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Achtes Kapitel. Ein Abschied für immer.

Mit eigenthümlichen Gefühlen sah Fürchtegott den Wagen in's Flußthal hinabrollen, das er vor einigen Monaten in tiefer Nacht, aber von dem farbigen Glanz bengalischer Flammen übergossen, als Gefangener halb ohnmächtig verlassen hatte. Wie trostlos, öde, kalt und traurig lagen jetzt die Werkstätten des Fleißes da, auf welche er ein so schönes Zukunftsbild sich erbaut. Ein lachender Dämon ließ ihn erreichen, was er als Jüngling sich gewünscht, aber kaum sah er sich im Besitz der Güter, an denen seine ganze Seele hing, da zertrümmerte er unter hämischem Gelächter den schimmernden Bau und trieb ihn aus dem künstlich erschaffenen Paradiese.

Vor dem Schenkhause am Fuße des Schloßhügels stand eine mit zwei Pferden bespannte Kalesche. Eben als der Wagen unserer Bekannten von der Thalstraße auf den zum Schlosse führenden Weg abbog, trat ein Postillon aus der Thür und warf den Thieren noch einmal Heu in die vorgestellte kleine Krippe.

Wer mag mit diesem Fuhrwerk angekommen sein? sagte Fürchtegott. Sollte Graf Alban

He, Schwager! unterbrach Mirus den Sprechenden, indem er im Wagen aufstand und dem Postillon zuwinkte. Wo kommst du her und wo fährst du hin?

Der Gefragte sah sich phlegmatisch um und stieß zugleich wiederholt mit dem Absatz seines Stiefels gegen die Speichen des einen Vorderrades, die, wie der Kaufmann jetzt erst bemerkte, aus roh zugehauenem, ganz frischem Buchenholze bestanden.

Ei, versetzte der Postillon übelgelaunt, am liebsten führe ich zum Teufel in die Hölle, denn dorthin, glaub' ich, gehört der Kerl, mit dessen Fortschaffung ich mich die ganze vergangene Nacht habe abquälen müssen.

In vergangener Nacht? sagte aufhorchend Fürchtegott. Kommst du aus

Aus Herrnhut, mit Verlaub, fiel der Postillon ein. Es war schon sehr spät, als ich einspannte, auch gefiel mir die Fuhre von Herrnhut bis in die Stadt nicht, denn der Weg ist grundlos von dem vielen Regen. Und doch sollte es eilig gehen. Da verlor ich denn von dem vielen Stoßen gegen die mordverbrannten Steinklumpen, die die Frachtfuhrleute in den morastigen Weg geschmissen hatten, schon auf dieser verfluchten Strecke eine Speiche. Es war Mitternacht vorüber, als ich die Stadt erreichte. Ich begehrte einen andern Wagen für meinen Passagier, aber der Postmeister behauptete, er habe keinen. So mußte ich also mit dem wackeligen Untergestell weiter kutschiren. Zum Unglück kenne ich die Gegend nicht, denn ich bin von der preußischen Grenze zu Hause; finster war's auch, daß man seine eigene Hand kaum finden konnte, und so warf ich richtig im Walde um. Mein Passagier fluchte, obwohl er gar heilig aussieht, und bis dahin immer von Bruderliebe und dem Heilande gesprochen hatte. Aber es half nichts, er mußte sich's gefallen lassen, daß wir ganz langsam, Schritt für Schritt, fuhren. Ab und zu mußte der alte Herr auch mit anfassen und den Wagen aus einem tiefen Geleise heben helfen. Er schnitt Gesichter dabei, daß es gar spaßig anzusehen war; und so haben wir uns denn die ganze Nacht und den Vormittag noch dazu so fortgekröpelt und sind nun seit einer knappen Stunde hier.

Und dein Passagier? forschte Mirus weiter.

