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1. Kapitel. Die ersten Motorbootsfahrten

Die 300 Einwohner der Kolonie Holstensborg waren in heller Aufregung; zwischen den bunten Holzhäuschen, die wie ein Spielzeug über die kahlen runden Gneisklippen verstreut lagen, wimmelte es wie in einem aufgestörten Ameisenhaufen. Das schönste und größte Schiff des Königlich Grönländischen Handels, die »Disko«, lag gerade vor der Kolonie und schickte sich an, den Jahresbedarf der Ansiedlung an Kohlen, Lebensmitteln u. a. in die bereitstehenden Leichter auszulanden. Aber zuvor mußte das Motorboot zu Wasser gebracht werden, das auf Deck stand und die Luke versperrte. Unser Motorboot! Die »Krabbe«! Wie oft hatte ich sie mit meinen drei Kameraden auf der langen Fahrt über den Ozean voller Erwartungen betrachtet. Sie sollte ein halbes Jahr unser Heim sein. Nun begann unser Abenteuer, die »Krabbe« sollte ins Wasser!

Die »Krabbe« kommt ins Wasser

Das Boot war neu gebaut, 30 Fuß lang, aber schmaler, als die in Grönland üblichen Motorboote dieser Länge zu sein pflegen, so daß es mit seinem acht PS Glühkopf-Motor fast sechs Knoten lief. Es wog seine acht Tonnen; die Ladebäume der »Disko« knarrten und ächzten, als die Winde anzog und das Boot sich langsam aus seiner Holzunterlage erhob.

Da beginnt plötzlich das schwere Boot über das Deck fortzuscheren und endet mit einem Krach, der mir Stechen in der Herzgegend verursacht, an der Winde. Eine Planke ist zerschmettert, ein klaffendes Leck ist gerade unter der Wasserlinie entstanden!

Der Offizier, der die Arbeit leitet, hat einen roten Kopf bekommen. »Die verdammte Schlagseite ist Schuld daran, da kann kein Mensch berechnen, wo so ein Satan hingeht!«

Er hatte wohl recht, auch ich hatte diese Bewegung nicht vorausgesehen. Na, meine Expedition fing ja gut an! Das Boot leck, noch ehe es im Wasser war!

Aber schließlich, – gerade bei den schönsten Expeditionen ist zuerst immer alles schief gegangen, also Kopf hoch! Zimmermann, hier gibt es Arbeit! Und nach zwei Stunden war das beschädigte Holz herausgestemmt, ein neues Stück eingesetzt, alles mit Bleiweiß gedichtet, eine Bleiplatte darüber genagelt und das Boot zu Wasser gebracht. Eine Narbe und ein Pflaster hatte ja nun unsere »Krabbe«. Aber uns hatte das Leben ja auch schon einige Narben beigebracht, und so paßten wir wohl noch besser zusammen!

Das faule Leben, das wir auf der »Disko« geführt hatten, war nun zu Ende, Gott sei Dank! Am Lande lagen schon die Petroleumtonnen, die wir in die beiden Tanke überfüllen sollten, die Proviantkisten, die durch die enge Luke in den Vorderraum hinabzuzwängen waren, eine Menge Kisten, die ausgepackt und deren Inhalt in die Kojen, in den Küchenschrank, in die Kleiderfächer wandern sollte. Und dann sollte die Dunkelkammer eingerichtet, der Süßwassertank gefüllt, und das Boot aufgetakelt werden. Das war kein geringes Arbeitsprogramm für vier Männer der Wissenschaft, die aus ihrer friedlichen Schreibtischarbeit herausgerissen waren und deren Hände noch nicht die Schwielen besaßen, die für ein Hantieren mit 50 kg schweren Kisten wünschenswert sind. Aber wer damals meine Kameraden an der Arbeit gesehen hat, wird bezeugen, daß man Wissenschaftler sein und doch derbe Fäuste haben kann. Wir machten alles selbst. Nur beim Auftakeln und Beschlagen der Segel half uns auf meine Bitte der Leiter der Fischkonserven-Fabrik Martin Hansen, der Bruder meines verstorbenen Kameraden von der Danmark-Expedition Peter Hansen.

