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Ein Haupthaar der Geliebten ist
stärker als hundert Rosse.

M Mitternachtstille. Alte Blätter aus meinen Orientfahrten rascheln mir zwischen den Fingern. Fast riechen sie nach Blut und Brand, denn sie sind hastig und wirr beschrieben das Jahr nach dem großen Christenmord in Syrien.

»Auge der Welt« nennen die Dichter die große Stadt am Bárada. Und dieses Auge allein hatte Sechstausend sterben sehen. Vierzehntausend rettete 'Abd-el-Kadr, der Marabut …

Mitternachtstille.

Die rechte Beschwörungsstunde.

Kreuzlein wachsen aus den Blättern in meinen Händen, vertraute Namen drängen aus den Zeilen.

Fast scheu durchsucht mein Auge die dämmerverschleierten Winkel der Stube. Schauer überrieseln mich … Es wird unheimlich, zudringlich lebendig in meinem Erinnern, und wie aus Schachttiefen rufen Stimmen, die mich leise erschüttern … Wie die Schatten, fremdartig und doch traut, einander zuschwanken, sich wieder abstoßen, um endlich zu einem Totenzuge anzutreten, der eines Spangenberg-Pinsels würdig wäre!

Und mit schmerzender Unverwandtheit schauen sie mich beim Vorbeiziehen an, als wollten sie fragen: Weißt du noch? –

Ob ich noch weiß! So blutwarm leben sie mir heute noch, als hätten sie erst gestern meinen Weg gekreuzt. Sie haben für mich Form, Farbe, Seele nie verloren. Stehet auf! Du, Lady Jane Elisabeth, so fesselnd in deiner schrankenverachtenden Abenteuerlichkeit, Schêch Mischoël, du Schriftgelehrtester aller Beduinen, Wera, du ruhelose Selbstzerstörerin, Elias Taylor, du leidenschaftlichster aller Epigraphiker und Handschriftenforscher, du, Maud Taylor, von tödlicher Liebe umarmt! Abu Gait, du fanatischer Bücherkrämer, 'Abd-el-Kadr, furchtloser Christenbeschützer im wahnwitzigen Damaskus, Musa, du unverbesserlicher Feuerdiener, du, mein treuer Mustafa, der unter heiligen Palmen schläft, Ramah ibn Java, du großer, kühner Karawanenführer! …

Warum mir gerade Ramah am unabweisbarsten naht?

Nicht mir allein hatte er's angetan, wie diese Geschichte zeigt.

So ruf' ich dich zuerst, Ramah!

Höre wohl: Der »Vater des Bartes« ruft dich. So hießen sie mich, die Leute dort mit den spärlichen Bärten? Er ruft dich im Namen des großen Gottes der Einöde, der aus der Morgenröte spricht und aus dem Wettersturm grollt!

Da bist du.

Leibhaftig stehst du vor mir. Eine beduinische Hungerromangestalt in deiner sehnigen Hagerkeit. Und doch ein seltsam schöner Mensch mit deinem kühnen, spitzbärtigen Hellbronzegesicht. Wahrhaftig, hamitisches Blut, wie so manche deiner Brüder, hast du nicht in den Adern, aber verbranntes. Deine verwegene Nase ist wie mit dem Goldstift gezeichnet, dein Zahngeschmeide blitzt. Halbgeschlossen sind deine Augenlider. Doch ich hätte nur einen Namen zu nennen, und deine Augen bohrten wie Flammen.

Hast du wohl zweimal sieben Pfund Fleisch an den Knochen? Kaum. Aber Muskeln wie Peitschenschnüre, Sehnen wie Sprungfedern. Und Nerven!!

Unser einem, der so mitten aus der Kulturmast mit seinem Nervengewinsel und der Großmächtigkeit seines selbstvergötterten Ich in deine große Einöde kommt, dem wird recht klein zumut vor dir!

Ein kleiner Schêch von 'anezitischem Beduinenadel. Arm von Zelt aus, doch ein glücklicher Beutesucher. Nicht selten ritt er aus der Báradastadt wüstenwärts mit reichem Beuteerlös in der Kefîe eingeknotet.

Noch Zeltknabe, erwirbt er sich den beduinischen Ehrentitel Harâmi: Dieb. Später aber ist er unerreicht im Kameldiebstahl. Keiner weiß wie er die Wachhunde wegzulocken, die Tiere loszubinden, die Wege zu verlegen. Er kam in dieser Periode seiner rühmlichen Raubritterlaufbahn immer heil davon, niemals in die »Hungergrube«.

Natürlich ist Ramah passionierter Pferdedieb. Da freilich einmal, so geht die Sage, soll ihn das Glück im Stiche gelassen haben. »Wallah, eine böse Geschichte,« meinte Lady Jane Elisabeth.

Ja, Ramah, schlau warst du wie der Schakal, dessen Gelächter du so täuschend in die Felsen hineinkläfftest, flink wie die Unze, klug wie die Viper, diebsfromm wie ein Tauschhändler, verwegen wie ein Roßdieb. Und wie dir der Stegreifvers glückte! In wahrhaft klassischem Arabisch!

Es kamen – später als diese Geschichte – Tage, wo du mich ritterlich bestahlst und zugleich sicher führtest. Und da mußt' ich mir sagen, daß mir niemals die wildschmeidige, zähe Menschenkraft, wie sie das unerbittliche Wüstenleben schafft, so überzeugend verkörpert entgegengetreten ist, wie in dir, Ramah. Mit solchem Menschenmaterial von Darbern und Dürstern, Beutesuchern und Gottentflammten konnte Mohammed seinem spärlichen Volke die Erztore der Geschichte aufreißen, einen Feuerkeil in eine vermorschte Welt hineintreiben …

* * *

Frühling auf der Bárada-Oase. In leuchtender Barmherzigkeit hat er seine rosigen Schleier über Damaskus und die »Ghûta« geworfen. Es blüht fast bis zu den finsteren Kraterkegeln von Sûfa hinaus.

Als wollte es den Blutgeruch hinausduften. Wera und ich, wir hatten uns nach der Ankunft in der Locanda Melluk einquartiert, die ihre – natürlich nur nach innen – reizende arabische Eigenart der Prachtliebe 'Ali Aghâs verdankte, der Finanzsekretär Ibrahim Paschas von Ägypten gewesen. Dann waren wir Lady Janes Gäste, bis unser Faktotum Mustafa, den wir aus Malta mitgebracht hatten, ein kleines, stockhohes Haus außerhalb der Bâb-es-Salâm hart am kühlen, hurtigen Bárada für uns fand. Ein französischer Ingenieur hatte es für sich gebaut und ließ es, halb orientalisch eingerichtet und mit allem versehen, weiter vermieten.

Kaum fünf Minuten entfernt, an der Straße zur Amâra-Vorstadt, lag eine rotgestrichene Villa, welche ein Mr. Elias Taylor mit seiner Tochter Maud, seinem einzigen Kinder bewohnte. Wir hatten Vater und Tochter bei Lady Jane kennen gelernt, und Wera und Maud, fast gleichalterig, hatten sich, obwohl gänzlich verschiedene Naturen oder vielleicht gerade deshalb, sofort einander angeschlossen.

Taylor war mit seiner wohlgepflegten Person, seinem gemessenen Wesen, dem bis auf den pastorenhaften Unterkinnbart glattrasierten, klugen Gesicht der richtige Typus des englischen Gelehrten. Maud, die frühzeitig die Mutter verloren hatte, war in einer Selbständigkeit aufgewachsen, die bei dem Glanz ihrer Erscheinung und der Begeisterungsfähigkeit ihrer Natur nicht gefahrlos erscheinen mochte. Wohl steckte auch etwas von dem Forschertrieb des Vaters in ihr; sie hatte sich außerordentliche Kenntnisse, besonders sprachwissenschaftliche, angeeignet, aber sie blickte mit beiden heißen Augen ins lebendige Leben, während der Vater, eine halbverträumte Gelehrtennatur, nur mit einem Auge hineinschaute.

Maud war in der Erscheinung die rechte Engländerin, wie Burne-Jones sie so poetisch und stark zugleich festgehalten hat. Hochgewachsen, überschlank, mit gestähltem Körper und nie versagender Gesundheit. Das schmale Oval ihres ernsten, ruhigen Gesichtes, der träumerische und doch willensstarke Ausdruck ihres tief dunkelblauen Auges, der ausdrucksfähige Mund, die blühende Zartheit der Haut, alle diese Vorzüge mußte man als typisch-englisch sehr anziehend finden. Geradezu verzaubert wurde jedoch diese Mädchenerscheinung durch das entzückende Goldhaar, das Maud, je nach Anlaß, bald als Flechtenkrone, bald halbgelöst unter wechselndem Kopfputz trug. Der in den wundervollsten Tönen spielende Glanz dieses Haares hatte etwas Sinnverwirrendes …

Von der Taylorschen Veranda aus sahen wir bisweilen den Emir 'Abd-el-Kadr, der hier mit zahlreichem Hausstande in Verbannung lebte, mit seinem ältesten Sohne Mohammed und seinem Leutnant Sidi-Kadun nach seinem Landsitz am Gelände des Kasjunberges – »Äsun« sagen die Damaszener – vorüberreiten. Der »Löwe von Oran« trug einen hellblauen Mantel, und der schneeweiße Haik, nach Art der Priesterturbane gewunden, verriet den Marabut. Die kleine hagere Gestalt hockte mit stark vorgeneigtem Kopfe wie von einer schweren Last niedergedrückt im Sattel. Wie aber war diese unscheinbare Gestalt ins Heldenhafte emporgewachsen, als es galt, die Christen zu schützen!

Wir lebten auf halborientalischem Fuße. Unser ortsüblich faules Gesinde stand unter der Fuchtel Mustafas, der mit seiner bescheidenen Haushofmeisterwürde das viel wichtigere Amt eines vortrefflichen Koches verband. Als Gesellschafterin für Wera hatten wir eine bei den Charité-Schwestern in Beirut erzogene Halbfranzösin, Tochter eines französischen Offiziers unter Ibrahim Pascha und einer abessinischen Sklavin, engagiert. Sie hieß Naifeh und erwies sich als ebenso anstellig wie anhänglich.

