Alfred de Vigny
Cinq-Mars oder eine Verschwörung gegen Richelieu
Alfred de Vigny

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Sechstes Kapitel. Der Traum

Inmitten des Handgemenges, das seine Übereilung hervorgerufen hatte, fühlte sich Cinq-Mars plötzlich am linken Arm von einer eisenstarken Hand gepackt, die ihn die Stufen hinab aus der Menge zog, über die Kirchhofmauer hob und ihm dann das schwarze Gesicht des alten Grandchamp zeigte, der mit barscher Stimme sagte:

»Mein Herr, der Angriff auf dreißig Musketiere in einem Wäldchen bei Chaumont hatte nicht viel zu bedeuten, weil wir uns, ohne Ihr Vorwissen, in Ihrer Nähe befanden und Sie überdies mit Ehrenmännern zu tun hatten; hier aber ist's was anderes. Am Ende der Straße dort stehen Ihre Pferde und Ihre Leute; ich bitte Sie, Ihr Pferd zu besteigen und die Stadt zu verlassen, oder aber mich zu der Frau Marschallin zurückzuschicken, weil ich für Ihre Arme und Beine, die Sie so leichtsinnig der Gefahr aussetzen, verantwortlich bin.«

Obwohl ein wenig betroffen über dieses barsche Benehmen bei seinen Dienstleistungen, war es Cinq-Mars nicht unlieb, sich auf so gute Art aus dem Handel ziehen zu können, denn er hatte Zeit gehabt zu überdenken, welche Unannehmlichkeiten für ihn entstehen müßten, wenn er als der erkannt werden sollte, der sich an dem Oberhaupt der richterlichen Gewalt und den Agenten eben des Kardinals, der ihn dem König vorstellen sollte, vergriffen hatte. Er bemerkte auch, daß sich eine Menge Menschen, aus der Hefe des Volkes, unter denen zu befinden er sich schämte, um ihn versammelt hatte. Ohne Widerrede folgte er daher seinem alten Diener und fand auch wirklich bald die drei anderen Bedienten, die ihn erwarteten. Trotz Wind und Regen stieg er zu Pferde und befand sich bald mit seinem Gefolge auf der Landstraße.

Kaum außerhalb Loudun, zwang ihn der durch tiefe Gleise voller Wasser gefurchte Straßensand, langsamer zu reiten. Der Regen fiel noch immer in Strömen und schlug beinahe durch seinen Mantel. Da fühlte er seine Schultern von einem noch dickeren bedeckt; sein alter Kammerdiener ritt ihm nämlich zur Seite und pflegte ihn mit solch mütterlicher Sorgfalt.

»Wohlan, Grandchamp, jetzt sage mir, da wir uns außerhalb des Tumultes befinden, wie du in denselben hineingeraten bist, da ich dir doch befohlen hatte, bei dem Abbé zu bleiben?« begann Cinq-Mars.

»Parbleu, mein Herr«, antwortete der alte Diener in scheltendem Tone; »glauben Sie, ich gehorche Ihnen mehr als dem Herrn Marschall? Wenn mein seliger Herr mir befahl, in seinem Zelte zu bleiben, und mich dann im Kanonenrauch hinter sich sah, so beklagte er sich auch nicht, denn wäre sein Pferd getötet worden, so hatte er doch ein anderes zur Hand, und er schalt mich nur hinterdrein. Allerdings habe ich ihn auch während der vierzig Jahre, die ich in seinen Diensten stand, keine dergleichen Geschichten machen sehen, wie Sie in den vierzehn Tagen, die ich in Ihrem Dienste zubringe. Ach!« fuhr er seufzend fort, »das fängt schön an, und wenn das so fortgeht, so werde ich, scheint mir, saubere Dinge sehen müssen.«

»Aber weißt du auch, Grandchamp, daß diese Schurken das Kruzifix glühend gemacht haben, und jeder Ehrenmann darüber wütend geworden wäre?«

»Ausgenommen der Herr Marschall, Ihr Vater, der nie getan hätte, was Sie taten, mein Herr.«

