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Der wilde Eisengrein


Diese bayerische Mythe ist Reinhold Koeppel zugeeignet,
dem kraftvollen Maler des Böhmerwaldes


Auf der Kegelstatt zu Sankt Oswald heben sie an zu scheiben und mit steinernen Krügen und blechernen Kandeln einander zuzusaufen, lauter verwogenes, unnützes Volk, denn rechtschaffene Leute haben, da es noch lichter Tag ist, in ihrem Gewerb zu schaffen und kränken nicht mit lästerlichem Müßiggang die Sonne am Himmel.

Unter dem lärmenden Gesindel tut sich sonderlich ein sicherer Salvinus Ledl herfür, ein weit berüchtigter Kerl, der aus allen Scheibstätten von der Donau herauf bis zu den Dörfern Siebenellen und Guglöd studiert hat und mit alle Kegelkugeln verschworen ist und ihre Pfiffe und Kniffe auswendig und inwendig kennt, so dass die neun Kegel wie besessene Hühner auseinanderstieben, wenn er darauf angelegt hat. Und darum reckt sich der Salvinus Ledl steif über seine Spießgesellen hinaus und spreizt sich wie ein Tauber auf dem Kobel. Keiner auf der ganzen Welt übertrumpft ihn in seiner Kunst.

Auch heute scharrt der fahrende Kegelscheiber allen Gewinst zusammen und leert den anderen den Beutel. Drum tritt der schwarze Ernes von der Finsterau verdrossen und ohne Hoffnung an. Er erkrallt eine Kugel, bläst sie an, als wolle er ihr seine Seele einfauchen, schwingt sie und springt ihr in weitem Satz nach, lässt die grüngelben Augen sprühen und duckt sich in sich selber zurück wie ein lauernder Marder. Es ist ein scharfer Schub gewesen: der Kranz um den König ist umgelegt, acht ungetüme Kegel hat der Ernes zur Strecke gebracht. Des ist er aber nicht zufrieden. Er zuckt sein passauisch Messer, als wolle er den König abstechen, der sich nicht hat stürzen lassen. Er flucht: »Dass dich der Teufel fress!«

Der Salvinus Ledl kratzt sich die schiefe Nase. »Du bleibst dein Lebtag ein Lehrbub, Ernes!« spottet er. Er winkt einem alten Mann, der mit speichelnden Mundwinkeln sich an die Bahn herangedrängt hat und zuschaut. »He, Hieselhies, du schneeweißer Wildbretschütz, zeig du es, wie man den König umstößt!«

Der Hieselhies, ein verschrumpftes, überjährtes Büblein, vor Betagtheit zitternd wie ein Espenblatt, wehrt ab: »Bin nimmer taugsam. Bin bereits ohnmächtig. Völlig ohnmächtig. Ja voreh, – voreh –!«

»Scheib!« drängt der Salvinus. »Du bist dreimal so alt wie ich, du triffst es dreimal besser –!«

»Mir glückt nix mehr«, lallt der alte Wilderer. »Die Hand zittert mir. Nix mehr Hirsche schießen, nix mehr scheiben! Nix – mehr!«

»Du hast einmal den springenden Bock aufs Blatt getroffen«, reizt ihn der Salvinus, »und heut traust du dich nit einmal mehr gegen die neun hölzernen Brüder, die sich nit rucken und nit rühren und schön geduldig auf den Schub warten?« Schäm dich! Wirtschaft, schenk ein!«

Der Hieselhies hinkt zur Scheibstatt, ächzt und bückt sich nieder und holt mit den hässlichen, gichtverbeulten Fingern die zarteste, schmächtigste Kugel aus der Lade. Kinn und Knie schlottern ihm, müd von allem Ursprung aus rollt die Kugel dahin und bleibt schließlich mitten auf der Bahn weit vor dem Ziel liegen.

Die Kegelscheiber lachen ohne Erbarmnis über den matten, schier schläfrigen Wurf. Der Alte aber greift hastig nach einem Krug, hinter einem tiefen Schluck seine Schande zu verdecken und zu vergessen, das Blechseidel verfehlt in den unsicheren Händen die Lefzen, und das Bier ergießt sich über die Joppe. Weinerlich murmelt er: »Bin kein Mann mehr! Bin nur noch ein Spittel!«

Derweil langt sich der Glasmacher Oswald Eder auf Siebenellen eine Kugel aus der Rinne und wiegt und betrachtet sie nachdenklich. So ungefähr hat wohl der Herrgott die Weltkugel angeschaut, ehe er sie aus dem Himmel hinausgetrieben hat mitten zwischen Sonne und Mond hinein. Hernach tippt der Glaserer bedächtig mit seinem spitzigen Zeigefinger auf die Kugel, holt weit aus und wirft sie gäh von sich. Sie läuft schief, schlägt an die Seitenbretter und rafft trotz ihrer eiligen Kraft keinen einzigen Kegel hin.

»Du hast krumme Augen!« höhnt der Salvinus.

»Heut geht mir alles zu zwerch«, greint der Glaserer, »weil ich der Wöcklin begegnet bin, der alten Hex.«

Jetzt scheint es dem Salvinus Ledl wieder einmal an der Zeit zu sein, sich in seiner Pracht zu zeigen. Er wählt die ebenmäßigste und rundeste Kugel, – aus dem Magen eines kranken Rosses soll sie geschnitten worden sein –, er wirft sie sanft und zärtlich in die Luft, fängt sie wieder auf und streichelt und küsst sie, als wolle er sie mit solcher Liebkosung bestechen. »Freundschaft«, prahlt er, »jetzt schaut mir zu und tut mir es nach! Ich bin die Kegelpest!«

Der schwarze Ernes von der Finsterau speit ihm schnell über die Bahn, dass ihm nach altem Aberglauben die Kugel irr laufe.

Aber der Salvinus Ledl lacht: »Du verhext mir den Wurf but, und wenn der Teufel selber mir den Fuß vorhalten tät, und wenn die neun da draußen mit eisernen Wurzen eingewachsen wären in den Grund, und wenn sie alle lauter Teufel wären und mitten drunter stünd unser Herrgott, fallen müssen sie alle!«

Und seine Kugel fährt fröhlich dahin. Mit dem hellen, freundlichen Klang eines prallenden Flegels schlägt sie ein und bäumt sich hoch an der Rückwand der Bahn, ehe sie sich beruhigt. Die Kegeln purzeln samt und sonders über einander, und der Bub draußen, der sie betreut und aufbaut, lüpft das Hütel und juchzt: »Alle neun!«

Der Salvinus Ledl bläht sich auf. »Wer tut es mir gleich im bayerischen Wald?«

Die Gesellen rings nicken mürrisch, schnupfen ihren scharfen Tabak und schütten das Bier freudlos in die Gurgeln.

Nur einer unter ihnen teilt den verbissenen Ärger nicht. Am Rasen lümmelt er und lacht ein hohes, starkes Lachen, dass es ihm darunter den Bart schüttelt, der verfilzt und vermoost ist wie der Trudenbesen an einer wunderlichen Fichte. Gelbe, gewaltige Zähne blecken ihm schräg aus dem Maul.

»Was zahnst du, du Narr?!« rasselt der Kegelkönig ihn an. »Kannst du es besser, so heb dich und scheib!«

Der Eisengrein, derzeit Stier- und Waldhirt der guten Stadt Grafenau, kniet sich gemächlich auf, da ist er schon fast so groß wie der Salvinus, und wie er auf seinen breiten, bloßen Füßen steht, überwächst er alle die übrigen um die Länge zweier Köpfe. Er ragt wie ein hocherwachsener Baum im Knieholz.

Er langt nach der unförmlichsten, täppischesten Kugel, die von allen gemieden wird, weil sie sich gar nicht in die Hand fügen will. Er sagt: »Jetzt loset einmal her, Gesindel!« In seiner verbarteten Wange rötet sich ein kahles, zackiges Mal, das dem Rinnsal gleicht, welches en Blitz geschrotet hat.

Der Salvinus Ledl wird unruhig. »Ich merk es dir an, du spielst rau«, argwöhnt er. »Aber mehr als neun Kegel schmeißt nit einmal der heilige Peter.«

Die wilden, schlauen Augen des Eisengrein erwägen den Wurf nicht. Ohne Kunst und ohne Finte, ungestüm schleudert er die Kugel von sich, dass sie wie aus einer Feldschlange geschossen durch die Luft saust und die Tenne nicht berührt: die klotzigen Kegel sprengt sie auf und schlägt mit ungebrochener Wucht an die hölzerne Rückwand, so dass diese zerfetzt hinsinkt und dem unheimlichen Geschoß den Weg frei gibt weit in die Wiesen hinaus.

Den Keglern verschlägt der grobe Gewaltwurf den Atem. Der Glasmacher Eder bekreuzt sich und wird weiß wie Kalk. Der Ernes aus der Finsterau flucht: »Da soll der Teufel die Stange halten!« Und der Salvinus Ledl schnappt wie ein Hecht, der aus den Wassern der Ilz gerissen worden, und glurrt den unbändigen Kerl an. Der setzt sich an den Tisch und stemmt die breiten Ellbogen darauf.

»Aufhören! Schleunig aufhören!« zetert der Wirt von Weitem. Fast verschweppert er die geräumige Kandel, die er des Umtrunkes halber herbeigeschleppt. »Den Schaden leid ich nit, allsamt müsst ihr ihn mir vergüten!«

Der Salvinus Ledl, durch den ungeschlachten Schub des Hirten in Ruf und Ansehen gekränkt, krümmt unwirsch die Oberlefze bis zur Nase hinauf und knirscht: »Der Lümmel darf mir nimmer scheiben! Das ist keine Art.«

»Der Lump!« schmäht der Wirt. »Hundert Maß hat er schon seit heut früh gezwungen und eine jede auf einem einzigen Zug! Das soll man ihm nit angelten lassen! Zum Spott tut er uns das! Als ob unser ehrwürdig Probsteibier gar geringschätzig wär und keinen umschmeißen könnt!«

Er stellt die schwere Kanne auf den Tisch und reckt dem Eisengrein die Faust unter die Nase. Der aber tappt tückisch nach dem Gemäß und leert es mit einem wüsten bayerischen Schluck.

»Wir haben um die Kandel kegeln wollen, jetzt hat er sie uns ausgesoffen!« jammert der Glaserer.

»Alle, wie ihr da seid, sauf ich über den Haufen!« lacht der Eisengrein und wischt sich den Bart.

»Wenn er nur den Bären auch so kräftig und unverzagt zusetzen tät wie dem Bier!« schilt der Wirt. »Aber gegen die Bären, da traut er sich nit, da muckst er nit auf. Drei Stiere haben sie ihm heuer schon gerissen. Die Häute schickt er den Grafenauern, das Fleisch frisst er selber!«

Der Stierhirt nickt behaglich, er gibt es zu. Verzottet hängt ihm das Haar über die Stirn nieder, die ungeheuren, grauen Augen leuchten. Auf den bocksledernen Kniehosen hat er die bedenklich großen Pratzen zur Schau liegen.

»Fahr deine Ziegel heim und bau denen Backofen!« eifert der Bierzapf. »Hast du heut nit schon genug vertan?! Eine Sünd ist es, und traurig ist es, dass dir der Wirt selber es vorhalten muss, dass du an einem Tag versaufst, was du in einem Jahr verdienst!«

Der Glaserer höhnt: »Fahr heim in deine Wildnis, Eisengrein! Eine steile Weide hast du hinterm Lusendorf. Deine Stiere gehen auf Steigeisen, und zwischen Pfingsten und Johanni erfriert man sich droben die Fersen.«

»Von sieben Dieben ist das Dorf am Lusen angelegt worden«, erzählt der Wirt. »Den Strick hat man ihnen erlassen, aber dafür haben sie müssen die schauerliche Einöd bauen. Ich hätt mich ehender hängen lassen!«

Der Stierhirt grinst fröhlich. »Das mit den sieben Dieben, das ist wahr. Ich bin der achte.«

Die Kegelschieber lassen sich um den bloßköpfigen Riesen nieder wie ein Flug Krähen, der einen Uhu necken will.

»Hinter seiner Einöd steht das alte Hochgericht«, stichelt der Glaserer. »Und die sieben Diebe stehlen den armen Sündern die Hosen und die Galgenleiter.«

Der Eisengrein kratzt sich die bärtige Brust, ergreift mit dröhnendem Gelächter den Krug des Spötters und trinkt ihn bis auf den Grund.

Der Glasmacher wettert: »Lass ab, du Saufaus! Aufhängen soll man dich wie den Gonauser! Verschaffen soll man dich in die Rachelwände!«

»Steh auf, Glasmanndel!« erwidert der Hirt. »Lass mich abseits treten!« Er schnellt mit dem Finger, und das klingt, als knacke er eine Nuss; hernach dupft er den Nachbar in die Rippen, dass der mit einem Wehschrei auffährt.

Derweil der Eisengrein hinter der nahen Linde lehnt, verschwören sich die andern flüsternd gegen ihn, denn sein gewaltsam Wesen hat sie ebenso verschüchtert wie gereizt.

»Prügeln sollt man ihn, dass er liegen bleibt!« hetzt der Salvinus Ledl.

Der Glaserer wiegt den Kopf. »Er ist neunrösserstark! Keiner kommt ihm bei.«

»Mit einem spitzigen Messer hilft man einem jeden!« wispert der schwarze Ernes.

Doch der alte Wildschütz stammelt: »Hilft nit allweil. Mir – mir tut das Eisen nix!« Er kann nur sehr schwer reden: die Zunge liegt ihm bleiern im Maul, seit der Schlag ihn gestreift hat.

Der Wirt, der besser als ein Balbierer schwätzen kann und allerhand Altertümliches und noch mehr Neuigkeiten weiß, hebt an, die Kraft des Eisengrein zu rühmen. »Mit dem Landrichter hat der Eisengrein einmal gewettet, er tät ihm das Ross aufhalten. Es ist ein mächtiges Trumm Ross gewest. Der Landrichter will bei Schildretschlag über die Rehbrucken reiten, da wickelt sich der Eisengrein dem Schimmel seinen Schweif um die Faust. Jetzt, Rössel, zieh an! Der Landrichter schlägt und spornt drauf los, dass dem armen Vieh schier das Heu aus der Wampe hängt. Umsonst! Keinen Schritt hat es tun können.«

»Er soll sich nur nit gar zu viel einbilden auf seine Stärke!« meint der Aschenbrenner von der Guglöd. »Gar zu große Kraft tut nit gut, sie kehrt sich meist gegen sich selber.«

»Das ist wahr, seine Stärke taugt nit«, bestätigt der Wirt. »Vorzeiten hat der Eisengrein im Land herunten den Bauern gedient, da hat er mit der Drischel Gruben in die Tenne geschlagen und die Körner derart zermalmt, dass keine Mühl mehr vonnöten gewest ist. Alles Werkzeug ist ihm in der Hand zersplittert, hätt sollen alles steinern sein und hätt auch da nit stand gehalten! Und gefressen hat er, dass ihm keine Köchin hat klecken können! Drum haben die Grafenauer ihn schließlich in die Wildnis geschickt. Verschafft haben sie ihn wie einen bösen Geist!«

Der Aschenbrenner lenkt ein: »Weil er keinen Wolf und keinen Luchs nit fürchtet, drum haben sie ihn zum Stierhüten auf dem Berg Lusen bestellt. Er scheut nix, das muss man ihm lassen.«

»Nu den Donnerschlag scheut er«, kichert der Hieselhies, der Wilderer.

»Wenn ihm der Bär das Vieh reißt, taugt er auch zum Hirten nit«, brummt der Salvinus abfällig.

Der Wildschütz murmelt: »Ich weiß, was er tut – mit den Stieren. Verraten sollt ich es – den Grafenauern! Aber ich fürcht – ihn!« Er presst die kargen Lefzen aneinander und ist still, denn der Hirt kommt zurück.

Der Bierzapf schreit ihm entgegen: »Du baust wohl einen Backofen, du Klachel? He?«

»Höhö! Das schon!« antwortet der Stierhüter und knäufelt sich ohne jegliche Eile den Hosenlatz zu.