Mustafa ließ es sich bei jeder Gelegenheit angelegen sein, unsere Vorliebe für Araber und Arabisches herauszustreichen. Es konnte dies gar nichts schaden, denn, obwohl die Franzosen noch auf Strafexpedition im Libanon saßen, zitterten doch die furchtbaren Ereignisse von 1860 noch unverkennbar in den Gemütern nach. Sehr echt war jedenfalls meine persönliche Orientbegeisterung. Halbe Tage lungerte ich in den Basaren herum. Galt es doch für spätere Reisepläne Ohr und Zunge zu gewöhnen, zu schulen. Wir hatten wohl Pferde, aber damals taugten in Damaskus Pferde und Esel schlecht für Stadtritte. Außer den türkischen Funktionären und 'Abd-el-Kadr mit seinen Leuten sah man wenig Reiter in den abscheulich gehaltenen Gassen.

Bisweilen ging ich mit Taylor, der des Arabischen wie ein Azhar-Schêch mächtig war. Sein Lieblingsgang war zu den Buchhändlern, deren Basarstraße man auf dem Weg nach der großen Moschee vom Ellenhändlerbasar über einige Treppenstufen hinab erreichte. Strenge Ruhe liegt auf dieser rechtgläubigsten Gasse, auf welche gleichsam der Schatten der heiligsten arabischen Moschee fällt. Feuer hat seitdem dieses kostbarste Moslemheiligtum Vorderasiens zerstört! In den Tagen der Glut, von vier klingenden Betruftürmen in leisen Betrausch gewiegt, war's hier kühl und gut Moslem sein …

Feierlich still ist's bei den Buchhändlern. Nur gedämpft dringt der Basarlärm in die Beschaulichkeit der hochangesehenen Gilde. Hie und da näselt einer etwas Eintöniges aus dem Korân und pendelt mit dem Oberkörper dazu. Einen unzweifelhaften Kâfir (Ungläubigen) würdigen diese Gottgeliebten keines Blickes, sie wollen selbst sein Geld nicht. Er ist ihnen tief verhaßt, weil er ja das Buch der Bücher, das »zweifellose« nachgedruckt hat. Welche Höllenqualen mögen Herrn F. Andreas Perthes in Gotha für seine vielen heiligen und unheiligen Nachdrucke vorher bestimmt sein!

Mr. Taylor allein wurde von diesen Fanatikern der Gottesgelahrtheit nicht abweisend behandelt. Sie bestaunten seine Gelehrsamkeit, und er durfte sogar Korân-Handschriften in die Hand nehmen, obwohl ihnen zumeist an der Stirne geschrieben steht, daß nur Gereinigte den Korân berühren sollen. Andersgläubige aber sind allemal unrein …

Seit einiger Zeit wurde bei den Abenden der Lady Jane viel von einem »roten Korân« gesprochen. Mr. Taylor, Professor Parker von der Sankt Pauls School und ein französischer Orientalist auf der Durchreise nach Baghdâd, dessen Namen mir entfallen ist, bildeten eine Sondergruppe, die sich so gründlich in das Korânthema vertiefte, daß sie für nichts anderes mehr Interesse hatte.

Die Lady und Maud interessierten sich übrigens desgleichen für die Sache, indes Wera sich eine Zigarette nach der anderen gegen die Langeweile drehte. Ich hatte gerade Nöldekes ganz ausgezeichnete »Geschichte des Korâns« gelesen und war natürlich auch ganz bei der Sache.

– » Dieu, que ça m'embête, ce Korân, rouge?« seufzte eines Abends Wera, als wir von der Lady heimkamen. »Was ist's denn mit diesem unausstehlichen bouquin?«

– »Wera, Du bist ein Kind. Es handelt sich um einen merkwürdigen Fund, den der reiche Bücherkrämer Abu Gait in einem alten, verlassenen Grabmal gemacht haben soll. Mir kommt die Sache allerdings einigermaßen verdächtig vor. Sollte aber etwas Wahres daran sein, dann wäre ein handschriftliches Kleinod zutage gefördert und das leidenschaftliche Interesse Taylors, der eine hervorragende Sammlung orientalischer Handschriften besitzt, höchst begreiflich.«

– »Und warum ist denn gerade dieser Korân so kostbar? Ist er wirklich rot?«

– »Wenn Du etwas Geduld aufbringen kannst, so will ich Dir die Sache auseinandersetzen.«

– » Soit! Aber möglichst kurz, Du weißt, Wissenschaftliches macht mich schläfrig, und ich bin's ohnehin schon.«

Und sie lehnte sich resigniert im Schaukelsessel zurück, während ich begann:

– »Alles ist noch dunkel über den Korânfund. Abu Gait, der seinen Schatz nicht im Basar, sondern zu Hause in strengster Verwahrung hält, zeigt sich gänzlich unzugänglich und hüllt sich in tiefstes Schweigen. Als jüngst Mr. Taylor die unerhörte Vermessenheit hatte, ein Wort über den Korânfund fallen zu lassen, da hättest du den finster drohenden Blick sehen sollen, den der Alte unter seinen buschigen Brauen auf den vorwitzigen Frager hervorschoß. Taylor stand bisher noch auf leidlichem Fuß mit diesem Christenhasser, da aber war es mit einem Male aus. Abu Gait griff nach seiner Betschnur, als suche er frommen Schutz gegen so frevelhafte Zumutung eines Ungläubigen, wendete sich ab und sprach kein Wort mehr. Und seitdem ist's so geblieben, ja, fast noch schlimmer geworden, als Taylor, den die Sache nicht los läßt, dem Alten durch die Vermittelung der Lady, die doch, wie Du weißt, bei allen Leuten hier in hohem Ansehen steht, eine ziemlich namhafte Summe anbieten ließ, wenn er ihm nur einen Blick in den ›roten Korân‹ gestatten würde. Du hörst doch zu, Wera?«

– »Ich höre.«

– »So ist man denn gänzlich auf Vermutungen angewiesen, welche sich auf Andeutungen gründen, die Abu Gait einem alten Freunde, einem der berühmtesten Schêchs der Kairiner Azhar, der ihn neulich besuchte, gemacht haben soll. Aber da gehen, was Provenienz und Alter dieses Korâns anbetrifft, die Vermutungen bedeutend auseinander. Die Einen behaupten, er stamme aus dem zweiten Jahrhundert der Hedschra, sei sogar noch in hirensischer, d. h. altsyrischer Evangelienschrift und zwar vom Besitzer selbst geschrieben. Dieser aber wäre angeblich Merwan II., der letzte Omaiyaden-Khalif gewesen, der in der Schlacht am Zâb, 128 Jahre nach der Hedschra, das Khalifat verlor. Da wir heute nach moslemischer Zeitrechnung 1277 schreiben, wäre also diese Korânhandschrift weit über elfhundert Jahre alt. Verstehst Du?«

– »Ich verstehe.«

Sie war so höflich, ein leises Gähnen zu unterdrücken. Gleichwohl fuhr ich fort:

– »Die zweite Version geht dahin, daß der kostbare Korân aus dem fünften Jahrhundert der Hedschra stamme. Er soll noch in kufitischer Schrift geschrieben sein, was indes höchst unwahrscheinlich ist, weil damals die Zeit der kufitischen Korânkopisten, die einen so derben Kálam führten, längst vorbei war. Eigentümer soll, nach dieser Version, kein Geringerer als der große seldschukkische Sultan von Syrien und Ägypten, Nureddin, gewesen sein, in dessen Grabmal wir, wie Du weißt, neulich vergeblich einzudringen versuchten. Nureddin, der unseren Kreuzfahrern so viel zu schaffen machte, Damaskus erstürmte und die Fatimiden in Ägypten stürzte, ist bekanntlich einer der tapfersten, frömmsten und gerechtesten Sultane gewesen …«

Wera gähnte jetzt demonstrativ.

– »Aber warum ist er denn ›rot‹, dieser Koran? Das möcht' ich nur wissen …«

– »Legende. Von beiden Fürsten, Merwan und Nureddin, wird nämlich berichtet, sie hätten ihren Korân allemal mit in die Schlacht genommen und während des Kampfes mit den Zähnen festgehalten. Aus einer Stirnwunde sei dann das Blut auf das heilige Buch geträufelt und habe die Blätter durchtränkt. Die Blutspuren wären heute noch deutlich sichtbar.«

– »Ah, deshalb der ›rote‹, eigentlich der blutige Korân. Das ist doch wenigstens interessant …«

– »Legende, wie gesagt, obwohl sie schon zu Nureddin passen würde. Was das Alter des Buches anbelangt, so ist auch noch die Frage der diakritischen Punkte zur Buchstabenunterscheidung und die Vokalisierung von Wichtigkeit. Ist die Handschrift mit diesen Punkten, die Du ja kennst, und mit den Vokalzeichen, über und unter der Linie versehen, dann … Hörst Du, Wera?«

Ich beuge mich über sie. Sie ist eingeschlafen …

* * *

Taylors führten kurz darauf einen längstgehegten Plan aus: einen durchaus nicht ungefährlichen Kamelritt in die syrische Wüste und zwar in die finstere Harra, die Felseinöde der Dämonen. Mischoël hatte ihnen auf die Bitte der Lady eine Eskorte von Dhelulreitern beigestellt. Ramah nahm die Mukrs auf und leitete die auf zwei Wochen berechnete Expedition, von welcher sich Taylor gute epigraphische Ausbeute versprach. Taylors waren dabei von einem eben angekommenen weitläufigen Vetter begleitet, einem gewissen Mr. Harris Sevenstone, der in Inschriftenforschung dilettierte. Beide Herren kamen enttäuscht zurück und der Inschriftenvetter noch besonders verdrießlich, da er zweimal auf dem Kamel eingeschlafen und heruntergefallen war. Maud hingegen war von dem an sich sehr beschwerlichen Ausflug hochentzückt und hatte eine genaue Schilderung in ihr Erlebnisbuch eingetragen.

Ich hatte Ramah, den Karawanenführer, bis jetzt nicht persönlich gekannt. Jetzt sollte ich ihn zum erstenmal sehen. Und das kam so.

Wenn der Ramadhan sich zu Ende neigt und der Bairam naht, dann ist für die Frauen insbesondere Toilettenerneuerung. Nichts amüsanter, als sich da in der dämmerig eingedeckten Basargasse der Stoffhändler herumzutreiben – mit Vorsicht natürlich. – In diesen Tagen ist dieser Basar mit buntvermummter Weiblichkeit zum Ersticken vollgestopft. Dies Wackeln, Feilschen, Probieren, Debattieren! Die Käuferinnen lassen Augen und Zunge spielen, und wenn nichts verfangen will, die geblümten Schleier locker. Das macht auf sittiglich gläubige Ellenjünglinge allemal Eindruck.