»Und was hätte denn er getan?«

»Er hätte diesen Pfaffen ganz ruhig durch die anderen Pfaffen verbrennen lassen und zu mir gesagt: Grandchamp, sorge, daß meine Pferde Hafer haben und ihnen nichts mangle; oder: Grandchamp, gib wohl acht, daß mein Degen vom Regen nicht rostig und das Zündpulver meiner Pistolen nicht feucht werde; denn der Herr Marschall dachte an alles und mischte sich nie in Dinge, die ihn nichts angingen. Das war sein erster Grundsatz, und da er, Gott sei Dank, ein ebenso guter Soldat als General war, trug er immer, gleich dem ersten besten Landsknecht, Sorge für seine Waffen, und hätte sich mit einem kleinen Balldegen nicht an dreißig junge, rüstige Leute gewagt.«

Cinq-Mars fühlte das Gewichtige dieser Verhöhnung wohl und fürchtete, der gute Mann möchte ihm weiter, als bis in das Wäldchen von Chaumont, gefolgt sein; er wollte es jedoch nicht wissen, aus Furcht, entweder Erklärungen geben oder eine Lüge sagen oder Schweigen anbefehlen zu müssen, welch letzteres ein Zugeständnis und eine Vertraulichkeit gewesen wäre. Er entschloß sich daher, seinem Pferde die Sporen zu geben und seinem alten Bedienten voranzureiten; dieser war aber noch nicht zu Ende und begab sich nun, statt sich zur Rechten seines Gebieters zu halten, zur Linken desselben, um die Unterhaltung fortzusetzen.

»Glauben Sie zum Beispiel, mein Herr, ich würde mir erlauben, Sie gehen zu lassen wohin Sie wollen, ohne Ihnen zu folgen? Nein, mein Herr, meine Seele ist zu sehr von Achtung für die Frau Marquise erfüllt, als daß ich in den Fall kommen möchte hören zu müssen; Grandchamp, mein Sohn ist durch eine Kugel oder durch einen Degenstich getötet worden, warum habt Ihr Euch nicht vor ihn hingestellt? Oder: der Dolch eines Italieners hat ihn getroffen, weil er nachts vor die Fenster einer großen Prinzessin schlich; weshalb habt Ihr den Arm des Mörders nicht aufgehalten? Das wäre sehr unangenehm für mich, mein Herr, und nie hatte man mir etwas dieser Art vorzuwerfen. Einst lieh mich der Herr Marschall, weil ich Spanisch spreche, seinem Neffen, dem Herrn Grafen, um einen Feldzug in den Niederlanden mit ihm zu machen; wohlan, ich habe mich, wie immer, mit Ehren aus der Sache gezogen. Als der Herr Graf eine Kugel in den Unterleib empfing, brachte ich ganz allein seine Pferde, seine Maultiere, sein Zelt und sein ganzes Reisegepäck zurück, ohne daß nur ein Sacktuch fehlte, mein Herr; und ich darf Ihnen schwören, daß bei meiner Zurückkunft in Chaumont die Pferde so wohl verpflegt aussahen und so gut angeschirrt waren, als hätte der Herr Graf eben mit ihnen auf die Jagd reiten wollen. Ich habe aber auch von der ganzen Familie Komplimente erhalten und wurde mit Lobsprüchen beehrt, wie ich sie nur immer gern höre.«

»Ganz gut, mein Freund«, sagte Henri d'Effiat; »vielleicht führst du einst auch meine Pferde zurück, aber unterdessen nimm diesen großen Beutel voller Gold, den ich ein paarmal zu verlieren dachte, und sei mein Zahlmeister; das Ding ist mir zu unbequem!« . . .

