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[Vorwort]

Echte Perlen wachsen tief auf dem geheimnißvollen Grunde des Meeres, und der Taucher, der diese Schätze der Tiefe heraufholt mit Gefahr seines Lebens, giebt Gesundheit, Lebenslust und Lebensblüthe daran, um den kostbaren Gewinn.

So gefährlich erworben sind nun die Gaben nicht, die ich hier biete, und es kann vermessen scheinen, daß ich doch wage, sie Perlen zu nennen. Nicht an gewaltige Klippen, nicht an die Gestade des unermeßlichen Meeres hat mich mein Lebenspfad geführt, er gieng an den grünen Ufern des Neckars entlang, und es ist heute zum erstenmal, daß ich von ferne am Ufer des blauen Horizonts wie einen Silberstreifen die Nordsee schimmern sehe: und so hat auch mein inneres Leben nicht allzu viel von schwerem Leid, keine gewaltigen Kämpfe und schmerzlichen Konflikte zu tragen gehabt, wie ich denn schon vor Jahren sagen mußte, als ein Albumblatt zum Gedächtniß eines berühmten Feldherrn von mir gefordert wurde:

Des klaren Neckars friedlich Rauschen
Umtobte nicht der Völker Streit,
Und nur von Ferne könnt' ich lauschen
Dem Flügelschlag bewegter Zeit.

Aus der Meerestiefe also vermag ich keine Perlen zu bieten.

Aber es werden auch Perlen im Flußsande gefunden, und wenn sie nicht glänzend genug sind für ein Königsgeschmeide, nicht werthvoll genug, um sich als Hausschmuck auf ferne Geschlechter zu vererben, so erfreuen sie doch wohl des Finders Auge und Herz, weil er kaum gehofft hatte, im Sande noch Perlen zu finden.

Solche Perlen habe ich nun all mein Lebenlang gerne gesucht: Perlen der Freude aus dem Sand ungünstiger Geschicke, Perlen menschlichen Werthes aus dem Sande farbloser, unerquicklicher Verhältnisse, und es sollte mich freuen, wenn, was ich gefunden, auch von Andern als des Suchens werth erkannt würde.

Eine der Annahmen über die noch nicht erklärte Entstehung der Perlen ist: daß Sandkörner von außen in die Schale der Perlenmuschel eindringen und die Inwohnerin drücken; um den Druck weniger schmerzlich zu machen, umkleidet sie das Sandkorn mit weichem Saft, der nach und nach fest wird, und so die Perle bildet.

Solche Körner, die schmerzen und drücken, fallen wohl in jedes Herz und Leben; möge jedem die milde Kraft gegeben werden, sie umzubilden zu edlen Perlen.

Meldorf, in Holstein.
Im Juni 1867.

Ottilie Wildermuth.


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