Rechts zweigt eine Gasse ab, aus deren Tiefe die Kuppel eines Bades grüßt. An der Gassenecke hockt ein Mohrenjunge. Breitmäulig gröhlt er Sträußchen aus: » Sâlih hamâtak!« Der wohlbekannte Ruf: »Besänftige deine Schwiegermutter!« – Mit einem Sträußchen!

Läßt tief blicken, nicht wahr?

Ein hagerschlanker Beduine bleibt stehen. Ich dicht daneben. Seine zerschlissene, braunweiß gestreifte 'Abâje paßt nicht recht zur nagelneuen grellgelben Seidenkesije, die, mit einem schwarzen Haarstrick um den Kopf festgeschnürt, auch den Hals dicht verhüllt. Die nervigen, nackten, auffallend sauberen Füße stecken in roten Saffianschuhen. Auf der Schulter trägt er eine lange Kuhfußflinte.

Er stopft sich zuerst die Nase voll winziger gelber Blümchen – Blumenschnupfen zur Fasten – dann nimmt er dem verschmitzt grinsenden Jungen ein Jasminsträußchen aus der Hand und läßt eine Kupfermünze fallen.

Sein Blick zwischen halbgeschlossenen Lidern streift achtlos die Menge …

– »Dhahrak! Dhahrak!« ertönt der Achtruf.

Ein türkischer Effendi mit seinen Sais bahnt sich mühsam Weg durch den Menschenknäuel. Der Beduine mit dem Sträußchen drückt sich widerwillig auf die Seite.

Ob das nicht Ramah ist? sage ich mir. Aussehen und Haltung passen ganz zum Bild, das man uns von ihm entworfen …

»Er hat Frauen ›auf Zeit‹, am Strom, im Hamâd und auf der Oase, ›zeltende und sässige‹,« meinte einmal Lady Jane Elisabeth mit einem fast unmerklichen Lächeln. »Vielleicht ist er auch hier beweibt, im Meidan drüben, wo er sein Absteigquartier hat und seine Tiere einstellt.« Es lag etwas so Selbstverständliches in allem, was sie sagte. Eine honigblonde Besucherin, bibelfeste Palästinaforscherin, welche brennende Neugier gerade in die Damaszener Villa der vorurteilslosen Lady getrieben hatte, fand wohl solche Selbstverständlichkeit vielleicht ein bißchen shocking, wurde aber doch sichtlich nachdenklich.

Also Schwiegermütter mochte Ramah da und dort haben. Ob er jedoch gerade darauf hielt, sie mit Sträußchen zu »besänftigen«, schien mir, wenn mein Mann da wirklich Ramah war, mindestens zweifelhaft.

Und er war es. Wenige Augenblicke noch und alle Zweifel schwanden.

Elastischen Fußes schreitet er auf das Bad zu. Der lange Flintenkolben rudert zwischen den Köpfen. Sein gelber Kopffleck leuchtet im Halbdämmer. Neugier spornt mich. Wunderschöne alte Platanen schatten nach einem kleinen freien Raum. Ich stolpere über einen Kehrichthaufen, und rechtgläubige Gassenjugend, die sich im Staube balgt, kreischt jubelnd auf.

Jetzt meckert's:

– » He, Ramah, b'là wuden!«

»Ohneohr« ist eines der artigen Schimpfworte, womit die bösen Buben von Damaskus bisweilen die Beduinen zu höhnen pflegen. Jeder aus der Wüste ist ja für sie ein Pferdedieb, und was dem an den Ohren passieren kann, wissen die Rangen.

Mit einem Ruck ist Ramah stehen geblieben. Hat nicht seine freie Hand nach dem Dolch im Gürtel gezuckt?

Ein schöner Hufeisenbogen überspannt das Badtor. Ein blaues Laken ist vorgezogen: Frauentag. Und heute mehr noch: Damenpicknick zu einem Familienfest. Man hört ganz deutlich das Tamburin schwirren und die Topfpauke brummen.

Ramah ist um die Ecke verschwunden. Hintereinander kommt's jetzt hinter dem blauen Zeug hochgestöckelt herausgeklappert: etwas rotgelb Vermummtes, etwas Blaugelbes, etwas Violettes, etwas Weißes und dann wieder etwas Weißes …

Auch ich schlage mich vorsichtig um die Ecke. Dort hält im tiefen Schatten eine Sänfte; die schwarzen Träger schnarchen an der Mauer.

Ist das nicht die Sänfte der Lady? Ich trete heran, ganz sachte, um die Schläfer nicht zu stören. Richtig: Krone und Wappen zwischen gemalten Rosengewinden. Ich werfe einen Blick in das elegante Vehikel.

Auf dem weißseidenen Polstersitz liegt ein … Jasminsträußchen.

Jetzt kichert's hinter mir. Zwei Frauengestalten, rechtgläubig vermummt, die eine mittelgroß, die andere selbst noch in der Vermummung überschlank, kommen hochstöckelig daher.

Die Mohren schnellen auf die Beine, reißen den Sänftenschlag auf, und die Damen steigen ein.

Ich höre noch ein Kichern, und ein Kopf neigt sich halb heraus … Sind's nicht die stahlgrauen Augen Weras, die durch den schmalen Schlitz des feinen geblümten Schleiers spöttisch herausblitzen? Und die Überschlanke, ist's nicht Maud? …

Die seidenen Vorhänge sind vorgezogen, und eilig traben die Schwarzen davon.

* * *

Im Christenviertel in der Nordoststadt waren die Spuren der Heimsuchung vom neunten Juli noch nicht verwischt. Vom Minarett, das am Ende der »langen Straße« wie ein Spähturm des argwöhnischen Islam aus dem Osttor heraus den langen Hals über das Christenquartier emporreckt, bot sich ein trauriger Anblick. Überall noch brandschwarze Mauern, eingebrochene Kuppeln und Terrassen, hier und dort ein stummes Glockentürmchen mit geknicktem Kreuz; bunte Laken an gespannten Stricken, Oleander und Rosen in den Höfen, Schutt und Scherben, Aas und Hunde, und in den blauen Höhen dunkle Punkte wie Totenampeln: Wüstengeier.

Aus dieser Verwüstung heraus führt der Weg durch das uralte sarazenische Thomastor über den Báradakanal ins Freie. Auf der byzantinischen Stadtmauer oben kleben arabische Häuser. Die Karawanenstraße Palmyra-Aleppo-Baghdàd öffnet sich. Breitästige Nußbäume spenden Schatten.

Links etwas abseits, fern von Stadtlärm und Stadtgerüchen, lag das Landhaus der Lady Mischoël mit großem, hochummauertem, von Wasserrinnen durchzogenem Obstgarten und Wiesengründen dahinter. Auf einem breiten Baumweg kam man zu einem freien Raum vor dem Tore. Wenn sie nicht im Hamâd mit ihrem Gatten zeltete, führte sie hier ein gastliches Haus im englisch-arabischen Stile.

Lady Jane Elisabeth war eine der merkwürdigsten europäischen Frauen, die je das Morgenland gegen das Abendland eingetauscht haben. Eine Tochter des englischen Admirals Henry Digby, hatte sie mit dreiundzwanzig Jahren einen badischen Edelmann vom schwäbischen Uradel geheiratet und ihm einen Sohn und eine Tochter geschenkt. Später ließ sie sich scheiden und wurde unstet.

War Schêch Mischoël vom 'anezitischen Clane der Mizrâb Jane Elisabeths zweiter oder dritter Gatte? Nicht wenige behaupteten, sie sei als Gemahlin eines Lord Ellenborough eine Zeitlang Vizekönigin von Indien gewesen.

Sie selbst sprach niemals ein Wort von ihrer Vergangenheit. Sie hatte sich so stark in das arabische Leben eingelebt, daß sie vollkommen darin aufging.

Wie hatte sie den an Jahren jüngeren Beduinenschêch kennen gelernt? Auch darüber wußte man nichts Bestimmtes. Sie hatte sich eines Tages als Lady Digby in Damaskus niedergelassen. Zu den Wüstentouren, die sie unternahm, stellte ihr Schêch Mischoël Geleite bei und Geleitschein aus. Mit seinem Siegel. Sie kam auf die Idee, im Kiesland der syrischen Wüstengrenzzone, wo sich das Leben des Wüstenbauers zwischen Schêch und Pascha – zwei guten Mühlsteinen – zerreibt, Bebauungsversuche zu machen. Schêch Mischoël gewährleistete ihren Ansiedlern Schutz. Dafür nahm sich die Lady als Stadtfrau der besonders in Steuerfragen bisweilen recht heiklen Interessen ihres beduinischen Freundes bei der türkischen Regierung an, wo sie Einfluß besaß.

Eines Tages schlossen sie vor dem Stammesnotar die beduinische Ehe. Sie behielt ihren Glauben. Beide vereinbarten, daß Knaben, die aus ihrer Verbindung hervorgegangen, moslemischen, Mädchen protestantischen Glaubens sein sollten.

Die Ehe blieb kinderlos und gleichwohl ungeschieden, bis im Jahre 1883 der Tod sie löste. Lady Jane war reich und hatte eine goldene Hand. Unter Zelten und in Damaskus genoß sie große Verehrung, wozu Mischoël selbst das Beispiel gab. Der Schêch soll damals noch eine Nebenfrau, eine abessinische Sklavin, gehabt haben.

Als ich Lady Jane kennen lernte, hatte sie bereits die Fünfzig überschritten. Ihre schlanksehnige Gestalt jedoch war jugendlich geblieben. Wohl war das dunkelblonde Haar an den Schläfen gänzlich ergraut und zeigte ihr schmales, feingeschnittenes Gesicht nur mehr Spuren von Schönheit, im Auge aber, dessen ruhiger Glanz etwas Bannendes hatte, lebte noch ein junges Weib …

* * *

Die beiden weißen Bade-Picknickdamen waren wirklich Maud und Wera gewesen. Diese erzählte es lachend beim Diner, wo sie dem Beiruter Goldwein herzhaft zusprach, um, wie sie meinte, der magenverschlemmenden Wirkung der vielen Scherbete zu begegnen. Die Einladung war von einer reichen Damaszenerin, Lieblingsfrau eines arabischen Pferdehändlers, ausgegangen, welcher mit Mischoël oder vielmehr Ramah als dessen Vertreter in Geschäftsverbindung stand. Wera hatte sich köstlich amüsiert, obwohl ihr Verkehr mit den hochneugierigen Damaszenerinnen durch Maud als Dolmetsch vermittelt werden mußte.

