofür man es hielt, nämlich nach Chateaubriands schönem Ausdruck »das Tribunat der Völker, beim Anbruch des politischen Zeitalters des Christenthums.« Es war jene Zeit, da 136es die Armen schirmte gegen feudalen Druck; da es, als der unverletzliche Schutzobere der Christen, das Volk verfocht gegen königliche Tyrannei. Die alte Kirche als Kirche, hat, ehe sie sich selbst untreu wurde, Größtes und Schönstes gethan, dem Volke wie den Fürsten, den Armen wie den Reichen, den Leidenden wie den Glücklichen gegenüber.

Bald aber arteten Viele, geringere, höhere und höchste Vertreter der Kirche, aus; zuletzt war die Mehrheit der Geistlichkeit von den Grundsätzen der ursprünglichen Kirche in ihrem Leben und Handeln abgefallen, und die Kirche selbst kam von sich selbst nicht dazu, sich zu verjüngen, bis sie dazu mit Gewalt genöthigt wurde.

Der aus langem Schlummer erwachte Geist der Nation zeigte sich zuerst in dem wissenschaftlichen Leben und in der werdenden Literatur, welche sich als eine doppelte geltend machte, nicht nur in rein gelehrter Richtung, sondern auch in volksthümlicher. Die volksthümliche Literatur theilte sich wieder in zwei Zweige, in die erbauliche und die satirische, wenn wir sie nämlich in ihrer Bedeutung für die Vorbereitung der Reformation betrachten. So lagen in den Schriften Taulers, Heinrich Suso's, Johann Ruysbrocks, Thomas a Kempis, Johann Wessels und Anderer sehr viele Elemente reformatorischer Art, und wie sich in ihnen, wenn auch nur leise, aber tief wirkend, ein Kampf gegen die Kirche, wie sie jetzt war, fortspann, der sich unbewußt in die Herzen vieler Tausende der Nation seit Erfindung der Buchdruckerkunst hinüber spielte: so war es noch mehr auf der andern Seite der Witz, welcher in offenbarer Opposition gegen das entartete Pabstthum, wie gegen die Gebrechen der Zeit einen kleinen Krieg für die Freiheit des Geistes und des Volkes fortführte. Die Schriften Rosenblüths, Rollenhagens, Sebastian Brands, Thomas Murners begossen die öffentlichen Zustände mit ihrer Lauge. Reineke Fuchs, der Eulenspiegel waren Volksbücher in gleicher Richtung; über Brand's Narrenschiff predigte Gailer von Kaisersberg; und Murner, der Franziskaner, durchzog seit 1500 fast alle deutschen Gaue und geiselte das Verderben aller Stände derb und oft unsauber, aber höchst populär. Nicht zu vergessen ist der beißende Heinrich Bebel, der in Schenken und an Prälatentafeln die schwachen Seiten der Kirche und ihrer Diener belachte. Ueberall thut sich der Verstand kund, der mündig geworden ist.

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Den Vermittler zwischen der populären und der gelehrten Literatur macht Ulrich von Hutten. Er gehört beiden zugleich an. Von ungeheurer Wirkung waren die Karrikaturen, welche er in Verbindung mit einigen Freunden, namentlich mit Reuchlin, auf das Priesterthum der Zeit machte, in seinen Briefen der Dunkelmänner, der Finsterlinge ( epistolae obscurorum virorum.) Hutten hat nirgends erklärt, daß er an den Briefen nicht Theil habe, sondern nur, daß ihm die mit den Unfläthigkeiten fremd seien.

Der Pabst glaubte, diese Karrikaturen verbieten zu müssen, so sehr machten sie die Nation über die Pfaffheit lachen. Hutten war aber auch eine der ersten Zierden der kaum wiedererwachten Wissenschaft, und es ist ewig Schade, daß seine meisten Schriften lateinisch geschrieben sind.