»Du isst gern große Laibe«, lacht der Wirt tückisch. »Sie dürfen nit geringer sein als ein ausgewachsener Mühlstein. Wie eine Ritterburg wirst du deinen Ofen hinbauen müssen. Oder willst du dich gar drin verstecken, wenn das milde Wetter kommt?«

Verstört schaut der Hirt zum Himmel auf, aber der ist spiegelklar und trägt nur ein einziges, harmlos und selig sich lösendes Wölklein. Da schwillt eine blaue, arge Ader auf seiner Stirn, sein Sperberblick stößt hart gegen den, der sich erkühnt hat, ihn an seine schwache Seite zu erinnern und bloßzustellen vor den johlenden Kegelbrüdern. »Wirt«, murrt er, »handelst du noch allweil mit dem stinkenden Schmalz? An den Schandstock sollt man dich binden – in der hellen Sonne, dein ranziges Schmalz sollt man dir auf den Kopf legen, dass es dir übers Hirn nieder rinnt! Und einschenken tust du nur wo weit, als du den Daumen in den Krug bringst, und dein Daumen ist hübsch lang!«

»Du Lügenhund«, rauscht der Wirt auf, rot wie ein Zehenthahn, »das Bayrerland sollt man dir dein Lebtag verbieten!«

Jetzt flimmert der Hieselhies den Hirten an mit schiefem Blick, drin alter, unverjährlicher Hass brennt. »Drei Stier sind wieder hin, he! Was hast du getan – mit dem Stierfleisch?«

»Gefressen, Wildbretschütz! Höhö, soll es verfaulen?«

Der Hieselhies droht mit zitterndem Finger: »Stierhüter, – ich weiß – alles!«

»Kennst du mich, alter Dachs, so kenn ich dich noch besser«, sagt der Eisengrein. »Höhö, einen Raubschützen weiß ich, der hat den Oberjäger Stöckel angeschossen, hat ihn verscharrt bei den Schächtenwiesen. Die Hunde haben hernach den Toten ausgegraben, und da hat man gesehen, wie seine Fingernägel in Fetzen zerarbeitet gewesen, wie er verzweifelt gewühlt hat unter der Erden. Lebendig hast du ihn verscharrt, Hieselhies!« Und er deutet mit dem Finger auf den Alten.

Alle sitzen dumpf und betroffen von der Kühnheit des Mannes, der verstohlen gerauntes, scheu bewahrtes Gerücht hier mit vollem Hals ausschreit und es dem Schuldigen rücksichtslos in die Zähne stößt.

»Das münzt du auf mich«, keucht der Wilderer, »und ist alle – Lug und – übles Gespinst – und kein Wörtel wahr! Raufen kann ich nimmer – mit dir, – aber ich schieß einmal – auf dich, Hirt!«

»Du triffst nimmer«, höhnt der Eisengrein, »du zitterst zu viel!«

»Hüt dich!« droht der Alte. »Ich hab schon allerhand Kunden – das Licht weggeblasen!« Vor Aufregung verschlägt es ihm die Rede, er weist auf seine Zunge, sinkt in sich selber hinein und drückt die welken Augen zu.

»Niemand darf es ernst nehmen, was der Hieselhies da redet«, beschwichtigt der Wirt. »Er geht schon lang nimmer mit der Büchse aus. Vor zehn Jahren ist er das letzte Mal wildern gegangen, in der Heiligen Nacht ist es gewesen, er hätt es nit tun sollen. Da hat sich der Himmel droben ihm aufgetan mitten in der Wildnis. Siderher jagt er nimmer.«

»Hieselhies, was ist dazumal geschehen?« fragt der Salvinus Ledl. Der Alte redet nicht. Die Augen schlägt er ins Leere auf, starr und entsetzt noch in der Erinnerung an etwas unsäglich Furchtbares.

Der schwarze Ernes aber faucht: »Auf einem alten Fuchs reiten die Raben. Den müden Kerl, der nimmer kratzen und beißen kann, den springt er an, der Eisengrein!«

Der Stierwächter scheint ihn keines Gehöres zu würdigen. Breit lehnt er sich zurück und glüht die Leute an, die er aus dem Gefühl seiner maßlosen Überkraft heraus verachtet. »Ihr Erdenwürmlein«, dräut er, »ich bin der Herr. Ihr alle müsst euch ducken! Ein Jahr lang hat mich meine Mutter im Leib getragen, neun Jahre lang bin ich in der buchenen Wiege gewiegt worden. Euch alle steck ich ins Knopfloch!«

Die Gesellen rings ziehen die Köpfe ein, als gelte es jetzt, sich vor einem niederpolternden Geröll zu schützen, und der Eisengrein schaut einen um den andern hochmütig an und verleiht jedem einen Schimpfnamen, dem einen sagt er: »Du windiger Grill!« dem andern: »Du Spinnwittenfresser!« und was derlei Schandwörter mehr sind, womit man ohnmächtiges Gesindel bedenkt.

Plötzlich aber sänftigt er die grobe, übermütige Stimme gar überraschend und hebt an, lind und unbeholfen zu schmeicheln: »Jetzt bitt ich euch dringend, liebe Freunde, rauft mit mir!«

Als sie verdutzt und geduckt in ihrer feigen Stille verharren, springt er auf den Anger hin, wirft sich in die Knie, reißt das Gras in dicken Büscheln aus dem Grund und bettelt heftig: »Rauft mit mir! Ich bitt gar schön!« Hernach schnellt er auf, umklammer die Linde, die die Kegelstatt übergrünt, rüttelt sie grimmig und lechzt: »Raufen mag ich, raufen!«

Nachdem er eine hübsche Weile wie ein unvernünftiges Vieh getobt hat und sein Anliegen nicht erhört worden ist, wird er wieder rätselhaft ruhig, seine schlauen Augen glimmen, weit beugt er sich über den Tisch hinüber, und seine Rede ähnelt dem schwülen Auflauf des Wettergewölkes. »Unter uns Lumpen sitzt einer, der hat einmal dem Hoin in Elmberg eine Kuh abgekauft. Der Hoin nimmt das Geld und tut es in den Kasten im Winkel. Und der die Kuh erstanden hat, der zupft sich den kohlschwarzen Schnauzbart, und sein nigelnagelneues Geld tut ihm leid. Und er treibt die Kuh davon, bindet sie im Wald an, schleicht zurück und zündet am helllichten Tag dem Hoin die Scheuer an. Hernach schreit er ihm zum Fenster hinein: ›Bauer, du knotzest in der Stube, und dein Stadel brennt!‹ Der Hoin sitzt gerad bei der Suppe, und wie er das hört springt er auf und rennt mit seinen Leuten hinaus. Derweil geht der Dieb über die Winkelkasten her, räumt ihn fein sauber aus und stiehlt sich sein Geld wieder. Aus der Finsterau ist er her, und grüne Augen hat er!« Also erzählt der Eisengrein und bläst dem schwarzen Ernes den Bierfaum ins Gesicht.

Der ist schon in der Höhe. Wie ein Ratz faucht er: »Dass dich der Teufel umstoß!« Der Eisenbrein aber schlägt ihm das Messer aus der Hand, dass es hoch in den Lüften blitzt.

Im Hui sind alle über den Stierhüter her, sie umpranken seine Hüften, hängen sich ihm in Schopf und Bart, drosseln sein Genick, stoßen ihn in die Kniekehlen, mit den steinernen Krügen zerdreschen sie ihm den Schädel, sie holen die Kegel und bengeln ihn auf Buckel und Lenden.

Er lacht hallend. »Höhö! Her auf mich! Her, her! Eure Fäuste will ich schmecken! Haut zu! Schlagt fester zu, dass es mir durch die Haut geht! Schlagt mir die Haut voll! Verschont mich nit! Höhö, ich spür ja nix, ich trag ein grobes Leder!« Er lässt sich auf Schädel und Rippen trommeln und steht willig wie ein Amboss.

Müder schon gurgeln die Flüche. Den Raufern trieft der Schweiß, sie hauen darein mit Fäusten, Knien und Füßen, sie quetschen, zwicken, reißen, zerren, krallen und stoßen mit Raufeisen und Sanktantoniringen in den berghaften Leib des Feindes hinein. »Reißt ihm die Federn aus!« eifern sie sich schnaufend an. Doch lahmen ihre Arme schon von der vergeblichen Mühe, den Lusenhirten zu erschlagen.

Auf einmal aber schnaubt seine ungeheure Brust auf. »Jetzt ist es an mir!« jauchzt er.

Er zuckt. Da ist die Meute abgeschüttelt, die ihn umklammert gehalten. Die Pratzen hebt er: sie sind fast so groß wie Brotlaibe. Den einen schlägt er auf das Maul, dass das Blut hervorschießt; dem andern reißt er ein Schübel Haare aus; den dritten trifft er in die Brust, dass er sich überkugelt.

Aber die Widersacher wollen sich diesmal nicht werfen lassen, sie fallen ihm vorn und hinten und seitlings in den Arm, sie versuchen, ihm die Füße auszuheben, um ihn auf die Erde zu bringen.

Da flammt das zackige Mal in seinen Bart, der Schopf borstet sich ihm schroff auf, er schnarcht empor und reißt die gewaltige Eichenplatte vom Tisch und wettert darein.

Aus rauen Hälsen gröhlen sie: »Helft, helft! Hirnbrünstig ist er worden, der Höllenrammel!«

Er ist ein losgelassenes Ungewitter, Schlag auf Schlag geht er nieder, jeder holt sich sein Teil, es braucht keiner dem andern zu neiden, jeder kriegt genug. »Nur her, nur her!« frohlockt der Eisengrein. »Dich zermergel ich! Dich zerfetz ich! Dich blas ich in den Wind! Dir reiß ich das Gelüng aus! Dir das Geschling! Nur her, nur her!«

Winselnd knäueln sie sich am Boden, mit blutenden Schädeln kriechen sie von dannen, sie wehren vergebens die schrecklichen Hiebe ab. Abseits klagen und kreischen die aufgestörten Weiber, Hunde eilen kampflustig herzu und flüchten wieder heulend und mit eingekniffenen Schwänzen. Zu guter Letzt fängt das Sturmglöckel der Oswaldkirche zu läuten an.

Erst als der Wirt in höchster Bedrängnis schreit: »Ein Wetter kommt!« lässt der Eisengrein das Brett fallen und lugt bedachtsam zu dem dämmernden Abend hinauf, und sein Blut ist auf einmal von der wütenden Rauflust erlöst.

Getrost spann er sein Ross in den Karren, derweil die Schwüre und Flüche der Zerbeulten, Getretenen, Blutrünstigen über ihn hinweg rinnen und das Glöckel immer noch Sturm und Mordjo gellt, dass selbst der Propst Vitus Camutius, seiner Leibesfülle ungeachtet, unverzüglich daherkommt.

Da schallt Heulen und Zähneknirschen wie unter den Verdammten der Höllenklunst, und der geweihte Mann überschaut flugs den Jammer, den eine unbotmäßige Kraft hier gesät.

»Er wildmäßiges Vieh!« herrscht er den Hirten an. »Er saugrober Züls! Seine Stiere allsamt laufen nicht so viel wie er! In seinem Rausch zertrampelt er die Welt! Schäm er sich!«

»Du hast leicht predigen«, erwidert der Eisengrein, »du riechst an dem roten Landshuter Wein, derweil ich das matte Klosterbräu schlünden muss!«

»Fauch nicht so widerwillig gegen großachtbare Leut! Weiß er, wer ich bin? Ich bin durch Gottes Erbarmung Propst von Sankt Oswald.«

»Und ich bin der Lusenhirt!« prahlt der Eisengrein.

»Wenn er noch ein paar Sommer in der Einöd bleibt, wird er ein Bär. Ei, warum kommt er nicht zu mir beichten, er Afterchrist?«

»Sollich einem Schmerhafen beichten?! Nach Sankt Oswald bin ich nit eingepfarrt. Mein Beichtvater ist der Fuchs.«

Dem Propst Vitus Camutius rinnt die Galle über. »In die Hölle wirst du eingepfarrt, der Teufel wird dein Aufenthalt sein, du allergröbstes Holz du!«

»Am Lusen droben wächst nix Zärtliches, Propst!«

»Deck er sich lieber die pudelraue Brust zu! Und setz er künftig einen Hut auf den Schädel! Ist das eine Art, so rauköpfig unter die Leut zu gehen? Des Viehes wartet er übel, Eisengrein! Versehe er das Amt strenger, darein ihn der andächtige Rat und Bürgermeister der Stadt Grafenau gesetzt hat! Uns sauf er nicht so abscheulich, dass er kreuzüber und über wird! He, und raufen darf er mir nimmer, sonst «

»Oho«, begehrte der Hirt auf, »das Raufen ist ein gutes, altes Herkommen. Das darfst du nit abschaffen. Und der Landrichter auch nit. Und schließlich steig mir, wohin du willst!«

Mit dumpfem Schrei treibt der Grobian das Ross an. Wäre der Propst nicht stracks aus dem Weg gehüpft, so wäre er gerädert worden.

Inzwischen haben sich alle zusammengerottet, die frommen Leute aus Sankt Oswald, die stolzen Glaserer aus Siebenellen und die wortfaulen Wildschützen aus der Guglöd: mit Stangen und Tremmeln warten sie, den Eisengrein zu dreschen.

Er aber lenkt trotzig seinen Karren gegen den bösen Haufen, und der teilt sich vor ihm wie weichendes Wasser, und keiner wagt es, die Waffe gegen ihn zu bäumen. »Der Herr bin ich!« schreit er noch einmal. »Alles muss sich vor mir ducken!«

Er schreitet davon, nicht hastig, nicht langsam, und lässt Furcht und Wut zurück, er, der einmal im Sommer von seinem Berg niedersteigt, allen rücksichtslos die Wahrheit fiedelt, ihnen blaue, grüne und schwarze Beulen schlägt und sich hernach wieder für ein Jahr hinter seine Wildnis verschanzt, unfassbar und unstrafbar.

*

Wo sich die Straße spaltet in den Ochsenweg nach der Guglöd und in den Saumsteig gegen das Lusendorf, dort heißt es ›bei der Handhab‹, weil dort an einen Baum eine eiserne Hand genagelt ist, die gegen die Grenze deutet, Irrweg zu verhüten und die Säumer zu unterweisen, die in die Krone Böheim führen, was die Sudpfannen in Tirol und im Kammergut liefern.

An selber Stelle ist die Finsternis schon dick, und der Eisengrein kentet die Laterne an und hängt sie dem Ross in die Mähne.

In der Brechelhütte, die schief und verfallen an jener Wegscheid steht, glimmt ein gar gespenstisches Lichtlein. Der Eisengrein lässt sein Fuhrwerk weiter klappern und lugt in die Stube hinein.

Drin am Estrich kauert die Wöcklin zwischen einem dürren Kater und einem struppigen Hund. Das alte, hässliche Weib isst ein dampfendes Mus und atzt dabei, redlich wechselnd, die beiden Tiere mit dem Blechlöffel, den sie selber gebraucht. Und auf einmal reckt sich der Kater an ihr empor und leckt ihr die Augen.

Der Eisengrein kann sich nimmer halten. »Wöcklin«, schreit er hinein, »jetzt weiß ich, warum deine Augen so rot sind!« Er hasst die Hexe, die die Gewitter machen kann und sie gegen seine Alm schickt.

Das Weib drin schrickt zusammen, fasst sich aber gleich wieder und stillt den Hund, der grimmig zu dem verblindeten Fenster heraus bellt. »Eisengrein«, sagt sie, »ich bin einmal ein schönes Weib gewest, die Bärensteiner Grafen haben um mich gerauft.«

Er lacht: »Höhö, das glaubt dir mein Ross, ich nit!«

»In Milch hab ich jeden Tag gebadet, Lusenhirt. Da ist meine Haut so weiß gewest wie der neue Schnee.«

»Ei, du mit deinem Buckel!« spottet er.

Sie keift: »Wär nur mein Buckel aus Silber, ihr Mannsleut tätet heut noch drum raufen. Und jetzt lass uns essen, sonst hetz ich den Trenck auf dich!«

»Hast du geredet, oder hat ein Nusshäher gekreischt?« fragt er.

Sie ist immer noch eitel auf ihren Leib, auf ihre Augen, auf ihre Stimme. Die Kränkung erbittert sie. Sie flucht: »Hirt, als feuriger Mann sollst du umgehen, wenn du einmal hin bist!«

Die Verwünschungen der Wöcklin sind immer eingetroffen. So hat sie dem vergangene Klosterwirt einen schlimmen Fuß angewunschen, weil er ihr das Traufbier versagt hat, und wirklich ist ihm die Ferse brandig worden, und er hat sie sich müssen abschneiden lassen. Auch kann sie das Vieh verhexen, dass es vom Fleisch fällt und ihm das Haar von der Haut geht und es grindig wird. Gegen ihre unheimlichen Künste helfen selbst geistliche Mittel nicht.

Aber der Eisengrein lacht: »Fluch zu, schöne Jungfer! Ich scheu nix!«

Sie weiß ihn zu treffen. »Dass dich der Donner angeh!« droht sie.

Dieser Wunsch verscheucht ihn, und er läuft dem Wagen nach, der öd auf dem Weg rattert.

Wie er zur Langbrucken kommt, rollt eine blaue Lichtkugel daher, so groß wie ein Wagenrad, das Ross tut davor einen schroffen Sprung, die Laterne zerschellt an der Deichsel, und die tolle Kugel rollt ins Moor.

