Christoph Martin Wieland
Clementina von Porretta
Christoph Martin Wieland

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Vierter Aufzug.


Erster Auftritt.

Clementina allein.

Aus was für einem fürchterlichen Traume bin ich erwacht! Wie sehr hat sich Alles verändert! Ich habe Mühe zu erkennen, wer ich bin, und wo ich bin! – Sie erheben Alle den Chevalier in die Wette; sie werden nicht müde, Gutes von ihm zu sagen; sie sprechen von seiner Liebe zu mir; sie billigen den Vorzug, den ihm mein zu leicht gerührtes Herz gegeben hat. Was bedeuten diese Veränderungen? – Sollten sie sich entschließen können? – Nein, sie können nicht, sie werden nicht! – O du allzu schwaches, verkehrtes, voreiliges Herz! Was pochest du? Was für Wünsche – Wünsche, die du nicht wagen darfst, dir selbst zu zeigen – Und wie, ach wie wirst du sie demjenigen zeigen dürfen, vor dessen heiligen Augen die scheinbarste Tugend unrein ist? – Unglückliche, betrogene Clementina! du hieltest dich für unschuldig; du nährtest eine Neigung in deiner Brust, die du für rein, für untadelhaft hieltest, weil sie den liebenswürdigsten unter den Menschen zum Gegenstand hatte. Mit Entzückung, mit stillem Triumphe hörtest du sein Lob, die Billigung deiner geheimen Leidenschaft, aus jedem Munde! – Betrügerische Einbildungen! – Was ich für unschuldige Neigung hielt, war Verbrechen. Der erzürnte Himmel fällte sein Urtheil über mich! – Was für ein verkehrtes Geschöpf mußte ich seyn, um eine solche Strafe verdient zu haben! – Doch nenne es nicht Strafe, Unglückliche! Es war Wohlthat; es war eine Hand aus den Wolken, die dich von dem Abgrunde zurück riß, in den du, mit verblendeten Augen, auf dem sanften Irrwege der Liebe und der irdischen Freude, Gefahr liefest, auf ewig hinab zu stürzen. O, fliehe, fliehe! Alles ist Bezauberung um dich her; Alles ist Gefahr und Verführung und Verderben! Fliehe, unglückliche Clementina, fliehe die Liebe, die Welt, dich selbst! – Himmel! Wen sehe ich? – Grandison? –


Zweiter Auftritt.

Grandison. Clementina.

Clementina. O Chevalier, in was für einem Augenblicke kommen Sie!

Grandison. Endlich, theuerste Gräfin, endlich ist es Ihrem Grandison erlaubt zu reden. Die gütige Aufmunterung Ihrer Familie erlaubt mir, meine Wünsche zu ihrer Clementina zu erheben. Alle Schwierigkeiten sind gehoben. Ich darf Ihnen sagen, wie sehr ich Sie verehre, und es steht nur allein in Ihrer Macht, den Ausspruch zu thun, ob der zärtlichste und dankbarste unter den Menschen auch der glücklichste seyn soll?

Clementina. Was sagen Sie mir, Chevalier? – Ist's möglich? – Sie kommen von meinen Eltern?

Grandison. Ich komme von ihnen. Der Bischof, Ihr Jeronymo und der Pater Marescotti waren zugegen. Die feurige Freundschaft des zärtlichen, des großmüthigen Jeronymo hat Alle zu meinem Vortheil eingenommen. Sie haben mir erlaubt, unter den Bedingungen, die ich vor meiner letzten Abreise vorgeschlagen, mich um die größte Glückseligkeit zu bewerben, die ein Sterblicher diesseits des Himmels sich wünschen kann. Darf ich hoffen, gnädige Gräfin, nachdem ich auf eine so großmüthige Art mit dem Beifall Ihrer Eltern beehrt worden, daß die vortreffliche Clementina nicht minder gütig gegen einen Mann seyn werde, der sich bestreben wird, durch alle Handlungen seines Lebens eine Liebe und Dankbarkeit zu beweisen, die zu groß ist mit Worten ausgedrückt zu werden?