Gegen Abend ritten wir in die Villa Mischoël hinaus, wo heute die glückliche Heimkehr Taylors, Mauds und Sevenstones ein wenig gefeiert werden sollte.

Wir trafen die Lady mit einigen bereits eingetroffenen Gästen bei den Pferden, die eben von der Weide hinter der Villa in die leichtgebauten, sonst echt englischen Boxes gegen die Kühle des Märzabends eingebracht worden waren.

Das interessierte nun Wera ganz anders, als das gelehrte Korânthema. Selbst leidenschaftliche Pferdefreundin, wenn auch nur mittelmäßige Reiterin, konnte sie nicht genug die verwegene Reitkunst der Lady und ihre gründliche Pferdekennerschaft bewundern. Außer etwa der Arabienreisenden Lady Anna Blunt, der Gattin Sir Wilfrid Blunts, einer Enkelin Lord Byrons, dürfte hierin kaum eine andere abendländische Dame der Lady »Digby«, wie Jane Elisabeth bis an ihr Lebensende bei den Engländern unverändert hieß, jemals gleichgekommen sein.

Lady Jane hielt, die Fohlen inbegriffen, etwa ein Dutzend Pferde, durchwegs » asil,« d. h. beduinisches Vollblut mit geprüften Stammbäumen, die gewissenhaft an den Boxes prangten. Es waren wundervolle, wenn auch kaum über vierzehn Faust hohe Tiere, auf deren Wartung die 'anezitischen Beduinen, in deren Obhut sie standen, sich nicht wenig einbildeten. Gleichwohl mußte die Lady die Leute häufig wechseln, denn die Wüstengewohnten hielten es nicht lange in der Enge der Stadt aus.

War Ramah in eigenen oder in Geschäften Mischoëls in der Stadt, so kam er in dessen Auftrag allemal in die Villa, um nach den Pferden und Windhunden zu schauen.

Auch heute war er da, blieb jedoch ganz abseits.

Auch einige Kamele hielt die Lady, da die Fohlen reichlich Kamelmilch bekamen.

Ein wundervolles Tier aus der Familie Saklâwi-Gidrani, einer der »fünf« beglaubigten Edelrassen, war die Lieblingsstute der Herrin, ein Dunkelgrauschimmel – die Beduinen sagen azrák (blau) – welches den klassischen Namen »Hedbe« führte. Die glühenden Augen, die schmale Schnauze, die hellfarbige Oberlippe, die langen, feingeschnittenen Ohren deuteten auf die edelste Abstammung.

Ein hübsches Bild war's, als die Lady, von den schlanken Leibern der rostbraunen Windhunde umschmeichelt, dem schönen, zutraulichen und doch so feurig blickenden Tiere aus einer Schale gekochten Gerstenscherbet zu trinken gab.

* * *

Taylors waren spät gekommen, als schon die arabischen Sängerinnen oben in der Gitterloge saßen. Das erste, was ich beim Eintreten Mauds, die wie die meisten anderen Damen das Goldkäppchen, die Saltamarka, und den faltigen Rock trug, bemerkte, war – ein Jasminsträußchen an ihrer Brust …

Tadellos korrekt, hochaufgeschossen, gewissenhaft blond schritt Vetter Sevenstone neben ihr.

Die Gesellschaft war nicht zahlreich. Der wissenschaftlichen Gruppe, welche alsbald wieder eine lebhafte Debatte über den Korânfund eröffnete, hatte sich diesmal Mr. Eli Smith von der jungen amerikanischen Mission in Beirut angeschlossen. Einige reiche damaszener Christen mit ihren schmuckstarrenden Frauen machten sich bemerkbar; ich habe die Namen Schami und Farlky verzeichnet. Auch ein Sephardi, ein schöner, bleicher Mensch mit dem Schwarzturban seiner Rasse, fiel mir auf.

Der schöne Raum, gen rückwärts erhöht, ist in einen Blumengarten verwandelt. Eine schlanke Holzsäule an der Rückwand ist blumenumwunden: die Waffensäule, gleichsam ein Zeltsymbol des Hauses. Überall, in den Stalaktitennischen der Wände, in den nach dem Hof offenen Fenstern, auf den achteckigen Kursis stehen Vasen mit Blumen. Schlanken Räuchergefäßen entquillt feiner Duft, der sich mit dem Kaffeearoma und dem Süßgeruch des syrischen Tabaks vermischt. Draußen im Hof rauscht der Marmorbrunnen zwischen Orangenbäumchen, und über die hohe, weiße Obstgartenmauer langt Schlinggewächs mit blühenden Armen herüber.

Die Lady waltet mit Wera am orthodox englischen Teetisch, Maud überwacht den arabischen Kaffeeherd in einer von bauchigen Kannen funkelnden Nische, wo der satzige Trank vor den Augen der Gäste bereitet wird. Schwarze Diener, die linke Hand aufs Herz gelegt, reichen auf silbernen Platten den Kaffee in zierlichen Fenâdschin auf filigranierten Unterbechern. Dazu ortsübliche Süßnascherei und Scherbet.

Auf ein Zeichen beginnen oben die Awalim. Die Lokaldiva Dschemila kannten wir schon von einem Bárada-Kaffeehaus her. Ein schmächtiges, mit grobem Geschmeide gepanzertes Dämchen mit einem ansprechenden Altstimmchen. Diesmal bringt sie einen Chor von fünf Untersängerinnen mit, die allerdings möglichst viel verdarben.

Dschemila singt das Lied von Radhuân, dem jugendschönen Himmelspförtner:

O Radhuân, ich hasse dich!
Himmelspförtner heißen sie dich,
Ließest das Tor im Himmel offen:
Ein Knabe, so schön wie du,
Entwich und stahl meine Ruh.

O Radhuân, ich hasse dich!
Zwiefach lässiger Pförtner, sprich:
Ließest wieder den Himmel offen?
Der Knabe, so schön wie du,
Mich ließ ohne Herz und Ruh.

O Radhuân, ich hasse dich!
Ewig muß ich verklagen dich.
Läßt nun nimmer den Himmel offen:
Der Knabe, so schön wie du,
Behält mein Herz, meine Ruh.

Dschemila markiert diskret und nicht ohne Geschmack mit der Mohrentrommel. Allemal aber, wenn beim letzten Vers der Chor einfällt, ist die Illusion weg.

Maud hatte mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört, obwohl sie die vielfach angefochtene Liebesklage längst kennt. Ich weiß nicht, ob ich mich getäuscht habe, aber es war mir, als hätte ich den düsteren Kopf Ramahs zwischen den Falten des Türvorhangs gesehen …

Als die Sangesproduktion vorüber ist, verabschiedeten sich die fremden Gäste, und wir blieben im engeren Kreis. Und jetzt bittet die Lady ihre liebe Maud um ein Kapitel aus ihrem Erlebnisbuch von der Harra.

Maud zieht ein Heft hervor und beginnt zu lesen:

* * *

– »Ein Stück finsterer Karstwüste mit wunderlich schreckhaften Basalten. Sie knistern fast unter dem heißen, keuchenden Südost. Der Abend ist sturmträchtig, der Südhorizont wie mit violettrotem Blutgerinnsel überzogen. Nun verschnauft der Wind, und es heißt noch ein paar Stunden in die Nacht hineinreiten. Ramah drängt zum Aufbruch. Haik! Haik!

Wallah! Vorwärts!

Der Mond wirft einen Friedenschimmer auf die Basalte. Wie ein Gespensterzug, braun und grau, tiefschweigend, verschwinden wir zwischen haushohen Felsblöcken. Tiefer Dämmer. Die Tiere wirken fratzenhaft, ihr weißer Muschelschmuck gleißt im Dunkel. Dann lichtet sich's: Sternengeflimmer über den Köpfen, Kieselklirren unter den Füßen, so eilen wir.

Jetzt sind wir aus dem gefährlichen Geklüft heraus. Der Mond ist unter. Ramah wird dudelselig und gluckst eine Lockweise für die Tiere, die schnaubend mit den Köpfen pendeln. Hie und da jodelt gedämpft, wie im Traum, ein Treiber mit.

Rastort ist zu Mitternacht eine sandige Mulde, wo Ghadagestrüpp starrt.

Tll! Tll! Die Tiere brechen ins Knie. Abgepackt wird im Dunkel. Wir schlagen keine Zelte, machen kein Feuer.

Nun liegen wir in den Mänteln gegen die Bäuche der Tiere …«

Hier bemerkt der Vetter Sevenstone halblaut zu Wera:

– »War sehr unbehaglich.«

Maud fährt mit gedämpfter Stimme fort:

– »Die Schutzreiter liegen abseits. Ich kann nicht schlafen. Ich sehe Ramah, der in sich zusammen gesunken hockt, die Flinte zwischen den Knieen. Plötzlich schreit er auf: ›Chajâl!‹ Reiter! Wir fahren empor und an die Waffen … Doch es ist todstill, nur die Kamele stöhnen wiederkäuend …«

Jetzt hebt Maud die Stimme, und ihre Augen leuchten:

»Dann gibt der Herr einen strahlenden Morgen. Kaum kriecht das Zwielicht herein, gellt schon Ramahs fürchterliches ›Haik!‹ Wir schütteln die tauschweren Mäntel.

Ein kurzer kalter Imbiß, dann krächzen die Treiber ihr Kri! Kri! und, widerwillig grunzend, helfen sich die Tiere auf die Beine.

Die dünne, reine Wüstenluft durchströmt uns, spült alles Müde aus Leib und Seele fort. Zum Aufjauchzen dehnt sich die Brust. Jetzt bricht die Sonne plötzlich heraus, und die Kiessteppe ist ein Rosengarten …

Ramah hoch oben auf seinem braunruppigen Dhelul stößt einen Gurgellaut aus, einen Morgenschrei …«

Hat's nicht im Hofe draußen aufgejauchzt? …

Maud hält jäh inne. Man hört Hufschlag im Baumweg … Jetzt gaukelt Fackelschein über den Hof, eine Hand reißt den Türvorhang zurück, und Ramah erscheint. Mit Anstand grüßend, spricht er:

– »Der Schêch!«

Wir sind alle aufgestanden. Lady Jane macht einige Schritte nach vorwärts, dann bleibt sie unbeweglich mit leis gesenktem Haupte. So ist mir ihre Erscheinung am treuesten im Gedächtnis geblieben. Es lag etwas ungemein Großes und doch fast Demütiges in dieser Haltung.