»Öh, öh, öha! Verdammte Wöcklin! Verdammte Kegelkugel!« brüllt der Fuhrmann und zwingt das Ross zur Ruhe. Dann schaut er sich um, ob nicht etwa aus dem Rauchfang des Brechhäusels der leibhafte lausche. Aber die Hütte liegt unsichtbar in der schweren Nacht.

Die Adern eines jungen Waldflusses klingen durch die Finsternis. Das Fuhrwerk überquert auf dem Säumerblücklein die Ohe. Mühsamer geht das Tier, denn der Weg steigt geröllig und verwaschen berghinan. Das Sägewerk am Bach schläft schon. Karg und schmal erhebt sich der späte Mond.

Bei dem Marterl, wo der Jesuit begraben ist, der den Schwedenschatz gehoben hat und hernach bei der Teilung umgebracht worden ist, dort saust der Wind gar wunderlich. »Halt still, Jesuiterseel!« beschwichtigt der Eisengrein den Spuk. Sein Hirn ist ob des genossenen Bieres nicht ganz klar.

Das Ross stemmt sich keuchend in das Geröll, es kann den üblen Weg kaum mehr weiter. »Zieh an, Luder, sonst häng ich dich an einen Baum!« grollt der Hirt und verwünscht den Herrgott in die Hölle und den Teufel ins Himmelreich. Und da sich das Tier vor seinem Fluch entsetzt zurückbäumt, sprüht dem Mann die grelle Wut aus dem Gesicht, jähzornig hebt er die Faust und schlägt mit aller Wucht auf die Stirn des Rosses.

Es bricht zusammen, zuckt und röchelt, zieht alle vier krampfig an den Bauch und ist hin. Der Eisengrein glotzt in den mageren Mond. »Du spitzbärtiger Jud, jetzt hilf mir!« murrt er.

Und murrend strängt er das Aas aus dem Riemen, packt es mit hartem Ruch und wirft es auf den Karren zu den Ziegeln. Hernach halftert er sich die Stränge um die Brust, die vermöge ihrer Breite einen derart endlosen Atem in sich birgt, dass die Leute von ihm sagen, er könne den Lusen hinauf rennen, ohne ein einziges Mal atmen zu müssen. Die Deichsel fasst er und lehnt sich so stark in das Gestränge, dass der Wagen gehorcht und ihm bergan nachrollt samt der abenteuerlichen Fracht.

Seine volle, wilde Kraft streckt er daran, er faucht durch den triefenden Bart, der Schweiß stinkt ihm aus den Achseln. »Und wenn ich Blut speien muss, ich lass nit nach!« stöhnt er und reißt in zorniger Qual den Karren hinter sich her.

In der nächsten Hütte erwacht der Einschichtmann. Neugierig leuchtet er mit dem Span zur Tür hinaus, er sieht bestürzt das tote Ross mit den aufgerissenen Augen, drin der Glanz des Kienlichtes spiegelt, und das ungestüme Menschentier an der Deichsel. Den Schädel gesenkt, stumpf wie ein Stier, zieht der Eisengrein an.

Der Wald um ihn wird stockstill. Nur ein ferner Uhu ruft. Der Mond verkommt in den Wipfeln. Doch die brünstigen Gestirne flittern unruhig durch den Tann.

Düstere Felsenstauden wischen ihm über das Gesicht. Der wilde Nachtwind fliegt und stillt sich wieder.

Bald erkennt der Mann, dass er des Weges fehl gefahren ist. Aber die Kraft knirscht ich ihm, und so zieht er den Wagen gleichmütig mit sich ins Ungewisse.

Er ist auf einen Altweg geraten, einen aufgegebenen Saumsteig, der nimmer reitbar und kaum gangbar ist. Er aber zwängt sich mit Felsenkraft durch das Strauchwerk und die wehrenden Äste der Wildnis, vorüber an zertrümmerten und zermoderten Stämmen und toll verschrobenen Ahornen, allweil bergan, kein Hindernis anerkennend.

Die Wildnis scheint ihm aus dem Weg zu weichen. Er trottet vorwärts, gleichgültig wohin. Er merkt nicht, dass er auf einer ebenen Blöße angelangt ist und die Räder sanfter gleiten. Erst als sich ihm etwas Seltsames, Gabeliges um die Schultern legt, erwacht er aus Troll und Trott und sieht über sich das verwitternde Hochgericht, das die Grafenauer an der Landesmarch aufgestellt haben, zu richten über Haut und Haar jener Schelme, die den Frieden des Böhmerweges mit Raub und Überfall stören.

Dem Eisengrein dämmert allmählich, dass die Beine eines Gehängten sich um seine Achseln gelegt und der arme, dürre Schelm schier auf seinem Genick reitet.

Er tritt zurück und starrt den Galgen an. Die Trümmerkuppe des Lusen wölbt sich dahinter, fahl um Mondschein wie die Glatze eines riesigen Totenschädels.

Hier weidet kein Hirsch, hier gras kein Hase. Das friedliche Getier scheint diese Stätte zu meiden, wo der dürre Mensch baumelt. Nur ein Käuzel winselt ein ödes Klagelied, und ein Irrlicht haust hier und tanzt wie verrückt im Ring um das Gerüst.

»Tannenbaum, du trägst einen wunderlichen Apfel!« lacht der Eisengrein. Er dreht den armen Sünder so, dass ihm der Mond ins Gesicht leuchtet. Wangen und Nase sind dem Schlottermann durchschnitten, man kann hindurchsehen. Die Zunge hängt ihm weit heraus. Schwarz und vertrocknet ist das Gesicht.

Der Stierhirt spottet: »Dürste dich, Gonauser? Deine Zunge bleckt. Gelt, der Durst ist ein schmerzhaft Übel! Komm zu mir heut Nacht! Sauf dich an mit Rossblut! Und Rossschinken tisch ich dir auch auf. Du bist gar zu dünn!«

Der Kopf grinst herunter, langsam dreht sich der Gonsauer an dem Strick.

Der Stierhirt stößt gegen den Galgen, dass er wackelt. »Das Holz ist faul«, sagt er, »ist gar nimmer gesund für dich, du armer Schuft. Sorg dich, dass du nit mit dem Baum umfällst und dir das Genick brichst!«

Der Galgen knarrt grämlich, und es ist, der Gonsauer droben erwidere.

»Warum haben sie dich an dem Hals angebunden, Vetter? Hast du ein Zeiselnest ausgenommen?« Der Eisengrein pocht dem Dürren an die Rippen, dass er weit hinaus schwingt und schwarz vor dem Mond hin und her pendelt.

Der Hirt zieht wieder an und lenkt sein Fuhrwerk den Böhmerweg heimwärts. Schlafend taumelt er dahin und mit versperrten Augen, doch wachen seine Füße und achten des Weges.

Plötzlich kommt er zu sich und reibt sich die Stirn. Er steht vor seinem Blockhaus, das erst zur Hälfte fertig ist. Düster und fahl dehnt sich die Weide. Im Pferch erwachen die Jungstiere und brüllen, als ängstige sie etwas, und die Höhen hallen.

Der Eisengrein schreckt eine schlafende Kuh auf und melkt sie und säuft die Milch, die in der mondlichen Kühle raucht.

*

Aus unruhigem Schlaf fährt er auf. Er horcht hoch. er hört es grässlich schlürfen, als schmatze eine Wildsau aus einem Sumpf. Er sieht eine finstere Gestalt auf dem Karren und über das verendete Ross gebeugt.

Der Eisengrein greift nach seiner eisenbeschlagenen Keule und rennt hin.

Den Gonsauer findet er mit den Zähnen in den Hals des Rosses eingegraben. Er reißt ihn zurück und droht ihm mit dem Wolfsbende.

»Was irrst du mich?« fragt der Gehängte eintönig. »Du hast mich ja eingeladen! Meine Leber ist dürr. Lass mich den toten Brunn aussaufen!«

Der Hirt drückt den kahlen, trockenen Gesellen ins Gras.

»Halt dich still! Dass dich der Igel küss! Du bist ja einauget!« staunt er.

»Der Lusenrabe hat mir das Aug genommen«, raunt der Gonsauer, »das andere hab ich der Elster versprochen, die in der Teufelsbuche nistelt.«

»Wie kommst du her, Schelm? Bist du aus dem Strick geschlüpt?«

»Eine Weil hängt es sich ganz hübsche, das Ding ist einem neu. Später wird es einem unliebsam«, greint der Galgner.

»Das Moos grünt mir schon aus dem Hirn. Und das Land ist gar zu windig. Der Sturm hebt mich einmal samt dem Hochgericht weg.«

»Wärst du ehrlich geblieben, so könntest du andere aufhängen«, sagt der Stierhirt nachdenklich, freilich reichlich zu spät, als dass der Gonsauer davon hätte einen Nutzen ziehen können.

»Wegen eines Saumesels bin ich flöten gegangen«, klagt der Gerichtete. »Ich hab ihn nit gestohlen, er ist mir nur nachgelaufen. Die Laurer haben mich erwischt, und die großen Diebe haben mich bescheidenes Dieblein gehängt. O weh, im besten Saft hab ich dahin müssen!«

»Ei ja, Unschuld muss die Zeche zahlen!« spottet der Eisengrein.

»Du lach nit! Bist selber ein Schelm und durch die Wange gebrannt!« Also warnt der Gonsauer und legt die eisige Hand in das Mal, das des Hirten Bart durchzackt.

»Oho, das hat mir kein Scherg gebrannt!« sagt der Eisengrein. »Da hat einer meine Mutter gehalst, und gerad, wie ich worden bin, ist ein Blitz daneben niedergefahren.«

»Die Passauer haben mir den Kopf vom Hals hauen lassen, die Wolfsschinder, die groben!« schilt der Gonsauer. »Der Schuster von Grainet hat mir ihn wieder angenäht mit seinem rauen Zwirn. Und nach all dem Glück muss ich jetzt so mutterseelenallein hängen!«

Der Eisengrein tröstet ihn: »Höhö, wer an den Galgen soll, ersauft nit!«

»Die Zeit wird mir lang in der Einöd«, klagt der Dürre weiter. »Und mein Galgen wär so schön zweischläfrig! Mein Weib, die Diebshur – das Geld hat sie mir aus den Hosen gestohlen –, sie hätt mithängen sollen. Wie ich auf der Leiter steh, den Hals in der Schlinge, da begehrt der Scharfrichter sie zum Weib. und ihr, der halben Wittib, ist es recht gewest, und so ist sie des Galgens ledig worden. Freund, trau keinem Weib! Trau lieber dem Henker!«

Er richtet sich auf. Dünn wie ein Spieß steht er auf seinem hagern Schatten. »Gib mir Rossfleisch!« sagt er.

Der Eisengrein holt eine Hacke und schlägt dem Ross eine Rippe samt dem Leder und dem Fleisch heraus.

Wie ein Wolf wühlt sich das Gespenst hinein und fetzt gierig mit den Zähnen, dass es den Hirten ekelt. Und plötzlich fletscht es das blutige Gebiss gegen den Eisengrein und ächzt: »Jetzt fress ich dich!«

»Troll dich dahin, woher du gekommen bist!« schreit der Hirt.

Das Ungeheuer duckt zum Sprung, das verweste Auge stier auf die Kehle des Menschen gerichtet. Das lebendige Blut scheint es zu locken. »Du hast mich eingeladen. Jetzt schau, wie du mich loskriegst!« Und fauchend fährt es auf den Hirten los.

»Wahrhaftig, vor dem Galgen hilft kein Kürass!« lacht der Eisengrein. Er greift nach dem dreisten Toten, zwängt ihn unter die eherne Achsel und trägt ihn gegen die Böhmerstraße. Er will ihn wieder an das Hochgericht knüpfen.

Der Gonsauer schreit wie ein Berguhu und zappelt und windet sich. Und das weckt den Stierhüter aus seinem abenteuerlichen Traum.

Zuerst brummelt er unwillig, dass ihm der Dürre gerade im günstigsten Augenblick entwischt ist, hernach aber rappelt er sich mit schlauem Schmunzeln auf und setzt den Weg fort, den er im Traum begonnen.

Der Mond wandelt eilig in den Wipfeln neben ihm her und scheint freundlich zu nicken, als der Hirt den Gehenkten vom Galgen löst, ihm mit einer Rebschnur die Füße aneinander bindet und ihn hernach kopfüber wieder aufhängt.

»Jetzt kannst du mir nimmer nachschleichen«, sagt der Stierhirt zu dem Gonsauer.

Als er dann wieder heimkommt, fühlt er sich so frisch und ausgerastet, als habe er wochenlang nichts getan und nur neben seinen Stieren gelümmelt, und die Kraft bebt in ihm und beunruhigt ihn, so dass er in der Naht noch die Axt nehmen muss und die Balken zuhackt zu dem Gestühl, das seine Hütte decken soll.

*

Der Eisengrein späht über das Lusendorf hinweg ins Tal, ob nicht die Grafenauer kämen, wegen der zerrissenen Stiere anzufragen. Aber es ist kein Bote zu merken. Sie mögen es ihm wohl nicht krumm nehmen, dass er sich der Bären nicht so erwehrt, wie es sich für einen beherzten Hirten schickt.

Da er wieder von seinem Lugaus heimschleudert, kriecht die alte Wöcklin aus einer Staude.

Sie ist ihm ein unliebsamer Anblick. In seiner Mannhaftigkeit und in der Fülle seiner Kraft verachtet er alle überjährten Leute und hält sie für unnütz. Und so rollt er die Alte an: »Dich sollt man eingraben, du grausliche Wettermacherin!«

»Vorzeiten wärst du mir feiner begegnet«, gibt sie zurück. »Da hab ich mir alle Tage Hand und Fuß und den ganzen Leib mit Kuhmilch abgewaschen, da ist mir die Haut lind gewest, und drei Grafen haben sie gestreichelt. O, ich bin einmal sauber gewest, ein mächtiges Trumm Weib!« Von der Schönheit, die sie rühmt, sind nur noch die tiefen, brennenden Augen übrig, die glühen wie dunkle Giftbeeren seltsam aus dem runzligen Gesicht.

Mit wilder Geschmeidigkeit bückt sie sich vor dem Hirten und sagt: »Heut such ich dich heim!«

»Was bringst du mir denn?« fragt er unmutig. Gern wäre er die Hässliche wieder los geworden.

»Ich bring nix, ich möchte nur was«, kichert sie. »Ich bin eine, die allweil was möchte.« Mit ihren heißen Augen schaut sie ihn wissend an. »Den nächsten Stier, den dir der Bär reißt, den schickst du mir mit Hörnern und Schwanz!« fordert sie.

»Ha, schmeckst du was, Hex?« schreit er. Er packt und schwingt sie, als wolle er sie zerschmettern.

»Jetzt geht es mir dran!« klagt sie, und in ihrer Not tut sie einen schrillen Schrei, dass der Wald davon hallt.

Er lässt sie frei und verhält sich die Ohren vor dem Widerhall im Gebirg. Weiber mag er nicht schreien hören.

Sie flieht nicht. »Was hast du mit meinem Buben getan?« krächzt sie. »Der Gonsauer ist ehrlich gehängt worden. Am Hals haben sie ihn aufgehängt nach altem, gutem Herkommen. Du herentgegen hast mir zum Schimpf und Spott mein Kind kopfüber angebunden! Du Rossfresser, das soll dir vergolten werden! Ein Unglück schick ich dir zu!«

»Meinetwegen!« sagt er. »Das möchte ich sehen, was mich bewältigt!«

Er kehrt sich ab, spuckt aus und geht.

Mitten am Steig hockt eine große, abscheulich graue Kröte. Sie starrt ihn pfeilscharf an mit den garstigen Augen.

»Bist du es wieder, Wöcklin, alte Krot?« flucht er und schleudert sie mit dem Fuß in die Dickung.

Er tritt in einen Hohlweg. Uralte Bäume beschatten ihn und greifen mit wirrem, starkem Gewurz den Hang herab. Da kommt es von der Tiefe herauf getrampelt und gebraust und verfolgt von Schreien. Mit blutigen Hörnern rast der Stier des Lusendorfes daher. Er hat wohl den Hüter mit durchstoßener Brust geworfen. Die Hemmkette an seinen Füßen ist gesprengt. Dampf scheint er zu schnauben, und seine Augen stoßen schier Feuer aus, als er den Mann gewahrt, der ihm nun im Hohlgässlein den Weg verstellt.

»Höhö, du bist der Wöcklin ihr Bote!« schreit der Eisengrein. Zuerst wiegt er den Wolfsbengel, hernach aber schüttelt er den Kopf, lässt die Keule fallen und springt dem Ungetüm entgegen, als könne er es nicht erwarten, seien Kraft daran zu messen.