Clementina. Wie willig, wie allzu willig ist mein Herz, Ihnen zu glauben! – Es ist nun in meiner Macht, sagen Sie, den Chevalier Grandison glücklich zu machen? – Wollte der Himmel, es wäre in meiner Macht! Wollte der Himmel, ich könnte Sie glücklich machen! Wer würde es besser, sorgfältiger, freudiger thun, als ich? – Aber ich bin nicht zu einer so schönen Bestimmung auserwählt! – Mein Herz ist sehr beunruhigt, Herr Grandison, mehr als ich Ihnen sagen kann! Ich fühle den ganzen Umfang der Verbindlichkeiten, die wir Ihnen haben, die ich Ihnen besonders habe – und dieß Gefühl vollendet mein Elend.

Grandison. Kränken Sie mich nicht, theuerste Gräfin, durch die Erwähnung von Verbindlichkeiten. Was habe ich Anderes gethan, als dem Rufe der Freundschaft folgen, welchem ein Jeder von Ihrer Familie in gleichen Umständen würde gefolgt haben? Und, gesetzt, es wäre in meiner Macht gewesen, Sie zu verbinden, so ist es in der Ihrigen –

Clementina. Hier ist meine Schwierigkeit, Herr Grandison! Sie können nicht belohnt werden – Ich kann Sie nicht belohnen. – Sehen Sie mich nicht mit dieser zärtlichen Traurigkeit an! – Meine Seele leidet nur zu sehr unter dem Gedanken, daß ich Sie nicht belohnen kann! – Wie soll ich Ihnen beschreiben, was in meinem Gemüthe vorgeht? Meine Pflicht gegen Gott, gegen meine Eltern – meine Dankbarkeit gegen Sie – aber ich kann noch nicht von dieser Sache reden. Ich wünschte groß zu handeln. Sie haben mir ein Beispiel gegeben, Herr Grandison!

Grandison. Theuerste Clementina, Sie erschrecken mich!. Was bedeutet dieser feierliche Ernst und diese Reden, die irgend ein trauriges Geheimniß zu verhüllen scheinen? Warum sollte es nicht in Ihrer Macht seyn, mich glücklich zu machen? – Das Beispiel, dessen Sie erwähnen, kann keines für Sie seyn. Die Umstände sind ganz verschieden. Es wird nichts von Ihnen gefordert, was Ihr Gewissen nicht erlauben könnte, zu bewilligen. Sie werden, wenn Sie die Meinige sind, in Ausübung Ihrer Religion völlige Freiheit behalten. Ich verehre Ihre Frömmigkeit, gnädige Gräfin, und die Ruhe Ihrer Seele ist so wichtig für mich, als die Ruhe der meinigen.

Clementina. Großmüthiger Mann! was soll ich Ihnen sagen? – ich, die nicht weiß, was ich mir selbst sagen soll! Aber ich habe angefangen, Alles aufzuschreiben, was mir über diese wichtige Sache beigefallen ist. Ich darf meinem Gedächtniß nicht trauen – auch meinem Herzen nicht! Ich will fortfahren, meine Gedanken aufzuschreiben –


Dritter Auftritt.

Laura. Die Vorigen.

Laura. Gnädige Gräfin, der Herr General ist angelangt. (Sie geht wieder ab.)

Clementina. Er wird betroffen seyn, daß Sie schon hier sind, Herr Grandison! Er wird Ihnen vielleicht – Ach! von wie vielen Uebeln bin ich die unglückselige Ursache gewesen! Ich habe Ihnen Unruhe gemacht; ich habe meine Eltern gekränkt, die besten, die gütigsten Eltern! ich bin eine Plage Aller gewesen, die mir angehören! es ist billig, daß ich leide! – O Chevalier, es ist eine große Veränderung mit mir vorgegangen, seitdem Sie hier sind. Vorher war mir sehr schlimm; aber ich fühlte nicht den ganzen Umfang meines Unglücks! – Ich verlasse Sie, um meinen Bruder zu sehen, bevor er Sie siehet. Ich zittre vor seiner Hitze –

Grandison. Besorgen Sie nichts, gnädige Gräfin; ich habe mehr Gelegenheit gehabt, meine Hitze zu bezähmen, als der General. Ich werde gelassen, und er wird nicht unbillig seyn.