Ich bekam bald die Sorgen des Expeditionsleiters zu spüren. Von Hause aus war dem Boot ein 28 kg schwerer Anker und zwei »Vertäuungsleinen«, jede fingerdick und nur 10 m lang, mitgegeben worden. Schon auf der Fahrt nach Grönland hatte ich mir gesagt, daß wir mit diesem Vertäuungsmaterial auf keinen Fall auskommen könnten, und hatte durch die Freundlichkeit unseres Kapitäns Hansen eine ausrangierte 100 m lange zolldicke Trosse erhalten.

Auf den Anker glaubte ich mich aber verlassen zu können. Petrus, der Wettermacher, war so freundlich, uns gleich im Hafen von Holstensborg vorzuführen, daß unser Anker für Grönland nicht ausreichte: Am Abend des 23. April brach ein kurzdauernder, aber heftiger Südweststurm los, und die »Krabbe« ging mit ihrem Anker spazieren!

Wir wohnten noch auf der »Disko«, sahen es aber und beeilten uns, hinüberzukommen und die »Krabbe« mit Hilfe von Grönländern und eines anderen Motorbootes in den inneren Hafen zu schleppen, wo wir sie mit der Trosse am Land vertäuten.

Nach dieser wirkungsvollen Vorführung sah ich mich nach einem zweiten Anker um und erhielt schließlich durch das Entgegenkommen des Kolonieleiters Rasmussen einen alten, von Fischereimeister Havmöller irgend einmal gefundenen Anker von gerade passender Größe, 30 kg schwer, als Geschenk der Kolonie. Selten hat sich wohl ein Geschenk so nützlich erwiesen wie dieser Anker. Er hat sicher die Expedition einige Dutzend Male gerettet, so verrostet er auch war.

Nun hatten wir also zwei Anker und eine gute Trosse. Nun konnte es nur noch von uns selbst abhängen, ob wir allen Lagen gewachsen waren.

Ein heikler Punkt war der Motor. Unsere Kenntnis von ihm beschränkte sich im wesentlichen darauf, daß man bei seiner Bedienung gut tut, einen Maschinistenanzug anzuhaben, und den hatten wir also mitgebracht. Außerdem hatten wir eine sehr kurze schriftliche Gebrauchsanweisung der Fabrik in der Tasche, und Dr. Loewe und ich hatten seinerzeit – wie lange war das jetzt her! – gelegentlich einer kleinen Probefahrt im Hafen von Kopenhagen den uns schwer verständlichen mündlichen Erläuterungen eines Monteurs der Fabrik gelauscht. Nun mußte sich also zeigen, ob vier Naturforscher imstande waren, das Wesen eines Dan-Motors zu ergründen.

Aber das war etwas für Dr. Georgi. Bei der Verteilung der Chargen in unserem Schiff war ihm nicht durch bloßen Zufall die Rolle des Chef-Ingenieurs zugesprochen worden. Er war zwar weder Ingenieur noch überhaupt Techniker, sondern in seinem Zivilleben Dr. phil., Regierungsrat und Meteorologe an der deutschen Seewarte in Hamburg, – alles Dinge, die wenig helfen, wenn man einen Dan-Motor in Gang setzen soll. Aber daneben verfügte er sozusagen außerdienstlich über Fähigkeiten und Eigenschaften, die ihn für unsere Unternehmung oft zum rettenden Engel machten. Alles, was Maschine hieß, übte stets auf ihn eine magische Anziehung aus, und er fand sich erstaunlich schnell damit zurecht.