Das Schnauben von Mensch und Vieh erfüllt jetzt die Schlucht. Der Mann stemmt sich in die Erde ein, und Stärke wächst ihm daraus wie nur je einem der herrlichen Bäume über ihm. Wenn er seine Schenkel regt, klingt es wie Eisen. Das Tier hält er bei den Hörnern und glurrt ihm in die rot entzundenen Augen, derweil ihm der Wutschaum der Nüstern über die borstige, keuchend fliegende Brust flockt.

Mit steil gespannter Kraft, dass ihm ist, alle Adern müssten ihm auf einmal bersten, presst der Hirt den gewalteigen Nacken des Tieres samt dem röchelnden Haupt zu Boden und zwängt unwiderstehlich das Horn unter eine der vielhundertjährigen Wurzeln, so dass der Stier ohnmächtig liegt, und als dieser in lächerlicher Wut noch mit dem Schwanz um sich peitscht, reißt der Eisengrein einen Felsblock aus dem Hang und beschwert damit den Schwanz, dass er nimmer zucken kann.

Dann rafft der Hirt seine Keule auf, und mit blankem Lachen schreite er nach dem Werk erhabener Kraft davon.

Oberhalb der Hohlschlucht kauert ein Mägdlein. Sie ist so zart und zierlich, als habe ein Alabasterer sie geschnitzt, und so blass, denn sie hat eben den Kampf der Gewaltigen geschaut. Um den Hals trägt sie an roter Schnur ein silbernes Scheirerkreuz, und das ist ihr einziger Zierat.

Der Mann staunt. »Wer bist du?«

»Hast du mich noch nie gesehen, Hirt?«

»Ich schau keine Kinder an, Dirnlein.«

»Ich bin schon sechzehn Jahr alt«, sagt sie nicht ohne leise Kränkung. »Dem Hieselhies seine Hauserin bin ich, das Nannderl.«

»Was stehst du hernach nit beim Ofen, Nannderl? Du musst ihm mürb kochen, dass ihm die alten Zähne nit brechen.«

»Ich bin heut davon«, lächelt sie und zeigt dabei ihr Gebiss, das ist ein lichtes Gatter, darüber die Zunge wie ein rotes Schlänglein spielt. Aber dann lugt sie über das Tal hin und meint ein bisschen kleinlaut: »Und wenn jetzt das Wetter aufsteigt, wohin geh ich?«

Ein Schauder fasst den Mann. Er schnuppert in den Wind. »Es stinkt nach dem Blitz. Ich schmeck den Donner«, flüstert er. Draußen über dem Rinchnacher Wald brütet schwarzes, gefährliches Gewölk. Noch ist es unschlüssig.

»Ich fürcht mich allein«, sagt das Nannderl. »Der Wind im Gras macht mich bang. Und zurück zu dem Wildbretschützen mag ich nimmer, will nimmer sein abgemergelt Geißlein hüten!«

Das stumme Licht des entlegenen Wetters fängt zu spielen an. Die Ferne gärt.

»Jäh zieht es auf«, murmelt der Eisengrein. »Wir müssen einen Schlupf suchen vor dem Donner.«

Mit weiten Schritten eilt er durch den dumpfen Wald. Das Mädchen fliegt leichtfüßig neben ihm her.

Der Donner summt weit ab, schwillt jedoch rasch näher. Bald hängt der Tross plumper Wolken über den Wipfeln, und neues Gewölk folgt ihm, ungestüme, himmlische Ungetüme rollen auf, gewaltenschwanger, vernichtungsträchtig.

»Das Wetter hängt tief«, raunt der Eisengrein, »es hängt mir bis in den Magen hinein. Wir müssen laufen!«

Ein gründlicher Donnerschlag prasselt und leitet das ungeheure Bergspiel ein. Flugs schleudert der Hirt den Wolfsbengel von sich.

»Was treibst du da?« wundert sich das Mädchen.

Er hebt die Keule wieder auf. »Das Eisen zieht den Donner an«, belehrt er sie. »Drum schmeiß ich bei jedem Schlag den Prügel weg.«

Das tut er denn etliche Male, bis sie ihn fragt: »Was schreckt dich denn das Wetter? Wen der Blitz trifft, der wird selig.«

»Wir müssen laufen, der Feind poltert«, drängt er, hebt sie von der Erde auf und rennt mit ihr von hinnen.

»Nur nit zum Hochgericht!« bittet sie. »Dort blüht eine Distel, die trägt einen Menschenkopf und steht mit übereinander gerungenen Händen. Dort will ich nit hin. Bin ich dir nit zu schwer?«

»Zart bist du wie ein Laubblättlein, Nannderl«, sagt er. Er trägt sie ehrfürchtig und scheu, als könne sie gebrochen werden. Am liebsten trüge er sie, ohne sie berühren zu müssen.

Immer schneller läuft der donnerscheue Mann. Und da er zu einem grau überhangenden Felsen gelangt, ruft er: »Da hinein! Dass mir der Donnerstein nit auf den Schädel fällt!«

In dem Versteck schmiegen sie sich aneinander, derweil der Himmel Feuer auswirft und die Wälder hohl dem Donner nachkrachen.

»Der Donner schlägt mich blau!« flüstert der Eisengrein.

»Du kriegst die Frais«, lacht das Nannderl. »Den Stier hast du nit gefürchtet, und jetzt zitterst du!«

»Der Blitz zerschmeißt mich!« winselt er. Er birgt den roten, struppigen Kopf in ihren Schoß, als finde er dort Schutz vor einem, der aus den Höhen nach ihm zielt, und bei jedem Knall der Wolken stopft er sich schnell die Ohren zu.

Sie krault sein Haar, starrt in die glänzenden Blitze und singt dabei mit seiner Stimme ein winziges Liebfrauenlied. »Hörst du die Stiere über die Himmelsbrücke trampeln?« fragt er ängstlich.

»Schlaf ein, Lusenhirt und fürcht dich nit!« tröstet sie. »Der Blitz lässt die Beter beten und die Schläfer schlafen.«

»Bist so zart, Nannderl, und dennoch graust dir nit vor dem Donnerstoß!« sagt er.

»Mir tut er nix«, erzählt sie. »Wie es in unser Häusel eingeschlagen hat, hat es die Mutter am Tisch und die Muhme am Krautfass ertötigt. Nur mich nit. Ich bin in der Wiege gelegen.«

Kaum hat sie solches gesagt, schlägt sie sich auf den vorlauten Mund. »Ach, ich mach dich fürchten mit der alten Geschichte! Ich will dir lieber vom Meerfräulein erzählen.«

Und derweil sich der geheimnisvoll flammende Kampf in den Lüften vollzieht, berichtete sie ihm allerlei erstaunliche Märlein, und er ruht geschlossenen Auges und horcht. Draußen im Gewitter singt ein Vogel.

Des Himmels wilde Stunde geht vorüber, fern hinter den Rachelwänden verdroht sich der letzte Donner wie eine heimziehende Riesenhummel. Es regnet sanft.

Der Eisengrein hebt wieder die Stirn. »Was willst du im Wald tun, Nannderl?«

»In der Wildnis such ich den goldenen Ring, drin sitzt die Muttergottes mit ihrem herzliebsten Kind.«

»Warum bist du dem Wildbretschützen davon, Nannderl? Er wird dich suchen und dich holen.«

Jetzt ist das Schaudern an ihr. »Ich will nimmer zu ihm zurück!« sprudelt sie. »Er hat jetzt sein Alter auf hundertsiebzehn Jahre gebracht, er riecht schon wie ein Toter. Den ganzen Tag knurrt er. Und doch ist mir das lieber, als wenn er mir mit den runzligen Fingern ins Gesicht tappt! Und heut Nacht hat er zu mir herauf wollen auf den Dachboden, wo ich schlaf. Die Leiter hab ich schnell zu mir herauf gezogen. Ach, wer hilft mir? Einen Vater hab ich nimmer, den haben die ungarischen Soldaten erschossen.«

»Trautes Nannderl!« sagt der Mann, der Atem geht ihm hart, und weiter fällt ihm nichts ein.

»Die alte Wöcklin hat mir geraten, ich soll zu dir gehen, Stierhüter.«

»Wie lieb hat dir die Wöcklin geraten!« sagt er treuherzig. In den Augen des Mädchens zündeln zwei gut Lichter. Mit beiden Händen greift er unbeholfen nach den Ihren.

»Weh, meine Finger liegen zwischen zwei Mühlsteinen!« schreit sie auf.

Er ergrimmt. »Der alte Bub!« knirscht er. »So hochjährig, geplagt von Gicht und Geschwulst, die Lunge schadhaft, – und noch gibt er nit Ruh!«

»So schnell bin ich ihm davongerannt, dass ich die Füße nimmer gespürt hab«, erzählt sie.

Seine raue Stimme wird noch rauer. »Möchtest du zu mir, Nannderl?«

»Eisengrein«, sagt sie, »du bist mir heimlich. Aber dir könnt ich nit genug kochen. Die Leut reden, du hättest einen dreijährigen Ochsen auf einem Sitz zusammengefressen, du hättest im Wald einen ganzen Bienenbaum umgerissen, ihn heimgeschleppt und ihn ausgesoffen samt dem Bien und dem Wachs. Wo nähm ich denn gar so viel Fleisch her für dich?«

Er kneift die Augen pfiffig zu. »Das Fleisch schaff ich dir leicht. Dafür sorgt der Bär.«

Sie legt die Stirn in allerliebste Fältlein und zieht sie wiederum glatt. Hernach schlüpft sie auf der Kluft, kniet ins feuchte Gras hin, beißt einen Halm ab, stößt ihn in ein Erdlöchlein und lockt: »Grill, Grill, komm heraus, sonst reiß ich dir die Hörner aus!«

Dann deutet sie in die Ferne, wo ein feuriger Regenbogen von einem blässeren überwölbt wird. »O schau, unser Regenbogen hat ein Junges gekriegt!« ruft sie erfreut.

Als die beiden hernach bergan gehen und in silbernem Geträuf es vom Laub auf sie niederweht, sagt sie: »Ich will dir kochen und die Hosen flicken. Ganz zerlodert sind sie.« Damit ist der Vertrag geschlossen.

Doch, da sie droben die Lusenweide überblickt und die anmarchende Geröllwüste des Berges, steht ihr das Schnäblein still, und sie schaut prüfend den Weg zurück, den sie gekommen. Hernach aber entschließt sie sich: »Zu dem Hieselhies geh ich nimmer. Der schleicht herum wie ein Hund, der die schlafende Wut hat.«

Flugs huscht sie in das Haus und fegt die Sägspäne aus der einen Stube, die bereits fertig gezimmert ist, und schafft und dreht dabei wie ein lustiges Rädlein. »Da gefällt es mir«, ruft sie in lauter Freuden. »Da riecht es so frisch. Aber du hast keinen Tisch und keine Bank und kein Bett und keinen Herd!«

Mit ehrfürchtigen Augen sieht er sie an. »Alles, alles, schaff ich her!« lacht er, greift nach der Axt und hebt zu zimmern an.

*

Der Eisengrein streicht auf dem Böhmersteig dahin. Drüben jenseits der Grenze, auf der Au, hat er sich Bäume gefällt, denn die Aubäume faulen nicht und taugen für das Dach eines Berghauses. Und sein Haus soll ewig stehen. Heute will er einen Stamm auf den schwieligen Schultern heimtragen.

Den Weg zu kürzen, dringt er mitten durch den Wald. mit weiten Sprüngen schwingt er sich über die Sümpfe, und voll Übermutes biegt er junge Fichten nieder und lässt sie wieder hochschnellen und ist guter Dinge wie ein Vogel, der sein Nest baut.

Und auf einmal fliegt es ihn gar wohlig an, er weiß nicht warum, und er setzt sich auf eine Rohne, die uralt und hohl in der Wildnis lagert und unglaublich großen Umfanges ist.

Der Wind singt verhalten in den Wipfeln, ein schwarzäugiger Vogel sitzt voller Zier auf einem wippenden Zweig, und der Eisengrein schaut in die Höhe, wo die Bäume einen Schacht gelassen haben, und schaut in den hübschen blauen Dunst hinauf. Und seiner dunkeln, drängenden Lust sich zu entladen, pocht er mit der Keule wuchtig auf die Rohne, darauf er reitet.

Da rührt sich der hohle Baum, und ein riesiger Bär kriecht heraus. Der Hirt fährt auf, und das Tier stellt sich auf die Hinterfüße, dräut mit den Tatzen und öffnet den roten Rachen.

Der Eisengrein holt mit dem Tremel aus, und so stehen sie eine Weile steif, Mann und Bär, und messen einander mit feurigen Blicken.

»Greif mich nur an, dann erschleuder ich dich!« trotzt der Stierhüter.

Der Bär besinnt sich, lässt sich dann auf die Vorderbranten nieder und rauscht ins Gebüsch.

Der Eisengrein tritt aus dem Wald. Da dehnt sich weithin das Moor, mit dürftigen, verrenkten Birken belebt und düstern, flechtenbewachsenen Schlangenfichte, deren Zweige am Stamm herniedergleiten und unten am Boden liegend sich aufkrümmen.

Von einem einsiedlerischen, tief herab verstruppten Baum – die Bettelfichte wird sie von den Säumern gescholten, und ihr Gipfel ist zu einer grauen Rohne erstorben – schallen streitende Stimmen über die Öde herüber. Böhmerwäldlische Musikanten sind es, die sich alljährlich unter dem uralten Baum zusammenspielen, ehe sie die Bettelfahrt wagen ins bayerische Land.

Sie sitzen in dem Geäst, der Bassgeiger ausgenommen, und werfen einander fluchend die falschen Noten vor und schreien wider einander, dass die Galgenkrähen, aufgestört von dem ungewohnten Lärm, in den Höhen sich über das eingedrungene Völklein krächzend beklagen. Der Streit im Baum nimmt erst ein Ende, als der Eisengrein daherkommt, mit breiten Armen die Fichte umfasst und alle herunterzuschütteln droht, wenn sie nicht sofort die zänkischen Schnäbel hielten.

Sie müssen sich befrieden, um den jähen Mann drunten nicht zu reizen, dessen tolle Kraft landkundig ist. Und nun lacht er und sagt, sie sollen sich den allerschönsten Tanz ausdenken, den müssten sie ihm bald zu seiner Hochzeit spielen.

»Her mit dem Geld!« lockt der Geiger von Buchwald.

»Ums Geld wird überall gegeigt. Auch in Nürnberg.«

»Her mit dem Geld!« widerhallt der Windpreifer von Rehberg. »Ich kann nit von der Luft leben wie mein Dudelsack.«

»Führst du die Wöcklin heim?« brummt der Bassgeiger von Scheureck. »Das ist eine reiche Braut. Da kannst du mir die Geige mit ungrischen Talern füllen.«

Den lieben Pfennig könne er ihnen nicht reichen, meint der Eisengrein, aber einen Fraß wolle er ihnen schaffen, dass sie ihr Lebtag dran dächten. So sollten ihm jetzt probeweise den Brauttanz spielen, und er wolle sie hernach probeweis bewirten.

Die Musikanten sind gleich mit ihm handelseinig. Der Geiger klettert fast zuhöchst auf den dürren Wipfel hinauf und fiedelt, der Dudelsacker kauzt auf einem verknorrten Ast, lässt die Beine baumeln, ruft den heiligen Blasius an und dudelt, der Landsmann aus Außergefild schlägt mit zwei zierlichen Hämmerlein das Hackbrett, eine wunderflinke Kunst, und unter der Fichte verschanzt sich der Jogel von Scheureck hinter dem behäbigen, wohlgebrauchten Bass und führt grimmig den straffen Bogen.

Sie geben ein holperiges Bauerntänzlein zum Besten – ein Schelm, der mehr gibt, als er kann! – und der Eisengrein wiegt sich in den ungeheuren Hüften, hebt die Knie und hopft dann so töricht, als ob ein pfalzender Hahn sein Tanzmeister gewesen sei.

Hernach spielt der Fiedler für sich allein. Er hat eine weiche, welsche Geige, und die ist auf einmal unendlich traurig worden, als habe das Heimweh nach einem sehr fernen Land sie ergriffen, und die anderen Musikanten lassen ihr Werkzeug rasten und singen schwermütig dazu:

»Bräutlein, wein'!
Heut spielt man dir allein.
Spielt man dir ein und aus,
spielt man dir ein lustig Tänzlein auf.
Bräutlein, wein'!
Heut spielt man dir allein.«

Und dann geigen und klöppeln und blasen und schrummen sie wieder, dass es weithin über das Moor lärmt, und derweil sie sich immer einträglicher zusammenspielen, rennt der Hirt zurück in den Wald und kehrt am Nachmittag wieder, einen toten Stier halb tragend, halb hinter sich her schleifend.