(Clementina geht ab.)


Vierter Auftritt.

Grandison allein.

Was für ein neues Gewölk zieht sich in ihrer Seele auf? So viel Bedeutung, so eine erhabne Schwermuth in ihren Augen! – Sie schien zu fürchten, daß ich mehr in ihren Augen lesen möchte, als sie mir sagte; aber ich habe nur zu viel darin gesehen! – Wunderbares Verhängniß! Kaum geht mir endlich ein Schimmer von Hoffnung auf, so verschwindet er wieder und läßt mich in einer marternden Ungewißheit zurück! – O Glückseligkeit! schöner Name! du wohnest nicht unter dem Monde. Mit erhitztem Verlangen verfolgen wir dich; wir glauben dich zu berühren und umfassen einen Schatten. – Ich will zu Jeronymo gehen. Die Tröstungen eines Freundes – Aber hier ist der General! Clementina hat ihn verfehlt, wie ich sehe.


Fünfter Auftritt.

Der General. Grandison.

Der General. Ihre Ankunft in Bologna. Herr Grandison, hat Wunder gewirkt, höre ich. Wir sind Ihnen sehr verbunden; und Sie haben Ursache, stolz darauf zu seyn, daß Sie sich in einer Familie, wie die des Markgrafen von Porretta ist, so wichtig haben machen können.

Grandison. Wenn ich auf etwas stolz seyn könnte, Herr General, so wäre es auf mein Herz. Es ist unglücklich für mich, daß Sie in dieser ganzen Zeit von Bologna entfernt gewesen sind, in welcher Ihre schärfste Aufmerksamkeit auf mein Betragen meine beste Rechtfertigung gewesen wäre. Erlauben Sie mir aber, Ihnen zu sagen, daß ich Ansprüche an Ihre Hochachtung mache, weil ich mir bewußt bin, daß ich sie verdiene, und daß ich keine andere Ansprüche zu machen habe, solange Jemand in der Familie ist, der mich der seinigen unwürdig hält.

Der General. Sie reden, wie man es von einem Mann erwarten kann, der von dem Triumph aufgeschwollen ist, den er über Leute erhalten hat, die in der That nicht geboren waren, unter den Ritter Grandison herab gedemüthigt zu werden. Ich weiß nicht, was für ein Taumel von fanatischer Dankbarkeit meine Verwandten bethört. Aber das weiß ich, daß ich keine von den schwindligen Seelen bin, die sich durch den Schein einer schwülstigen Großmuth zu Boden blenden lassen. Erwarten Sie keinen Dank von mir, Herr Grandison! oder soll ich Ihnen dafür danken, daß Sie durch die Künste einer angenommenen Uneigennützigkeit und einer in Freundschaft verkleideten Liebe das Herz meiner Schwester erschlichen, daß Sie die liebenswürdigste junge Dame Italiens in eine Leidenschaft verstrickt haben, die ihren Ruhm befleckt, ihren Verstand verwirrt und die Ruhe ihres Lebens vernichtet hat? Soll ich Ihnen dafür danken, daß Sie dieses unglückliche Geschöpf und ihre noch unglücklichern Verwandten zum Spott und zur Fabel der Welt gemacht haben? – Wahrhaftig! wir haben große Ursache, unsre Verbindlichkeiten gegen den Chevalier Grandison durch irgend eine außerordentliche That zu erkennen; und es fehlt nichts, als durch die Vermählung der Clementina von Porretta mit ihm die ganze Welt zu überzeugen, daß sie ihre Krankheit der ganzen Familie mitgetheilt habe.