»Das tat der Herr Marschall nie, mein Herr. Da er Superintendant der Finanzen gewesen war, so war er sein eigener Zahlmeister, und ich glaube, Ihre Güter wären nicht in so gutem Stande und Sie selbst hätten nicht so viel Geld zu zählen, wenn er anders gehandelt hätte; seien Sie daher so gut, Ihre Börse, deren Inhalt Sie gewiß nicht einmal genau kennen, in Ihren Händen zu behalten.«

»Das tu' ich, meiner Treu, nicht!«

Bei diesen, von solcher Gleichgültigkeit zeugenden Worten seines Gebieters ließ Grandchamp einen tiefen Seufzer hören.

»Ach, Herr Marquis! Herr Marquis! Wenn ich bedenke, daß der große König Heinrich vor meinen Augen seine gemsledernen Handschuhe in die Tasche schob, weil der Regen sie verdarb; wenn ich denke, daß Herr von Rosni ihm Geld verweigerte, wenn er zu viel ausgegeben hatte, wenn ich denke . . .«

»Wenn du denkst, so bist du sehr langweilig, mein Freund«, unterbrach ihn sein Gebieter, »und würdest besser tun, mir zu sagen, wer diese schwarze Gestalt ist, die im Kote hinter uns zu waten scheint.«

»Es wird wohl eine arme Bäuerin sein, die um Almosen bitten will; sie kann uns leicht folgen, denn in diesem Sande, wo die Pferde bis an die Gelenke einsinken, kommen wir nicht schnell vorwärts. Wir gehen vielleicht einst in die Landes, mein Herr, und da werden Sie ein Land, ganz wie dieses hier, finden, Sand und große schwarze Tannen; es ist ein ewiger Kirchhof, rechts und links von der Straße, und hier haben Sie ein kleines Müsterchen davon. Da jetzt der Regen nachgelassen hat und man ein bißchen sehen kann, schauen Sie mir dieses Heideland an und diese große Ebene, ohne irgend ein Dorf oder ein Haus. Ich weiß nicht, wo wir die Nacht zubringen wollen; aber glauben Sie mir, mein Herr, wir würden gut tun, Äste abzuschneiden und zu biwakieren; Sie werden sehen, wie ich aus ein bißchen Erde eine Baracke aufzustellen weiß, unter der man es warm hat wie in einem guten Bett.«

»Ich will lieber noch die Strecke bis zu jenem Lichte, das ich am Horizont erblicke, zurücklegen«, entgegnete Cinq-Mars, »denn ich fühle, glaub' ich, ein bißchen Fieber und habe Durst. Doch bleib' hinter mir, ich will allein reiten; geh' zu den anderen und folgt mir.«

Grandchamp gehorchte und tröstete sich dadurch, daß er Germain, Louis und Etienne lehrte, wie man bei Nacht den Boden erkennen könne.

Sein junger Gebieter aber war todmüde. Die schrecklichen Gemütsbewegungen dieses Tages hatten seine Seele heftig aufgeregt, und die lange Reise zu Pferde, die wenige Nahrung, die er der sich drängenden Ereignisse wegen in den zwei letzten Tagen nur hatte zu sich nehmen können, die Hitze des Tages und die eisige Kälte der Nacht, alles trug dazu bei, sein Unbehagen zu vermehren und seinen zarten Körper zu brechen.

Drei Stunden lang ritt er schweigend seinen Dienern voran, ohne daß das Licht am Horizonte sich zu nähern schien; er ließ es zuletzt aus den Augen, und der Kopf, der ihm schwer geworden war, fiel auf seine Brust; die Zügel seines müden Pferdes, das von selbst auf der Landstraße einhertrabte, entschlüpften ihm und er kreuzte die Arme, eingewiegt durch die einförmige Bewegung seines Reisegefährten, der oft über große, auf dem Wege liegende Sandsteine stolperte.

Der Regen hatte nachgelassen, und die Stimmen der Bedienten, deren Pferde der Reihe nach dem ihres Gebieters folgten, ließen sich längst nicht mehr vernehmen.

