Johann Wilhelm Wolf
Die deutsche Götterlehre
Johann Wilhelm Wolf

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Zur Einleitung.

Ein geheimnisvoller Zug drängte einst die Völker des asiatischen Ostens aus dem Land, welches wir als die Wiege der Menschheit erkennen hinweg, ehe noch dessen weite fruchtbare Strecken bewohnt waren, und dem fernen europäischen Westen zu, um dort neue Wohnsitze zu gründen. Derselbe Zug offenbarte sich inmitten der europäischen Bevölkerung wieder seit der Entdeckung Amerikas, dessen weite, dunkle Urwälder sich mit jedem Tag mehr dem Licht der Civilisation öffnen. Wie der Osten die Wiege des ersten Menschenpaars war, so wurde er, das ›Morgenland‹, der für uns der Schoos des Lichtes ist, auch die Wiege der Wiedergeburt durch das göttliche Licht Christus für das Abendland. An seiner westlichsten Küste aufgestiegen folgte das neue Licht dem Lauf der Sonne und der Völker gen Westen, und eben wirft es seine Frührothstrahlen an die östlichen Ufer des Welttheils, der die Krippe und das Grab seines Stifters birgt.

Um welche Zeit jene Völkerwanderungen statt fanden, lässt sich kaum mehr bestimmen, doch scheint es, dass der Süden unseres Welttheils zuerst, der Norden später bevölkert wurde. Die Einwanderer in den Süden wie die in den Norden brachten die Keime des Heidenthums mit sich, welche sich in den neuen Wohnsitzen weiter fortentwickelten. Im Süden ging diese Entwickelung rasch vor sich und stand ihr Alles Gedeihen bringend zur Seite. Die dortigen Völkerschaften hatten schon die Oertlichkeit für sich, denn es ist eine stets und überall sich bestätigende Erfahrung, dass in dem engern abgeschlossenen Raum der Inseln und Halbinseln die Cultur schneller sich erhebt und fortschreitet, als in weiten Strecken des Festlandes. Dazu kam hier die wärmere Sonne, welche, wie sie die Blüthe grösser entfaltet und die Frucht schneller reift, so auch die Phantasie früh zu höhern Flügen treibt, und endlich, dass diese ganze Entwickelung ungestört blieb von vernichtenden äussern Einflüssen. So wuchs die griechische und die römische Cultur zu einer Höhe heran, welcher bis dahin kein anderes Volk sich erfreut hatte, und die wir heute noch mit Staunen und Bewunderung zu betrachten gewohnt sind. Aber wie die mit Jubel und Freudenfeuern am Mitsommertag begrüsste Sonne ihren Wendepunkt erreicht hat und nach diesem Tag ihres höchsten Glanzes unaufhaltsam sinkend an Gluth abnimmt und sparsamer leuchtet, so ist auch den Völkern der Moment ihres höchsten Glanzes und ihrer schönsten Blüthe der erste des nahenden Absterbens, wenn diese Blüthe nicht der ewigen Wurzel entspringt, die aus der Quelle alles Lebens getränkt wird. In einem sinnvollen deutschen Mythus, dessen Spur ich erst fand, als die folgenden Blätter bereits gedruckt waren, ist der Baum des Lebens, dessen goldne Aepfel den Göttern ewige Jugend gewähren, unzertrennlich verbunden mit dem lebendigen Brunnen, dessen golden perlender Trank Allvaters einzige Nahrung ist, aus dem er mit Saga volle Schalen der Dichtung und Weisheit trinkt. Versiegt der Brunnen, dann welkt der Baum. So ist es auch mit dem Leben der Völker; jeder Baum, der da der heiligen Quelle fern wächst, mag es wohl zur Frucht bringen, aber sie ist nur theilweise gut, meistens nur äusserlich schön, innen hohl; welcher aber aus ihr seine Nahrung zieht, der stirbt nicht abweil sie nach dem Wort des Herrn in dem Trinkenden zur lebendigen Wasserquelle wird, die ins ewige Leben quillt., sondern darf sich wiederholter Blüthe freuen, so lange er die Sauggefässe seiner Wurzeln ihr nicht verschliesst.