Grandison. Herr General! Sie mögen meiner Gelassenheit bei Ihren Beleidigungen eben so leicht als meinen übrigen Handlungen Beweggründe leihen, die mich verunehren; aber ich bin entschlossen, gelassen zu bleiben. Ihre Vorwürfe verdienen keine Antwort. Ich sehe, daß Sie von einer Leidenschaft getrieben werden, die Ihnen nicht erlaubt gerecht zu seyn. Sie werden mich entschuldigen, wenn ich mich hinweg begebe. Eine umständliche Unterredung mit Ihrem Herrn Bruder, dem Bischofe, wird das beste Mittel seyn, Sie zu sich selbst zu bringen.

Der General. Glauben Sie, mich mit dieser angemaßten Erhabenheit zu täuschen, weil sie Ihnen vielleicht bei Ungeübtern, als ich bin, gelungen ist? Ihre Gegenwart ist hier nöthig, Herr Grandison! Ich verlange nur eine Antwort auf eine einzige Frage: Unterstehen Sie sich, in meiner Gegenwart zu bekennen, daß Sie Ansprüche an meine Schwester haben?

Grandison. Wenn es Ihnen gefallen wird, Herr General, auf eine Art zu fragen, die einer Antwort würdig ist, so sollen Sie eine Antwort erhalten.

Der General. Dieser Uebermuth ist nicht auszustehen – doch ich will mir Gewalt anthun. Ich erinnere mich, daß Sie der Erretter meines Bruders gewesen sind – Aber der Gedanke, daß Sie meine Schwester und die ganze Familie, die durch Sie verunehrt worden, im Triumph aufführen sollen, ist mir unerträglich.

Grandison. Und ich erkläre Ihnen, mein Herr, daß mir diese Sprache unerträglich zu werden anfängt. – Wie verächtlich macht eine blinde Leidenschaft die edelsten Menschen!

Der General. Ich bediene mich solcher Reden, die man durch Thaten erklärt. (Er greift an den Degen.)


Sechster Auftritt.

Der Bischof. Die Vorigen.

Der Bischof. Was für ein heftiger Wortwechsel? – Wie? mein Bruder? – Grandison? – Halten Sie ein, Bruder; Sie vergessen, wen Sie vor sich haben, und in wessen Hause Sie sind.

Grandison. Ich überlasse Ihnen den Herrn General, gnädiger Herr! Er hat nöthig, zu sich selbst gebracht zu werden. – Ich werde mich nicht weit entfernen, Herr General. (Geht ab.)


Siebenter Auftritt.

Der Bischof. Der General.

Der Bischof. Mäßigen Sie Ihre Hitze, Bruder! Sie wissen, wer Grandison ist, Sie wissen, was wir ihm für Verbindlichkeiten haben, und Sie begegnen ihm so? In Wahrheit, Sie bedenken nicht, in was für neue Schwierigkeiten Sie uns verwickeln.

Der General. Sie werden die Heftigkeit meiner Gemüthsbewegung besser begreifen, wenn ich Ihnen sage, daß ich eben jetzt von dem Grafen von Belvedere komme. Er war im Begriff, sich selbst aus Bologna zu verbannen. Der Zustand, worin ich ihn fand, war mehr, als es bedurfte, meinen lange gesammelten Groll gegen diesen Grandison bis zum Unsinn zu entflammen. Ich erkläre Ihnen, Bruder –

Der Bischof. Ich bitte Sie, erklären Sie sich nicht, ehe Sie wissen, wie weit die Sachen gekommen sind, und was für Gründe unsern Entschluß gelenkt haben.