Der hat sich erst gütlich gethan, denn er scheint auf Essen und Trinken etwas Rechtes zu halten. Vor ein paar Minuten ist er hinaufgegangen in's alte Schloß; wenn er wiederkommt, was ein paar Stunden dauern kann, wie er mir sagte, wollen wir noch vor Abend die Stadt erreichen und dort soll übernachtet werden.

Wie heißt der Herr? fragte Fürchtegott.

Kann's nicht sagen, erwiderte der Postillon. Es ist nicht meine Art, die Leute auszufragen, die ich fahren muß, das überlasse ich Andern, die mehr Courage haben, als ich.

Wohnt er in Herrnhut?

Vermuthlich; grau und heilig genug wenigstens sieht er aus.

Er trägt einen Hut mit niedrigem Kopfe.

Ungefähr so eine Kappe hat er auf seinem verwitterten Schädel.

Und erst jetzt ist er von hier nach dem Schlosse gegangen?

Vor wenigen Minuten. Wenn Sie ein Bissel geschwind zufahren, und einem armen Teufel nicht Löcher in's Kamisol fragen, können Sie ihn noch an der Thür erwischen. Es scheint Ihnen ja doch viel gelegen zu sein an dem alten Herrn.

Ich danke; da hast du ein Trinkgeld. Fahr zu, Kutscher, sagte Mirus. Eilig flog der Wagen den schräg aufsteigenden Hügel hinan. Es ist Wimmer, beim ewigen Gott! Beinahe wäre er uns zuvorgekommen. Aber Gott selbst hat Hemmketten um die Räder seines Wagens geschlungen.

Während dieses Gespräch am Fuße des Schloßhügels geführt ward, schritt Wimmer über den innern Hof Weltenburg's, ohne daß irgend Jemand des unerwarteten Ankömmlings in der grauen, nebligen Atmosphäre ansichtig geworden war.

Am Fuß der Wendeltreppe blieb der Herrnhuter stehen, nahm seinen breitkrempigen Hut ab, strich sich die dünnen Haare aus der Stirn und knöpfte zweimal den Rock auf und wieder zu, weil er immer ein oder das andere Knopfloch nicht finden konnte.

Die Hände zitterten ihm, und als er zu Boden sah, bemerkte er, daß auch sein linker Fuß in einer unfreiwilligen, bebenden Bewegung leise gegen die Sandsteinfließen klopfte.

Wimmer trug einen Stock, stieß jetzt mit der Hornspitze desselben die Ueberreste des morastichen Bodens von den Stiefeln, die in Folge des Herumwatens im Walde daran hängen geblieben waren, und blickte dann scheu und verstohlen um sich, die braunen Augenlider matt und halb aufschlagend.

Er befand sich auf derselben Stelle, wo vor mehreren Jahren der Blitz an dem Eisengeländer niederfuhr, als er im Verein mit Graf Alban den Jugendfreund überredet hatte, auf eigene Rechnung Rheder zu werden.

Der Treppe gegenüber, welche zu den bewohnten Zimmern der ersten Schloßetage empor führte, lag jenes Thurmgemach des Erdgeschosses, wo Ammer gewissermaßen aus freiem Entschluß seine Söhne zu Welthandelsleuten ernannte.

Ein kaltes Lächeln glitt über Wimmer's Züge, seine farblosen, schmalen Lippen bewegten sich, und indem er nach alter Gewohnheit mechanisch mit dem Stocke gegen seine Stiefeln schlug, lispelte er leise:

Es ist Alles in Erfüllung gegangen; Bitte und Gebet sind erhöret, treffen wir also Anstalt zum Abschiede, denn gar lange wird mein lieber Bruder diese Wandelungen nicht überleben. Ich will ihm nur zurufen: Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, gepriesen sei sein Name immerdar! ihm dann die Hand drücken und heimgehen, um auf mein Stündlein zu harren.

So sprechend, setzte Wimmer den Fuß auf die erste Treppenstufe, griff mit der Rechten nach der kalten Eisenstange des Geländers und stieg langsam und mehr denn einmal rastend, in die erste Etage hinauf.