So stürzte die heidnische Cultur des Südens und bald darauf fiel auch das Heidenthum im Norden. Sein Schicksal war ein wesentlich anderes gewesen, wie das des classischen Heidenthums. Es entbehrte fast alles dessen, was diesem fördernd zur Seite stand. Die Bevölkerung war keine geschlossen zusammen wohnende, sie war zerstreut in verschiedenen Stämmen über ganz Deutschland, in dichten Urwäldern, an weiten Sümpfen, unter einem rauhen, unwirthlichen Clima. Wohl schlugen auch hier die mitgebrachten Keime der heidnischen Lehre tiefere Wurzeln im Volk und trieben sie weiter, doch nur langsam und ungleich weniger üppig als im Süden. Was ihrer Entwickelung von dieser Seite aber versagt war, dafür wurde sie auf der andern reich entschädigt, denn je ruhiger sie fortschritt, um so ernster und tüchtiger war der Fortschritt und was ihr an äusserm Glanz abging, das ersetzte reichlich der grössere innere Gehalt. Reine Grundwahrheiten, welche sich beim Abfall des Volks von der Offenbarung noch in ihr erhalten hatten, wurden minder von üppigen Spielen der Phantasie überwuchert, viel weniger gingen sie darin unter, wie das im Süden der Fall war. ›Deutscher Art angemessen ist ein sinniger Ernst, der sie dem Eiteln entführt und auf die Spur des Erhabenen leitet,‹ sagt J. Grimm, und dieser würde jene Wahrheiten auch bei weiterer Entfaltung unseres Heidenthums vor dem Untergang schützt haben. Da das Volk sich derselben mehr gerettet hatte als irgend ein anderes Volk, so weit uns bis jetzt bekannt ist, so dürfen wir mit Recht voraussetzen, dass es ihnen auch ferner Treue bewiesen haben würde. Diese grosse Summe göttlicher Wahrheit aber weist gerade unserer deutschen einen Hauptrang an in der Reihe der Mythologieen der Völker; sie durchweht dieselbe mit einem Hauch von Grösse, Reinheit und Innigkeit, den wir in andern vergebens suchen, und zeigt uns unser Volk als gleichsam praedestinirt zu einem der ersten, ja zum vornehmsten Träger des Christenthums, der es viele Jahrhunderte hindurch blieb.

Der deutschen Götterlehre war es nicht gegönnt, bis zur Blüthe fortzutreiben; sie war erst ein kleiner Stamm, als das Christenthum schon nahte und sie an der Wurzel abschnitt. Darum ist vieles in ihr, soweit sie uns bis jetzt vorliegt, noch rauh, ja selbst manches roh, aber ›das Rohe hat seine Einfachheit, das Rauhe seine Treuherzigkeit und ihr stehen noch frische Formeln, ungesuchter Schmuck zu Gebot, die wie mancherlei Kräuter in hohem Klimaten nicht mehr fortkommen.‹ Jenes Rohe war auch dem Heidenthum des Südens einst nicht fremd, es tritt in seinen schönsten Dichtungen noch zuweilen hervor; wie dort, so würde es sich auch bei uns später verloren haben. ›Von dem Rauhen aber wäre dennoch viel geblieben, wie auch in unserer Sprache etwas Rauhes, Unausgearbeitetes steckt, was sie nicht zu allem untüchtig macht, zu vielem befähigt.‹ Das Rohe und Rauhe schliesst das Schöne keineswegs aus, vielmehr ist dasselbe reich in unserer Mythologie vertreten, wie die nachfolgenden Blätter zeigen, und wir würden noch ungleich mehr des Schönen aufweisen können, läge sie uns schon vollständiger vor, wäre, was hier geboten wird, nicht erst das Ergebnis der Forschungen weniger Jahre und weniger, wenn auch grösstentheils der ausgezeichnetsten Männer. Wie könnte auch das Schöne einer Lehre mangeln, die im Ganzen einen so erhabenen Character hat, wie einem so edeln kernhaften Volk, dessen ernste Frömmigkeit und hohe Keuschheit, dessen Treue und Redlichkeit, Freigebigkeit und Gastfreundschaft, dessen auf der glühendsten Vaterlandsliebe fussende und selbst dem machtvollen Rom während Jahrhunderten furchtbare Tapferkeit an einem Tacitus einen so begeisterten Lobredner fanden?