Er wirft ihnen das Tier hin und sagt verächtlich: »Da fresst, Spielleut! Därmt den Stier aus! Der Bär hat ihn gerissen.«

Den Musikanten gruselt es vor dem riesigen Mann, der solche Last schier wie ein geringes Kätzlein schleppt, es gruselt ihnen vor den grausigen Wunden, die das Gekrall des Bären in die Flanke des Viehes gerissen hat. hernach balgen sie selbfünft den Stier ab, und der Eisengrein nimmt die Haut an sich und höhnt: »Die schick ich den Grafenauern, sie solle sich spitzige Schuh draus schneiden. Und ihr, Spielleut, wenn ihr im Herbst heimgeht, geigt ihr mir zur Hochzeit auf!«

Die Männer sagen es zu, zaudern eine Weile ratlos vor der Überfülle des Fleisches und zünden schließlich ein Feuer an, den Schmaus zu braten und Tisch zu halten im nachtenden Moor.

Weit schon geht der Eisengrein, da weht ihm durch die stille Luft der Gesang der übermütigen Gesellen nach:

»Es ist kein Apfel so rosenrot,
ein Würmlein steckt darin,
es ist ein Jungfer nie so schön,
sie tragt ein falschen Sinn.«

Wie er also die Stierhaut auf dem grasigen Weg hinter sich herschleift und die dürren, dämmerigen Bäume verwegener werden und arglistig lauern, da löst sich der Hieselhies aus dem Schatten.

»Was schleichst du daher unter deinem Spitzbubenhut?« rauscht der Hirt ihn an. »Geh schlafen! Du bresthafter Mensch gehörst in den Siechkobel, nit in den gesunden Wald!«

»Ein altes Ross legt sich ungern nieder«, lallt der Wilderer. »Und den Wald vermiss ich schwer.«

Er stellt sich dem riesigen Stierwächter in den Weg, das geringfügige Männlein; das zerfurchte Köpflein, das Kinn, die Knie, die Hände und die Finger dran, alles an ihm zittert. Unruhig flattern die Wimpern. Wie ein hungernder Hund schaut er darein. »Hast du das Ross – gefressen?« stößt er herfür.

»Ganz und gar, samt den Hufeisen!« grinst der Hirt. »Aber Wildbretschütz, gelt, du willst was anderes von mir wissen?«

»Das Nannderl ist bei dir!« ächzt der andere. »Gib sie mir zurück! Sie gehört mir. Ich brauch sie. Ich bin ja so alt.«

»Hättest du dich jung aufgehängt, Hieselhies, wärst du nit so gealtert!«

»Wer kocht mir jetzt die Milchsuppe?« klagt der Wilderer. »Wer kraut mir die Füße, wenn sie mich jucken?« Und hernach bellt er: »Ich erschieß dich, Raubersknecht!«

»Du Zitterling, wie kannst du noch zielen!« spottet der Eisengrein.

»Mit der gläsernen Kugel erschieß ich dich! Oder ich verrat den Grafenauern, wie der Bär die Stiere schlägt!«

»Versuch es!« droht der Hirt. »Hernach bring ich dich um!«

»Mir kannst du nix anhaben«, prahlt der Alte. »Ich bin stich- und schussfrei. Meine Haut ist ein festes Haus.«

»Höhö!« lacht der Eisengrein, packt ihn beim Kragen, setzt ihn in die Gabel einer krummen Fichte und trollt sich.

Daheim hat das Nannderl eine Scherbe mit blauen Bergblumen ins Fenster gesetzt und sich selber eine grüne Ranke um die Stirn gewunden. Schön ist sie wie die himmlische Docke am Altar.

Das Herz wird dem Eisengrein weit und zieht sich gleich wieder ganz eng zusammen, und der Hammer drin schlägt wie besessen. »Ich muss dir was sagen, Nannderl!« stottert er, »es geht mir schon lang im Maul herum, aber es fällt mir halt nit ein.« Verlegen knackt er mit den Fingern.

Sie will es gar nicht wissen, was ihn bedrängt, sondern sie bietet ihm ein Trumm Brot, scheuert hernach einen Hafen, trippelt hin und her, schwatzt allerhand Buntes und ist munter wie ein Glöcklein.

Er liest träumerisch die Fasern von seinem Ärmel und sagt: »Nannderl, dein Name gefällt mir. Ich tät mir ihn gern auf die Bettstatt schreiben, wenn ich eine hätt und wenn ich schreiben könnt!«

Sie lächelt und riecht an den Blumen im Fenster. Plötzlich schrickt sie zurück und kraust die Stirn in drei Fältlein. »Der Hieselhies geht vorüber!« raunt sie.

Der Eisengrein beschwichtigt sie: »Er darf dich nit holen!«

Bei ihm ist es kalt«, schaudert sie. »Und Sommer und Winter friert ihn. Drei Tuchanten und noch den Strohsack dazu hat er über sich liegen, und allweil noch friert ihn. Und hirnkrank ist er. Drei Jahre soll er geschlafen haben. Er fispert allweil heimlich mit seinem alten Gewehr. Ein schwarzes Pulver hat er, und das knallt nit. Einmal hat er auf ein Aumooslichtlein geschossen, da hat es geweint.«

Rings erdunkelten die Wälder, und als der Hirt die Stiere in den Pferch getrieben hat, legt er sich unter den freien Sternen an ein Feuer, und sie sitzt auf einem Stein und erzählt ihm von dem König, der zum Rachelsee gegangen ist und den Goldring hineingeworfen hat, auf dass der See das Land nicht überschwemme.

»Das versteh ich nit«, murmelt der Eisengrein. »Warum sollen die Leut drunten nit alle ersaufen? Es wär nit schad um sie, sind lauter Würmlein. Die Welt soll ertrinken, nur die Bergspitzen sollen übrig bleiben.«

Die beiden schauen verstummt auf die Kuppel des Lusen, die schwer und schwarz vor ihnen aufsteigt. Dann deutet sie hinauf. »Dort droben, wo jetzt die Felsbrocken über und über verstreut liegen, ist vor langer Zeit einmal eine Mulde gewest, grün und grasig, drin haben tausend Kühe geweidet und haben so viel Milch und Schmalz gegeben, dass die ganze Welt davon genug gehabt hat und es keinen Hunger und keine armen Leut gegeben hat auf Erden. Das hat den Teufel verdrossen, und er hat einmal in der Nacht die Mulde überwölbt und schwere Felsen darüber gelegt, dass niemand mehr den Weg hin finden soll. Und jetzt noch hat der Teufel seine Alm drin in dem hohlen Berg, und die Kühe dort haben die Hörner so breit, dass zwei Männer dazwischen sitzen können, und eine jede hat drei Euter am Bauch und an jedem Euter sieben Striche dran, und silberne Glocken tragen sie um den Hals, der Teufel hat sie aus den Kirchtürmen gestohlen. Man hört sie läuten drunten im Lusen, wenn das Wetter recht still und lauschend ist. Und an einer Stellt rinnt die Jauche aus dem Berg, dort ist der Stall unter der Erden. Und einmal ist gar ein Brunn mit lauter Milche aufgegangen.«

Der Eisengrein staunt. »Ist das alles wahr?«

Sie nickt eifrig. »Das ist in meiner Heimat gewest, in der Guglöd ist es gewest, dort haben sie es erzählt. Meiner Mutter ihre Muhme hat selber einen Zuber voll Milch geschöpft aus selbigem Brunn.«

»Wenn du es sagst, ist es wahr«, meint er gläubig. »Und es wär lustig, wenn ich hinuntersteigen tät in die Lusenalm. Den schwarzen Hirten fürcht ich nit.«

Sie erhebt sich und gähnt sanft. Und nachdem sie ihm eine wohlschlafende Nacht gewunschen hat, begibt sie sich in die Stube und legt sich auf das Moosbettlein.

Auf den Zehen schleicht er ihr nach, so lautlos, als der Ungeschlachte es vermag. »Nannderl«, fragt er, »eins noch möchte ich wissen. Tätst du mit mir in den Berg gehen?«

Sie ist schon halb im Schlaf, und verwirrt und fern, als sei sie entflogen, lispelt sie: »Ich – bin ja – schon – nimmer – da.«

Da legt er sich hinaus in die kühle Wiese und schaut in die Sterne.

*

Tags darauf kommt der Gehilfe des Stadtschreibers zu Grafenau daher und mit ihm ein Fleischhacker aus derselben Stadt, und der will sich einen Stier holen.

Die Tiere glotzen die fremden Männer an und tun seltsam scheu und wittern den Feind, der gleich den Bären blutige Gedanken über sie sinnt. Tritt der Metzger oder einer seiner Knechte näher, ihr Fleisch mit bedachtsamen Griff zu prüfen, da bäumen sich die starken Tiere oder senken die Hörner so gefährlich, dass keiner sich recht hinzu wagt.

Der Eisengrein schaut eine Weile spöttisch zu, hernach aber überkommt ihn der Zorn, mit gäher Kraft springt er einen der Stiere an, packt seine Hinterbeine und hebt sie aus, so dass das Tier überrumpelt standhalten muss und nur mit dem Schwanz wütend auf den Bändiger lospeitscht, der es mit verbissenen Zähnen und steinernen Sehnen hält, dass es der Metzger beschaue.

Und auf solche Art zügelt er Stier um Stier, bis der Meister sich ein taugliches Stück daraus erlesen hat. Jetzt werden dem Tier die Augen verbunden und die Vorderbeine gekettet, dass es keine Sprünge tue, und niemanden umstoße. Und die Fleischer treiben es davon.

Der Schreiber, der sich wohlweislich ferngehalten hat von den aufgestörten Tieren, säumt noch. Er hat das Nannerl entdeckt. Flinkfüßig hüpft sie mit einem Milchtopf daher.

Sie bleibt verwundert vor ihm stehen. Ein solcher Mensch ist ihr noch nie begegnet in ihrem waldeinsamen Leben. Stolz und steif steht er da, als habe er einen Quirl geschluckt, den Dreispitz hat er in der Hand und blitzgelbe Knöpfe an der Weste, hinten trägt er einen Zopf und untern Schnallenschuhe und eine Gansfeder auf dem Ohr, und aus der Tasche lugt ein verstopftes Tintenkrügel. Und im Anblick solch prächtiger Dinge vergisst das Nannderl, die dünnen Waden und die schiefen, allzu abschüssigen Achseln des Schreibers zu betrachten.

Er vergibt sich etwas in seiner Würde, indem er mit dem Fuß nach hinten ausscharrt, und hernach redet er: »Mit geziemender Anwünschung eines guten Morgens komme ich bittlich, mir einen Trunk zu vergünstigen.«

Eine so hübsche und vornehm umständliche Rede ist ihr noch nie zugestoßen, und sie freut sich darüber, dass die damit geehrt wird und dass sie die Rede, wenn auch erst nach einigem Besinnen, so gut begreift. Sie schaut ihm klar in die Augen und reicht ihm den Topf. »Das Zöpflein steht dir wohl an«, schmeichelt sie.

Während er trinkt, merkt sie erst, dass er ein struppiges Hündlein mit sich führt, dem decken wilde Zotten fast den Blick, und trotz der kurzen, drolligsteilen Ohren ist es überaus garstig und mag wohl das frechste Hündlein im Land sein, denn es schnüffelt überall hin und nässt das Haus an allen vier Ecken.

Der Schreiber setzt tiefatmend den Hafen ab, und das Bärtlein, das ihm unter der Nase weißgolden angeflogen ist, ist benetzt und noch um eins so weiß als früher. Darob lacht das Nannderl ihr Glöckleinlachen, und jetzt stellt sie auch dem Reckel, dem Hündlein, der ein artiges Männlein übt und mit den pechschwarzen, klugen Augen durch die Zotten lauert, eine Schüssel hin.

»Wie heißt du?« fragt sie den Schreiber.

Er erwidert: »Ich heiße zufällig Jakob Mausköpfel und bin der allererste Amtshelfer der Herrn Stadtschreibers zu Grafenau.«

Sie kann sich kein rechtes Bild von seinem Gewerb machen, aber gewiss ist es nicht weniger fein und glänzend als das des Propstes zu Sankt Oswald, der am Gottleichnamstag im goldenen Mantel unter dem Traghimmel daherleuchtet. Und ganz untertänig bietet das Nannderl dem schönen Schreiber ein Stück Brot an.

Der lässt hoffärtig die Mundwinkel hängen. »In Grafenau essen wir ein weißeres Brot«, brüstet er sich. »Überhaupt ist da heroben eine raue Blöße. Nicht einmal Hutzeläpfel wachsen da. Und der Nebel raucht ihr da in die Stube hinein. Nichts als rußige Raben da heroben mit ihrem ungebührlichen Gekräh!«

Auch das Hündlein, das sich satt geschleckt hat, scheint die Verachtung seines Herrn zu teilen, es kratzt sich die Flöhe und fährt zänkisch auf, als der schwere Schritt des Hirten näher klingt.

»He, Stierhüter, was für ein Frauengemach hat er da bei sich?« fragt der Schreiber von hoch oben herab.

»Das ist meine Melkerin«, gibt der Eisengrein zurück. »Und was drehst du die Augen nach ihr heraus wie ein Grill?«

Seine Amtsehre zu wahren, sagt der Mausköpfel: »Merk er sich es dreimal: ich bin seine fürgesetzte Behörde, anweiters ein amtseifriger Schreiber und drittens ein eingesessener Bürger zu Grafenau, und er hat mich nicht so gröblich anzusausen!« Und zu dem Mädchensagt er um vieles zarter: »Melkdirn, es steht zu bedauern, dass sie mit anselbem Flegel und Zülsen hausen muss in solcher Einöd, die den Wölfen zukommt. Und arm ist sei angetan, und ist sie doch gar so säuberlich gleidmaßieret!«

Sie seufzt: »Ich bin halt der armen Grete ihr Kind. Ich trag nur einen Unterkittel, einen auswärtigen Kittel hab ich nit.«

»Bei mir müsste sie zehn seidene Kittel übereinander tragen!« prahlt der Mausköpfel.

Der Eisengrein fällt ihm eifersüchtig ins Wort: »Ei, du Fuchs, ein du Has! Willst du mir die Hauserin anspensten? Du sollst sie nit trügen mit deiner glatten Red! Du sollst ich keinen blauen Nebel vorsumsen! Und du, Nannderl, was äugelst du ihm nach?«

Sie sagt: »Schöne Schnallen hat er am Schuh.«

Da schwillt ihm die Ader zwerch über das Hirn. »Du dünkelhafter Schreiberling«, grollt er, »was schaust du sie an wie die Geiß den Faulbaum?!«

Der Jakob Mausköpfel bläht sich und sagt: »Noch eins, Lusenhüter! Ein hochverehrlicher Herr Bürgermeister zu Grafenau hat, einem dicken Unrat zu steuern, einen klugen Boten an ihn abgeordnet und meine Persona dazu bestellt, ihm anheut folgendes zu vermelden: ein hochmöglicher Rat rügt den bestallten Hirten am Lusen, inmaßen und weilen er die Bären nicht mannhaft genug abwehrt, also dass binnen Kurzem drei Stiere von denselben aufgerissen worden sind, wie aus den blutigen Häuten zu ersehen, die er in die Stadt geschickt hat. Anerwogenermaßen er kein treuer, fürsichtiger, wachtbarer Hirt, sondern er in Saumsal und Leichtsinn dahin schweigt, fordert der hochmögliche Rat und die Bürgerschaft ihn auf, nunmehro und fürderhin eifriger der Stierwacht zu pflegen, widrigenfalls nicht lange gefackelt wird, ihn seines Amtes in völliger Ungnad und Ungunst zu entsetzen und einen herzhafteren Hüter zu dingen.«

Dem Eisengrein knistern die roten Haare an der Brust und sträuben sich, seine ungeheuren Augen funkeln. So wagt der schmale Schreiber mit ihm zu reden, und noch dazu vor den Ohren des feinen Nannderls? Er schnaubt: »Du Alfanzerling, du schreck die Spatzen!«

Überrascht knickt der Federknecht ein. Der Dreispitz entfällt ihm, seine Wimpern trillern. Hastig tappt er nach dem Stecken mit dem Messingknopf, den Weg zu ergreifen.

Doch der Hirt hält ihn an einem der blitzgelben Knöpfe. »Die Herberg soll ich räumen, die ich mir selber erbaut hab?!« brüllt er. »Glaubst du, ich geh euch davon wie das Dirnlein vom Tanz?«

Der Schreiber fühlt die Blicke des Nannderls voll Erwartung auf sich ruhen. Jetzt gilt es, kecklich zu erwidern. Er nimmt sein Herz zusammen und hebt noch einmal an, doch um einiges schüchterner als früher: »Auch Seine Hochwürden, der Herr Propst Vitus Camutius, will ihn vor der Kirchtür von Sankt Oswald anprangern, weilen und maßen er Lusenhirt mit seinen Flüchen sich böslich an Seiner Hochwürden vergriffen und gerieben hat.«

»Du hältst mir die Nase gar zu hoch«, sagt der Eisengrein. »He, nimm Feder und Tintenzeug, du sollst mir eine scharfe Absage an die Welt schreiben!«

Der Mausköpfel stottert: »Ich tu nur, was Gott und meiner Obrigkeit gefällt.«

Da greift der Hirt sprühend nach ihm und hebt ihn am Zopf in die Luft, so dass er kläglich und wimmernd baumelt. Reckel, das Hündlein, das seinen Herrn mit irrsinnigem Gekläff zu verteidigen sucht, fliegt unter dem Fußtritt des Eisengrein weit in die Wiese hinaus und bellt nun in der Ferne und zankt giftig.