Innig befreundet war mit ihm, wiewohl nur einige Zeit, Erasmus von Rotterdam, eine europäische Berühmtheit. Von Haus aus ein Feind des Pfäffischen und Klösterlichen, worunter Erasmus in seiner Jugend viel gelitten hatte, war sein literarisches Wirken eine bittere, wenn auch leis und rücksichtsvoll auftretende Opposition gegen die heiligen und unheiligen Thorheiten seiner Zeit, und besonders sein feiner Witz, gekleidet in die höchste Eleganz und Leichtigkeit des Ausdrucks, schnellte Tausende von treffenden Pfeilen. Er dachte auf das Freisinnigste, besonders im Punkte der Religion. Er sprach auch freimüthig, so lange es keine Gefahr hatte, und so lange selbst die, deren Standesinteresse von seinem Witze getroffen wurden, mitlachten. Dadurch, daß er der Wiedererwecker des klassischen Alterthums, und durch die Beförderung desselben, besonders auch durch seine correcte Uebersetzung des neuen Testaments ins Lateinische, Vorläufer des anbrechenden Tages wurde, hat er ein unsterbliches Verdienst, und das Ritterthum des neuen Geistes, dem er Bahn brach, muß ihm ungeschmälert bleiben, so viele Schatten auch auf seine glänzende Rüstung fallen. Ein anderer Vorkämpfer der Wissenschaft war Johann Reuchlin, der Sohn eines Boten zu Pforzheim. Solche Männer, und unter ihren Händen die ewig jungen, vom Geiste der Freiheit gebotnen Werke des klassischen Alterthums und die durch ganz Deutschland aufblühenden Universitäten, und ihnen zur Seite die Presse, die neuerfundene Kunst, mit Blitzesschnelle, was der Einzelne gedacht, 138unter die Massen einzuführen, verbreiteten weithin ein neues Licht und brachten neue Gährungsstoffe in das innere Leben der Zeit hinein. So kam es, daß in wenigen Jahren der zersetzende Verstand mehr Steine an dem Bau des Bestehenden löste und sprengte, als fast in eben so vielen Jahrhunderten zuvor, und die alten Formen des religiösen und politischen Lebens erschienen immer abgelebter und befleckter.

Unparteiischer kann der Geschichtschreiber wohl nicht verfahren, als wenn er seine eigenen, früher gedruckten Gedanken unterdrückt, und einen Vorfechter der katholischen Kirche, den von ihr als ihren vorzüglichsten Wortführer anerkannten Verfasser der »Studien und Skizen zur Geschichte der Reformation« selbst sprechen läßt.

»Es waren, sagt dieser, in allen Sphären der Kirche, unter Geistlichen und Laien, an Haupt und Gliedern, Verbrechen, Sünden und Mißbräuche in Schwang gekommen, die im Laufe der Zeit eine solche Höhe erreichten, daß zuletzt, durch Gottes unerforschliche Zulassung die Rebellion, zur Züchtigung und Buße über die Schuldigen, losgelassen werden mußte.« Jarcke, Studien und Skizen, Verlag der Hurter'schen Buchhandlung in Schaffhausen. 1846. – »Der am meisten hervorstehende Fehler dieser Zeit, in welcher die Liebe bei Vielen erkaltet war, ist ein jedes Maß übersteigender Geiz. In der Geistlichkeit aller Grade und Ordnungen wüthete dieser als die Sucht, die kirchlichen Taxen, Sporteln, Renten und Einkünfte aller Art und Benennung auf den möglichst höchsten Punkt zu steigern. Aber genau dasselbe Streben zeigte sich auch bei den Fürsten und Obrigkeiten derselben Zeit in der Form der damals zuerst emporkeimenden Fiskalität, beim Adel in dem Schinden und Schatzen der Bauern. – Eng verwandt mit diesen Gebrechen der gesammten damaligen geistlichen Welt war zweitens die, auf rohem Eigennutze beruhende, jeder höheren Idee, jedes Strebens, sich an Gott anzuschließen, völlig baar und ledig gewordene Politik des Zeitalters. – Ein dritter Beweggrund zu der Glaubensspaltung war die derselben unmittelbar vorhergehende Entsittlichung, nicht bloß eines großen Theiles der Geistlichkeit, sondern aller Stände der Gesellschaft. – Der sittliche Ernst fehlte manchmal denen am Meisten, die der christlichen Welt Kraft ihres Amtes oder ihrer hohen Geburt ein Vorbild hätten sein sollen: das 139beweist nicht bloß die Geschichte des römischen Hofes kurz vor der Glaubensspaltung, sondern in fast noch stärkerem Maße die Lebensweise der deutschen geistlichen Fürsten. In den revolutionären Bewegungen des sechzehnten Jahrhunderts kam das langsam herangereifte Uebel zum Ausbruch. Ein großes Zeitgeschwür brach auf.« Jarcke, a. a. O. S. 7-12.