Mit so vielem Grossen, ja mit dem Grössten theilt aber unser Alterthum das Schicksal, dass es vielfach wenig anerkannt wird, weil es wenig gekannt ist, und es ist wenig gekannt, weil es unser Alterthum ist. Der classische Zopf hängt uns noch immer hinten, wir finden noch stets keine Zeit, uns mit unseren Volk und seiner Vergangenheit zu beschäftigen;Verein zur Erforschung der rheinischen Geschichte und Alterthümer in Mainz. Mittwoch den 23. Juny, Vortrag des Hrn. Dr. Noiré: Ueber die Gymnastik der Griechen; III. Theil. Bedeutung der Gymnastik im öffentlichen Leben. Spiele, insbesondere die Olympischen Wettspiele. (Mainzer Journal.) Frühere Sitzungen füllten Vorträge über Palermo, sicilianische Gebräuche und Feste u. a. Gibt es denn am ›deutschen Rhein‹, gibt es in Mainz und seiner Umgebung nichts Deutsches mehr zu erforschen ? Ist das nicht ein mitleidswürdiges Armuthszeugnis für den Verein und seine Mitglieder? Freilich er steht damit nicht allein da. das germanisch-christliche Element steht uns zurück hinter dem classisch heidnischen, wobei wir aber nicht verfehlen, zu schwärmen und zu lärmen über das Thema: ›Was ist des Deutschen Vaterland?‹ Wir wollen ›Deutsche‹ sein und sind zu Haus am allerwenigsten zu Haus; wir wollen, dass der Baum unseres Volkslebens frisch und kräftig grüne und blühe und leiten sorgfältig die Quelle ab, welche an seinen Wurzeln springt, und sehen nicht ein, dass er dadurch zum dürren Birnbaum auf dem Walserfeld werden muss, dessen Wiedergrünen in ungewisse Ferne der Zeiten hinausgeschoben, wenn nicht unmöglich gemacht wird. So mussten wir den Völkern ein Spott werden, denn wir achteten und achten uns selbst nicht mehr in unsern Vätern und zerrissen die heiligsten Bande, die es für ein Volk gibt. Stolz durfte der Grieche seinen Homer lesen, er las seinen Dichter in seiner Sprache, seine Traditionen, seine Götter und Helden traten ihm da entgegen, verklärt vom Licht der Poesie. Dieses Interesse hat er für uns nicht, sondern ein einfach künstlerisches, wissenschaftliches, sprachliches, dessen Pflege gerne zugebend, wir aber fragen müssen: Wo sind die unter uns, welche mit gleich freudigem Stolz unsere grossen und herrlichen Epen lesen und sie verstehen? Wohl wissen unsere Gymnasiasten, wohl unsere sogenannten Gebildeten, was der Sänger der heidnischen Griechen sang, aber von unsern christlichen, deutschen Sängern erfahren sie kein Wort. Sie kennen alle die kleinlichen Leidenschaften, alle schmutzigen Liebesgeschichten der griechischen Götter, aber der deutschen Götter Namen wissen sie nicht einmal, geschweige denn, dass sie sich je an ihren erhabenen Gestalten erbaut hätten. Sie zählen alle Helden der Griechen an den Fingern her, aber dass es auch deutsche Helden gegeben haben könne, fällt ihnen im Traum nicht ein. Mit gerechtem Stolz durfte der Grieche durch seine Städte gehen und sich der edelsten Schöpfungen freuen, welche bis dahin menschliche Hände hervorgebracht hatten, denn er sah in den Kunstwerken Thaten seines Volkes, die in dessen innerstem Leben fussten, zu denen seine Geschichten den Künstler begeistert hatten. Aber wir, wir müssen uns schämen, wagen wir einen Gang durch unsere Städte und sehen wir unser armes Volk vor den griechischen Männern und Weibern stehn, die unsere Museen und Ausstellungen und öffentlichen Plätze füllen, und sich den Kopf zerbrechen, was das wohl für Gestalten sein mögen. Unser Volk wird fremd in seiner Heimath durch diese ans Fabelhafte streifende Wuth der Nachahmung, die unsere grössten Künstler, wie den ärmlichsten Stümper erfasst hat, die seinen in der vaterländischen heimischen Kunst durch die strebende Perpendiculare versinnbildlichten Aufschwung mit der classischen Horizontale abzuschneiden und niederzuhalten sich fortwährend bemüht.A. Reichensperger hat dies meisterhaft erörtert in seiner Schrift: Die christlich-germanische Baukunst und ihr Verhältnis zur Gegenwart. Trier bei Lintz 1851. Mit vollem Recht sagt derselbe auch in seiner am 20. Febr. d. J. in der zweiten Kammer zu Berlin gehaltenen Rede: ›Ich möchte wirklich fragen, in welchem Zusammenhange dieselben (die nackten und halbnackten Götter und Halbgötter an den neuen Bauten in Berlin) mit unserm Leben, mit unserm Glauben, mit unserer Geschichte stehen, ich möchte überhaupt wissen, wozu unsere Monumente mit so grossen Kosten geschmückt werden, wenn sie nicht an unser nationales Leben, an unsere Geschichte und an unsern Glauben anknüpfen und dadurch belehrend und erhebend auf uns wirken sollen? – Ich möchte doch wissen, was Berlin mit den Centauren und Lapithen, mit Kastor und Pollux gemein oder zu schaffen hat, dass man seine öffentlichen Monumente mit solchen Figuren zu schmücken sich veranlasst sieht? – Es könnte einem fast so vorkommen, als ob die Bauacademie an den Ufern des Ilissus und nicht an den Ufern der Spree aufgeführt wäre, wenn nicht die verschiedenen Gegenstände, womit sie ausgestattet ist, die Musen, Grazien, und wie sonst das heidnisch mythologische Personal heisst, so wie das, was als Studienmodell in den Sälen dient, aus Gyps, Papiermâché oder Zink gemacht wäre. Man kommt indess jedenfalls auf den Gedanken, dass es mehr auf eine athenische oder römische, als auf eine deutsche Bauacademie abgesehen gewesen sei.' Dasselbe gilt leider nicht von Berlin allein. Aber dieses unseres Volks und seines gesunden Urtheils achten wir in unserer Verbildung nicht, wir achten nicht auf seine Bedürfnisse, oder dichten ihm falsche an und binden dadurch selbst uns die verdiente Ruthe der Verachtung besserer Nachkommen. Davon kann uns nicht die Entschuldigung freisprechen, nach dem Schönen in seinem reinsten Ausdruck gestrebt zu haben, denn wir hängen nicht nur gleich den Griechen lediglich an der schönen Form, sondern verwenden sie, ungleich ihnen für uns freunde Ideen, wir hängen an dem Eiteln, dem Schein, und das Wesen gilt uns nichts; wir vergessen ganz, wo ›die starken Wurzeln unsrer Kraft‹ sind.