Er stand einige Tage in unseren Maschinistenanzug gekleidet im Maschinenraum auf dem Kopf, wurde schwarz und riß sich die Hände blutig und dann – wahrhaftig! – dann lief der Motor! Wir kamen gerade zurecht damit, um der abfahrenden »Disko« mit wehender Flagge das Ehrengeleit bis aufs Meer hinaus zu geben.

Ich muß gestehen, daß ich unseren Motorbootfahrten mit etwas gemischten Gefühlen entgegensah. Daheim hatte man es nicht an erstaunten Fragen und Warnungen fehlen lassen, wenn man hörte, daß der Kapitän dieses Fahrzeuges ein Universitätsprofessor, der Maschinist ein Regierungsrat und die Matrosen ein Dr. phil. und ein Studienrat sein sollten. Wir hätten noch viel mehr zu hören bekommen, wenn die lieben Leute zu Hause nicht völlige Landratten gewesen wären und eine Ahnung von den wirklichen Schwierigkeiten besessen hätten, die uns »Seeleute« erwarteten.

Schon die Gezeiten!

Man kommt in den Hafen, legt das Boot auf passender Wassertiefe vor Anker und geht mit der Jolle oder dem »Moses«, wie die Seeleute sie nennen, an die Landungsbrücke und macht Besuche. Kommt man zurück, so ist das Wasser anderthalb Meter gefallen, der »Moses« hängt an der Fangleine in der Luft und das Motorboot sitzt auf dem Grund! Freilich passiert das nur dem Anfänger, denn es ist meist nicht schwer, durch einen Blick auf den Tangrand an den Uferklippen festzustellen, ob gerade Hoch- oder Niedrigwasser herrscht, und sich dementsprechend einzurichten.

Die »Krabbe« vor Anker und Trosse Hafen von Jacobshavn; rechts die » Krabbe« und der »Moses«

Schlimmer sind die blinden Schären. Sie geben selbst mitten im Hafen dem Boot Gelegenheit aufzulaufen, wenn man ohne Lotsen fährt. Am sichersten fühlt man sich deshalb immer bei großer Dünung, weil sich dann alle blinden Schären, die gefährlich werden könnten, durch Brandung verraten. Das war die Methode der alten Wikinger, und sie ist noch heute in Grönland die wichtigste, denn Seezeichen gibt es hier natürlich nicht, und die Karte ist überall da, wo es darauf ankommt, verkehrt.

Schließlich das Eis! So schön die Eisberge auch aussehen, so unbequem können sie als Nachbarn im Hafen oder auf der Fahrt werden. Sie kommen und gehen, und man kann froh sein, wenn sie einem nicht noch schnell einen Anker zerdrücken, wie es uns in Umanak geschah, die Trosse zerreißen oder sonst einen Schabernack spielen. Von besonderen Rüpeleien, wenn sie kalben oder sich wälzen, ganz abgesehen.

Einer der Riesen von der Jacobshavner Eisbergbank.

Wir brauchten noch mehrere Tage, um »klar« zu werden, und genossen unterdessen die herzliche Gastfreundschaft des Kolonieleiters Rasmussen und seiner Gemahlin.

Am Tage vor unserer Abreise kam der Landvogt von Südgrönland, Das ganze dänische Kolonialgebiet Grönland ist in die beiden Bezirke Südgrönland und Nordgrönland geteilt; die beiden höchsten Verwaltungsbeamten, die Landvögte, residieren in Godthaab und Godhavn. Ihnen sind die Kolonieleiter unterstellt. Honoré-Petersen, der von Godthaab an unser Mitpassagier auf der »Disko« gewesen war und nun seine jährliche Inspektionsreise antrat, mit seinem Motorboot längsseits des unsrigen und stattete uns seinen Abschiedsbesuch ab, zusammen mit Kolonieleiter Rasmussen und Frau sowie anderen Honoratioren von Holstensborg. Wir waren gerade beim Morgenkaffee und konnten unsere Gäste damit bewirten, und der Umstand, daß unsere »Tassen« je einen Liter faßten, verhalf sogleich zu einem ungezwungenen Verkehrston. Dann fuhr der Landvogt ab, die Kolonie und auch wir dippten die Flagge, und dann gingen auch wir an unsere letzten Vorbereitungen für die Abfahrt. Mit dem Kolonieleiter verabredete ich, daß an die grönländische Bevölkerung der Kolonie anläßlich unserer deutschen Expedition Kaffee ausgegeben wurde – ein uralter Expeditionsbrauch in Grönland, der in unserem Falle durch die Hilfe, die uns die Grönländer bei verschiedenen Gelegenheiten geleistet hatten, noch besonders begründet war.