Der junge Mann überließ sich ungestört der Bitterkeit seiner Gedanken; er fragte sich, ob wohl das glänzende Ziel seiner Hoffnungen in Zukunft nicht auch Tag für Tag von ihm fliehen würde, wie das phosphorische Licht am Horizonte bei jedem Schritte von ihm floh. Ließ sich annehmen, daß diese junge Prinzessin, die fast mit Gewalt an den galanten Hof Annas von Österreich zurückberufen ward, die Hände, vielleicht die königlichen, die ihr angeboten werden konnten, fort und fort abweisen würde? War irgend ein Anschein vorhanden, daß sie einem Thron entsagen würde, um zu harren, bis ein launisches Glück ihre romantischen Hoffnungen verwirklichen und einen Jüngling aus beinahe den letzten Reihen der Armee, noch bevor die Zeit der Liebe verblüht wäre, auf eine solche Stufe des Ranges führen würde! Wer versicherte ihm, daß selbst die Gelübde Maries von Gonzaga auch wirklich aufrichtig gewesen waren?

»Ach!« sagte er bei sich, »vielleicht täuscht sie sich selbst über ihre eigenen Gefühle, die Einsamkeit des Landlebens hatte ihre Seele für tiefe Eindrücke geeignet gemacht. Ich erschien, und sie hielt mich für den, der bisher ihre Träume ausgefüllt hatte; unser Alter und meine Liebe haben das Übrige bewirkt. Wenn sie aber am Hofe und in inniger Vertraulichkeit mit der Königin gelernt haben wird, die Größe, nach der ich von meinem niedrigen Standpunkt aus trachte, von oben herab zu betrachten, wenn sie sich plötzlich Herrin ihrer ganzen Zukunft sehen und mit sicherem Blick den Weg messen wird, den ich zu machen habe, wenn sie in ihrer Umgebung den meinigen ähnliche Gelübde von Stimmen hören wird, die nur ein Wort zu sagen brauchten, um mich zugrunde zu richten und den zu vernichten, auf den sie als ihres Gemahls und Herrn harrt, ach! Unsinniger, der ich war! dann wird sie ihre ganze Torheit einsehen und über die meine erzürnt werden.«

So fing das größte Unglück der Liebe, der Zweifel, an, sein krankes Herz zu zerreißen; er fühlte, wie sein brennendes Blut ihm zu Kopfe stieg und eine bleierne Schwere sich desselben bemächtigte; oft fiel er auf den Hals seines langsam trabenden Pferdes hin, und ein Halbschlummer lagerte sich auf seinen Augen; die schwarzen Tannen am Wege schienen ihm riesige Leichname, die an ihm vorübergingen; er sah oder glaubte zu sehen, wie die nämliche schwarzgekleidete Frauengestalt, auf die er Grandchamp aufmerksam gemacht hatte, sich näherte, zu seinem Pferde hintrat, ihn am Mantel zupfte und hohnlachend entfloh; der Sand der Straße schien ihm ein Fluß zu sein, der unter seinen Füßen wegfloß und den Lauf zur Quelle zurücknahm; solche und andere sonderbare Gesichte gaukelten vor seinen geschwächten Augen; er schloß sie und schlief auf seinem Pferde ein.

Bald darauf fühlte er sich angehalten; allein es schüttelte ihn ein heftiger Frost. Halb im Schlafe sah er Bauern, Fackeln, ein altes baufälliges Haus, eine große Stube, in die er gebracht ward, ein breites Bett, dessen schwere Vorhänge von Grandchamp zugezogen wurden; dann sank er, betäubt vom Fieber, das ihm vor den Ohren sauste, in tieferen Schlummer zurück.

Schneller als der vom Wind fortgewirbelte Staub zogen die verschiedenartigsten Traumbilder vor seiner Seele vorüber; er konnte sie nicht halten und wälzte sich unruhig auf seinem Lager. Der gefolterte Urbain Grandier, seine weinende Mutter, sein bewaffneter Lehrer, Bassompierre, mit Ketten beladen, schwebten vor ihm und winkten ihm Lebewohl zu; im Schlafe fuhr er mit der Hand an den Kopf, als wolle er den Traum festhalten, der sich vor seinen geistigen Augen gleich einem lebendigen Gemälde zu entrollen schien.