Diese unsere Abkehr vom Volk, d. i. von unserm reinern Selbst, ist hauptsächlich Schuld, dass wir so wenig für unsere Vorzeit übrig haben, denn kännten wir dasselbe, dann würden wir auch ihr näher stehn, weil es deren treuerer Erbe und der Bewahrer ihrer Traditionen ist; ihre Tugenden, wie ihr Wissen und Streben leben in ihm fort, jene erhoben und gereinigt durch das Christenthum, dieses sich demselben still und heimlich anschmiegend. Wenn auch das Christenthum verheerend – wie es musste – über die heidnische Lehre hereinbrach, so konnte es doch das alte Götterwesen und was mit ihm zusammenhing nicht ganz austilgen; dies war durch Jahrhunderte hindurch in dem Volk und mit ihm emporgewachsen und dadurch allzu innig mit ihm verwachsen, als dass es so ganz aus seiner Seele zu verwischen gewesen wäre. Die Götter, aus der Oeffentlichkeit vertrieben, retteten ihr Dasein, verborgen unter den verschiedensten Gestalten. Das Volk übertrug ihre Mythen auf Christus, Maria, die Apostel und die Heiligen, es übte unter deren Namen zahlreiche alte Bräuche fort und wie sehr ernst sich auch die Kirche gegen vielesnicht gegen Alles, denn das Unschuldige, Reine duldete sie gern. erhob, ob sie fast in jeder Synode, in jedem Concilium, durch Predigt und Unterricht sie verdammte, es hielt daran fest und sie vererbten sich nach wie vor, von Geschlecht zu Geschlecht. Andere Göttermythen gingen auf dem Volk theure Könige und Helden über, wieder andere auf den Teufel, während diejenigen der halbgöttlichen Wesen, der Genien und v. a. sich klarer und ungetrübter fortpflanzten. So kam eine Masse von Heidenthum auf uns, so erzählen und üben wir selbst noch Altheidnisches ohne es zu wissen, wir wenigstens, die wir uns der Sage und des Märchens noch freuen, denn sie sind jene alten Mythen – wir, die wir ein Auge für das frischer fröhliche Leben und Weben des Volks in seinen Festen und Gebräuchen uns bewahrten, denn sie sind mit geringen Veränderungen noch die uraltgermanischen.