Am nächsten Morgen, dem 26. April, lichteten wir die Anker und töfften zum Hafen hinaus. Die Flagge der Kolonie senkte sich dreimal als Abschiedsgruß für uns, und wir erwiderten den Gruß mit unserer deutschen Flagge!

Dieser Flaggengruß, der überall in Grönland üblich ist, hat etwas Herzerquickendes! Wenn wir – vielleicht nach einer harten Seefahrt – eine Kolonie anliefen und unsere Flagge setzten, die doch nicht die Landesflagge war, und wenn wir dann sahen, wie prompt auch in der Kolonie die Flagge hochging, dann wurde es uns warm ums Herz, dann fühlten wir, hier wohnen Menschen, bei denen wir uns zu Hause fühlen und für neue Unternehmungen Kraft sammeln können. Wer würde sich in Europa, selbst in dem kleinsten Badeort, um ein einlaufendes ausländisches Motorboot kümmern! Grönland, das Land der Gletscher und der öden Klippen, überschüttet seine Gäste mit Eindrücken; aber den stärksten Eindruck, den der Fremde erhält und der ihn im wörtlichen Sinne bezaubert, macht doch die Herzlichkeit und Gastfreiheit seiner Bewohner!

Als wir abfuhren, hatten wir den grönländischen Kajakmann Pavia Sandgren am Ruder stehen, um uns durch die Schären den Weg nach Agto zu steuern. Ich war im Zweifel gewesen, ob wir ihn brauchten. Bei gutem Wetter hätten wir außen an den Schären entlang fahren können, wo sich alle blinden Riffe durch Brandung verraten. Da hätten wir ihn entbehren können. Aber das Wetter war die letzte Zeit recht wechselnd gewesen, unser Motor war neu, und neue Motoren pflegen zuweilen stehen zu bleiben; wir selbst waren Landratten und Wissenschaftler, und die Umwandlung zu praktischen Seeleuten war noch nicht weit vorgeschritten. Da war es wohl besser, das Schicksal nicht zu stark herauszufordern.

Gleich beim Hinausfahren kamen wir in grobe See, die an den Klippen prachtvoll brandete. Sorge und Georgi fühlten sich veranlaßt, Neptun ein Dankopfer zu bringen, was aber Georgi nicht hinderte, den Motor weiter zu besorgen. Bald wurde es auch besser, als wir zwischen die Schären kamen.

Die Vorbeifahrt an der Mündung des nördlichen Strömfjords war ein aufregendes Schauspiel. In wilden Stromwirbeln setzte der Gezeitenstrom hier aus dem Fjord hinaus, so daß uns Neulingen manchmal die Haare zu Berge stehen wollten. Unser grönländischer Steuermann, der mitten in diesen Aufruhr hinein hielt, grinste nur: er kannte den Rummel! Die »Krabbe« machte ein paar drollige Seitensprünge und Richtungsänderungen, während sie von allen Seiten von seltsamen Spitzwellen umbrandet wurde, und dann waren wir hindurch.

Dieser erste Fahrtag verlief ausgezeichnet. Der Motor lief die ganzen 12 Stunden, ohne ein einziges Mal stehen zu bleiben, das Wetter wurde prächtig und machte die Fahrt zwischen den zahllosen Inseln zu einem Genuß, und der Wind kam von hinten, so daß wir sogar gleich unsere Segel ausprobieren konnten.