Weil der Gottesdienst seiner Idee fast abgestorben, fast zur gleichgültigen Form geworden war, wurde er eben für die Denkenden eine Last, und führte die Masse, da die Zweifelsucht einerseits angeregt, die Unwissenheit andererseits groß war, entweder zum Unglauben, oder zur Sehnsucht nach neuem religiösem Lebensbrod oder zum Aberglauben.

Die Zeit war großentheils wundergläubiger als je. Reliquien wurden wieder mit brünstiger Andacht verehrt, und der Mariendienst kam in einen Flor, wie kaum zuvor sonst. Die Klugen unter den Priestern kamen dem religiösen Bedürfnisse der Zeit auch bereitwillig mit den seltsamsten Reliquien entgegen, und beschäftigten die Künstler mit Anfertigungen von Hunderten und Tausenden von Marien-Bildern und Bildchen. Sie verbreiteten Gebetbücher mit Gebeten, an deren Sprechung ein Ablaß auf Jahre und Jahrtausende geknüpft war, und die Marienbilder der verschiedenen Kirchen mußten Wunder auf Wunder thun. Auch wurde mit dem Kaiser von den Cölnern Dominikanern bereits unterhandelt, ein Inquisitionstribunal in Deutschland zu errichten. Freudig über solche Erfolge rieb sich der Abt des Stifts Neuhausen im Würmsgau in Schwaben die Hände, und schmeichelte sich mit der Hoffnung, »sie wollen die Leute noch überreden, daß sie Heu fressen.«

Die Kunst arbeitete dem alten Glauben, der Heiligen- und Muttergottes-Verehrung, wunderbar in die Hände: die Malerei und die Skulptur feierten eben ihre schönsten Begeisterungsstunden und schufen ihre herrlichsten Werke. Der ganze Cultus gewann die höchste äußerliche Schönheit. Alle Künste zogen in höherem Style mitwirkend um diese Zeit ein in die Hallen der Kirchen, und die Dome, an denen die Jahrhunderte gebaut, vollendeten jetzt erst ihre Chore, ihre Hochaltäre, ihre Portale, ihre Thurmspitzen.

Es war, als wollte das Mittelalter noch einmal sich glänzend erheben in den drei Erscheinungen, die es charakterisiren, im 140Glauben, in der Poesie, im ritterlichen Heldenthum. Denn wie der Glauben wieder in den seltsamsten Wundergeschichten, die Beifall fanden, und in einer Art religiöser Ekstase, die Viele ergriff, neu aufleuchtete; wie die Poesie, wenn auch nicht in der Schönheit des Gesanges, doch in der Schönheit, die der Pinsel und der Meisel schafft, sich neu offenbarte, so nahm auch die Feudalität, neben Rohheit und Faustrecht, hohe Ideen und großen Sinn wieder in sich auf, in Rittern wie Sickingen, wie Ulrich von Hutten.