Niemand hörte den Unerwarteten. Es war und blieb so still im Schlosse, als sei es unbewohnt. Wimmer erreichte den Corridor und harrte hier einige Secunden, sich auf den Stock stützend, und abermals den Hut abnehmend. Der Kopf war ihm heiß, er fächelte sich Kühlung zu, als ströme ihm die glühende Luft eines schwülen Sommertages entgegen.

Jetzt ging er weiter, den Corridor entlang. Vor jeder Thür blieb er stehen, in gebückter Stellung horchend, ob er wohl Stimmen oder Geräusch wandelnder Menschen drinnen vernehme. Er kannte das Zimmer seines alten Freundes nicht, nur daß es im ersten Stock des weitläufigen Schlosses gelegen sei, wußte er. Schon hatte er einige Thüren zu öffnen gesucht, allein sie waren alle verschlossen. Anklopfen wollte er nicht, weil er den Jugendfreund zu überraschen gedachte. Endlich wich eine Thür seinem Drucke, er trat ein und befand sich Frau Anna gegenüber.

Die Verwunderung, das Erschrecken Beider war gleich groß. Anna fuhr bei dem Anblick des Herrnhuters, der unhörbar, wie ein grauer Schatten, durch die Thür schritt, innerlich zusammen, und Wimmer erschrak über die Verwüstungen, welche die letzten Monate im Antlitz der Frau, die er einst seine Braut nannte, angerichtet. In diese tief gefurchten und dennoch milden Züge hatten Kummer, Sorge und Schmerzen vereint unauslöschbare Zeichen eingegraben.

Frau Anna begrüßte den unerwarteten Gast nicht, nur ein halblauter Aufschrei entglitt ihren Lippen. Diesen Schrei hörte Ammer, der sich von Erdmuthe vorlesen ließ.

Was ist dir, Mutter? fragte er. Hast du dich gestoßen? Ich hörte die Thür öffnen.

Anna schwieg, eine Stuhllehne erfassend und Wimmer mit bezeichnender Handbewegung andeutend, daß er sich entfernen solle. Der Herrnhuter hatte sich aber schon gefaßt, und als jetzt die Stimme Ammer's nochmals dieselbe Frage wiederholte, antwortete Wimmer:

Ein alter Freund, lieber Bruder, dessen Tage gezählt sind, wünscht seine Lieben noch einmal zu sehen und zu sprechen, ehe denn er abgerufen und versammelt wird zu denen, die vor ihm heimgegangen.

Hinter der spanischen Wand vernahm man ein starkes, schurrendes Geräusch, dann das heftige Aufstoßen eines Stockes. Im nächsten Augenblicke zeigte sich die eingefallene Gestalt des Gelähmten an der etwas zurückgeschobenen Wand. Seine Blicke ruhten auf dem Herrnhuter.

Tritt heran, du Gezeichneter, sagte Ammer, sich mit Mühe beherrschend, tritt heran, daß ich dich betrachten und mir dein Bild einprägen kann in meine Seele. Es hat mich verlangt nach dir schon geraume Zeit und meine Gedanken lechzten nach deiner Rede, wie ein Dürstender nach süßem Wasser.

Vater, schone dich und die Deinen! bat Erdmuthe, die in ihrem einfachen, weißen Schwesterhäubchen wie ein schirmender Engel neben dem zitternden Greise stand. Zu dieser nur sanft gelispelten Bitte veranlaßte Erdmuthe der Ton Ammer's, der dumpf, gepreßt, zürnend klang.

Wimmer schritt vor, er nahm erst jetzt seinen Hut ab, und indem er ihn seitwärts auf einen Pfeilertisch legte, sagte er mit freundlichem Lächeln:

Armer Freund! Ach, ich sehe es mit Betrübniß, daß auch bei dir die Tage gekommen sind, von denen wir Alle sagen, sie gefallen uns nicht. Und begreifen kann ich's gar wohl, lieber Bruder. Du hast viel gelitten in dieser Zeit, hast viele Kämpfe in dir und mit der bösen Welt durchleben müssen, und was das Allertraurigste, dich derer nicht rühmen können, auf die ein Vater doch gern stolz zu sein pflegt. Ja, lieber Freund und Bruder, ich habe mit dir empfunden und getragen deine Schmerzen, aber leider war es mir nicht vergönnt, sie mildern zu können, vielmehr legte mir der grundgütige Gott in seiner unerforschlichen Weisheit die schwere Last auf, daß ich sie sogar noch mehren mußte.