Die innere Struktur unserer kleinen Gemeinschaft hatte sehr schnell ihre endgültige Form erreicht. Vor allem waren wir uns bald einig geworden, daß wir aufhörten, uns gegenseitig Doktoren, Professoren, Regierungsräte und Studienräte an den Kopf zu werfen, sondern uns wie andere Menschen, beim Namen nannten. Von Georgis Funktionen war schon die Rede. Heute war er natürlich der große Mann. Sorge, der daheim als Studienrat Mädchen unterrichtet, sie freilich bisweilen auch auf das Matterhorn oder den Großglockner hinaufführt, erwies sich als segelkundig und entfaltete geniale Anlagen als Schiffskoch. Loewe, dem zu Hause nicht wohl ist, wenn er nicht täglich als meteorologischer Beobachter über 6000 m Höhe fliegt, wendete seine Erfahrungen im Orientieren und Kartenlesen nunmehr mit Erfolg auf die Seekarte an. Und ich selber – nun, ich war eben »der Alte« und hatte meine Pfeife zu rauchen. Das ist auch während der ganzen Expedition mein Privileg geblieben, denn meine Kameraden waren und blieben Nichtraucher.

Mit unserem Ankermanöver in Agto machten wir vor der vollzählig versammelten Bevölkerung einen sehr forschen Eindruck, an dem wir aber ganz unschuldig waren. Es ging mit voller Fahrt bis zum Ankerplatz. Der Anker fiel, die Maschine stoppte, und wir lagen da, wo wir hingehörten. Wir waren aber selber sehr erstaunt, denn gedacht war es ganz anders. Wir hatten in dem Augenblick, wo der Anker fiel, die Maschine auf rückwärts umgeschaltet, um dem Boot erst die Fahrt zu nehmen und dann den Anker durch Rückwärtsfahren festzuziehen. Dabei war aber unser Motor aufgewacht, der 12 Stunden lang vergessen hatte, stehen zu bleiben, und im selben Augenblick stand die Maschine still!

Georgi »kochte«. Im stillen habe ich zwar den Verdacht, daß er innerlich frohlockte; denn wie ich ihn kenne, interessiert ihn ein Motor, der klaglos läuft, viel weniger als einer, der an einem noch nicht erkannten Gebrechen leidet. Aber zunächst mußte die Untersuchung verschoben werden, da wir der freundlichen Einladung des Leiters der Außenstelle Außenstelle (Udsted) ist eine kleinere Ansiedlung, die der nächsten Kolonie unterstellt ist. Jörgensen und seiner grönländischen Frau zum Abendessen folgten, wobei wir auch gleich unseren Lotsen ablöhnten und für die Weiterfahrt nach Egedesminde einen neuen anwarben.

Am nächsten Morgen fand Georgi heraus, daß es das Auspuffventil war, das festgekommen war. Es wurde, zumal durch die lange Fahrt mit Vollkraft, so heiß, daß das Schmieröl an ihm teilweise verkohlte, und da es neu war und noch etwas stramm lief, so kam es immer gerade dann fest, wenn die Geschwindigkeit und damit die Temperatur herabging. Dieser Übelstand – eine bekannte Kinderkrankheit neuer Motoren dieser Art – machte uns auch in der Folgezeit öfter zu schaffen, besserte sich aber in dem Maße, wie die Ventilführungen durch längeren Gebrauch mehr ausgeschliffen wurden.

Gleich am nächsten Tage machten wir dieselbe Erfahrung. Nachdem der Motor die ganze neunstündige Fahrt bis Egedesminde ohne Störung gelaufen war, blieb er dicht vor der Einfahrt in den Hafen stehen, als wir die Geschwindigkeit verringern wollten, um Sorge, der auf Deck badete, Gelegenheit zu geben, sich vorher wieder anzukleiden. Unser zweites Anker-Manöver verlief daher weit weniger glanzvoll: wir mußten uns durch ein Ruderboot in den Hafen hinein bugsieren lassen.