Mischoël hat einen Augenblick im Türrahmen innegehalten. Schwarze Diener haben den Vorhang hochgerafft. Draußen sieht man die Waffen der Mohrenreiter blitzen, ihre langen Bambuslanzen hochaufstarren.

Ich habe den berühmten Schêch damals zum ersten Male gesehen. Auf einer zierlich-schmächtigen Gestalt saß ein ausdrucksvoller Kopf; das schmale, braungelbe Gesicht mit dem spärlichen Spitzbart war feingeschnitten, die Nase gerade, die Stirn, welche das goldgeriefte Kopftuch freiließ, wölbte sich hoch und edelgebildet über den großen, melancholisch verschleierten Augen.

Seine braun-weiße 'Abâje ist schimmernd durchwirkt, die Füße stecken in halbwadenhohen roten Reitstiefeln, und am Handgelenk hängt die Betschnur.

So steht er, leicht vorgeneigt, in vollem Waffenschmuck, Geschenke seiner Gemahlin: die silbereingelegte, lange Flinte, den Krummsäbel mit kostbarem Griff, den langläufigen Revolver – damals eine Seltenheit bei Beduinen – im Gürtel.

Er grüßt anmutig stolz mit der Hand auf Herz, Mund und Stirne, tritt vor und zieht die Hand der Lady an seine Brust. Sie schauen sich in die Augen.

Dann verneigt er sich vor den Damen und gibt uns die Hand. Nun tritt der Waffenträger an seine Seite, aber Lady Jane winkt ab und nimmt selbst dem Gatten die Waffen ab, um sie Stück für Stück an der blumenumrankten Säule aufzuhängen.

Niemals werde ich die wenigen Worte vergessen, welche nun dieses merkwürdige Ehepaar miteinander wechselte. Er sprach, halb fragend:

– »Wir haben Fehde mit den Schammar …«

– »Ich reite!« antwortete sie einfach.

– »Bismillah!« Im Namen Gottes.

– »Bismillah!«

Und wieder schauen sie sich in die Augen.

Wenn ich heute an diese merkwürdige Szene, die mir so lebhaft vor Augen steht, als wär's gestern gewesen, zurückdenke, so kommt sie mir jetzt wohl etwas opernhaft vor, damals jedoch empfing ich einen starken Eindruck.

Draußen stampfen die Rosse und ist leises Waffenklirren.

Beim Abschied höre ich Maud zur Lady sagen:

– »Wenn ich mitreiten könnte!«

Und ihre dunkeln Augen blitzten auf …

Mischoël hatte seinen kleinen Flötenbläser mitgebracht. Von der Palmyrastraße konnte man diese Nacht wunderschön die Flöte blasen hören …

* * *

Als der blinde Ausrufer vom Brautminarett der Omaiyaden-Moschee zum Subh, dem Tagesanbruchgebet, rief, lag Schêch Mischoël vor der Hanefitischen Gebetnische auf den Knieen …

Dann war Abritt von der Villa. Wir hatten uns alle zum Abschied eingefunden. Ein wundervoller Frühlingsmorgen. Die schwarze Leibtruppe des Schêchs hält vor dem Tor. Der Wind spielt in den Straußfederbüschen der Lanzen, Mischoëls Rotfuchsstute »Hâdschele« wird viel bewundert. Die Lady tritt heran, liebkost das schöne Tier, bläst ihm in die roten Nüstern. Der Schêch sitzt auf kleinem polsterhohen Bocksattel, die Garde reitet ohne Sattel. Die Lady reitet wie ihr Gatte auf dem Bocksattel nach Männerart, Sie trägt jetzt das lange, dunkelblaue Gewand der Schêchfrauen, ein schwarzes Seidentuch um den Kopf gewunden, rote Reitstiefel, eine Lefaucheuxflinte querüber, am kostbaren Gürtel einen Dolch in silbergetriebener Scheide und auf der Brust das Klimpergeschmeide aus Templermünzen, syrischen Golddinaren und Vollzechinen, das sie uns einmal gezeigt hat.

Die beiden Damen küßt sie, uns drückt sie die Hand. Sie sieht ernst aus.

Im Namen Gottes! Die Reiter lassen ihre Flinten hinauskrachen. Ramah steht aufrecht auf dem blanken Rücken seiner falben Stute und schwenkt jauchzend die Flinte …

Der Trupp braust davon.

Brennenden Auges schaut Maud den Reitern nach …

* * *

Mitte April ist Lady Jane aus der Wüste zurück. Die Fehde hat nicht viel Blut gekostet. Beduinenblut ist kostbar. Hinter jedem Gefallenen steht der Bluträcher. Aber die Anezeh haben gute Beute gemacht.

Ramah eskortiert die Lady mit einem Reitertrupp zurück. Er hatte im Nahgefecht einen Schamarschêch vom Pferde gezerrt, entwaffnet, ihm ein Amulett von der Brust gerissen und seine Stute erbeutet …

Maud erzählte Wera:

– »Du, Abrama hat heute auf dem Boden meines Zimmers einen Karneolstein gefunden, der als Talisman gedient haben mag. Man liest darauf ein geschnitten: ›O Gott, Allbeschützer‹!«

* * *

Ende April lädt Lady Jane uns, die Taylorschen und den Reverend Parker zu einem Kamelritt nach Palmyra, damals noch eine wirkliche Wüstentour. Die Baghdâdiner 'Agêl-Beduinen, welche auf diesem Wege alterbgesessenes Schutz- und Speditionsrecht besitzen, stellen Eskorte und Kamelknechte bei. Ramah, der alljährlich zur Schafschurzeit mit den Braunmänteln vom Tigris auf Geschäftsfuß stand, reitet mit. Die Lady ist von Safia, ihrer Lieblingsdienerin, begleitet, und wir nehmen Mustafa mit.

Am dritten Abend werden in klarer Ferne feine, bläuliche Kegel sichtbar. Grabtürme hier und dort.

Nun tun sich die Hügel auf, und aus weiter Mulde sprießt, gespenstisch zwieleuchtend, ein weißer Marmorwald von Säulenstämmen, ein Trümmerbild von unbeschreiblich ergreifender Pracht, von unsagbar tiefer Verlassenheit …

Palmyra! Tidmor!

Hinter dem Sonnentempel blüht der Granatbaum und rinnt ein entzückend klares Schwefelbächlein. Dort läßt Mustafa unsere drei Zelte schlagen.

Die Damen brechen sich Granatblüten und stecken sie vor. Die Nacht fällt rasch ein, aber sie hat den Vollmond geschickt, der jetzt groß und still über dem weißen, stillen Ruinenmärchen emporsteigt.

Wo ist Ramah? Er hat die Versorgung der Dromedare überwacht, die Leute mit Tabak und Reis versehen. Sie hocken nun alle um die Abendschüssel. Die Reiter abseits. Dann hat er seine Flinte der Obhut der Lady übergeben und ist mit seiner Einsaitigen in die monddämmerige Trümmerwelt hinausgegangen.

Nun wandeln wir langsam auf dem sandweichen, welligen Boden die große Säulenstraße hinab. Kein Wort fällt. Wir sind alle so eigentümlich ergriffen, so tief in jenen Stimmungszauber verstrickt, der über Weihgebieten der Geschichte webt …

Wird's nicht plötzlich lebendig im mondbeschienenen Säulenwalde? … Klingt nicht Hufschlag? Kommt nicht ein schneeweißes Roß dort durch den Torbogen? Trägt es nicht ein Weib mit Augen, aus denen Feuer quillt, goldgehelmt, im Königspurpur, das Schwert hochgehoben? Ist's nicht Zenobia, die schöne, stolze, unglückliche Königin? …

Täuschung ist's.

Schweigend wandern wir. Die lichten Kleider der Damen schimmern durch die helle Nacht. Die Granatblüten an ihrer Brust brennen wie Flämmchen. Die weißen, leichtschreitenden Gestalten passen so ganz in diesen ungeheuren Wüstenfriedhof der Weltgeschichte voll marmorner Denksäulen. Eine unvergeßliche Verzauberung …

Wir sind jetzt auf dem ehemaligen Marktplatz angekommen, der Herzkammer des palmyrenischen Lebens, von wo die Straßenzüge nach allen Richtungen ausstrahlten.

In scharfen Linien zeichnet das Mondlicht den hohen Bogen, der die Straßenbreite so anmutig überspannt, vom Himmel ab. Der Schlußstein des Bogens hat sich gesenkt und hängt drohend zwischen den Keilquadern …

Unten kauert eine Gestalt. Wie ein Verhängnis dräut der schwere Stein über ihrem Kopfe …

Mr. Taylor und der Reverend sind stehen geblieben und haben sich in die Inschrift vertieft, die auf einem Postament eingemeißelt ist. Da lehnte wohl einst das Standbild eines verdienten Palmyreners. Es ist längst verschwunden, die Schriftzüge zu seiner Ehrung aber reden noch. Und der Mond scheint so hell, daß die beiden Herren sie zu entziffern suchen.

Jetzt zirpt es und knirscht, wie die ersten Bogenstriche über eine Wüstenfiedel. Ein Mißlaut in der wundervollen Stille. Dann aber hebt eine tiefe, gedämpfte Männerstimme an. Wir kennen sie: die Stimme Ramahs, wenn ihn der Stegreif überkommt. Es ist ein eintönig klagendes Rezitativ, das wie in einem Schluchzen erstirbt. Lady Mischoël kannte die schwermütige Liebesklage, die Azraël, den »Blutäugigen«, um den erlösenden Tod bittet.

Und Ramah singt und spricht:

Ein stiller Engel sitzt
Mit Augen voll Blut;
Schaut nicht nach rechts,
Schaut nicht nach links;
Namen schreibt er,
Namen zum Sterben.
Flehend ruf' ich ihm zu:
Blutäugiger du!
'Abdallah schreib!
So heiß' ich!
Vor Liebe sterb' ich!

Noch ein knirschender Ton und es schweigt. Wir horchen noch.