Und diese Quelle ist nicht die einzige, ans der wir die Kenntnis unserer Vorzeit schöpfen; neben ihr springt die der schriftlichen Ueberlieferung, die, freilich oft unter dem Boden verschwindend, einen langen immer mehr genährten und stärkeren Bach bildet, der sich vom ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung bis zu uns zieht. An seinem Ursprung steht Tacitus, der sorgfältige und genaue Berichterstatter dessen, was von Zügen gegen die Deutschen heimkehrende Römer und gefangene Deutsche in Rom über Germanien, seine Bewohner und deren Sitten erzählten. Ihm reihen sich andere griechische und römische Schriftsteller mit spärlicheren Nachrichten an. Die Apostel Deutschlands hätten uns natürlich das Meiste berichten können, doch sie hatten dazu bei den schweren Bekehrungsarbeiten weder Zeit noch Lust. Ihre Biographen geben uns dafür gelegentlich hingeworfene Andeutungen, die meistens von vielem Belang sind. Die spätern Zeiten bringen in den zahlreichen Sprachdenkmälern, in den Predigten, Concilienbeschlüssen, theologischen und philosophischen Abhandlungen, aus dem Volksmund geschöpften Heiligenleben, Chroniken, Sammlungen von Curiosis und Antiquitäten und zahllosen andern Werken, in welchen man dergleichen oft am wenigsten vermuthet, eine Menge von Trümmern des alten Baus, deren Aufsuchung allein noch lange Zeit erfordern wird.