In Egedesminde lag der Motorschoner »Saelen« (Seehund) und schickte sich gerade an, die Fahrt nach Umanak anzutreten. Durch Vermittlung von Kolonieleiter Fenker glückte es uns, von ihm noch eben vor seiner Abfahrt eine große, an uns adressierte Kiste herauszubekommen.

Diese Kiste war das Schmerzenskind der Expedition gewesen. Sie war auf dem Wege nach Kopenhagen im Eis stecken geblieben und hatte solange in einem der 1400 Eisenbahnwagen gestanden, die sich vor dem zugefrorenen Großen Belt ansammelten, bis wir nach Grönland abgereist waren. Dann wurde sie mit »Hans Egede« nachgesandt, der die »Disko« überholte und sie an uns vorbei bis Egedesminde brachte. Und nun war sie im Begriff, uns wieder zu entgehen und nach Umanak zu segeln, wohin sie, weiß der Himmel durch welches Versehen, adressiert war. Wären wir zwei Stunden später gekommen, so wäre sie weggewesen, und wir hätten das Nachsehen gehabt. Und dabei enthielt sie unsere Schlafsäcke und andere nützliche Gegenstände, die wir dringend brauchten. Aber jetzt war sie erwischt und mußte ihren herrlichen Inhalt hergeben.

Diese Nacht schliefen wir in geblümten Daunenschlafsäcken. Vor allen anderen vortrefflichen Ausrüstungsstücken, die uns die Sportfirma Schuster in München lieferte, gebührt nach einstimmigem Urteil aller Expeditionsteilnehmer diesen »Himmelbetten« die Krone. Sie waren ein Gedicht, man könnte auch sagen, die Schlagsahne zum Inlandeis oder – aber es, ist ganz unmöglich zu schildern, wie mollig und weich man in diesen schwellenden blauen und rotgrünen Polstern lag, gegen die Abrahams Schoß nur ein Nadelkissen genannt werden kann.

Natürlich verschliefen wir die Zeit. Wenn die Expedition nicht als Ergänzung zu diesen Schlafsäcken auch eine Weckuhr besessen hätte, so wäre ihre Arbeit in ernste Gefahr geraten! Schließlich kamen wir aber doch aus unserem siebenten Himmel wieder auf die Erde zurück und lichteten die Anker. Jetzt ging es nach Godhavn, und diesmal ohne Lotsen.

Ich war sehr gespannt, wie es gehen würde, wo wir nun ganz auf uns allein angewiesen waren. Aber es ging alles ausgezeichnet. Der Motor war in bester Laune und verzichtete sogar am Schluß auf den üblichen Schabernack beim Ankermanöver, das Wetter war kalt, aber schön, die Orientierung auf der Disko-Bucht nach der Seekarte machte keine Schwierigkeiten und schließlich fanden wir auch richtig und ohne langes Suchen in den kleinen versteckten Hafen von Godhavn hinein, dank dem kleinen Hafenplan, den ich mir auf der »Disko« aus Gardes Segelanweisung abgezeichnet hatte.

Wir hatten kaum unsere beiden Anker ausgebracht, da kam schon der Landvogt von Nordgrönland, Berthelsen, mit dem Leiter der Funkenstation, Ingenieur Holtenmöller, an Bord, um uns zu begrüßen. Es war gleich sehr gemütlich, denn wir saßen beim Kaffee und konnten unsere Gäste damit bewirten.

Von da ab haben wir freilich, solange wir in Godhavn lagen, nur noch selten an Bord gegessen. Wir wurden mit Einladungen geradezu überschüttet. Man konnte immer nur von einem zum anderen gehen. Beim Landvogt, bei Magister Porfild in der arktischen Station, bei Magister Olsen vom magnetischen Observatorium, bei Ingenieur Holtenmöller, bei Kolonieleiter Thorsen.