Ammer war zurückgesunken in seinen Rollstuhl. Die lahme Rechte hing über der Lehne und zuckte bei jedem Worte des Herrnhuters, indem die Hand sich krampfhaft ballte. Mit der Linken umfaßte er den Krückenstock. Die Blicke des alten Webers funkelten, aber er hielt an sich und ließ Wimmer ungestört sprechen. Erst als dieser schwieg, sagte er:

Du sprichst ein wahres Wort. Gemehrt hast du meine Schmerzen, gefoltert meine Seele und in's Elend gestoßen meine Kinder. Noch aber sind wir nicht ganz verloren, denn die Hand des Herrn, die da züchtigte, war stark über uns Schwachen und zeigte uns diejenigen, welche gegen uns sich auflehnten aus eitel weltlichen Trieben und gemeiner Rachsucht. Wimmer, fuhr er heftiger fort, den Krückenstock drohend gegen den Herrnhuter erhebend, Wimmer, du hast mein Leben vergiftet hast mir mit süßen Heuchelworten meine Söhne gestohlen hast sie gelehrt, der Weltlust nachzulaufen und niederzuknieen vor dem goldenen Kalbe, auf welchem der Fluch des Herrn lastet von Ewigkeit her! Du hast meine Kinder zu großen und mächtigen Herren gemacht, hast ihnen abgestreift die Kittel der Genügsamkeit, Bescheidenheit und Demuth du hast sie umgürtet mit den schimmernden Gewändern, die das Licht unserer Augen entzücken und die Reinheit der Seele beflecken, und als du sie erhöht, als du sie zu Götzendienern erzogen hattest, da stießest du die morschen Stützen ab, welche den Thron trugen, auf dem sie saßen, also, daß sie einen tiefen, tiefen Fall thaten, und zum Gespött wurden für Andere. Mir aber, du Gezeichneter, mir zerfleischtest du das Herz, mir zertratest du jeden Keim und Sproß der Liebe, die früher wie ein schattiger Baum ihre Blätterkronen in mir entfalteten, und die rothe Lohe der Flamme, welche aufzuckt aus dem Pfuhl der Hölle, ließest du meinen Scheitel versengen! Sprich jetzt, du falscher Freund, warum hast du mir das gethan?

Wimmer lehnte an der Wand, denn Ammer hatte ihm keinen Stuhl angeboten. Er wechselte häufig die Farbe während der tief Gekränkte sprach, dessen Worte wie Donnergeroll klangen, dessen Flammenblicke er nicht ertragen konnte. Wie Ammer jetzt sein ehrwürdiges Haupt mit den zürnenden Zügen und den weißen Locken gegen ihn schüttelte, fuhr er zusammen, denn diese Locken verwandelten sich in zischende Schlangen. Mehr aber noch als der zürnende Greis peinigte ihn die zu Ammer's Füßen sitzende, zarte Gestalt Erdmuthe's, die unbeweglich ihre klaren Engelsaugen auf ihn heftete und durch die zwingende Gewalt ihrer Blicke ihm mehr und mehr die künstliche Ruhe raubte, in die er sich gehüllt hatte.