Aber das Nannderl faltet die Hände, und ihre Augen schwimmen voll Wasser: »Tu ihm nix, Hier!«

Da lässt er ihn frei. Doch droht er: »Jetzt schreib, Mausköpfel!«

Der Schreiber kramt ein Blatt Papier aus der Tasche, taucht die Gansfeder in den Krug und kauert sich gehorsam an einem Balken nieder, ihn als Pult zu gebrauchen. »O weh«, seufzt er, »er will mich in die Tinte reiten!«

»Wind dich nit und dreh dich nit!« droht der Eisengrein. »Und dass du mir nix Unrichtiges schreibst! Wenn ich dir darauf komm, dreh ich dir den Hals dreimal um! Also jetzt schreibst du den Herren Grafenauern zuerst eine feine Anrede! Die feinste, die du kannst! Schleif die Wörtlein nur recht zierlich zu!«

»Gott sei gelobt!« denkt der Jakob Mausköpfel und setzt an. Seine Buchstaben sind ebenso hager, langbeinig und schief wie er selber.

»Aushalten!« unterbricht ihn der Gewaltmann. »Du schreibst ja ärschlings wie ein Jud!«

»Es ist völlig richtig«, verwahrt sich der Schreiber, und er kratzt und spricht dazu: »Hochgeachtete, wohledelgeborene, vorsichtige «

»Nur zu! Noch lang nit genug!« frohlockt der Hirt. »Unter allen Ellbogen sollst du vorerst ein Küsslein setzen!«

» weise, großmögende, feste Herren!«

»Genug!« sagt der Hirt. »Und jetzt fang ich an. Schreib! ›Ihr armen Schlucker und Schelme!‹«

»Das kann ich nicht schreiben!« winselt der Mausköpfel.

»Schreib, Tintenbub, oder ich erschlag dich!«

Dem Amtsgehilfen schwindelt, als wandle er an einem bodenlosen Abgrund, er fühlt zugleich, wie kostbar ihm sein Leben ist, und mit einem jämmerlichen Hasenblick auf den groben, zu allem fähigen Machthaber schreibt er, was ihm aufgenötigt wird.

»He, hab ich mit euch die Säue gehütet, dass ihr mich durch einen notigen Schreiber die Herberg aufkündigeet?! Kommt selber geberg! Die Spornen will ich euch abtreten! Die Stiere gehören mir und die Alm und der ganze Lusen. Kommt nur geberg und bindet mit mir an! Könnt ihr den Stieren helfen gegen den Bären, so kommt herauf und stecht ihn ab! Mir aber könnt ihr allesamt hinten hinein reiten!«

Dem Schreiber sträubt sich der Zopf ob dieser empörerischen, verwegenen und unflätigen Sprache. Er starrt ängstlich die eigenen Schriftzüge an, und ihm ist, als müsse darin Rad und Galgen über ihn verhängt werden. Wie ist es nur möglich, dass seine redliche, ehrbare Schrift diese niederträchtigen, meuterischen und die von Gott eingesetzte Behörde gröblich antastenden Wendungen wiedergeben kann!

Die Wut des Eisengrein hat sich nach diesem überschwänglichen Erguss gelegt. »So, jetzt häng deinen Schwanz daran, dass du getröstet weggehst!« sagt er.

Und um die unglaublich rauflustige Urkunde der Wildnis einigermaßen zu verdünnen und auch den Schein aufrührerischer Unbotmäßigkeit und Helfershelferei von sich abzudrängen, fügt jetzt der Mausköpfel seinen Abgesang hinzu: »Also komm ich fußfallend mit alleruntertänigster Bitte, diese unwürdigen Handzeilen nicht in Ungnaden aufzunehmen und obgedachten Wunsch in Gnaden zu erfüllen Euerm tiefergebensten und allerweil dienstbeflissensten «

»Öha! Jetzt setz ich mein Zeichen!« ruft der Hirt, nimmt die Feder in die ungefügen Finger und spritzt eine beträchtliche Sau hinein.

Hernach herrscht er den Schreiber an: »Jetzt fahr ab! Dein Weg geht genau so weg, wie er hergegangen ist.«

Der Mausköpfel pfeift demütig seinem Hündlein und eilt davon. Das Nannderl seufzt. Keinen einzigen Blick hat er ihr zum Abschied geschenkt.

Derweil nun der Eisengrein den Brief im Wind trocknet und ihn hernach sorgsam faltet, lehnt sie traurig am Türstock und horcht, wie der Schreiber immer tiefer im Wald den Namen des Metzgers schreit.

Nach einer kleinen Weile steht der Mausköpfel wieder am Waldrand. »Ich find den Weg nicht«, ruft er zaghaft zu dem Stierhüter hinüber. »Die Fleischhacker sind davon, und ich trau mich allein wegen der Bären nicht weiter.«

Der Eisengrein erbarmt sich. »Das Weibsbild soll dich bis zur Säumerbrucken begleiten! Sonst fällt dir das Herz in die Fersen.«

Da führt das Nannderl den Schreiber bergab, gen Sankt Oswald, sie schmiegt sich an ihn und redet ihm tröstlich zu, dass er der reißenden Tiere vergesse.

»Weißt du«, sagt er, »am Weg vorhin hat mir ein abscheuliches Trumm Breitling begegnet, so groß wie eine Streuschwinge und die Augen wie Kegelkugeln. Aber ich bin nur deinetwegen umgekehrt, schönes Nannderl, dass ich dich noch einmal seh.«

»Die Kröte ist sonst niemand gewest als die alte Wöcklin«, meint sie.

Er schaudert und verfällt wieder in seine geschniegelte Art zu reden, derer er vergessen hat, seit er mit dem Mädchen allein durch die Wildnis geht. Er sagt: »Unerachtet ich aufgeklärt bin und nimmer an Gespenster glaube, so lass uns dennoch eilen!«

Aber sie zögern trotz aller seine Furcht. Er streichelt behutsam ihre samtene Wange und erzählt ihr, welch förderlicher und gelehrter Kenntnisse er sich erfreue, und sie hinwiederum bringt ihre Märlein an den Mann.

»Siehst du da drunten die finstere Sägmühl?« fragt sie. Da hat einmal an einem Sonntag der Förster in die Schnittstube hineingeschaut. Niemand ist drin, die Sägschneider sind alle in der Kirche. Aber die Mühl läuft von selber, uns statt des Sägblattes ist ein langer, ganz feiner Spinnfaden eingespannt, und der zerschneidet die dicksten Stämme und gröbsten Blöcker fein sauber.«

Und als sie zu dem Säumerbrücklein kommen, sagt sie: »Ehedem hat da der Knochen von einem Riesen gelegen und hat als Steg gegolten. So groß ist er gewest, dass die Rösser und die Esel mit dem Salz drüber haben gehen können. es ist noch nit so lang her, es denken es die jungen Leut noch.«

»Von demselben Riesen stammt wohl der Lusenhirt her«, meint der Mausköpfel nachdenksam, ermannt sich aber und fragt: »Was erzählt sie mir solche Lügen?«

»Ja, weißt du, die Wahrheit ist zu wenig«, antwortet sie ernsthaft.

Am Säumerbrücklein heißt es scheiden. Das Laub plaudert rings, in den buschigen Wedeln der Fichten schreien die lustvollen Vögel, und der Jakob Mausköpfel liebelt das Nannderl an: »Ei, möchtest du die Frau Schreiberin werden?«

Und sie hätschelt das Hündlein Reckel, denn es ist flink und aufgeweckt, und sie lacht: »Ei ja, Herr Schreiber!«

Er halst sie schüchtern und seufzt: »Der Weg ist zügig. Wärst du bei mir, er wär nicht halb so lang.«

»Die Sonne fällt bald in den Wald, und die Nacht findet heim. Lauf zu!« drängt sie.

Er säumt. »Bei meiner Muhme sollst du hausen, bis ich dich heimführ. Bei meiner Muhme steht ein Majoranstock im Fenster und blüht ein Mirtelbaum. Geh mit mir! Geh gleich mit mir! Lass den wilden Lusenmann!«

Sie schüttelt den Kopf. Lachen und Weinen ist ihr nahe. »Ich muss noch einmal zu ihm. Ich muss ihm ein ehrliches Behüt Gott geben. Er ist gar so allein.«

»Dort droben müsst ich sterben vor lauter Zeitlang«, sagt der Schreiber.

Sie entreißt sich ihm.

Im Bergwald kehrt sie sich um und ruft zu Tal: »Komm wieder, du feiner Schreibersbub!«

*

Den Eisengrein treibt es ohne Ziel über Au und Berghalde. Er pfeift trotzig vor sich hin und schlägt zuweilen die Äste von den Bäumen, dass die Raben krähend von den Wipfeln fliehen.

Vor dem Hieselhies seinem Haus hält er an.

Es ist aus wurmigen, mulmigen Balken gefügt, der Wind fährt durch und durch, und drin sitzt der Wilderer bei einer Schüssel, bläst den Dampf von der Suppe und rudert mit dem Löffel drin herum.

Der Eisengrein freut sich, seine üble Laune entladen zu können, und höhnt ins Fenster hinein: »Bist jetzt deine eigene Köchin worden, alter Bub?«

Der Hieselhies hebt die verblassten Augen, hebt die zitternde Faust; schier hat er nimmer die Kraft, sie zu ballen. »Gib mir das Nannderl wieder!«

»Willst du mit mir um sie raufen, höhö?« lacht der Stierhirt.

»Hüt dich, ich hab schon hübsch ein paar weggeräumt!« droht der Alte. »Den Forstknecht vom Rachel, den Oberjäger Stöckel «

»Mich mischt du nit in deine Litanei«, sagt der Hirt, »deine Kraft ist verschwelcht.«

»Und du kannst mir auch nit an«, zischelt der Wildschütz.

»Ich bin kugelfest. Weil ich mein Lebtag en reiner Junggesell gewest bin. Ich sterb nur – durchs Alter.«

Und ein wildes Erinnern scheint ihn zu packen. Er rafft sich auf, wie ein Wetter fliegt es über die zerrissene Stirn, die abgelebten Wangen brennen. Mit den elenden, schlotterigen Händen tappt er hinter den Ofen. »Einen Reisepass geb ich dir – in die Höll, – wenn du mir – das Nannderl nit schickst!« stöhnt er.

Der Eisengrein sieht den rostigen Birschstutzen in den Händen des Wilderers. Vermessen reckt er ihm die breite Brust hin. »Da hast du eine Scheibe. Triffst du mich, so gehört das Nannderl dir. Du musst aber ehender noch den dünnen Schreiber hinknallen!« spottet er.

Der Alte lehnt sich an den Türstock und summt, als beschwöre er ein Wild. »Hirsch, steh still! Ich verbiete dir dein Laufen und dein Springen. So wenig der Schächer sich vom Kreuz hat reißen können, so wenig sollst du vom Fleck laufen! Steh! Steh! Steh!«

Seine unvergessenen, schlimmen Finten treibend, legt er unter jämmerlichem Beben den Stutzen an. Er bringt ihn fast nicht bis zur Wange.

»Schieß her!« reizt der Eisengrein.

Doch als der Wildschütz den dürren Finger an das Zünglein des Gewehres getan hat, da liebt seine Hand auf einmal fest und ehern. Alles Zittern hört auf. Kalt und ruhig zielt er auf die Brust des Stierhüters.

Er schießt.

Der Eisengrein prallt zurück, als habe ihn ein Ebenbürtiger auf das Herz geschlagen, und wankt.

Dann hallt sein Lachen. »Alte Hunde sind bös zu binden. Deiner aber bin ich noch Herr!« schreit er. Sein Wolfsbengel trifft den Schädel des Wildschützen, dass es kracht.

Der Hieselhies liegt auf der Schwelle und rührt sich nimmer.

»Nix findet ewig statt«, sagt der Stierhire.

An seiner Brust rieselt es warm herab. Das Blut rinnt ihm aus. Er taumelt fort.

»Ins Herz hat er mich getroffen. Sterben muss ich wie die andern Leut.« Damit tröstete er sich.

Erst hält er das Blut mit der Hand zurück, hernach versucht er es mit einer Spinnwebe, die an einer Staude flattert. Wie ein Brunn aus hartem Fels schießt das Blut an den Tag.

Schließlich reißt er einen Brocken Pech von einem Baum, drückt es auf die Wunde und stillt den roten Brunn. Die Hände trocknet er im Gras.

Daheim sieht das Nannderl das blutige Hemd. Sie schreit auf und wirft die Arme über den Kopf.

Er spaßt: »Einen ganzen Saufechter voll Blut hab ich gelassen!«

Sie traut sich nicht zu fragen, wie er verletzt worden sei. Mit breiten Waldblättern kommt sie gelaufen, die Wunde zu kühlen.

Er weist sie unwirsch ab. »Lass es gehen! Ich hab noch allweil Blut genug. Mit meinem Blut ersauf ich das Tal mit allen Schreibern der Welt.«

Du wirst hin!« bangt sie.

»Die Kugel steckt im Herzen«, sagt er, »ich spür, wie drin das Blut die Kugel hebt. Aber ich halt den Schuss aus. Ich bin nit wehleidig.«

Er holt die Axt, um Holz zu schaffen, wie es der Herd und sonst des Hauses Notduft begehrt.

Sie steht neben ihm, legt die Wange in die Hand und ist traurig.

Er blinkt sie an. »Dauert dich mein Blut?«

Sie atmet hart. »Ob der Schreiber glücklich heimkommen ist?« fragt sie.

Der Eisengrein treibt die Axt wild und tief ins Holz. Ihm ist, er müsse sich das Pech von der Brust reißen und ganz und gar ausbluten.

Eines Märleins erinnert er sich, das sie ihm jüngst erzählt hat, und er sieht sich in der Sägmühl wie einen gefällten Baum eingespannt, und ein ganz zartes Spinnfädlein zerschneidet scharf und grausam das starke Holz.

*

Der Zaunkönig klirrt und warnt den Wald. denn die Grafenauer brechen ein, lärmendes Volk, Schützen, Spießleute, Hunde, den Bären zu bestehen, der ihre Herde schädigt.

Die mit den Spießen scherzen: »Wir gehen Wolken strotten mit den langen Stangen!« Doch sind sie samt und sonders stolz, dass sie in die Wildnis fahren gegen das gefährliche Untier und nicht Eichkätzeln zu schießen brauchen, wie es anderorten bräuchlich ist im Bayerischen Wald.

Mitten am Böhmerweg finden sie in einem Ring von Steinen, mittels eines rostigen Messers in die Erde gespießt, den Absagebrief des Hirten.

Der Landrichter, ein hochfahrender, gerader Mann, lässt sich ihn auf Ross hinaufreichen und liest laut vor.

»Der Kerl bürstet uns grob ab!« ruft er.

»Wir wollen ihm zeigen, wo der Herrgott knotzt«, sagt der Propst Vitus Camutius.

Herr Hipfel, der Bürgermeister zu Grafenau, meint, man müsse Mittel und Weg suchen, den rauen Mann zu fassen, da er sich strafbarlich unterfangen habe, die Obrigkeit also lästerlich anzulassen.

Er lässt den Amtsgehilfen Jakob Mausköpfel vortreten, und der wiederholt, was er schon mit Betrübnis in der Kanzlei gemeldet hat, dass ihn der tolle Kerl zöpflings emporgehalten und ihn also grausam genottätigt habe, bis er mit seiner Feder willfährig worden und mit gesträubtem Herzen besagten Schandbrief geschrieben. Und nochmals bittet der Schreiber, man möge ihn dessentwegen nicht unschuldig in Ungnaden stoßen, sondern ihn bei seinem bescheidenen Brot belassen.

Auf der Lusenwiese angekommen, umstellen sie die Hütte des Hirten.

Der Propst feuert die Leute an: »Wir wollen den Teufel gleich beim Horn nehmen!«

Sie pochen mit den Stangen an die Tür und stoßen sie auf. Das Nannderl sitzt in der Stube und staunt. Dass es gar so viele Leute auf der Welt gibt!

»Wo ist der Eisengrein? Wo treibt er seinen Schlendrian? Warum hütet er nicht die Stiere? Ist der Geier ausgeflogen?«

Die Fragen schwirren durcheinander.