Manches für unsere Expedition Wichtige und Interessante lernten wir hier kennen. Den Höhepunkt bildete eine Hundeschlittenfahrt nach der 60 km östlich gelegenen Kohlenmine Skansen, die der liebenswürdige Landvogt mit seiner Gemahlin für uns veranstaltete. Sie ging über Land, 600 m hoch hinauf und wieder zur Küste hinab, und der Hauptreiz bestand darin, daß eigentlich nicht mehr genug Schnee zum Schlittenfahren da war. Da konnten wir einmal sehen, was ein Grönländer mit Hundeschlitten leisten kann!

Mein Schlitten wurde von dem Grönländer Jens Kleist gelenkt, der im Ruf steht, der beste Hundekutscher von Godhavn zu sein. Die sechs Meter lange, lassoartige Hundepeitsche schwang er mit einer wundervollen Sicherheit. Wenn er mit Kopfstimme sein »íu, íu!« rief, so liefen die gut dressierten Hunde auch schon ohne Peitschenhilfe nach links Merkwürdigerweise wird das gleiche Kommando (íu, íu) auch als bloßer Antrieb beim Übergang von Ruhe zur Bewegung oder auch während der Fahrt gebraucht. In diesem Fall soll die Betonung ein wenig anders sein. und auf »illilí, illilí!« nach rechts. Wenn er gelegentlich bei solchen Kursänderungen die Peitsche gebrauchte, so geschah es nur so, daß er einige Male hintereinander neben dem Flügelhund auf den Schnee schlug. Ging es im Schnee steil bergab, so bremste er, indem er sich hinten auf den Schlitten stellte und sich mit seinem Körpergewicht an die »Opstenger« hing, so daß sich der Schlitten vorn hochhob und mit der scharfen Hinterkante der Kufen tief in den Schnee einschnitt. Bei noch steilerem Bergabfahren wurden die Hunde mit dem Kommando »unipok!« (= Halt!) seitwärts zurückgetrieben, bis die eine Schlittenkufe über die Zugleinen fuhr und das ganze Gespann hinter dem Schlitten war und bremste.

Meinen Kameraden wurde auf dieser Fahrt etwas ängstlich zumute bei dem Gedanken, daß solche Künste später auch von ihnen verlangt werden könnten. Für uns Passagiere war es nicht einmal leicht, sich auf dem Schlitten festzuhalten, und mehr als einmal kam es vor, daß jemand hinabtrudelte!

Am 3. Mai liefen wir wieder mit der »Krabbe« aus dem gastlichen Hafen von Godhavn heraus und nahmen Kurs über die Diskobucht nach Christianshaab. Der Himmel war bedeckt, so daß die obere Hälfte der Basaltklötze von Disko in den Wolken steckte, und es wehte ein kühler Nordost, der über dem wärmeren Wasser starke Luftspiegelungen nach unten verursachte.

Wir legten den Kurs an den Kronprinzen- und Hundeinseln und dann an den niedrigen Grünen Inseln vorbei. Die Luftspiegelung erschwerte sehr die Orientierung. Man konnte oft die Eisberge nicht vom Land unterscheiden, und flacheres Land wurde überhaupt erst aus erstaunlich geringer Entfernung sichtbar. Aber wir kamen gut hinüber und fanden schließlich auch die idyllisch gelegene kleine, aber alte Kolonie Christianshaab.

Hier erkundigten wir uns bei Kolonieleiter Andersen nach den Eisverhältnissen auf dem Tasiusak, dem bekannten Zugang zum Jakobshavner Eisstrom. Wir hätten gar zu gern die jetzige Lage dieses seit 1850 um viele Kilometer zurückgegangenen Riesengletschers festgestellt, und in Godhavn wollte man wissen, daß der Tasiusak noch eisbedeckt und für Hundeschlitten geeignet sei.