Maud war mit Wera gegangen. Wo ist sie jetzt? Sie taucht plötzlich hinter dem Pfeiler des Torbogens hervor. Die Granatblüte an ihrer Brust ist erloschen …

* * *

Lady Mischoël schreibt mir das Liedchen Ramahs auf. Sie schrieb arabisch so zierlich, als schlinge sie mit dem Kalam Blumen ineinander.

Nun sind wir im Zelte, Wera und ich, können aber nicht schlafen. Ich zünde die Blendlaterne an.

– »Charles,« beginnt Wera plötzlich, »mir geht etwas schrecklich im Kopf herum« …

Unwillkürlich unterbreche ich:

– »Maud?«

Sie fährt empor und starrt mich erschrocken an. Dann:

– »Charles, ich habe Angst. Maud liebt Ramah. Glühend, wahnsinnig! Höre: Als ich ihr gute Nacht sagen will, faßt sie meine Hand und zieht mich ins Zelt. Ihr Vater war mittlerweile draußen noch im Gespräch mit dem Reverend vertieft. Als wir drinnen sind, fällt sie mir um den Hals und flüstert: ›Wera, ich bin wahnsinnig, ich liebe ihn!‹ ›Wen ihn‹, frage ich verblüfft. ›Ihn, den Helden, den Sänger!‹ Ich bin sprachlos. Sie gesteht mir alles. Hast Du bemerkt, daß sie eben ihre Granatblüte verloren hatte? Was sage ich: verloren! Ramah hat sie die Blume für sein Lied gegeben, berauscht und überwältigt von der Betörung des Abends wie sie war. Mehr noch: Sie hatte den Stengel der Blume mit einem ihrer entzückenden Goldhaare umwunden. Un cheveu d'or pour ce Bédouin! Begreifst Du das?«

– »Ob ich begreife? Maud ist eine gründliche Kennerin von Sprache, Poesie und Sitten des Orients. Eine Halborientalin. Sie wußte wohl, was sie tat, als sie den Stengel der Blume mit einem ihrer Haupthaare umschlang. Sagen doch die Beduinen: ›Ein Haupthaar der Geliebten ist stärker als hundert Rosse.‹ Wird übrigens nicht die erste Blume sein, womit ein Weib zu Ramah gesprochen. Ich halte ihn für einen frauengefährlichen Mann. Hat sich doch fast eine Legende um diesen Wüstenführer gebildet. Und ist er nicht ein merkwürdig schöner, kühner Mann? Was erzählt man nicht alles von seinem Wagemut, seinem wilden Trotz im Auf und Ab seines von tausend Gefahren umstellten Lebens, seinem ritterlichen Anstand bei all seiner Ungebändigtheit, seiner Liebe zum Stegreif? Soll das alles auf eine so romantisch angelegte Natur, wie die Mauds, keinen Eindruck machen können?«

– »So war ich denn blind?«

– »Gegen Deine Gewohnheit, diesmal, ja. Sage: Lag nicht auf dem Polstersitz der Sänfte der Lady, als ihr nach dem Badepicknick damals einstiegt, ein Jasminsträußchen?«

– »Ich habe nichts bemerkt.«

– »So? Ich aber sah Ramah das Sträußchen kaufen, ging ihm nach und sah, wie er hinter der Ecke verschwand, wo eure Sänfte stand. Ich trat heran und sah das Sträußchen drinnen liegen. Kein Zweifel, daß der Verwegene es hineingeworfen, dieweil die Träger schnarchten. Wie wußte er, daß ihr im Bade wäret? Allah ja'arif, Gott weiß es. Und weißt Du, wo ich am selben Abend, am Taylorabend bei der Lady, diese Blumen wiedersah? An der Brust Mauds. Wie sie gesenkten Blickes lauschte, als Dschemila das Lied von Radhuân, dem Himmelspförtner, vortrug? Ramah soll ja das Lied von der Gjofoase gebracht haben. Und dann, als sie Maud baten, etwas von ihrer Reise in der Harra zu erzählen! Hast Du nicht bemerkt, wie ihre Augen leuchteten, ihr lieblich ernstes Gesicht vor Begeisterung strahlte, als sie den Nachtritt beschrieb durchs schwarze Geklüft, das Nachtlager, dann den Abritt beim Morgengrauen mit dem Jubelruf Ramahs? Da sagt' ich mir: Mauds Herz ist in der Wüste der Dämonen diesem Dämon Ramah ibn Java verfallen.«

Wera war in Nachdenken versunken.

– »Was tun jetzt?« fragte sie plötzlich.

– »Sprich mit der Lady.«

Sie schüttelte den Kopf.

– »Gerade das hat sie mir ausdrücklich verboten.«

– »Würde freilich auch nichts nützen. Die Lady hat ja selbst einen Beduinenschêch geheiratet, und Ramah ist auch ein Schêch, wenn auch kein großer. Da bleibt eben nichts übrig, als Maud unauffällig auf einige Zeit von Damaskus wegzubringen. Ich fürchte nur, es ist zu spät.«

– »Und Ramah?«

– »Der ist der verwegensten Tat fähig, wenn es gilt, Maud zu erringen. Ihr Goldhaar hat ihn toll gemacht.«

* * *

Tags darauf Besuch im Baalshause, in dessen steinerner Riesenschale als wurmiger Kern das Wüstenbauerndorf Tidmor steckt. Ehrerbietig begrüßt der Schêch von Palmyra die Lady und führt uns in den weiten Hofraum. Er ist mit Trümmerhütten vollgepfropft, durch deren schuttwüsten Block Gassen gebrochen sind.

Beim Schêch feierliche Kaffeebewirtung. In seinem Kaffeeherd bewundern wir einen schönen Säulenknauf mit Akanthus.

Ein Blick noch in die Baals-Cella. Wo einst der Sonnenadler seine goldenen Schwingen entfaltete, herrscht jetzt der Halbmond.

Die Cella ist ein moslemisches Bethaus. Nur ein einziger Beter kniet auf der Matte, als wir eintreten: Ramah …

* * *

Wera hatte arabische Stunde. Ein hartes Stück Arbeit für den unglücklichen Lehrer. Ich mußte das am besten wissen, denn ich selber war der Mu'allim. Heute waren wir bei den Zahlen. Sie lehnt halbliegend auf dem Diwan meines Schreibzimmers, die unvermeidliche Zigarette zwischen den spitzen Raubtierzähnchen. Eine Goldschnur gürtet ihr Negligé aus dünner rotgestreifter Damaszener Seide, das sich weichschmeidig an ihre Körperformen schmiegt. Das kurze, lichtbraune, lockige Haar ist von einem feinen Goldnetz umspannt. Die Füße, fortwährend in nervöser Bewegung, stecken lässig in ortsüblichen, gestickten Babuschen.

Sie hat den Kopf zurückgeworfen, und im Dämmer der geschlossenen Gardinen ist ihr bleiches Gesicht noch bleicher, scheinen ihre großen, tiefglänzenden Augen noch größer, noch wechselnder in der Farbe.

Auf zierlichem Perlmutterkursi steht, mit blondem duftenden Tabak gefüllt, die Schale, aus welcher sie pflückt.

Ich sitze daneben in einem englischen Schaukelstuhl und zähle an den gespreizten Fingern ab. Bis zehn sind wir glücklich gekommen. Zwischen jeder Zahl bläst sie ein Rauchwölkchen hinaus und schaut den Kringeln mit halboffenem Munde nach …

– »Also Wera: Onze?«

– »Hedâ'sch.«

– » Douze?«

– »Etnâ'sch.«

– » Treize?«

– »Tela … tâ'sch …«

»Famos, nur das ›?ain‹ will Dir nicht so recht aus der Kehle. Es muß stark ausgestoßen werden, stärker als unser r grasseyé. So etwa …«

– » Mais, tu tousses, mon cher. Ich glaube, den abscheulichen Laut werde ich nie herauskriegen. Du weißt, ich huste nie. Doch lassen wir das. Weißt Du, was mir noch weniger aus dem Sinn will, als Dein ?ain aus der Kehle?«

– »Maud.«

– »Ja, Maud. Seit Palmyra war sie nicht hier. Sie ist so scheu und still geworden. Ich muß stets an ihren Wahnsinn denken. Denn Wahnsinn ist doch so eine Liebe. Ein Beduine! …«

Draußen im Vorgang wird jetzt in die Hände geklatscht, und hinter dem dichten Türvorhang spricht Mademoiselle Naifeh mit gedämpfter Stimme:

– » La Miss de la villa rouge est là. Elle prie instamment Votre Excellence de la recevoir. Elle parait très agitée.«

Wera springt, auf.

– »Aber natürlich! Warum so zeremoniös?«

Und zu mir:

– »Laß uns, Charles.«

Horchen an der Wand, hinter Türen und Portieren halte ich im allgemeinen nicht für besonders anständig. Doch auch hierin gibt's Ausnahmen. Ich lausche also atemlos hinter dem Türvorhang des Nebenzimmers.

– » Mon Dieu, Maud, was geht denn vor?« höre ich Wera ausrufen. »Du siehst ja aus wie ein Gespenst und zitterst wie im Fieber. Schwankst auf den Beinen, so setz Dich doch! Was ist Dir, armes Kind?«

Maud hat sich auf den Diwan niederfallen lassen. Sie stößt dann hastig, außer Atem, mit halbversagender Stimme heraus:

– »Er hat mich zur Frau begehrt von meinem Vater.« …

– »Ramah?«

– »Natürlich! Da lies!«

Ich höre deutlich das Rascheln eines Papieres.

– »So lies doch,« drängte Maud.

– »Aber Kind, das ist ja arabisch. Ich kann doch arabisch nicht lesen …«

– »Ja so, ich vergaß, gib her …«

Und ich höre, wie das Mädchen hastig, mit heiserer Stimme arabisch zu lesen beginnt …

– »Aber, Kind, ich verstehe ja kein Wort.«

– »Richtig, verzeih! Ich vergaß. Ich bin wie auf den Kopf geschlagen. Also höre!«

Und jetzt setzt Maud das arabisch Geschriebene mit der ihr eigenen Sprachfertigkeit in ihr zierliches, etwas spitzes Französisch um. Sie liest deutlich und stellenweise mit Emphase:

 

»›Im Namen des allbarmherzigen Erbarmers, des Allgütigen, des Allvermehrers.

Er öffne seine Hand, die voll Wunder ist und überschütte Dich, Du weiser, mit allen Tugenden geschmückter Mann!

Der Friede sei mit Dir und den Deinen!

Du hast gehört von dem Worte unter den Zelten: Ein Haupthaar der Geliebten ist stärker als hundert Rosse.