Der General. Ich hoffe, ich habe mich des Rechts nicht verlustig gemacht, meine Meinung zu Angelegenheiten zu sagen. welche die Ehre und die Ruhe einer Familie betreffen, in der ich der Erstgeborne bin. Die Sachen mögen gekommen seyn, wohin sie wollen; ich habe dem Grafen von Belvedere mein Wort gegeben, und ich will es gehalten wissen! Er ist von der ganzen Familie aufgemuntert worden; alle Gründe sind für ihn. Der blose Gedanke, daß ein Fremder, ein Mann von geringerm Stande, ein Engländer, ein Protestant der Nebenbuhler des Grafen von Belvedere um Clementina von Porretta seyn soll, und – verfluchter Unsinn! ich schäme mich, es zu sagen! – daß er ihm vorgezogen werden soll – ich sage Ihnen, es ist unerträglich, nur daran zu denken! – Aber, beim Himmel! solange noch Athem in mir ist, soll Belvedere nicht aufgeopfert werden!

Der Bischof. Und doch werden Sie sich entschließen müssen, entweder ihn oder Ihre Schwester aufzuopfern.

Der General. Meine Schwester? – Ich will keine Schwester haben, die den Namen beschimpft, den sie trägt.

Der Bischof. Reden Sie nicht so ungerecht von Clementinen. Sie ist ein unschuldiges, edles Geschöpf. Sie ist es mitten in der äußersten Verfinsterung ihrer Vernunft geblieben. Sie hat nichts gethan, das einen billigen Vorwurf verdiente. Und ich bitte Sie, Bruder, vergessen Sie nicht, daß wir noch einen Vater und eine Mutter haben. Der Markgraf ist entschlossen, seine Tochter nicht aufzuopfern; und Sie werden sich gefallen lassen, eine Schwester zu behalten.

Der General. Sie werden sehr hitzig, Bruder! – Ich begreife nicht, wie dieser Grandison alle Welt so sehr bezaubert hat. Wer wird sich nunmehr wundern, daß ein junges unerfahrnes Mädchen zu schwach gewesen ist, ihm zu widerstehen?

Der Bischof. Wenn Sie ihn ohne Vorurtheil ansehen werden, so werden Sie eben so von ihm denken, wie wir. Die Religion ist Alles, was man gegen ihn einwenden kann. Wäre er ein Katholik, so sollte sich ein König vergeblich neben ihm um Clementinen bewerben.

Der General. Was? Sie erzählen mir immer größere Wunder! Er wird ein Protestant bleiben, und Sie wollen ihm Clementinen geben? Sie, ein Prälat der Kirche, geben Ihren Beifall dazu? Wahrhaftig, das ist außerordentlich. Ohne Zweifel wird der Pater Marescotti auch Ihrer Meinung seyn?

Der Bischof. Er wird sie nach England begleiten. – Glauben Sie, Bruder, daß es uns genug gekostet hat, uns zu einem solchen Entschluß zu überwinden. Man hat Alles vorher versucht. Aber was sollten wir mit einem Mann anfangen, den die glänzendsten Versprechungen nicht zu versuchen vermochten, der bei den zärtlichsten Bitten unbeweglich bleibt? der Clementinen selbst, die er anbetet, seiner Religion aufzuopfern bereit war? – Es ist unser Unglück, daß wir ihn nicht so wohl entbehren können, als er uns.

Der General. Und so muß um dieses liebekranken schwindligen Mädchens willen die Ehre des Hauses von Porretta auf ewig verdunkelt, und ein Mann, wie Belvedere, der Verzweiflung preisgegeben werden? – Ueberlassen Sie mich mir selbst, Bruder, ich habe Einsamkeit nöthig –

Der Bischof. Ich bin hierher gekommen, Sie zu dem Markgrafen zu führen. Sie können von Niemand besser in den Gründen seines Entschlusses unterrichtet werden, als von ihm.

Der General. Gehen Sie nur voran. Ich werde Ihnen sogleich folgen.

(Der Bischof ab.)


Achter Auftritt.

Der General allein.