Du verklagst mich schwer, lieber Bruder, sagte Wimmer, mit Gewalt sich fassend, aber deine Beschuldigungen prallen ab von dem Panzer, welchen die Unschuld um meine Brust gelegt. Es ist wahr, ich wollte deine Kinder groß machen und reich, und ich hab's auch gethan, aber ich bin mir nicht bewußt, ihnen jemals zugeraunt zu haben, sie sollten sich in Gemeinschaft begeben mit den Söhnen Baals und abweichen auf die krummen Pfade der Unredlichkeit, die niemals zum Frieden führen. Das thaten die Bedauernswerthen aus eigenem Wohlgefallen an der Sünde, und weil es Pflicht der Nächsten- und Bruderliebe ist, Irrende auf den rechten Weg zurückzuleiten, war ich genöthigt, ihnen scheinbar wehe zu thun, und dir selbst schweren Kummer zu bereiten. Siehe, mein Freund, darum eben komm' ich ja zu dir heute. Dieser Gang, glaube es mir, ist mir sauer geworden, weil ich es aber nicht ertragen kann, daß irgend Jemand und zumal ein theurer Freund, mich in falschem Verdacht habe und mir zürne, trete ich vor dich hin, damit ich rechtfertige mein Thun und dich mir versöhne, ehe denn mein Herr und Heiland zu mir sagt: Gib Frieden, denn du hast genug gearbeitet und darfst nun eingehen zu deines Herrn Freude!

Es ward jetzt vernehmlich an die Thür geklopft und gleich darauf hörte man die Tritte mehrerer Männer.

Wer kommt? fragte Ammer, ohne seine zornfunkelnden Augen von Wimmer zu verwenden. Dieser kehrte die Blicke der Thür zu und seine Gesichtsfarbe ward aschgrau.

Freunde, erwiderte Mirus. Herr, ich muß Ihr sagen, wir kommen, glaub' ich, gerade zur guten Stunde.

Der Herr verläßt die Seinen nicht, sprach Erdmuthe mit rührender Glaubensinnigkeit, indem sie ihre zarten Hände wie betend erhob und sich dann fester an den Greis schmiegte. Gleich darauf sah sich Ammer von den uns bekannten Freunden umgeben, in deren Mitte seine beiden Söhne dem Vater sich näherten.

Beide eilten dem Vater entgegen, traten aber zurück, als der strenge Blick seines Auges sie traf. Anstatt in seine Arme zu stürzen, beugten sie sich und blieben so gebückt vor ihm stehen.

Mein Stock sollte auf euch niederfahren, gleich dem Blitz aus dem Schooß der Wetterwolke, sagte er düster, denn ihr habt mich und meinen Namen beschimpft vor der Welt, und weder Buße noch Reue kann diesen Schimpf wieder rein waschen; weil ich aber schon weiß, daß ihr nicht die treibenden Federn waret, welche die Vernichtungsmaschine in Bewegung setzten, sondern nur deren verblendete Werkführer, verschlucke ich den Fluch, der mir ob eurer Uebelthaten schon auf der Zunge schwebte. Hebt jetzt eure bethörten Köpfe auf, steckt Licht in eure blinden Augen, wendet euch um, dann sagt mir, wo die Schlange sich ringelt, die mit ihrer geifernden Giftzunge mich und euch, ja mein ganzes Haus bespritzen und austilgen wollte aus dem Gedächtniß aller Ehrlichen.

Die Söhne ermannten sich. Fürchtegott suchte das Auge Wimmer's. Er näherte sich dem Herrnhuter, ergriff dessen Rechte, riß sie empor, und sagte, indem sein blasses, eingefallenes Gesicht eine auffallende Aehnlichkeit mit den Zügen seines Vaters annahm, der schweigend den Bewegungen des Sohnes folgte:

Sie haben mir immer gesagt, Herr Wimmer, daß der Heiland Sie liebe und Ihnen an dieser Liebe Alles gelegen sei. Schwören Sie jetzt bei diesem Heilande, der ja auch der meinige und unser Aller Erlöser ist, daß Sie es immer ganz redlich mit uns gemeint haben, daß Sie uns nie doppelsinnige Rathschläge ertheilten, daß Sie aus lauterer Liebe zu uns, aus wahrer uneigennütziger Freundschaft so handelten, wie sie gehandelt, daß Sie uns nie auf schlimme Wege wissentlich geleitet. Können Sie dies mit gutem Gewissen und auf die Hoffnung hin schwören, dereinst selig zu werden, so will ich Abbitte thun vor Ihnen und ohne Murren tragen, was auch Gott ferner über mich verhängen mag.