Er sah einen öffentlichen Platz mit einem fremden, einem nordischen Volke angefüllt, das ein wildes Freudengeschrei ausstieß; dann Spaliere von Wachen und rohen Soldaten; diese waren Franzosen.

»Komm' mit mir«, sagte mit sanfter Stimme Marie von Gonzaga, seine Hand ergreifend. »Siehst du, ich habe ein Diadem; dies ist dein Thron, komm' mit mir.«

Und sie zog ihn mit sich fort, das Volk aber schrie in wildem Jubel fort.

Er schritt lange, lange mit ihr vorwärts.

»Warum sind Sie denn so traurig, da Sie doch Königin sind?« fragte er zitternd. Sie war aber blaß und lächelte, ohne zu reden. Sie stieg nun einige Stufen hinauf, schwang sich auf einen Thron, setzte sich auf demselben nieder und sagte, seine Hand mit Kraft ergreifend:

»Steig' herauf.«

Allein immer rollten schwere Ballen unter seinen Füßen weg und er konnte nicht hinaufsteigen.

»Danke der Liebe«, hob sie wieder an.

Und mit stärkerer Hand hob sie ihn zu sich herauf. Das Volk schrie.

Er bückte sich, um diese hilfreiche, diese angebetete Hand zu küssen . . .; es war die des Henkers!

»O Himmel!« schrie Cinq-Mars, einen tiefen Seufzer ausstoßend, indem er die Augen öffnete. Das schwankende Licht einer Lampe erhellte die verfallene Kammer des Wirtshauses; er schloß die Augen von neuem, denn auf seinem Bett hatte er ein Frauenbild, eine Nonne, jung und schön, sitzen sehen! Er glaubte noch zu träumen, allein sie drückte ihm heftig die Hand. Und wieder öffnete er seine brennenden Augen und heftete sie auf die Frauengestalt.

»O, Johanna de Belfiel, Sie sind es? Der Regen hat Ihren Schleier und Ihre schwarzen Haare durchnäßt; was tun Sie hier, unglückliches Weib?«

»Schweig', wecke meinen Urbain nicht, er schläft in der anstoßenden Kammer. Ja, mein Kopf ist naß und meine Füße; schau' nur meine Füße, die vormals so weiß waren! Sieh', wie sie mit Kot beschmiert sind. Ich habe aber das Gelübde getan, sie erst bei dem König zu waschen, wenn ich Urbains Begnadigung von ihm erhalten habe. Ich gehe zu der Armee, denn dort befindet er sich jetzt; ich werde zu ihm reden, wie Grandier mich reden gelehrt hat, und er wird ihm verzeihen; doch höre, ich will ihn auch um deine Begnadigung bitten, denn ich habe auf deinem Antlitz gelesen, daß du zum Tode verurteilt bist. Armes Kind! Du bist noch sehr jung, um schon zu sterben, dein Lockenhaar ist schön, aber du bist dennoch verurteilt, denn du hast auf der Stirn eine Linie, die nie täuscht. Der Mann, an dem du dich vergriffen hast, wird dich töten. Du hast dich des Kreuzes zu stark bedient, das bringt dir Unglück; du hast mit demselben geschlagen und trägst es mit Haaren am Halse . . . Stecke deinen Kopf nicht unter die Leintücher; sollte ich etwas gesagt haben, was dich betrübt? Oder lieben Sie etwa, junger Mann? Ach, seien Sie ruhig, das alles sage ich Ihrer Freundin nicht; ich bin toll, aber gut, sehr gut, und vor drei Tagen war ich noch sehr schön. Ist sie auch schön? O, wie wird sie einst weinen! Ach, wenn sie weinen kann, so ist sie recht glücklich.«

Und Johanna begann plötzlich mit einförmiger Stimme, aber mit unglaublicher Geläufigkeit die Sterbegebete herzusagen, während sie, immer auf dem Bette sitzend, die Kugeln eines langen Rosenkranzes durch die Finger gleiten ließ.