Du hast gehört und hast verstanden.

Sieh, ein goldenes Haar vom Haupte Deines Kindes ward mir zum Bande. Gibt's ein Band, das hundert Rosse nicht zerreißen? Dies goldene Haar, nimmer. Beim ewigen Gott!

Gib mir Deine Tochter zum Weibe! Sie ist wie Licht. Und ihr Lächeln ist der Frühling. Und wenn sie spricht, horcht die Wüste. Sie soll geliebt sein, wie kein Weib und herrschen, wie kein Weib, allein in meinem Zelt, allüberall. Segen über ihr Haupt! Gott weiß das Übrige. Für den Verstehenden genügt ein Wort. Lies es von diesem Siegel.

Bleib im Schutze des Allschützers!‹

 

– Herrlich, nicht wahr? Diese Sprache!« ruft Maud begeistert.

Wera scheint nicht dieser Meinung zu sein, denn für einen Augenblick ist's still im Nebenzimmer. Dann beginnt Wera:

– »Und was sagte Dein Vater?«

– »Er ließ mich rufen. Du kennst seine milde Art. Er war sehr bleich und ruhig. Aber seine Hand zitterte, als er mir den Brief übergab und sprach: ›Maud, ein furchtbarer Werber wirbt um Dich. Ich fürchte, Du kennst ihn. Er hat Frauen überall. Ich will nicht weiter forschen. Blick in Deine Seele, mein armes Kind! Frage Dich, ob Du nicht schuldig bist. Erforsche Dich. Gott erleuchte Dich. Ich habe dem Manne die Botschaft gesendet: Keine Botschaft! …‹ Das waren meines Vaters Worte. Ich war betäubt. Meine Füße versagten. Wie ich hierher kam, weiß ich nicht. Unten wartet Abrama.«

Wieder eine Pause.

Ich höre nur, wie Wera ihre Freundin leise küßt.

– »Was soll nun aus mir werden?«

– »Fasse Dich, Kind, folge dem Rat Deines Vaters. Kannst Du denn nicht überwinden?«

Maud spricht nun ein Wort, das mich berührt wie ein glühender Tropfen eine Wunde:

– »Und Du, Wera, hast Du überwunden? Ich liebe …«

Darauf bleibt Wera, soweit ich hören kann, die Antwort schuldig.

Es ist plötzlich ganz still geworden nebenan, und ich lüfte den Vorhang. Wera ist allein und starrt vor sich hin …

Ich trete sachte heran und lege die Hand auf ihren Scheitel:

– »Wo bist Du, Wera?«

Sie schrickt auf, schnellt empor und hängt an meinem Hals. Ich biege ihren bleichen Kopf zurück. Um die schmalen Mundwinkel zuckt's, die Lider beben leise. Als kämpfe sie mit Tränen. Aber es kommen keine.

Ich habe sie nur einmal weinen sehen … Da aber …

* * *

Elias Taylor war mit seiner milden Art stark und stolz, ein festgefügter Mann, was sich auch schon in seiner kraftvollen Erscheinung aussprach. Er hatte auf seinen zahlreichen Forschungsreisen oft genug der Gefahr ins Antlitz geblickt. Nun es sich aber um sein einzig Kind, um das Schicksal Mauds handelte – denn an dem Ernst der Sache konnte er nicht zweifeln – überwältigte ihn die Besorgnis. Maud war ihres Vaters echtes, stolzes Kind. Hatte sie doch so manche Gefahr mit ihm geteilt. Nachdem der erste Sturm in ihrem Herzen verbraust war, zeigte sie sich wenig verändert. Sie kämpfte die Sache mit sich allein aus. Beide vermieden, davon zu sprechen.

Doch Taylor befürchtete eine Gewalttat Ramahs. Man hätte nun denken sollen, das Einfachste, um Maud vor einer solchen zu bewahren, wäre gewesen, Syrien überhaupt zu verlassen.

Doch dazu vermochte er sich nicht aufzuraffen. Seit vielen Jahren hatte er hier seinen geliebten orientalischen Studien nachgehangen. Er hatte dieses syrische Land, von wo er seine Forschungsreisen bis in die Euphratländer ausgedehnt, besonders lieb gewonnen. Er stand unter der Betörung dieses Landes, das, wie er sagte, zwischen Meer und Wüste hingestreckt liegt, gleich einer begnadeten Frau. Er konnte mit Begeisterung von Syrien, dem wahren Forscherlande, sprechen. Prangte es nicht schon in ältester Zeit im Tempelschmuck? Der Glanz des hiramitischen Baalsdienstes erfüllte es mit frommer Betäubung, und drei Weltregionen entsproßten dieser reichen Glaubenserde, Jehova-Kult, Christentum und mittelbar auch der Islâm. Und dann blieb es ein Asyl für versprengte Religionsgesellschaften …

So schwärmte er, und jetzt kam noch der merkwürdige Korânfund hinzu, an den er ja fest glaubte. Im geheimen mochte er die Hoffnung nähren, durch irgend eine gute Fügung vielleicht in den Besitz des Handschriftenkleinods zu gelangen.

Er zog Lady Jane ins Geheimnis. Sie, die selbst eine Ehe mit einem Schêch geschlossen, mußte schließlich die beste Ratgeberin sein. Die Lady war nicht sonderlich überrascht.

Mit ihrem seltenen Scharfblick hatte sie wohl etwas derart herannahen sehen. Manches Wort im blühenden Briefe Ramahs, den ihr Taylor zeigte, erinnerte sie überdies an die Werbung Mischoëls. Sie hatte zwar gedacht, zuerst von Maud zur Mitwisserin gemacht zu werden. Dann aber sagte sie sich, daß das Mädchen vielleicht an ihre Fürsprache gedacht, jedoch zu stolz gewesen sei, um sie in Anspruch zu nehmen.

Und damit traf sie gewiß das Richtige.

Taylor ließ durchblicken, daß Harris Sevenstone eine schüchterne Gelehrtenliebe für seine Cousine nähre und sich vielleicht Hoffnungen auf ihre Hand mache.

Über diese stillen Gefühle des jungen Inschriftenforschers mochte die Lady gelächelt haben. Hatte doch Mr. Harris in seinem ganzen Wesen etwas Pedantisches, Linkisches, ja Komisches, was Maud schon zu manchem spöttischen Wort Anlaß gegeben hatte.

– »Ich kann mir,« meinte die Lady zu Taylor, »Mr. Harris sehr wohl auf der Leiter mit Abklatschpapier und Schlegel in der Hand, eine nabatäische oder aramäische Inschrift abnehmend vorstellen, hoch auf dem Dhelulsattel jedoch absolut nicht. Obwohl man sich beim Inschriftenabklatschen schließlich auch ganz gut die Beine brechen kann, so ist doch Mr. Harris kein Mann für unsere kühne, starke Maud. Dann denke ich, daß ihn sein Mißgeschick beim Kamelritt in der Harra in den Augen Mauds nicht allein nicht interessanter gemacht, sondern lediglich dazu geeignet war, die ritterlichen Vorzüge Ramahs in ein noch helleres Licht zu setzen. Beim Vergleich hatte da der arme Harris nur zu verlieren.«

Dagegen konnte Mr. Taylor nichts einwenden.

Wenn aber die Lady ihrer Freundin den komischen Inschriftenvetter nicht zum Manne wünschte, so trat sie ebensowenig für den furchtbaren Ramah ein. Wie Taylor erzählte, sprach sie sich darüber etwa in folgender Weise aus:

– »Das kleine Gebrechen mit dem verstümmelten Ohr – Tatsache – wäre an sich gerade kein Hindernis; auch der Umstand, daß das Leben eines armen Schêchs so gut wie auf Nichts gestellt ist, würde vielleicht noch nicht entscheidend sein. Selbst was man sich von seinen Frauen hier und dort erzählt, könnten wir auf sich beruhen lassen. Die Beduinen sind rasch bei der Verstoßung. Freilich. Aber es gibt noch etwas Anderes. Ramah steht, wie wir wissen, unter der Blutrache. Er hat nämlich einen der vornehmsten Ruallaschêchs, der ihn wegen Pferdediebstahlversuchs an den Ohren verstümmeln ließ, aus dem Hinterhalt niedergeschossen und damit schwerste Blutrache auf sich geladen. Der Blutpreis soll in diesem Fall außergewöhnlich hoch sein. Es handelt sich da nicht mehr um hundert Kamele oder tausend Tallaris. Mischoël meint, das Fünffache. Hätte selbst Ramah die Mittel, sein verfallenes Leben loszukaufen, wie ich ihn kenne, er täte es nicht, denn das blanke, heißbegehrte Metall liebt er mehr als sein Leben. Die Gefahr ist übrigens sein Element, er möchte sie nicht missen. Es mag das seinen Manneswert in den Augen Mauds erhöhen, nicht minder wahr bleibt jedoch, daß sie einen Todgeweihten zum Manne nähme und eines Tages, wer weiß wo, – Ramah ist ja der Ruheloseste der Ruhelosen – wenn seine Stunde gekommen, elend verkäme.«

Obwohl Ramah sich seit einiger Zeit nicht hatte blicken lassen, so machte doch Lady Jane den Vorschlag, sie wolle, wenn Ramah noch im Meidan drüben wäre, ihn zu sich bescheiden und mit einer Sendung in das Lager Mischoëls am Taibehbrunnen beauftragen. »So schnell seine Grauschimmelstute sein mag,« meinte sie, »vor zehn Tagen kann er nicht zurück sein. Mittlerweile sind wir alle schon mit Maud im Libanon.«

Taylor war einverstanden. Nach Hause zurück, sagte er zu Maud bloß:

– »Die Lady rät Dir ab.«

Maud erwiderte kein Wort.

* * *

Doch es stand geschrieben, daß es anders kommen sollte. Lady Jane Elisabeth erkrankte Tags darauf an einem heftigen Fieberanfall. Wera und Maud eilten an ihr Krankenlager. Da eines Abends, als sie sich bereits besser fühlte, war sie mit Maud allein. Plötzlich zog sie das Mädchen an sich und sagte:

»Maud, ich glaube, es kann nicht sein. Wir gehen in den Libanon, willst du?«

In diesem Augenblick begehrte Safia Einlaß. Sie berichtete, Musa, der Diener Mr. Taylors, sei eben angeritten gekommen mit der Botschaft, sein Herr sei von einer tiefen Ohnmacht befallen worden. Er, Musa, habe den französischen Hekim geholt. Unten sei ein Pferd für die junge Herrin.