Sie sitzt wie eine Bauernbraut und regt sich nicht. Nur einmal deutet sie kurz gegen die Weide, wo die trägen Stiere grasen oder rasten.

Sie wird erst lebendig, als sie den Schreiber sieht. Der hat sich ungewöhnlich schön angezogen. Derweil die anderen in derben, abgerissenen Joppen zur Bärenhetz gehen und selbst der Propst weidlich mit Leder gepanzert ist, steht der Mausköpfel wie ein Pfingstbräutigam aufgeputzt. Das Bärtlein hat er sich abgeschabt und das Kinn mit einem Schönpflästerlein belegt; ein neues, blaues Bändlein ist in den Zopf geflochten und auch eine kleine Gerte darein getan, dass er steifer in die Luft stehe. Am samtenen Brustfleck blitzen statt der Knöpfe etliche silberne Taler. Der blaudunkle Rock, mit kamelhärenen Knöpfen besetzt, hängt bis zu den Knien hinab und lässt aus der Tasche ein artiges Schweißtüchlein spähen. Die schwarzsamtenen Hosen sind unter dem Knie mit Silberspangen geschlossen, und die weißen Strümpfe wachsen aus zierlichem Schuhwerk, dessen blanke Schnallen mit roten Steinen versehen sind. Es passt dem Schreiber alles fürtrefflich, das angerostete Schießgewehr etwa ausgenommen, das er schandenhalber bei sich führt.

Und er bietet dem Nannderl, das ihn entzückt anstarrt, die Hand und sagt zu den Umstehenden: »Sie ist meine Anverlobte.«

Doch werden seine Worte von zornigem Geschrei übertäubt: im Wald ist ein toter Stier gefunden worden, die Haut entsetzlich zerprankt und zerkrallt. Das hat nur ein Bär tun können und vor äußerst kurzer Zeit.

Mit Grauen weisen die Jäger auf die Spuren der mächtigen Tatzen, die das Tier wohl mit einem einzigen Hieb entleibt haben. Sie ziehen ihre Hunde näher an sich. Dieses Ungetüm sollen sie aufstöbern und ihm begegnen im öden Wald! Ein Hirschlein hetzen, das ist eine Lust. Aber ein saures Geschäft ist es, einen Bären zu erspießen. Heute heißt es, Leb und Leben daransetzen. Und darum hat sich heute auch der hochwürdige Propst der Birsch angeschlossen, dass er die tödlich verletzten Weidleute versehe mit dem letzten Trost.

»Das Vieh muss in der Nähe sein!« schreit der Bürgermeister Hipsel. »Lasst es uns angehen! Es soll uns nimmer schaden!«

Nun wird verkündet, wie nach guter Gepflogenheit die Beute zu teilen ist. Der Kopf und die rechte Hand des Bären gehört dem Landrichter, die linke Hand dem Propst, der mit seinem Trost bereitstehen muss, und Fell und Schinken gebühren dem Bürgermeister von Grafenau.

»Und dem Skribifax Mausköpfel gebt den Schwanz!« ruft eine fröhliche Stimme, und ein frisches Gelächter flattert auf.

Der Schreiber wehrt bescheiden ab: »Ich verzichte auf jegliches. Ich bin ein redlicher, einfältiger Mann und hab mit dem Bären nichts zu schaffen.«

»Recht hat er, er Hundsföttel!« sagt der Landrichter und klopft ihm auf die Achsel.

Die Bärenbeißer sind an den Leinen unruhig worden. Nun lässt man die ungeduldigen Hunde ab, dass sie des bösen Tieres Lager finden.

Der Landrichter gibt das Zeichen zum Beginn der Jagd. Er hat seinen Hund mit Käse und Brot gefüttert und ihm das Fell gekrault, und jetzt ruft er: »Hui an und hernach! Der Bär ist gach!« Und nun hetzen alle ihre Hunde an: »Frisch drauf! Hernach, hernach! Hui an und hui auf!«

Um das Wild aus dem Loch zu sprengen, schreiten die Treiber je eine Spießlänge weit voneinander, bengeln gegen die Bäume, trommeln und schreien mit hellem Hals: »Bär aus! Bär aus!« dass das Gehölz gellt.

Der Landrichter nimmt einen übeln Angang: ihm begegnet die alte Wöcklin, eine Reisigbürde auf dem Buckel. Sie kichert und nickt: »Wollt ihr den Eisengrein fangen? Da müsst ihr klug sein! Fuchs gegen Fuchs!«

Der Landrichter flucht, die Hexe werde ihn um sein Weidmannsglück bringen, und wendet sich ab.

Der Schreiber aber ist bei dem hübschen Nannderl geblieben. Sie schaut ihn immer wieder von vorn und hinten und links und rechts an, so sehr gefällt er ihr in seinem Staat.

Er schenkt ihr ein feingoldenes Ringlein. »Heut musst du mit mir gehen«, sagt er, »da heroben ist kein Bleiben. Deine kleinen, weißen Zähne sollen hinanfürder in süßem Wein baden, nimmer in Kranwitmost!«

In der Ferne geben die Hunde aus, ihre Laute werden immer heller. Da wird auch Reckel, des Schreibers scheußliches Köterlein, unruhig, es schaut bettelnd seinen Herrn an, jagt gegen den Wald und kehrt bettelnd wieder zurück.

Da seufzt das Nannderl: »Ach, dass das Hündel so viel herzhafter ist als der Herr! Du trägst ein Gewehr und gehst nit mit den andern gegen den Bären!«

»Soll ich ein derart geschuler und wohlschreibender Mann, von dem dummen Vieh gefressen werden?« sagte er bestürzt.

Sie erzürnt sich schier ein wenig. »Hast du denn gar keine Schneid bei dir?« fragt sie.

»Daran gebricht es mit keineswegs«, erwidert er. Er beißt sich fast den Nagel von dem Daumen, sieht eine Weile ganz grünsauer darein und folgt dann zögernd seinem Hund in den Wald nach.

Da tut er ihr wieder schrecklich leid. Ihr ist, er renne schnurstracks dem Bären in den Rachen. Das törichte Tier weiß ja gar nicht, wie gescheit und wie fein ihr Schreiber ist und wie sorgsam er zu reden versteht! Es wird ihn nicht verschonen! Und das winzige Hündlein schützt ihn nicht! O, was soll nun werden?

Der Eisengrein steht auf einmal neben ihr. »Renn ihm nach! Hilf deinem Schreiber!«

»Hab mir es nit für übel!« bittet sie.

»Meinetwegen heirat ihn!« murrt er. »Du wirst ihm weniger kochen müssen als mir. Elf Schreiber haben genug an einer Harungsnase!«

Sie weint. »Er ist ein feiner Herr!«

»Schau nur, dass der Wind ihn dir nit hebt und verweht!« spottet er. »Ich gönn dir ihn.«

Er schließt die Augen und seufzt aus tiefstem Grund auf.

Er aber braust rätselhaft gäh in die Höhe, er packt sein Haus und rüttelt es. »Am liebsten tät ich alles wieder zusammenreißen!« brüllt er.

Da wird ihr angst vor dem furchtbaren Mann, und sie flüchtet.

*

Der Schreiber Mausköpfel folgt keinesfalls dem Getöse der Treiber und Hunde ins dichte Gehölz, sondern hält sich seines strammen Zopfes und der festlichen Kleider wegen hübsch auf dem Böhmerweg. Er tröstet sich mit seinem Hündlein, das ab zu in das Loch der Waldmaus hinein schnüffelt und sonst guter Dinge ist.

Als er tiefer in die Wälderöde gerät, wo kein Nusspicker sich meldet, der Vögel ungereimte Lieder plötzlich schweigen und nur des Sperbers Räuberschrei schallt, und als er gar das Gelös eines fremde Tieres findet, da wird ihm bang vor der Wildnis, darein er sich so verwegen gewagt hat. Er presst das Gewehr hart an sich, um sich an dem kühlen Eisen zu ermannen. Da schleicht er durch den lauernden Urwald, er, der sich kaum durch das harmlose Marchholz zu gehen traut, das in vollster Nähe der sicheren Stadt Grafenau liegt. Ach, lieber wäre es ihm, er gehe durch die verdächtigste Gasse eines unbekannten Ortes, als hier durch die erstorbene Einsamkeit!

Denn auf einmal knispelt es da und rispelt es dort, und als er sich erschrocken umdreht, wird er zur Erlösung seines stockenden Blutes inne, dass kein mörderischer Beutelschneider und kein krötiges Scheusal sich gemeldet hat, sondern nur der Wind, der mit dem Laub zu spielen anfängt und die düsteren Wipfel droben öffnet und schließt.

Die fernen Hunde tun plötzlich ganz wild. Vielleicht ist der Bär schon weidwund, und sie wittern seinen roten Schweiß oder fetzen gar schon an seiner Flanke.

Der Mausköpfel schnaubt auf. Er geht hastiger in die Richtung des Gebelles. Es ist doch bekömmlicher, in der Nähe der anderen Leute zu sein! Ihn friert in dem spröden Wind.

Auf einmal steht er auf der Blöße vor dem Hochgericht. Daran hängt kopfüber ein Mensch, die ungestüme Luft dreht ihn, und die blanken Zähne des abscheulich verdorrten Gesichtes fletschen den Schreiber an. Dahinter wölbt sich gespenstisch kahl der zertrümmerte Berg.

Dem unfreiwilligen Jägerling wird sterbensangst. Jetzt weilt er auf der vergrasten Tenne des Galgens, mitten unter den Armesünderblumen, die vom letzten Schweiß des unholden Schelmes, von seinem triefenden Todesgeifer betaut ist! Nehmen denn Abenteuer heute gar kein Ende?

Und dort jenseits der Wegspur verwuchern die Mauerreste der gewesenen Brotbank, wo einstmals unbewacht die Laiblein ausgelegt worden sind, die sich der hungrige Salzsäumer hat kaufen dürfen auf der Fahrt durch das menschenleere Gebirg. Wehe aber dem Unredlichen, der das gebührliche Geld dafür nicht erlegt hat, sondern, auf den Schutz der Wildnis bauend, betrügerisch der Zahlung sich hat entziehen wollen: er ist zu Stein gefroren! Und darum hat vormals tagtäglich ein Bote aus Grafenau zu diesem abwegigen Ort reisen müssen, die Gefrorenen wieder zu entbannen und zum Leben zurückzubringen.

Den Schreiber überhuscht eine Gänsehaut. Wie leicht hätte der Zufall es fügen können, dass er in jenen entschwundenen Tagen zur Welt kommen und Bote und Banner der Stadt Grafenau werden können! Ächzend zieht er sich von diesem unerträglichen Gedanken zurück.

Das Hündlein Reckel empfindet nicht den gespenstischen Hauch dieser Stätte, es schnuppert vergnüglich das Galgenfleisch an, verbellt es und trabt seinem Herrn nach, der rückgewandten Gesichtes von dem Richtplatz sich entfernt.

Und plötzlich steht der Schreiber irr im verstrüppten Unterwuchs, darüber die Kronen sich schließen, darum der Wald knistert und knarrt, und da auch der Lärm der Treibjagd verstummt ist, beklemmt ihn die wilde Stille. Und ein schrundiger, verknorrter Baumstock winkt ihm und gleicht einem beklauten, bockschwänzigen Waldteufel, wie man ihn in gelehrten Büchern des Öfteren wahrhaft und genau beschrieben und abgeschildert sieht.

Der Mausköpfel fürchtet um seine arme Haut. »Zu Hilfe!« zetert er und springt über Stock und Stauden davon.

Eine Waldstimme äfft seinen Schrei nach.

Sträucher mit bösen Ranken und Krallen tasten nach ihm, Zweige geißeln ihn ins Gesicht, der Dreispitz bleibt an einem Hanichel hängen. Die schneeweißen Strümpfe werden schmutzig, als er bis an die Knie in eine faulende Rohne versinkt. Er tritt in riesige Ameishaufen, setzt über Sümpfe, kriecht durch Stelzenbäume. Und der Reckel ist immer knapp hinter ihm her, toll und belustigt, denn er glaubt, das Herrlein treibe Kurzweil.

Nun der Schreiber sich außer Atem gerannt hat und auf einer geringen Lichtung innehält, stürzt ein Hirsch aus der Dickung, mit wildem Bart unter dem Geäse, springt über das geduckte Schreiberlein hinweg und verrauscht im Gestrüpp.

Der arme Gesell weiß nimmer wo aus und wo ein. Die Bäume rings sind verschraubt und verdreht von tausend Stürmen. Hier in dem verwunschenen Holz wandeln gewiss die Geister der Gehängten, hier an dieser verlorenen Stelle, wo man hätte den Leibhaftigen vorladen können. nichts als verwischte Pfade, die ins Irre laufen und ihr Ziel nicht finden können. Wie verworren wachsen die Äste durcheinander! Und Stämme stehen da, deren manche wohl vier Männer nicht umgreifen können. Ein Vogel schrillert. Und wenn der Wind pfeift, ist es, als pfeife ein armer Sünder.

»Das ist kein Schreiberland!« denkt der Mausköpfel, kauert hinter einem Farn und schnellt wieder empor und lauscht, ob nicht der Gottseibeiuns seinen Kuckucksruf hören lasse oder der zornige Bär des Weges daher brause. Des zerrissenen Stierfelles sich erinnernd, schlottert ihm das Hasenherz im Leib.

Rings keine Sterbeseele. Kein Pechler, der seine Harzbrünnlein besucht, kein Holzknecht, der Scheiter klaftert, kein Vogelsteller, kein Wurzelsucher, kein Ameisler. Kein Kohlenmeiler ist zu riechen. Nur in einer Ferne, die unerschwingbar ist, schallt das raue Gebell der Bärenfinder. Und die Bäume schlenkern die Äste immer wilder, und es saust und knackst und ist ein Rabenwetter.

Hinter dem Schreiber regt es sich, dann rauscht es und dröhnt mit dumpfem, gewaltigem Schlag nieder. Der Erdboden bebt.

Er reißt den Kopf herum. Wenige Fluchten weit von ihm ist ein Baum umgefallen, ein riesiges Gewächs, und die Ursache davon ist nicht zu sehen.

Dem Mausköpfel quellen die Augen. Am liebsten schrie er Mord über Mord, aber seine Kehle ist gedrosselt.

Das mannhafte Hündlein hingegen stürzt über den gefallenen Baum her, als wolle es ihn mit der Schnauze fassen und seinem Herrn bringen. Es zerrt eine Weile daran herum, verschwindet dann hinter der buschigen Krone und beginnt giftig und aufgeregt zu kläffen und wird wieder still.

Der Schreiber horcht hoch auf. Ein fremdes, unheimlich böses Murren hebt an. Hernach dringt etwas Ungeheures, Schleppendes aus dem Strupp.

Der Schreiber hört sein eigenes Zügenglöcklein läuten. In letzter Hoffnung vertröstet er sich auf seine langen, hurtigen Beine, doch sie scheinen vor Schreck in den Boden gerammt zu sein. Sein Leib versagt. Schwarz wird es ihm vor dem Blick.

Ein mächtiger Bär bricht mit pechigen Zotten und brennenden Augen in die Lichtung heraus. Wie rasend taumelt er im Kreis, denn in sein Gemächte verbissen hängt der Reckel, und der Bär kann von dem Hündlein nimmer los und das Hündlein nimmer von dem Bären. Das wilde Tier geht wie irrsinnig, es merkt den Menschen nicht und widmet sich nur seinem wütenden Schmerz. Es erhöht sich und klagt, lässt sich wieder nieder und rennt hilflos im Ring und ohnmächtig gegen den belanglosen Peiniger und ratlos vor Pein.

Der Mausköpfel steht wie vom Donner angeschmettert, er wagt nicht zu atmen, dass er sich nicht verrate.

Als die Qual dem Tier unerträglich wird, brüllt es gräulich auf und stellt sich auf die Hintertatzen, und seine Augen treffen funkelnd den Schreiber.

Dem Mausköpfel wir die Nase weiß. Flugs ruft er alle Heiligen an, deren Namen ihm beifallen, mit einem Stoßseufzer verlobt e sich zu einer Wallfahrt zu dem Gnadenbrünnlein des heiligen Oswald und zu den drei elenden Heiligen in Ötting, und wie im Traum hebt er das Gewehr, wovon er nicht einmal weiß, ob es geladen ist oder nicht, die Augen presst er heftig zu, denn er hat sein Leben noch nie geschossen, und blindlings drückt er los.

Er spürt einen starken Schlag in die Backe. Dann wartet er mit verschlossenem Blick, bis der Bär ihn packe und zerfleische.

Weithin weht der Schall des Schussen, und die Weidleute berufen mit dem Horn die Hunde um sich und kommen gelaufen.