Plötzlich öffnet sich die Tür, sie blickt sich um und entflieht durch einen in einer Zwischenwand angebrachten Eingang.

»Was zum Teufel soll das heißen? Sagt ein Kobold oder ein Engel die Totenmesse bei Ihnen her, mein Herr? Und da liegen Sie ja in Ihre Leintücher gewickelt wie in einem Sargtuch.«

Es war Grandchamps kräftige Stimme. Der alte Diener war so erstaunt, daß er das Glas Limonade, das er brachte, fallen ließ. Als er sah, daß sein Herr nicht antwortete, erschrak er noch mehr und hob die Decke auf. Cinq-Mars war ganz rot und schien zu schlafen; allein sein alter Bedienter dachte, das Blut möchte ihm zu Kopfe gestiegen sein und ihn beinahe erstickt haben, und bemächtigte sich eines Gefäßes mit kaltem Wasser, dessen ganzen Inhalt er ihm über die Stirn goß. Dieses militärische Hilfsmittel verfehlt die Wirkung selten, und Cinq-Mars kam schnell wieder zu sich.

»Ach, bist du's, Grandchamp!« rief er aufspringend, »wie fürchterlich habe ich geträumt!«

»Pest! mein Herr, Ihre Träume sind im Gegenteil sehr hübsch; ich habe den Schweif des letzten gesehen! Sie wählen sehr gut.«

»Was sagst du, alter Narr?«

»Ich bin kein Narr, mein Herr, ich habe gute Augen und habe gesehen, was ich gesehen habe. Aber so viel ist gewiß, daß krank, wie Sie, der Herr Marschall sich nie . . .«

»Du faselst, mein Lieber; gib mir zu trinken, denn der Durst verzehrt mich. O, Himmel, welche Nacht! Ich sehe diese Frauen noch alle.«

»Alle diese Frauen, mein Herr? Wieviel gibt es denn hier?«

»Ich spreche von einem Traume, Dummkopf! Und da bleibst du unbeweglich stehen, statt mir zu trinken zu geben!«

»Richtig, mein Herr, ich will andere Limonade verlangen.«

Und unter die Tür gehend, rief er laut die Treppe hinunter:

»Heda! Germain! Etienne! Louis!«

Von unten antwortete der Wirt: »Man kommt gleich, mein Herr, man kommt gleich; sie helfen mir nur der Verrückten nachspringen.«

»Welcher Verrückten?« sagte Cinq-Mars, sich über sein Bett vorbeugend.

Der Wirt trat ein und sagte, seine baumwollene Mütze abnehmend, mit Ehrerbietung:

»Es hat nichts zu bedeuten, Herr Marquis, es ist eine Verrückte, die heute nacht zu Fuß hier angekommen ist und die man neben diesem Zimmer schlafen ließ; sie ist aber soeben entflohen und man hat sie nicht wieder erwischen können.«

»Wie«, sagte Cinq-Mars, gleichsam zu sich selbst kommend und die Hand vor die Augen haltend, »ich habe also nicht geträumt? Und meine Mutter, wo ist sie? Und der Marschall, und . . . Ach! das ist ein fürchterlicher Traum! Verlaßt mich alle.«

Mit diesen Warten drehte er sich um und zog die Decke wieder über seinen Kopf.

Bestürzt schlug sich der Wirt mit der Fingerspitze dreimal vor die Stirn und schaute Grandchamp an, als hätte er fragen wollen, ob sein Herr auch närrisch sei.

Dieser winkte ihm, sich still zu entfernen und setzte sich, als er allein geblieben war, in einen großen altertümlich gepolsterten Lehnstuhl, wo er den übrigen Teil der Nacht neben dem tief schlafenden Cinq-Mars zu wachen gedachte, indem er mit der ernsten und strengen Miene des Archimedes, der die Flammenkraft seiner Brennspiegel berechnet, Zitronen in ein Glas Wasser ausdrückte.



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