Aber es war nur ein Aufleuchten der letzten Kräfte vor dem Tode, ein Aufflackern des Lebens kurz vor der Auflösung. Wie unfreiwillig auch, der Geist des Mittelalters sollte vom Schauplatz abtreten, und schon hörten Aufmerksamere die Axtschläge der Unsichtbaren, welche am Sarge der Feudal- und Priesterherrlichkeit zimmerten. Der Schmuck, womit zuletzt noch die Künste die Kirche des Mittelalters schmückten, war ihr Todtenschmuck, worin sie ihrer allmähligen Auflösung entgegengehen sollte.

Tausende ahnten oder verkündeten den Anzug einer neuen Zeit. Alte Weissagungen kamen wieder in lebendigen Umlauf, neue schlossen sich daran.

Es waren vorzüglich zwei große Weissagungen, an welche sich der Glaube und die Hoffnung des Volkes hielt in seiner Noth und seiner Nacht, in seiner Sehnsucht nach Hülfe und Erlösung. Die eine war eine politische, die andere eine religiöse. Es war nämlich eine alte Prophezeihung; »es solle einst eine Kuh auf dem Schwanenberg Der Schwanenberg liegt in Franken bei Iphofen, unweit Nürnberg und Würzburg, also im Herzen von Deutschland. stehen und da lungern und plarren, daß man's mitten in Schweiz höre.« Diese Prophezeihung war zum Sprüchwort und dahin gedeutet worden, daß ganz Deutschland einst zur Schweiz, d. h. frei wie die Schweiz werden würde.

Die andere Weissagung war das Wort, das man dem sterbenden Huß oder Hieronymus in den Mund gelegt hatte, und welche eine hussitische Münze als Umschrift des Gepräges führte: »Ueber hundert Jahre werdet ihr Gott und mir antworten.« Allgemein erwartete man die Erscheinung des Langverheißenen, der ein Mann Gottes und des Volkes sein würde wider die Tyrannei des Pabstes und der 141Pfaffen. »Katharina von Holzhausen, Giselberts Wittwe, eine betagte, fast erblindete Matrone, ließ sich, als Luther auf seiner Reise zum Wormser Reichstag durch Frankfurt kam, sobald sie seine Ankunft erfuhr, zu ihm führen. Sie betheuerte, schon von ihren Eltern gehört zu haben, Gott würde künftig einen Mann erwecken, den Menschentand zu bekämpfen. Dieser Mann sei Niemand anders als Bruder Martin; Gottes Geist und Segen müsse ihn geleiten!« (Kirchner, Gesch. v. Frankf. II, 10. Anmerk. M.) Von dem Franziskaner Johann Hilten war eine noch bestimmtere Weissagung, die er, eh er in den Kerker gelegt worden war, auf den Propheten Daniel sich stützend, zu Eisenach gethan hatte, im Umlauf: »Im fünfzehnhundert und sechszehenten Jahre werde die Macht und Gewalt des Pabstes anfangen zu fallen.«

Ganz natürlich und in der Ordnung ist ein Traum des Churfürsten Friedrich von Sachsen, den er in der Nacht hatte, die dem 31. Oktober 1517 vorherging.

Er schlief und sah im Schlaf einen Mönch an die Wittenberger Schloßkirche schreiben, mit großer Schrift und ungeheurer Feder, welche bis nach Rom reichte und an des Pabstes Krone stieß, so daß sie davon wankte. –

Sein Luther hatte schon seit drei Wochen in der Schloßkirche wider den Ablaß gepredigt. –

So hoch man auch das Wirken und die Macht des Geistes auf das Volk anschlagen muß, so darf man doch nicht verkennen, daß das Materielle auf die Masse tiefer geht, als das Geistige, und so wehe es dem Bauern thut, wenn er der geistlichen Speise in der Kirche darben soll, so thut es ihm doch noch weher und macht ihn für Neuerungen geneigter, wenn er kein Brod in der Tischlade hat, wenn er physisch hungert. Wer mehret Schweiz? Der Herren Geiz. Sprüchwort jener Zeit.