Tödlich erschrocken stürzte Maud davon.

Als sie zu Hause anlangte, war ihr Vater aus der Ohnmacht erwacht und zu Bett gebracht worden. Der Chefarzt der Charitéschwestern war an seiner Seite. Der Blick Taylors hatte etwas Irres. Wie geistesabwesend tastete er mit den Händen an sich herum und dann um sich. Plötzlich riß er die Augen weit auf, machte eine heftige Bewegung, als stoße er etwas zurück und schrie auf:

– »Hinweg! Blut!« …

Dann verfiel er in tiefen Schlaf.

Der Arzt meinte kopfschüttelnd:

– »Ein Nervenchoc! Es muß etwas ganz Besonderes vorgegangen sein. Ruhe, vor allem Ruhe.«

Maud befragte Musa, ob jemand dagewesen sei, ein Bote oder sonst jemand. Der Parse wußte von nichts. Der Herr habe, wie meist an warmen Abenden, auf der Veranda draußen an seinem Schreibtisch bei der Lampe gearbeitet. Da habe er ihn ohnmächtig im Sessel zurückgelehnt gefunden.

Maud saß am Bette des Vaters, seinen Atemzügen lauschend. Ein Gefühl entsetzlicher Bangigkeit überkam sie. Ein großer dunkler Nachtfalter schlug gegen die Lampe. Sie schrak zusammen.

Am Morgen fühlte sich Taylor besser. Aber sein Blick irrte immer noch angstvoll forschend umher. Dann bedeckte er das Gesicht mit den Händen und stöhnte:

– »Entsetzlich! Entsetzlich!«

Maud wagte nicht zu fragen. Die Bangigkeit aber konnte sie nicht los werden, obwohl der alsbald wieder erschienene Doktor nach sorgfältiger Untersuchung erklärte, es sei keinerlei Gefahr vorhanden.

Diesen Bescheid ließ Maud auf die teilnehmenden Erkundigungen der Lady und unsererseits erteilen.

Mittlerweile verbreitete sich im Basar ein unheimliches Gerücht: Abu Gait, der Bücherkrämer, sei in seiner Wohnung erdolcht gefunden worden. Man vermutete Raub. Ein Geheimfach war erbrochen und der »rote Korân« nicht zu finden, sonst war nichts geraubt worden.

Musa brachte die Nachricht. Der ganze Basar sei in Aufregung. Maud hatte an der verstörten Miene des Dieners sofort erkannt, daß er schlimme Kunde brachte und ihm heftig abgewinkt. Aber das Wort war schon heraus.

Taylor schnellte von seinem Lager empor, wollte aufspringen, aber seine Kräfte versagten. Schwer zurückfallend, lallte er mit einer abwehrenden Bewegung:

– »Hinweg! Blut!« …

Dann verlor er wieder die Besinnung.

Totenbleich, wortlos saß Maud am Bette. Nur bisweilen gab sie leise die nötigen Befehle. Manchmal durchlief ein leiser Schauer ihre Glieder …

›Nur der Koran war weg … Sonst nichts …‹

Der Doktor blieb trotz dieses zweiten Ohnmachtsanfalles bei seinem Rezept: »Nur Ruhe!«

Und er behielt recht. Nach einigen Tagen hatte sich der Kranke scheinbar erholt, nur war er ein Anderer: Verschlossen, wortkarg, auffallend ängstlich, was sonst so gar nicht die Art des kraftvollen, lebensfrischen Mannes gewesen.

Vom Mörder Abu Gaits keine Spur.

* * *

Wir trafen alle Vorbereitungen zur Libanonreise. Da flog des Nachts Feuerruf über die Stadt hin, und die Feuerwächter rannten heulend durch die Gassen.

Die rote Villa stand in Flammen. Bei den Löscharbeiten wollte man einige Beduinen vom Meidan gesehen haben. Einer rettete Taylor, ein anderer trug Maud auf den Armen aus den Flammen. Musa, der Parse, beteiligte sich nicht am Löschwerk. Er starb, treu seinem Gotte, seinem Propheten Zerdusch, den heiligen Feuertod.

Maud wurde nach dieser Nacht vermißt …

* * *

Auf Mr. Taylor schien das Verschwinden seiner Tochter weniger erschreckend zu wirken, als wir alle befürchtet halten. Er war überhaupt seit seiner Krankheit, über die er kein Wort sprach, in einen Zustand stiller Apathie versunken. Er mied jede Gesellschaft und vertiefte sich anscheinend ganz in seine sprachwissenschaftlichen Arbeiten, denen er seinen Gelehrtenruf verdankte.

Abrama, die Dienerin Mauds, die uns bisweilen Nachrichten über ihren Herrn brachte, widmete ihm die treueste Pflege. War sie doch wie ein zurückgebliebener Teil der Verschwundenen.

* * *

Mittlerweile war es Mitte Mai geworden und die Stadt dicht gedrängt voll Mekkapilger, die draußen auf dem Meidan ihr Gotteslager aufgeschlagen hatten. In wenigen Tagen sollte der Wallfahrtszug unter Führung des Paschas abgehen. Viele Tausende hatten sich beteiligt. Wer dachte damals, daß man eines Tages eine Wallfahrtsbahn bauen würde? …

Wera war vom Fieber nicht verschont geblieben. Ich brachte sie nach Beirut, wo sie mit Naifeh im Hause des russischen Konsuls ausgezeichnete Aufnahme fand.

Für mich aber war die Zeit gekommen, wo meine Sehnsucht mit weitausgebreiteten Armen unermeßliche Horizonte umfangen sollte.

Ich zog nach dem Euphrat …

* * *

Monate vergingen, bis wir uns in Damaskus wiedersahen, Wera und ich.

Und jetzt sollte auch der letzte Schleier vom Geheimnis des »roten Korân« gelüftet werden.

Mr. Taylor war kurz vorher gestorben. In seinen letzten Stunden hatte er Lady Jane zu sich bitten lassen und ihr Nachfolgendes enthüllt:

– »Ich sehe heute noch alles vor mir, höre noch alles, als wäre es gestern erst vorgefallen. So furchtbar deutlich. Ich arbeite auf der Veranda an meinem Schreibtisch. Ein leises Geräusch stört mich auf. Ich sehe zwischen dem Schlinggewächs einen dunkel verhüllten Kopf über die Brüstung emportauchen. Ich erkenne Ramah. Mit einem Sprung ist er herein, mit einem zweiten steht er vor mir und spricht: ›Hier das Buch, der Schatz, den deine Seele so heiß begehrt. Er ist dein. Gib mir deine Tochter.‹ Und der Beduine legt ein kleines, in grüne Seide gehülltes Paket auf meinen Schreibtisch hin. Instinktiv greife ich danach, aber schon fühle ich mein Blut erstarren: Auf der Seide ist ein großer, roter Fleck, ein frischer Blutfleck … Blut! stammle ich entsetzt, Blut! Und er – ich gebe seine eigenen Worte, die mich langsam getötet haben – er sagt: › Yumkin, lâkin esch jedschri?‹ (›Möglich, doch was liegt daran?‹) › Kâtil‹ (Mörder) – will ich hinauskreischen, aber das Wort bleibt mir in der Kehle stecken. Und er fährt fort: ›Leben um Leben. Der Alte fand mich, als ich das Buch nahm. Er würgte mich wie mit Teufelskrallen. Da stieß ich zu, mein Retter. Gott weiß das Übrige. Nimm das Buch!‹ … Hinweg, hinweg, entringt es sich jetzt meiner keuchenden Brust. Ich schleudere das Paket auf den Boden und stoße es mit dem Fuße von mir. Einen Augenblick steht der Fürchterliche unbeweglich, dann rafft er es auf, birgt's unter dem Abâje und schwingt sich über die Brüstung hinab … Dann vergingen mir die Sinne. Mein frevelhafter, wahnsinniger Wunsch, den »roten Korân« zu besitzen, hat zum Verbrechen gereizt, ein Menschenleben vernichtet, mich meines einzigen Kindes beraubt. Denn ich weiß, Maud ist nicht mehr. Ich fühle es.« Erschöpft sank er zurück, schloß Jane, und wenige Tage später starb er.

* * *

Und Maud. Lady Anna Blunt hörte viele Jahre später auf der Gjofoase von einem fremden Weibe mit goldenem Haar, das dort in Meskake von ihrem Manne eifersüchtig bewacht wurde. Was aber aus ihr geworden, wußte niemand. Es blieben alle Nachforschungen vergebens.

Für Ramah war inzwischen die Stunde gekommen, wo der Totenvogel mit seinem Blute getränkt ward. Beim Schagik, dem ersten Brunnen des Nefud, der großen Rotsandwüste, ereilte ihn die Kugel des Bluträchers. Wie das schönste Stegreiflied Schanfâras ging sein Leben aus: in einem Todesschrei. Er übertönte den Kriegsruf der hereinbrechenden Rualla und hat mir lange in den Ohren nachgegellt …

Und wenn in jener gespenstischen Nacht, die niemand voraus weiß, das wunderschöne Haupt Kains aus der mondhellen Wüste emportaucht, dann, Ramah, raffst du dein Gebein zusammen und wanderst, ein ruheloser Schatten, mit Kain, dem Herrn der Einöde, der zuerst getötet.

* * *

Wunder! Der »rote Korân« war kurz nach der Ermordung Abu Gaits wieder in dessen Wohnung vorgefunden worden … Der ihn geraubt, schien auf seinen Besitz keinen Wert gelegt zu haben. Die Sache hatte jedoch einen Lärm gemacht, der bis nach Stambul drang. Sultan Abdul Medschid, obwohl schon todkrank – kurz darauf starb er – interessierte sich lebhaft dafür und sprach mit dem Scheich-ül-Islâm. Auf dessen Befehl wurde das Buch nach Stambul gebracht, und es trat dort eine Kommission von Ulemas und Schriftgelehrten erster Güte zusammen, um die Echtheit des »roten Korâns« zu prüfen. Der Name des merkwürdigen Handschriftexemplars ward als immerhin begründet befunden, denn viele Blätter zeigten in der Tat dunkle, braunrote Flecken, die freilich ebensogut Rostflecken als Blutspuren sein konnten …

Über das Buch selbst jedoch lautete das einstimmige Urteil der berufenen Gottesmänner: » Fälschung

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