Ich bin ganz betäubt – Was soll ich sagen? Wozu soll ich mich entschließen? – Soll ich der Entehrung meines Hauses zusehen? Soll ich meine Schwester unglücklich machen? Soll ich meinen Freund verlassen? – Oder soll ich seinen eigenen Vorstellungen Gehör geben? – Der arme Belvedere! Er liebt die Undankbare bis zur Ausschweifung. Er will sich selbst für ihre Ruhe aufopfern. Er hat die Sache seines Nebenbuhlers mit einer Großmuth gegen mich behauptet, die von der Heftigkeit seiner Liebe zeugt! – Aber, nein! es kann nicht seyn! Eher soll derjenige sterben, der der Urheber aller dieser Verwirrungen ist.


Neunter Auftritt.

Grandison. Der General.

Grandison. Ich habe Ihnen Zeit gelassen, zu sich selbst zu kommen, Herr General! Wenn Sie jetzt in einer gesetzten Fassung sind, so hören Sie mich an, und lernen Sie mich kennen. Die Sache, wovon ich mit Ihnen reden muß, ist zu zärtlich, als daß ich die Unbilligkeit der Vorwürfe, die Sie mir gemacht haben, in ihr völliges Licht setzen könnte. Es ist auch nicht nöthig. Was die ganze Familie weiß, kann Ihnen nicht unbekannt seyn. Es wird also genug seyn, Ihnen zu sagen, daß ich ohne Absichten nach Bologna zurück gekommen bin. Ihre Eltern, Ihre Brüder verlangten meine Gegenwart; ich folgte dem Rufe der Freundschaft. So sehr ich Ihre Schwester bewunderte, so fühlte ich doch die ganze Stärke der Gründe, die mir, auch in Absicht auf mich selbst, nicht erlaubten, an eine nähere Verbindung zu denken. Ich entschloß mich also, mich in einer Sache leidend zu verhalten, worin mir nicht vergönnt war nach meinem Herzen zu handeln. Ich bin gewohnt, mich in die Stelle Andrer zu setzen. Es konnte mir nicht verborgen seyn, daß Ihre Familie sich zu einer Verbindung mit mir nicht ohne Widerwillen bequemen werde, und ich fand diese Art zu denken in ihren Umständen natürlich.

Der General. Sie haben sich und uns Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Grandison. Die gleiche Denkungsart, die mich gegen Andere gerecht seyn heißt, macht, daß ich es gegen mich selbst bin. Ein Beweis davon kann Ihnen seyn, daß ich mich nicht erniedrigen wollte, die Tochter eines Königs unter schimpflichen Bedingungen anzunehmen, und daß ich selbst auf Clementinen Verzicht thue, solange Jemand in Ihrer Familie ist, der mich ihrer Hand unwürdig hält. Sie haben meine Erklärung, Herr General! Das Uebrige belieben Sie mit Ihren Verwandten auszumachen. Diese werden Ihnen am besten sagen können, was sie zu den verbindlichen Gesinnungen bewogen hat, die sie für mich angenommen haben.

Der General. Ha! Ist es so weit gekommen, daß uns der Chevalier Grandison Trotz bieten darf? Ich bin außer mir! Wie? wir sollen uns noch allzu glücklich schätzen, wenn ein Mann, wie Sie, sich erniedrigen will, die Tochter des Markgrafen von Porretta mit seinem Namen zu beehren? – Und derjenige, der sich untersteht, mir eine solche Erklärung zu thun. ist weniger als ein König? Er müßte auch mehr als ein Sterblicher seyn, meiner Rache zu entgehen!

Grandison. Drohungen haben mich nie erschreckt, Herr General. Ich würde mich selbst verachten, wenn ich eine Antwort auf eine so willkürliche Auslegung meiner Worte nöthig hielte.

Der General. Keine Worte mehr! Ich bin nicht gewohnt, mich der Zunge statt einer Waffe zu bedienen. Kommen Sie mit mir in den Park, Chevalier! Ihr Leben oder das meinige! Die Erde kann nicht zwei so stolze Menschen, als wir sind, zugleich tragen.