Das Auge des jungen, so schnell gealterten Mannes ruhte so ernst, so heiß fordernd auf dem Herrnhuter, daß dieser die drei Finger zum Schwure erhob, allein ein Zittern lief durch alle seine Glieder.

Wenn er's thut, sprach Mirus kalt, so schwört er falsch, wie damals, als er mir das Capital abschwur, das ich ihm geliehen, weil er kein Geld nehmen wollte von Ammer, seinem Todfeinde! Herr, ich muß Ihr sagen, damals flüsterte mir der junge Bruder, der nun etwas stark grau geworden ist, in's Ohr, er hasse den Weber, und würd' es ihm eine grausam große Freude gewähren, könne er ihm so oder so das Genick brechen. Konnt' ihm nicht vergessen, daß er mehr Liebe geweckt in dem Herzen eines Mädchens, als er selbst; konnt' ihm das eben so wenig vergessen, als daß Gott ihn arm und den Weber wohlhabend gemacht hatte. Herr, ich muß Ihr sagen, ging mich nichts an, denn ich kümmerte mich ungern um das Thun Anderer. Ich gab dem Wimmer das verlangte Capital, ohne einen Schein in Händen zu haben. Später braucht' ich's und forderte es zurück. Da leugnete der Schalk, und als ich ihn drängte, schwur er mir's ab. Seitdem ward er reich. Das Glück der Welt schleuderte ihm Satan vor die Füße, das Glück des Himmels wird sein Heiland wohl ein Bischen schmälern.

Wimmer vermochte die erhobene Rechte nicht mehr zu halten, sie sank herab, steif, schwer, als sei sie gelähmt. Seine Gesichtsmuskeln zitterten, sein ganzer Körper bebte.

Gott wird dich strafen, Wimmer! sprach Ammer mit seiner erschütterten, festen Stimme. Mir ist niemalen am Unglück eines Andern etwas gelegen gewesen, aber ich glaub' beinahe, die Wucht des Irdischen hat durch dein Handeln sich dergestalt an mich gehängt, daß ich eine Freudenregung spürte in meinem sündigen Herzen, wenn es dir schlimm erginge. Aber ich will meinen Schöpfer bitten, daß er diese Schlacken abschlage von meiner Seele und sie reinigen helfe durch das Gebet der Gerechten! Der Engel da zu meinen Füßen, eine treu erfundene Magd des Herrn, den du nur mit den Lippen bekennst, wird mir verhelfen zu dieser Gnade Gottes.

Wimmer hatte sich wieder gefaßt. Sein geistiger Stolz gestattete ihm nicht, sich schuldig zu bekennen. Er wollte bleiben, was er immer geschienen. Mit gewaltsam erzwungenem Lächeln erwiderte er jetzt, die ruhelosen Augen matt zum Himmel aufschlagend:

Ich danke dir, mein Herr und Heiland, daß du mich würdig erfindest zu so harter Prüfung! Ich will euch nicht schmähen und verlästern, weder dich, mein Bruder, daß du so Böses mir zugetraut, noch dich, junger Freund, der du in meinem Herzen die erste Stelle einnahmst, noch endlich den schlimm gearteten Kaufmann Mirus, dessen Gedächtniß in so seltsam verworrenem Zustande sich heute noch eben so befindet, wie vor einigen zwanzig oder dreißig Jahren. Ach nein, das will ich nicht! Ich will dulden und leiden, wie er es gethan, der uns ein Vorbild gelassen hat, daß wir sollen nachfolgen seinen Fußstapfen.

Er lästert Gott! sagte Mirus entsetzt.