Letzteres war nun leider nicht der Fall. Im Gegenteil erhielten wir in Christianshaab die Auskunft, daß die für uns in Frage kommenden Arme des Tasiusak bereits stark von Stromwaken durchsetzt und nicht mehr mit Schlitten passierbar seien, so daß man überhaupt nicht mehr darauf rechnen dürfe, daß die Eisdecke noch eine Woche lang bestehen bleibe. Da war also nichts zu machen, wenigstens im Augenblick. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, dachten wir, und beschlossen, zu Hause ein Faltboot zu bestellen; es war ja möglich, daß sich im September, wenn wir vor der Heimreise auf das Schiff warteten, eine Gelegenheit bot.

Wir fuhren also am nächsten Tage nach Jakobshavn weiter. Die Fahrt führte uns an der Eisbergbank vorbei, wo die vom Jakobshavner Eisstrom stammenden Eisberge den Grund berühren und den Fjordausgang so verrammeln, daß sich ungeheure Mengen von Kalbeis und Eisbergen im Fjord ansammeln. Kommen dann einmal ein paar von den Eiskolossen frei, was jährlich ein paarmal vorkommt, so speit der Fjord in kurzer Zeit ungeheure Eismassen aus, so daß die ganze Diskobucht mit Eisbergen und kleineren Brocken gespickt ist.

Die Fahrt an diesen schweigenden Riesen vorbei war wundervoll. Aber wenn man nicht gerade photographieren will, tut man am besten, sich in respektvollem Abstand von den porzellanartigen Mauern und Türmen zu halten. Denn mitunter fällt es einem solchen alten Herrn ein, sich auf die andere Seite zu drehen, oder auch einen Turm oder ein Stück einer Wand abzuwerfen, oder er schickt von seinem Hunderte von Metern tief unter das Wasser reichenden Fuß ein Stück empor.

In Jakobshavn brachte uns Kolonieleiter Knudsen unsere Post, die erste seit unserer Abreise. Und dann kam der Grönländer Tobias Gabrielsen, mein alter Kamerad von der Danmark-Expedition 1906-08, an Bord, um uns von nun ab ständig als Ortskundiger und Motormann zu begleiten. Ich hatte ihn schon vor unserer Abreise von Hause funkentelegraphisch zur Teilnahme aufgefordert und während der Fahrt auf der »Disko« von ihm wieder funkentelegraphisch die Zusage erhalten. Damit war sozusagen der Auftakt unserer Expedition beendet. Nun ging es an unser eigentliches Arbeitsprogramm, das zunächst eine Handschlittenreise auf dem Inlandeise im Gebiet der Diskobucht vorsah.

Einiges gab es noch in Jakobshavn zu erledigen. Um für Tobias Platz zu schaffen, mußten wir die im Vorraum der »Krabbe« untergebrachten Proviantkisten wieder herausholen und sie teilweise am Lande im Lagerhaus abstellen. Dann mußten wir Petroleum in die Tanke nachfüllen und Süßwasser einnehmen. Auch mußte nun endlich die Dunkelkammer, die bisher mit Gepäck überfüllt war, ihrer Bestimmung zugeführt werden. Aber mit Tobias' Hilfe gingen diese Arbeiten schnell von der Hand, und nach einem prächtigen Abend im Hause des Kolonieleiters, wobei Sorges musikalische Talente zur Geltung kamen, konnten wir am 6. Mai aufbrechen.

In der Nacht hatte es Schneegestöber gegeben, und als wir aufwachten, lagen 10 cm Neuschnee auf der »Krabbe«, und alles Land war weiß bis zum Meer hinab. Sogleich hob ein großes Bürsten und Fegen an, gefolgt von Deckspülen, um die letzten Schneereste zu beseitigen. Nach einem hastigen Frühstück wurden die Anker gelichtet, und wir dampften unter gegenseitigem Flaggengruß aus dem kleinen Hafen von Jakobshavn hinaus.


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