Grandison. Ich bin bereit, mit Ihnen zu gehen, wo hin Sie wollen. (Sie gehen ab.)


Zehnter Auftritt.

Pater Marescotti allein.

Ich habe die Stimme des Generals gehört. Es war die Stimme eines Drohenden. Er redete, wie ich glaube, mit Grandison. – Aber hier ist Niemand. Sie sind fortgegangen. Der Himmel verhüte, daß es in schlimmen Absichten geschehen sey! Ich will sie aufsuchen – Aber sehe ich nicht hier den Grafen Belvedere?


Eilfter Auftritt.

Pater Marescotti. Belvedere.

P. Marescotti. Ich glaubte, Sie wären nicht mehr in Bologna, Herr Graf!

Belvedere. Der General fand mich, da ich im Begriff war, abzureisen. Ich hatte eine Unterredung mit ihm. Meine Besorgnisse für Clementinen, der ich fest entschlossen bin, mich selbst aufzuopfern, machten, daß ich mit Eifer zum Vortheile meines Nebenbuhlers sprach. Es war umsonst. Der General verließ mich auf eine ungestüme Art. Ich machte mich so gleich fertig, ihm zu folgen, und ich komme jetzt, Alles anzuwenden, ihn mit Grandison auszusöhnen. Ich weiß, was ich thue, Herr Pater Marescotti! Es wird mir das Leben kosten; aber ich werde die Zufriedenheit haben, die Glückseligkeit derjenigen befördert zu haben, die ich liebe.

P. Marescotti. Vielleicht belohnt der Himmel diese edeln Gesinnungen mit einem ganz andern Ausgang, als Sie jetzt vermuthen. Das Glück ihres Nebenbuhlers ist noch nicht außer Zweifel. Ich komme eben jetzt von einer langen Unterredung mit der jungen Gräfin – Aber wir haben nicht Zeit, hier zu verweilen – Wir wollen gehen, den General zu suchen.

Belvedere. Sie haben mich ganz bestürzt gemacht – Aber ich will meine Ungeduld zurück halten – Lassen Sie uns eilen.


Zwölfter Auftritt.

Die Scene ist das Zimmer des Jeronymo.

Jeronymo. Clementina.

(Clementina sitzt, den Kopf auf ihren Arm gestützt, in einem schwermüthigen Stillschweigen, das zuweilen durch Seufzer unterbrochen wird.)

Jeronymo. Was fehlt Ihnen, meine liebste Schwester? Sie nähern sich dem Augenblick, der alle ihre Trübsale enden wird, Sie werden über Ihre Hoffnung glücklich werden, und Sie sind traurig? Sie beantworten die zärtlichen Ausbrüche meiner Freude mit halb erstickten Seufzern, und indem ich in Entzücken über Ihr bevorstehendes Glück aller meiner Schmerzen vergesse, schleichen stille Thränen, die Verräther irgend eines geheimen Kummers, über Ihre Wangen?

Clementina. Ach, Jeronymo! –

Jeronymo. Wie ist es möglich, meine Clementina, daß so frohe, so glänzende Aussichten nicht jede Spur der Traurigkeit aus Ihrer Seele tilgen? – Glückliche, dreimal glückliche Schwester! Die Geliebte, die Freundin, die Gemahlin meines Grandison! Welch ein Himmel von Glückseligkeit liegt in diesen Namen! Welch ein Vorzug vor Allen Ihres Geschlechts!

Clementina. Halten Sie ein, liebster Jeronymo – Wollte der Himmel, meine eigene Phantasie wäre weniger geschäftig, mir das Glück auszumalen, dem ich zu entsagen genöthigt bin!