Sein ganzes Leben war eine Gotteslästerung, fiel Ammer ein. Ich hab' ihn zu spät erkannt, den Wolf in Schafskleidern, der in meine Hürde brach und beinahe mich und die Meinen erwürgt hätte. Wo ist der Brief, der ihn überführt?

Wimmer behielt seine fromm lächelnde Miene bei, während Mirus das Schreiben des Grafen Alban Ammer überreichte. Dieser entfaltete es und zeigte auf die Unterschrift.

Jedes der Worte, die hier geschrieben stehen, zeugt gegen dich, sprach der Weber. Es ist ein Bruder, der dich verklagt, ohne es zu wollen, denn er glaubt an dich. Graf Alban, einer der edelsten, die eurer Gemeinde angehören und je angehören werden, hat dir die Maske abgerissen. Leugne noch, wenn du kannst!

Wimmer betrachtete die Unterschrift und las. Als er das Schreiben an Ammer zurückgab, sagte er kalt:

Du hast Recht, es zeugt gegen mich, aber ich leugne Alles, was darin geschrieben steht. Statt Liebe und Friede, die ich brachte, gibst du mir Haß und Krieg zurück. Du hast viele Hilfstruppen geworben, denen ich nicht begegnen kann mit gleicher Kraft. Weil ich aber eingedenk des liebsten Jüngers unseres Herrn und seiner Worte, der da sagte, wenn er in die Versammlung der Gemeinde trat: Liebet euch unter einander! niemals das Schwert mit dem Worte vertausche, gehe ich von dannen mit friedfertigen Gesinnungen und überlasse es dir, mir durch das Gesetz zu beweisen, daß ich gethan habe, wessen du mich zeihest!

Er griff nach seinem Hute, um eine für ihn unhaltbar gewordene Position zu verlassen. Da trat ihm Advocat Block in den Weg, der sich bis dahin beobachtend im Hintergrunde gehalten hatte.

Sie vergessen, Herr Wimmer, sprach der Advocat, sein stechendes Auge so weit aufreißend, als es ihm möglich war; Sie vergessen, daß Sie aus einem Klagenden ein Verklagter geworden sind. Man wird Sie also nicht ruhig Ihres Weges ziehen lassen, sondern Sie packen, und kann's mit Manier geschehen, Ihnen den Pelz ausklopfen. Es liegen genug Gründe vor, die eine Verhaftung rechtfertigen.

Wimmer sah den Advocaten giftig an, indem er verächtlich antwortete:

Sind Sie auch hier? Ach, nun wird es erst hell vor meinen Augen! Ich sehe jetzt, wo ich mich befinde. Ein des Mordes Angeklagter und wegen nicht hinreichenden Verdachtes Freigesprochener tritt als Anwalt auf für verbrecherische Banquerottirer!

Wimmer kehrte sich um gegen Ammer und dessen Söhne, setzte den Hut auf, erhob den Arm und rief mit lauter Stimme:

Ja, Banquerottirer seid ihr, ich sprech' es laut aus und werd' es jetzt verkündigen auf allen Straßen, da ihr meine unergründliche Liebe mit so unerhörtem Undank belohnt. Der gewesene Advocat da kann vergiftete Pfeile gegen mich schnitzen helfen, processiren darf er nicht mehr, denn man hat ihm schon lange die Praxis gelegt. Daß aber ihr betrogen habt, weiß das Gericht, und dies Gericht soll über die unehrlichen Handelsleute Urtheil sprechen und sie hinausstoßen aus der Gesellschaft aller Redlichen!

Mirus ergriff den Arm des Herrnhuters.

Herr, ich muß Ihr sagen, sprach der Kaufmann, Sie haben zwar den Hanf zu ihren Schlingen gut gedreht, die Knoten aber schlecht geschürzt. Man ist nicht müßig gewesen, während der milde, liebevolle Bruder einem Maulwurfe gleich die Erde unterwühlte, wo das Haus der Ammer sich erhob. Man hat gesucht und auch gefunden; und zieht es der fromme Bruder vor, statt eines Vergleiches die Gerechtigkeit ihren Gang gehen zu lassen, so möge er zusehen, wohin sein guter Name zuletzt sich flüchtet!