Es ist gewiß richtig, daß einerseits die Gelderpressungen, die Betrügereien und Räubereien zuerst des römischen Hofes, dann der geistlichen Herren überhaupt, andererseits die Weigerungen der Geistlichkeit, an irgend einer Steuer oder Last mitzutragen, es vorzüglich gewesen seien, was das Volk am meisten aufgebracht, und ebenso sehr zur Republik als zur Reformation fortgezogen habe. Die Ablaß- und Jubelgelder, welche ungeheure Summen dem römischen Hofe abwarfen, in einer einzigen Stadt z. B. wie Frankfurt in einem 142Jahre gegen tausend fünfhundert Goldgulden, hatten zwar für den Einzelnen nichts materiell Drückendes; aber das Schamlose, das Schmutzig-Dreiste, womit der Kram getrieben wurde, mußte zuletzt auffallen, zum Denken und Zweifeln führen, erbittern, zum Widerstand herausfordern. Bernhardin Samson von Mailand, Ablaß-Commissarius. »Dieser Ablaß-Kaufmann war seines Gewerbes so wohl bericht und vertraut, daß er, wie ich aus seinem Munde selbst gehört hab, inner 18 Jahren dreien Päbsten über 800,000 Dukaten gewonnen hab. Er gab jedem, wie der Mann war oder begehrte, auch ziemlich wohlfeil, Absolution, Dispensation, Commutationen, Restitutionen, Stationen, Meß-, Beicht- und Speißfreiheit, Fegfeuer, kurz und lang. Alle Widersprecher verbannte er tief und streng, so daß ein Rathsmitglied um ringer Worte willen knieend kaum Gnade erbat. Er ging auch weiter, als seine Bull enthielt, aus mundlichem, wie er sagt, Befehl seines allmächtigen Vaters des Pabsts. »Han die Päbst selligen Gewalt, so sind's groß unbarmherzig Bösewicht, daß sie die armen Seelen also lassen leiden; und was sollen der Landsknecht Seelen entgelten?« hörte man sagen. Fünf Jahre darauf, 1521, wurde das Bohnenlied des Niklas Manuel durch alle Gassen getragen.«
                  Anshelm.
Es war wie mit den Heiligthümern der Stationirer, welche eine Feder des nächsten besten Raubvogels als eine Schwungfeder des Erzengels Michael gegen Geld umzeigten, oder Kästchen mit Heu aus der Krippe, darin der Herr gelegen, ausstopften, und die Berührung von beiden als Mittel wider die Pest anpriesen; es war wie mit der Finanzspekulation der schönen Mutter Gottes zu Regensburg. Wahrhaft drückend aber, mark-aussaugend waren die sogenannten Annaten, die Gelder, welche dem römischen Hofe bei Erledigungen der Bisthümer gezahlt werden mußten. Sie waren drückend durch die Größe der Summe, die als Steuer auf die Unterthanen umgelegt wurde, markaussaugend durch die häufige Wiederkehr dieser Steuer in kurzen Zeiträumen. Die Summe nämlich, welche ein Prälat beim Antritt seiner Prälatur zu zahlen hatte, betrug von 15000 bis auf 20,000 und mehr Gulden, und es konnte geschehen, daß, wie z. B. in Passau, binnen acht Jahren der Stuhl dreimal, binnen achtzehn Jahren sogar viermal erledigt wurde, und mithin diese Steuer viermal nach einander gezahlt werden mußte. In Mainz war der erzbischöfliche Stuhl binnen sieben Jahren, von 1505 bis 1513, dreimal erledigt, und dreimal wurde die Summe von jedesmal 20,000 Gulden in dieser kurzen Zeit auf die 143Unterthanen umgelegt, die schon ohnedies durch so viele Lasten verarmt waren; und nahm der römische Hof so viel vorweg, wie mußte erst der Prälatenhof, um für seinen eigenen Luxus und Aufwand das Zureichende zu erhalten, an dem armen Volke melken, drücken und pressen! Das Volk mußte auf die Ueberzeugung kommen, daß die geistlichen Herren keine Religion mehr haben, als den weltlichen Nutzen, der aus allem Geld machen wolle.