Jeronymo. Was sagen Sie, Schwester? Was für neue Besorgnisse? Woher diese Kleinmüthigkeit und diese hoffnungslose Sprache? Hören Sie auf, sich selbst zu quälen! Alle Hindernisse sind gehoben. Fürchten Sie nicht, daß unsere Eltern ihren Entschluß ändern möchten. Das unvergleichliche Betragen unsers Freundes hat sie so sehr eingenommen, daß sie diese Verbindung jetzt eben so heftig wünschen, als ich selbst. Oder fürchten Sie etwa den General? Sein Widerstand wird nur den Sieg unsers Freundes zu erhöhen dienen. Verbannen Sie also alle traurige Gedanken, liebste Clementina! Sie haben die schwerste Prüfung überstanden; der Augenblick ist nun gekommen, der Sie für alle Ihre Leiden belohnen wird.

Clementina. Ach, Jeronymo! Sie wissen nicht – Ich kann nicht reden – Ich fürchte mich, Ihnen zuzuhören – Ich fürchte mich vor mir selbst – Verzeihen Sie mir, lieber Bruder! – Aber ich muß Sie verlassen – (Sie steht auf, um fortzugehen.)


Dreizehnter Auftritt.

Die Markgräfin. Die Vorigen.

Die Markgräfin. Ich freue mich, euch bei einander zu finden, meine Kinder! Dein Bruder, meine theure Clementina, wird dir angekündigt haben, was wir für den Chevalier zu thun entschlossen sind. Er ist deiner würdig, Clementina; und so schwer es mir auch fallen wird, den Liebling meines Herzens aus meinen mütterlichen Armen zu lassen, so beruhigt mich doch die Gewißheit, daß du durch den Mann, den dein Herz erwählt hat, so glücklich werden wirst, als man es in diesem Leben seyn kann.

Clementina (umfaßt ihrer Mutter Knie). O gnädige Mama, wie gütig sind Sie! und was für eine tiefe Empfindung habe ich von Ihrer und meines Vaters liebevoller Nachsicht! Wie soll ich jene ausdrücken? Wie soll ich diese erwiedern? – Wie unwürdig würde ich der wiederkehrenden Vernunft seyn, wenn ich mich nicht bemühen würde, sie gänzlich zu Erfüllung meiner Pflicht gegen Gott und Sie anzuwenden! – Aber erlauben Sie mir, ich bitte Sie, daß ich mich in mein Zimmer begebe und einige Stunden ungestört bleibe. Ich habe nöthig, mich zu der Scene, die mir bevorsteht, vorzubereiten. (Sie begibt sich eilfertig hinweg.)


Vierzehnter Auftritt.

Die Markgräfin. Jeronymo.

Die Markgräfin. Was sagte das liebe Geschöpf? Wie feierlich war ihr Gesicht und der Ton ihrer Stimme! Und wie eilfertig ging sie hinweg! – Sie hat etwas auf dem Herzen; aber ich begreife nicht, was es seyn kann. – Wenn ich nicht selbst gehört hätte, wie freundlich der Pater Marescotti sich zum Vortheil des Chevalier erklärte, so würde ich glauben, daß er sie mit neuen Zweifeln beunruhiget habe.

Jeronymo. Ich werfe keinen Verdacht auf Marescotti. Er ist zu rechtschaffen und zu klug, sich einer solchen Uebereilung schuldig zu machen. Clementina wird von Allem, was ihr begegnet, noch zu stark gerührt. Die Ankunft des Generals hat sie erschreckt. Furcht und Hoffnung streitet in ihrer Seele, und das Glück, das ihr angekündigt worden, ist zu groß und unverhofft, als daß sie es glauben könnte. Sie wird ruhig werden, sobald sie nicht mehr zweifeln kann.

Die Markgräfin. Du beruhigst mich wieder, mein Sohn! Wir haben angenehme Aussichten vor uns; dasjenige, was sie uns gekostet haben, erhöht ihren Werth. Wir wollen jetzt alle unsere Gedanken darauf richten, deinen Bruder, den General, mit dem Chevalier zu versöhnen. Ich habe deßhalb nicht den geringsten Kummer. Es ist unmöglich, gegen die Verdienste dieses Mannes auszuhalten.

 


 


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