An den Galgen, wohin er gehört! sagte Block. Persönlich kann man solche Creaturen nicht aufknüpfen, weil die Strafgesetzgebung nicht ausreicht gegen Winkelzüge schlauer Frömmler, aber in effigie soll er doch baumeln, der Herr Bruder.

Wimmer lächelte.

Hat sonst noch Jemand hier ein Anliegen an mich? fragte er, ergriff seinen Stock und schlug damit an die gelben Stulpen seiner Stiefel.

Wimmer, sprach Ammer, du siehst mich nie wieder auf Erden. Rechtfertige dich oder bekenne, daß du dich frevelhaft vergangen an mir und meiner Familie. Bereust du, so will ich dir vergeben!

Der Herrnhuter nahm nochmals den Hut ab, schlug die Augen zum Himmel auf und sagte flehend:

Ich bitte dich, mein Herr und Heiland, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!

Dieser frevelnde Hohn empörte den alten Ammer, weil er ihm so ganz das von Lug, Trug und Heuchelkünste überfließende Herz des Frömmlers enthüllte. Er fuhr jäh empor aus seinem Sessel, daß alle Umstehende fast vor ihm erschraken.

So fahre denn hin, du Falscher! rief der Erbitterte, sein Haupt gegen ihn schüttelnd. Fahr' hin, du Verderber meiner Kinder, du Vergifter meines Alters! Sei vermaledeit in Zeit und Ewigkeit! Wie ich bisher gebetet habe für Alle, mit denen ich lebte und wandelte und besonders für dich, so will ich, gibt mein Schöpfer mir Athem dazu, jeden Seufzer zu einem Fluch für dich verwandeln! Fahr' hin, Verführer meines Blutes! Möge dein Auge erblinden und dein Fuß straucheln! Möge dein Pfad bestreut sein mit Gift, daß du Tod einathmest bei jedem Schritte! Mögen die Seufzer und Klagen der Ammer sich in einen Schwarm racherufender Geister verwandeln und dich bedecken wie eine Wolke! Die Angst sei dein Begleiter, die Falschheit deine Stütze, und wenn einst dein Auge bricht, so mögest du mich und meine Kinder sehen und mit diesem Anblick hinunterstürzen in die unergründete Tiefe, welche die Ewigkeit heißt! Fort, fort, aus meinen Augen!

Eine heftige Handbewegung des Greises schleuderte den Krückenstock gegen den Herrnhuter, der dem Wurfe auswich. Ammer war in der Heiligkeit seines Zornes furchtbar anzusehen. Wimmer schrak innerlich zusammen vor dieser fluchenden, grimmen Prophetengestalt. Er kehrte sich um und schritt lautlos von dannen.

Ammer's Kräfte waren erschöpft. Wie gebrochen sank er nieder. Seine Hände zitterten, die Augenlider schlossen sich; er röchelte, wie ein Sterbender.

Alle umdrängten den geliebten Greis. Leidenschaftlich ergriffen die Söhne die matten, erkaltenden Hände des tief Erschütterten und fast schreiend rief Fürchtegott:

O Vater, Vater! Verlaß uns nicht so! Vergib deinen schuldbeladenen Kindern, ehe dein Geist sich emporschwingt zu den Höhen der Seligen! Vater, Vater, deinen Segen!

Fürchtegott schluchzte, Christlieb küßte unter Thränen die Hand des Vaters. Ammer's Lippen bewegten sich. Langsam die Hände erhebend und nach den Söhnen tappend, bis er die Häupter derselben berührte, sprach er, ohne die Augen zu öffnen:

Ich vergebe euch! Lebet und wirket in Frieden!

Erdmuthe legte ihre Hand auf das Haupt des Greises und indem sie sich zu Fürchtegott neigte, sprach sie:

Das Leid ist aus. Die Vergebung eines Sterbenden bringt Segen und Frieden!


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