Und während der gemeine Mann so viel tragen und leisten mußte, sperrte sich die gesammte Geistlichkeit gegen jede Theilnahme an den allgemeinen Lasten, gegen jede Auflage. Sie behauptete, geistliche und weltliche Rechte und die heilige Schrift verbieten auf das Strengste, sie mit Taxen, Steuern und Abgaben zu beschweren, griff ohne Scheu dem gemeinen Mann in seinen Brodverdienst, trieb Schenkwirthschaft, Waarenhandel aller Art, u. s. w.

Da trat Luther auf, der Sohn des Bergmanns. Wie Luther sich von den Zeitverhältnissen unterstützt sah, so war er es von allen hervorleuchtenden Talenten. Fand er viele Gegner, die ihn bekämpften, so war die Zahl derer, die mit ihm für das Neue arbeiteten, die ihn unterstützten, doch überwiegend; es waren alle Söhne des erwachten Jahrhunderts, alle Freunde der Wissenschaft, alle ältern und jüngern Geister mit ihm, ja er hatte die Nation zum Rückhalt.

Die religiös-politische Bedeutung des Luther'schen Unternehmens aber wurde von Andern viel früher, als von ihm selbst anerkannt.

K. Maximilian würdigte in seiner Art und von seinem Standpunkt aus die neue Erscheinung: »Was macht euer Mönch zu Wittenberg? fragte er den chursächsischen Rath, Degenhard Pfeffinger; seine Sätze sind traun nicht zu verachten. Er wird ein Spiel mit den Pfaffen anfangen.« Durch denselben ließ er dem Churfürsten sagen: »er solle den Mönch fleißig bewahren; denn es könne sich zutragen, daß man seiner bedürfe.« Und als Luther zu Heidelberg disputirte, rief einer der Professoren in ahnungsvoller Angst: »Wenn das die Bauern hörten, würden sie uns steinigen.«

Luther aber ließ es die Bauern hören, was Andere bisher nur im gelehrten Kreise verlauten ließen; er sprach es dazu mit aller Gewalt und Herrlichkeit des deutschen Wortes aus, wie es nie erhört worden war. Was er in seiner Zelle erdachte und erforschte, 144machte er zum Tagesgespräch im Salon und in der Bauernhütte, an der Fürsten-Tafel und in der Schenkstube. »Weil alle Bischöfe und Doktoren stille schwiegen, und Niemand der Katze die Schellen umbinden wollte, so ward der Luther ein Doktor gerühmt, daß doch einmal Einer gekommen wäre, der drein griff.« Luthers eigene Worte.

Wenige Jahre, und er konnte mit Recht sprechen: »Der Damm hat ein Loch bekommen, und es stehet nicht bei uns, die ausbrechende Fluth aufzuhalten.«

Man hat Luthern bloß von der Seite des religiösen Kampfes auffassen wollen; als ob sich in jener Zeit und bei der Gestalt des Reiches, die es nun einmal hatte, eines Reiches, in dessen schönste Hälfte lauter geistliche Fürsten sich als Herren getheilt hatten, das Religiöse und das Politische sich so ganz hätte auseinander halten lassen, und der Sturm, der die Kirche erschütterte, nicht zugleich den weltlichen Bau hätte erschüttern müssen. Luther stand allerdings hauptsächlich auf dem religiösen Standpunkt: in den ersten zwei Jahren aber verschmolz sich noch das politische und religiöse Element in ihm. Luther hat verschiedene Perioden: Der Luther von 1517 ist ein Anderer, als der von 1521, der von 1521 ein Anderer, als der von 1525 oder gar noch später. Das übersieht man in der Regel. Aber auch abgesehen von den politischen Gedanken des Reformators, sein Werk, die Reformation, mußte jedenfalls von tiefgreifendem politischem Einfluß sein. Bewußtheit und Berechnung, politisch umzugestalten oder gar umzuwälzen, war bei Luther weder Anfangs noch später: aber die kirchliche Umwälzung mußte auf eine Staatsveränderung führen, der Verhältnisse wegen; abgesehen davon, daß immer das Kirchliche auf das Staatliche rückwirken muß.