So sind wir denn nichts weniger als arm an Nachrichten über unser Alterthum, besonders wenn wir noch dazu nehmen, was uns über das Heidenthum des Nordens in den beiden Edden und zahlreichen Sagen überliefert ist. Uebrigens ist dies jedoch nur mit grosser Vorsicht zu benutzen. Die nordische Mythologie ist der unsern nur eng verwandt, nicht aber sind beide eins. In dem Norden begünstigte die geschlossenere Oertlichkeit das Heidenthum, so dass es dort weit mehr fortgeschritten, aber darum auch dem Verfall weit näher war, wie bei uns: wir treffen dort schon auf Zweifler an der Macht der Götter; auf echte Rationalisten, die nur auf eigene Kraft bauten und der Himmlischen spotteten, deren es in Deutschland schwerlich schon gab. Wir werden in der Folge die Namen der Hauptgottheiten, selbst viele ihrer Mythen in beiden Mythologieen übereinstimmend finden, aber damit ist nicht gesagt, dass Alles stimmte; es fand sich vielmehr schon weitgehende Verschiedenheit zwischen beiden und in einzelnem bei uns ungleich vollere und tiefere Entfaltung, als im Norden. Unsere Denkmäler sind ärmlicher, aber älter, sagt J. Grimm, die nordischen jünger und reiner.

Diese Uebereinstimmung der nordischen und deutschen Mythologie allein würde schon genügen, das Bestehen der unsern zu sichern jenen gegenüber, die sie anfechten wollen, weil Cäsar gesagt hat, dass die Deutschen nur die Sonne, den Mond und den Vulcan anbeteten, und weil sich zahlreiche Berührungen zwischen unserer und der griechischen Mythologie finden. Dieselben Berührungen zeigt auch die Sprache und zwar nicht nur mit der griechischen und lateinischen, sondern auch mit der slavischen, finnischen und litthauischen, so wie mit der unserer westlichen Nachbarn, der Celten, aber darum wird Niemand das Deutsche von diesen Sprachen herleiten wollen. Solche Anklänge zeugen nur für die Urverwandtschaft dieser Völker, für die fernere oder nähere, je nachdem sie sich weniger oder mehr vorfinden; sie haben hohen Werth für uns und helfen, die Stelle wiedererkennen, welche mancher der zerstreut liegenden Steine unserer Götterlehre in dem alten Bau einnahm. Der Ton aber, der sie alle wach rief, tönt aus dem fernen Asien zu uns herüber, von der Wiege unseres Geschlechts, wie ausser Jacob Grimm besonders Adalbert Kuhn an vielen Beispielen gewiesen hat und ferner zu zeigen bemüht ist.

Muss ich zwar für die folgenden Mittheilungen aus Jacob Grimms über allem Lob erhabenem Werk und den Arbeiten weniger andern die Genügsamkeit der Leser in Anspruch nehmen, dann hege ich doch die frohe Hoffnung, dass sie gerade in ihrer oft (und besonders in ihren ersten Abschnitten) grossen Lückenhaftigkeit den Wunsch und das Verlangen erwecken mögen, sie bald mehr vervollständigt zu sehen, dass sie wie ein edler Wein wirken mögen, dessen einige Tropfen nur unsere Zunge netzen und uns dadurch nach einem vollem Trank begierig machen. Thun sie das, wohlan, fast jeder ist im Stande, mitzuwirken, dass ein solcher einst geboten werden könne, wenn er nur die Hände regen, sammeln und mittheilen will, was sich in seinem Kreis im Volk noch findet, sei es an Sagen, Märchen, Gebräuchen, Beschwörungen, Aberglauben. Nur von einer solchen allgemeinen frischen und fröhlichen Thätigkeit dürfen wir hoffen, dass dem Beruf unserer Zeit, die sich als eine eigenst restaurirende immer mehr ankündigt, auch auf diesem Gebiet entsprochen werde, dass ›die Vergangenheit lebendig auf die Gegenwart zurückstrahlend‹ diese läutere und reinige.


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