Aufs Höchste verdutzt sehen sie zu Füßen des Schreiberlings das ungeheure Wild hingestreckt. Blut rieselt aus der pechigen Brust. Hier ist ein Meisterschuss abgefeuert worden.

»Glück muss einer haben! Glück ist besser als Fuchsdreck!« schreit der Jäger Aufschläger ergrimmt. Mit Gewalt muss er dem verbissenen Hündlein das Maul aufbrechen, um es von der Beute zu lösen.

Die großen Hunde spannte ihre Leinen, fletschen den Bären an und knurren.

Der Schreiber aber erwacht und staunt, als sei er lange gefroren gewesen und nun entbannt, und als das Nannderl sich durch die Jäger zu ihm drängt, begreift es sein Glück.

»Nannderl«, schreit er außer sich, »Nannderl, ich hab dem Bären eins aufgebrannt!«

Sie kniet vor ihm hin und schaut ihn seligdumm an.

»Dass ihn Gottes Fleisch!« murrt der Landrichter. »Von ihm hätt ich das nicht erwartet!«

Der Jakob Mausköpfel fühlt, dass sein Lebtag nimmer ein solch günstiges Sternlein über ihm brennen werde wie heute, und er heb die Jungfer auf und führt sie zu dem großen Herrn. »Beinebens bitte ich demütiglich, gnädigster Herr Landrichter«, sagt er, »Sie sollen mir in Gnaden gestatten, dass ich mich verweibe und selbiges züchtige Mensch mein Hauswesen führe.«

»Er hat ein Bärenglück, Mausköpfel«, nickt der Landrichter. »Führ er nur seine artige Buhlschaft heim! Wir wollen Sorge tragen, dass sie ihm bewilligt werde. Und benehme er sich auch im Ehstand fürderhin so tapfer wie heut auf der Hatz!«

Da nimmt der Schreiber das Bräutlein bei den Fingerspitzen, als wolle er mit ihr einen munteren Tanz anzetteln, und um die abgünstigen Augen rings zu beschwichtigen, die ihm sein Glück vorwerfen, gelobt er laut, für alle Jäger und Treiber das beste Bier in Grafenau anstechen zu lassen.

Die Knechte haben derweil aus derben Ästen eine Bahre verfertigt und tragen geräuschvoll die Beute von hinnen.

Der Landrichter und der Bürgermeister Hipsel folgen weit hinter ihnen als die Letzten nach, und sie versäumen sich noch mehr, als der Propst mit verspätetem Frohlocken zu ihnen stößt.

»Jubilemus! Cantemus! Gaudeamus!« lärmt er. »Und lasset uns nach bestandern Mühsal und Gefahr raste und fröhlicher Weidmannsrede pflegen! Und Wein her! Post imbrum herba, post vinum verba! Also hat schon der römische Bürgermeister Cicero gesungen.«

Des sind die anderen zwei zufrieden, sie lehnen ihre Büchsen an einen Tannenbaum und strecken sich mitten auf dem Böhmerweg hin.

Indes der Herr Hipsel Flasche und Becher aus dem Weidsack holt und einschenkt, bringt der Propst ein umfängliches Stück kalten Braten herfür und lacht: »Also wollen wir das gottwohlgefällige Noahgesöff erproben! Esst und trinkt, meine Herren! Gott vergönnt es uns! Hodie, hodie! Post mortem nulla voluptas!« Damit schwenkt er den Becher.

Es ist ein bequemer, geschützter Ort hier. Derweil droben die Wipfel im anwachsenden Sturm taumeln, wiegen sich die krausen Farne an der Straße herunten kaum merklich. Doch wie die Herren im feinsten Schmaus begriffen sind, tut sich das Gebüsch auf, und der Eisengrein steht vor ihnen, mit seinem Wolfsbengel gerüstet.

»Rührt euch nit!« droht seine verwildert Stimme.

»He, was begehrst du?« ruft der Landrichter und fährt auf. Er ist ein langer, stattlicher Mann, allein dem Hirten reicht er nur bis zu den Schultern. Nach seiner Waffe spät er. Doch der Eisengrein steht davor.

Der Propst Vitus Camutius hat sich von dem ersten Schrecken erholt und beginnt eindringlich zu predigen: »Wir haben seinen Fehdebrief gelesen, Lusenmann. Raue Weide, raue Leute! Also sagt das Sprüchlein. Wir verlangen nicht, dass er sich zur honigfleußenden Sippe der Heuchler geselle, aber er ist allzu grob. Mit ihm ist schwer ackern. Zieh er friedlich seiner Straße! Wir wollen ihn derzeit nicht zur Rechenschaft laden. Aber gedenke er Gottes, der ihm die rechtmäßige Obrigkeit vorgesetzt hat, und wenn er nicht an Gott glaubt in der Wildnis seines Herzens, so scheue er den Teufel, der seiner nicht spotten lässt!«

»Bist du so hirnvergessen, Stierhüter?« mahnt jetzt der Bürgermeister. »Du bringst dich um deinen Lidlohn. Wenn die Gemeinde dich verjagt, mit deiner überschwänglichen Kraft findest du dich in der ganzen Welt nimmer zurecht!«

»Räuspert euch nur aus über mich!« sagt der Eisengrein.

Der Landrichter saust ihn an: »Du ungeleckter Kerl! Du reitest übel bei mir an: »Du sollst mir Rede stehen, was du da heroben getrieben hast! Die Bären hast du mit Stierfleisch gefüttert und uns hast du die Häute geschickt!«

»Spatzenköpfe kann ich euch nit schicken, die wachsen nit am Lusen, höhö!« lacht der Hirt.

»Und dein Brief, du Lümmel?!« schreit der Landrichter. »Aus dir könnte man einen Sautrog hauern, so grob bist du!«

»Ihr drei seid die höchsten Herren bei uns im Wald«, sagt der Eisengrein in aller Ruhe. »Ich wünsch mit von euch nur eins, dann lass ich euch heil davongehen.« Er spreizt die Beine weit auseinander. »So wünsch ich, dass ihr drei zwischen meine Hachsen durchkriecht.«

»Spiel nit mit uns!« warnt der Herr Hipsel. »Denkst du nit über deine Nase hinaus, du Rappelkopf? Hat denn das um Himmels willen einen Zweck, was du mit uns vornehmen willst?«

»Er griesgrimmender Bär, lauf er nur in des Teufels Zwirn!« schilt der Propst.

Der Landrichter schaut aus wie die eingefleischte Wut. »Erwisch ich dich, du Hundskragen, keucht er, »für solche Schande soll dich der Henker scheren!«

»Bäumt euch nit! Kriecht durch oder ich zerschlag euch das Hirn und grab euch gleich ein!« tobt der Eisengrein sie an. Mit ungeheurem Schwing lässt er die Keule durch die Luft pfeifen, stiert grauenhaften Auges auf die drei nieder, faustet hernach auf die Brust wie auf einen Ambossstock und wiederholt: »Bei Haar und Bart schwör ich, ich bring euch um!«

Da stellt sich zunächst der Bürgermeister mit saurer Gebärde auf alle vier und kriecht zwischen die gespreizten Beine hindurch. Sein zinnbeschlagenes Pulverhorn baumelt. »Du beleidigst in mir die ganze Stadt!« jammert er. »Aber Leib und Leben geht voraus. Der Leib ist unser höchstes Kleinod.«

»Jetzt du!« herrscht der Hirt den Propst an.

Herr Vitus Camutius kriecht durch das Joch und schleudert dem über ihm alle Teufelsnamen der Bibel an den Kopf, die ärgsten Schmähungen jedoch vorsichtig in sein Latein hüllend. Er tut sich schwer mit seinem Wänstlein.

Hinter ihm kriecht aschfahl und mit knisternden Zähnen der Landrichter durch das Tor der Schmach. Er schäumt: »O Schand und Spott! Kerl, den Schädel lass ich dir abhacken und zu deinem Gesäß legen!«

»Nix für ungut, ihr drei!« lacht der Eisengrein. »Mehr will ich nit. Es ist mir genug.«

Mit einem Sprung ist er im Gestrüpp und davon.

»Hat mir das geträumt?« stöhnt der Landrichter. »Vor lauter Schande könnt ich den Kopf in die Erde stecken! Und ihr zwei, ihr habt zugeschaut, wie er mich so unmenschlich erniedrigt hat!!«

»Wir haben einander nix vorzuschmeißen«, sagt der Herr Hipsel kleinlaut. »Am besten ist, wir lassen auf sich beruhen, was da geschehen ist, und reden nimmer drüber. Ändern kann man ja nix mehr. Auch wenn wir durch seine Hachsen wieder zurückkrieche wollten.«

Da geloben die drei Herren einander ein unverbrüchliches Schweigen, auf dass sie nicht dem Spott der Welt anheimfallen und das Ansehen der Obrigkeit keinen Schaden leide. Als sie zu der Stierweide zurückkommen, steht die Wöcklin mitten unter den Jägern und deutet auf das Dach des Lusenhauses. Droben ist eine blutige Gabel ausgesteckt, in der Form einer kralligen Bärenpratze geschmiedet.

»Damit hat er das arme Vieh gemetzelt!« kreischt sie. »Damit hat der Eisengrein die Stiere zerkrallt! Er selber ist der Bär gewest! Er hat nit genug Fleisch kriegen können! Zum Spott hat er euch jetzt die eiserne Tatze ausgehängt!«

Ein Grauen überfällt die Männer. Sie verstehen jetzt die wilden Risse in den Stierhäuten. Die Taten des Eisengrein sind jetzt offenkundig.

»Treibt die Herde weg!« schreit der Landrichter. »Und setzt den roten Vogel auf das Dach!«

Der Propst sänftigt ihn. »Das Vieh muss seinen bösen Listen und Possen entzogen werden! einen andern Hirten soll man dingen!«

»Es geht uns ja keiner in die Wildnis!« klagt der Herr Hipsel. »O weh über diesen argwilligen Mann!«

Wieder zetert die Wöcklin: »Und der Hieselhies ist auch hin! Der Hirt hat ihn ertremmelt!«

»O justus deus!« ruft der Propst und bekreuzt sich. »Der Eisengrein muss Brennholz sein für den Satan! Das hölzerne Weh soll ihn angreifen! Hinrichten muss man ihn mit Grund und Fug! Und einscharren sine lux et crux!«

»Wir müssen ihm das Handwerk schleunig legen!« sagt der Landrichter. »Aber wo finden wir ihn?«

»Auf den Lusen hinauf ist er«, sagt die Wöcklin. »Und je weiter er gegangen ist, desto größer ist er geworden. Zuletzt ist er bis ans Gewölk droben angestanden. Hernach hat ihn der Nebel zugedeckt.«

»Wir fangen ihn!« befiehlt der Landrichter. »Wehrt er sich, so wird er niedergeschossen. Er verdient nichts anderes.

Der Gewaltkerl soll keinen guten Tod nehmen.«

Er verstummt. Ein Donnerschlag grollt vom Lusen her.

*

Die Raben schreien Sturm aus. Rauer strählt und zerrauft der Wind die Bäume. Es rasselt und prasselt.

Der Eisengrein ringt sich durch den zürnenden Wald, durch toten und lebendigen Tann. Einem vorweltlichen Riesentier gleich, bricht er in die verstrüppte, kaum durchdringliche Welt ein und überwindet das Hemmnis geknickter Stangen, Farn und Dorn, Moder und Sturz. Zersprengte, klunsige Bäume, Bäume, durch die der Blitz geronnen, Bäume mit zerborstenen Rinden und bärtigen Ästen geistern, unter grauen Flechten erstickter Wuchs, als kahles Gespenst androhend den Himmel. Hernach wieder ein Loch in der Wildnis, mit jungen, dicht nebeneinander aufschießenden Tännlingen gefüllt. Hernach versprengte Blöcke, das Felsenmeer vorauskündend, den steinernen Hut, der den Lusen deckt. Steile Schäfte wechseln mit dem Wahnwitz wirrster Verknorrung, und überall rauscht es so stark und geschlossen darein, als ziehe irgendwo ein starker Strom zu Tal.

Die Bäume kämpfen wider einander, und zuweilen scheint es, der Sturm müsse alle Stämme mitten entzwei brechen.

Auf einem Anger frisst ein kranker Wolf Gras. Er flieht, da er den Riesen kommen sieht.

Der Himmel ist zugeschlagen. Die Luft weht auf einmal schwül. Irgendwo zwischen den Bergen mag ein Gewitter hängen.

Öd wölbt sich der Lusen, mit Felstrümmern angetürmt. Ein düsterer Bann scheint darüber zu ruhen. Dampf qualmt aus dem Geröll. Krähen klagen.

Fahl lastet es über der Welt.

Der Riese steigt die Trümmerstätte hinan. Er schreitet über Platten, die wie Teufelstische lagern, über Blöcke, von tausendjährigem Wind angenagt und wie höllenversengt unter den krustenden, schwefelgelben Flechten. Kein Nest ist in dem Geröll, darin ein Stäudlein kümmerlich kauern könnte. In diese grenzenlose Urwirrwarr reicht Gottes Ordnung nicht.

Der Wald drunten dunkelt nur noch wesenlos durch den Nebel, der alles mit trauervoller Webe verhängt, und tritt schließlich ganz in den Rauch zurück. Nun bleiben nur Steinbrocken und darüber schleichende oder jagende Schwaden.

Der Riese kniet hin und legt das Ohr auf den Stein. Die Kuhglocken will er hören läuten im hohlen Berg und die Tiere blöken, die der böse Feind und Zauberer drin versperrt hält. Er reißt die Blöcke aus ihrer urgewohnten Ruhe, sich eine Tür zu sprengen und Geistergänge zu öffnen zu der entrückten Alm, wo die schneeweißen Kühe grasen. Der Sonne und dem Mond will er abtrünnig werden, die ihn nimmer freuen.

Unwirscher schreien die Krähen. Der Sturm setzt aus. Es wird plötzlich still. Das ist so beängstigend, als ersticke der Berg im Nebel. Lauschend richtet sich der barhäuptige Mann auf und vergisst seines Vorhabens, in den Lusen zu fahren. Wieder stößt der Sturm in die träger fließenden Dünste und geißelt sie auf. Der unsichtbare Wald drunten am Fuß des gewaltigen Felshaufens ringt brausend, wilder noch mag er sich bäumen denn früher. Die Wolken werden rasend, sie bohren einander Feuer in die trächtigen Bäuche, und da und dort steigen die Donner auf, als brüllten der Rachel und der Moorkopf und die anderen Bergen herüber.

Ein Baum, vom Blitz entzündet, glimmt durch den Dampf. Dem Riesen ist, er müsse den Brand entwurzeln und ihn schwingen zu einem feurigen Rad. All seine qualvolle Gewitterfurcht hat ihn verlassen, und er lechzt gierig in die tolle Luft.

Und wie das Hochgewitter johlt und der Flammensturm rollt, wähnt er, irgendein Großer, Ungeheurer verlache ihn. Da springt er bergan, mit ihm zu ringen. Vor ihm bersten die Wolken, da ist Glut und Getöse, dass dem Bären im Wald der Pelz sich schrofft und die Bärinnen vor Schrecken kreißen mögen.

Der Riese steht jetzt zuhöchst oben am Berg.

Blitze lodern und lechzen rings in schwefelfarbenem Gezack durch die trüben Dämpfe, Nebelgejaid faucht vorbei.

Immer wieder klafft der Brodem, immer wieder stürzt Feuer heraus.

Der Riese zerrt an dem Felsen, als wolle er die Zerstörung hier noch einmal zerstören. Er hebt die Steinschollen und schleudert sie weit in die gärende Tiefe.

Wieder verstummt das irrsinnige Gepolter, die Hölle scheint vor sich selber erschrocken zu sein. Der Nebel reißt, und durch einen breiten Spalt bietet sich einen Augenblick lang in wunderbarer Sonne lockend fernes, grünes Menschenland. Hastig schließt sich der Schleier, und schrecklicher fährt die Kraft des wilden Feuers nieder.

Der Unhold hält einen mächtigen Block erhoben. Seine starken Sehnen spannen sich, die Adlerschnüre an seinen Händen strotzen. Mit schäumendem Maul, mit brausendem Hirn zielt er empor. Er kämpft gegen Gott und Teufel.

Der Sturm hebt ihm den Bart. Sein hohes, helles Lachen flammt. Selige Befreitheit durchzündet ihn. er spürt, der Tod glüht ihn an.

Aus Haar und Bart, aus Haupt und Händen, aus dem Fels, den er schleudern will, glimmt ihm Elmsfeuer. Es ist, in ihm erhebe sich der Berg streitend gegen den Himmel

Da schießt ein Blitz steil wie ein Spieß herab. Ein grauenhafter Donner folgt. Stürzt der Lusen noch einmal in sich zusammen?

Niedergestreckt krampft der Riese die Hand in das Getrümmer, als wolle er den Berg mit sich reißen in sein Ende.

*

 


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