Der größte Theil der Menschen seufzte unter unmenschlichem Druck, unter geistigem und materiellem; er sah sich herabgewürdigt zum Lastthier, zur Sache.

Luthers größtes Wort, das er sprach, war seine Verkündigung der Freiheit eines Christenmenschen, das herrliche evangelische Wort, daß alle Christen ein priesterlich Volk und ein königlich Geschlecht sind, jeder eine religiöse Persönlichkeit mit dem Recht und der Pflicht, seine Kräfte zum Gemeinwohl zu gebrauchen.

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Luthers größte That war, daß er die Bibel so herrlich verdeutschte, sie zum Volksbuch, zum Buch des Lebens im wirklichen Sinne, zum Buch der Welt machte. Die einzige Lehre Christi, daß alle Menschen Geschwister seien, Kinder Eines Vaters, und als solche sich zu lieben die Pflicht haben, ist, wo sie im Leben wirklich würde, eine Freiheitssonne. Diese Liebe schließt jede Knechtschaft, jeden Kastengeist und alle damit verbundenen Uebel aus.

Man hatte die Völker Jahrhunderte lang in geistiger, besonders religiöser Unmündigkeit gehalten: auf dieser Unmündigkeit ruhte der Despotismus. Es ist eine furchtbare Wahrheit, daß der Despotismus nicht nur in der Unwissenheit wurzle, sondern auch Unwissenheit als seine Frucht trage. Weil man die heilige Urkunde, die Bibel, den Menschen zu entziehen gewußt hatte, war es leicht, sich für die Grundsätze des Despotismus auf die heiligen Schriften zu berufen, sich an die Bibel anzulehnen, als wäre es aus dieser geschöpft und von dieser so geboten. Es ist eine unläugbare Thatsache, arglistige Deutungen, Fabeln und Lügen hatten die h. Schriften in der Meinung des Volkes zum Codex der Knechtschaft gestempelt; sie hatten den Verstand im Aberglauben gefangen genommen, und die Welt im Namen Gottes tyrannisirt.

Luther gab den Völkern die Bibel wieder in die Hand; sie konnten jetzt selbst sich daraus unterrichten, vergleichen, ihre Schlüsse ziehen; der Despotismus konnte sich nicht mehr unbeschrieen auf dieselbe berufen und an sie lehnen, wie früher, da sie unsichtbar war.

So war der erste große Schritt zur Emanzipation gethan, die Täuschung war aufgedeckt, auf welche die Gewalten ihre Bedrückungen gegründet hatten; das wahre christliche Prinzip mußte – so schien's – jetzt alle Verhältnisse des Lebens durchdringen und die Welt wie religiös, so auch politisch umgestalten. Die Menschheit hatte zu Denken angefangen, und man mußte glauben, daß sie nicht bei Einem stehen bleiben, sondern alle Verhältnisse in den Kreis ihres Denkens ziehen werde.

Die Weissagungen fingen an, sich zu erfüllen. Alles zielt auf blutige Bewegungen, schrieb Erasmus im Jahre 1522. Und schon um Weihnachten 1517, als Churfürst Friedrich Abends mit seinem Hofe zur Kirche ging, und über dem Schloß am hellen Himmel ein großes 146glänzendes Zeichen in Gestalt eines purpurfarbenen Kreuzes sah, sprach er: Es wird viel blutiger Streit in Glaubenssachen sich erheben.


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